Czytaj książkę: «Geschichte des Grafen Hugo von Craenhove»
I
Die zwei Hirten
Um das Jahr 1360 lag noch zwischen den Dörfern Wyneghem und Santhoven, drei Stunden von Antwerpen, ein wüster und dunkler Wald. Die Eiche, der Gott der nordischen Wälder, schoß ihre stolze Krone gen Himmel; der treue Epheu klammerte sich in Liebeskränzen üppig um seinen rauhen Stamm, während die duftigen Blumenkelche des Geisblattes seinen breiten Fuß als mit goldenem Kleide schmückten. Kinder Einer Mutter grünten dort gleichfalls: die Buche mit ihren glänzenden Blättern, die Bitte mit silbernem Stamme, die zitternde Pappel und die zartere Trauerweide, die wie eine trauernde Jungfrau sich mit ihrem hängenden Laube über die Seen beugte.
Am Ende des Waldes war Alles lieblich: da schoß der Brombeerstrauch seine purpurnen Ranken von Stamm zu Stamm, und wob einen undurchdringlichen Schleier, an dessen Fuß Schlüsselblume und Maßliebchen wie verlorene Perlen glänzten.
Aber tiefer in dieser einsamen und wüsten Schöpfung änderte sich Alles: – der Boden schien die Zeichen einer Naturumwälzung an sich zutragen. Da und dort erhoben sich nackte Sanddünen; zerstreute Moräste und gährende Sümpfe zerstörten halb verrottete Stämme entwurzelter Weiden . . . und statt des lieblichen Geisblattes sah man hier nur fahles am Boden fortwucherndes Moos, das die umstehenden Bäume zu einer Gesellschaft sterbender Greise machte, mit Pilzen und Schwämmen wie mit Eiterbeulen überdeckt.
Nie senkte die Sonne ihre heitern Strahlen auf diesen feuchten Boden; unheimliche Dunkelheit und entsetzliche Stille herrschte hier ununterbrochen; nur von Zeit zu Zeit ertönte das Aechzen einer Nachteule durch das Laub oder machte ein fliehender Fuchs die Blätter rascheln, und unterbrach so die Todtenstille, um sie noch schrecklicher zu machen.
Neben diesem Walde lag eine unermeßliche Haide, und weiterhin, am Ende des Horizontes, wo der Himmel die Erde zu berühren scheint, hing ein undurchdringbarer Vorhang von Tannenbäumen.
* *
*
Beim Anbruche eines Lenzmorgens im Jahre 1366, ehe die Sonne die nächtlichen Nebel durchbrochen hatte, befanden sich zwei Schafhirten aus der Haide. Der Eine war ein alter Mann, von mehr als sechzig Jahren mit weißem Haare und gekrümmten Rücken. Der Andere beinahe noch ein Knabe: siebzehn Jahre glänzten auf seinem angenehmen rosigen Gesichte, blaue Augen funkelten mit sanfter Gluth unter seiner breiten Stirne hervor und feine Haare, deren Farbe einer Mischung von Gold und Silber glich, fielen über seinen Hals. Beide waren in rauhe Stoffe gekleidet, und damit beschäftigt, Hosen aus schwerem Wolltuch zu nähen, während ihre Heerden in einiger Entfernung die spärlichen Haideblumen pflückten.
Nach einiger Zeit legte der alte Hirte seine Arbeit nieder, zog ein Buch aus seiner Tasche und öffnete es. Der junge Hirte hatte kaum das Buch bemerkt, als die Nadeln seiner Hand entfielen; sein Auge erglänzte von dem Feuer der Neugierde, und sich seinem Kameraden nähernd, beugte er sich über die offenen Blätter des Buchs und betrachtete mit aufmerksamem Blicke die Buchstaben. Dann sprach er seufzend:
»Du kannst lesen, Albrecht? In diesem Buche also hast Du gelernt, wie man die Winde drehen muß, wie man gut Wetter und schlecht Wetter macht, wie man das Vieh bezaubert und entzaubert . . . O ich gäbe zwanzig schöne Jahre meines Lebens, wenn ich die Zeichen verstünde, wie Du!«
Der alte Hirte lächelte bei dieser Betheurung und antwortete:
»Nun, Bernhard, glaubst Du auch an das Geschwätze der alten Weiber von Santhoven? Weil ich lesen kann, macht man mich zu einem Zauberer und doch habe ich in meinem Leben kein ander Buch in Händen gehabt, als das, was Du jetzt siehst. Weißt Du, was darin steht?«
»Nein, o sage es mir!«
»Nun, es ist das Leiden unseres Herrn. Als ich noch jung war, wohnte ich bei einem alten Geistlichen, der hat das Buch für mich geschrieben und mich mit vieler Mühe die Zeichen verstehen gelehrt. Der gute Mann, Gott habe seine Seele, hat hinter dem Buche einige unbekannte Heilmittel für kranke Schafe hinzugefügt. Sieh, Bernhard, in der Kenntniß dieser Heilmittel besteht alle meine Zauberkunst.«
Diese Erklärung befriedigte den jungen Bernhard nicht.
»O laß’ mich das Buch mal in den Händen halten!« rief er mit Ungeduld.
Sobald der alte Hirte ihm dasselbe gegeben, warf Bernhard sich in das Haidegras, legte das Buch auf seine Kniee und begann mit fieberhafter Aufmerksamkeit die Blätter eins nach dem andern umzuwenden. – Es war etwas Sonderbares in der Haltung des jungen Hirten und besonders in der festen Unbeweglichkeit seines Kopfes, an welchem die blonden Haare wallend niederfielen. Mit wohlwollendem Lächeln betrachtete der alte Albrecht seinen jungen Kameraden und fragte endlich:
»Du hast also großes Verlangen, zaubern zu lernen, Bernhard?«
Dieser hob seinen glühenden Kopf empor und antwortete:
»Zauberei! O nein, nein! Aber ich gebe zwei Finger meiner rechten Hand dem, der mich lesen lehrte.«
»Ich würde es Dich wohl lehren, wenn wir unsre Heerde oft am selben Platze könnten weiden lassen, doch das geschieht keine zehn Mal im Jahre, darum glaube ich nicht, daß Du es je lernen würdest.«
Das letzte Wort betrübte den jungen Hirten sehr: er gab mit innigem Verdruß das Buch zurück, nahm seine Nadeln wieder auf und ließ das Haupt in tiefstem Mißmuth sinken, während eine Thräne in seinem Auge glänzte.
Eine Zeitlang herrschte ein peinliches Stillschweigen wischen den zwei Hirten; bald aber ergriff den alten Albrecht Mitleiden und er sprach zu seinen weinenden Kameraden:
»Bernhard, Dein Wunsch lesen zu lernen, ist eine sonderbare Krankheit. Ich sehe nicht ein, wie Du Dich so betrüben kannst; ein Zufall hat mich so gelehrt gemacht, aber dieß Glück wiederfährt nicht jedem; – und warum solltest Du Dich nicht trösten, da Ritter und Edelfrauen, Bürger und Bauern ebenso unwissend sind, als Du? Und wärest Du gelehrt, wo würdest Du ein Buch finden, da Du nicht reich genug bist, eines zu kaufen?«
Bernhard machte bei diesen Worten eine Bewegung der Verzweiflung; seine Stirne umwölkte sich.
»Gewiß, Bernhard,« fuhr der alte Albrecht fort, »Deine Wißbegierde ist nicht natürlich; sie hat zweifelsohne ihre verborgenen Gründe. Du bist ein wunderbares Kind! Niemand weiß, von wannen Du gekommen, Du kennst weder Vater, noch Mutter, Du sprichst und thust nicht, wie wir. Noch so jung und ein so geheimnisvolles Leben! Ich habe Mitleiden mit Dir, denn ich sehe wohl: Du leidest und bist unglücklich!«
Der rührende Ausdruck, mit welchem er die letzten Worte gesprochen, ergriff den jungen Hirten sehr. Vielleicht war es ihm ein Bedürfnis, sein Herz auszuschütten. Er näherte sich seinem Kameraden, drückte seine Hand und sprach in traurigem Tone:
»Albrecht, niemand kennt mich an diesem Orte. Gelobe mir strenge Verschwiegenheit und Du sollst mich kennen lernen; ich werde Dir sagen, warum der Schmerz meine Brust erfüllt. – Ich bin von edlem Blute, Albrecht; Du wirst es nicht glauben, aber Dein Kamerad, der Schafhirte Bernhard, kann sich Burggraf von Reedale nennen.«
»Du bist von edlem Blute! Burggraf von Reedale!« rief der alte Hirte verwundert. »Sprich, ich kann schweigen.«
Bernhard trocknete die Thräne, die in seinem Auge glänzte, und setzte sich auf der Haide nieder und als sein Kamerade das Gleiche gethan, begann er also: —
»Ja setze Dich nieder, Albrecht, denn meine Geschichte ist lang und traurig: ich bin jung, doch habe ich schon viel gelitten.
»Höre: – Noch ist es keine zehn Jahre her, daß ich mit meinem Vater und meiner Mutter ein adlig Schloß in der Nähe von Grimberghe in Brabant bewohnte. Da verbrachte ich meine Tage mit allen Uebungen, die einem Edelknaben geziemen; mein Vater, der ein berühmter Kriegsheld war, lehrte mich den Degen führen und ein wildes Roß bändigen. Ich war noch sehr jung und doch verwunderten sich erfahrene Ritter schon damals über meine Gewandtheit. Wir waren aber arm und unsre Tafel wurde nicht oft unseren adligen Stand verrathen haben, wenn wir nicht durch unaufhörliches Jagen die Wälder gezwungen hätten, ihr bestes Wildpret zu liefern. Um seinem Fürsten, dem Herzog von Brabant, Jan dem Siegreichen, mit Ehren in den Krieg gegen die Vlamingen zu folgen, hatte mein Vater sein Landgut bei Brüsseler Wechslern verpfändet. Der Herzog machte ihm viele Versprechungen, doch nichts wurde gehalten. – Du hast vielleicht gehört, Albrecht, wie die Vlamingen unter ihrem Grafen Ludwig Van Male im Jahre 1356 Brüssel eroberten und ganz Brabant in Besitz nahmen. Mein Vater war einer von denen, die es mit Eberhard ’t Serelaes versuchten, Brüssel zu befreien. Bei Nacht gelangten sie in die Stadt und vom Volke unterstützt, vertrieben sie die Vlamingen. Mein Vater war’s, der das triumphierende Banner von Brabant auf die Wälle pflanzte; aber ein Pfeil traf ihn in die Seite und er starb schon am andern Tage an seiner Wunde.
»Inzwischen lebte ich mit meiner Mutter auf dem Schloß bei Grimberghe; wir hatten schon die Kunde der Befreiung Brüssels empfangen und freuten uns über die wahrscheinliche Erhaltung unseres Vaters. Getrosten Muthes und fröhlichen Herzens sprach meine Mutter mit mir über ihre Hoffnung aus bessere Zukunft: Herzog Wencelyn, dem nun Brabant gehörte, würde zweifelsohne die wenigen Ritter belohnen, denen er seinen Thron verdankte. Diese schönen Aussichten in unserer Phantasie ausmalend, stiegen wir die Treppe hinauf, um uns schlafen zu legen; meine Mutter küßte mich zu wiederholten Malen, bekreuzte mich öfters und ich sah in jedem ihrer Augen eine Thräne der Hoffnung und Liebe glänzen. So glücklich und zufrieden über unser Loos, schlossen wir unsere Augen und sanken in süßen Schlaf.
»Mitten in der Nacht höre ich plötzlich ein schreckliches Geschrei; ich erwache . . . aber, o Gott ich sehe nichts als Flammen, der Rauch erstickt mich, ich höre die Stimme meiner Mutter, die um Hilfe ruft . . . und außerhalb des Schlosses Waffengerassel und Jauchzen vielen Volkes. Alles dreht sich vor meinen Augen, ich fühle Leben und Athem schwinden. Da sehe ich plötzlich ein schwarzes Menschenbild die Flammen durchschneiden und sich meinem Bette nähern. – Ich fühle; daß seine beiden Arme mich umfassen, mit Gewalt aufheben und wie er mit mir durch das Feuer springt . . . Jetzt verlor ich mein Bewußtsein und Gefühl . . . «
Ergriffen von seinen trüben Erinnerungen, schwieg Bernhard nach diesen Worten. Thränen flossen über seine Wangen, doch kein Seufzer, kein schwerer Athem begleitete sie. Sein alter Kamerade sprach gleichfalls nicht, so daß eine seltsame Stille der Ausdruck ihrer gegenseitigen Rührung ward.
Endlich fragte Albrecht:
»Nun Bernhard, und Deine Mutter?«
»Meine Mutter, nicht wahr? meine arme Mutter? . . . Verbrannt, zu Asche verbrannt! Man hat nichts von ihr gefunden, als das verkohlte Gebein!«
Der alte Hirte schrie laut auf, und aus seinen Augen begannen die Schmerzensthränen zu fließen; sein junger Kamerade drückte ihm die Hand und fuhr, als er sich wieder gefaßt hatte, also fort:
»Die Anführer der Vlamingen, die aus Brüssel vertrieben waren, hatten meinen Vater im Streite erkannt. Bei ihrem Rückzuge kamen sie des Nachts an unserer, Wohnung vorüber und erinnerten sich, daß mein Vater ihr Feind war; sie legten Holzhaufen um das Schloß, und steckten es an, um uns zu tödten . . .
»Nun war ich eine arme Waise, von Allem entblößt und noch zu jung, um im Kriege meine Zukunft zu finden. Das väterliche Schloß lag zerstört – und doch, wäre es auch nicht beschädigt gewesen, was hätte es geholfen, da es gänzlich den Wechslern verpfändet war? Ich war so ohne alles Erbe, ohne Eltern, ohne Verwandtschaft. Ein einzig Mittel blieb mir übrig: ich konnte mich als Hofjunker bei dem einen oder dem andern Landesherrn annehmen lassen, und so in einen Stand treten, der meinen Jahren und meinem Adel ziemte.
»In der Erwartung, daß es mir glücken werde, blieb ich in einer Bauernwohnung, bei dem edelmüthigen Laet, der mich mit Lebensgefahr aus den Flammen gerettet hatte. Am zehnten Tage kam ein Ritter, der eine Wallfahrt nach Unsrer Lieben Frau von Halle mitgemacht, an den noch rauchenden Trümmern des Schlosses vorüber. Er beklagte unser Urglück sehr und sagte, daß er früher ein Freund meines Vaters gewesen; und in der That, erschien ein Kriegsmann zu sein, denn es zog sich über seine Stirne eine tiefe und lange Narbe, wie von einem Schwerthiebe. Ich wurde ihm als einziges Ueberbleibsel vom Hause derer von Reedale vorgestellt. Meine rothgeweinten Augen und mein trauriges Gesicht machte Eindruck auf sein Gemüth; er nahm mich als Hofjunker mit, den guten Leuten, die mich gerettet und beherbergt hatten, gelobend, daß er mich sein Leben lang wie ein eigenes Kind behandeln werde.
»Das Benehmen des Ritters war mir unbegreiflich: am ersten Tage sprach er zehn Stunden lang nichts, ließ den Zaum seines Pferdes gleichgültig hängen, und hatte den Kopf wie ein schläfriger Mensch vorwärts gebeugt. Seine Augen, die er selten auf mich richtete, waren halb unter seinen schweren Brauen eingesunken, und schienen ohne Leben, wie angelaufenes Glas. Oft beschlich mich Angst und Furcht, ich träumte mehr als einmal von den schrecklichsten Dingen; aber die Stimme des Ritters, wenn ich sie hörte, war so sanft und traurig, daß ich zuletzt mehr Mitleid als Angst fühlte.
»Nach zwei Reisetagen ritten wir die Stadt Antwerpen vorbei und standen eine Stunde später vor der Brücke eines großen Schlosses, das mit vier schweren Thürmen und hohen Festungsmauern umgeben war. Kaum hatte uns der Wächter über dem Thore bemerkt, als sein Jagdhorn ertönte; das Gatter ging in die Höhe, die Zugbrücke fiel nieder und die Pforte ächzte in ihren Angeln.
»Eine Anzahl Diener, eben so schweigsam und vielleicht noch geheimnißvoller, als mein Wohlthäter, empfingen meinen Beschützer mit tiefer Ehrfurcht, und ich begriff leicht an der gebietenden Sprache, daß dies seine Wohnung war.
»Ich hatte kaum etwas gegessen, als Graf Arnold von Craenhove, dieß war der Name meines Herrn, einem alten Diener befahl, zwei Pferde zu satteln und mit mir nach Antwerpen zu reiten, um mich in seine Farben kleiden zu lassen. Wir blieben fünf Tage in der Stadt, bis ich meine Dienstkleidung erhielt. – O was war ich schön, Albrecht: ich wurde halbleibs gekleidet, die rechte Hälfte in himmelblaue, die linke in rosenfarbige Seide; auf meinem Kopfe wehte eine rosenfarbene Feder auf einem braunsammtenen Barette; um meinen Hals hing eine silberne Kette, und an dieser auf meiner Brust ein kleines Jagdhorn vom selben Metall. – O, ich war so schön und o vergnügt, daß man mich mit Gewalt von meinem stählernen Spiegel entfernen, und mit der Wegnahme des Jagdhorns drohen mußte, um mich am unaufhörlichen Blasen zu hindern. Am sechsten Tage kehrten wir wieder zum Laternenhof zurück, dessen Namen mir der alte Diener mitgetheilt hatte.«
»Bei unserer Ankunft wurde ich zu Graf Arnold von Craenhove gebracht. Er schien sehr zufrieden mit meinem Anzuge und mit meiner stolzen Haltung; doch, was ich schon während unsrer Reise bemerkt hatte, machte mich auch jetzt wieder sinnend. Seine Stimme war dumpf und traurig, sein Lächeln erzwungen und peinlich; ja, als ich aus Dankbarkeit seine abgemagerte Hand küßte, ließ er mich machen und blieb gleichgültig gegen die Beweise meiner Liebe zu ihm. Nach einigen Augenblicken des Stillschweigens stand er von seinem Stuhle auf, nahm mich, ohne etwas zu sprechen, bei der Hand und brachte mich durch zwei oder drei Säle, bis in ein schönes Gemach, worin ein Mädchen von ungefähr sieben Jahren, gerade meinem Alter, an dem Fenster saß und verdrießlich hinausblickte. Sobald wir einander sahen, erleuchtete dasselbe Lächeln unsre Züge. Graf Arnold sprach indeß mit dumpfer Stimme:
»Aleidis, meine Schwester, ich bringe Dir einen Gesellschafter, einen Bruder.Nun wirst Du nicht mehr trauern, nicht wahr? Unterhaltet Euch gut . . . «
»Und mit diesem Befehle ließ er mich stehen, und ging weg. Verschämt, und keinen Schritt vorwärts wagend, blieb ich stehen und schlug die Augen nieder. Aber das Mädchen eilte ungeduldig auf mich zu, ergriff meine Hände und zog mich an das Fenster, in lebhaftem, aber freundlichem Tone fragend:
»Wie ist Dein Name? Von wannen kommst Du? Bleibst Du immer hier? Kannst Du auf dem Horne blasen?«
»Ich antwortete, so gut ich konnte, auf die Fragen meiner Spielgenossin, obwohl sie mir kaum die Zeit dazu ließ, und ebenso schnell mir einen Sessel vor den ihrigen rückte und mir befehlend sagte:
»Setz’ Dich da vor mich hin!«
»Und als ich niedergesessen war, begann sie mit sonderbarer Neugierde, meine Gesichtszüge und Kleider zu betrachten. Nachdem diese Prüfung einige Zeit gedauert hatte, sprach sie, während sie eine Locke von meinem Haare um ihren Finger rollte:
»Welch schöne blonde Haare hast Du, Bernhard! sie sind wie Silberfäden.«
»Ich, der ich bewußtlos mit meinen Augen an ihr hing, antwortete:
»Nicht so schön, als Deine blonden Haare, Aleidis – sie sind so schön, wie das Gold, das in Dein Samaer gewebt ist.«
»Sie lächelte, wie mit meinem Lobe zufrieden, und sprach:
»Welch’ schöne blaue Augen Du hast, Bernhard – sie sind wie der Himmel.«
»Nicht so schön, als Deine klaren Augen, Aleidis – sie sind glänzender, als der blaue Atlas meines Gewandes.
»Welch’ schöne Lippen und rosige Wangen Du hast, Bernhard. Sie sind wie die rosenfarbige Feder auf Deinem Barette.
»O nicht so schön, als die Deinen, Aleidis – sie sind wie die Korallen an Deinem Halse.«
»Aleidis schien an diesem Gespräche großen Gefallen zu finden; doch sprang sie rasch auf, zog mich vom Stuhle auf und sprach:
»Bernhard, Du mußt immer bei mir bleiben, nicht wahr? Du darfst nicht gehen, hörst Du? Denn sonst bin ich wieder so traurig, verlassen, so allein! Du bleibst immer, nicht wahr? Du sollst mein Bruder sein, und wir werden immer mit einander spielen.«
»Wir begannen auch sogleich herumzulaufen, zu hüpfen und zu tanzen, bis die Ermüdung uns auszuruhen zwang; dann blies ich auf meinem silbernen Jagdhorn, oder ich erzählte das Unglück, das mein Haus betroffen; ich machte das Mädchen bald lachen, bald weinen . . . Mit einem Worte, sie unterhielt sich so gut, daß sie Mittags zu essen weigerte, bis man mir erlaubte, neben ihr zu sitzen. Abends weinte sie unaufhörlich, weil der Tag nicht lang genug war, und sie sich von ihrem Spielgenossen trennen mußte, um schlafen zu gehen.
»Was soll ich Euch weiter sagen, Albrecht? Aleidis hatte die ganze Neigung ihres Herzens mir zugewandt; ich wurde ihr theurer, als der blaue Apfel ihrer Augen. Was mich betrifft, ich hatte nun eine Schwester, so gut, so liebreich, als der Sonnenschein, – so schön und leiblich, als ein Maßliebchen! Damals konnte man nie eins ohne das andere sehen, als wären eins des Andern Schatten gewesen; zwei Lämmer einer und derselben Mutter folgten einander nicht treuer, als wir.
»Ohne Nebengedanken überließ ich mich ganz meinem seligen Loose und bemerkte Anfangs nicht, daß mein Glück nur allzufrüh Neider fand, obwohl ich selbst die Mißgunst verursachte. – Du mußt wissen, daß mein Beschützer, Graf Arnold von Craenhove, nie zu sehen war; die Gemächer des Schlosses, welche er bewohnte, blieben stets für uns und allen Dienern verschlossen, ausgenommen eine Person, welche ebenso tiefsinnig und sprachlos, wie er, sein unbegränztes Vertrauen zu genießen schien. – Es war ein sonderbarer Mann, dessen Antlitz über mich eine unwiderstehliche Gewalt ausübte; seine Gegenwart allein schon machte mich zittern, und oft erschrak ich vor ihm, wie vor einem Teufel. Die Natur hatte ihm keine angenehmen Gesichtszüge geschenkt. Meine Angst vermehrte noch seine ernste Unfreundlichkeit und gab ihm in meinen Augen die gräßlichste Gestalt. Hast Du bemerkt, Albrecht, daß eine Eule gelbe und trübe Augen hat? So waren die seinen. – Du siehst Deinen Hund mit seinen rauhen Haaren, die emporstehen, wie die Nadeln einer Tanne? So war sein Haar. Dein Buch ist gebunden zwischen zwei eichenen Brettchen, schmutzig und fahl? So war sein Gesicht. – Hast Du je einen Fuchs gesehen, der in einem Strick gefangen ist, wie er den Jäger angrinzt und zu beißen droht? Dies war sein süßestes Lächeln. Falkner kommen manchmal hierher; Du hast doch vielleicht einen Falken gesehen? Gleich den Klauen dieses Raubvogels waren seine Hände – mit magern Fingern und gekrümmten Nägeln. – Hast Du je eine Gotteslästerung gehört, Albrecht? So war sein Name; er hieß: Abulfaragus!«
»Dieser Mann, der auf dem Schlosse und in der Umgegend für einen Sterndeuter und Wahrsager galt, begegnete mir nie, ohne einen mißtrauischen und forschenden Blick auf mich zu werfen. Oft, wenn ich mit meiner Schwester Aleidis unter den Bäumen spielte, sah ich sein gelbes und furchtbares Auge hinter dem Stamme eines Baumes blitzen. Mehr als einmal kroch er wie ein Jagdhund unter dem Gesträuche durch, um unsre Worte zu belauschen. Obwohl ich mich damals nicht darum bekümmerte, glühte doch in meinem Innern ein tiefer Haß gegen diesen feindlichen Spionen. Ich war es nicht allein, der ihn fürchtete: alle Bewohner des Schlosses zitterten vor seiner Stimme, theils weil man wußte, daß der unsichtbare Graf Arnold durch seinen Mund sprach, theils weil man von ihm befürchtete, er könne durch übernatürliche Mittel sich wegen des geringsten Ungehorsams rächen.
»Auf dem Laternenhof war ein kleines Wäldchen von Ulmen, unter deren schwarzen und undurchdringlichen Blättern ein Grabstein mit eingemeißelter Schrift stand. Dort hielt Abulfaragus sich gewöhnlich auf, wenn er nicht um Graf Arnold von Craenhove sein mußte. Niemand wußte, was der Wahrsager in dem Ulmenhaine that, noch warum er so lange dort verweilte; ängstlich vermied Jeder den Ort; wo sich der Grabstein befand und wir selbst durften auf jener Seite nicht spielen. Aleidis wußte aber wohl, daß der Stein das Grab ihrer Aeltern bedeckte, war aber noch nie in dem Ulmenhaine gewesen.
»Außer bei Sachen von großer Wichtigkeit hatten alle Diener von dem Wahrsager selbst den Befehl erhalten, Aleidis nie etwas zu verweigern, und sie schien wirklich trotz ihrer Jugend allein Herrin auf dem Schlosse zu sein. Denn wenn sie etwas verlangte oder einen grillenhaften Befehl geben wollte, war es immer ihr guter Bruder Bernhard, den sie als Bote zu den Dienern sandte. Ich gebot als Herr in ihrem Namen, und ohne daß ich die Ursache davon ahnen konnte, sah ich oft bei solchen Gelegenheiten das Feuer der Betrübniß auf den Gesichtern der alten Diener des Hauses von Craenhove. Ein leichtsinnig Kind, wie ich damals war, achtete ich nicht darauf und beantwortete mit spöttischem Lächeln ihren Verdruß, während ich, mein silbern Jagdhorn ergreifend, Freude daran fand, meine Neider mit einem Spottstückchen zu begrüßen. – Welchen Eindruck konnte auch auf mich die Mißgunst einer ganzen Welt machen, da ein einziger Sprung mich nach meinem Himmel zurückbrachte, wo meiner immer ein liebereich Engelchen wartete?
»Du weißt, Albrecht, dem Unglücklichen schleicht die Zeit hinkend weiter; aber für den Glücklichen, der die Freude aus vollen Kelchen trinkt, fliegt die Zeit mit mächtigeren Schwingen, als denen des Adlers. Auch ich war dreizehn Jahre geworden, ohne einen Tag gezählt zu haben, so rein war stets unsre Bruderliebe geblieben. – Während dieser Zeit hatte ich von Aleidis und den Dienern genauere Auskunft über die sonderbare Lebensweise und den unbegreiflichen Gemüthszustand meines Beschützers bekommen. Vernimm, was ich erfuhr:
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»Zwei Jahre vor meiner Ankunft auf dem Laternenhofe bewohnte der gegenwärtige Herr Arnold von Craenhove dasselbe mit seinem älteren Bruder Hugo; obwohl dieser letztere allein Graf genannt wurde und von Geburt wegen der Herr von allen Gütern von Craenhove war, so lebte er doch ganz gleichgestellt mit seinem Bruder; ja so weit ging ihre gegenseitige Zuneigung, daß sie, um sich nicht zu trennen, und die Erziehung ihrer fünfjährigen Schwester zu sichern, einander gelobten, nie zu heirathen, noch die Bekanntschaft irgend einer Frau zu machen. Während der vier ersten Jahre nach dem Tode ihrer Aeltern blieben sie ihrem Versprechen treu. Wie ich Dir so eben sagte, sie lebten glücklich bis zwei Jahre vor meiner Ankunft auf dem Schlosse. Dann aber hoben sie, mit gegenseitiger Zustimmung, ihre Verbindlichkeit auf und begaben sich fast täglich nach einem nahe gelegenen Landgute, das von einer wälschen Edelfrau bewohnt war. Diese hieß sich selbst Gräfin von Merampré. Niemand wußte, welcher Mittel sie sich bediente, um alles, was sich ihr nahte, von Sinnen zu bringen; viele Menschen glaubten, sie gebrauche schwarze Künste und Liebestränke. Was auch daran sein mag, man sagt, daß mehr als zwölf Ritter um ihretwillen im Kampfe umgekommen und daß nie zwei Personen ihr nahen konnten, ohne einander nach dem Leben zu trachten. Es scheint, daß die beiden Brüder von Craenhove sich durch ihre List nicht fangen ließen, denn sie blieben bei ihrer früheren Zuneigung. – Aber ein anderes Unglück traf sie.
»Eines Tages, gegen Abend ritt der jüngere Arnold aus dem Schlosse und schlug den Weg nach dem Landgut der Gräfin de Merampré ein. Kurze Zeit darauf ritt sein Bruder Hugo, begleitet von Abulfaragus denselben Weg. Diese Nacht blieben die Herren von Craenhove lang, sehr lang weg; schon begann der Schlaf die Wachen zu übermannen, als plötzlich vor der Zugbrücke ein Ruf erscholl, gleich dem Schrei eines Raubvogels. Die Wächter erkannten Abulfaragus Stimme. Man ließ die Brücke nieder und’ öffnete das Thor. Ohne jemanden anzusehen oder etwas zu sprechen, lief der alte Wahrsager nach dem Theile des Hofes, wo die Herren von Craenhove ihre Schlafgemächer hatten. Er kam ebenso schnell wieder zurück mit einem schwer beladenen Reisesack, ließ aufs neue die Brücke niedersenken und verschwand im Dunkeln. – Ihr könnt Euch denken, wie ängstlich und neugierig die Wächter auf die Lösung dieser räthselhaften Handlungsweise harrten. Während sie einander ihre Vermuthungen und Gedanken mittheilten, hörten sie nochmals den Schrei von Abulfaragus und ließen ihn ein. Diesmal sprach der Wahrsager; er erzählte nämlich mit wenigen Worten, daß die Herren von Craenhove von Räubern angefallen worden und beide ihr Leben verloren hätten; daß ihre Leichen noch blutig auf dem Wege lägen und daß er nun komme, um Hilfe zu holen, damit man sie nach dem Hofe bringe. Die verstummten Diener gehorchten mit thränenden Augen: sprachlos folgten sie dem kalten und gefühllosen Abulfaragus. Nachdem sie ungefähr eine Viertelgstunde gegangen waren, kamen sie an einen Kreuzweg, und fanden dort den Ritter Arnold leblos in seinem Blute liegen. Aber wie sehr sie auch suchten, man fand die Leiche Hugo’s so wenig, als die blutige Stelle, wo er gelegen haben sollte. Arnolds Pferd graste ruhig bei der Leiche seines Herrn, doch Hugos Pferd sah man nimmer wieder. Was Abulfaragus mit dem Reisesack gethan, wagte ihn Niemand zu fragen.
Arnolds Leiche wurde nach dem Hofe gebracht und auf ein Bett gelegt; unmittelbar darauf hieß der Wahrsager jeden sich zur Ruhe begeben und schloß sich bei der Leiche ein. Des andern Tages sagte er, der Ritter Arnold sei nicht todt, und würde vielleicht wieder genesen. Nachdem er das Mittagessen in Empfang genommen, schloß er, die Thüre wieder zu. Dieß dauerte vierzehn Tage, bis er am fünfzehnten endlich mit Graf Arnold auf dem Vorhofe erschien. Der Ritter war blaß, seine Wangen eingefallen, wie einer der von einer langen Krankheit aufsteht: auf seiner Stirne war eine tiefe Narbe, die er noch trägt.
Dieß ist Alles, was ich über das Haus van Craenhove erfahren konnte.
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Meine Schwester Aleidis und ich erreichten endlich unser vierzehntes Jahr. Wir waren nicht mehr so wild, noch so kindisch, wie früher, doch unzertrennlich von einander. Nun erschien Abulfaragus eines Morgens in unserem Spielzimmer mit einem großen Buche unter dem Arme; er setzte sich auf einen Sessel, schlug das Buch auf seinen Knieen auf und sagte zu Aleidis in einem Tone, der viel sanfter war, denn sonst:
»Aleidis, edles Fräulein, Ihr habt nun das vierzehnte Jahr erreicht . . . Es ist Zeit, daß Ihr lernt, was einer Edelfrau zu wissen ziemt. Bernhard kann Euch nichts lehren, denn er ist unwissend.«
»Zum erstenmale in meinem Leben glühte ein mir unbekanntes Gefühl in mir auf. Wüthend besah ich den Wahrsager; aber er lachte spottend und fuhr fort:
»Es ist der Wille Eures Bruders, Aleidis, daß Ihr Euer Gedächtniß zieret mit schönen Sprüchen und den Heldenthaten der Ritter. Die Zeit des Spielens ist vorbei. – Ihr müßt einst am Hofe der Herzogin erscheinen, und was würde man sagen, wenn Aleidis von Craenhove einer unwissenden Bäuerin gliche?«
»Die Jungfrau bemerkte auf meinem Gesichte, welch’ ungewohnter Schmerz mein Herz bedrücke; sie stand auf, faßte meine Hand mit zärtlicher Theilnahme und sprach zu Abulfaragus:
»Ich will nichts lernen. Ihr wollt mich von meinem Bruder Bernhard trennen? das kann nicht sein.«
»Euer Bruder, Euer Bruder!« murmelte Abulfaragus, »wißt Ihr denn nicht, daß er Euer Diener ist?«
»Bei diesem blutigen Hohn, der über mich ausgegossen wurde, stieß ich einen Schrei des Unwillens und der Entrüstung aus:
»Unedler « rief ich dem Wahrsager zu, »Du bist unverschämt genug, den Burggrafen von Reedale einen Diener zu nennen! Warum hast Du kein adlig Blut in Deinen Adern? Dann wollt ich Dich lehren, wie man den Hohn bestraft. Aber nein, ich will Dich behandeln, wie man Knechte behandelt!«
»Blind geworden in meiner Wuth und noch mehr gereizt durch das spöttische Lachen auf Abulfaragus Antlitze ergriff ich einen Weidenstock und hob meinen Arm auf, um dem Wahrsager ins Angesicht zu schlagen; aber in diesem Augenblicke schoß sein gelbes Auge einen unwiderstehlichen Blick auf mich; ein kaltes Zittern machte meine Glieder erbeben und der Stock fiel mir aus der Hand, ohne daß ich begreifen konnte, welch’ geheime Macht mich so plötzlich zu einem Feigling machte; ermattet sank ich in einen Sessel nieder; Abulfaragus lachte laut auf und Aleidis weinte seufzend.
»Auf unsere ungünstige Gemüthsstimmung nicht achtend, begann der Wahrsager in dem Buche zu lesen. Anfangs wollten wir nicht darauf hören. Die Jungfrau entfernte sich von Abulfaragus und stellte sich an das Fenster; ich kehrte ihm den Rücken zu. Aber kaum hatte er etwas gelesen, als wir uns mit unbegreiflicher Macht zu ihm hingezogen fühlten; langsam und unwillig näherten wir uns und beide horchten wir mit Neugierde. O welch’ schöne Dinge erzählte das Buch! Wie er reifend und rührend war die Stimme des häßlichen Abulfaragus! Ich selbst war gezwungen, Vergnügen an seinen Worten zu finden: Aleidis hing an seinen Lippen.