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Helmut Schlegel Heute, nur heute
Helmut Schlegel
Heute,
nur heute
Zehn Gebote
der Gelassenheit
von Johannes XXIII.
Geistliche Übungen
INHALT
Einstieg
Heute, nur heute
Zehn Gebote der Gelassenheit von Johannes XXIII.
Übung der Präsenz
Heute, nur heute
Erstes Gebot der Gelassenheit
Heute, nur heute werde ich
mich bemühen, den Tag zu leben,
ohne die Probleme meines Lebens
auf einmal lösen zu wollen.
Zweites Gebot der Gelassenheit
Heute, nur heute werde ich auf ein
zurückhaltendes Auftreten achten:
Ich werde niemanden kritisieren,
ich werde nicht danach streben,
die anderen zu korrigieren oder
zu verbessern – nur mich selbst.
Drittes Gebot der Gelassenheit
Heute, nur heute werde ich
in der Gewissheit glücklich sein,
dass ich für das Glück geschaffen bin –
nicht nur für die andere,
sondern auch für diese Welt.
Viertes Gebot der Gelassenheit
Heute, nur heute werde ich mich
an die Umstände anpassen,
ohne zu verlangen,
dass die Umstände sich
meinen Wünschen anpassen.
Fünftes Gebot der Gelassenheit
Heute, nur heute werde ich
zehn Minuten meiner Zeit
einer guten Lektüre widmen;
wie die Nahrung für das
leibliche Leben notwendig ist,
so ist die gute Lektüre notwendig
für das Leben der Seele.
Sechstes Gebot der Gelassenheit
Heute, nur heute werde ich
eine gute Tat vollbringen, und
ich werde es niemandem erzählen.
Siebtes Gebot der Gelassenheit
Heute, nur heute werde ich
etwas tun, wozu ich eigentlich
keine Lust habe;
sollte ich es als eine Zumutung
empfinden, werde ich dafür sorgen,
dass niemand es merkt.
Achtes Gebot der Gelassenheit
Heute, nur heute werde ich ein
genaues Tagesprogramm aufstellen.
Vielleicht halte ich mich nicht genau
daran, aber ich werde es aufsetzen.
Und ich werde mich vor zwei Übeln
hüten: vor der Hetze und vor der
Unentschlossenheit.
Neuntes Gebot der Gelassenheit
Heute, nur heute werde ich
fest daran glauben – selbst wenn
die Umstände mir das Gegenteil
zeigen sollten –, dass die gütige
Vorsehung Gottes sich um mich
kümmert, als gäbe es sonst
niemanden auf der Welt.
Zehntes Gebot der Gelassenheit
Heute, nur heute werde ich keine
Angst haben. Ganz besonders werde
ich keine Angst haben, mich an
allem zu freuen, was schön ist,
und an die Güte glauben.
Übung der Bescheidung
Nimm dir nicht zu viel vor.
Es genügt die friedliche, ruhige Suche
nach dem Guten an jedem Tag zu
jeder Stunde, ohne Übertreibung
und ohne Ungeduld.
Übung der Gelassenheit
Übung am Morgen Übung unterwegs Übung in der Kirche Übung in Gegensätzen Übung „Von eins bis drei“ Übung „Von drei bis eins“ Übung in der Einsamkeit Übung in der Liebe
Biographische Notizen
Angelo Roncalli – der Mensch und der Papst
Angelo Roncalli und das Zweite Vatikanische Konzil
Angelo Roncalli und sein Bemühen um Gerechtigkeit und Frieden
Literatur
Einstieg
Johannes XXIII. ist eine Lichtgestalt der Kirche, ja der ganzen Menschheit. Warum?
Ist es seine lautere Persönlichkeit, die hinter dem Papst den Gottsucher, den Menschen und den Bruder durchscheinen lässt? Ist es sein unbekümmerter Mut, in der katholischen Kirche die Fenster zu öffnen, damit frische Luft hereinkommt? Ist es seine überraschende Entscheidung, ein Ökumenisches Konzil auszurufen? Ja, das ist es, das alles. Und doch sind das nur Teilaspekte eines Ganzen. Wollen wir das Geheimnis des Menschen Angelo Roncalli mit einem einzigen Wort kennzeichnen, dann passt wohl das Wort „Gelassenheit“ am besten. Auch ihm war diese Eigenschaft nicht angeboren, er musste sie sich hart erarbeiten und im Gebet erbitten. Um auf diesem Weg Fortschritte zu machen, hat er für seinen eigenen geistlichen Weg die „Zehn Gebote der Gelassenheit“ niedergeschrieben und sich selbst immer wieder ins Gedächtnis gerufen. Dieses Buch ist ein geistlicher Wegbegleiter und lädt Sie ein, sich von Johannes XXIII. an die Hand nehmen zu lassen und mit ihm nach und nach seine „Gebote der Gelassenheit“ zu meditieren. Wenn Geistliche Übungen gründlich sind, das heißt, wenn sie auf den Grund gehen, dann bleiben sie nicht in erhabenen Gedanken und bei frommen Gefühlen stehen. Sie führen Schritt für Schritt in das konkrete alltägliche Leben. Das Ziel allen geistlichen Lebens ist, dass unsere Lebenszeit immer mehr durchdrungen wird vom Geist Gottes und dass das Wesen Jesu Christi in uns Gestalt annimmt. Die in diesem Buch vorgelegten Meditationen und Anregungen gliedern sich bei jedem der „Zehn Gebote der Gelassenheit“ in fünf Abschnitte:
SPURENSUCHE
Gedanken, Reflexionen, Inspirationen zu
den jeweiligen Geboten der Gelassenheit,
wie sie uns das konkrete Leben in seiner
ganzen Vielfalt anbietet.
WEGZEICHEN
Gelassenheit ist nicht zu machen, nur zu
erbitten. Die hier formulierten Gebete regen an,
sich vom alltäglichen Leben inspirieren zu
lassen und alles, was Menschen bewegt,
vor Gott auszusprechen.
SCHRIFTWORT
Das Alte und das Neue Testament bieten uns
so viele Texte, die uns zur Gelassenheit einladen.
Vor allem aber geben sie uns im Wort Gottes die
Gewissheit seiner Gegenwart, die uns gelassen
leben und sterben lässt.
HERZWORT
Die Texte und Schriften, die uns Angelo Roncalli
hinterlassen hat, sprechen Menschen auch
heute an, weil sie Worte von Herz zu Herz
sind – im wahren Sinn des Wortes einfältig,
ehrlich, gütig.
ALLTAGSSCHRITTE
Es gibt viele Möglichkeiten, die Gebote der
Gelassenheit umzusetzen. Hier werden jeweils
vier vorgeschlagen. Sie sind eher Anregungen
für die eigene Fantasie als Erfolgsrezepte.
Heute, nur heute
Zehn Gebote der Gelassenheit von Johannes XXIII.
Übung der Präsenz
Bevor Sie die „Zehn Gebote der Gelassenheit“ von Papst Johannes XXIII. lesen, meditieren und in Ihr Leben umzusetzen versuchen, lade ich Sie zur Übung der Präsenz ein.
Um ganz im Heute zu sein, ist es notwendig, die Vergangenheit und die Zukunft loszulassen. Wichtiger als die Fragen „Woher komme ich?“ und „Wohin gehe ich?“ ist die Frage „Wo bin ich?“.
Den Standort zu bestimmen, den inneren, seelischgeistigen Standort, und sich einzulassen in das Hier und Jetzt, dies ist eine Übung, die Sie am Anfang und in der Mitte und am Ende eines jeden Tages machen sollten.
Sie wird Ihnen helfen, sich von den Lasten und Beschuldigungen der Vergangenheit, aber auch von den geschönten Erinnerungen daran zu befreien. Sie wird Ihnen die Chance geben, sich selbst ganz und gar zu spüren. Sie wird Ihnen Ihre Verantwortung bewusst, aber auch tragbar machen.
Denn dieser Augenblick jetzt ist es allein, worauf es ankommt, dieser Mensch, dem sie eben gegenüberstehen, diese Aufgabe, die sich gerade stellt.
Am besten kommen Sie in die Gegenwart, wenn Sie tief atmen, wenn Sie sich in das Spiel von Ausatmen und Einatmen einschwingen und wenn Sie dabei immer wieder die folgenden drei Worte aushalten und genießen:
Heute, nur heute
SPURENSUCHE
Heute! Vierundzwanzig Stunden, nicht mehr und nicht weniger. Einmal dreht sich die gute alte Erde um die Sonne. Es wird Morgen und es wird Abend, es wird Tag und es wird Nacht: heute.
Oft ist mir das Heute viel zu kurz. Ich habe ein umfangreiches Programm. Termine stehen in meinem Kalender. Ich spüre schon am Morgen, dass es knapp wird. Ich gerate unter Druck, werde nervös, komme nicht zurecht.
Dann wieder ist mir das Heute viel zu lang. Es dauert eine halbe Ewigkeit bis zum Abend. Ich zähle die Stunden, ja die Minuten, bis der Anruf aus der Klinik kommt. Bis wir nach anstrengender Fahrt am Ziel ankommen. Bis Feierabend ist. Bis die Gäste wieder gehen.
Heute, nur heute. Das ist nicht gestern oder vorgestern. Keine Frage: Ich muss aus der Vergangenheit lernen. Ich will dazu stehen, was ich gesagt und getan habe. Ich will es verantworten. Es ist meine Aufgabe, das Positive zu würdigen und das Negative zu verändern. Aber wehe, wenn ich im Gestern hängen bleibe. Zum Glück hat das menschliche Gehirn die Fähigkeit zu vergessen. Es wäre unerträglich, alles zu behalten. Und es ist unmöglich, das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
Heute, nur heute. Das ist auch nicht morgen oder übermorgen. „Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage“ (Mt 6, 34). So sagt es Jesus in der Bergpredigt. Das entlastet mich. Ich muss nicht heute die Aufgaben von morgen erledigen. Ich muss nicht jetzt schon die Fragen der Zukunft lösen. Es geht nicht um alles oder nichts, es geht um jetzt und hier. Heute, nur heute.
Manchmal gelingt es mir, so ganz in der Gegenwart zu leben. Es sind die Glückstage: Da bin ich ganz präsent. Mit allen Fasern meines Lebens da. Mit Haut und Haar. Mit Körper und Seele.
Heute, nur heute: Zeit zum Leben, Zeit zum Lieben. Zeit – mir in die Hände gegeben und in die Seele geschrieben. Ich kann dieses Heute verpassen und verspielen. Ich kann es aber auch fühlen und füllen, erleiden und verantworten, kosten und genießen. Heute, nur heute …
WEGZEICHEN
Gott der Ewigkeit
Du schenkst uns das Heute
trennst es
vom Gestern und vom Morgen
durch Nacht und Schlaf
Hilf uns
nur heute
unser Glück zu ergreifen
nur heute
unser Leid auszuhalten
im Wissen
dass beides vergeht
und in Dir geborgen sein wird
im ewigen JETZT
Ricarda Moufang
SCHRIFTWORT
Hagar
Abram entgegnete Sarai: Hier ist deine Magd; sie ist in deiner Hand. Tu mit ihr, was du willst. Da behandelte Sarai sie so hart, dass ihr Hagar davonlief. Der Engel des Herrn fand Hagar an einer Quelle in der Wüste, an der Quelle auf dem Weg nach Schur. Er sprach: Hagar, Magd Sarais, woher kommst du und wohin gehst du? Sie antwortete: Ich bin meiner Herrin Sarai davongelaufen. Da sprach der Engel des Herrn zu ihr: Geh zurück zu deiner Herrin und ertrag ihre harte Behandlung! Der Engel des Herrn sprach zu ihr: Deine Nachkommen will ich so zahlreich machen, dass man sie nicht zählen kann. Weiter sprach der Engel des Herrn zu ihr: Du bist schwanger, du wirst einen Sohn gebären und ihn Ismael (Gott hört) nennen; denn der Herr hat auf dich gehört in deinem Leid. Er wird ein Mensch sein wie ein Wildesel. Seine Hand gegen alle, die Hände aller gegen ihn! Allen seinen Brüdern setzt er sich vors Gesicht. Da nannte sie den Herrn, der zu ihr gesprochen hatte: El-Roï (Gott, der nach mir schaut). Sie sagte nämlich: Habe ich hier nicht nach dem geschaut, der nach mir schaut? (Gen 16, 6–13).
An der Wasserquelle in der Wüste, wo Hagar verzweifelt und lebensmüde ist, findet sie der Engel. Er spricht sie mit Namen an und fragt nach ihrem Weg: „Hagar, Magd Sarais, woher kommst du und wohin gehst du?“ (Gen 16, 8) Hagar offenbart diesem Boten Gottes, dass sie vor Sarai auf der Flucht ist. Wohin der Weg sie führen wird, weiß sie nicht. Hagar bekommt eine Verheißung, die nicht weniger zählt als die Verheißung an Abram. Sie wird einen Sohn bekommen und ihm den Namen Ismael geben. Das bedeutet „Gott hat gehört“. Dies soll ihr zur Gewissheit werden, aus der heraus sie ihr Leben gelassen bewältigen kann, ganz gleich was kommt. Es wird nicht einfach werden für Hagar, denn Gott schickt sie wieder zurück zu Sarai. Sie wird auch in Zukunft Demütigungen erleiden müssen. Aber sie hat eine Hoffnung, die ihr niemand nehmen kann. Hagar erfährt, dass sich die Freiheit, die sie selbst ersehnt, in Ismael und seinen Kindern verwirklichen wird: „Er wird ein Mensch sein wie ein Wildesel“ (Gen 16, 12). Das ist keine Beleidigung. Es ist ein Bild für ein kraftvolles, eigenständiges Leben.
Gelassenheit
Die Quelle sehen, die auch in der Wüste fließt
Auf den „Engel der Gegenwart“ hören
Der inneren Vision trauen
Aufrecht und furchtlos meinen Weg gehen
HERZWORT
Die Sorgen, die sich die
Eigenliebe um die Zukunft macht,
sind hinderlich für Gottes Wirken in uns …
und dann nützen sie nicht einmal
den materiellen Interessen.
Mögen die anderen nur vorwärts
drängen und weiterkommen:
Ich beharre ohne Hast da,
wo der Herr mich hingestellt hat,
und lasse anderen den Weg frei.
Ich möchte mir meinen Frieden bewahren,
denn darin liegt meine Freiheit.
Johannes XXIII.
ALLTAGSSCHRITTE
Ich beginne den Tag mit einer Präsenz-Meditation.
Ich stelle mir einen Raum vor,
an dessen Schwelle ich stehe.
Der Raum ist licht und weit.
Ich spüre, welche Gefühle in mir aufkommen:
Erwartung? Sorge? Aufregung? Freude?
Im Einatmen fließt mir das Heute von Gott her zu,
im Ausatmen drücke ich
meine Bereitschaft und Hingabe aus.
In meiner Vorstellung betrete ich
den Raum des Heute und sage:
„In Gottes Namen!“
Ich beende den Tag mit einer Präsenz-Meditation.
Ich stelle mir denselben Raum vor.
Ich stehe in der Mitte, um mich herum Menschen,
denen ich begegnet bin,
Ereignisse, die mir wie Bilder
an der Wand vorkommen.
Ich gehe durch den Raum,
schaue und verabschiede das Heute.
Ich verlasse den Raum, schließe die Türe zu und sage:
„Gott sei Dank!“
Ich praktiziere immer wieder
das Ritual der Vergegenwärtigung.
Dazu stehe ich auf und atme tief.
Ich öffne meine beiden Hände
und halte sie vor mich hin.
Ich lege die vergangene Zeit –
vielleicht die letzte Stunde
oder auch den gestrigen Tag
oder sogar das vergangene Jahr –
dankbar in die linke Hand und halte sie Gott hin.
Ich lege meine Zukunft –
die nächste Stunde
oder den morgigen Tag
oder das kommende Jahr –
zuversichtlich in die rechte Hand.
Dankbar und zuversichtlich –
ich wiederhole in der Stille einige Male diese Worte.
Dann falte ich die Hände vor der Brust
und versetze mich ganz in die Gegenwart.