Czytaj książkę: «Eine verworrene Geschichte»
I
An einem Septembermorgen verließ ein junger Bauer die Stadt Hal in Brabant und schlug den Weg ein, der nach Alsemberg führ.
Er trug einen dreieckigen Hut, ein langes Wams aus grobem Tuche, kurze Beinkleider, die mit silbernen Schnallen an den Knieen befestigt waren; ähnliche Schnallen glänzten gleichfalls auf seinen schweren Schuhen. Ueber seiner Schulter lag ein Wanderstab, und daran hing ein leerer Korb.
Schön konnte der junge Mann nicht genannt werden, seine Züge waren einigermaßen grob, sein Gliederbau schwerfällig, wohl in Folge harter Arbeit, aber die frischen rothen Wangen zeugten von gesundem Blut, der sanfte Blick der blauen Augen von Herzesgüte .
Anfangs zog er raschen Schrittes seiner Straße, sobald aber der Weg einsamer wurde und er dem Gesichtskreise der Leute entrückt war, ging er allmählich langsam, und ließ den Kopf und tiefer sinken, wie unter dem Druck schwerer Gedanken.
Mitunter blieb er stehn, murmelte bitter in sich hinein und erhob selbst drohend die Faust, dann aber setzte er mit einem schmerzlichen Seufzer seine Wanderung wieder fort, bis er endlich bei einer Biegung des Weges plötzlich eine Frau vor sich bemerkte, die einen großen flachen Korb auf dem Kopfe trug. Er kannte sie, es war die Schenkwirthin aus Dworg, eine verständige Frau, die aber in dem Rufe stand, sehr geschwätzig zu sein und sich vielfach um Sachen zu kümmern, die sie im Grunde nichts angingen.
Der junge Bauer zögerte, um wo möglich ihrer Gesellschaft zu entgehen, doch sie hatte seine Schritte schon gehört und sich umgewendet. Gern oder ungern, ihm blieb nichts übrig, als sich ihr anzuschließen.
»Wie froh bin ich Euch zu treffen, Urban,« sagte sie, »es ist so langweilig, allein über Land zu laufen! Habt Ihr gute Geschäfte gemacht auf dem Markte zu Hal?«
»So ziemlich war die Antwort.
»Habt Ihr auch schon die große Neuigkeit gehört? Schrecklich, nicht wahr?«
Der junge Mann zuckte zweifelnd die Achseln.
»Ihr solltet wirklich nichts davon wissen? Und in Hal spricht man doch von nichts Anderem! Es sind Nachrichten ans Deutschland gekommen: Die Preußen, die Franzosen haben unserer Kaiserin Maria Theresia den Krieg erklärt, man sagt sie würden sich weit hinten in Oesterreich schlagen auf Leben und Tod, doch wer weiß, ob sich der Krieg nicht auch nach Brabant zieht. Dann werden die armen Bauern wieder geplündert, gebrandschatzt, ermordet . . . Gott gebe, daß es so weit nicht komme.«
Urban war von seinen eignen Gedanken so sehr in Anspruch genommen, daß er auf ihre Worte nicht zu achten, sie kaum zu hören schien.
Lächelnd blickte sie ihn eine Zeitlang von der Seite an und sagte dann:
»Aber, lieber Freund, warum laßt Ihr denn den Kopf bis fast auf die Erde hängen, als suchtet Ihr eine Nähnadel? Fehlt euch etwas?«
»Fröhlich bin ich sicher nicht, Base Geerts.«
»So laßt einmal hören, was ihr auf dem Herzen habt.«
»Das würde es nicht besser machen.«
»Vom Schweigen werdet Ihr nur noch trauriger; erzählt mir lieber was Euch bedrückt.«
»Nein, nein, Base Geerts, plaudern wir lieber von andern Dingen; sagtet Ihr nicht, in Deutschland würde der Krieg losbrechen?«
»Ei, ei, Ihr wollt also die Ursache Eures Kummers verheimlichen?« rief sie triumphierend, »nun, da wird wohl nichts übrig bleiben, als- daß ich sie Euch angebe. Hört doch nur: Ihr liebt die schöne Cilia des Baas Roosen, in Dworg dachte man allgemein Ihr würdet sie heirathen, die beiderseitigen Eltern wären darüber längst einig und keiner der übrigen Bauernburschen wagte sich der Cilia zu nähern, wie vielen sie auch immer die Köpfe verdrehte. Ihr hattet selbst schon angefangen einiges für den zukünftigen Hausstand anzuschaffen . . . Nun, habe ich Recht l i oder nicht?«
»Was Ihr da erzählt, weiß ja doch Jeder, murmelte der junge Bauer.
»Freilich und auch, daß jetzt, seit einigen Monaten Markus Corf, der Sohn aus dem »Goldenen Apfel,« der Raufbold, der seine arme Mutter noch in’s Elend bringt, daß Markus, sage ich, sich in die hübsche Cilia verliebt hat und hoch und theuer schwört, sie müsse seine Frau werden, nicht wahr, das weiß auch Jeder. – Aber es gibt doch auch allerlei außerdem, was nur wenig Leute wissen, zum Beispiel: der Grund, warum die Baase Roosen plötzlich ihr gegebenes Wort bricht und dem rohen Markus ihre Tochter verheirathen will.«
»O, der Grund ist doch leicht zu begreifen,« versetzte Urban, »die Baase Roosen handelt unter dem Druck eines furchtbaren Zwanges, der Amtmann bringt sie durch Drohungen und Versprechungen dahin, daß sie ihr Wort zurückzieht; ist er doch der zweithöchste Gerichtsbeamte von Dworg, der dem Müller Verdruß genug anthun, ihn beim Baron und beim Drosten anzuschwärzen und vielleicht gar aus der Mühle vertreiben kann.«
»Schwindel, lieber Freund,« versetzte die Frau lachend, »lauter leere Vorwände, hinter welchen die Baase Roosen den wahren Grund ihres Verhaltens verbirgt. Was fragt sie nach dem Amtmann? Sie hat eine lange Pacht und und unser Herr Baron ist ein gerechter Mann. Nein, ihr steckt das Geld im Kopf und der sonstige Nutzen; wenn auch auf dem rechten Fuß gelähmt ist sie gleichwohl eine kluge berechnende Frau, die ganz genau aufgepasst und jeden Vortheil, der sich ihr bietet, sorgfältig wahrnimmt. Außer ihrer ältesten Tochter, der schönen Cilia, hat sie der Kinder noch fünf, und scheut daher eine große Mitgift.«
»Wir verlangen nichts,« rief der junge Mann lebhaft.
»Mag sein, aber was Ihr bieten könnt, ist gleichfalls wenig, der Baase jedenfalls nicht genug,« war die Antwort, »ihrer Ansicht nach ist die schöne Cilia weit mehr werth und um so geringen Preis nicht feil.«
»Nicht feil! Wie Ihr so etwas nur sagen könnt!«
»Nun, werdet nur nicht gleich böse, . . wenn man Alles genau überlegt, dann hat die Mutter Roosen so ganz unrecht nicht. Heirathet Ihr die schöne Cilia, so muß sie bei Euren Eltern wohnen, ohne ein eigenes Heim zu bekommen, sie muß für die alten Leute arbeiten und ist im Grunde nicht viel mehr als eine Magd.«
»Cilia eine Magd?!« fuhr Urban auf, »wer wagt das zu sagen?«
»Ich ganz gewiß nicht,« erwiederte die Baase Gertis, »aber Cilias Mutter.«
»Ach,« seufzte Urban, »sollte sie wirklich solche Worte gebraucht haben?«
»Euer eigener Vater hat sie mehr als einmal aus ihrem Munde gehört.«
»Und sollte die Frau Roosen wirklich glauben, daß Cilia von uns Allen nicht geliebt und auf Händen getragen würde? Das ist ja unbegreiflich! Meint sie in der That, was sie sagt?«
»Vielleicht stellt sie sich nur so, o, sie ist eine schlaue durchtriebene Person! Euch gäbe sie natürlich ihre Tochter lieber als dem rohen Markus, aber sie hofft in ihm das Mittel gefunden zu haben, Euren Vater zu den größten Opfern breit zu schlagen, sie möchte ihn gern zwingen sich auszukleiden, bevor er schlafen geht, wie das Sprichwort sagt.«
»Aber lieber Himmel, Baase Gerts, woher wißt Ihr nur das Alles?« rief der junge Mann verwundert.
»Das ist leicht erklärt: der Müller hat meinem Mann sein Leid geklagt, Ihr wißt ja, er hat Euch gern, und beklagt es von Herzen, daß er Euren Vater seinen ältesten Freund so beleidigen soll. Doch der arme Tropf hat in seinem Hause nichts mehr zu sagen, seine Frau hat die Hosen an, er getraut sich nicht einmal, ihr zu widersprechen, viel weniger gegen ihren Willen zu handeln.«
»O, das; Eure Vermuthungen begründet wären!« rief Urban, und seine Augen leuchteten freudig auf; »Ihr haltet die Forderung nur für eine leere Drohung und glaubt, Cilias Mutter wurde dem Markus ihre Tochter versagen, selbst wenn mein Vater bei seiner Weigerung bleibt den an Pachthof abzugeben?«
»Das habe ich nicht gesagt, im Gegentheil, die Baase Roosen ist eine starrköpfige Frau und wenn sie einmal Etwas vor hat, setzt sie es durch, mag kommen was will; dazu kommt, daß der Amtmann jetzt beinahe täglich zur Mühle geht, um sie zu bereden und zum Entschluß zu bringen. Der weiß auch was er thut: Cilia ist die Güte und Sanftmuth selbst, Markus scheint rasend in sie verliebt. Der Amtmann glaubt, diese Liebe würde die wilde Natur seines Neffen zähmen und seine Schwester von dem schweren Druck befreien, den ihres Sohnes schlechtes Betragen ihr auferlegt. Um dieses Ziel zu erreichen wird er keine Versprechungen scheuen, und selbst wenn die Baase Roosen einen Schatz verlangte . . . «
»Ach, ich bin tief unglücklich,« seufzte der junge Mann; »an mir selbst ist noch am wenigsten gelegen, aber die arme sie Cilia! Sie sollte die Frau des Trunkenboldes werden? Das wäre ihr Tod, sie flieht ihn wie die Sünde! . . . Wüßte ich doch nur was in aller Welt zu machen sei!«
»Ein herzhafter Entschluß allein kann hier helfen: Euer Vater muß der Forderung der Baase Roosen nachgeben.«
»Das will er nicht.«
»Er muß wollen, es gibt kein anderes Mittel.«
»Aber sagt einmal selbst, wäre es nicht geradezu unerträglich hart für meinen armen Vater? Ich selbst habe noch nicht einmal gewagt, ihn darum zu bitten.«
»So gebt alle Hoffnung auf; Cilia ist dann überkurz oder lang die Braut des Markus . . . und wer weiß, am Ende söhnt sie sich mit ihrem Schicksal aus, der Markus ist ein schmucker und Bursch kann sich bessern. Seine Mutter ist reich, sie überläßt ihm den Gasthof; der »goldene Apfel« ist kein übler Erwerbszweig.«
Urban senkte den Blick und schüttelte traurig den Kopf.
»Nun nur nicht gleich verzweifelt,« sagte seine Begleiterin, an Eurer Stelle würde ich meinem Vater noch einmal gründlich zu Leibe gehn und ihm begreiflich machen, daß er nur einen Sohn hat Euer Lebensglück steht auf dem Spiele, Baas Coutermann darf vor keinem Opfer, wie groß es auch immer sei, zurückscheun oder er hat kein Herz.«
»Meinen guten Vater soll ich so tief betrüben, soll ihn bitten, Alles, was er ein langes Leben hindurch im Schweiße seines Angesichtes verdient hat, mir zu übergeben?« seufzte Urban; »ach das ist schrecklich, ich bebe davor zurück wie vor einem Verbrechen. Für Cilia aber will ich es dennoch wagen, heute noch!«
»Das nenne ich ein vernünftiges Vorhaben, Urban;« sagte die Frau; »ich weiß, Ihr werdet mir später noch danken für den Rath, den ich Euch gegeben habe.«
Sie hatten inzwischen die Chaussee nach Alsemberg erreicht und näherten sich einem prächtigen Landhause, das unter hohen schattigen Bäumen etwas seit ab vom Wege lag und die Stelle des ehemaligen Schlosses Dworg einnahm, welches von den französischen Truppen Ludwig’s XIV. beinah bis auf den Grund niedergebrannt war.
In neuerem Geschmack wieder aufgebaut zeigte es gleichwohl noch einige Ueberreste der alten Herrlichkeit. So stand noch zu beiden Seiten des Eingangs je ein schwerfälliger Thurm, in dessen Grundfesten sich drei oder vier gewölbte Kerker befanden, für Räuber und Mörder bestimmt. Denn die Herren von Dworg handhabten eine eigne Gerichtsbarkeit und verfügten über einen Galgen und eine Folter.«
Den Blick auf einen der Thürme gerichtet sagte die Baase Gerts zu ihrem Gefährten:
»Seht, Urban, so oft ich hier vorübergehe, überläuft es mich kalt und ich fange unwillkürlich an zu zittern. Es mögen wohl zwanzig Jahre vergangen sein . . . ja, denn wir schreiben nun 1740 . . . ich war noch ein junges Ding . . . da hatte man unter dem Thurm an der linken Seite des Thores einen gewissen Franz Reefs eingesperrt, einen armen Schlucker, der im Verdachte des Holzdiebstahls stand. Mitten im Winter war es, und so kalt, daß Franz Nachts in seinem Kerker erfror. Als man des Morgens nach ihm sah, fand sich, daß die Ratten . . . pfui, es ist in schrecklich, um es zu erzählen, der unglückliche Mensch war kaum noch zu erkennen.
»Schaut doch nur dahin, Urban, da kommen eben die Schlitten aus der Burg mit einem Gefangenen!«
»Das ist Lukas Stoppelinx, der Schuhmacher aus Beersel, der vergangene Woche im »goldenen Apfel« eine Schlägerei hatte,« bemerkte Urban.
»Richtig ich habe davon gehört, er hat dein Sohn des Wagenbauers mit einem Hieb den Arm zerschmettert und wird nun nach Beersel gebracht, um dort verurtheilt zu werden, der Herr von Beersel hat ihn als Gutsangehörigen zurückgefordert. Und er kann von Glücken sagen, daß die Sache diesen Verlauf genommen, denn nun wird er mit ein paar Monaten und etwas Sühngeld davon kommen, während sie ihn hier gegeißelt oder wohl gar gehängt hätten. Unser Herr Baron will die leidige Gewohnheit des Schlagens nun durchaus unterdrücken und hat, vor seiner Abreise nach Wien den Drosten angewiesen, mit aller Strenge gegen die Krakeler zu verfahren. Ihr kennt doch den Sebastian Voet aus Grootheyde?«
»Laßt uns weiter gehen, Baase Geerts,« unterbrach Urban ihren Redefluß, »ich habe Eile.«
»Weil der Amtmann dabei ist, nicht wahr? Er ist der Feind Eures Glücks und Ihr begegnet ihm ungern.«
»So ist es, kommt ich bitte Euch.«
»Nein ich will bleiben, um sie vorübergehn zu sehn.«
»So wünsch ich Euch Lebewohl, Baase.«
»Werdet Ihr meinen Rath befolgen?«
»Ja, noch heute.«
»Auf Wiedersehn denn; da kommen sie! Schaut sie haben dem Lukas die Hände auf dem Rücken gebunden! . . . «
Urban setzte allein seinen Weg fort, anfangs, wie es schien dem Dorfe zu, dessen Kirchlein, von einigen Häusern umgeben, unweit der Landstraße lag; bald aber wandte er sich der linken Seite in ein schattiges Thal, schritt über eine kleine Brücke und an ein paar Wassermühlen vorüber, die in nur geringer Entfernung voneinander, an einem klaren Bache lagen.
In seiner Einsamkeit dachte der arme wieder mit Trauer an das hart Loos, das ihn bedrohte. Die Bitte, die er an seinen Vater zu richten beschlossen hatte, erschreckte ihn, er suchte all seinen Muth zusammen, um im entscheidenden Augenblicke nicht zu erliegen.
Als er an der dritten Mühle vorüberging, blickte er schüchtern umher; hier wohnte ja Cilia! . . . Doch er war bereits jenseits der Baulichkeiten und hatte Niemanden bemerkt. Jetzt richtete er seine Schritte einem Hause zu, das etwa einen Steinwurf weit von der Mühle lag. Der Düngerhaufen vor der offenen Stallthür, der von den Kronen mächtiger Apfelbäume überwölbte Obstgarten, der blinkende Pflug, die grün angestrichenen Fensterläden, die Felder endlich, die gleich bunten Teppichstreifen über den, hinter dem Hause sanft anschwellenden Hügel gebreitet waren, alles dieses kennzeichnete die Wohnung eines bemittelten Landmanns.
Urban trat in’s Haus, setzte seinen Korb auf den Boden und sank auf die an dem Tische stehende Bank.
»Sieh da Urban; wie war der Markt?« fragte ihn ein Knecht, der Körbe flechtend oder ausbessernd, in einem Winkel saß.
»Nun wie gewöhnlich;« antwortete der Andere. »Wo ist mein Vater?«
»Das weise ich nicht; vordem war der Müller hier und hat eilig ein Paar Worte mit ihm gewechselt; er schien traurig, Dein Vater ärgerlich zu sein. Nachdem er eine Weile leise mit Deiner Mutter gesprochen hatte, sind Beide zusammen fortgegangen.«
»Der Mühle zu?«
»Oder dem Dorfe; der Müller mußte etwas Wichtiges vor haben, denn er bat Deinen Vater mit gefalteten Händen, ihn zu begleiten. Soll ich einmal nachsehen, ob sie in der Mühle sind?«
Urban schüttelte verneinend den Kopf.
»Die Mutter ist im Stall; soll ich ihr sagen, daß Du vom Markte zurück bist?«
Da er wieder keine Antwort erhielt, blickte er seinen jungen Herrn mitleidig an und setzte dann schweigend die Arbeit fort.
Dieser Knecht, Blasius Schleifstein geheißen, war ein auffallender Mensch. Er hatte eine hohe Schulter und einen furchtbar großen Mund, hinkte auf dem linken Fuß und hatte Arme von ungewöhnlicher Länge.
Er war ein Findling, ein elternloses Kind. Als er das Alter den fünf Jahren erreicht hatte und der Armenvorstand ihn zum Kühehüten bei den Bauern unterzubringen suchte, wollte Niemand sich des garstigen Geschöpfes erbarmen, bis endlich Frau Coutermann sich dazu bereit erklärte und den armen Knaben zu sich nahm. Sie behandelte ihn stets gütig und da Blasius Überall sonst nur Spott und Lieblosigkeit fand, wandte er sein ganzes Herz seiner Wohltäterin zu. Was sie erfreute, machte ihn froh, ihr Kummer war auch der seine.
Dem Markus Corf trug er in Folge dessen einen so feurigen Haß zu, daß er ungeachtet seiner sonstigen Furchtsamkeit und Schwäche, diese Empfindungen nicht verbergen konnte, was dem armen Burschen oftmals Schlage und Püffe eintrug. Auch heute mußte wieder etwas Derartiges vorgefallen sein, denn nachdem er seinen jungen Herrn eine Weile still beobachtet hatte fragte er:
»Darf ich etwas sagen, Urban?«
Urban machte mit der Hand ein Zeichen, daß er lieber schweigen solle.
»Von Markus,« sagte Blasius.
Der Name that die gewünschte Wirkung, er weckte Urban aus seinem schmerzlichen Hinbrüten
»Von Markus?« wiederholte er, »was weißt Du von Markus?«
»Betrachte einmal mein linkes Ohr, Urban.«
»Es klebt Blut daran; was bedeutet das?«
»Ich ging in’s Dorf, um eine Bestellung für die Pächterin auszurichten; da stand Markus mit noch fünf oder sechs Saufbrüdern vor der Tlsür der »rothen Sonne«, er hatte wohl wieder zu viel getrunken, denn er schrie aus vollem Halse und fegte mit den Armen in der Luft herum wie eine Windmühle.«
»Da ich Deinen und Cilias Namen hörte, schlich ich mich in seine Nähe, um zu hören was er sagte. Unter den schrecklichsten Fluchen schwur er, daß Cilia in sechs Wochen seine Frau sein müsse und daß er Jedem den Schädel einschlagen werde, der versuchen würde, das zu hindern. Als er Dich dann einen armen Teufel, einen elenden Dummkopf nannte, lief mir die Galle über, ich schrie ihm zu, daß er ein gemeine Kerl, ein gemeiner Schurke sei und wollte rasch davon laufen, doch war er schneller als ich, er ergriff mich und riß mir fast die Ohren vom Kopf. Ach ich hätte ihn da mit meinen Augen durchbohren können! . . . Endlich ließ er meine Ohren los und versetzte mir noch einen so furchtbaren Stoß, daß ich auf die andere Seite der Straße flog. Dein Freund Karl, der mich vertheidigen wollte, trug auch einige Beulen davon.«
Urban war während der Erzählung aufgesprungen.
»Das kann so nicht fortgehn!« murmelte er, die Faust ballend, »o, daß ich dabeigewesen wäre!«
»Du hättest nichts daran machen können. Der wilde Gesell ist riesenstark und würde Jeden, der ihm zu nahe kommt, todtschlagen wie einen Frosch, zumal Dich, den er als seinen Nebenbuhler haß’t. O geh’ ihm aus dem Wege, es möchte sonst ein Unglück geschehn! denk an Deine Mutter, an Cilia . . . «
Urban sank auf die Bank zurück und seufzte, den Kopf in die Hände legend:
»Für mich gibt nichts als leiden, still und ohnmächtig leiden! O Gott, erbarme Dich meiner!«
In diesem Augenblick traten zwei Frauen in die Stube, jede einen Eimer Milch in der Hand; die Erste, schon gealtert und abgemagert, doch mit sanften, gütigen Zügen, war Urbans Mutter, die Base Coutermann; die Andere eine rothwangige, runde Bauerndirne, Therese Brocks die Viehmagd.
Frau Coutermann betrachtete eine Zeitlang ihren Sohn und sagte dann:
»Geh mit Deinen Körben lieber in die Scheune Blasius, und Du, Therese treibst die Kühe aus und schaffst frische Streu in die Ställe.«
Die Dienstboten, welche wohl merkten, daß die Pächterin mit ihrem Sohn allein sprechen wollte, verließen die Stube.
»Fasse Muth, mein armer Urban, und quäle Dich nicht mehr als nothwendig ist,« sagte Frau Coutermann dann, »es geht vielleicht Alles besser als Du meinst.«
»Nein, Mutter, für mich gibt es keinen Trost,« antwortete er seufzend, »alle Hoffnung ist verloren.«
»Im Gegentheil, es ist eine neue Hoffnung aufgegangen.«
»Wie? Täuschst Du mich nicht?« rief der junge Mann aufspringend, eine neue Hoffnung? Welche? Sprich, ich bitte Dich!«
»Der Müller war hier; er theilte uns mit, daß seine Frau sich dem Amtmann gegenüber verpflichtet habe, heute Nachmittag über das Loos ihrer Tochter zu entscheiden, und da die Vorschläge Deines Vaters sie nicht befriedigten, wollte sie, ihren eigenen Worten gemäß, Cilias Hand dem Markus geben . . . Nun rege Dich doch nicht so auf, Du hast durchaus keinen Grund zu verzweifeln . . . Auf Andringen des Müllers hat Dein Vater beschlossen, neue Verpflichtungen einzugehen und zwar Verpflichtungen, welche der Base Roosen jedenfalls genügen werden.«
»O Gott sei tausendmal Dank!« rief Urban, »welch’ unerwartetes Glück, der Vater willigt in die von der Base Roosen gestellten Bedingungen.«
»Nein, das gerade nicht, wenigstens nicht ganz . . . «
»Nicht ganz, Mutter? Wie soll ich das verstehn?«
»Merke wohl auf was er ihr anbieten wird: er will für Dich ein kleines Pachtgut suchen und Dich ganz darauf einrichten, Dir für den Anfang ein paar Kühe und ein Pferd geben; sammt der ganzen übrigen Zubehör, mit einem Wort, er will Dir in Allem behilflich sein, Dein eigenes Anwesen in guten Gang zu bringen. Zwar muß er das nöthige Geld dazu aufnehmen, doch ist er bereit, Deinem Glück dieses Opfer zu bringen.«
»Wie dankbar bin ich dem guten Vater,« murmelte Urban, und die hellen Thränen traten ihm in die Augen; »aber alles das kann mich nicht retten, Mutter, ich weiß ganz gewiß, daß die Vase Roosen von ihrer ursprünglichen Forderung nicht ablassen wird, sie will, daß der Vater den ganzen Pachthof und alles was sein ist, mir übergebe, das ist unmenschlich, das ist grausam, aber was sie einmal beschlossen hat, muß geschehn, sonst vollführt sie ihre Drohung. Mit mir ist es aus, Mutter; Cilia wird Markus Frau, und ich . . . ich vergebe vor Kummer.«
»Wie Du nur so reden kannst! Warte doch wenigstens bis Du den Ausgang der Bemühungen Deines Vaters kennst.«
»Sie sind vergeblich Mutter, verlaß Dich darauf,« klagte Urban; »gleich beim ersten Wort wird die Base Roosen den Vorschlag des Vaters unerbittlich zurückweisen.«
»Dann irrst Du, mein Sohn; Dein Vater ist nun schon seit einer halben Stunde in der Mühle, das ist ein Zeichen, daß man dort eingehend beräth . . . Und wer weiß, vielleicht wird Dein Vater endlich, wenn es gar nicht anders geht . . . «
»Was willst Du damit sagen?« rief der junge Mann lebhaft.
»Vielleicht wird Dein Vater endlich durch meine Bitten und Thränen besiegt, dem Verlangen der Base Roosen gänzlich willfahren, und dann steht Deine Hochzeit mit Cilia nah vor der Thür. Wir würden dann bei Euch wohnen; ich kenne Dein Herz Urban, und weiß, daß im Grunde Alles beim Alten bliebe.«
»O gewiß, liebe Mutter, nur daß dann Zwei da wären, um Dich und den Vater zu lieben und zu segnen! Bin ich Euch bis jetzt ein gehorsamer Sohn gewesen, so würde vollends dann ein Wort, ein Wink von Euch mir ein Befehl wie von Gott selber sein. Das Opfer müßte ich schon annehmen, weil ein grausames Verhängniß mich dazu zwingt, aber wie ein Wurm würde es an meinem Gewissen nagen, wenn ich je vergessen könnte, was Du und der Vater für das Glück Eures Kindes gethan.«
»Da kommt Dein Vater aus der Mühle, ich sehe ihn durch das Fenster!« rief Frau Coutermann erregt, und ihre Stimme drückte freudige Hoffnung aus; bald aber spiegelte sich eine tiefe Besorgniß in ihren Zügen.
Urban war gleichfalls an das Fenster getreten und blickte in ängstlicher Spannung den Vater an. Ach, es war nur zu klar erkennbar, daß dessen Versuche gescheitert waren.
»Nun ist Alles aus, Mutter!« rief der Jüngling, »Cilia ist für mich verloren!«
»Mein armes Kind,« erwiderte die alte Frau, »mir ist, als wollte das Herz mir brechen.«
Der Pächter war ein Mann von etwa sechzig Jahren, hager, schlank und in Folge schwerer Arbeit früh gealtert, doch glänzte in seinen Augen noch ein jugendliches Feuer. Die ganze Gestalt hatte etwas Ehrfurchterweckendes und ließ vermuthen, daß der Geist des Mannes stärker sein müsse, als der Körper.
Bei seinem Eintreten hatte er wohl vorgehabt, seiner Entrüstung über die Base Roosen in heftigen Worten Luft zu machen; als er jedoch sah, daß seine Frau und Urban bitterlich weinten, bezwang er seine Aufregung, setzte sich neben dem letzteren auf die Bank und faßte seine Hand.
»Verzage nicht, mein armer Sohn,« sagte er sanft, wohl ist Dein Schicksal hart, aber, die Zeit heilt alle mit Wunden des Herzens. Wo die Macht des Menschen aufhört, muß er geduldig dass Haupt beugen und Trost suchen in dem Gedanken, das; nichts geschieht ohne den Willen Gottes.«
»Also auch die letzte Hoffnung ist zu Grunde gegangen, Vater?« fragte Urban, gänzlich entmuthigt. »Du hast so die Base Roosen abgewiesen? Cilia wird die Braut des schrecklichen Markus und ich soll sterben vor übergroßem Leid?«
»Sterben mein Sohn? Es ist freilich ein herber Schmerz, die schönste Lebenshoffnung vernichtet zu sehn, doch darum stirbt man nicht sogleich.«
»O Vater, glaube mir, ich werde es nicht ertragen, Cilia in solchen Händen zu sehn!« rief Urban, »und täglich werde ich das Bild vor mir haben, werde wissen, daß sie unglücklich ist, daß sie dahinsiecht unter der rohen Behandlung des gefühllosen Wüstlings, sie, die engelreine Freundin meiner Kindheit, welche ihre Eltern sowohl wie die meinen, mir zur Gattin bestimmt hatten . . . Und mit einem solchen Stachel im Herzen könnte ich leben? . . . Ach, ich setzte großes Vertrauen in Deine Güte, Vater, aber . . . aber . . . «
Coutermann warf seinem Sohne einen strengen Blick zu, vor dem dieser mit einem Seufzer die Augen niederschlug.
»Ich irre mich wohl,« zagte der Pächter kopfschüttelnd. »Alles nur Mögliche habe ich angewendet um den Schlag von Dir abzuwenden. Denke nur Urban, ich habe der Base Roosen angeboten, Dich selbstständig auf einen Pachthof zu setzen, Dir mein Pferd, einen Theil meines Viehs, und alles Geld zu überlassen, aber mit dieser Frau ist nichts anzufangen.«
»Vater, ach hättest Du in deiner unendlichen Güte noch etwas mehr gethan!« rief Urban aus.
»Noch mehr? Du setzest mich in Erstaunen, was willst Du damit sagen?« brummte der Pächter die Stirn runzelnd. »Wie auch Du konntest wünschen, daß ich . . . Unmöglich.«
Frau Coutermann, welche bis dahin weinend in einem Winkel der Stube gestanden hatte, trat nun hinzu und schlang ihre Arme um den Hals ihres Mannes.
»Thomas, Thomas,« flehte sie, »laß Dein Herz erweichen, sei nicht unerbittlich! Ach, wie kannst Du den Kummer unseres armen Kindes länger ansehn? Welche Freude dürfen wir uns noch von Geld und Gut versprechen, wenn wir, um es behalten zu können, unsern einzigen Sohn zu einem Leben voll Verzweiflung und Jammer verurtheilen? Tritt Urban und Cilia unsern Pachthof ab, da die Base Roosen es denn durchaus will; wir bleiben bei unsern Kindern, die uns um so mehr lieben werden, weil wir Alles hingaben, sie glücklich zu machen.«
»Vater, bester Vater,« fügte Urban hinzu, »wenn ich es auch nur auf einen Augenblick vergessen könnte, – wenn ich meine Ehrfurcht, meine Dankbarkeit jemals abnehmen sollte, ich verdiente nicht eines seligen Todes zu sterben! Ach, habe Mitleiden mit meinem Schmerz!«
»Mitleid!« wiederholte der Pächter in bitterem Ton, »ja Du mußt in der That sehr unglücklich, halb wahnsinnig vor Schmerz sein, um so etwas Unmögliches von mir zu verlangen! Von Dir wenigstens hatte ich das nicht erwartet, mein Sohn!«
»Thomas laß Dich erweichen; rette Urban, rette Cilia mit einem einzigen gütigen Wort,« rief die Pächterin.
»Ja Du bist die Mutter,« vesetzte Coutermann »die Liebe zu Deinem Sohn verblendet Dich, aber er ist ein Mann . . . «
»Vergebung, Vater, Vergebung! Die Verzweiflung ist stärker als ich,« bat der junge Bauer.
»So scheint es, mein Kind: Du weißt eben so wenig wie Deine Mutter, was Ihr verlangt,« erwiderte der Pächter mit Nachdruck. »Auf diesem Hofe bin ich geboren, unter diesem Fenster stand meine Wiege, am Heerde dort glaube ich noch immer meine Mutter singend oder erzählend vor ihrem Spinnrädchen sitzen zu sehen, hier in diesem großen Armstuhl ist mein Vater mich segnend sanft im Herrn einschlafen. Jeder Grashalm auf diesem Hofe hat einen Tropfen meines Schweines getrunken, jeder Stein war ein Freund meiner Kindheit; meine Freude, meine und Liebe, meine Schmerzen, sie stehn eingegraben auf Allem, was mich hier umgibt . . . Und in meinen alten Tagen sollte ich mein heimatliches Dach verlassen und wie ein Fremdling in der Welt herumirren?«
»Aber nein, Thomas,« unterbrach ihn seine Frau »wir wollen hier wohnen bleiben! Es soll sich nichts ändern . . . «
»Vater ich wurde Dir nach wie vor mit derselben Liebe und Unterwürfigkeit gehorchen . . . «
»Es soll sich nichts ändern!« wiederholte der Pächter den Kopf schüttelnd, »das ist leicht gesagt, aber wer steht dafür ein? Ist nicht der Tod da, der jeden menschlichen Willen zu Nichte macht? Vorausgesetzt, Urban heirathet Cilia: kann unser Sohn nicht sterben, da wir doch Alle sterblich sind? Cilia ist dann die alleinige Eigenthümerin und wenn sie sich wieder vermählt, wird ihr neuer Mann, da wohl eben so gut sein gegen uns alte abgelebte Leute die zu viel essen und zu wenig arbeiten? Ja wie Ihr Euch auch sträuben mögt gegen die traurigen Erwägungen, die Sache ist wie ich Euch sage, und der Mensch soll der Vernunft und Wahrheit sein Ohr nicht verschließen. Haben wir nach dieser Richtung nicht Beispiele genug? Sie umgeben uns von allen Seiten. Da ist Stephan der achtzigjährige Greis, der sich des Sonntags hier ein Stückchen Brod bettelt; er war früher ein wohlhabender Pächter. Auch er hat seinem Sohne Alles überlassen; der Sohn ist gestorben, dann des Sohnes Frau; durch Erbschaft ist sein ganzer Besitz in fremde Hände gekommen und um den Alten kümmert sich Niemand.
»Er hat sich ausgekleidet bevor er schlafen ging und mußte hart für seine Unvorsichtigkeit büßen. Glaube nicht, Urban, daß der Eigennutz mir diese Worte eingibt; handelte er sich nur um mich, ich würde, aus Liebe zu Dir, wahrscheinlich Alles opfern aber Deine Mutter kann uns alle überleben, müssen wir nicht fürchten, daß sie einst, wie jetzt der alte Stephan, ihr Brod an den Thüren zu betteln genöthigt ist? Wenn wir der Base Roosen Gehör schenken, so ermöglichen wir solche schrecklichen Verhältnisse und das soll nimmer geschehen, nein nun und nimmermehr!«
»Ist es nur das, was Dich abhält, Thomas, so gib so gib so bald als möglich Deine Einwilligung!« rief Frau Coutermann eifrig. »Wenn nur Urban glücklich wird, das eigene Schicksal, mag es auch hart sein will ich ertragen.«
»Da höre ich wieder die Mutter aus Dir reden Clara,« versetzte der Pächter; »das eigene Herz gibst Du her, wenn man es für Deinen Sohn von Dir verlangt, meine Pflicht aber ist es ein solches Opfer zu verhindern. Ich bin überzeugt, daß Urban seit er einen klaren Einblick in die Sache gewonnen hat, alle derartigen Gedanken fahren läßt. Sprich Urban, sag daß ich Recht habe.«