Nach dem Essen krochen wir wieder in die Waschkammer zurück; dort muss ich wieder eingeschlummert sein, denn als ich erwachte, fand ich mich allein. Das Aufschlagen und die Erschütterung dauerten mit ermüdender Hartnäckigkeit an. Mehrere Male rief ich flüsternd nach dem Kuraten; endlich tastete ich mich nach der Küchentür hin. Noch war es Tag und ich bemerkte meinen Gefährten, wie er am anderen Ende der Küche gegen das dreieckige Loch zu, das auf die Marsleute hinabsah, ausgestreckt lag. Seine Schultern waren in die Höhe gezogen, sodass ich seinen Kopf nicht sehen konnte.
Ich vernahm ein Gewirr von Geräuschen, die fast an den Lärm erinnerten, der aus einem Lokomotivschuppen tönt. Der Boden schwankte unter den heftigen Schlägen. Durch die Maueröffnung konnte ich den von der Sonne vergoldeten Wipfel eines Baumes und das warme Blau eines friedlichen Abendhimmels sehen. Eine Minute etwa blieb ich stehen und beobachtete den Kuraten, dann schritt ich gebückt weiter und bemühte mich, mit äußerster Behutsamkeit durch die Mengen von Scherben zu gehen, die den Boden bedeckten.
Ich berührte das Bein des Kuraten und er schreckte so heftig zurück, dass sich draußen eine Menge Mörtel loslöste und mit lautem Geräusch zu Boden fiel. Aus Furcht, er könnte schreien, packte ich seinen Arm, und lange Zeit kauerten wir bewegungslos nebeneinander. Dann wandte ich mich, um zu sehen, wie viel noch von unserer Festung stehengeblieben war. Die Loslösung des Mörtels hatte einen senkrechten Spalt in der zerstörten Mauer gebildet, und indem ich mich vorsichtig über einen Balken beugte, war ich imstande von dieser Lücke aus das zu erblicken, was vorige Nacht noch eine stille Vorstadtstraße gewesen war. Die Veränderung, die wir erblickten, war in der Tat erstaunlich.
Der fünfte Zylinder muss mitten in das Haus hineingefahren sein, das wir zuerst betreten hatten. Das Gebäude war verschwunden, vollkommen zerschmettert, durch die Wucht des Stoßes zermalmt und zerstoben. Der Zylinder lag nun weit unter den ursprünglichen Grundmauern, tief in einem Loch drin, das noch unendlich größer war, als die Grube, in die ich bei Woking hineingeblickt hatte. Die Erde rings um den Zylinder herum war bei der ungeheuren Wucht des Einfalls aufgespritzt — »gespritzt« sage ich, das ist der einzige, zutreffende Ausdruck — und lag in aufgetürmten Haufen da, welche die Nebenhäuser verbargen. Sie war gewichen wie Lehm unter dem Aufschlag eines mächtigen Hammers. Unser Haus war nach rückwärts eingesunken, sein vorderer Teil, selbst im Erdgeschoss, war vollständig zerstört; durch einen Zufall blieben die Küche und die Waschkammer unversehrt, lagen aber unter dem Boden und unter den Trümmern begraben, auf allen Seiten, außer der nach dem Zylinder zugewendeten, von Erdmassen bedeckt. Über all dem hingen wir nun dicht am Rande der großen, kreisrunden Grube, die zu erweitern die Marsleute eifrig beschäftigt waren. Das heftige, stoßende Geräusch war offenbar hart neben uns, und dann und wann zog ein glänzender, grüner Dampf wie ein Schleier über unser Guckloch hin aufwärts.
Im Mittelpunkt der Grube war der schon geöffnete Zylinder und am anderen Ende, mitten in einem zerrissenen und mit Kies bedeckten Gebüsch, stand eine der großen Kriegsmaschinen. Sie war von ihrem Lenker verlassen und hob sich mächtig vom Abendhimmel ab. Anfangs bemerkte ich kaum die Grube, noch den Zylinder (ich hielt es nur für gut, sie zuerst zu beschreiben). Mein Blick wurde besonders durch die ungewöhnlich glitzernden, mit der Aushöhlung beschäftigten Mechanismen und durch die seltsamen Geschöpfe gefesselt, die langsam und schwerfällig über den angehäuften Lehm krochen.
Die mechanischen Werkzeuge waren es, die meine Aufmerksamkeit zunächst in Beschlag nahmen. Das Werkzeug, das ich jetzt sah, war eines jener komplizierten Erzeugnisse, die man seither Hebemaschinen1 genannt hat, und deren Studium zu einem ungeheuren Ansporn für die irdische Erfindungskraft geworden ist. Als es mir zuerst zu Gesicht kam, machte es mir den Eindruck einer metallenen Spinne mit fünf gegliederten und leicht beweglichen Beinen, mit einer außergewöhnlichen Anzahl zusammengefügter Hebel und Riegel und mit langenden und greifenden Fühlern an seinem Körper. Die meisten Arme der Maschine waren eingezogen, aber mit drei langen Fühlern fischte sie eine Anzahl Stäbe, Platten und Riegel heraus, die offenbar die Kraft seiner Hände verstärkten. Sobald die Maschine diese Gegenstände herausgehoben hatte, legte sie alle auf eine mit dem Erdboden gleichlaufende Fläche hinter ihr.
Ihre Bewegungen waren so schnell, so gut ineinandergreifend, so vollkommen, dass ich sie trotz ihres metallischen Gefunkels gar nicht für eine Maschine hielt. Die Kriegsmaschinen waren zusammengesetzt und bis zu einem außergewöhnlichen Grad belebt worden, aber mit dieser Maschine können sie nicht verglichen werden. Leute, die ihr Gefüge nie gesehen haben, oder die keinen anderen Vorstellungsbehelf besitzen, als die mangelhaften Studien von Künstlern, oder die unvollkommenen Beschreibungen von Augenzeugen, wie ich es bin, können sich nur schwer ein Bild jenes lebendigen Gefüges machen.
Ich entsinne mich besonders des Bildes in einer der ersten Schriften, die eine zusammenhängende Darstellung des Krieges enthielten. Der Künstler hatte offenbar einen flüchtigen Umriss von einer der Kriegsmaschinen gemacht und damit hörten seine Kenntnisse auf. Er stellte sie dar als steife, mit einem Dach versehene Dreifüße, ohne Biegsamkeit und Gewandtheit, mit einer irreführenden Eintönigkeit in ihrer Wirkung. Die Schrift, welche diese Schilderung enthielt, hatte einen bedeutenden Ruf, und ich erwähne sie hier nur, um den Leser vor den Eindrücken zu warnen, die sie hervorgebracht haben mag. Dieses Bild glich den Marsleuten, die ich in Tätigkeit sah, um kein Haar mehr, als etwa eine Puppe einem menschlichen Wesen. Für meine Begriffe hätte die Schrift ohne das Bild an Wert gewonnen.
Anfangs machte mir, wie gesagt, die Hebemaschine nicht den Eindruck einer Maschine, sondern den eines krebsartigen Geschöpfes mit einer funkelnden Deckhaut; der überwachende Marsmann, dessen zarte Tentakeln ihre Bewegungen leiteten, schien einfach der Ersatz der Gehirnteile eines Krebses zu sein. Aber dann bemerkte ich die Ähnlichkeit seiner graubraunen, öligen, lederartigen Oberhaut mit jener der unten umherkriechenden Körper, und jetzt erst ging mir ein Licht über die wahre Art dieses geschickten Arbeiters auf. Nach dieser Feststellung wandte sich meine Aufmerksamkeit jenen anderen Geschöpfen zu, den eigentlichen Marsleuten. Ich hatte ja schon einmal einen flüchtigen Eindruck von ihnen gewonnen, und das ursprüngliche Gefühl des Ekels konnte meine Beobachtung nicht mehr trüben. Überdies war ich ja verborgen und regungslos, und war von keinem Zwang zu handeln bestimmt.
Die Marsleute waren, wie ich jetzt sehen konnte, Geschöpfe, deren Bau allen irdischen Begriffen Hohn sprach. Ungeheure runde Körper — oder besser gesagt, Köpfe — etwa vier Fuß im Durchmesser. Jeder dieser Körper hatte mitten auf seiner Vorderseite ein Gesicht; dieses Gesicht hatte keine Nasenlöcher — den Marsleuten schien in der Tat jeder Geruchssinn gefehlt zu haben — aber es hatte ein Paar sehr großer, dunkelgefärbter Augen und gerade darunter eine Art fleischigen Schnabels. Auf der Rückseite dieses Kopfes oder Körpers — ich weiß kaum, wie ich es nennen soll — befand sich eine einzige straffe trommelfellartige Fläche, die seither anatomisch als Ohr bezeichnet wurde, obwohl sie in unserer dichteren Luft fast nutzlos gewesen sein muss. In einer Gruppe um die Mundöffnung herum hingen sechzehn zarte, fast peitschenartige Tentakeln herab, auf jeder Seite zwei Büschel zu acht. Diese Büschel wurden seither von dem ausgezeichneten Anatomen, Professor Howes, sehr zutreffend »Hände« genannt. Schon als ich diese Marsleute zum ersten Male sah, machte es mir den Anschein, als bemühten sie sich, mithilfe dieser Hände sich aufzurichten. Aber infolge des vergrößerten Gewichtes in der Erdatmosphäre war es ihnen natürlich unmöglich. Es ist Grund genug für die Annahme vorhanden, dass sie sich auf dem Mars mit ziemlich großer Leichtigkeit auf ihnen fortbewegen konnten.
Der Bau ihres inneren Körpers — es sei mir gestattet, dieses hier zu bemerken — war, wie der anatomische Befund seither lehrte, fast ebenso einfach. Den größten Teil ihres Gefüges nahm das Gehirn ein, das ungeheure Nervenstränge zu den Augen, den Ohren und den Tastwerkzeugen aussendete. Außerdem waren vollständige Lungen, in die sich die Mundhöhle öffnete, das Herz und seine Gefäße vorhanden. Die Störung ihrer Atmungsorgane, die durch die dichtere Luft und die größere Anziehungskraft der Erde hervorgerufen wurde, konnte nur zu deutlich an den heftigen Bewegungen der äußeren Haut wahrgenommen werden.
Und damit ist die Aufzählung der Organe der Marsleute erschöpft. So seltsam es auch einem menschlichen Wesen scheinen mag, das verwickelte Gefüge der Verdauungswerkzeuge, das den Hauptbestandteil unseres Körpers bildet, war bei den Marsleuten überhaupt nicht vorhanden. Sie waren Köpfe, nichts als Köpfe. Sie hatten keine Eingeweide. Sie aßen nicht, brauchten also auch nicht zu verdauen. Statt dessen nahmen sie das frische, lebende Blut anderer Geschöpfe und führten es in ihre eigenen Adern ein. Ich habe selbst gesehen, wie das vor sich ging, und werde es an der geeigneten Stelle mitteilen. Aber, so empfindlich es klingen mag, ich kann es nicht über mich bringen, das ausführlich zu beschreiben, was länger zu beobachten ich nicht imstande war. Dies möge genügen: das einem noch lebenden animalischen Wesen, in den meisten Fällen einem Menschen, entzogene Blut wurde mittels eines kleinen Röhrchens in den Aufnahmekanal eingeführt.
Die bloße Vorstellung dieses Vorgangs erscheint uns ohne Zweifel grauenhaft und abstoßend, aber wir sollten zugleich erinnern, wie widerwärtig unsere fleischfressenden Gewohnheiten einem vernunftbegabten Kaninchen erscheinen würden.
Die physiologischen Vorteile dieses Gebrauches, Blut einzuführen, sind unleugbar, wenn man an die ungeheure Vergeudung menschlicher Zeit und menschlicher Kräfte denkt, die durch den Nahrungs- und den Verdauungsprozess verursacht wird. Unser Körper besteht zur Hälfte auf Drüsen und Röhren und Werkzeugen, die damit beschäftigt sind, andersgeartete Nahrung in Blut zu verwandeln. Die Beschaffenheit unserer Verdauung und ihre Rückwirkung auf unser Nervensystem saugen unsere Kräfte auf und geben unserer Gemütsart ihre Färbung. Die Leute sind glücklich oder elend, je nachdem ob sie eine heile oder kranke Leber oder gesunde gastrische Drüsen besitzen. Die Marsleute aber waren über alle diese Wechselfälle in Stimmungen und Empfindungen erhaben.
Ihre unbestreitbare Vorliebe für Menschen als Quellen ihrer Ernährung ist zum Teil erklärt durch die Beschaffenheit der Überbleibsel jener Opfer, die sie als Wegzehrung vom Mars mitgebracht hatten. Soweit man nach den eingeschrumpften Überbleibseln, die in menschliche Hände fielen, schließen kann, waren diese Geschöpfe Zweifüßer mit brüchigen, vertieften Knochengerüsten (ähnlich denen kieselhaltiger Schwämme), von schwacher Muskelbildung; sie waren im Durchschnitt sechs Fuß hoch, besaßen runde, aufrechte Köpfe und große Augen in schieferartigen Höhlen. Zwei oder drei von ihnen scheinen in jedem Zylinder mitgebracht worden zu sein; alle wurden getötet, bevor sie die Erde erreichten. Für sie war es wohl ebenso gut, denn nur der bloße Versuch, auf unserem Stern aufrecht zu stehen, hätte jeden Knochen in ihren Leibern gebrochen.
Weil ich schon daran bin, diese Beschreibung zu machen, will ich noch an dieser Stelle einige weitere Einzelheiten hinzufügen, die, wenn sie uns damals auch noch unbekannt waren, doch den Leser, der mit dem Leben der Marsleute nicht vertraut ist, in den Stand setzen werden, sich von diesen gefährlichen Eindringlingen eine deutlichere Vorstellung zu machen.
In drei anderen Punkten wich ihre Lebensweise seltsam von der unseren ab. Ihre Organismen schliefen ebenso wenig wie das Herz des Menschen schläft. Da sie nicht die Erholung von nennenswerten, körperlichen Anstrengungen wiederzuerlangen brauchten, war dieses zeitweilige Erlöschen ihnen unbekannt. Das Gefühl der Ermüdung besaßen sie nur in geringem Maße oder wahrscheinlich gar nicht. Auf der Erde können sie sich nie ohne Anstrengung bewegt haben, und doch waren sie bis zum letzten Augenblick in Tätigkeit. Während vierundzwanzig Stunden taten sie vierundzwanzigstündige Arbeit, sowie es auf Erden vielleicht bei den Ameisen der Fall ist.
Ferner, so wunderbar es in einer geschlechtlichen Welt erscheinen mag, waren die Marsleute durchaus geschlechtslos und daher von all den heftigen Erregungen frei, die in diesem Unterschied zwischen den Menschen ihren Ursprung besitzen. Es kann heute nicht mehr bestritten werden, dass während des Krieges ein Marskind auf der Erde geboren wurde; man fand es mit seinem Erzeuger verwachsen, teilweise abknospend, genau so wie kleine Lilienzwiebel abknospen oder die Jungen eines Süßwasserpolypen.
Bei dem Menschen, wie bei allen höher organisierten irdischen Lebewesen, ist diese Art von Fortpflanzung verschwunden; aber selbst auf dieser Erde war sie gewiss die ursprüngliche Art. In der niederen Tierwelt, selbst bei jenen ersten Verwandten der Wirbeltiere, den Tunikaten,2 kommen beide Vorgänge nebeneinander vor. Schließlich aber trug doch die geschlechtliche Vermehrung über ihren Mitbewerber vollständig den Sieg davon. Auf dem Mars indessen ist offenbar gerade das Gegenteil der Fall gewesen.
Es verdient hier hervorgehoben zu werden, dass ein findiger Kopf von nahezu wissenschaftlichem Ruf, der lange vor dem Einfall der Marsleute schrieb, den Menschen ein künftiges System vorhergesagt hat, das jenem nicht unähnlich war, das tatsächlich auf dem Mars herrschte. Seine Prophezeiung erschien, wenn ich mich recht erinnere, im November oder im Dezember 1893 in einer längst verschollenen Zeitschrift, dem »Pall Mall Budget«, und auch eine Karikatur davon kommt mir jetzt in Erinnerung, die in einem prä-marsianischen Witzblatt, dem »Punch«,3 stand. Der Schreiber wies in einem albern witzelnden Ton darauf hin, dass die Vervollkommnung der angewandten Mechanik schließlich die Glieder und die Vervollkommnung der Chemie die Verdauung überflüssig machen würden; dass solche Organe wie Haare, äußere Nasen, Zähne, Ohren, Kinn nicht länger wesentliche Teile des menschlichen Körpers sein würden, und dass in den kommenden Geschlechtern der Zug der natürlichen Zuchtwahl in der Richtung ihrer stetigen Abnahme liegen würde. Das Gehirn allein würde die Hauptnotwendigkeit bleiben. Nur noch ein Teil des menschlichen Körpers würde die Berechtigung besitzen, die übrigen zu überleben, und der sei die Hand, »der Lehrer und Lenker des Gehirns«. Während der übrige Leib verkümmern und verschwinden würde, würden die Hände immer größer werden.
In diesen Worten, wenn gleich im Scherz niedergeschrieben, findet sich manches Wahre; und hier bei den Marsleuten haben wir ohne Widerrede die tatsächliche Erfüllung jener Unterdrückung der animalischen Seite des Organismus durch die Vergeistigung gefunden. Es scheint mir ganz glaubwürdig, dass die Marsleute von Wesen abstammen mögen, die uns nicht unähnlich waren, und zwar durch die allmähliche Weiterentwicklung ihrer Gehirnteile und Hände (die Letzteren nahmen endlich die Gestalt jener zwei Büschel zarter Tentakeln an) auf Kosten des übrigen Körpers. Ohne den Leib musste das Gehirn selbstverständlich ein bei Weitem selbstsüchtigeres Geistesvermögen werden, als ohne die Gefühlsunterlage des menschlichen Wesens.
Der dritte springende Punkt, in dem die Daseinsbedingungen jener Geschöpfe von den unseren abwichen, ist in einer Tatsache zu suchen, die manchem vielleicht als eine sehr nebensächliche Besonderheit scheinen wird. Mikroorganismen, die so viel Krankheit und Schmerz auf Erden hervorrufen, haben sich auf dem Mars entweder nie gezeigt oder sind durch die hygienische Wissenschaft der Marsbewohner schon vor Zeiten ausgerottet worden. Alle die Hunderte von Leiden, die Fieberarten und ansteckenden Krankheiten, Auszehrung, Krebs, Tumor und ähnliche Leiden, drängen sich niemals, ihr Dasein hemmend, in ihr Leben. Und da ich schon von den Unterschieden zwischen dem Leben auf dem Mars und dem irdischen Leben spreche, möchte ich hier auch die seltsamen Vermutungen in der Frage des »roten Gewächses« erwähnen.
Offenbar ist das Pflanzenreich auf dem Mars, statt als vorherrschende Farbe das Grün zu besitzen, stark blutrot gefärbt. Auf alle Fälle brachten die Samen, welche die Marsleute absichtlich oder zufällig mitführten, ohne Ausnahme rotfarbige Pflanzen hervor. Indessen konnte nur jene Pflanze, die im Volksmunde als »rotes Gewächs« bekannt wurde, neben den irdischen Arten Ausbreitung gewinnen. Die rote Saitingpslanze4 besaß nur ein vorübergehendes Wachstum und nur wenige Leute haben sie gesehen. Eine Zeit lang jedoch wuchs das »rote Gewächs« mit erstaunlicher Kraft und Üppigkeit. Es breitete sich über die Ränder der Grube am dritten oder vierten Tag unserer Gefangenschaft aus, und seine kaktusartigen Zweige legten sich wie Fransen um den Mauerrahmen unseres dreieckigen Fensters. Später fand ich es allenthalben im Land verbreitet, ganz besonders dort, wo sich fließendes Wasser befand.
Die Marsleute besaßen, was man ein Hörwerkzeug nennen kann, eine einzige runde, trommelartige Fläche am Rücken ihres Kopfleibes, außerdem auch Augen von einer Sehbeschaffenheit, die sich von der unseren nicht sehr unterschied; außer dass, nach Philips, die Farben Blau und Violett ihnen als Schwarz erschienen. Man nimmt allgemein an, dass sie durch gewisse Laute und Bewegungen ihrer Tentakeln miteinander verkehrten; dies wird zum Beispiel in jener, von einer fähigen, aber oberflächlichen Hand verfassten Schrift behauptet (die offenbar von jemandem geschrieben ist, der kein Augenzeuge der Handlungen der Marsleute war); ich habe auf diese Schrift als die bisher verlässlichste Quelle für jene Ereignisse hingewiesen. Nun aber hat wohl kein überlebender Mensch so viel von den in Tätigkeit begriffenen Marsleuten gesehen wie ich. Ich bin weit entfernt, mich dieses Zufalles zu rühmen, aber es ist eine Tatsache. Und ich darf wohl behaupten, dass ich von Zeit zu Zeit sie scharf beobachtet habe und dass ich vier, fünf und einmal sechs von ihnen gesehen habe, wie sie mit äußerster Schwerfälligkeit die allerfeinsten und mühsamsten Arbeiten gemeinsam verrichteten, ohne jeden Laut, ohne jede Gebärde. Ihr eigentümliches Geheul ging ausnahmslos nur ihren Mahlzeiten voran. Es war durchaus eintönig und bedeutete, wie ich glaube, auf keinen Fall ein Signal, sondern einfach den Austritt von Luft, der den Vorgang der Bluteinführung einleitete. Ich kann einen gewissen Anspruch auf eine wenigstens oberflächliche Kenntnis von Psychologie erheben, und, was diese Frage betrifft, so bin ich überzeugt — so fest wie man nur von einer Sache überzeugt sein kann — dass die Marsleute ohne jede physische Vermittlung ihre Gedanken austauschten. Davon bin ich trotz einer starken Voreingenommenheit überzeugt. Vor dem Einfall der Marsleute habe ich nämlich, wie sich ein gelegentlicher Leser vielleicht hie und da erinnern wird, mit einiger Heftigkeit gegen die telepathische Theorie geschrieben.
Die Marsleute trugen keinerlei Kleidung. Ihre Begriffe von Schmuck und Anstand waren notwendig von den unseren verschieden. Auch waren sie offenbar nicht nur gegen den Witterungswechsel viel weniger empfindlich, als wir es sind, und dieser scheint ihre Gesundheit überhaupt nicht ernstlich gefährdet zu haben. Aber wenn sie auch keine Kleider trugen, so waren es doch jene anderen künstlichen Zutaten ihrer körperlichen Fähigkeiten, in denen ihre große Überlegenheit über die Menschen bestand. Wir Menschen mit unseren Fahrrädern und Schlittschuhen, unseren Flugmaschinen, Flinten und Stöcken und so weiter, stehen gerade an der Schwelle jener Entwicklung, welche die Marsleute bereits hinter sich haben. Sie sind tatsächlich eine bloße Gehirnmenge geworden, besitzen Körper, die ihren Bedürfnissen angepasst sind, genau so wie Menschen ihre Stoffanzüge tragen, oder nach dem Fahrrad greifen, wenn sie in Eile sind, oder nach dem Regenschirm, wenn es regnet.
In Bezug auf die Hilfsmittel der Marsleute ist für die Menschen vielleicht nichts wunderbarer als die merkwürdige Tatsache, dass ihnen jener Mechanismus, der der irdischen Technik das hervorragendste Gepräge verleiht, vollständig fehlt: das Rad. Unter allen den Dingen, die sie auf die Erde mitbrachten, ist nicht die leiseste Spur zu entdecken, die den Gebrauch von Rädern andeutete. Man hätte es wenigstens als Fortbewegungsmittel erwarten können. In diesem Zusammenhang schalte ich die sonderbare Beobachtung ein, dass selbst auf unserer Erde die Natur niemals auf das Rad abzielte, oder irgendwelche Voraussetzungen zu einer Entstehung schuf. Und die Marsleute kannten entweder das Rad nicht (was ich für unwahrscheinlich halte) oder sie benützten es nicht. Jedenfalls ist in ihren Werkzeugen die fixe oder die relativ fixe Achse mit den um sie herum stattfindenden, kreisenden Bewegungen auffallend wenig in Verwendung. Fast alle Glieder ihrer Maschinen stellen ein verwickeltes Gefüge von schleifenden Teilen dar, die sich auf kleinen, aber prächtig geschwungenen Reibestützen bewegen. Und da ich schon bei diesen Einzelheiten bin, will ich noch hervorheben, dass die langen Hebelarme ihrer Maschinen in den meisten Fällen mittels einer Art Scheinmuskulatur von Scheiben in elastischen Scheiden in Bewegung gesetzt werden; diese Scheiben werden polarisiert und dicht und mächtig zusammengezogen, wenn ein elektrischer Strom durch sie geleitet wird. Auf diese Weise entstand die merkwürdige Ähnlichkeit mit animalischen Bewegungen, die auf den menschlichen Beobachter so auffallend und verwirrend wirkte. Solche Quasimuskeln fanden sich besonders häufig bei der krebsähnlichen Hebemaschine, die ich beobachtete, wie sie während meines ersten Ausblicks aus der Mauerspalte den Zylinder auspackte. Diese Maschine glich unendlich mehr einem lebenden Wesen, als die wirklichen Marsleute, die drüben im Licht der untergehenden Sonne lagen, heftig keuchten, ihre Tentakeln zwecklos ausstreckten und sich nach ihrer unermesslichen Reise durch den Weltraum nur mühsam bewegen konnten.
Während ich noch ihre schwachen Bewegungen im Sonnenlicht beobachtete und mir jede seltsame Einzelheit ihrer Erscheinung genau einprägte, erinnerte mich der Kurat dadurch an seine Anwesenheit, dass er mich heftig am Arm zerrte. Ich wandte mich um und erblickte sein mürrisches Gesicht und seine schweigend beredten Lippen. Er wollte jetzt wieder an die Spalte, die nur einem zur Zeit hinauszuspähen gestattete; und so musste ich einige Zeit lang meine Beobachtungen aussetzen, während der Kurat sich seines Vorrechtes erfreute.
Als die Reihe wieder an mich kam, hatte die geschäftige Hebemaschine bereits einige der Gegenstände, die sie aus dem Zylinder hervorgeholt hatte, zu einem Apparat zusammengefügt, der eine unverkennbare Ähnlichkeit mit ihrer eigenen Form besaß. Und weiter unten zur Linken tauchte jetzt ein kleines grabspatenartiges Werkzeug auf, das Strahlen grünen Dampfes ausstieß und sich seinen Weg rund um die Grube herum bahnte, indem es in planvoller und bedächtiger Art Erde aushöhlte und aufschichtete. Dieses Werkzeug war es, das jenes regelmäßige, stoßende Geräusch und die fast rhythmischen Erschütterungen hervorgerufen hatte, die unseren in Trümmern liegenden Zufluchtsort erbeben machten. Während es arbeitete, tutete und pfiff es unaufhörlich. Soviel ich sehen konnte, arbeitete das Ding ohne jede Unterstützung eines Marsmannes.
1 Original: »Handling machine«; Maschine der Mars-Leute zum Transport von Objekten <<<
2 sessile (festgewachsene) Manteltiere <<<
3 satirische Zeitschrift, die 1841 in London begründet wurde <<<
4 Schlingpflanze <<<