Über den Autor:
Hermann Küster
wurde 1942 in Minden/Westfalen geboren. Nach dem Schulabschluss Arbeit als Hilfskrankenpfleger. Dann Studium der Theologie auf dem zweiten Bildungsweg in Hermannsburg/Celle. Von 1968 bis 1974 Pastor der Landeskirche Hannovers in Werlte/Emsland, davon einige Jahre Kirchenkreisjugendpastor. Von 1974 bis 2005 Pfarrer der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn (Schweiz) zunächst in Gurzelen/BE dann in Hilterfingen/BE, wo er auch heute mit seiner Frau wohnt. Er hat drei erwachsene Töchter und vier Enkelkinder. Er hat Geschichten und Gedichte als Buch und in Zeitschriften publiziert, dazu ein theologisches Werk.
Hermann Küster
… und die Geist lachte
Es könnte sehr wohl tatsächlich eine Erfahrung der Geist Gottes gewesen sein. Oder: Pfingstgeschichten aus dem Alltag.
Gedanken und Geschichten zur Heiligen Geist
Die Erde ist randvoll mit Himmel, und in jedem gewöhnlichen Dornbusch brennt Gott, aber nur jene, die sehen können, ziehen ihre Schuhe aus; die anderen sitzen drum herum und pflücken Brombeeren.
Elizabeth Barrett Browning
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Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig
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1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
www.engelsdorfer-verlag.de
Inhaltsverzeichnis
Cover
Über den Autor
Titel
Impressum
VORWORT
1 Warum die Geist?
2 Das Kreuz mit der Geist Gottes – oder: falsche Erwartungen und ihre Gefahren
3 Wie Jesus und der Apostel Paulus die Tätigkeit der Geist Gottes sehen
4 Vorinformationen zu diesen Geschichten
ACHTUNDZWANZIG GESCHICHTEN ZUR HEILIGEN GEIST
1 DIE HEILIGE GEIST AUF DEM SPAZIERGANG
2 VERTAUSCHTE ROLLEN
3 NEIN!
4 DIE GEIST IN GEISTESGEGENWART
5 NACHHILFEUNTERRICHT DER GEIST FÜR EINEN PFARRER
6 VÖGEL, DIE AM MORGEN SINGEN
7 DIE HERZLOSE BANDE
8 JAKOB, GEH’ HIER WEG
9 BETEN SIE FÜR MICH!!!
10 DER TOD DER JOHANNA HOLENWEGER
11 DIE WANDLUNG DES ERNST BITTERLIN
12 BITTE BETEN SIE MIT MIR, BETEN SIE FÜR MICH
13 … DICH BEI DEINEM NAMEN GERUFEN
14 IN EINEM ITALIENISCHEN SPITAL
15 WIE SOLL ICH DICH EMPFANGEN?
16 ABENDMAHL AN EINEM STERBEBETT
17 BJÖRN
18 DOCH VERSTANDEN
19 DER FESTGOTTESDIENST
20 DIE GEIST IM KREMATORIUM
21 WORTLOSER TROST
22 DIE GEIST BEI UNS ERSPART DIE ARBEIT NICHT
23 DER GEIST LETZTE TRÖSTUNG AUF ERDEN
24 DER RUF
25 DER TRANS EUROPA EXPRESS HÄLT IN TURTMANN
26 DAS DREIFACHGEBOT DER LIEBE
27 EIN GOTTBEGNADETER LÜGNER. EIN LÜGNER, VOLL DER GEIST GOTTES. EIN LÜGNER, WELCHER DER WAHRHEIT DIENTE
28 DIE KRAFT DER GEIST AUS MIR
NACHWORT
1 „Verbuchstäblichter“ Glaube, Gotteserfahrung und das Ziel dieser Schrift
2 Warum denn wurde Glaube domestiziert?
3 Zur Unterscheidung von Gotteserfahrung und nur vorgegebener Gotteserfahrung; zur Unterscheidung der Geister
4 Wie man sich für Gotteserfahrungen/Begegnungen mit der Geist Gottes fit halten kann
ANHANG
Einige Pauluszitate zur heiligen Geist
DANK
Fußnoten
VORWORT
1 Warum
die
Geist?
Ich meine mit
die
Geist die Geist
Gottes
!
Das muss ich erklären.
Denn wir sind es gewohnt, in der
männlichen
Form von Gottes Geist zu reden:
der
, nicht
die
Geist Gottes. In unserer Sprache ist Geist
männlich
. In vielen anderen ebenfalls. In den
Ursprachen unseres Glaubens
hingegen, in der Sprache, die Jesus Christus sprach, Aramäisch, und im Hebräischen, in der seine Bibel verfasst war, ist Geist (Gottes) vorwiegend
weiblich
: RUCHA (Jahwe) bzw. RUACH (Jahwe). Die Heilige Geist, die Geist Gottes kann folglich als die weibliche Komponente Gottes oder als die weibliche der Kommunikationsformen, der Wahrnehmungsgestalten, in denen Gott uns begegnet, angesehen werden. Von der Dreieinigkeit Gottes, der Trinität, die besagt, „
dass Gott in der Begegnung mit den Menschen seine Gestalt ändern kann
“
1
, rede
ich
daher als von Gott Vater, Sohn und Heilig
e
Geist. Folgerichtig spreche ich auch nicht mehr ausschliesslich in
männlicher
Form von Gott. Das ist also theologisch aufgrund des Sprachbefundes wohlbegründet. Und von der Achtsamkeit gegenüber den Frauen geboten, die sich zu Recht daran stören, wenn von Gott, auch von Gottes
Geist
, ausschliesslich als von einem Maskulinum die Rede ist. Es ist also keineswegs bloss übertriebene Rücksichtnahme auf „mimosenhafte weibliche Empfindlichkeiten“, wie mir etwa einmal an den Kopf geworfen wurde, wenn ich auch in weiblicher Form von Gott und seiner Geistkraft rede. Ich halte es auch nicht für ein verzichtbares oder gar nebensächliches Detail, ob wir es tun oder nicht! Mir ist es wichtig, weil die ausschliesslich männliche, die patriarchale Rede von Gott – selbst da, wo sich von den beiden Ursprachen unseres Glaubens her die weibliche angeboten hätte! – gravierende unerfreuliche Folgen in Gesellschaft und Kirche gehabt hat. Sie hat nämlich wesentlich dazu beigetragen, dass das Patriarchat, also die Vorherrschaft der Männer über die Frauen, religiös begründet und sanktioniert und die Gleich-Gewichtigkeit, die Gleich-Wertigkeit der Geschlechter jahrhundertelang verhindert wurde, von denen doch in einigen biblischen Schriften immerhin – zumindest ansatzweise – durchaus die Rede ist. Im Anbetracht dieser Tatsache sollte es selbstverständlich sein, auch in weiblicher Form von Gott zu reden. Besonders natürlich dort, wo es sich eben von den Ursprachen der Bibel her nicht nur
anbietet
, sondern geradezu
geboten
ist. Dabei ist mir durchaus immer bewusst, dass Gott weder Mann
oder
Frau noch Mann
und
Frau, sondern darüber hinaus noch viel mehr – zum Beispiel Geist an sich, Kraft an sich, Liebe an sich – und eben der „ganz andere“
2
ist.
Wo ich von
der
Geist rede, ist immer Gottes Geist gemeint. Die Geist, die Gott ist, als die Gott uns begegnet, als die Gott wirkt und die von Gott ausgeht.
In meinen Erzählungen lege ich aus den oben genannten Gründen selbst denjenigen verfremdeten Figuren (
siehe dazu 4
) in ihrem Reden über Gottes Geist die weibliche Form in den Mund, welche diese, un-verfremdet, nie verwendet haben.
2 Das Kreuz mit der Geist Gottes – oder: falsche Erwartungen und ihre Gefahren
Wir leben in einer seltsamen Zeit. Einerseits sind die allgemeine Hektik, die Reduzierung des Menschen auf zwei Funktionen – die des Rädchens im Wirtschaftsgetriebe, das klaglos zu funktionieren hat und anderen Falles einfach ausgewechselt wird, und die des Konsumenten, dessen Lebenszweck im Kaufen und Verbrauchen besteht –, die unheimliche und schier unverarbeitbare Fülle an Informationen, die tagtäglich mehr oder minder ungefiltert auf uns einbrandet, dem Geistigen spinnefeind. Andererseits merken die Menschen, dass ihnen diese Dimension fehlt und dass dies ein Verlust ist; so wächst das Verlangen
nach
und ist allenthalben die Rede
von
„Spiritualität“ und davon, wie wichtig es für Körper, Geist und Seele sei, sie zu leben. Die Spiritualität, die dann resultiert, ist allerdings oftmals eine Spiritualität ohne
spiritus
, jedenfalls ohne
spiritus sanctus
, also ohne
die
Geist. Auch unter Christen ist es vielfach so. Auch „in christlichen Kreisen“ sucht man vermehrt spirituelle Erfahrung in der Umarmung von Bäumen, im Aufsuchen sogenannter „Kraftorte“, in indianischen Schwitzhütten, in der Lektüre der Flut von Büchern über Engel und in Übungen, durch welche fühlbare Beziehungen zu diesen vermeintlich oder auch tatsächlich hergestellt werden können. Das alles ist nicht falsch. Es mag für den menschlichen Geist bereichernd und hilfreich sein und kann zweifellos zu einem achtsameren und nachhaltigeren Umgang mit der Natur führen und wäre dann durchaus zu begrüssen. Aber es ist nicht Spiritualität im eigentlichen Sinne, denn es geht dabei in erster Linie um den
menschlichen
Geist und dessen Bedürfnisse, es ist sozusagen ein Ausgleichssport für den so oft missachteten und zu kurz kommenden menschlichen Geist; es geht
nicht
um die Verbindung zu
der
Geist. Christus aber hatte genau diese Verbindung im Sinn, als er uns für die Zeit bis zu seiner Wiederkehr nicht Bäume, Kraftorte, Schwitzhütten und Engel als Tröster, erleuchtende, auferbauende, Lebenskraft vermittelnde Elemente verheissen hat, sondern die Geist Gottes. Sie zu erfahren, mit und in ihr zu leben – das wäre wahrhaftige Spiritualität.
Warum suchen selbst „christliche Kreise“ Spiritualität woanders? Warum ist ihnen
die
Geist so unwichtig geworden, dass sie sich nicht mehr dafür interessieren, wie mir einmal ein Buchhändler gesagt hat?
Ich denke: weil heute weithin – und eben selbst unter Christen – bezweifelt wird, dass die Geist Gottes „da“ sei und wirke. Es wird argumentiert: Wenn die Geist Gottes noch tätig wäre, müsste es doch in der Welt und wenigstens unter Christen weniger zweifelhaftes Verhalten, weniger buchstabenlastige Gesetzlichkeit und Unbeweglichkeit, dafür aber mehr Lebendigkeit, Liebe, Fröhlichkeit, Aufgeschlossenheit und Begeisterung geben, als es ganz offensichtlich der Fall ist. Man spüre auch persönlich so nichts davon, dass die Geist Gottes noch wirksam sei.
Wo
denn, bitte schön?
Wann
denn wohl? Da sei doch nichts. Da rege sich nichts. Man spüre nichts! So ist die Wahrnehmung vieler Menschen. Sie bereitet ihnen Glaubensnot. Man muss das ernstnehmen.
Menschen, die meinen, dass die Geist Gottes nicht mehr wirke, haben, meiner Erfahrung nach, meist eine verzerrte Sichtweise und Erwartungshaltung. Dies möglicherweise, weil sie ihre Erwartungen an das Wirken der Geist Gottes an spektakulären Ereignissen wie etwa dem in der Pfingstgeschichte im Neuen Testament überlieferten orientieren. Auch bei vielen sehr ernsthaften und ernstzunehmenden Mitchristinnen und Mitchristen herrscht, scheint mir, die Meinung vor, wenn in Gottesdiensten und sonstigen Versammlungen von Christen nicht die Post abgehe, wenn nicht mit erhobenen Händen und verzückt geschlossenen oder dann verdrehten Augen laut gejubelt werde, wenn nicht wenigstens ein paar Menschen zitternd zu Boden fallen und wenn nicht in Zungen geredet werde, wenn nichts geheimnisvoll Übersinnliches und Unerklärliches geschehe, dann sei es nichts gewesen mit der Ereignung und dem Wirken der Geist Gottes.
Nun will ich nicht in Abrede stellen, dass sich das Wirken der Geist Gottes auch in solchen Phänomenen ereignen kann. Aber wenn ausschliesslich
sie
als deren Ereignung erwartet werden, dann ist das höchst gefährlich.
Ich sehe im Wesentlichen drei Gefahren:
Erstens: Die Neigung wächst, die genannten Phänomene (auto)suggestiv zu erwirken. Allenfalls autosuggestiv hervorgerufene Trancezustände werden dann als Be-Geist-erung, als Ereignungen der Geist Gottes angesehen und ausgegeben. Was sie nicht sind. Was also ein auf Abwege führender Irrtum ist.
Zweitens: Unter dem Druck einer Gruppe, zu der man gehören möchte, aber nur gehören kann, wenn man Phänomene erlebt und aufweist wie die oben geschilderten, entstehen entweder
tatsächlich
solche Phänomene – oder dann, wenn man erkennen muss, dass sie ausbleiben und man beim besten Willen nichts Entsprechendes fühlt, werden sie notgedrungen
vorgetäuscht
, um nicht mit Liebesentzug bestraft oder gar aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden. Ereignungen, die diesen Hintergrund haben, sind schwerlich Ereignungen der Geist Gottes. Dieser Weg ist ein auf die Dauer die Seele in Bedrängnis bringender Irrweg. Davon im Folgenden mehr.
Drittens: Sieht sich ein Mensch aber dauernd gezwungen, die
von
ihm und
bei
ihm erwarteten, aber zu seinem Leidwesen eben ausbleibenden Phänomene immer wieder
vorzutäuschen
, so stellt sich irgend einmal Frustration ein. Die Betroffenen sehen sich als unwert, als von Gott verworfen, als Versager; sie verzweifeln schliesslich an sich selbst. Am Schluss dieser Entwicklung kann die totale und endgültige Abkehr von Gott stehen.
3 Wie Jesus und der Apostel Paulus die Tätigkeit der Geist Gottes sehen
Jesus Christus hat sich Ereignungen der Heiligen Geist offenbar nicht so spektakulär vorgestellt wie dies in der Pfingstgeschichte der Apostelgeschichte des Lukas geschildert wird. Er stellte sie sich nach der biblischen Überlieferung als stetiges, verlässliches, nachhaltiges, oft unmerkliches Wirken vor (so lese ich etwa Johannes 3,34). Heilige Geist war für ihn Geist der Wahrheit (Johannes 14,17). Sie ereignet sich also schlicht da, wo Menschen die Wahrheit Gottes und seines Christus erkennen und wo sie demzufolge ehrlich, redlich und wahrhaftig sind und entsprechend miteinander umgehen (also mit Paulus zu sagen: als Geist der Liebe, 1. Korinther 4,21). Als Ereignis der Geist Gottes galt es Jesus, wenn den Seinen das richtige Wort und Verhalten zur rechten Zeit in den Sinn käme (auch so dürfe man, denke ich, etwa Matthäus 10,20 lesen). Ihm war Heilige Geist Tröster (Johannes 14,26 u.ö.), Mittler. Wenn also ein Mensch in schier hoffnungsloser Lage zuversichtlich bleibt, wenn Trauernde schliesslich getröstet sind, wenn Menschen spontan und für sie selbst unerwartet tröstlich wirken, dann ist das für Jesus Christus Ereignung der Geist Gottes. In ganz stillen, unspektakulären Geschehnissen also ereignet sich ihm und erwartet er das Wirken der Geist Gottes. Ähnlich sieht es der Apostel Paulus
1
, der ausführlicher als Jesus Christus über die Geist Gottes gehandelt hat. Auch Funktionen, die
er
der Geist zugeschrieben hat, sind in den nachfolgenden Geschichten zu orten. Wenn wir es ebenso sehen wie Jesus Christus und sein Apostel Paulus, dann ist es mit der verzerrten Sichtweise und Erwartungshaltung im Bezug auf die Geist Gottes endlich aus. Die Gefahr enttäuschter Erwartungen wird reduziert. Die Freude an Gott, an Gottes Geist, ist damit programmiert. Denn wir werden nun vielfältige Ereignungen Gottes in unserem Leben erkennen. Auch wenn unsere Freude dann immer noch nicht
vollkommen
sein sollte, so wird sie doch
spürbar
und
tragend
sein.
4 Vorinformationen zu diesen Geschichten
Von unspektakulären Ereignungen, die sehr wohl Wirkungen der Geist Gottes sein könnten, handeln also die Geschichten dieses Buches. Bei der
Mehrheit
dieser Geschichten handelt es sich um meine
eigenen
Erlebnisse. Ein
kleinerer
Teil gibt Erlebnisse
anderer
Menschen wieder, die mir diese
erzählt
haben. Ich weiss dabei im Einzelnen nicht mehr, um wen es sich dabei handelt, kann also die Quelle nicht nennen. Die Geschichten sind mir einfach eindrücklich gewesen und somit im Gedächtnis haften geblieben. Einmal erzähle ich auch eine unter Theologen sehr bekannte und im Umlauf befindliche Anekdote (22, S.
116
f). Ich habe die Geschichten in jedem Fall verfremdet, um die Identität der Erzähler und des „Personals“ dieser Geschichten nicht preiszugeben. So habe ich Namen und Schauplätze verändert. Wo ich einen Namen
nicht
verändert habe, habe ich ihn einem anderen Schauplatz zugeordnet, in einen anderen „Rahmen“ gesteckt (mit zwei Ausnahmen, die ausdrücklich angemerkt sind!). Manchmal habe ich auch verschiedene Charaktere und Ereignisse zu einer einzigen Geschichte verwoben. Und nicht überall, wo, wie man so sagt, „’Ich’ draufsteht“, bin ich selbst drin, während wo ‚Er’ oder sogar ‚Sie’ „draufsteht“, eigentlich ich selbst drin bin. Aber bei all dem gilt doch: Die Figuren meiner Geschichten sind
verfremdet
, aber nicht
verfälscht
. Ich habe die Geschichten
durchkonstruiert
, aber
nicht frei erfunden
. Die für mein Thema entscheidenden Teile hat immer das Leben selbst geschrieben.
Beim
kleinsten
Teil meiner Geschichten handelt es sich um solche, die ich mir – den Auffassungen Jesu Christi und des Apostels Paulus über das Wirken der Geist Gottes angepasst und ihnen entsprechend –
ausgedacht
habe. Dennoch sind auch diese Geschichten nicht einfach frei erfunden. Denn auch sie ranken sich um einen Tatsachenkern herum. Sie sind konstruiert, aber um einen
wahren
Kern herum konstruiert.
Sie, liebe Leserin, lieber Leser, werden, vermute ich, beim Lesen wahrscheinlich
jeder
Erzählung denken: „Ja, so etwas könnte tatsächlich so oder ähnlich geschehen
sein
oder
geschehen
; das ist absolut vorstellbar“. Und ebenso wahrscheinlich werden Sie bei der
einen
oder
anderen
Geschichte erkennen: „Ja, von Solchem oder Ähnlichem habe ich auch schon gehört!“ Oder gar: „Ja, das ist mir selbst so oder ähnlich auch schon passiert.“ Das hiesse dann: Auch Sie haben schon Erlebnisse gehabt, die sehr wohl tatsächlich eine Erfahrung mit der Geist Gottes gewesen sein könnten. Und das, obschon Sie kein Pfarrer sind. Denn dass die Exponenten meiner Geschichten meistens Pfarrer sind, ist ein Zufall bzw. hat mit mir und meinem Umfeld zu tun. Keineswegs ist es so, dass derlei Geschichten nur oder auch nur
vorwiegend
Pfarrern geschehen würden.
Es könnte sich also in den vorliegenden Erzählungen wirklich sehr wohl um tatsächliche Erfahrungen mit der Geist Gottes handeln.
Garantiert
ist das freilich nicht. Darum sage ich im Untertitel dieses Buches (
siehe S. 3
) statt „So ist es. Punkt!“ nur: „
könnte
“. Allerdings auch „sehr wohl“ und „tatsächlich“, was die Sache schon bestimmter macht; ich bin ziemlich überzeugt davon. Mir ist freilich bewusst, dass Menschen, die in den geschilderten Ereignissen
nicht
die Geist Gottes am Werke sehen und sie
anders
deuten, geneigt sein könnten, mir entgegenzuhalten, wenn ich in diesen Geschichten die Geist Gottes orte, dann höre ich nur das Gras wachsen und die Flöhe husten. Müssten jene, die das meinen, dann aber nicht wenigstens redlicherweise einräumen, dass es genauso gut möglich sein könnte, dass
sie
den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen? Man kann das, was ich in den folgenden Kapiteln schildere, hirnphysiologisch erklären und deuten – oder schlicht den Zufall als Erklärung anführen. Aber ist das
zwingend
? Ich denke nicht. Genau so gut, mit gleichem Recht, kann man deuten und erklären wie
ich
: Heilige Geist könnte sich in den geschilderten Ereignissen manifestiert haben. Eine, wie ich finde, überaus ermutigende Erklärung und Deutung.
So, und nun lesen Sie bitte diese Geschichten. Und entscheiden Sie dann selbst, ob diese „randvoll mit Himmel“ seien und ob es sich bei ihnen jeweils um einen „gewöhnlichen Dornbusch“ handle, in dem „Gott brennt“, oder nicht. Wenn Sie befinden: eher ja als nicht, dann wird es darum gehen, ob Sie „drum herum sitzen und Brombeeren pflücken“ oder aber … Ihre „Schuhe ausziehen“ … Ich denke, Sie wissen, was ich damit meine!
Hilterfingen am 11. September 2013
Achtundzwanzig Geschichten zur Heiligen Geist
1 DIE HEILIGE GEIST AUF DEM SPAZIERGANG
Die Namen in dieser Geschichte sind nicht verändert worden. Und der Ich-Erzähler bin wirklich ich selbst.
Es ist mal wieder soweit. Das Schreiben der Predigt will nicht gelingen. Wieder einmal, wie schon so oft, ist es eine mühsame Angelegenheit. Es geht und geht nicht vorwärts. Halbstundenlang passiert nichts als dass ich grübelnd auf das leere Blatt Papier starre, das in meiner kleinen Reiseschreibmaschine steckt. Und wenn es doch einmal vorwärtsgeht und ich unüberzeugt und quälend harzig ein paar Buchstaben auf die jungfräuliche Seite hämmere, so stocke ich bald wieder, wissend: So geht es nicht. So komme ich nicht weiter. Entmutigt reisse ich dann das Papier aus der Maschine, knülle es zusammen und feuere es in den sich mählich füllenden Papierkorb. Ich hänge hoffnungslos fest.
Nicht, dass mir der Predigttext nichts sagen würde. Nicht, dass ich dazu keine Ideen hätte. Er sagt mir schier zuviel. Ich habe einen
Haufen
Ideen. Ich erkenne auch klare Bezüge des Textes zur Gegenwart. Zahlreiche.
Zu
zahlreiche. Ich kann meine Gedanken nicht ordnen. Ich finde keine mich befriedigende logische Abfolge. Muss jetzt jenes zuerst gesagt werden und dann eines und dann das andere? Oder erst eines und dann das andere und erst anschliessend jenes? Wie ich es auch probiere – es überzeugt mich nicht. Jede Zuordnung meiner Gedanken zueinander hat ihre Vor- und ihre Nachteile. Zwingend ist keine der möglichen Abfolgen. In jedem Fall sind Wiederholungen, Vorgriffe, Rückgriffe unvermeidlich. Ermüdend für die Menschen, die sich das am Sonntag im Gottesdienst werden anhören müssen. Nein, es geht nicht. Ich bringe, wie ich es nenne, „keinen
Chic
“ in die Sache. Immer mühsamer und zäher formieren sich die Gedanken in meinem Kopf. Und immer unentschlossener bewegen sich meine Finger, um sie in die Tasten zu tippen. Normalerweise gestatte ich mir maximal eine halbe Stunde für eine A-5-Seite. Inzwischen benötige ich bei dieser Predigt diese Zeit – und mehr! – schon bereits für einen einzigen Satz. Je langsamer und quälender sich die Dinge entwickeln, je krampfiger die Angelegenheit wird, desto mehr verwischt sich mir nun auch der Gesamtzusammenhang. Ich habe den Faden endgültig verloren. Längst sagt mir der Verstand, es sei besser, die Arbeit zu unterbrechen und morgen einen neuen Anfang zu versuchen. Aber der Kopf lässt es nicht zu. Ich bleibe dran. Dickköpfig und stur. Ich
will
es schaffen! Und zwar
heute
! Freitag ist mein Predigttag. Beginnend spätestens nach dem Mittagessen. Für morgen habe ich andere Arbeiten eingeplant (die ich zwar auch heute, anstelle der Predigt, machen oder in die nächste Woche verschieben könnte …!). Nein: Ich muss! Ich will! Heute! Ich will! Ich will! Und wenn ich etwas will, so lasse ich nicht locker!
Aber ich verkrampfe mich nur. Nacken und Schultern schmerzen. Die Bauchmuskulatur ist angespannt. Der ganze Körper ein Stein! Und es hilft keine Spur, wenn ich zwischen hinein heisse, ja wütende Stossgebete gen Himmel sende: „Also hör mal zu, lieber Gott, das hier, das mache ich ja nicht zu meinem eigenen Ruhme, sondern für dich! Da könntest du mir eigentlich ruhig mal ein bisschen helfen. Schläfst du eigentlich, Heilige Geist? Wo sind sie nun, die Worte, die uns jeweils rechtzeitig in den Mund zu legen du versprochen hast?“ Aber dieses Stossgebet löst nur Gedanken in mir aus wie: „Nicht zu deinem eigenen Ruhme? Wenn du nicht so ehrgeizig wärest, wenn du nicht so sehr auf ein günstiges Urteil der Gemeindeglieder aus wärest, also darauf, dass sie dich schätzen, mit anderen Worten, wenn du nicht eben
doch
auf
deinen Ruhm
bedacht wärest, dann könntest du die Predigten jeweils lockerer angehen und würdest nicht so knorzen!“ Ich kann nicht ausschliessen, dass diese Gedanken Retourkutschen der Heiligen Geist auf meine Vorwürfe, meine wütenden Stossgebete sind. Und das macht mich grämlich. Besonders, weil ich diesen Retourkutschen eine gewisse Berechtigung nicht ganz absprechen kann …
Im Zimmer nebenan, dem Kinderzimmer, regt sich etwas. Im Reich unseres ersten Kindes, der Tochter Judith, dessen Tür zu meinem Zimmer meist offen steht und nur durch ein Scherengitter von meinem Arbeitszimmer getrennt ist, wird es lebendig. An dieses Scherengitter hat sich Judith zuerst herangerollt, später dann ist sie auf Knien an es herangerutscht, um mir ihre sanften Botschaften zuzugurren und zuzublubbern. Inzwischen pflegt sie sich knickebeinig an diesem Scherengitter aufzurichten und erste Kurzsätzchen zu mir herüber zu sprechen.
Meine Frau erscheint am Scherengitter, die Kleine an der Hand.
„Na? Wie läuft’s?“, fragt sie.
„Gar nicht läuft’s!“, antworte ich düster.
„Ich lasse jetzt die Kleine hier.“, sagt sie. „Soll ich in dem Fall die Tür schliessen?“
„Ja“, sagt mein Hirn. „Nein“, sagt mein Mund zu meiner eigenen Überraschung.
„Gut“, sagt sie. „Also dann: Ich wünsche dir gutes Gelingen.“
Worauf sie geht. Judith bleibt am Scherengitter stehen.
„Prelich?“, fragt Judith.
„Ja. Ich schreibe eine Predigt“, antworte ich.
Darauf trollt sie sich und wendet sich ihrem Spiel zu. Aber nach qualvollen Minuten, in denen ich auch weiterhin mit der Predigt nicht vorwärtskomme und mich infolgedessen von ihren Spielgeräuschen ablenken lasse, wird es im Nebenzimmer still. Ich wende mich zum Scherengitter um. Da steht das Töchterchen und schaut mir aufmerksam zu.
„Na, du?“, mache ich, „willst du ein bisschen auf meinen Schoss kommen? Wollen wir eine Runde schmusen?“ Gleichzeitig denke ich: „Oh, nein, Hermann, was machst du da?! Herrschaftszeiten, bist du ein Idiot! Zeitverluste kannst du dir nun wirklich nicht leisten!“ Aber ich denke
auch
: „Hör auf! Eine Runde mit ihr schmusen hat dich doch schon manches Mal so aufgestellt, dass es nachher etwas besser gelaufen und dir leichter von der Hand gegangen ist!“
„Hm-hm“, nickt Judith am Scherengitter eifrig.
So hebe ich sie zu mir herüber und nehme sie auf den Schoss. Und sie zeigt auf die Schreibmaschine: „Das?“ Und ich gebe ihr das Wort: „Schreibmaschine“. Sie weiss an sich, dass das eine Schreibmaschine ist. Sie will nur überprüfen, ob der Gegenstand noch immer so heisst wie ich ihn gestern schon – und vorgestern und manchen Tag davor auch – genannt habe. Dieses Spiel spielen wir noch mit anderen Gegenständen. Dabei entspanne ich mich zusehends. Schliesslich denke ich, dass ich ja in dieser Woche schon fast fünfzig Stunden gearbeitet habe (der Montag, der Pfarrersonntag, ist mal wieder kein solcher gewesen). Ich kann mir also schon einmal ein paar Stunden für meine Tochter frei nehmen. Ich höre jetzt auf mit der aussichtslosen Arbeit an meiner Predigt. Morgen ist auch noch ein Tag. Vielleicht läuft morgen alles etwas besser. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
„Was meinst du, Judith, wollen wir ein bisschen spazieren gehen?“
„Hm-hm“, wieder begeistertes Nicken.
So packe ich, sehr zum Erstaunen meiner Frau, mitten an einem Predigtfreitag meine Tochter in die Kinderkarre und wir marschieren los. Aus dem Dorf hinaus führt unser Weg vorbei an feuchten Weiden. Was es hier nicht alles zu sehen und zu hören gibt! Hinter einer Hecke ein sanftes Schnaufen, begleitet von einem rupfenden Geräusch. Judith stellt den Zeigefinger der Rechten auf: „Esemuh“, erklärt sie mir mit bedeutsamer M