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Ronald Coase’ Transaktionskosten-Ansatz

Im Jahr 1991 wurde Ronald Coase der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften verliehen. Zur Begründung gibt die Schwedische Akademie der Wissenschaften an, Coase habe den Preis verdient „for his discovery and clarification of the significance of transaction costs and property rights for the institutional structure and functioning of the economy“[211]. Coase wird gewürdigt als Pionier der Neuen Institutionenökonomik und insbesondere als Pionier der ökonomischen Analyse des Rechts, die er als Ökonomik-Professor an der Law School der University of Chicago und als langjähriger Herausgeber des ebendort redigierten „Journal of Law and Economics“ mit aus der Taufe gehoben hat.

Diese Würdigung stützt sich auf zwei Aufsätze, die mit einem zeitlichen Abstand von beinahe einem Vierteljahrhundert veröffentlicht worden sind. Es handelt sich zum einen um den Aufsatz „The Nature of the Firm“ aus dem Jahre 1937 und zum anderen um den Aufsatz „The Problem of Social Cost“ aus dem Jahre 1960.[212] Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass die Kategorie der Transaktionskosten in beiden Aufsätzen eine zentrale Rolle spielt, und es wird nicht verschwiegen, dass zumindest der zweite Aufsatz eine kuriose Rezeptionsgeschichte |139|aufweist: „Somewhat paradoxically, circumstances have ordained that it is the … conclusion about the consequences of overlooking transaction costs which has come to be called the ‚Coase theorem‘.“[213] Das berühmte Coase-Theorem, das nicht nur in die Forschungsliteratur, sondern auch in die Lehrbuchliteratur auf breiter Front Eingang gefunden hat, gibt also nicht eine Auffassung wieder, die Coase selbst vertreten hat, sondern vielmehr eine Auffassung, die er formuliert – um sie zu kritisieren! Insofern ist das sog. Coase-Theorem und die mittlerweile bibliothekenfüllende Literatur zur Diskussion um das Coase-Theorem Ausdruck der Schwierigkeit, die eigentliche Botschaft des Autors zu verstehen. Es handelt sich um eine Botschaft mit weitreichenden organisationstheoretischen, markttheoretischen und rechtstheoretischen Implikationen. Sie lautet in einem ersten Zugriff und in einer formelhaften, d.h. interpretationsbedürftigen, Zuspitzung: Transaktionskosten sind wichtig!

Da das sog. Coase-Theorem die Abwesenheit von Transaktionskosten postuliert, verwundert es nicht, dass sich Coase mit der lange Zeit gängigen Coase-Rezeption eher unzufrieden zeigt: Der 1937er Aufsatz über die Theorie der Firma ist bis in die 1970er Jahre praktisch folgenlos geblieben. Coase selbst kennzeichnet ihn als „much cited and little used“[214]. Und der 1960er Aufsatz wird – bis heute – vor allem als Beleg-Referenz für das Coase-Theorem benutzt. Diese offenkundigen Rezeptionsprobleme: die Schwierigkeiten, der Botschaft des Autors habhaft zu werden, sind an sich nicht minder interessant als die Botschaft selbst. Vor diesem Hintergrund soll im folgenden zwei Fragen nachgegangen werden, die nicht unabhängig voneinander sind: Was kann man noch heute von Coase lernen, und warum ist es lange Zeit so schwer gefallen, ihn richtig zu rezipieren? Beide Fragen hängen deshalb zusammen, weil man auch von den Rezeptionsschwierigkeiten lernen kann und weil diese Schwierigkeiten darauf zurückzuführen sind, dass es offensichtlich nicht ganz einfach ist, Einigkeit darüber herzustellen, was genau von Coase eigentlich zu lernen ist.

Zur Beantwortung dieser Fragen wird versucht, eine Lesart für das Gesamtwerk zu entwickeln. Beabsichtigt ist eine Interpretation der Coaseschen Theorieleistung und ihrer noch heute zukunftsweisenden Errungenschaften. Diese Interpretation bezieht sich nicht allein auf die beiden vom Nobelpreiskomitee eigens hervorgehobenen Aufsätze, die vor nunmehr 40 bzw. über 60 Jahren geschrieben worden sind. Sie bezieht sich vielmehr auf den Denkansatz, der hinter den beiden Aufsätzen steckt. Es geht also nicht – jedenfalls nicht primär – darum, den in der Literatur bereits vorfindlichen Interpretationen der beiden als preiswürdig ausgezeichneten Aufsätze eine weitere Interpretation an die Seite zu stellen, sondern statt dessen darum, nach dem Ansatz: nach dem approach, der Methode, der Theorie-Perspektive zu fragen, die diesen – und anderen! – Coase-Aufsätzen zugrunde liegt.

Ein wichtiger Anhaltspunkt für die hier gewählte Vorgehensweise liegt darin, dass Coase, Jahrgang 1910, im Jahr 1988 ein Buch veröffentlicht hat, in dem er – auf sein Gesamtwerk zurückblickend – darauf verweist, dass er selbst nicht zwei, sondern drei seiner Aufsätze für zentral hält. Neben dem 1937er und dem |140|1960er Aufsatz hebt Coase seinen 1946 erschienenen Aufsatz mit dem Titel „The Marginal Cost Controversy“ hervor. Dass er in der Tat nicht nur zwei, sondern drei seiner Aufsätze für grundlegend hält, geht implizit – aber besonders nachdrücklich – auch daraus hervor, dass die, abgesehen von der Einleitung, insgesamt sechs Aufsätze seines Buches folgende Zuordnung nahelegen (Abb. 1).

Abbildung 1:

Ein schematischer Überblick über die Aufsätze des Buches „The Firm, the Market, and the Law“ von 1988

Dieser Zuordnung zufolge ist jedem der von Coase selbst als grundlegend empfundenen Aufsätze eine Ergänzungsstudie an die Seite gestellt, in der dann einzelne Aspekte weiter ausgearbeitet werden. Insofern liegt es nahe, die Beantwortung der ausgewiesenen Fragen mit einer Untersuchung dieser drei Coase-Aufsätze zu beginnen.[215]

|141|1. Der Aufsatz „The Nature of the Firm“ (1937)

Die Argumentation dieses unbestritten grundlegenden Aufsatzes lässt sich in drei Schritten rekonstruieren. Im ersten Schritt skizziert Coase einen Problemaufriss, im zweiten Schritt stellt er den Transaktionskostenansatz als eine neue Perspektive vor, und im dritten Schritt erläutert er die Implikationen dieses Ansatzes anhand einer Auseinandersetzung mit (Fehlern) der einschlägigen Literatur.

(1) Als Problemaufriss wählt Coase die zeitgenössische Sozialismusdebatte, die Auseinandersetzung um zentrale versus dezentrale Planung. In dieser Debatte standen sich zwei Auffassungen konträr gegenüber, eine anti-marktwirtschaftliche und eine pro-marktwirtschaftliche. Der anti-marktwirtschaftlichen Auffassung zufolge ist alles Wirtschaften einer zentralen Direktive zu unterwerfen. Alles Handeln soll einem einzigen Plan folgen. Die pro-marktwirtschaftliche Gegenposition hierzu besteht nun allerdings nicht einfach darin, eine völlige Abwesenheit von Planung zu postulieren. Vielmehr wird eine dezentrale Planung befürwortet. Dieser Auffassung zufolge soll das Zusammenspiel der einzelnen Wirtschaftseinheiten primär über Marktpreise koordiniert werden.

Vor dem Hintergrund dieser vornehmlich normativ geführten Debatte trifft Coase nun die Feststellung, dass es offenbar nicht nur eine einzige Form der Koordination wirtschaftlichen Handelns gibt, sondern (mindestens) zwei, eine firmen-interne und eine firmen-externe: die hierarchische Anweisung durch einen Unternehmer auf der einen Seite und die marktliche Preiskoordination auf der anderen Seite. Hieraus folgt für ihn ein bislang unbewältigtes Problem positiver ökonomischer Theorie. Coase geht es darum, die empirische Ausprägung der beiden Koordinationsformen auf real existierenden Märkten als Ergebnis ihrer wechselseitigen Substituierbarkeit erklären zu können. Diese Problemstellung wird in aller Klarheit offen ausgewiesen:

„The purpose of this paper is to bridge what appears to be a gap in economic theory between the assumptions (made for some purposes) that resources are allocated by means of the price mechanism and the assumption (made for other purposes) that this allocation is dependent on the entrepreneur-co-ordinator. We have to explain the basis on which, in practice, this choice between alternatives is effected.“[216]

(2) Aufbauend auf diesem Problemaufriss, führt Coase seinen Transaktionskostenansatz als ein positives Analyseinstrument ein. Er beleuchtet die Koexistenz von Markt und Hierarchie – genauer: die Koexistenz von preislicher Koordination und hierarchischer Koordination, und er beleuchtet diese Koexistenz |142|von beiden Seiten aus. Coase nimmt eine Untersuchungsperspektive ein, die sich in zwei originellen Fragestellungen niederschlägt. Die erste Frage lautet: Gegeben einen Preismechanismus, warum existieren überhaupt Organisationen?[217] Die zweite Frage ist genau spiegelbildlich angesetzt. Sie lautet: Gegeben Organisationen, warum (ko-)existiert ein Preismechanismus? Warum gibt es überhaupt einen Markt, und warum werden nicht statt dessen einfach alle Transaktionen innerhalb einer riesigen Firma abgewickelt?[218] Insofern ist die Frage nach einer Erklärung für die Existenz preislicher Koordination zugleich eine Frage nach der in der Realität beobachtbaren Firmengröße – genauer: eine Frage nicht nur nach den Bestimmungsgründen, die ein unendliches Anwachsen der Firmengröße verhindern; sondern eine Frage auch nach den Bestimmungsgründen, die zu einer gleichgewichtigen Firmengröße führen.[219]

Zur Beantwortung der ersten Frage verweist Coase auf die Kosten preislicher Koordination. Hierzu zählt er zum einen die mit der Sammlung von Preisinformationen verbundenen Informationskosten und zum anderen die Vertragskosten, die bei der Abwicklung marktlicher Tauschakte anfallen.[220] In der Einsparung solcher Kosten preislicher Koordination sieht Coase die Erklärung für die Existenz von Organisationen. Diese Perspektive findet ihren unmittelbaren Niederschlag in der Definition, die Coase für den Begriff der Firma vorschlägt: „A firm … consists of the system of relationships which comes into existence when the direction of resources is dependent on an entrepreneur.“[221]

Zur Beantwortung der zweiten Frage verweist Coase auf die Kosten hierarchischer Koordination. Er argumentiert mit sinkenden Grenzerträgen des Managements: Zum einen werde es mit wachsender Firmengröße immer teurer, zusätzliche Produktionsfaktoren zu attrahieren; und zum anderen falle es dem Unternehmer immer schwerer, die Qualität seiner Dispositionsentscheidungen bei wachsender Firmengröße aufrechtzuerhalten. Bei der Erörterung dieser Aspekte ist Coase sorgsam darauf bedacht, die relevanten Alternativen im Auge zu behalten. Er macht darauf aufmerksam, dass es zum Wachstum einer Firma, d.h. zur hierarchischen Abwicklung von immer mehr Transaktionen durch einen Unternehmer, zwei Alternativen gibt: eine preislich koordinierte Transaktionsabwicklung über den Markt und eine hierarchische Transaktionsabwicklung innerhalb einer anderen Firma. Ferner legt Coase großen Wert darauf, dass |143|empirisch vorfindliche Firmengrößen als gleichgewichtiges Ergebnis marginaler Substitutionsprozesse zwischen den relevanten Alternativen erklärt werden können. Beide Aspekte werden zu folgender Aussage gebündelt: „[A] Firm will tend to expand until the costs of organizing an extra transaction within the firm become equal to the costs of carrying out the same transaction by means of an exchange on the open market or the costs of organizing in another firm.“[222]

Dieser Auffassung zufolge sind es die Transaktionskosten preislicher und hierarchischer Koordination, die in der Realität gegeneinander abgewogen werden und deren marginale Substitution zu Gleichgewichten führt, mit denen sich nicht nur die Größe einer einzelnen Firma, sondern sogar die (Firmen-)Struktur einer gesamten Industriebranche beschreiben lässt. Vor diesem Hintergrund sieht Coase den Vorzug seines Transaktionskostenansatzes darin, dass dieser der ökonomischen Analyse ein wichtiges Thema methodisch erschließt: „The whole of the ‚structure of competitive industry‘ becomes tractable by the ordinary technique of economic analysis.“[223]

(3) Coase profiliert seinen Transaktionskostenansatz, indem er zu drei Positionen, die in der einschlägigen Literatur vertreten werden, differenzierend Stellung bezieht.

Die erste Position führt die Existenz der Firma auf die mit zunehmender Arbeitsteilung zunehmende Komplexität und auf die damit einher gehende Notwendigkeit zur Komplexitätsreduktion zurück: Die Firma diene per Integration der Ordnung einer ansonsten ins Chaos abdriftenden Wirtschaft. – Coase kritisiert diese Auffassung nun nicht etwa deshalb, weil sie auf einem funktionalistischen Fehlschluss beruht, sondern vielmehr deshalb, weil sie die relevanten Alternativen außer acht lässt und so, perspektivisch bedingt, die dem Problem angemessene Fragestellung verfehlt. Coase weist die Auffassung mit folgendem Argument zurück: „The ‚integrating force in a differentiated economy‘ already exists in the form of a price mechanism. … What has to be explained is why one integrating force (the entrepreneur) should be substituted for another integrating force (the price mechanism).“[224]

Die zweite Position führt die Existenz der Firma auf die Fähigkeit der Unternehmer zurück, Unsicherheit absorbieren zu können. Coase stimmt dieser vor allem von Frank Knight vorgetragenen Auffassung insofern zu, als auch er die Einschätzung teilt, dass Managementfähigkeiten, insbesondere Wissen und Urteilskraft angesichts einer ungewissen Zukunft, einen wichtigen Input für den Produktionsprozess darstellen – die deutschsprachige Betriebswirtschaftslehre würde hier in Anlehnung an Erich Gutenberg von einem dispositiven (Produktions-)Faktor sprechen. Allerdings widerspricht Coase der Auffassung von Knight insofern, als er auf ein Non-Sequitur hinweist: Aus der Bedeutung dieses Produktionsfaktors folge nicht die Organisationsform des Produktionsprozesses. Ob der Unternehmer eine eigene Firma gründe oder statt dessen seine Fähigkeit, mit Unsicherheiten umzugehen, einer bestehenden Firma als Manager per Arbeitsvertrag (gegen einen Marktpreis) zur Verfügung stelle, sei vielmehr eine Frage |144|der Transaktionskosten. Insofern liege auch bei dieser zweiten Position eine Ausblendung der relevanten Alternativen und darauf aufbauend ein Fehlschluss vor: „[T]he fact that certain people have better judgment or better knowledge does not mean that they can only get an income from it by themselves actively taking part in production. They can sell advice or knowledge.“[225]

Die dritte Position, mit der sich Coase kritisch auseinandersetzt, betrifft die Bedeutung des Verlaufs der Produktionskosten für ein Verständnis empirisch beobachtbarer Firmengrößen. Ausgehend von der Annahme, dass eine Firma jeweils nur ein Produkt herstelle, wird in der zeitgenössischen Literatur ein ansteigender Verlauf der Produktionskosten dafür verantwortlich gemacht, dass Firmen nur eine endliche Größe aufweisen. An dieser Auffassung kritisiert Coase, dass die zugrunde liegende Annahme der Einproduktunternehmung die tatsächlich relevanten Alternativen und damit die für das Problemverständnis entscheidende Frage verdecke. Zu fragen sei nämlich, warum eine Firma, die mit steigenden Produktionskosten konfrontiert ist, nicht auf andere Produkte ausweicht und die Herstellung zusätzlicher Güter in ihr Programm aufnimmt. Die Antwort auf diese Frage sieht Coase in den für das Firmenwachstum tatsächlich relevanten Kosten, und er verweist darauf, dass es sich bei diesen Kosten nicht um Produktionskosten, sondern um Transaktionskosten handelt: „To determine the size of the firm, we have to consider the marketing costs (that is, the costs of using the price mechanism) and the costs of organizing of different entrepreneurs, and then we can determine how many products will be produced by each firm and how much of each it will produce.“[226]

Insgesamt ist es also stets der gleiche Einwand, den Coase gegen die diversen Positionen erhebt: dass die in der Literatur vorfindlichen Überlegungen einer verfehlten Problemstellung folgen und dass eine Theorie der Firma erst dann vorliegt, wenn mit dem ökonomischen Instrumentarium der Marginalanalyse nach den relevanten Alternativen für die organisatorische Abwicklung von Transaktionen und nach den hierbei jeweils anfallenden Transaktionskosten gefragt wird.

2. Der Aufsatz „The Marginal Cost Controversy“ (1946)

Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit dem Problem des natürlichen Monopols und mit der – für Coase: unbefriedigenden – Bearbeitung dieses Problems durch die Wohlfahrtsökonomik. Die Argumentation lässt sich in drei Schritten rekonstruieren. Erstens skizziert Coase die in der zeitgenössischen Literatur dominierende Auffassung, derzufolge ein natürliches Monopol mit Hilfe von steuerfinanzierten |145|Subventionen so reguliert werden sollte, dass es sein Produkt zu Grenzkostenpreisen vertreibt. Zweitens weist er darauf hin, dass bei dieser Auffassung eine relevante und sogar überlegene Alternative außer acht gelassen worden ist, und drittens schließlich führt er aus, dass nach erfolgter Erweiterung des Blickfeldes die in der Literatur für eindeutig gehaltene Überlegenheit von Grenzkostenpreisen gegenüber Durchschnittskostenpreisen nicht länger fraglos akzeptiert werden kann.

(1) Grenzkostenpreise weisen die allgemein wünschenswerte Eigenschaft auf, die Nachfrager mit genau jenen Kosten zu belasten, die für die Produktion der zuletzt hergestellten Einheit des gekauften Gutes tatsächlich anfallen. Sie sorgen damit für eine Angleichung der marginalen Zahlungsbereitschaft und der marginalen Produktionskosten und ermöglichen so eine an den gesellschaftlichen Knappheitsverhältnissen orientierte Entscheidung über die marginale Einschränkung bzw. die marginale Ausdehnung der Produktion. – Im Spezialfall des natürlichen Monopols besteht nun allerdings die Besonderheit, dass die gesamte Marktnachfrage (N) von einem einzigen Anbieter kostengünstiger als durch mehrere Anbieter bedient werden kann (Abb. 2).

Abbildung 2:

Grenzkostenpreis im natürlichen Monopol

Aufgrund dieser Besonderheit wird im Bereich sinkender Durchschnittskosten produziert, d.h. im Bereich links vom Durchschnittskostenminimum, so dass die Grenzkosten (GK) stets unter den Durchschnittskosten (DK) liegen. Dadurch entsteht das Problem, dass der mit dem Grenzkostenpreis (pG) verbundene Umsatz die Gesamtkosten nicht deckt. Vielmehr entsteht eine Deckungslücke, d.h. ein Verlust. Dieser soll – so die wohlfahrtsökonomische Vorstellung – durch steuerfinanzierte Subventionen ausgeglichen werden. Der zum Verlustausgleich benötigte Subventionsbetrag entspricht dem grauen Rechteck in Abb. 2.

(2) Coase macht nun geltend, dass die wohlfahrtsökonomische Auffassung zur Regulierung natürlicher Monopole aus einem Vergleich von Grenzkostenpreisen und Durchschnittskostenpreisen resultiert und dass dieser Vergleich auf einem unangemessen verengten Blickwinkel beruht.

|146|Im natürlichen Monopol führen Durchschnittskostenpreise zu einem Gewinn in Höhe von null (Abb. 3). Da hier kein Verlust entsteht, erfordern sie also keinen staatlichen Eingriff, um den monopolistischen Anbieter anzuregen, die entsprechende Menge bereitzustellen. Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht sind sie dennoch mit einem Problem behaftet. Dieses besteht darin, dass nun nicht, wie im Fall der Grenzkostenpreise, die Menge xG angeboten wird, sondern lediglich die geringere Menge xD. Da die Nachfrager nicht mit den in der Produktion tatsächlich anfallenden Zusatzkosten, sondern mit einer höheren, auch einen Fixkostenanteil enthaltenden Preisforderung (pD) konfrontiert werden, sind ihre marginalen Anpassungsentscheidungen ‚verzerrt‘. Folglich fragen sie weniger als die pareto-optimale Menge xG nach. Deshalb, so Coase, befürwortet die zeitgenössische wohlfahrtsökonomische Literatur eine Regulierungslösung, die das natürliche Monopol auf Grenzkostenpreise festlegt. Er sieht hierin der Tendenz nach ein Argument ex negativo: Grenzkostenpreise, so seine Vermutung, werden befürwortet, weil Durchschnittskostenpreise aus allokativen Gründen abgelehnt werden.

Abbildung 3:

Grenzkostenpreis versus Durchschnittskostenpreis im natürlichen Monopol

Vor diesem Hintergrund nun wendet Coase ein, dass bei diesen Überlegungen eine relevante Alternative übersehen wird, eine Alternative jenseits von Grenzkosten- oder Durchschnittskostenpreisen. Coase verweist auf die Option eines „multi-part pricing“. In der Tradition der deutschsprachigen Finanzwissenschaft würde man dies als einen gespaltenen Tarif bezeichnen: als eine Kombination von Beiträgen und Gebühren. Der Grundgedanke dieser Option besteht darin, eine Nutzungsgebühr in Höhe der Grenzkosten zu verlangen und den dabei entstehenden Verlust durch Beiträge zu decken, die nicht von der Gesamtheit der Steuerzahler, sondern ausschließlich von der Gemeinschaft der Nutzer aufzubringen sind. Es handelt sich also um eine Vereins- oder Clublösung, in der die fixen Kapazitätskosten über Beiträge und die variablen Nutzungskosten über Gebühren finanziert werden.

|147|In einer vergleichenden Betrachtung stellt Coase sodann mehrere Aspekte heraus, die aus seiner Sicht für einen gespaltenen Tarif und damit zugleich gegen reine Grenzkostenpreise sprechen. Zu diesen Aspekten gehört, dass die staatliche Subventionierung von Grenzkostenpreisen den Steuerzahlern eine Leistung abnötigt, für die viele von ihnen keine Gegenleistung erhalten, während ein gespaltener Tarif dem Äquivalenzprinzip folgt und nur jene belastet, die das zu finanzierende Gut auch tatsächlich in Anspruch nehmen. Für besonders wichtig jedoch hält Coase eine – ihrerseits ebenfalls wohlfahrtsökonomische – Überlegung. Sie besagt, dass Grenzkostenpreise im natürlichen Monopol zu allokativen Verzerrungen führen, obwohl sie doch genau solche Verzerrungen eigentlich vermeiden helfen sollen. Die Argumentation lautet wie folgt.

Auf einem normalen Markt produzieren konkurrierende Unternehmen im Bereich steigender Durchschnittskosten. Hier gilt: DK < GK. Deshalb erzielen sie Gewinne, auch wenn sie durch Wettbewerb gezwungen sind, ihre Preisforderungen auf das Niveau der Grenzkosten zurückzunehmen. Unter solchen Bedingungen stellen Grenzkostenpreise sicher, dass knappe Ressourcen in ihre produktivste Verwendung wandern. Dies gilt zum einen für jene Ressourcen, die in die Produktion der letzten gerade noch hergestellten Gütereinheit Eingang finden. Es gilt zum anderen für jene Ressourcen, die für den Aufbau der Produktionskapazität verwendet werden. Da die Grenzkosten im hier relevanten Bereich über den Durchschnittskosten liegen, signalisiert die Bereitschaft der Nachfrager, Grenzkostenpreise zu bezahlen, eine Gesamtvorteilhaftigkeit der Produktion sowie eine marginale Vorteilhaftigkeit der Grenzproduktion; sie signalisiert, dass sowohl die fixen als auch die variablen Kosten zu Recht in Kauf genommen worden sind, weil die verbrauchten Ressourcen in ihrer tatsächlichen Verwendung eine höhere Nutzensumme ermöglicht haben als in einer etwaigen alternativen Verwendung.

Im Sonderfall eines natürlichen Monopols verhält sich dies anders. Hier verlaufen die Grenzkosten im relevanten Bereich unter den Durchschnittskosten. Es gilt: GK < DK. Grenzkostenpreise können somit zwar auch weiterhin sicherstellen, dass der Ressourcenverbrauch für die letzte, marginale (n-te) Gütereinheit volkswirtschaftlich gerechtfertigt ist. Sie können jedoch nicht sicherstellen, dass es volkswirtschaftlich gerechtfertigt ist, auch die (n – 1) inframarginalen Einheiten des Monopolgutes zu produzieren. Mit anderen Worten garantieren Grenzkostenpreise nur die Wirtschaftlichkeit der zur Grenzproduktion verwendeten Ressourcen; sie garantieren jedoch nicht die Wirtschaftlichkeit der zum Kapazitätsaufbau verwendeten Ressourcen. Sie geben Auskunft, wieviel produziert werden sollte, lassen jedoch die grundlegendere Frage unbeantwortet, ob überhaupt produziert werden sollte.

Im natürlichen Monopol sind Grenzkostenpreise anfällig für eine volkswirtschaftliche Verschwendung knapper Ressourcen. Während sie auf einem normalen Markt automatisch sicherstellen, dass neben den variablen Kosten auch die Inkaufnahme fixer Kosten durch einen entsprechenden Nachfragernutzen gerechtfertigt ist, ist im natürlichen Monopol gerade dieser Automatismus außer Kraft gesetzt, weil nun das Grenzkostenniveau im hier relevanten Bereich nicht mehr oberhalb, sondern unterhalb des Durchschnittskostenniveaus liegt. Hieraus folgt: Soll – im wohlfahrtsökonomischen Verständnis – aus einer gegebenen |148|Ressourcenausstattung ein Maximum an Bedürfnisbefriedigung herausgeholt werden, so muss dafür Sorge getragen werden, dass die Konsumentenrente der Nachfrager mindestens so groß ist wie der Subventionsbetrag, der zur Fixkostendeckung anfällt. In Abb. 4 ist ein Beispiel eingezeichnet, in dem dies eindeutig nicht der Fall ist.[227] Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht liegt hier eine Verschwendung knapper Ressourcen vor: Die zum Kapazitätsaufbau der Güterproduktion verwendeten Ressourcen wären besser anderweitig eingesetzt worden.

Abbildung 4:

Ein Beispiel für Ressourcenverschwendung im natürlichen Monopol

Es stellt sich nun die Frage, wie bei der Setzung von Grenzkostenpreisen eine solche Verschwendung vermieden werden kann, d.h. wie man an die Informationen herankommt, anhand deren man beurteilen kann, ob die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager nicht nur ausreicht, um die variablen Kosten zu decken, sondern ob sie auch ausreicht, um die fixen Kosten zu decken. Coase verweist darauf, dass jene Wohlfahrtsökonomen, die die Setzung von Durchschnittskostenpreisen ablehnen und statt dessen eine Setzung von Grenzkostenpreisen befürworten, zur Lösung dieses Problems vorgeschlagen haben, die Konsumenten nach ihrer Zahlungsbereitschaft zu befragen. An genau diesem Punkt setzt seine Kritik an: Während bei einem gespaltenen Tarif diese Zahlungsbereitschaft in Form von Beiträgen tatsächlich unter Beweis gestellt werden muss, bleibt es im Fall reiner Grenzkostenpreise bei einer hypothetisch bleibenden Erhebung der Zahlungsbereitschaft, weil nicht die befragten Konsumenten selbst, sondern die gesamten Steuerzahler die entstehenden Fixkosten finanzieren müssen. Angesichts dieses |149|gravierenden Unterschieds rechnet Coase mit massiven Anreizen strategischer Informationsverzerrung und folglich mit gravierenden Schwierigkeiten der Administration, die in Abb. 4 skizzierten Gefahren volkswirtschaftlicher Ressourcenverschwendung zu umgehen und so tatsächlich vermeiden zu können – vom Vermeiden-Wollen ist hier noch gar nicht die Rede –, dass viel mehr Monopolgut-Produktionen aufgenommen werden, als es nach wohlfahrtsökonomischen Kriterien gerechtfertigt erscheint.

Das für Coase entscheidende Argument zugunsten eines gespaltenen Tarifs und zu Lasten eines reinen Grenzkostenpreises ist ein Anreizargument: „Neither Hotelling nor Lerner nor Meade give, in my view, sufficient weight to the stimulus to correct forecasting, which comes from having a subsequent market test of whether consumers are willing to pay the total cost of the product. Nor do they recognize the importance of the aid which the results of this market test give in enabling more accurate forecasts to be made in the future.“[228]

(3) Gestützt auf diese Überlegungen, die neben Durchschnittskostenpreisen und Grenzkostenpreisen eine dritte Option zur Regulierung natürlicher Monopole ins Spiel bringen und diese als vergleichsweise überlegen ausweisen, kann Coase dem Anspruch entgegentreten, Grenzkostenpreise seien Durchschnittskostenpreisen überlegen. Zwar weisen Grenzkostenpreise den Vorteil auf – hierin stimmt Coase der in der Literatur vorfindlichen Einschätzung ausdrücklich zu –, dass sie den marginalen Ressourceneinsatz knappheitsmindernd ausrichten. Allerdings weisen sie – und dies wird nun als interne Kritik an der wohlfahrtsökonomischen Literatur betont – den Nachteil auf, den inframar-ginalen Ressourceneinsatz nicht knappheitsmindernd ausrichten zu können. Folglich sieht Coase hier einen Bedarf für eine weitaus differenziertere Einschätzung, als sie in der zeitgenössischen Literatur üblich ist. So schreibt er mit Bezug auf Grenzkostenpreise:

„The … advantage is that a government could undertake production in cases in which consumers would be willing to pay the total cost but which could not be undertaken with average cost pricing. … A government which made many errors in its estimates of individual demands could easily offset any good such a policy might produce. Average cost |150|pricing may prevent some things from being done which perhaps ought to be done, but it is also a means of avoiding certain errors in production, some of which would inevitably be made if the Hotelling-Lerner policy [of marginal-cost pricing; I.P.] were followed.“[229]