Czytaj książkę: «Das Barnabas-Evangelium», strona 3

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5.

Die Vorbereitungen des Weihnachtsmarkts in Mühldorf am Inn, der dieses Jahr vom 3. bis 6. Dezember stattfand, liefen auf Hochtouren. Wie jedes Jahr war der Haberkasten Veranstaltungsort des ebenfalls weit über die Grenzen beliebten Weihnachtsmarktes. Der frühere Getreidespeicher aus dem 15. Jahrhundert und seit dessen Umbau 1996 Kulturzentrum der Stadt Mühldorf, war voller Buden und Stände. Die Betreiber hatten ihre Waren bereits eingeräumt, morgen ging es endlich los. Krohmer hatte auf besonderen Wunsch des Bürgermeisters zwei Polizisten eingeteilt, was diesem aber nicht genügte.

„Ich werde den Weihnachtsmarkt morgen persönlich eröffnen. Außer der Mühldorfer Bevölkerung und den vielen Gästen aus dem Umland sind heuer einige Besucher der Partnerstädte und natürlich meine ganze Familie anwesend. Ich verlange, dass ein Sprengstoffspürhund vorab seine Runden dreht. Nicht auszudenken, was passiert, wenn auch bei uns eine Bombe hochgeht.“ Der Bürgermeister hatte Angst, große Angst.

„Jetzt mal ganz ruhig. Nur, weil in Altötting eine Bombe gezündet wurde, muss das nicht zwangsläufig in Mühldorf auch passieren. Wie Sie wissen, läuft der Altöttinger Christkindlmarkt seit 30.11. reibungslos weiter. Ich verspreche Ihnen, dass wir alles vorher abchecken.“

Krohmer orderte einen Sprengstoffspürhund aus Landshut an, da der Bürgermeister darauf bestand. Was sollte er tun?

„Der Hundeführer ist morgen gegen 10.00 Uhr bei Ihnen,“ versprach der Landshuter Kollege.

Tags darauf war der Hundeführer pünktlich vor Ort und Leo begleitete ihn und dessen Hund, nachdem alle Budenbetreiber und Schaulustige des Platzes verwiesen worden waren. Der Hund ging seiner Arbeit nach und auch der Hundeführer war sehr konzentriert und beobachtete seinen Vierbeiner genau. Leo trottete gelangweilt hinterher. Er interessierte sich nicht für die Arbeit des Hundeführers und dessen Hund, daher sah er sich um. Für ihn sahen alle Weihnachtsmärkte gleich aus, er war kein großer Freund davon. Fast an jedem Stand gab es Glühwein, irgendetwas Essbares und Weihnachtsnippes in Hülle und Fülle. Wann war er als Besucher das letzte Mal auf einem Weihnachtsmarkt gewesen? Das war vor einem Jahr, als er noch mit Viktoria zusammen war und sie darauf drängte, zumindest einen kleinen Spaziergang über den Christkindlmarkt Altötting zu machen. Als er an Viktoria dachte, gab es ihm einen Stich in der Magengrube. Wie es ihr in Berlin wohl erging? Kam sie dort zurecht? Wurde sie akzeptiert? Fühlte sie sich wohl? Hatte sie vielleicht schon einen Neuen gefunden? Leo wischte die düsteren Gedanken davon, die zum Glück immer seltener wurden, denn anfangs hatten ihn die Fragen fast verrückt gemacht. Viktoria war weg und er konnte nichts mehr daran ändern. Er sollte sich endlich an die Situation gewöhnen.

Der Hundeführer blieb plötzlich stehen, da auch sein Hund stehengeblieben war.

„Was ist los?“

„Der Hund hat etwas gefunden. Hier in diesem Fass muss Sprengstoff sein.“

Leo wollte widersprechen, denn er glaubte einfach nicht daran. Aber er sah das besorgte Gesicht des Hundeführers, das Bände sprach. Leo rief die Kollegen und dann ging alles ganz schnell. Während ein Sprengkommando eigens aus Landshut hinzugezogen wurde, sorgte die Polizei dafür, dass weiträumig abgesperrt und evakuiert wurde. Der Haberkasten stand mitten in einem dichtbesiedelten Wohngebiet, hier musste die Polizei reagieren. Noch war nicht klar, ob hier tatsächlich eine Bombe war. Und wenn ja: Wie hoch war deren Sprengkraft?

Die Polizisten waren alle bis aufs Äußerste angespannt, denn auch sie fürchteten um ihr Leben und schützten sich notdürftig mit einer schusssicheren Weste, einem Helm und einem Schild, hinter dem sie sich im Ernstfall verstecken konnten. Das Warten auf die Landshuter Kollegen schien schier unendlich zu sein. Endlich rückten die Spezialisten an und machten sich an die Arbeit. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam die Entwarnung.

„Das hübsche Ding hier lag in dem Fass, der Hund hat eine sehr gute Nase. Die Bombe könnte gefährlich sein, wenn sie einen Zünder hätte,“ sagte der Mann mit einem Lächeln und zeigte auf die Rohrbombe, die auf dem Boden lag. „Selbstgebastelt. Obwohl der Zünder fehlt, war kein Stümper am Werk. Der Bastler wusste, was er machte.“

„Sie meinen, er hat den Zünder mit Absicht nicht angebracht?“

„Das meine ich, ja. Hier wollte jemand allen einen gehörigen Schrecken einjagen, was ihm ja auch gelungen ist. Wir sind soweit fertig und räumen alles weg. Ich würde vorschlagen, dass der Hund nochmals eine Runde dreht. Nicht, dass hier noch eine Bombe versteckt ist und wir nochmal gerufen werden. Wo wir nun schon mal hier sind…“ Der Mann lachte laut, der hatte echt einen makabren Humor.

Der Sprengstoffspürhund drehte noch eine Runde und alle Beteiligten sahen ihm mit Argwohn und großem Abstand zu. Aber diesmal schlug der Hund nicht an. Der Hundeführer gab grünes Licht und nun konnten alle Betreiber mit einem flauen Gefühl im Magen in ihre Buden zurück. Die ganze Aktion hatte sehr viel Zeit gekostet. Nur noch eine halbe Stunde und der Weihnachtsmarkt wurde offiziell eröffnet. Sollten die Polizisten den Bürgermeister informieren? Leo rief Krohmer an.

„Da hat sich wohl einer einen dummen Scherz erlaubt,“ schrie Krohmer wütend und erleichtert zugleich.

„Sollen wir den Bürgermeister informieren?“

„Nein, das regt den nervösen Mann nur noch mehr auf und er redet vielleicht noch Unsinn in seiner Ansprache. Gleich danach werde ich ihn informieren, das reicht vollkommen.“

Die Ansprache des Bürgermeisters war blumig und gespickt mit guten Wünschen. Noch bevor Krohmer mit ihm sprechen konnte, erfuhr er von der vermeintlichen Bombe von einem Budenbetreiber, bei dem er seinen ersten Glühwein trank.

„Und das konnten Sie mir nicht früher berichten?“, schnauzte der Bürgermeister Krohmer an, nachdem der endlich in Ruhe mit ihm sprechen konnte.

„Diese Bombe hätte nie hochgehen können, sie hatte keinen Zünder,“ versuchte Krohmer zu erklären. „Ich habe Verstärkung angeordnet. Sie brauchen sich keine Sorgen machen, wir haben alles im Griff.“ Aber der Bürgermeister war nicht an der Erklärung interessiert. Er suchte seine Familienangehörigen und machte, dass er so schnell wie möglich von hier wegkam.

Eine Bombe auf seinem Weihnachtsmarkt! Diese Tatsache ließ den Bürgermeister während der restlichen Tage Dauer des Marktes nicht in Ruhe. Er konnte erst wieder durchatmen und ruhig schlafen, als der Weihnachtsmarkt offiziell beendet wurde und alle Budenbetreiber den Haberkasten verlassen hatten. Von da an war der Bürgermeister in ständiger Verbindung mit Krohmer. Natürlich wusste er, dass er nervte. Aber schließlich hatte ein Verrückter seinen Weihnachtsmarkt bedroht und dieser Typ musste unbedingt aus dem Verkehr gezogen werden. Auch Tage nach Ende des Weihnachtsmarktes kursierten über den vermeintlichen Bombenanschlag die wildesten Gerüchte. Nächstes Jahr waren Wahlen. Es würde für ihn sprechen, wenn er den Mühldorfern den Täter präsentieren könnte – und diese Chance wollte und musste er nutzen. Was interessierte es ihn dabei, ob er Krohmer auf die Nerven ging?

6.

Hans Hiebler war am Boden zerstört. Die Beerdigung seiner Rita, die nicht in Altötting, sondern in deren Heimatstadt Basel stattfand, war sehr ergreifend. Obwohl Hans nicht ein Familienmitglied, einen Freund, Bekannten oder Nachbarn kannte, hatte es sich herumgesprochen, dass er mit der Verstorbenen vor deren Tod zusammen war. Von allen Seiten wurde ihm kondoliert, wurde er umarmt oder man sprach mit ihm. Er schämte sich und fühlte sich fehl am Platz, denn eigentlich kannte er die Frau erst wenige Wochen und wusste nicht viel von ihr. Was war ihre Lieblingsfarbe? Hatte sie Geschwister? Wie wuchs sie auf? Alles Dinge, die man erst mit der Zeit vom anderen erfuhr. Zeit, die ihnen nicht gegeben war.

Rita war offensichtlich sehr beliebt gewesen, was Hans den Abschied noch schmerzlicher machte. Er musste weg hier, und zwar so schnell wie möglich. Seit seiner Ankunft gestern in Basel wurde er überall auf Rita und deren schrecklichen Tod angesprochen. Alle wussten, dass er bei der Kriminalpolizei war, Rita hatte es allen erzählt. Davon wusste er nichts. Sie war stolz auf ihren neuen Freund gewesen. Beinahe jeder erkundigte sich nach dem aktuellen Ermittlungsstand, vor allem Ritas Familie, die förmlich an seinen Lippen hing. Was sollte er sagen? Dass sie bis jetzt absolut nichts hatten? Dass eine Bombe ohne Zünder auf einem anderen Weihnachtsmarkt deponiert wurde? Stattdessen gab er Phrasen von sich, wofür er sich schämte. Noch am Abend der Beisetzung packte er seine Sachen und fuhr nach Hause. Aber was sollte er dort? Wieder allein in seiner Bude sitzen und Trübsal blasen? Aber wo sonst sollte er hin? Sein Weg führte ihn zu seinem Freund und Kollegen Leo, dem es auch nicht gut ging. Seine Lebensgefährtin Viktoria Untermaier hatte ihn vor wenigen Wochen wegen einem lukrativen, interessanten Job in Berlin verlassen. Seitdem war Leo nicht mehr derselbe. Er zog sich zurück und lachte kaum noch. Hans hatte lange versucht, ihm beizustehen und ihn zu trösten, aber Leo ließ es nicht zu. Jetzt waren sie beide in einer ähnlichen Situation.

Als Hans auf den Hof seiner Tante fuhr, auf dem Leo den obersten Stock gemietet hatte, war Tante Gerade mit dem Hofhund Felix gerade beim Holz holen. Nachdem er sie schweigend umarmt hatte, trug er den schweren Korb ins Haus. Die 74-jährige Tante Gerda war eine Seele von Mensch. Hans kannte niemanden, der sie nicht mochte. Sie wusste Bescheid.

„Wie geht es Dir? Wie war die Beisetzung?“

„Frag nicht. Ist Leo da?“

„Er sitzt in seiner Wohnung und leidet. Seit Viktoria weg ist, hat er sich in sein Schneckenhaus zurückgezogen.“

Tante Gerda sah ihrem Neffen hinterher. War es eine gute Idee, wenn zwei Trauerklöße beieinandersaßen? Sie wusste in solchen Dingen auch keinen Rat und hoffte darauf, dass bei beiden der Schmerz mit der Zeit leichter werden würde. Tante Gerda heizte den Kachelofen ein, denn sie hatte noch viel zu tun. Ihre Walkinggruppe hatte einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt auf Schloss Tüßling, an dem sie Schmalzgebäck und Glühwein verkauften, dessen Erlös Flüchtlingsfamilien zugutekommen soll. Wie die Tage zuvor auch gab sie in der Küche ihr Bestes.

Nach kurzem Anklopfen ging Hans einfach in Leos Wohnung, die nur selten abgeschlossen war. Leo stand wortlos auf, holte ein Glas und schenkte Rotwein ein.

„Die wievielte Flasche ist das?“

„Warum interessiert dich das? Bist du meine Mutter? Wenn ich genug intus habe, kann ich wenigstens schlafen. Wie war die Beerdigung?“

„Wie soll sie schon gewesen sein? Rita hatte eine riesige Familie und einen noch größeren Freundeskreis. Was denkst du denn, wie man sich fühlt, wenn von allen Seiten kondoliert wird und man sich nach dem Ermittlungsstand erkundigt.“

„Sie wussten, dass du bei der Kripo bist?“

„Rita hatte es allen erzählt. Jeder wusste von mir und es war schrecklich, dass ich zusammen mit der Familie im Mittelpunkt stand. Man hatte sogar einen Platz in der ersten Reihe für mich reserviert. Kannst du dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe? Ich kannte Rita kaum! Wir waren erst kurze Zeit zusammen und ich muss ehrlich sein: Sie war nicht meine große Liebe und ich denke nicht, dass wir eine gemeinsame Zukunft gehabt hätten. Schon der große Altersunterschied wäre irgendwann zum Problem geworden, das sehe ich realistisch. Ich habe die Zeit mit ihr genossen, wohlwissend, dass wir keine Zukunft haben würden. Hätte ich das alles den Trauergästen sagen sollen? Ich komme mir so schäbig vor!“

„Kann ich mir vorstellen. Mach dir keine Vorwürfe. Jede Geschichte fängt irgendwann an. Gut, du kanntest sie kaum. Aber du warst dabei, als sie getötet wurde. Das wird dich auf ewig mit ihr verbinden. Glaub mir, du wirst sie niemals vergessen können.“

„Ich bin schuld an dem, was passiert ist. Ich wollte auf den Christkindlmarkt.“

„Hör auf damit! Tu dir das nicht an! Für das, was passiert ist, kannst du nichts – und damit Basta!“

„Gut. Aber nur, wenn du ebenfalls aus deiner Trauer um Viktoria endlich rauskommst und wieder anfängst, das Leben zu genießen. Die Frau ist weg, sie hat sich für die Karriere und gegen dich entschieden. Kapier das endlich! Und hör endlich auf, diesen billigen Fusel in dich reinzuschütten,“ sagte Hans angewidert, als er am Rotwein genippt hatte. „Hast du nichts Gutes im Haus?“

Jetzt musste Leo lachen. Auch ihm schmeckte der Rotwein nicht und er schüttete die Reste regelmäßig in den Ausguss. Er kaufte den Wein an der Tankstelle in Altötting. Dort war der Einkauf für ihn einfacher und angenehmer: Keine Menschenmassen und keine lange Wartezeit. Hans war ein Genussmensch, was sich nicht nur auf Frauen bezog. Er aß gerne gut und trank auch gerne etwas Gutes. Leo stand auf und holte die Champagnerflasche aus dem Kühlschrank, die er zu seinem 50. Geburtstag geschenkt bekommen hatte.

„Champagner?“

„Den habe ich für einen ganz besonderen Anlass aufgehoben. Ich finde, das ist jetzt ein besonderer Anlass.“

Weit nach Mitternacht war die Flasche leer. Sie sprachen lange und das gegenseitige Verständnis und das offene Ohr taten beiden gut. Hans machte es sich auf der Couch bequem und Leo konnte nach vielen Wochen endlich wieder gut schlafen.

7.

Hans und Leo fuhren nacheinander auf den Parkplatz der Polizeiinspektion Mühldorf. Direkt vor dem Eingang parkte eine rote, ziemlich ramponierte Ente, die über und über mit Aufklebern versehen war.

„Welcher Idiot parkt denn so bescheuert? Frankfurter Kennzeichen!“

„Ich glaube kaum, dass es dieses Fahrzeug von Frankfurt bis hierher geschafft hat. Sieh dir die Aufkleber an, die halten diese Klapperkiste nur noch notdürftig zusammen.“ Leo warf durch die völlig verschmierten Scheiben einen Blick ins Innere. „Auf der Rückbank sitzt ein alter Teddybär, daneben liegt eine Reisetasche.“

„Sieh mal auf den Beifahrersitz! Der ist total zugemüllt!“, rief Hans.

„Der Besitzer ist bestimmt irgendein Ökofuzzi, der mit dieser Parkweise nur provozieren möchte. Ich informiere die Kollegen. Wenn das Fahrzeug in den nächsten zehn Minuten nicht weg ist, sollen sie die Karre abschleppen lassen.“ Leo war wütend. Auch wenn man die Polizei nicht mochte, konnte man sich trotzdem gesittet benehmen und anständig parken, zumal jede Menge Parkplätze frei waren.

Krohmer wartete zusammen mit Werner Grössert und einer Unbekannten im Besprechungszimmer. Er sah fortwährend auf die Uhr. Wo bleiben Schwartz und Hiebler? Es war schon sechs Minuten nach 8, er hasste Unpünktlichkeit!

„Endlich!“, rief Krohmer erleichtert, als die beiden durch die Tür traten. Er hatte noch einen wichtigen Termin und musste diese Besprechung so schnell wie möglich hinter sich bringen. Der Mühldorfer Bürgermeister hatte um ein Gespräch gebeten. Was wollte der Mann nun jetzt schon wieder von ihm? Reichte es nicht, dass er ihn mit seinen dauernden Anrufen und Fragen zur Weißglut brachte?

„Guten Morgen Chef, wir wurden aufgehalten,“ murmelte Leo nur.

„Ich darf vorstellen: Tatjana Struck. Sie ist nicht nur ab sofort Teil des Teams, sondern gleichzeitig die neue Leiterin der Mordkommission.“

Die 36-jährige Tatjana Struck lümmelte in Jeans und dickem Pullover in ihrem Stuhl und hob nur kurz die Hand zu einem Gruß. Sie verzog keine Miene und machte keine Anstalten, etwas zu sagen. Sie nahm ihren Kaffeebecher und nippte an dem heißen Getränk. Leo musterte die Frau. War sie nicht viel zu jung für diesen Job? Und wie sah sie überhaupt aus? Die Haare viel zu kurz, außerdem hatten sie schon lange keinen Kamm mehr gesehen. Die pummelige Figur störte ihn nicht. Er mochte Frauen, an denen etwas dran war. Was er aber überhaupt nicht mochte, war diese lässige Art und diese fürchterlichen Klamotten. War der Pullover selbstgestrickt? Ganz bestimmt! Die neue Chefin, die so ganz anders war als seine Viktoria, war eine Öko-Tussi! Er entschied, dass sie nicht hierher passte. Hans und Werner waren die Äußerlichkeiten und das Alter der Frau egal. Hauptsache, sie hatte etwas auf dem Kasten und war teamfähig. Hans hatte ganz andere Probleme: War er jetzt, da Verstärkung da war, raus aus dem Fall? Werner wartete still, während Leo die Neue unablässig musterte.

„Was glotzen Sie mich so an? Passt Ihnen etwas nicht?“, sagte Tatjana Struck, der Leos Musterungen viel zu weit gingen. „Es ist meine Sache, wie ich mich kleide. Ich nörgele auch nicht an Ihnen herum, obwohl dafür reichlich Anlass bestünde.“

Was fiel dieser frechen Frau eigentlich ein? Gut, er hatte sie vielleicht zu lange angestarrt. Aber was gab es an seiner Kleidung auszusetzen? Jeans trug inzwischen fast jeder, sogar der Chef hatte sie die meiste Zeit an. Seine Cowboystiefel hatten sehr viel Geld gekostet und die T-Shirts waren sehr selten. Leo entschied, dass er die Frau nicht mochte, und ging auf ihre Fragen nicht ein.

Hans und Werner konnten sich ein Lächeln nicht verkneifen. Gerade Leo, der kleidungstechnisch in den 80er-Jahren hängengeblieben war und mit seinen fürchterlichen T-Shirts immer und überall auffiel, störte sich offensichtlich an der Kleidung der Neuen. Gut, sie war vielleicht etwas alternativ angehaucht, aber das war ihre Sache.

„Ich habe Frau Struck über den neuen Fall informiert. Gibt es inzwischen irgendjemanden, der sich zu dem Bombenanschlag in Altötting bekannt hat?“

„Nein. Wir haben uns umgehört. Niemand weiß etwas oder kann uns auch nur ansatzweise einen Hinweis geben.“ Werner hatte sich alle Mühe gegeben und seine Kontakte spielen lassen. Alle zeigten sich bestürzt über die Brutalität und distanzierten sich von solchen Aktionen.

„Das Umfeld der Toten?“

„Haben wir mehrfach durchkämmt. Die Spuren führen ins Leere.“

„Der Bericht der Spurensicherung bezüglich der Bombenattrappe auf dem Mühldorfer Weihnachtsmarkt ist recht dürftig. Es wurden Fingerabdrücke sichergestellt, die aber nicht registriert sind.“ Krohmer war enttäuscht.

„Sie haben aber nicht wirklich damit gerechnet, dass die Fingerspuren auf den Täter führen werden?“, fragte Tatjana Struck vorwurfsvoll. „So wie ich das sehe, wurde der Zünder absichtlich nicht angebracht. Kein Bombenleger ist so dumm und vergisst den Zünder! Ich bin mir sicher, dass wir es in Altötting und Mühldorf mit demselben Täter zu tun haben, der irgendetwas plant. Was hat er vor?“

„Nun bleiben wir mal auf dem Teppich Frau Kollegin,“ warf Hans ein. „Ich bin mir sicher, dass der Täter so dumm war und den Zünder schlichtweg vergessen hat. Es gibt nichts, was dagegenspricht.“

„Lesen Sie doch einfach die Unterlagen der Spurensicherung etwas genauer. Soweit ich das sehe, ist man dort auch meiner Meinung. Der Zünder wurde absichtlich nicht angebracht. Vielleicht will uns der Täter glauben lassen, dass er dumm und schusselig ist. Ich bleibe dabei: Hinter diesen Anschlägen steckt ein bestimmter Plan, den wir so schnell wie möglich herausfinden und vereiteln sollen.“

Krohmer war die Diskussionsbereitschaft dieser vorlauten Frau zuwider. Was erlaubte sie sich eigentlich? Vor einer Stunde stand sie plötzlich in seinem Vorzimmer und drückte ihm ihre Personalunterlagen in die Hand. Hätte man ihn nicht wenigstens vorher informieren können? Er hatte noch keine Zeit gehabt, sich über sie zu erkundigen, was er nun schleunigst nachholen wollte. Er spürte, dass die Frau eine Querulantin war, die sich nicht davor scheute, sich unbeliebt zu machen. Bereits nach wenigen Minuten hatte sie zwei ihrer neuen Mitarbeiter gegen sich aufgebracht. Und nun auch ihn.

„Verstärken Sie die Polizeipräsenz auf den noch laufenden Weihnachtsmärkten. Ich habe bereits mehrere Sprengstoffspürhunde angefordert, die im Laufe des Tages zur Verfügung stehen. Herr Grössert, bitte übernehmen Sie die Koordination.“

Krohmer zog sich in sein Büro zurück und griff sofort zum Telefon. Nach einer halben Stunde hatte er einige Informationen über die neue Kollegin, die nicht in ihrer Personalakte standen. Tatjana Struck hatte einen überdurchschnittlich hohen Intelligenzquotienten und schloss ihre Ausbildung mit Auszeichnung ab. Alles Dinge, die noch nichts über die Frau aussagten. Sein Kontakt bei der Kripo Frankfurt lieferte noch ein paar Details über Frau Struck, die ihn interessierten.

„Ich bin froh, dass diese schwierige Frau endlich weg ist. Mit ihr hatte ich nur Ärger. Sie hat sich nichts sagen lassen und hielt sich immer genau ans Gesetz. So eine Art Jeanne D’Arc für Arme. Die Frau ist absolut stur, mit der kann man kaum reden. Mit ihrem Dickschädel ging sie immer ihre eigenen Wege, Teamarbeit ist für sie ein Fremdwort. Hier fand sich niemand, der mit ihr zusammenarbeiten wollte. Auf privater Ebene war mit ihr nichts zu machen, das hat sie abgeblockt. Über ihr privates Umfeld gibt es nur Spekulationen und Gerüchte. Ich habe Frau Struck nahegelegt, zu gehen, und zwar weit weg. Ich gratuliere Ihnen nicht zu dieser Frau. Die wird Ihnen noch Probleme bereiten.“ Nach einem Lachanfall folgten dümmliche Witze und Sprüche, die für Krohmer nur schwer zu ertragen waren. Der Frankfurter Kollege Schneider war ein unangenehmer Typ, den Krohmer nur sehr ungern kontaktiert hatte. Bereits zwei Mal hatte er mit ihm bei einer Fortbildung das Vergnügen gehabt. Schneider war laut, hatte immer dümmliche Sprüche auf Lager und war gerne Mittelpunkt jeder Unterhaltung. Krohmer hielt ihn allgemein nicht für das hellste Licht auf der Torte, trotzdem musste er etwas können, sonst hätte er es nicht so weit gebracht. Krohmer bedankte sich überschwänglich. Sollte er Schneider Glauben schenken? Er beschloss, Tatjana Struck eine faire Chance zu geben und sich sein eigenes Urteil über sie zu bilden. Er packte seine Unterlagen und fuhr ins Mühldorfer Rathaus, wo er bereits erwartet wurde.

„Sie wollen was? Sind Sie verrückt geworden?“, rief Krohmer, als er den Grund des Zusammentreffens erfuhr.

„Was spricht dagegen, mich an die Öffentlichkeit zu wenden? Das dürfte doch auch in Ihrem Sinne sein. Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, über die Bombe während des Weihnachtsmarktes informiert zu werden, auch wenn das schon ein paar Tage her ist. Die Gerüchteküche brodelt doch bereits und ist am Überkochen. Ich plädiere für Offenheit und Transparenz,“ sagte der Bürgermeister trotzig und seine Stadträte stimmten ihm zu. „Der Zeitungsartikel erscheint morgen überregional. Außerdem kommt heute Nachmittag ein Fernsehteam, das über die Vorkommnisse berichten wird.“

„Wissen Sie eigentlich, was Sie damit anrichten? Sie schüren Angst und Panik; beides können wir nicht brauchen.“

„Ich dachte mir schon, dass Ihnen unser Vorhaben nicht schmeckt, aber darauf können wir keine Rücksicht nehmen. Wir haben entschieden. Ich stelle Ihnen frei, bei dem Termin heute Nachmittag teilzunehmen, das Fernsehteam ist um 15.00 Uhr hier.“

Krohmer verzichtete gerne darauf und ging wütend davon. Natürlich verstand er, dass er als Bürgermeister die Bevölkerung aufklären wollte. Aber hätte er das nicht vorher mit ihm absprechen sollen?

Die Mühldorfer Kripobeamten gingen schweigend in ihr Büro. Werner Grössert wies Tatjana Struck den verwaisten Schreibtisch von Viktoria zu, an dem es sich die Neue sofort bequem machte. Eisiges Schweigen griff um sich.

„Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht: Ich gehöre ab sofort zum Team und wir müssen uns irgendwie zusammenraufen.“ Tatjanas Ansprache wurde jäh unterbrochen, denn Leo und Hans standen am Fenster und sahen amüsiert zu, wie die Ente auf einen Abschleppwagen gehievt wurde. Sie stand auf und wollte sehen, was die neuen Kollegen so amüsierte.

„Hoffentlich überlebt die alte Kiste den Abtransport,“ sagte Hans und lachte.

„Man hätte vielleicht noch mehr Aufkleber anbringen sollen. Das hätte die Stabilität deutlich erhöht.“

Tatjana wurde schlecht, sie fand das überhaupt nicht lustig.

„Wer hat das angeordnet? Sie etwa?“

Leo und Hans nickten.

„Sicher. Der Wagen parkte den ganzen Eingangsbereich zu. Sollen wir da untätig zusehen? Außerdem hatte der Fahrer genug Zeit, seine Schrottlaube wegzufahren.“

Tatjana rannte so schnell sie konnte los.

„Was ist denn mit der los?“

Auch Werner hatte sich zu den Kollegen gesellt und nun sahen sie zu dritt, wie die alte Ente auf dem Abschleppwagen verzurrt wurde. Dann wurde es laut. Tatjana Struck schrie auf den Mann ein, der eben den letzten Haltegurt anlegen wollte. Erst jetzt verstanden die anderen: Das war ihr Wagen!

„Ach du Scheiße! Das haben wir ordentlich verbockt! Das verzeiht sie uns nie!“, sagte Hans. Sie sahen zu, wie der betröppelte Mann den Wagen wieder ablud und schließlich davonfuhr. Tatjana Struck setzte sich in die Ente und parkte den Wagen ordentlich auf einen eingezeichneten Parkplatz. Sie blieb im Wagen sitzen und rauchte eine Zigarette, wobei sie sich langsam beruhigte.

„Sie kommt zurück!“ Schnell setzten sich die drei auf ihre Plätze und warteten auf das Donnerwetter, das gleich über sie hereinbrechen würde. Aber die neue Kollegin holte einen Kaffee und setzte sich, ohne ein Wort zu sagen. Über eine halbe Stunde war es totenstill, dann wurde es Leo zu dumm.

„Ich möchte mich für die Aktion entschuldigen,“ sagte er und reichte ihr die Hand. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass das Ihr Wagen ist.“

Tatjana Struck reagierte nicht darauf, sondern vertiefte sich in die Arbeit. Warum sollte sie diese dumme Aktion auch noch kommentieren? Klar war sie stinksauer gewesen, aber sie hatte sich wegen ihrem Wagen längst wieder beruhigt. Es war nur ein Wagen, mehr nicht. Nach einer schier endlos langen Fahrt war sie endlich angekommen und musste dringend auf die Toilette. Also parkte sie direkt vor der Tür. Warum auch nicht? Hier auf dem Land war doch sowieso nichts los. Wen also störte der Wagen? Die beiden arroganten Kollegen natürlich! Sie hatte sofort gemerkt, dass sie etwas gegen sie persönlich hatten und eine normale Diskussion mit ihnen nicht möglich war. Die waren beide auch sofort eingeschnappt! Gab es denn nirgends Männer, mit denen man sich so richtig fetzen konnte? Immer musste man überall vorsichtig sein und sich die Worte genau überlegen. Warum? Sie war immer der Meinung, dass man frei von der Seele reden sollte. Leo Schwartz setzte sich wieder. Das war also der Mann, der vorher in Ulm Leiter der Mordkommission war und hierher versetzt wurde, weil eine Falle misslungen war. Das allein hätte sie sympathisch gefunden. Aber dieser abschätzende Blick und diese ablehnende Haltung konnte sie nicht gutheißen. Hans Hiebler war von anderem Holz geschnitzt. Für sein Alter ein sehr gutaussehender Mann, der dazu auch noch fantastisch roch. Aber er hatte keinen Ehrgeiz, sonst würde er die Leitung der Mordkommission schon längst innehaben. Schade, denn Ehrgeiz und Biss gehörten bei ihr dazu. Aus diesem Werner Grössert wurde sie nicht schlau. Als sie sich über ihn informiert hatte und herausfand, dass der verheiratete 40-Jährige aus einer angesehenen Anwaltsfamilie stammte, hatte sie Vorbehalte ihm gegenüber. Allerdings verhielt er sich als Einziger offen und fair. Dazu war er bei den Kollegen beliebt, was sie seinem diplomatischen Geschick zuschrieb. Es wäre ihr am liebsten, wenn sie mit ihm ein Team bildete, dann gab es wenigstens keinen Ärger. Sie war müde und gereizt, was auch daran lag, dass man hier im gesamten Gebäude nicht rauchen durfte. Das war das Erste, was Krohmer ihr sagte, als sie sich vorstellte und dann ihre Zigarettenschachtel hervorholte. Bis jetzt fand sie den neuen Job ätzend.

Sie konzentrierte sich wieder auf den Fall. Je länger sie die Faktenlage vor sich sah, desto mehr war sie davon überzeugt, dass mit diesen Bomben etwas bezweckt werden soll. Aber was? Eine plumpe Geldforderung? Eine Erpressung, die noch nicht vorlag? Oder etwa etwas ganz anderes?

„Wir sollten uns nochmals alle Beteiligten vornehmen,“ sagte sie laut.

„Ich weiß zwar nicht, was das bringen soll; aber bitte, wie Sie wollen,“ sagte Hans und stöhnte laut auf. „Dann mache ich mich mit Leo auf den Weg. Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben.“

Tatjana fühlte sich angegriffen und überrumpelt. Sie sollte von Anfang an festlegen, wer hier das Sagen hatte, bevor ihr die drei, vor allem Schwartz und Hiebler, auf der Nase herumtanzen. Sie hatte es nicht nur als Neue, sondern vor allem als Jüngste und dazu auch noch als Frau schwer genug. Sie musste hart bleiben und gleich klare Anweisungen geben.

„Fahren Sie mit Herrn Grössert,“ hörte sie sich sagen und bereute sofort ihre Worte. Das bedeutete, dass sie mit diesem Schwartz zusammenarbeiten musste. Sollte sie zurückrudern? Nein! Sie musste hart bleiben und nahm ihre Jacke. „Können wir?“

Leo war sauer, mit der Entscheidung hatte er nicht gerechnet. Dieser Tag konnte ja nur beschissen werden!

Die Befragungen liefen wie erwartet ab. Es gab keine einzige neue Information, die sie irgendwie weitergebracht hätte. Alle waren enttäuscht, denn das hatte alles nur unnötig viel Zeit gekostet. Vor allem Leo war über die fast unverschämte Art von Tatjana Struck erschrocken und er schämte sich sogar für sie. Die plumpe Art der Befragung und die teilweise sehr indiskreten Fragen kamen ihr leicht über die Lippen. Leo spürte, dass ihre Art hier in der Gegend nicht gut ankam, und hätte eigentlich einschreiten müssen, tat es aber nicht. Soll sie doch zusehen, wie sie allein zurechtkam. Darüber hinaus nervte ihn, dass sie fortwährend rauchte. Immer und überall zündete sie sich eine Zigarette an, sogar im Auto. Sie nahm wenigstens so weit Rücksicht, dass sie das Fenster zur Hälfte öffnete, wodurch es unerträglich kalt war und er bis auf die Knochen durchgefroren war. Die Chemie zwischen ihnen stimmte nicht.

Der Tag verlief sehr langsam und schleppend. Endlich war Feierabend. Wie selbstverständlich ließ Hans seinen Wagen stehen und fuhr mit Leo zu Tante Gerda, die für alle gekocht hatte. Ausführlich berichteten sie bei Gulasch und Spätzle von der neuen Vorgesetzten.

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