Als wir schließlich mit dem Essen zu Ende waren, fesselten uns die Seleniten die Hände wieder eng zusammen, lösten dann die Ketten um unsere Füße und banden sie wieder, sodass sie uns eine beschränkte Bewegungsfreiheit gaben. Dann lösten sie die Ketten, die uns um den Leib liefen. Um all das zu tun, mussten sie uns frei handhaben, und hin und wieder kam mir einer ihrer wunderlichen Köpfe nah ans Gesicht, oder eine weiche Tasterhand berührte mir den Kopf oder den Hals. Ich erinnere mich nicht, dass ich damals Furcht hatte oder dass mich ihre Nähe abstieß. Ich glaube, unser unheilbarer Anthropomorphismus ließ uns innerhalb ihrer Masken menschliche Körper annehmen. Die Haut sah wie alles andere bläulich aus, aber das lag am Licht; und sie war hart und glänzend, ganz wie ein Käferflügel, nicht weich oder feucht oder behaart, wie sie bei einem Wirbeltier wäre. Den Kamm des Kopfes entlang lief ein Grat weißlicher Stacheln, die von hinten nach vorn zeigten, und ein weit größerer Kamm bog sich auf beiden Seiten über den Augen. Der Selenit, der mich losband, nahm seinen Mund den Händen zur Hilfe.
»Sie scheinen uns zu begreifen«, sagte Cavor. »Bedenken Sie, dass wir auf dem Mond sind! Machen Sie keine plötzlichen Bewegungen!«
»Wollen Sie es mit der Geometrie versuchen?«
»Wenn ich eine Gelegenheit bekomme. Aber natürlich machen sie vielleicht einen ersten Schritt.«
Wir blieben passiv, und als die Seleniten ihre Vorkehrungen beendet hatten, traten sie von uns zurück und schienen uns anzusehen. Ich sage, schienen, denn da ihre Augen seitlich standen und nicht nach vorn, so hatte man die gleiche Schwierigkeit, wenn man die Richtung feststellen wollte, in der sie blickten, auf die man im Fall einer Henne oder eines Fisches stößt. Sie sprachen miteinander in ihren Flötentönen, die nachzuahmen oder zu definieren mir unmöglich schien. Die Tür hinter uns öffnete sich weiter, und als ich über die Schulter blickte, sah ich dahinter einen unbestimmten weiten Raum, in dem ein ganz kleiner Auflauf von Seleniten stand. Es schien ein merkwürdig gemischter Haufe zu sein.
»Wollen sie, wir sollen diese Töne nachahmen?«, fragte ich Cavor.
»Ich glaube nicht«, sagte er.
»Mir scheint, sie versuchen, uns etwas verständlich zu machen.«
»Ich kann aus ihren Gesten nicht klug werden. Sehen Sie diesen da, der wie ein Mensch in ’nem unbequemen Kragen mit dem Kopf würgt?«
»Lassen Sie uns doch den Kopf gegen ihn schütteln.«
Wir taten das, und da wir es als wirkungslos erfanden, versuchten wir eine Nachahmung der Bewegungen der Seleniten. Auf jeden Fall begannen sie alle mit derselben Bewegung. Da das aber zu nichts zu führen schien, hörten wir schließlich auf, und auch sie taten das und begannen unter sich eine pfeifende Debatte. Dann kauerte sich plötzlich einer von ihnen, der kürzer und sehr viel dicker war als die anderen und einen besonders weiten Mund hatte, neben Cavor nieder und legte Hände und Füße in dieselbe Haltung, wie Cavors gebunden waren, und stand dann mit einer geschickten Bewegung auf.
»Cavor«, rief ich, »sie wollen, wir sollen aufstehn!«
Er starrte mich mit offenem Munde an. »Natürlich!«, sagte er.
Und mit vielem Winden und Grunzen – denn unsere Hände waren zusammengebunden – gelang es uns, uns auf die Füße zu arbeiten. Die Seleniten machten für unsere elefantenmäßigen Bewegungen Platz und schienen noch beredter zu zwitschern. Sobald wir auf den Füßen standen, kam der untersetzte Selenit, befühlte unsere Gesichter mit seinen Tastern und ging auf die offene Tür zu. Auch das war deutlich genug, und wir folgten ihm. Wir sahen, dass vier von den Seleniten, die in der Tür standen, viel größer waren als die anderen, und ebenso gekleidet wie die, die wir im Krater beobachtet hatten, nämlich mit runden, spitzigen Helmen und zylindrischen Leibeshüllen, und dass jeder der vier einen Treibstock mit Stachel und Schutzgriff trug, der aus demselben stumpfaussehenden Metall bestand wie die Schüsseln. Diese vier nahmen uns zwischen sich, je zwei zu beiden Seiten von uns, als wir aus unserm Raume in die Höhle auftauchten, aus der das Licht gekommen war.
Unseren Eindruck von dieser Höhle erhielten wir nicht sofort. Unsere Aufmerksamkeit war von den Bewegungen und Haltungen der Seleniten in Anspruch genommen, die uns unmittelbar umgaben, und von dem Zwange, unsere Bewegung zu beherrschen, damit wir sie nicht durch übermäßige Schritte erschreckten und ängstigten. Vor uns ging das kurze, untersetzte Wesen, das das Problem gelöst hatte, uns zum Aufstehn zu bewegen, und er bewegte sich mit Gesten, die uns fast alle verständlich erschienen und uns aufforderten, ihm zu folgen. Sein schnabelartiges Gesicht wandte sich mit einer Geschwindigkeit vom einen von uns zum anderen, die offenbar fragend war. Eine Zeit lang, sage ich, waren wir von diesen Dingen in Anspruch genommen.
Aber schließlich machte sich der große Raum, der den Hintergrund zu unsern Bewegungen abgab, geltend. Es stellte sich heraus, dass die Quelle wenigstens eines großen Teils des Tumults von Tönen, der unsere Ohren erfüllt hatte, seit wir uns von der Erstarrung durch den Pilz erholt hatten, eine riesige Masse von Maschinerie in Bewegung war, deren fliegende und wirbelnde Teile undeutlich über den Köpfen und zwischen den Körpern der Seleniten hindurch zu sehen waren, die um uns gingen. Und nicht nur das Gewebe von Tönen, das die Luft erfüllte, rührte von diesem Mechanismus her, sondern auch das eigentümliche blaue Licht, das den ganzen Raum durchstrahlte. Wir hatten es als etwas Natürliches hingenommen, dass eine unterirdische Höhle künstlich beleuchtet war, und noch jetzt, wo mir doch die Tatsache offen vor Augen lag, erfasste ich ihre Bedeutung nicht völlig, bis alsbald das Dunkel kam. Den Sinn und den Bau dieses riesigen Apparats, den wir sahen, kann ich nicht erklären, weil wir beide nicht erfuhren, wozu er da war und wie er arbeitete. Einer nach dem anderen flogen dicke metallene Schafte von seinem Zentrum aus und empor, deren Köpfe eine Kurve beschrieben, die mir parabolisch zu sein schien, und jeder warf ein Art baumelndes Armes aus, wenn er zu seinem Höhepunkt aufstieg und in einen vertikalen Zylinder niedertauchte, den er damit abwärts zwang. Darum bewegten sich die Gestalten von Wächtern, kleine Figuren, die irgendwie anders erschienen als die Wesen um uns. Wenn einer der drei baumelnden Arme der Maschine niedertauchte, gab es ein Geklirr und dann ein Brüllen, und aus dem vertikalen Zylinder floss oben dieser leuchtende Stoff über, der den Raum erhellte; er lief über, wie Milch in einem kochenden Topf überläuft, und tröpfelte unten leuchtend in einen Lichtkessel. Es war ein kaltes blaues Licht, eine Art phosphoreszierenden Scheins, nur unendlich viel heller, und aus den Kesseln, in die es fiel, lief es in Leitungen quer durch die Höhle.
Bum, bum, bum, bum, bum machten die fliegenden Arme dieses unverständlichen Apparats, und die Licht-Substanz zischte und floss. Anfangs schien uns das Ding nur ziemlich groß und uns nahe, und dann sah ich, wie außerordentlich klein die Seleniten darauf erschienen, und mir wurde die ganze Riesenhaftigkeit von Höhle und Maschine klar. Ich blickte nach dieser riesigen Affäre mit neuem Respekt auf die Gesichter der Seleniten. Ich stand still, und Cavor stand still und starrte diese kolossale Maschine an.
»Aber das ist unheimlich!«, sagte ich. »Wozu kann das sein?«
Cavors blaubeleuchtetes Gesicht war voll von intelligentem Respekt. »Ich kann nicht träumen! Diese Dinge sind doch – Menschen könnten kein solches Ding machen! Sehen Sie die Arme an, laufen die auf Kurbelstangen?«
Der untersetzte Selenit war, ohne auf uns zu achten, ein paar Schritte weitergegangen. Er kehrte um und blieb zwischen uns und der großen Maschine stehen. Ich vermied ihn anzusehen, weil ich irgendwie erriet, dass er uns weiter winken wollte. Er ging in der Richtung, in der er uns vorwärts haben wollte, drehte sich um und kam zurück und schnippte uns ins Gesicht, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen.
Cavor und ich sahen einander an.
»Können wir ihm nicht zeigen, dass wir uns für die Maschine interessieren?«, sagte ich.
»Ja«, sagte Cavor, »wir wollen es versuchen.« Er wandte sich zu unserm Führer, lächelte, zeigte auf die Maschine, zeigte nochmals, zeigte auf seinen Kopf und dann wieder auf die Maschine. Aus irgendwelchen mangelhaften Schlüssen heraus schien er anzunehmen, gebrochenes Reden könne diese Gesten unterstützen.
»Mich ihm sehen«, sagte er, »mich ihm sehr hochhalten. Ja.«
Sein Benehmen schien die Seleniten in ihrem Verlangen, dass wir weitergehen sollten, einen Moment aufzuhalten. Sie wandten sich einander zu, ihre wunderlichen Köpfe bewegten sich, die zwitschernden Stimmen waren rasch und flüssig zu hören. Dann schlang einer von ihnen, ein hageres, großes Geschöpf, das außer der Kleidung der anderen eine Art Mantel trug, Cavor den Elefantenrüssel-Arm um die Hüften und zog ihn sanft unserm Führer nach, der wieder vorausging.
Cavor leistete Widerstand. »Wir können gerade so gut jetzt beginnen, uns verständlich zu machen. Sie könnten denken, wir sind neue Tiere, vielleicht eine neue Art Mondkalb! Es ist von höchster Wichtigkeit, dass wir von Anbeginn ein intellektuelles Interesse zeigen.«
Er begann heftig den Kopf zu schütteln. »Nein, nein«, sagte er, »ich eine Minute nicht weiter kommen. Mich ihn ansehen.«
»Gibt es nicht irgend etwas Geometrisches, was man à propos dieses Dings da zeigen könnte?«, schlug ich vor, als die Seleniten wieder konferierten.
»Vielleicht eine parabolische –« begann er.
Er schrie laut auf und sprang sechs Fuß hoch oder noch mehr.
Einer der vier bewaffneten Mondleute hatte ihn mit seinem Stachel gestochen!
Ich wandte mich mit einer raschen, drohenden Geste gegen den Stachelträger hinter mir, und er fuhr zurück. Das und Cavors plötzlicher Schrei und Sprung erstaunte klärlich alle Seleniten. Sie wichen hastig, uns zugewandt, zurück. Einen jener Momente lang, die ewig zu dauern schienen, standen wir in zornigem Protest da, mit einem zerstreuten Halbkreis dieser unmenschlichen Wesen um uns.
»Er hat mich gestochen!«, sagte Cavor mit stockender Stimme.
»Ich sah ihn«, antwortete ich.
»Zum Henker!«, sagte ich zu den Seleniten, »das lassen wir uns nicht gefallen! Für was auf aller Welt halten Sie uns?«
Ich blickte rasch nach links und rechts. In großer Ferne sah ich durch die blaue Höhlenwildnis eine Anzahl weiterer Seleniten auf uns zulaufen; breite und schlanke waren es, und einer hatte einen größeren Kopf als die anderen. Die Höhle erstreckte sich weit und niedrig hin und verlor sich nach allen Richtungen ins Dunkel. Ihr Dach, entsinne ich mich, schien sich wie unter dem Gewicht der ungeheuren Felsendicke, die uns gefangen hielt, herabzubauchen. Es gab keinen Weg hinaus – keinen Weg hinaus. Oben, unten, in allen Richtungen war das Unbekannte und diese menschlichen Geschöpfe mit ihren Stacheln und Gesten, die uns entgegenstanden, uns zwei wehrlosen Menschen.
Nur einen Moment dauerte diese feindselige Pause. Ich glaube, sowohl wir wie die Seleniten vollführten einiges rasche Denken. Mein klarster Eindruck war der, dass nichts vorhanden war, wogegen ich den Rücken stellen konnte, und dass wir sicher würden umringt und getötet werden. Die überwältigende Narrheit unserer Anwesenheit dort ragte in schwarzem, ungeheurem Vorwurf über mir. Warum hatte ich mich je auf diese wahnsinnige, unmenschliche Expedition begeben?
Cavor kam an meine Seite und legte mir die Hand auf den Arm. Sein blasses und erschrecktes Gesicht sah in dem blauen Licht gespenstisch aus.
»Wir können nichts machen«, sagte er. »Es ist ein Irrtum. Sie verstehen uns nicht. Wir müssen mitgehen. Wie sie wollen, dass wir gehen.«
Ich blickte auf ihn nieder und dann auf die frischen Seleniten, die ihren Genossen zu Hilfe kamen. »Wenn ich nur die Hände frei hätte –«
»Es nützt nichts«, keuchte er.
»Nein.«
»Wir wollen mitgehen.«
Und er machte kehrt und führte in der Richtung, die uns angegeben war.
Ich folgte, indem ich versuchte, so unterwürfig auszusehen wie möglich, und tastete nach den Ketten um meine Handgelenke. Mir kochte das Blut. Ich sah nichts mehr von der Höhle, obgleich es lange Zeit zu dauern schien, ehe wir hindurchgegangen waren; oder wenn ich noch etwas sah, so vergaß ich es, während ich es sah. Meine Gedanken, glaube ich, waren auf meine Ketten und auf die Seleniten konzentriert, und besonders auf die behelmten mit den Stacheln. Erst gingen sie parallel mit uns und in achtungsvoller Entfernung, aber alsbald wurden sie von drei weiteren eingeholt, und da kamen sie näher, bis sie wieder in Armesweite waren. Ich zuckte wie ein geschlagenes Pferd, als sie uns nahe kamen. Der kürzere, dickere Selenit ging erst auf unserer rechten Flanke, kam aber dann wieder vor uns.
Wie gut sich mir das Bild dieser Gruppierung in das Gehirn gegraben hat: der Rücken von Cavors gesenktem Kopfe gerade vor mir, darunter seine niedergeschlagen hängenden Schultern, und dann das starrende Gesicht unseres Führers, das sich beständig ruckweise drehte, und die Stachelträger zu beiden Seiten, wachsam, aber mit offenem Munde – ein blaues Monochrom. Und schließlich erinnere ich mich doch noch einer Einzelheit außer der rein persönlichen Sache, und das ist, dass alsbald eine Art Gosse über den Boden der Höhle und dann seitwärts an dem Felsenpfade, dem wir folgten, entlang führte. Und sie war voll von demselben hellen, blauen, leuchtenden Stoff, der aus der Maschine floss. Ich ging dicht an ihm hin, und ich kann bezeugen, dass er kein Partikelchen Wärme ausstrahlte. Er leuchtete hell und war doch weder wärmer noch kälter als irgend sonst etwas in der Höhle.
Bum, bum, bum, kamen wir gerade unter den Hebeln einer zweiten riesigen Maschine durch, und so gelangten wir schließlich in einen weiten Tunnel, in dem wir sogar das Klipp-klapp unserer unbeschuhten Füße hören konnten, und der, abgesehn von dem rieselnden blauen Faden rechts von uns ganz unbeleuchtet war. Die Schatten machten auf der unregelmäßigen Wand und dem Dache des Tunnels gigantische Travestien aus unseren Gestalten und denen der Seleniten. Hin und wieder blitzten Kristalle in den Tunnelwänden wie Edelsteine, hin und wieder erweiterte sich der Tunnel zu einer Tropfsteinhöhle, oder er gab Zweige ab, die ins Dunkel verschwanden.
Wir schienen den Tunnel eine lange Zeit hinabzugehen. »Tripp, tripp«, lief das fließende Licht sehr leise, und unsere Schritte und ihr Echo gaben ein unregelmäßiges Klipp-klapp. Mein Geist wandte sich ausschließlich der Frage meiner Ketten zu. Wenn ich eine Windung so abstreifte, und sie dann so herumzerrte …
Wenn ich es sehr allmählich zu tun versuchte, würden sie da merken, dass ich mein Handgelenk aus der loseren Schlinge zog? Und wenn sie es merkten, was würden sie tun?
»Bedford«, sagte Cavor, »es geht abwärts. Es geht fortwährend abwärts.«
Seine Bemerkung weckte mich aus meiner finsteren Eingenommenheit.
»Wenn sie uns töten wollten«, sagte er, indem er zurückblieb, um neben mich zu kommen, »so ist kein Grund, warum sie es nicht schon getan haben sollten.«
»Nein«, sagte ich, »das ist wahr.«
»Sie verstehen uns nicht«, sagte er, »sie meinen, wir sind nur fremde Tiere, irgendeine wilde Art von Mondkalb vielleicht. Erst, wenn sie uns besser beobachtet haben, werden sie zu glauben anfangen, dass wir Geister haben – –«
»Wenn Sie diese geometrischen Probleme zeichnen«, sagte ich.
»Vielleicht wird das gehen.«
Wir trabten eine Weile weiter.
»Sie sehen«, sagte Cavor, »dies können Seleniten niederer Art sein.«
»Die höllischen Narren!«, sagte ich giftig, indem ich ihre aufreizenden Gesichter ansah.
»Wenn wir ertragen, was sie uns antun –«
»Wir haben es zu ertragen«, sagte ich.
»Vielleicht gibt es andere weniger stupide. Dies ist erst der äußere Saum ihrer Welt. Es muss hinuntergehen und hinunter, Höhle, Gang, Tunnel, hinunter schließlich zum Meer – Hunderte von Meilen unter uns.«
Seine Worte brachten meine Gedanken auf die Meile oder so von Felsen und Tunnels, die schon über unsern Köpfen liegen mochten. Es war, wie wenn mir ein Gewicht auf die Schultern sank. »Fort von der Sonne und der Luft«, sagte ich. »Schon eine Mine, die eine halbe Meile tief ist, ist drückend.«
»Dies hier ist es auf jeden Fall nicht. Es ist wahrscheinlich – Ventilation! Die Luft muss von der dunklen Seite des Mondes zur sonnenbeleuchteten blasen, und all die Kohlensäure muss da herausquellen und diese Pflanzen nähren. Diesen Tunnel, zum Beispiel, weht eine ordentliche Brise hinauf. Und was für eine Welt das sein muss! Die Probe haben wir in jenem Schachte und diesen Maschinen – –«
»Und der Stachel«, sagte ich. »Vergessen Sie den Stachel nicht!«
Er ging eine Zeit lang ein wenig vor mir her.
»Selbst dieser Stachel –« sagte er.
»Nun?«
»Zuerst war ich wütend. Aber – – Vielleicht war es nötig, dass wir weitergingen. Sie haben eine andere Haut und wahrscheinlich sehr andere Nerven. Sie verstehen vielleicht unsern Einwand nicht. – Genau wie ein Wesen vom Mars vielleicht unsere irdische Gewohnheit des Rippenstoßes nicht möchte – –«
»Man täte gut, sich zu besinnen, ehe man mir Rippenstöße gäbe!«
»Und mit dieser Geometrie. Schließlich ist ihr Weg auch ein Weg der Verständigung. Sie beginnen mit den Elementen des Lebens, und nicht des Denkens. Nahrung. Zwang. Schmerz. Sie suchen fundamentale Begriffe.«
»Darüber kann kein Zweifel herrschen«, sagte ich.
Er redete weiter von der ungeheuren und wundervollen Welt, in die wir gebracht wurden. Mir wurde allmählich aus seinem Ton klar, dass er selbst jetzt noch nicht völlig an der Aussicht verzweifelte, immer tiefer in diesen unmenschlichen Planetenbau hinabzusteigen. Seine Gedanken drehten sich um Maschinen und Erfindung und schlossen tausend dunkle Dinge, die mich bedrängten, völlig aus. Nicht als ob er aus diesen Dingen irgendwelchen Nutzen ziehen wollte, er wollte sie einfach kennen lernen.
»Schließlich«, sagte er, »ist dies eine kolossale Gelegenheit. Es ist die Begegnung zweier Welten! Was werden wir zu sehen bekommen? Denken Sie nur, was hier unter uns ist.«
»Wenn das Licht nicht besser ist, werden wir nicht viel sehen«, bemerkte ich.
»Dies ist nur erst die äußere Kruste. Da unten – Bei diesem Maßstab – Da muss alles sein. Merken Sie, wie verschieden sie untereinander scheinen! Die Geschichte, die wir mit zurücknehmen werden!«
»Irgendein seltenes Tier«, sagte ich, »könnte sich so trösten, wenn man es in den Zoologischen Garten bringt … Daraus folgt nicht, dass man uns all diese Dinge zeigen wird.«
»Wenn sie merken, dass wir vernunftbegabte Geister haben«, sagte Cavor, »werden sie alles über die Erde erfahren wollen. Selbst wenn sie keine großmütigen Regungen haben, werden sie lehren, um zu lernen … Und was sie alles wissen müssen! Die unerhörten Dinge!«
Er spekulierte weiter über die Möglichkeit, dass sie Dinge wussten, die zu erfahren er auf der Erde niemals gehofft hatte, und auf diese Weise spekulierte er mit einer offenen Wunde von dem Stachel schon in seiner Haut! Vieles, was er sagte, weiß ich nicht mehr, denn meine Aufmerksamkeit wurde auf die Tatsache gelenkt, dass der Tunnel, den wir entlang gegangen waren, sich weiter und weiter öffnete. Wir schienen, dem Gefühl der Luft nach, in einen riesigen Raum hinauszugehen. Aber wie groß der Raum in Wirklichkeit sein mochte, konnten wir nicht sagen, weil er unerleuchtet war. Unser kleiner Lichtstrom rann in immer dünnerem Faden und verschwand weit voraus. Plötzlich waren die Felsenwände auf beiden Seiten völlig verschwunden. Es war nichts zu sehen als der Pfad vor uns und das rieselnde eilende Rinnsal blauer Phosphoreszenz. Die Gestalten Cavors und des führenden Seleniten zogen vor mir her, die dem Rinnsal zugewandten Seiten ihrer Beine und Köpfe waren klar und hellblau, ihre dunklen Seiten tauchten jetzt, wo der Widerschein von der Tunnelwand sie nicht mehr beleuchtete, ununterscheidbar in die Dunkelheit daneben hinein.
Und bald merkte ich, dass wir uns irgendwelchem Abhang näherten, da der kleine blaue Strom plötzlich außer Sicht tauchte.
Im nächsten Moment, schien es, hatten wir den Rand erreicht. Der leuchtende Strom machte eine zögernde Windung und stürzte dann hinunter. Er fiel in eine Tiefe, dass uns der Schall seines Falles völlig verloren war. Weit unten sahen wir einen bläulichen Schein, eine Art blauen Nebels – in unendlicher Ferne unten. Und die Dunkelheit, aus der der Strom fiel, wurde ganz leer und schwarz, nur dass etwas wie eine Planke vom Rande der Klippe vorsprang, sich streckte, verblasste und völlig verschwand. Aus dem Abgrund blies eine warme Luft empor.
Einen Moment traten Cavor und ich dem Rande so nah, wie wir wagten und spähten in die blaugetönte Tiefe nieder. Und dann zog unser Führer mich am Arm.
Dann verließ er mich und ging an das Ende der Planke und trat darauf, indem er zurückblickte. Und als er sah, dass wir ihn beobachteten, drehte er sich wieder um und ging auf ihr weiter; er ging so sicher wie auf festem Lande. Einen Moment noch war seine Gestalt deutlich, dann wurde er ein blauer Fleck und verschwand in die Finsternis. Ich sah, dass eine unbestimmte Gestalt dunkel aus der Schwärze hervorragte.
Es folgte eine Pause. »Aber sicherlich –!«, sagte Cavor.
Einer der Seleniten ging ein paar Schritte auf die Planke hinauf, drehte sich um und blickte unbekümmert auf uns zurück. Die anderen standen bereit, uns zu folgen. Die erwartende Gestalt unseres Führers erschien von neuem. Er kehrte zurück, um zu sehen, warum wir nicht weitergegangen waren.
»Was ist das dahinter?«, fragte ich.
»Ich kann’s nicht sehen.«
»Wir können dies um keinen Preis überschreiten«, sagte ich.
»Ich könnte keine drei Schritte weit darauf gehen«, sagte Cavor, »selbst mit freien Händen nicht.«
Wir blickten uns mit heller Bestürzung in die langgezogenen Gesichter.
»Sie können nicht wissen, was es heißt, wenn einem schwindlig ist!«, sagte Cavor.
»Es ist für uns ganz unmöglich, über die Planke da zu gehen.«
»Ich glaube, sie sehen nicht wie wir. Ich habe sie beobachtet. Ich möchte wissen, ob sie wissen, dass dies für uns einfach schwarz ist. Wie können wir es ihnen begreiflich machen?«
»Einerlei, wie, wir müssen es ihnen begreiflich machen.«
Ich glaube, wir sagten diese Dinge mit einer unbestimmten Halbhoffnung, die Seleniten würden uns irgendwie verstehen. Ich wusste ganz klar, dass nichts nötig war als eine Erklärung. Dann sah ich ihre Gesichter, und erkannte, dass eine Erklärung unmöglich war. Gerade hier sollten unsere Ähnlichkeiten unsere Verschiedenheiten nicht überbrücken. Nun, auf jeden Fall wollte ich nicht über die Planke gehen. Ich zog sehr rasch das Handgelenk aus der gelockerten Kettenschlinge und begann dann die Handgelenke in entgegengesetzten Richtungen zu winden. Ich stand der Brücke am nächsten, und als ich dies tat, fassten mich zwei der Seleniten und zogen mich leicht darauf zu.
Ich schüttelte heftig den Kopf. »Nicht gehen«, sagte ich, »nichts nützen. Ihr versteht nicht.«
Ein dritter Selenit fügte seinen Druck hinzu. Ich war gezwungen, vorwärts zu gehen.
»Ich habe eine Idee«, sagte Cavor, aber ich kannte seine Ideen.
»Hört’ mal!«, rief ich den Seleniten zu. »Sachte voran! Das ist für euch alles recht schön und gut – –«
Ich sprang herum. Ich brach in Flüche aus. Denn einer der Seleniten hatte mich hinten mit seinem Stachel gestochen.
Ich rang meine Handgelenke aus den kleinen Tastern, die sie hielten, los. Ich wandte mich gegen den Stachelträger. »Zum Henker mit dir!«, schrie ich. »Davor hab’ ich euch gewarnt. Woraus in aller Welt meint ihr, dass ich bestehe, dass ihr mich stecht? Wenn ihr mich noch einmal berührt – –!«
Als Antwort stach er mich alsbald.
Ich hörte Cavors Stimme in Schreck und Bitte. Selbst da noch, glaube ich, wollte er mit diesen Geschöpfen verhandeln. »Hören Sie, Bedford«, rief er, »ich weiß einen Weg!« Aber der Stachel dieses zweiten Stichs schien eine eingedämmte Reserve von Energie in meinem Wesen freizumachen. Im Nu schnappte ein Glied der Handgelenkskette, und mit ihm schnappten alle Erwägungen, die uns widerstandslos in den Händen dieser Mondgeschöpfe festgehalten hatten. In dieser Sekunde wenigstens war ich rasend vor Furcht und Wut. Ich schlug dem Wesen mit dem Spieße gerade ins Gesicht hinein. Die Kette hatte ich um die Faust gewickelt …
Das gab wieder eine von den scheußlichen Überraschungen, von denen die Mondwelt voll ist.
Meine gepanzerte Hand schien einfach durch ihn durchzuschlagen. Er spritzte wie – wie irgendwelches weichliche Konfekt mit Likör darin auseinander! Er zerbrach einfach! Er zerquetschte und zerspritzte! Es war, wie wenn man feuchten Kuckucksspeichel trifft. Der zerbrechliche Rumpf flog ein Dutzend Meter weit und fiel mit schlottrigem Stoße auf. Ich war erstaunt. Es war nicht zu glauben, dass ein lebendes Wesen so nichtig sein konnte. Einen Moment hätte ich das Ganze für einen Traum halten können.
Dann war es wieder wirklich und unmittelbar. Weder Cavor noch die anderen Seleniten schienen von dem Moment an, als ich mich umgedreht hatte, bis zu dem Moment, als der tote Selenit den Boden traf, irgend etwas getan zu haben. Alle traten von uns beiden zurück, alle waren wach. Dieser Halt schien wenigstens eine Sekunde zu dauern, nachdem der Selenit schon lag. Sie müssen sich das alle erst klar gemacht haben. Mir ist, ich erinnere mich, wie ich mir die Sache gleichfalls klar machte. »Was nun?«, schrie mein Gehirn! »was nun?« Dann war im Nu alles in Bewegung.
Ich sah, wir mussten unsere Ketten los bekommen, und ehe wir dies tun konnten, mussten diese Seleniten abgeschlagen werden. Ich drehte mich zu der Gruppe der drei Stachelträger. Sofort warf einer seinen Spieß nach mir. Er schwirrte mir über den Kopf, und ich glaube, er flog in den Abgrund hinter mir.
Ich sprang mit aller Macht gerade auf ihn los, als der Spieß über mich wegflog. Er wandte sich zur Flucht, als ich sprang, und ich warf ihn zu Boden, trat auf ihn, glitt auf seinem zerschmetterten Körper aus und fiel. Er schien sich unter meinem Fuße zu winden.
Ich kam in sitzende Stellung, und auf allen Seiten flohen die blauen Rücken der Seleniten ins Dunkel. Ich bog gewaltsam ein Glied auseinander, wand die Kette los, die mich an den Knöcheln gehindert hatte und sprang auf die Füße, mit der Kette in der Hand. Noch ein Stachelspieß, der wie ein Speer geworfen wurde, pfiff an mir vorbei und ich machte einen Vorstoß gegen das Dunkel, aus dem er gekommen war. Dann wandte ich mich zu Cavor zurück, der noch im Lichte des Rinnsals an dem Abgrunde stand und sich krampfhaft mit seinen Handgelenken zu schaffen machte, während er zugleich Unsinn über seine Idee faselte.
»Kommen Sie!«, rief ich.
»Meine Hände!«, antwortete er.
Dann merkte er, dass ich nicht zu ihm zurückzulaufen wagen konnte, weil meine schlecht berechneten Schritte mich über den Rand hinaustragen konnten, und so kam er, die Hände vor sich ausgestreckt, zu mir gewackelt.