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Czytaj książkę: «Der Bahnwärter», strona 5

Czcionka:

Seine erhitzte Rede wurde hier durch das eilige Näherkommen eines Dienstmädchens unterbrochen, das erfreut zu ihm sagte:

»Herr Friedrich, der Herr Notar ist aufgewacht, es geht ihm viel, viel besser! Er sucht nach Ihnen mit den Augen und murmelt Ihren Namen.«

»Gott sei gepriesen!« jubelte der junge Mann, »ich komme, ich komme! . . . Herr Masmans, Sie entschuldigen, nicht wahr? Ich muß Sie verlassen.«

»Darf ich hier auf neue gute Nachricht warten?« fragte der Staatsanwaltsgehilfe. »O, es erfreut mich mehr als ich aussprechen kann, daß solch glückliche Wendung eingetreten!«

»Bleiben Sie, bleiben Sie,« rief Friedrich, »haben Sie nur ein wenig Geduld und lassen sich die Zeit nicht lang werden, ich komme gleich zurück und sage Ihnen, wie es dem Vater geht.«

Im nächsten Augenblick war er verschwunden und lief mit geflügelten Schritten dem Hauses zu.

Während einer ziemlich langen Zeit blieb der Andere allein und spazierte in Gedanken versunken, einsam durch den Garten.

Endlich sah er Friedrich zurückkommen, der ihm schon aus der Ferne mit der Hand winkte.

»Nun, wie haben Sie Ihren Vater gefunden?« fragte er.

»Gut, sehr gut,« war die Antwort, »er ist jetzt bei klarer Besinnung.«

»Und haben Sie ihm noch nicht von dem Unglück gesprochen?«

»Nein, wir durften nicht, es möchte ihn zu sehr aufregen, wenn er den schrecklichen Tod des Kutschers erführe.«

»Aber den brauchte man ihm ja nicht zu melden.«

»Das ist richtig, Herr Masmans, aber wir haben beschlossen, vor der Ankunft des Arztes nichts zu wagen. Ich habe meinem Vater gesagt, daß Sie sich nach seinem Befinden erkundigt hätten und nun im Garten auf die Antwort warteten; darauf bezeugte er den Wunsch, Sie zu sehn; wollen Sie mir folgen?

»Gewiß, gewiß!« rief der Andere, mit sichtlicher Freude.

»Aber Sie werden ihn nicht an das Unglück erinnern?«

»Nein, sicher nicht, wenn er nicht selbst davon anfängt.«

»So kommen Sie denn, ich werde Sie zu ihm führen.«

Als sie die Thür des Krankenzimmers öffneten, wurde ihnen durch ein Zeichen die größte Ruhe empfohlen. In einiger Entfernung von dem Bette saß Frau Vereichen mit einem Krankenwärter. Der Notar lag auf dem Rücken, die Augen weit geöffnet, den gläsernen Blick starr in die Höhe gerichtet; er schien noch wirr im Kopfe zu sein und wenig Bewußtsein von seinem Zustande zu haben.

Friedrich näherte sich ihm vorsichtig und sagte mit leiser Stimme:

»Vater hier ist unser Freund, der Herr Masmans, der Dich besuchen will.«

Der Kranke schien diese Worte anfangs nicht zu hören, doch als ob seine Seele allmählig erwache, kam Licht und Leben in seinen Blick. Er ließ den Kopf ein wenig zur Seite sinken, sah den Besuchenden erst fragend, dann mit einem matten Lächeln an und versuchte selbst die Hand zu ihm zu erheben.

»Guten Tag, Herr Masmans,« murmelte er, »ach wie krank bin ich gewesen und so lange, lange Zeit!«

»In der That, Herr Notar, Sie waren sehr trank und haben gewiß arg gelitten, aber nun ist, Gott sei Dank, Alles glücklich überstanden. Sie werden genesen; nur wenige Tage noch, dann können Sie bei den milden Sonnenstrahlen schon wieder im Garten spazieren.«

Bei dieser tröstlichen Prophezeihung lächelte der Notar wieder, doch nahmen seine Züge fast gleichzeitig einen peinlichen Ausdruck an. Er fuhr mit der schwankenden Hand nach der linken Seite seines Kopfes und murmelte seufzend:

»Es ist noch nicht überstanden! Da habe ich Schmerzen, mein Kopf ist zerbrochen, ich bekam einen Schlag, einen schrecklichen Schlag . . . Wo war es doch gleich? . . . Und wie?«

Seine Hausgenossen zitterten vor Furcht, daß die Erinnerung an das traurige Ereigniß jetzt plötzlich in ihm erwachen würde. Der Staatsanwaltvertreter war nicht minder bewegt, das Herz schlug ihm in freudiger Aufregung und er horchte mit gespannter Aufmerksamkeit.

Der Kranke schwieg wieder und blickte aufwärts, doch sah man in dem Ausdruck der Augen und an dem Runzeln der Stirn, daß er mit einem undeutlichen Gedanken beschäftigt war, und sich bemühte, Klarheit in seinem Geiste zu erwecken.

Plötzlich legte er wieder den Kopf aus die Seite und fragte:

»Wo ist Joseph, der Kutscher?«

Alle erbleichten bei dieser überraschenden Frage.

Friedrich näherte sich schnell und sagte scheinbar ruhig.

»Der Kutscher ist im Stall bei den Pferden, Vater.«

»Du mußt ihn fortjagen,« brummte der Kranke.

»Ihn fortjagen?«

»Er soll mir nicht mehr unter die Augen kommen!«

»Gut, Vater ich will es ihm sagen.«

»Weßhalb sind Sie denn so ärgerlich über Ihren Kutscher?« fragte der Staatsanwaltsgehilfe mit versteckter Absicht.

»Er ist Schuld an meiner Krankheit,« sagte der Notar, mit größerem Ausdruck als zuvor. »Ja nun besinne ich mich, – der Donner, – der Hagel – der Schnellzug . . . «

»Ihr Kutscher hat doch nicht etwa die Barrieren geöffnet?«

»Ja, geöffnet, er hat sie geöffnet.«

»Mit Ihrer Zustimmung?«

»Ich hatte es ihm verboten; er war angetrunken, das Wetter war schrecklich . . . «

»Da ist er also abgestiegen, um die Barrieren zu öffnen?«

»Ja, leider, trotz meiner Zurufe.«

»Aber sind Sie denn sicher, daß sie vorher geschlossen war? Vielleicht hatte man versäumt, sie zu schließen?«

»Nein, nein, ich weiß es ganz gewiß.«

Der junge Beamte trat aus Friedrich zu und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Sie haben es gehört, nicht wahr? Johann Verhelft ist unschuldig. Erlauben Sie mir jetzt, eine Pflicht der Menschenliebe und Gerechtigkeit zu erfüllen. Ich verlasse Sie, doppelt erfreut über die Genesung des guten Herrn Bereichen und über die Befreiung eines braven Mannes.«

Friedrich stand wie erstarrt bei dieser unerwarteten Offenbarung; sein Blick suchte den Boden, er antwortete nur durch eine langsame Bewegung des Kopfes.

Mit einem schweigenden Gruß verließ der Andere das Gemach und eilte die Treppe hinab; Friedrich aber, der ihm rasch gefolgt war, erreichte ihn im Hausflur, ergriff seine Hand, zog ihn in ein anstoßendes Zimmer und sagte mit Thränen in den Augen:

»Herr Masmans, Sie beschuldigen mich in Ihrem Herzen der Bosheit, nicht wahr? Bin ich doch wirklich größtentheils die Ursache von Allem, was Johann Verhelft und feine arme Familie gelitten hat. Ich habe die Leute gegen ihn aufgehetzt, habe auf seine sofortige Verhaftung gedrungen, habe ihn um seine Bahnwärterstelle gebracht. Und vor dem Unglück achtete ich ihn doch und wünschte nur, ihm und seinen Kindern Gutes zu thun. Das Einzige, was ich zu meiner Entschuldigung sagen kann ist,, daß ich von seiner Schuld fest überzeugt war . . . Jetzt aber quält mich das Gewissen, ich bin außer mir, beschämt und betrübt und wünsche nichts mehr, als daß ich, um irgend welchen Preis, das Unrecht wieder gut machen könnte, welches ich den armen Leuten zugefügt.«

»Lassen Sie sich nicht gar zu sehr niederschlagen, Friedrich, sagte der Staatsanwaltsgehilfe, »die Genugthuung ist in dem vorliegenden Falle nicht so schwer. Sobald der Richter das Zeugniß Ihres Vaters vernimmt, wird er Johann Verhelft in Freiheit setzen. Mit einigem Gelde läßt sich dann der erlittene Schaden ersehen und in der Freude über die glückliche Wendung der Sache werden die erlittenen Schmerzen bald vergessen sein. Suchen Sie ihm eine andere Anstellung zu verschaffen und schützen ihn inzwischen vor aller Noth. Ich habe diese Leute kennen gelernt, sie sind von Natur gut und dankbar und werden Sie noch als ihren Wohlthäter segnen.«

»Ihr-e tröstenden Worte geben mir neuen Muth, aber unthätig kann ich jetzt nicht bleiben. Wenigstens sechsmal bin ich zur Stadt gelaufen, um meiner Rachsucht zu genügen; mit demselben Eifer will ich fortan die Sühne bewirken. Armee Verhelft! Er war so glücklich in seinem Waggon, der einfache, brave Manne wenn er seinen Posten bei Bolderhout nicht zurückbekommt, wird er sich lange darüber grämen, wo immer man ihn auch sonst anstellen möge. – Kehren Sie jetzt zur Stadt zurück, Herr Masmans?«

»Nun, natürlich.«

»Sofort?«

»Ohne Aufschub, Friedrich. Ich gehe gleich zum Untersuchungsrichter um die Freilassung des Gefangenen zu bewirken. Der Richter wird unglücklicher Weise wohl auf seinem Landgute sein, es liegt jenseits der Stadt, aber ich werde mich beeilen, so viel als irgend möglich.«

»Wohlau denn, Herr Masmans, wenn Sie es erlauben und ein Plätzchen für mich in Ihrem Wagen haben, schließe ich mich Ihnen an. Sie sind dann wohl so gütig, mich am Bahnhof abzusetzen, damit ich sogleich von dem Director die Wiedereinstellung Johann Verhelft erbitten kann. Er ist ein Freund meines Vaters und wird mein Gesuch nicht abschlagen.«

»Aber der neue Bahnwärter?«

»O, und wenn wir ihn jahrelang unterhalten müßten, bis er eine andere gute Stelle findet, was ist das im Vergleich zu der Schande und dem Schmerz, den ich unschuldigen Leuten zugefügt?«

»Das ist wahr, Friedrich. Was Sie sagen, kommt aus einem edlen Herzen.«

»Hören Sie nun« was ich vorhabe.

Sie geben mir einen Einlaßschein zum Gefängniß, ich beeile mich bei der Eisenbahndirection und bin dann hoffentlich der Erste, der dem Gefangenen die frohe Botschaft überbringt. Inzwischen fahren Sie zum Untersuchungsrichter und kommen mit der Freilassung zum Gefängniß. Sollten Sie mich dort nicht finden, so bitte ich dringend, daß Sie auf mich warten, denn ich möchte um keinen Preis den Augenblick verfehlen, in dem das Opfer meiner Verirrungen der Freiheit und dem Glück zurückgegeben wird. Lassen Sie nun eilig Ihren Wagen anspannen und holen mich dann gütigst hier ab, ich werde inzwischen die nöthigen Vorkehrungen treffen, um auf einige Stunden vom Hause mich entfernen zu können.«

So sprechend führte er seinen Freund durch den Garten an das Thor.

Beim Zurückgehn begegnete er dem Schreiber und sagte in freudiger Aufregung:

»Hören Sie, Wispel, ich muß Ihnen Etwas mittheilen, das Sie überraschen wird. Sie waren immer ein guter Freund von Johann Verhelft und haben niemals glauben wollen, daß er Schuld sei an dem Eisenbahnunglück . . . «

»Ich glaube es auch nicht bis aus den heutigen Tag,« brummte der Schreiber.

»Nun denn, Sie hatten Recht, mein Vater hat gesprochen, es ist Joseph, der Kutscher gewesen, welcher die Barrieren geöffnet hat; er war angetrunken und gab dem Verbote meines Vaters kein Gehör.«

»Hurrah, Hurrah!l Hoch lebe Johann Verhelft!« rief der Schreiber, vor Freude seine Mütze in die Lust werfend.

»Sein Sie ruhig und geben wohl Acht,« sagte Friedrich. »Die Leute von Bolderhout haben ihm viel Schmach und Leid angethan, morgen wird er hierher zurückkehren. Gehen Sie jetzt durch das ganze Dorf und verkünden seine Unschuld, damit er in Freude und Ehren eingeholt werde, wie es ihm gebührt.«

»Herr Friedrich, erlauben Sie, daß ich nach meinem Sinn den Empfang einrichte?«

»Ja, ich wünsche dringend, daß man ihn sein Unglück vergessen mache.«

»Und wenn es einige Franken kosten sollte?«

»Darauf brauchen Sie nicht zu sehn, ich gebe Ihnen ausgedehnte Vollmacht.«

»Nun, dann soll nichts daran fehlen,« jubelte der Schreiber, indem er voller Freuden eiligst dem Dorfe zulief.

V

Es war gegen elf Uhr des Morgens, als Marianne mit der blinden Großmutter und den Kindern die Stadt erreichte.

Sie hatten die Mühen und Beschwerden des langen Weges glücklich überstanden, durstig, hungrig und ermüdet mußten sie sein, und doch glänzte in ihren Augen das Glück froher Erwartung.

Selbst der Anblick der düstern Mauern des alten Gefangenenhauses, die eisernen Gitter der Fenster, die furchterweckenden Schießscharten vermochten nicht ihre Freude zu vermindern. Nur ein Gedanke erfüllte sie ganz: wenige Minuten noch, dann sollten sie den geliebten Vater, den Gatten, den Sohn umarmen.

Ermuthigt durch die Einlaßkarte, welche der Staatsanwaltsgehilfe ihr eingehändigt, ergriff Marianne furchtlos den Glockenzug.

Das Thor wurde gleich darauf halb geöffnet.

»Was wollt Ihr hier?« fragte der Portier kurz angebunden indem er die arme Familie mißtrauisch betrachtete.

Sobald er aber das Kärtchen in Empfang genommen, öffnete er das Thor vollständig und sagte eben so kurz:

»Kommt herein, geht dort in die Stube und wartet.«

Sie traten in das bezeichnete Gemach, mit hochklopfenden Herzen; glaubten sie doch, daß der Portier den Gefangenen holen wolle. Die Kinder und die Großmutter streckten schon, ohne es zu wissen, die Arme ihm entgegen.

Da hörten sie das Geklirr von Schlüsseln und ein anderer Aufwärter trat herein.

»Wer ist hier die Frau des Bahnwärters Johann Verhelft?« fragte er.

»Das bin ich!« erwiderte Marianne vortretend.

»So folgen Sie mir, ich habe den Auftrag, Sie zu Ihrem Mann zu führen.«

»Kommt Kinder, komm Großmutter, wir sollen zum Vater in die Zelle . . . «

»Halt, so ist es nicht gemeint,« unterbrach sie der Schließer abwehrend. »Sie allein, Ehefrau Verhelft, dürfen mir folgen.«

»Und meine armen Kinder? Großer Gott!«

» Die bleiben hier in diesem Zimmer bis Sie zurückkehren.«

»Und ich, seine blinde Mutter, ach habt Erbarmen! Um Gotteswillen!«

»Mein Auftrag lautet so und nicht anders, spart nur die nutzlosen Klagen.«

Alle standen verwirrt, entsetzt und bleich, ein Donnerschlag hätte sie nicht gewaltiger treffen können als diese unerwartete rohe Zurückweisung.

Marianne faßte sich zuerst, mit gefalteten Händen flehte sie:

»Ach, wenn Ihr ein menschliches Herz habt, dann erbarmet Euch!l Denkt des armen Johann Verhelft! Er sollte wissen, daß seine blinde Mutter und seine Kinder, die er liebt wie das Licht seiner Augen, ihm so nah sind, und sie nicht umarmen dürfen? Da müßte ihm ja das Herz vor Kummer brechen. Seht wie die armen Schäfchen in Thränen zerfließen, die alte blinde Frau wird ohnmächtig werden . . . Seid barmherzig! Gott im Himmel wird es Euch vergelten!«

»Erbarmen, ach Erbarmen! « rief auch die Großmutter.

Aber wie sie auch baten und flehten, der Schließer blieb kalt und fest, wenngleich seine Worte milder wurden. Ihm war der Befehl geworden, die Frau des Johann Verhelft zu ihrem Manne zu führen, und unter keinem Vorwande durfte er darüber hinausgehen.

»Mutter, liebe, herzige Kinder, weint nicht so bitterlich,« sagte Marianne mit thränenerstickter Stimme. »Unser Schicksal ist hart, aber wir müssen uns dem Willen Gottes unterwerfen. Ich will hingehen zum Vater, ihn für Euch Alle umarmen, ihn trösten in Eurem Namen und Euch dann seine Liebesworte zurückbringen. Ich darf den armen Gefangenen jetzt nicht länger warten lassen. Habt Muth und haltet Euch stark! Alexander, gib gut auf Bärbchen Acht, bis ich, wiederkomme.«

Sie setzte das Kind auf den Arm des Knaben und rief dann an der Thür mit schwer errungener Fassung:

»Jetzt bin ich bereit, zu folgen.«

Sie waren schon eine Strecke durch einen düstern Gang geschritten, als der Schließer mitleidig zu ihr sagte:

»Sie sind also die Frau des Bahnwärters dessen Pflichtvergessenheit den Tod von zwei Menschen verursacht hat?«

»Ach es ist ja nicht wahr! Glauben Sie mir, er hatte die Barrieren geschlossen!«

»Natürlich, anders werden Sie gewiß nicht sprechen! Uebrigens thun Sie mir herzlich leid, arme Frau; was wollen Sie nur mit den Kindern und der blinden Mutter anfangen? «

»Sie glauben also, daß mein Mann verurtheilt wird?«

»Daran ist nicht zu zweifeln, Sie sollten steh lieber an den traurigen Gedanken zu gewöhnen suchen, es wird dann weniger schrecklich sein, wenn Sie später das Urtheil hören.«

Gefoltert von tiefer Angst wollte Marianne eben in Klagen über die Ungerechtigkeit der Menschen ausbrechen, doch da sah sie, wie ihr Begleiter den Schlüssel in eine kleine schwarze Thür steckte. Ihr Schmerz war verschwunden, ihre Augen glänzten, laut klopfte ihr Herz und es entfuhr ihr ein durchdringender Schrei, gemischt von Freude und Schrecken, als sie in dem Halbdunkel der Gefängnißzelle das abgemagerte Gesicht ihres Mannes gewahrte.

Sie sprang ihm entgegen und wurde vor Aufregung beinah ohnmächtig an seiner Brust.

»Die Frau kann eine halbe Stunde hier bleiben,« sagte der Schließer, ich halte so lange hier draußen Wache und werde sie fünf Minuten vor zwölf wieder abrufen, so lautet mein Befehl.«

Der Bahnwärter drückte seine Frau eine Weile schweigend an’s Herz, stille Thränen flossen aus beider Augen und als sie endlich die Sprache wiederfanden, konnten sie anfangs nichts sagen als: »Gute Marianne, geliebte Frau!« und: »Jan, liebster Jan!«

Nachdem sie in undeutlichen, abgeriss’nen Worten ihre Freude, einander wiederzusehn, ausgesprochen hatten, führte der Gefangene seine Frau zu dem Bänkchen, setzte sich neben sie und nahm ihre Hand in die seine.

»Laß uns Muth fassen, Marianne,« sagte er. »Nur eine halbe Stunde ist uns vergönnt und wir haben von so vielen und wichtigen Dingen zu sprechen! Du siehst mich traurig an? Du fragst, warum ich so abgemagert bin in den wenigen Tagen? Das kommt, weil ich nichts, gar nichts von Dir und den Kindern vernommen. Jetzt fühle ich mich geströstet und neu gekräftigt. Sag mir nun zuerst, wie es Euch in meiner Abwesenheit ergangen? ist die Großmutter krank geworden? Und die Kinder? Wird der Notar genesen? Wer bewacht jetzt die Barrieren?«

»Großmutter und Kinder sind gesund,« antwortete Marianne zögernd; »sagt Dein Herz Dir nicht, Jan, daß sie ganz in Deiner Nähe sind?«

»Wie so, in meiner Nähe? was will das sagen?«

»Sie sitzen in einer Kammer beim Thor des Gefangenenhauses, sie warten . . . und weinen. Ach die ärmsten, sie waren hierher gekommen in der Hoffnung, Dich zu umarmen und nun dürfen sie nicht zu dir!«

Von neuem flossen die Thränen über ihre Wangen.

»Ach meine armen Schäfchen, was haben sie denn verbrochen?« murmelte Johann Verhelft bekümmert. Bald aber bezwang er seinen Schmerz und sagte entschlossen:

»Marianne, wir wollen unser Leid ersticken und unsere Thränen gewaltsam zurückdrängen, denn die Zeit verfliegt. Sag mir jetzt schnell wie es Euch seither ergangen und dann wollen wir von wichtigen Dingen reden.«

Die bedrückte Frau schien ihn zu verstehen, denn sie schüttelte heftig den Kopf als wollte sie sich auflehnen gegen ihren Schmerz, und antwortete dann hastig:

»Dem Notar ging es gestern Abend sehr schlecht, man fürchtete, er würde die Nacht nicht überleben. Die Großmutter ist nicht krank geworden, ich habe sie und die Kinder getröstet und ermuthigt durch die Hoffnung, daß du bald freigesprochen würdest. Ich selbst erlag beinah dem Schrecken und der Verzweiflung, doch fühlte ich, was mir als Mutter zu thun oblag und so zeigte ich mich stark, um die Andern zu trösten. Ein neuer Bahnwärter ist ernannt . . . «

»Ach,« seufzte Johann Verhelft, unser lieber Waggon, unser Gärtchen, unser Land, die Schule von unserm Alexander, Alles ist verloren, für immer verloren! Wir waren zu glücklich, deßhalb konnte es so nicht bleiben . . . fort, Marianne.«

»Der neue Bahnwärter ist ein gutmüthiger Mensch,« er wollte uns, bis nachdem Ausspruch des Gerichtes, im Waggon wohnen lassen, aber die Leute ans Bolderhout verfolgten uns so unbarmherzig und überhäuften mich und die unschuldigen Kinder so sehr mit Schmähungen, daß wir beschlossen haben, hier in der Stadt ein paar Stübchen zu miethen.«

»Aber wie ist es nur möglich, liebe Frau, daß die Leute in Bolderhout plötzlich so hart und böse geworden sind, während sie doch früher die besten Menschen der Welt waren?«

»Das ist die Schuld von Friedrich Vereichen, der läuft von Morgen bis Abend umher, Alle gegen uns aufhetzend. Sieh, Jan, das hätte ich niemals gedacht, aber Friedrich ist ein schlechter Mensch und Gott im Himmel wird ihn strafen für das Uebel, das er uns anthut!«

»Ach, Marianne,« sagte der Bahnwärter, »der arme junge Manns sieht seinen Vater sterben und hält mich für die Ursache seines Todes. Früher war er immer so gut und freundlich gegen uns. Gewiß es ist nur der Schmerz, der ihn irre macht, ich habe Mitleiden mit ihm.«

»Nur zwei Freunde sind uns in unserm Unglück geblieben,« erzählte die Frau weiter; »nämlich Wispel der Schreiber des Notars, und Alexanders Lehrer und dann hat Gott uns einen edelmüthigen Beschützer gesandt, um uns zu trösten, den Staatsanwaltsgehilfen des Gerichts. Was das doch für ein guter, edler Herr ist! Er war es auch, der mir die Erlaubniß verschaffte Dich zu besuchen; ich werde ihm noch auf meinem Todesbette danken. Und Dich hat er auch im Gefängnisse getröstet, nicht wahr?«

Verhelft antwortete nicht, er schien seine Gedanken zu sammeln, alle seine Kraft zusammen zu nehmen, zu einer ernsten Unterredung.

Er faßte wieder ihre Hand und sagte mit bewegter Stimme: »Marianne, es ist leider meine Pflicht, Dich tief zu betrüben, aber Menschen wie wir, ohnmächtige, elende Menschen, können nichts thun als ihr Kreuz ausnehmen und treu ausharren bis zum Ende. Der Wille Gottes ist unerforschlich, liebe Frau, wir müssen uns in Ergebung ihm unterwerfen. Höre deßhalb ruhig und gefaßt, was ich Dir jetzt sagen will. Zeugen meiner Unschuld gibt es nicht, ich werde also verurtheilt werden . . . Weine nicht, Marianne, das kann doch nichts daran ändern, denk an unsere Kinder . . . «

»Armer Jan,« klagte die Frau. »Du guter Mensch, Du solltest wirklich viele Jahre in diesem Loch bleiben müssen? «

»Nein« nur zwei Jahre. Der Geistliche, der mich besucht, hat mir erklärt, daß das die Strafe ist, welche das Gesetz für die fahrlässige Tödtung bestimmt. Zwei Jahre vergehen ja so schnell! Wäre es nicht Dein und der Kinder Loos, der Verlust meiner Stelle in Bolderhout und der ach! noch so unendlich schwerere Verlust meiner Ehre, da würde ich meiner Verurtheilung geduldig entgegensehen . . . Hast Du schon darüber nachgedacht, Marianne, was Du während, der Dauer meiner Gefangenschaft anfangen willst?«

Ich will mir die Finger von den Händen arbeiten, nach besten Kräften, Jan, und mit Gottes Hilfe . . . «

»Arbeiten, Du gute Frau?« rief der Bahnwärter gerührt. »Arbeiten? Und wenn Du Dich zu Tode plagtest, Du könntest doch nicht ganz allein die Großmutter, die drei Kinder und Dich selbst ernähren. Ich habe Tag und Nacht darüber nachgedacht, es muß ein muthiger Entschluß gefaßt werden, wie schmerzlich auch die traurige Notwendigkeit Dein liebevolles Mutterherz durchschneiden wird. Gib jetzt genau Acht, was geschehen muß. Ich will den Meistergesellen der Bahnhofswerkstatt daran erinnern, daß er früher mein bester Freund war, auch die Fürsprache des guten Staatsanwaltsvertreters werde ich anrufen, mit beider Hilfe werden wir dann hoffentlich für die Großmutter einen Platz im Armenhause erlangen bis ich zurückkehre . . «

»O, das ist entsetzlich, Jan, Deine blinde Mutter in’s Armenhaus!«

»Es muß sein, Marianne, aber das ist noch nicht das schlimmste. Alexander kannst Du bei Dir behalten, aber Bärbchen mußt Du zu meiner Schwester nach Vilvorden tragen, sie wird sich nicht weigern, das Kind aus Mitleiden die zwei Jahre zu behalten . . . Du weinst, Marianne, ich begreife, daß Dir das Herz brechen will, aber die Noth ist einmal unerbittlich . . . Den kleinen Heinrich muß Du so lange Deinem alten Onkel, dem Wagenmacher übergeben, der ja sein Pathe ist. Alexander soll Lehrjunge werden in der großen Werkstatt, da wird er schon bald etwas Geld verdienen. So bist Du im Stand, ohne Dich krank zu arbeiten und – ohne betteln zu müssen, bis zu meiner Wiederkehr Dich durchzubringen . . . Komm, liebe Frau, weine nicht so sehr und fasse Muth, Gott wird Dich und uns alle nicht vergessend.«

Marianne schwieg, sie schwamm in Thränen und schluchzte laut. Ihr Mann hatte sie in seinen Arm genommen und suchte sie mit sanften Worten aus dem Abgrunde des Schmerzes aufzurichten.

»Bedenke doch, daß die Nothwendigkeit uns zwingt,« flüsterte er, »wie könnte ich sonst einwilligen, Dich wie ein erbarmungsloser Feind zu quälen, Dich die ich ehre und liebe als das Bild der höchsten Güte und reinsten Liebe! Deine Thränen machen mein Herz bluten!«

»O Jan, Jan! rief sie, »ich glaube daß ich den Verstand verliere vor Kummer! . . . Laß mich weinen, laß mich schluchzen, oder ich muß ersticken! Habe ich denn kein Mutterherz? Von all meinen Kindern soll ich mich trennen? Jedes mir ein Stück von meinem Leben mit fort. Jedes wird mir ein Stück von meinem leben mit fortnehmen! Soll ich da nicht verzagen? nicht sterben? O Gott! hast Du uns denn ganz verlassen? Gibt es denn im Himmel kein Erbarmen mehr für solch Armselige wie wir?«

Jetzt wurde die Thür der Zelle geöffnet und der Schließer, der bis dahin Wache gehalten, trat herein.

»Die halbe Stunde ist verflossen,« sagte er, »Frau Verhelft, Sie müssen mir ohne Aufschub folgen.«

Ein Angstschrei entrang sich ihrer Brust.

»Ihn verlassen? jetzt verlassen?« rief sie. »Nein, nein, eher lasse ich mir die Arme ans dem Leibe reißen. Ich frage nach nichts mehr, ich flehe um den Tod wie um die höchste Wohlthat!«