Der Heinrich-Plan

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Z serii: Leo Schwartz #1
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Der Heinrich-Plan
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Irene Dorfner



Der Heinrich-Plan



Leo Schwartz ... und der Tote auf der Alb





Dieses ebook wurde erstellt bei






Inhaltsverzeichnis





Titel







Impressum







VORWORT







ANMERKUNG







1.







2.







3.







4.







5.







6.







7.







8.







9.







10.







11.







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20.







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28.







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Liebe Leser!







1.







2.







Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:







Über die Autorin Irene Dorfner:







Impressum neobooks







Impressum





Copyright © 2014 Irene Dorfner







4. überarbeitete Auflage Copyright © 2021







Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting







All rights reserved







Covergestaltung: VercoDesign, Unna







Lektorat: Felicitas Bernhart, Engelsberg,







EarL und Marlies Heidmann, Spalt








VORWORT




Es gibt kein „Besser“ oder „Schlechter“ sondern nur Unterschiede. Diese müssen respektiert werden, egal ob es sich um die Hautfarbe, die Lebensweise oder eine Idee handelt.





Kote Kotah (Cumash-Stamm, ein Indianerstamm aus der Hoka-Sprachfamilie)









Liebe Leser!!







Dies ist der erste Teil der spannenden Leo-Schwartz-Reihe, von der es noch viele weitere Fälle gibt. Ich wünsche ganz viel Spaß mit Leo & Co.!!







Liebe Grüße aus Altötting,







Irene Dorfner







ANMERKUNG




Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.



Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.









und jetzt geht es auch schon los:






1.




Die Sonne brannte sehr heiß und Leo Schwartz, Leiter der Mordkommission Ulm, wischte sich den Schweiß von der Stirn. In den frühen Morgenstunden dieses Samstages war er aufgebrochen, um die geliebte Schwäbische Alb zu durchstreifen. Er brauchte die Ruhe in der Natur und die körperliche Anstrengung, um abschalten zu können.



Vor vier Jahren hatte er sich nach seiner Scheidung von Karlsruhe nach Ulm versetzen lassen. Er kannte die Schwäbische Alb von einem Urlaub vor vielen Jahren. Als er von der freien Stelle in Ulm hörte, griff er sofort zu. Auch, weil er so schnell wie möglich weit weg von seiner geschiedenen Frau wollte, die inzwischen wieder einen neuen Partner hatte und er diese Tatsache nicht ertragen konnte. Er befürchtete, dem glücklichen Paar zu begegnen, worauf er nicht scharf war. Und er hatte genug von den vielen mitleidigen und oft auch schadenfrohen Blicken von Freunden, Nachbarn und Kollegen.



Er hatte sich in der Zwischenzeit in Ulm sehr gut eingelebt. Er liebte seinen Job, seine Kollegen und die Natur. Eine neue Liebe hatte er hier noch nicht gefunden. Er war auch nicht scharf darauf, noch einmal so verletzt zu werden.



Das Wetter war dieses Jahr im September besonders schön und er freute sich schon die ganze Woche auf diesen Ausflug, denn jedes Mal nahm er sich eine andere Ecke der Schwäbischen Alb vor und entdeckte immer wieder etwas Neues.



Leo genoss nicht nur die Ruhe in der Natur, sondern vor allem den Umstand, dass er sehr wenigen Personen begegnete. Hier konnte er seinen Gedanken nachhängen und so richtig abschalten. Er mochte es, wenn sich der Schweiß überall breitmachte und seine Lunge und die Muskeln brannten. Angesichts der Hitze beschloss er, eine Pause einzulegen. Es war inzwischen Mittag geworden und er hatte bereits eine beachtliche Strecke hinter sich gebracht. Leo war völlig außer Atem und sein Hemd war komplett durchgeschwitzt. Auf einer Anhöhe, unter einem ausladenden Baum, fand er einen schönen, schattigen Platz. Nach einem großen Schluck Wasser musste er sich eingestehen, dass ihm vor wenigen Jahren die Hitze und ein ordentlicher Fußmarsch nicht so zu schaffen gemacht hatten. Gut in Form war er zwar, aber mit seinen 46 Jahren war er auch nicht mehr der Jüngste. Im Alltag trug er bei seiner stattlichen Körpergröße von 1,90 Meter immer Jeans, eine alte Lederjacke und Cowboystiefel. Mit Vorliebe trug er T-Shirts mit dem Aufdruck einer Rockband, die nicht viele in seiner Umgebung kannten. Banausen! Seine T-Shirts waren legendär und er bezahlte sehr hohe Summen für besonders ausgefallene Stücke. Mit seinem Kleidungsstil war er modisch in den 80er-Jahren hängen geblieben, was ihn aber nicht interessierte. Die dummen Bemerkungen hörte er schon lange nicht mehr, andere Meinungen hatten ihn noch nie interessiert. Er machte schon immer nur das, was er für richtig hielt und was ihm Spaß machte. Nur für seine Ausflüge hatte er sich in einem Second-Hand-Shop eine Wanderhose und karierte Hemden gekauft. Und dazu leistete er sich sündhaft teure Wanderschuhe und einen High-Tech-Rucksack.



Leo Schwartz genoss die wunderschöne Aussicht, nachdem er die heutige Marschroute in die Landkarte eingetragen hatte. Sein Puls beruhigte sich. Er war stolz auf sich und die heutige Leistung. Die Vögel pfiffen und er schloss die Augen, um den Gesang besser genießen zu können.



Plötzlich durchdrang ein markerschütternder Schrei die Stille. Leo wurde sofort hellhörig, es handelte sich eindeutig um einen menschlichen Schrei. Er war aufgestanden und lauschte angestrengt. Da! Wieder ein Schrei. Er versuchte zu lokalisieren, woher der Schrei kam. Von seinem Platz aus hatte er eine gute Aussicht, nahm sein Fernglas aus dem Rucksack und spähte die Gegend aus. Wieder ein Schrei und endlich konnte Leo die Stelle genauer ausmachen. Durch das Fernglas konnte er in dem unwegsamen Gelände eine Person mit Wanderausrüstung erkennen, die mit dem Rücken zu ihm stand. Das war eindeutig eine Frau, denn die Person hatte ein rosafarbenes T-Shirt und ein rosafarbenes Tuch um den Kopf gebunden. Der Rucksack auf ihrem Rücken war in der gleichen Farbe. Das musste eine Frau sein. Kein Mann, zumindest keiner, den er kannte, würde freiwillig so rumlaufen.

 



Es waren zu viele Sträucher und Gebüsch um die Person herum, um erkennen zu können, warum sie so schrie. War sie verletzt? Hatte sie sich erschreckt? Wovor? Vielleicht ein Tier? Egal, er musste ihr auf jeden Fall helfen. Er nahm seinen Rucksack und rannte los. Wenn er sich ranhielt, könnte er die Stelle in ungefähr fünfzehn Minuten erreichen. Leo kam schnell voran. Immer wieder hörte er die Person schreien. Völlig außer Atem und schweißnass erreichte er endlich den Platz.



Leo ging langsam auf die Person zu und erkannte eine junge Frau Anfang 30, die mit weit aufgerissenen Augen vor sich auf den Boden starrte. Sie war sichtlich geschockt, denn sie zitterte am ganzen Körper und schien die Hitze und auch ihn nicht wahrzunehmen. Er machte sich bemerkbar, rief ihr schon von weitem zu, um sie nicht zu erschrecken. Sie reagierte nicht und starrte nur auf einen Punkt vor sich auf den Boden. Als er die Frau endlich erreicht hatte, begriff Leo die Panik der Frau. Auf dem Boden lag die Leiche eines jungen Mannes, die nur mit Badeshorts bekleidet war. Mitten auf der Schwäbischen Alb! Bevor sich Leo um die Frau kümmerte, nahm er sein Handy aus der Tasche und rief seine Kollegin Anna Ravelli an.



„Hallo Anna, hier Leo. Ich bin auf der Schwäbischen Alb auf eine männliche Leiche gestoßen. Bitte informiere die anderen. Die Leiche liegt in unwegsamem Gelände und ich schlage vor, dass wir uns treffen und ich euch herführe.“ Leo dachte angestrengt nach, wo sie sich treffen konnten. Das war ein riesiges Gebiet und Anna kannte sich hier nicht aus. „Kannst du dich erinnern, wo wir letztes Jahr parkten, als wir mit Christine und Stefan hier waren?“ Inständig betete er, dass sie sich daran erinnerte, welchen Parkplatz er meinte.



„Mach dir keine Sorgen, den Parkplatz finde ich schon,“ sagte Anna.



„Gut. Wenn du doch Probleme hast, frag Stefan oder Christine, die beiden waren schon oft hier. Ich gehe jetzt los und wir treffen uns dort. Wir brauchen einen Krankenwagen. Eine junge Frau hat die Leiche gefunden und ist ziemlich geschockt. Ich werde versuchen, sie zu beruhigen. Vielleicht kann ich sie dazu überreden, mich zu begleiten. Bis gleich.“ Leo hatte aufgelegt und keine Antwort abgewartet. Anna wusste, was zu tun war.



Die junge Frau stand immer noch reglos da und starrte auf die Leiche.



„Mein Name ist Leo Schwartz,“ begann er mit ruhiger Stimme, „ich bin Polizist. Hier ist mein Ausweis.“ Er hielt ihr seinen Ausweis direkt vors Gesicht. Jetzt drehte sie leicht den Kopf und nickte kaum merklich.



„Wie ist ihr Name?“, fragte Leo ruhig weiter.



Die junge Frau musste sich konzentrieren. Sie war so geschockt, dass ihr auf Anhieb nicht einmal ihr Name einfiel. Leo wiederholte geduldig mehrmals seine Frage.



„Mandy,“ flüsterte sie endlich und Leo musste sich anstrengen, sie zu verstehen. „Mandy Singer.“ Ihr sächsischer Dialekt war deutlich zu hören.



„Hallo Mandy. Ich schlage vor, wir gehen in den Schatten. Sie setzen sich erst einmal und trinken einen Schluck Wasser.“



Mandy Singer folgte ihm langsam. Sie schüttelte den Kopf, als sie die Wasserflasche wahrnahm, die Leo ihr an dem schattigen Platz reichte. „Danke,“ sagte sie nur und entnahm ihrem Rucksack eine Dose Bier. Sie trank den Inhalt in einem Zug, wobei sie die Dose mit beiden Händen halten musste.



Leo war erleichtert. Sie reagierte und wenn er es schaffte, sie weiter abzulenken, hatte er gute Chancen, dass er sie mitnehmen konnte. Er wollte sie nur ungern hier lassen. Sie saßen auf einem Stein im Schatten und Mandy beruhigte sich langsam, denn ihr Atem war nun ruhiger und gleichmäßiger und ihr leichenblasses Gesicht bekam wieder Farbe. Leo hatte darauf geachtet, dass sie sich mit dem Rücken zur Leiche setzte.



„Geht es Ihnen besser?“ Leo beobachtete sie genau, da er einschätzen musste, ob sie einen Fußmarsch durchhalten würde. Körperlich war sie zumindest in sehr guter Form.



„Es geht wieder,“ sagte Mandy jetzt etwas gefasster. „Ich weiß, ich benehme mich wie ein Kleinkind, aber ich habe noch nie eine echte Leiche gesehen.“



„Nein, nein, reden Sie sich nichts ein, diese Reaktion ist völlig okay. Ich habe schon riesige Kerle gesehen, die bei einem solchen Anblick sofort aus den Latschen gekippt sind. Nein, Sie verhalten sich sehr tapfer, das können Sie mir glauben.“



Jetzt lächelte sie sogar ein wenig und Leo fiel ein Stein vom Herzen. Er war sich sicher, dass sie es schaffen würde, mit ihm zu kommen. Vor allem, nachdem sie eine weitere Dose Bier aus dem Rucksack fischte und auch diese fast in einem Zug leerte.



„Ich habe meine Kollegen angerufen, die ich auf einem Parkplatz treffe, um sie herzuführen“, sagte Leo. „Ich möchte gerne, dass Sie mit mir gehen. Wir haben eine anstrengende Strecke vor uns. Meinen Sie, Sie schaffen das?“



Mandy überlegte nicht lange.



„Keine Sorge, das schaffe ich schon. Ich gehe auf jeden Fall mit Ihnen, ich bleibe nicht hier bei dem da,“ sagte sie bestimmt, drehte sich um und zeigte auf die Leiche.



„Sehr schön Mandy. Möchten Sie sich noch ausruhen oder können wir los?“



„Je eher, desto besser.“ Mandy war bereits aufgestanden.



Die beiden gingen schweigend nebeneinander her. Leo dachte über die Leiche nach. Warum hatte der Mann inmitten der Schwäbischen Alb nur Badeshorts an? Er wusste genau, dass hier weit und breit keinerlei Gewässer waren. Weder ein See, noch ein Fluss oder dergleichen. Der Mann passte hier absolut nicht in die Gegend. Was sollte das? Seine Neugier war geweckt und er musste unbedingt herausfinden, was dahintersteckte. Vor allem wollte er sich die Leiche genauer ansehen, was aber mit Mandy an seiner Seite nicht ging. Er musste warten, bis er mit seinen Kollegen zurück war.



Leo bemühte sich, eine belanglose Unterhaltung mit Mandy zu führen. Sie sprachen übers Wetter, die Natur, über Kinofilme. Und Leo war sehr zufrieden, wie sich Mandy verhielt. Sie kamen zügig voran und nach einer guten halben Stunde hatten die beiden den Parkplatz erreicht, wo die Kollegen bereits warteten.



Die Kollegin Anna Ravelli sah sie zuerst und kam auf sie zu. Sie drückte beiden ein kaltes Getränk in die Hand, was Mandy und Leo gerne annahmen. Leo arbeitete seit fast zwei Jahren mit Anna zusammen und schätzte sie sehr. Mit ihren 28 Jahren machte sie ihren Job sehr gut und war bei den Kollegen sehr beliebt. Außerdem sah sie dazu auch noch blendend aus. Sie war 1,75 m groß und trug wegen der Hitze ihre langen, schwarzen, lockigen Haare hochgesteckt, was ihren Nacken mit dem kleinen Tattoo freilegte.



„Du ruhst dich aus, Leo. Wir beide gehen zum Krankenwagen,“ sagte Anna bestimmt und zog Mandy Singer mit sich. Sie sprach kurz mit ihr und dem Sanitäter und kam gleich darauf wieder zurück.



„Was ist das für eine wilde Geschichte, die mir Frau Singer eben erzählt hat? Der Tote trägt nur Badehosen? Hier auf der Schwäbischen Alb?“



„Ich habe auch gedacht, dass ich spinne. Ich bin gespannt, was das soll.“ Leo trank noch eine Flasche Wasser und wechselte das Hemd mit einem T-Shirt, das ihm ein Kollege reichte. Er war völlig durchgeschwitzt und inzwischen roch er bestimmt auch nicht mehr sehr gut. Aber für Eitelkeiten war jetzt keine Zeit.



„Ich war mir nicht sicher, ob das hier noch unser Zuständigkeitsbereich ist und habe mit unserem neuen Chef gesprochen,“ sagte Anna. Wie würde Leo reagieren? Sie hätte ihn vorher fragen müssen und hatte eigenmächtig gehandelt.



„Jetzt bin ich aber gespannt. Was hat er gesagt?“ Leo war nicht sauer und Anna entspannte sich.



Leo war sich bezüglich der Zuständigkeit auch nicht ganz sicher und hatte die Leiche und die damit verbundenen Ermittlungen einfach zu seinem Fall erklärt. Egal, was Anna nun sagte, die Leiche hier würde er sich nur ungern vor der Nase wegschnappen lassen. Er wollte unbedingt herausfinden, was es mit diesem Toten auf sich hatte, denn dass etwas hier nicht ganz koscher war, konnte er förmlich riechen. Seit einer Mordserie vor zwei Jahren war nicht viel passiert und er wollte diesen Fall hier unbedingt. Er konnte den neuen Vorgesetzten Michael Zeitler noch nicht einschätzen. Er hatte erst einige Male mit ihm gesprochen, wobei es nur um banale Dinge ging. Wie würde Zeitler reagieren, wenn es Probleme gab?



„Zeitler klärt die Sache noch ab, hat uns aber vorerst grünes Licht gegeben,“ antwortete Anna. Leo war beeindruckt und auch erleichtert, denn das Okay vom Chef vereinfachte die Sache enorm.



Leo hatte die Polizisten um sich versammelt. Die Pathologin Christine Künstle, Leos beste Freundin, war nun ebenfalls vor Ort. Sie hatte sich verspätet und war als Letzte eingetroffen, was sie sehr ärgerte. Sie fluchte und schimpfte, seit sie aus ihrem Wagen ausgestiegen war. Die Kollegen hielten sich zurück, denn wenn Christine sauer war, war sie unberechenbar. Alle hatten Angst vor ihr, außer Leo, der ihre weiche Seite kannte.



Leo erklärte auf seiner Wanderkarte den Weg zur Leiche und wählte nur die fittesten und kräftigsten Kollegen aus. Dann sah Leo die stämmige, nur 1,60 Meter große, 61-jährige Christine Künstle an, zog sie zur Seite und schüttelte den Kopf.



„Du bleibst hier, Christine, das wird zu anstrengend für dich. Selbst für einen trainierten Menschen ist die Strecke sehr schwierig. Außerdem ist es heute wahnsinnig heiß. Bitte bleib hier. Einer deiner Kollegen kann uns begleiten und den Job übernehmen.“



Christine wurde rot vor Wut.



„Was erlaubst du dir eigentlich? Meinst du, nur weil ich ein paar Jahre älter und ein paar Kilo schwerer bin, schaffe ich das nicht? Ich bin nicht zu alt für einen lächerlichen Spaziergang. Lass uns endlich gehen.“



Leo hatte seinen guten Ratschlag schon bereut. Eigentlich hätte er wissen müssen, dass Christine sehr empfindlich reagieren würde. Sie setzte sich mit ihrem Koffer in Bewegung und war sichtlich beleidigt. Er rannte ihr hinterher.



„Also gut, wie du willst. Du bist ein selten stures Weib! Dann gib mir wenigstens deinen Koffer.“



Christine hielt kurz inne. Sie war zwar stolz, aber nicht dumm. Sie wusste, dass er es nur gut mit ihr meinte und dass sie einen anstrengenden Weg vor sich hatten. Sie hatte mitbekommen, dass es mit dieser Leiche etwas Besonderes auf sich hatte. Die Leiche wollte sie sich unter keinen Umständen entgehen lassen. Sie übergab Leo den Koffer und trabte mit hocherhobenem Kopf davon.



Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Sie bestand aus Leo, Anna, Christine und vier weiteren Polizisten sowie Stefan Feldmann, Leiter der Spurensicherung und drei seiner Mitarbeiter. Nach 45 Minuten hatten sie endlich den Fundort der Leiche erreicht. Allen war die Anstrengung anzusehen, besonders Christine, die aber nicht ein einziges Mal jammerte. Sie biss die Zähne zusammen und sah zu, dass sie mit den anderen Schritt halten konnte. Christine und ihr Dickschädel! Sie hatten für die Strecke nur 15 Minuten länger gebraucht. Leo war sehr zufrieden, denn ihnen saß die Zeit im Nacken. Sie hatten nur noch wenige Stunden, bis es dunkel wurde.



Alle starrten auf die Leiche und sahen sich irritiert an.



„Ja Leute, meine Reaktion war ähnlich, als ich die Leiche sah. Der Junge hat lediglich Shorts an, und zwar Badeshorts. Schuhe habe ich nicht gesehen, auch einen Rucksack, eine Tasche oder etwas Ähnliches nicht. Suchen wir das Areal ab, vielleicht finden wir etwas.“



Nachdem sie sich einige Minuten ausgeruht hatten, konnte die Suche losgehen. Christine untersuchte mit hochrotem Kopf die Leiche. Leo setzte sich nach zwanzig Minuten neben sie auf seinen Rucksack und sah sie fragend an.



„Männliche Leiche, ca. 22 Jahre alt,“ sagte sie schließlich. Und nach einer kurzen Pause schüttelte sie den Kopf. „Das gefällt mir nicht, Leo. Der Junge ist bestimmt schon länger tot. Wie lange, kann ich dir nicht sagen. Er hat keine äußeren Verletzungen und er liegt bestimmt noch nicht lange hier. Nein, das gefällt mir überhaupt nicht.“



Leo verstand seine Freundin, denn auf der Leiche war kein Blatt, kein Gras, einfach nichts zu finden.



„Ich verstehe nicht, wie er hierhergekommen ist,“ fuhr Christine fort. „Sieh dir seine Fußsohlen an, er ist hier keinen Schritt gegangen. Zwischen seinen Zehen ist Sand. Wo kommt der her?“

 



Leo stand auf und sah sich die Fußsohlen des Toten an. Christine hatte Recht. Die Füße waren gepflegt und hatten nicht einen Kratzer. Und zwischen den Zehen konnte er mit bloßem Auge den Sand erkennen. Er winkte seine Kollegin Anna zu sich, die sich an der Spurensuche beteiligt hatte.



Anna Ravelli schwitzte stark. Sie hatte Jeans, Turnschuhe und ein T-Shirt angezogen, das inzwischen an ihrem Körper klebte. Sie machte eine gute Figur und ein paar Kollegen sahen sie verstohlen an. Aber keiner von ihnen würde sich mehr getrauen, denn sie war mit Stefan Feldmann zusammen, und vor dem Leiter der Spurensicherung hatten sie jede Menge Respekt.



„Habt ihr irgendwelche Kleidungsstücke gefunden?“



„Nein, absolut nichts. Wir werden die Suche ausdehnen. Hier etwas zu finden ist nicht so einfach. Sehr viel Gestrüpp und jede Menge Gebüsch. Wie sieht es bei euch aus?“



„Nicht gut, Anna,“ sagte Leo und starrte auf die Leiche. „Christine meint, er ist schon eine Weile tot und liegt noch nicht lange hier. Äußerlich hat er keine Verletzungen, auch an den Fußsohlen hat er keinen einzigen Kratzer. Zwischen seinen Zehen ist Sand. Wo kommt der her? Ich weiß ganz sicher, dass es hier weit und breit weder ein Gewässer, noch Sand gibt. Die Leiche muss hergebracht worden sein. Aber wie? Auch wir mussten zu Fuß gehen. Stell dir mal vor, welche Anstrengung das ist, eine Leiche bis hierher zu tragen.“



Anna sah sich die Fußsohlen des Toten an und zog die Schultern nach oben. Auch ihr kam das merkwürdig vor, aber jetzt war die Suche nach Beweisstücken wichtiger. Sie ging wieder zu den anderen. Sie hoffte darauf, etwas zu finden, was die ganze Sache erklären würde. Sie mussten sich beeilen, bis zum Einbruch der Dunkelheit blieb nicht mehr viel Zeit.



„Wir bringen den Jungen in die Pathologie, dort werde ich ihn mir genauer vornehmen. Hier vor Ort kann ich nicht mehr tun,“ sagte Christine bestimmt und stand auf. Sie winkte einigen Kollegen zu und sprach mit ihnen.



„Wenn du mich nicht mehr brauchst, mache ich mich mit meinem Kunden auf den Weg,“ sagte Christine und Leo nickte zustimmend. Er war froh, dass seine Freundin aus der Sonne kam, denn die kurzen, braunen Haare klebten an ihrem Kopf, der immer noch krebsrot war. Das hier war für sie viel zu anstrengend.



„Du setzt dich erst noch ein paar Minuten in den Schatten, trinkst eine Flasche Wasser und ruhst dich aus. – Keine Widerrede!“, fügte er sofort hinzu, da Christine bereits Luft holte, um etwas zu erwidern. Zu seinem Erstaunen ging sie ohne ein weiteres Wort tatsächlich in den Schatten und setzte sich.



„Braves Mädchen,“ sagte Leo. „Du gehst erst, wenn du dich mindestens 20 Minuten ausgeruht hast. Deine Leiche läuft dir nicht davon. Es ist keinem von uns geholfen, wenn du vor übertriebenem Ehrgeiz aus den Latschen kippst. Wenn wir hier fertig sind, schau ich bei dir in der Pathologie vorbei. Hast du mir zugehört und mich auch verstanden?“



„Ja, schon gut,“ keuchte Christine. Sie konnte tatsächlich eine Pause gut gebrauchen. Längst hatte sie es bereut, darauf bestanden zu haben, mitzugehen. Sie hätte auf Leo hören sollen, denn das war für sie die reinste Tortur und sie hatte noch den ganzen Rückweg vor sich. Ihr grauste davor. Andererseits war sie aber auch froh, mitgegangen zu sein, denn der Fall war überaus interessant. Sie konnte es kaum erwarten, die Leiche genauer zu untersuchen.



Die Polizisten suchten noch einige Stunden, jedoch ohne Ergebnis. Sie hatten absolut nichts gefunden. Sie gingen zurück zum Parkplatz, um nicht doch noch in die Dunkelheit zu geraten, was auf der Schwäbischen Alb ein Desaster wäre. Es gab jedes Jahr immer wieder Menschen, die die Natur und ihre eigenen Kräfte maßlos unterschätzten und gerettet werden mussten.



Am Parkplatz angekommen, fuhren sie sofort los. Leo brauchte sich nicht vorher mit seinen Kollegen absprechen, wann und wo sie sich treffen würden. Es war klar, dass jeder ins Präsidium fuhr und seine Arbeit machte, auch wenn es Samstagabend war.



Anna und Leo gingen in ihr gemeinsames Büro, das sie sich seit dem Weggang eines Kollegen teilten. Man konnte genau erkennen, welcher Schreibtisch zu wem gehörte. Annas Schreibtisch war ordentlich und hatte diesen typisch weiblichen Touch: Hier eine Pflanze in einem farbigen Übertopf, dort eine kleine rosafarbene Figur, die wohl einen Elefanten darstellen sollte. Ein weißes Schreibset lag ordentlich an der oberen Kante der sauberen Schreibtischunterlage, eine gespülte Kaffeetasse stand neben dem Telefon.



Leos Schreibtisch dagegen war übersät mit Papieren und Ordnern. Kreuz und quer lagen Kugelschreiber mit verschiedenen Werbeaufdrucken, von denen er selbst nicht wusste, woher er sie hatte. Die Schnur seines Telefons war ein einziger Klumpen und der fleckige Kaffeebecher klebte auf dem Tisch. Beim besten Willen hätte hier kein Deko-Artikel seinen Platz gefunden. Anna hatte ihm zu ihrem Einzug ins Büro die gleiche Topfpflanze geschenkt, wie die ihre, aber sie war ihm ein paar Mal runtergefallen. Er hatte auch vergessen, sie zu gießen. Wenn er ehrlich war, gefiel ihm so ein Schnickschnack auch nicht. Er war froh, als er sie wieder vom Hals hatte und sein Schreibtisch für seine Begriffe wieder übersichtlich war.



„Bei den Vermisstenmeldungen ist niemand dabei, auf den die Beschreibung des Toten passt. Ich gebe sofort ein Foto des Toten an die Medien raus. Eine Beschreibung habe ich auch verfasst. Sieh mal, ob die so okay ist oder ob dir noch etwas einfällt,“ sagte Anna und reichte ihm ein Blatt Papier. Leo sah sich das Foto und die Beschreibung genau an und nickte zustimmend.



„Männlich, weiß, ca. 22 Jahre alt, 1,85 Meter groß, sportliche Figur, dunkelblonde, kurze Haare, braune Augen, keine besonderen Merkmale. Ja, das ist gut so, gib es weiter. Vielleicht hat der Junge hier Urlaub gemacht, wir sind hier schließlich in einem beliebten Urlaubsgebiet. Gib bitte die Suchmeldung auch an alle Polizeidienststellen raus, und zwar überregional. Und natürlich an alle Zeitungen, Radio- und Fernsehsender.“ Leo war immer sehr betroffen, wenn er es mit einem jungen Opfer zu tun hatte.



Anna machte sich umgehend an die Arbeit. Sie scannte die Suchmeldung in ihren Computer und schickte sie an alle Dienststellen der Polizei, sowie an die Medien. Mit dem neuen Computerprogramm war das ein Kinderspiel. Leo hatte sich mit dem Programm noch nicht befasst, er stand mit Computern im Allgemeinen auf Kriegsfuß. Er war froh, wenn er damit nichts zu tun hatte. Zum Glück hatte er Anna, die in solchen Dingen perfekt war.



Das Telefon klingelte. Es war Michael Zeitler, der neue Leiter der Polizei Ulm.



„Ich möchte Sie darüber informieren, dass der Todesfall auf der Schwäbischen Alb in unserem Zuständigkeitsbereich liegt. Der Fall gehört Ihnen,“ brummte Zeitler.



„Vielen Dank,“ sagte Leo knapp.



„Wissen wir schon etwas?“



„Wir stehen noch ganz am Anfang. Bei dem Opfer handelt es sich um einen jungen Mann Anfang 20. Die Todesursache steht noch nicht fest. Bezüglich der Identität des Toten gibt es keinen Hinweis, eine überregionale Suchmeldung ist raus.“



Zeitler legte ohne ein weiteres Wort auf. Ganz schön unfreundlich, der neue Chef!



Anna sah ihn fragend an.



„Das war Zeitler, der Fall gehört uns.“



Leo sah auf die Uhr, es war inzwischen 23.30 Uhr. Zeitler arbeitete um diese Uhrzeit? Und das an einem Samstag? Er war überrascht und auch beeindruckt. Trotzdem hätte Zeitler etwas freundlicher sein können!



„Ich gehe zu Christine, vielleicht hat sie in der Zwischenzeit etwas Brauchbares für uns. Du gehst nach Hause und ruhst dich aus. Es reicht, wenn sich einer von uns die Nacht um die Ohren schlägt. Wir treffen uns morgen um 8.00 Uhr.“



Leo ging in die Pathologie, die sich im Keller des Polizeigebäudes befand. Für ihn war klar, dass Christine um diese Uhrzeit noch bei der Arbeit war. Er hatte heute auf der Schwäbischen Alb deutlich das Funkeln in ihren Augen gesehen. Bei so einem Fall dachte sie gar nicht daran, nach Hause zu gehen.



„Treibt dich die Neugier, Leo?“, fragte Christine, ohne von der Leiche aufzublicken. Sie schien bei sehr guter Laune zu sein, was Leo nach dem heutigen Nachmittag überraschte. Sie müsste von der Anstrengung ziemlich kaputt sein.



„Natürlich treibt mich die Neugier. Hast du irgendetwas für mich?“



„Das ist ein sehr interessanter Fall,“ strahlte Christine ihn an. Man konnte spüren, dass sie sichtlich Spaß an ihrer Arbeit und an diesem speziellen Fall hatte. Von Müdigkeit oder Erschöpfung war überhaupt keine Spur.



„Spann mich nicht auf die Folter,“ sagte Leo un