Czytaj książkę: «Partyinsel Ibiza»

Czcionka:


Aus dem Englischen übersetzt

von Kirsten Borchardt


www.hannibal-verlag.de


Widmung

Für Kris, meinen Seelenverwandten

Impressum

Die Autorin: Helen Donlon

Deutsche Erstausgabe 2015

© by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-450-2

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-449-6

Coverdesign: bürosüd°, München

© Autorenfoto: Foto: Carl Stickley

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Übersetzung: Kirsten Borchardt

Lektorat & Korrektorat: Hollow Skai

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

Vorwort von Richie Hawtin

Intro

Erstes Kapitel

Der Mythos Es Vedrà – die Insel der Fledermäuse – die Phönizier – Tanit und Bes – eine Insel der Barbaren – die Römer – die Mauren und ihre Musik – die Katalanen – die Pest – Korsaren und Freibeuter – die Kastilier – Brautwerbungsrituale – die Hafenbars – eine Künstlerkolonie im Mittelmeer – die Jazz-Ära – Kunst von Hipgnosis – Freaks und peluts

Zweites Kapitel

Lotusesser und Kriegsdienstflüchtige – der Hippie-Trail – die Schmuggler und der Jet Set – Datura und LSD – Trepanation – die ersten Boutiquen – Hippie-Märkte – Nico – die Fälscher: Elmyr de Hory, Clifford Irving und Orson Welles – Strand- und Villenpartys – Barbet Schroeders More – Jenny Fabians Chemical Romance – Yohimbina – die ersten Nightclubs – das Reich der Vor- und Spitznamen

Drittes Kapitel

Trance – Rattenfänger und Schamanen – Tanzen im Untergrund – Carl Cox und seine karibischen Wurzeln – von der Musik der Sphären zu Drones, Keyboards und Ambient – die Electronic Trance Music wird erwachsen – Nomaden, Sannyasins und das Party-Crossover Goa/Ibiza – Trance-Partys auf Ibiza – Ayahuasca – Lenny Ibizarre und die psychoaktive Kröte – Mike Oldfields ­Ibiza-Krise

Bildstrecke 1

Viertes Kapitel

Pacha, der Hippie-Club – Ku: die Basken, die zwielichtigen Politiker und der Sonnenaufgang über der Tanzfläche – La Vaca Asesina: das Party-Format der Ibiza-Clubs – Pino Sagliocco, Brasilio, Freddie Mercury und Grace Jones – die Ära Manumission – Pacha Magazine, Pacha Hotel und Manumission Motel – die Gentrifizierung von Marina Botafoch – Cathy und David Guetta: F*** Me I’m Famous – Pacha-Politik

Fünftes Kapitel

La Movida, Francos Tod und die sexuelle Befreiung – die ersten Schwulenbars – pansexuelle Club-Partys – Baby Marcelo und Theater im Clubland – SuperMartXé – Sant Antoni macht’s pauschal – der Beginn der VIP-Kultur – Swinger, Sexpartys und Privatorgien – Tony Pike, Freigeist und Ibiza-Playboy – Touristen statt Freidenker – weißes Pulver und Porno – junge Clubland-Angestellte: vom Traum zum Albtraum – ein Mord im VIP-Bereich

Sechstes Kapitel

Der Immobilienboom: Geldwaschsalon nach der Währungsunion – Michael Cretu baut neu – Startschuss für das Ushuaïa – der Inselpate Matutes – der umstrittene Aufstieg der Grupo Playa Sol – Boomtown Platja d’en Bossa – das Space setzt neue Maßstäbe – Partys am Tage – die neuen Sperrstundengesetze – als Warm-Up-DJ im Lieblingsclub der Welt – Carl Cox im Space – ENTER.: Auftritt Richie Hawtin – Quo vadis Space?

Siebtes Kapitel

Der Soziologie-Professor, der das Amnesia erfand – vom Afterhour-Club zur Party-Location – Sannyasins verteilen Ecstasy – Inspiration Alfredo – Alarm, die Briten kommen: Aciieeed! – der Aufstieg von Sasha und Paul Oakenfold – Großbritanniens Second Summer Of Love – Outdoor-Raves – die Ära der Superstar-DJs – Cream – die Verwandlung der Clubszene von Sant Antoni – Eden und Es Paradis

Achtes Kapitel

I Feel Love: der Sound der Zukunft – der Techno-Underground von Detroit – ein neues urbanes Manifest – Plastikman, The Electrifying Mojo, The Belleville Three und Underground Resistance – Sven Väth: DJ-Gott und Ibiza-Hippie – Cocoon ist gelandet – Techno-Schlangenmenschen – legendäre Cocoon-Afterpartys – Luciano-Flair und Dubfire-Feeling – Circo Locos Minimal-Techno – ENTER. und die Zukunft

Bildstrecke 2

Neuntes Kapitel

Rosa Flamingos und Salzbecken – Sa Trinxa – die ruhigen Chill-Out-Spots – Manel, Höhlenleben und Sunset Ashram – Fous de la Mer: aus dem Leben eines Chill-Out-Produzenten – Santa Agnès und das Mandelblütental – David Lynchs Musik und ein ruhiges Hotel im Campo – ein Paradies der Neuzeit – das Ibiza Film Festival – El Divino und The Croissant Show, das Halbwelt-Café – International Music Summit – Sonnenuntergänge in Sant Antoni: Café del Mar und Café Mambo

Outro

Anhang

Verzeichnis der Interviewpartner und Quellen, Literaturhinweise

Danksagung

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Zwei Filme waren während der Planungsphase meines ENTER.-Events eine besondere Inspiration: Gaspar Noés Enter The Void und Stanley Kubricks Eyes Wide Shut, die beide Eskapismus und Voyeurismus thematisieren. Beide beschäftigen sich zudem mit den widersprüchlichen Gefühlen von Isolation und Akzeptanz in einer Gruppe von Freunden und Bekannten, und das erinnerte mich an viele Erfahrungen, die ich innerhalb der Party-Kultur Ibizas gemacht habe.

Ibiza ist ein Ort, der für die meisten Menschen weit von ihrem „realen“ Alltagsleben entfernt ist, ein Ort, der sie dazu einlädt, aus diesem Alltag zu entfliehen, sich in ihrer eigenen Realität zu isolieren und in ein Paralleluniversum aus Phantasie-Erfahrungen einzutauchen. Ein Ort, weit weg von den Normen der Gesellschaft, der Freiheit suggeriert, wenn nicht sogar garantiert. Diese Themen wurden zu den Grundlagen dessen, was ENTER. heute ist. Wenn man auf der Insel aus dem Flugzeug steigt, lässt man die Realität hinter sich und geht der Phantasie entgegen, die diese Insel repräsentiert. Auf dem schmalen Grat zwischen dem, was real ist und was nicht – dort liegt Ibiza. Ein schwarzes Loch in der Mitte der Welt, wo alles möglich ist.

Richie Hawtin, Februar 2015


Es ist kein Zufall, dass „Pirat“ und „Party“ aus fast den gleichen Buchstaben bestehen. Und die starke Verbindung zwischen beidem ist nirgendwo auf der Welt klarer zu erkennen als auf Ibiza. Jahrhundertelang haben hier Piraten, Ausgestoßene und individualistische Freigeister verschiedene Arten des Lebens und des Feierns ausprobiert oder zerstört, und daran hat sich hinter den Kulissen nicht viel geändert, auch wenn die heutigen Partypiraten inzwischen mehr oder weniger innerhalb einer gewissermaßen „zivilisierten“ Inselgesellschaft leben.

Auf Ibiza sind die Partys anders als sonst irgendwo, wie jeder gern bestätigen wird, der die Insel auch nur ein bisschen kennt. Immer wieder brachten fremde Völker ihre Einflüsse hierher mit: Römische Dekadenz, die Trommelrituale der Mauren oder die religiösen Symbole der Hindus und Buddhisten spielten alle eine Rolle, verbanden sich mit dem Plünderergeist der Piraten und legten damit das Fundament für die Grundsätze, die heute noch die Ibiza-Clubnächte oder After-Partys bestimmen. Ob die Trance-Partys tief in den Wäldern, die Trommler, die den Sonnenuntergang inszenierten, oder auch die Freaks, die sich irgendwo unter freiem Himmel mit Gitarren und Bandmaschinen zusammenfanden und drei Tage lang Jazz und Rock hörten – dass die heute weltweit bekannten Clubs entstanden und zu dem wurden, was sie sind, war eine direkte Folge all jener Entwicklungen, die sich zuvor auf der Insel vollzogen hatten.

Die ersten Nightclubs wurden von den Hippies ins Leben gerufen und standen allen offen, ob sie nun arm oder reich, international oder einheimisch, schwul oder hetero waren. Die Weltenbummler, die vom „Hippie-Trail“ zurückkehrten, die Köpfe voller psychedelischer Drogen und esoterischer, bunter Ideen, bereicherten diese Events um viele neue Elemente, die sie von ihren Reisen mitbrachten. Man legte Kissen aus und tanzte auf den Terrassen, unter den Sternen, unter dem Sonnenaufgang. Daraus entstanden nach und nach die legendären Clubs.

Aber es gibt auch eine andere Seite der Geschichte: die der zwielichtigen Mafia-Verbindungen, korrupten Politiker, von Verrat und intriganten Gemeinheiten, vordergründigen Drogenrazzien, Auftragsmorden, Selbstmorden und hohen Bußgeldern.

Doch genauso wichtig waren stets weltfremde Originalität und futuristische Visionen, talentierte Impresarios, impulsive Genialität, idealistisch-utopische Zusammenhänge und neue Definitionen dafür, wie man Zeit, Raum und menschliche Körper miteinander verschmelzen kann. Ibiza ist das Zentrum der Chill-Out-Kultur, und wenn sich deren Geist mit den unvergleichlichen Clubnächten der Insel verbindet, wird die daraus entstehende Party-Erfahrung zum perfekten, euphorischen Gesamterlebnis.

Nachdem ich viele Saisons von Anfang bis Ende auf der Insel erlebt habe und dabei fast zehn Jahre lang als Clubland-Korrespondentin für verschiedene Magazine und als Party-Promoterin tätig war, ist es mir ein Anliegen geworden, detailliert und aus erster Hand die ganze Geschichte der Partyinsel Ibiza zu erzählen. In diesem Buch verbindet sich die wechselvolle Entwicklung der einzelnen Clubs mit neuen und exklusiven Interviews, die ich mit einigen der größten DJs und anderen Schlüsselfiguren der Club­szene führen konnte – vor der farbenprächtigen Kulisse einer Insel, die sich im Laufe der Jahrhunderte stetig veränderte und immer neuen Einflüssen ausgesetzt war, bis hin zu den Aussteigern und Freaks, die den Grundstein für die Clublandschaft Ibizas legten, wie wir sie heute kennen.

Helen Donlon, Frühjahr 2015


„Jeden Stromschlag hautnah erleben … das elektrisierende Beben eines Psychedelic Circus … die Beatniks … Freaks … und Acidheads … ihre Ekstasen, ihre Qual und ihre bizarre Sinnlichkeit … Dieser Film zeigt alles über ihre verdorbenen Träume und wilden Phantasien!“

Mit solchen reißerischen Slogans wurde Ende der 1960er-Jahre für den Film Hallucination Generation geworben. Die grelle Drogenstory wurde 1966 auf Ibiza gedreht, und zwar größtenteils in Schwarzweiß, sah man von den Trip-Szenen ab, denen man um der Unterscheidung willen einen berauschten Sepiaton verlieh. Der Film porträtierte die Insel als Treffpunkt für vagabundierende Beatniks und Kiffer, die ihre Tage damit zubrachten, in alten Fincas herumzugammeln oder sich, angetan mit schwarzen Sonnenbrillen und schwarzen Pullovern, in den Bars am Hafen herumzudrücken: eine hedonistische Lebensweise, für die das pittoresk abgewirtschaftete Ibiza eine perfekte Kulisse bildete. Dieser größtenteils in Vergessenheit geratene Streifen war im Grunde nichts weiter als eine streckenweise geradezu alberne LSD-Version des Drogenklassikers Reefer Madness von 1936, doch heute ist Hallucination Generation ein Geschenk für Lokalhistoriker: Er bietet einen frühen, seltenen Blick auf die einzigartige internationale Künstlerszene, die sich damals am Hafen versammelte und gewissermaßen der Hippie-Invasion vorausging, die Ibiza wenig später erleben sollte.

Die Beatniks waren die ersten Freaks, die in größerer Zahl auf der Insel eintrafen, und da es sich um ein relativ kleines Grüppchen handelte, kannte in dieser Szene jeder jeden. In jenen glücklichen Tagen erwarben sich die Bars rund um das alte Hafenviertel von Ibiza-Stadt den Ruf, dass sich hier Wegbereiter und Außenseiter sammelten, schräge Vögel, für die beispielsweise schon die Veröffentlichung eines neuen Jazz-Albums ein gesellschaftliches Großereignis war.

Auf die Beatniks sollte nur wenige Jahre später ein etwas bunteres Völkchen folgen, die Hippies, die besonders von den Naturschönheiten begeistert waren, die Ibiza zu bieten hatte. Die einheimischen Ibicencos nannten sie peluts (ein Ausdruck, der auf Katalanisch „die Haarigen“ bedeutet) und lebten mit ihnen zumeist in einer entspannten, wenn auch trügerischen entente cordiale. Schließlich waren die peluts, genau wie die Beatniks, nur die Letzten in einer sehr, sehr langen Reihe von Aliens, die auf der Insel aufschlugen und dabei unterschiedlich herzlich willkommen geheißen wurden. Der Tourismus, dessen Förderung Generalissimo Francisco Franco zur Chefsache gemacht hatte, steckte auf Ibiza damals noch in den Kinderschuhen, während auf der Nachbarinsel Mallorca bereits kräftig dafür gebaut wurde. Aber als es dann auf Ibiza richtig losging, drückte der Tourismus auch dieser Insel seinen billigen, fröhlichen Stempel auf.

Heute wirbt Ibiza vor allem mit einer großen Attraktion: der außergewöhnlichen und berüchtigten Clubszene. Beobachtern erscheint sie als das gemästete Kalb der Insel, ein primitiver Zirkus aus Musik, Tanz, Stimulanzien, überbezahlten DJs, vor Touristen überquellenden Superclubs und einer schier unglaublichen Vielfalt von Merchandise-Artikeln, mit denen versucht wird, aus dieser Szene Kapital zu schlagen. Dabei zählt Ibiza, das geografisch betrachtet von Barcelona genauso weit entfernt ist wie von Algier, tatsächlich eher zu den Mittelmeerzwergen und misst weniger als 45 Kilometer in der Länge und 25 Kilometer in der Breite, und die Club-Saison umfasst in jedem Jahr nur eine kurze Zeitspanne. Es ist eine reine Sommerveranstaltung, die wenige Monate andauert und zur Zeit der „Hundstage“ von Anfang Juli bis Mitte August ihren Höhepunkt erlebt – und selbst in dieser Zeit ist das lauteste ständige Geräusch, das man in den meisten Teilen der Insel hört, der Chor der Grillen.

Zu den herausragendsten Clubs auf Ibiza zählen schon seit Jahren große Namen wie Pacha, Privilege (das dem Guinness-Buch der Rekorde zufolge der größte Nachtclub der Welt ist), Amnesia, Space, DC-10, Eden (das heutige Gatecrasher) und Es Paradis. Neben diesen festen Größen gibt es viele weitere, die kommen und gehen, und vor den Partys trifft man sich rituell in den Strandbars, in denen sich einheimische und internationale DJs für die abendlichen Festivitäten in Stimmung bringen, zumeist eingerahmt von einem sorgfältig durchstrukturierten Set, der genau auf den Sonnenuntergang abgestimmt ist. Für jene, die gelegentlich oder ausschließlich abseits der ausgetretenen Pfade feiern möchten, gibt es Afterpartys in Privathäusern oder an abgesperrten Stränden, außerdem eine zwar allmählich schrumpfende, aber noch vorhandene Szene rund um die Trance-Partys, die hauptsächlich fernab der Superclubs in den waldigeren Rückzugsgebieten der Insel stattfinden.

Es ist eine enorm fruchtbare Clubszene, die zu ihren besten Zeiten als ebenso skandalträchtig wie faszinierend galt und das bis zum heutigen Tag geblieben ist, mehr als jedes andere Dance-Epizentrum der Welt. Was aber macht sie so einzigartig? Um das wirklich erfassen zu können, muss man einen Blick hinter die Kulissen werfen, sowohl zeitlich als auch räumlich, und begreifen, wie die vielen tausend Jahre Inselgeschichte die Clublandschaft geprägt haben. Denn ekstatische Inselfreuden sind kein Phänomen, das erst mit dem Massentourismus nach Ibiza gelangte. Dieser charismatische Felsen im Mittelmeer hat etwas an sich, das schon seit langem einen ganz bestimmten Menschenschlag anzieht: empfindsam, neugierig, stark auf die eigene Unabhängigkeit bedacht, hedonistisch, tolerant und eher feminin – diese Attribute finden sich in den früheren wie auch aktuellen Beschreibungen der Inselbewohner häufig wieder. Doch ganz genauso vermittelt Ibiza oft den Eindruck einer Zone ohne wahres Zentrum, und den Ausländern, die sich hier angesiedelt haben, werden ebenso oft Eigenschaften wie eitel, ziellos, gewalttätig, gierig, hohl und betrügerisch zugeschrieben. Zugereiste, die eine Zeitlang hier gelebt haben, bringen der Insel teilweise sehr extreme Gefühle entgegen, positive wie negative, die gleichrangig nebeneinander existieren. In einem sind sich jedoch alle einig: Auch abseits des Faktors Mensch ist die Insel einzigartig. Besucher mit den richtigen Antennen spüren das unter der Oberfläche des Tourismus, auch wenn die ausländische Boulevardpresse sich noch nie die Mühe gemacht hat, bis in diese Bereiche vorzudringen.

Sooft Ibiza in seiner wechselvollen Geschichte auch von außerhalb „erobert“ wurde, es hat stets seinen einzigartig charmanten, widerstandsfähigen Charakter behalten. Manche Historiker sind der Ansicht, schon Homer hätte die geheimnisumwitterte, markante Felseninsel Es Vedrà erwähnt, die vor der Südküste bei Cala D’Hort gegenüber dem magischen Strand von Atlantis im Meer liegt, als er in der Odyssee seinen Helden Odysseus folgendes berichten ließ:

„Also verkündete ich jetzo den Freunden unser Verhängnis. Und wie geflügelt entschwebte, vom freundlichen Winde getrieben, unser gerüstetes Schiff zu der Insel der beiden Sirenen. Plötzlich ruhte der Wind; von heiterer Bläue des Himmels glänzte die stille See; ein Himmlischer senkte die Wasser. Meine Gefährten gingen und falteten eilig die Segel, legten sie nieder im Schiff, und setzten sich hin an die Ruder; schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. Aber ich schnitt mit dem Schwert aus der großen Scheibe des Wachses kleine Kugeln, knetete sie mit nervigen Händen, und bald weichte das Wachs, vom starken Drucke bezwungen, und dem Strahle des hochhinwandelnden Sonnenbeherrschers. Hierauf ging ich umher, und verklebte die Ohren der Freunde. Jene banden mich jetzo an Händen und Füßen im Schiffe, aufrecht stehend am Maste, mit festumschlungenen Seilen setzten sie sich dann, und schlugen die graue Woge mit Rudern. Als wir jetzo so weit, wie die Stimme des Rufenden schallet, kamen im eilenden Lauf, da erblickten jene das nahe meerdurchgleitende Schiff, und hoben den hellen Gesang an.“

Es ist ein Mythos, diese Verbindung zwischen der Odyssee und Es Vedrà, der von Ibiza-Fans, wenn sie von der mystischen Kraft der Insel sprechen, immer wieder gern beschworen wird. Der Lokalhistoriker Martin Davies, dessen Verlag Barbary Press eine Vielzahl schön gestalteter und gut recherchierter Bücher über die Insel veröffentlicht hat, geht allerdings davon aus, dass es auch nicht mehr ist als das: ein Mythos eben. „Über die Sirenen wissen wir nicht wirklich viel, aber der Felsen, um den es hier geht, lag vermutlich in der Straße von Messina. Das ist eine Passage in der Geschichte des Odysseus, über die sich die meisten Experten einig sind. Demnach befindet er sich zwischen Sizilien und der Stiefelspitze Italiens, und von daher hat Es Vedrà nichts mit der Odyssee zu tun.“

Doch der Mythos, wahr oder nicht, entwickelte seine eigene Kraft. In den Swinging Sixties begegnete der Gitarrist Eric Clapton (der 1977 ein Konzert auf der Plaza de Toros in Ibiza-Stadt geben sollte) eines Abends im Londoner Speakeasy-Club dem Underground-Künstler, Filmemacher und Illustrator Martin Sharp. Der war gerade von Ibiza zurückgekehrt und hatte ein Gedicht geschrieben, das ebenso von Leonard Cohens „Suzanne“ inspiriert war wie von der Es-Vedrà-Legende über Homers Sirenen, und er gab Clapton diese Zeilen, um einen Song daraus zu machen. „Tales Of Brave Ulysses“ erschien später auf dem ­Cream-Album Disraeli Gears, für das Sharp das Cover entwarf.

Menschen lebten nie auf Es Vedrà, abgesehen von dem katalanischen Mönch Francisco Palau. „Ibiza, jene schöne, reiche und fruchtbare Besitzung Spaniens“, schrieb er in den 1860er Jahren, nachdem er von launenhaften spanischen Karmelitern festgenommen und in die Verbannung geschickt worden war. Sechs Jahre verbrachte er einsam und betend auf diesem Felsen, der 1996 auf dem Cover von Mike Oldfields Album Voyager zu sehen war. Aber von ihm abgesehen lebten auf Es Vedrà über die Jahrhunderte lediglich wilde Ziegen und eine Kolonie der vom Aussterben bedrohten Eleanora-Falken.

Auf die Insel Ibiza hingegen, deren goldenes Licht immer wieder hervorgehoben wird, zog es stets viele Musiker und Künstler. Tatsächlich herrscht hier ein anderes Licht als anderswo im Mittelmeer, beispielsweise auf Sizilien. Hier fallen die Schatten anders, bedingt durch die vielen niedrigen Bergrücken, die so charakteristisch für die Insel sind. Die klaren Winde blasen den größten Teil der Luftverschmutzung davon, und die farbenprächtigen Sonnenuntergänge werden durch die günstige Lage im Mittelmeer verstärkt. Den bahnbrechenden Designern Hipgnosis (die zahlreiche herausragende Albumcover für Pink Floyd, Led Zeppelin, AC/DC und andere schufen) gelang es, dieses Licht in ihren Werken einzufangen. Aubrey Powell, einer der Gründer von Hipgnosis, besaß lange Jahre ein Haus auf Ibizas kleiner Nachbarinsel Formentera und erklärt: „Das Licht hier auf Formentera hatte einen sehr großen Einfluss auf unsere Arbeit mit Hipgnosis. Es fiel mir schon sehr früh auf, dass die besonderen Landschaften und Ausblicke, die man auf dieser Insel hat, sehr an Dalí erinnerten. Man begreift, wieso Dalí in Cadaqués malte, weil dort der gleiche Vibe herrscht. Das unglaubliche Licht, das es dort gibt, findet man ganz ähnlich in den Arbeiten von Hipgnosis, ebenso wie diese speziellen Landschaftsformen – beispielsweise auf dem Cover von Elegy von The Nice mit der Wüste und dem herrlichen Himmel, oder bei dem Mann, dessen Beine auf der Rückseite des Pink-Floyd-Albums Wish You Were Here aus dem Wasser schauen. Dieses stille Wasser und dieser unglaublich blaue Himmel – Hipgnosis waren sehr fasziniert von Landschaften, weil sie einen Eindruck von der Atmosphäre eines bestimmten Augenblicks vermitteln konnten. Ich als Hauptfotograf von Hipgnosis war ganz sicher beeinflusst von dem, was ich hier sah.“

In grauer Vorzeit, so behaupten Archäologen und Historiker, war Ibiza lediglich von Fledermäusen bewohnt. 1994 wurden in Es Pouàs bei Santa Agnès Schafs- und Ziegenknochen ausgegraben, und eine Analyse erbrachte, dass in der Jungsteinzeit eine Gruppe von Menschen vom spanischen Festland übers Meer hierher gekommen war. Bei Cap de Barbaria auf Formentera wurden zudem Überreste von Häusern gefunden, deren Grundriss die Form eines Hufeisens hatte.

Im 9. Jahrhundert v. Chr. segelten die Griechen an Ibiza und Formentera vorüber, errichteten dort aber keine Siedlungen. Vielmehr gelten allgemein die Phönizier der Levante, die Beherrscher und Bezwinger des Mittelmeeres, als die ersten, die Ibiza besiedelten. Dieses Seefahrervolk, das ursprünglich an der Küste des heutigen Libanon und in Syrien ansässig war und nach der Gründung Karthagos den Namen Karthager erhielt, fand die Balearen und vielleicht sogar besonders das winzige Ibiza deswegen interessant, weil sich hier, zwischen Sardinien und dem spanischen Festland, ideale Verstecke boten. Mit ihnen kamen um 650 v. Chr. zudem die ersten Schriftzeichen auf die Insel.

Eine frühe phönizische Siedlung, deren Überreste heute noch zu finden sind, befand sich bei Sa Caleta an der Südküste. Man hielt sie lange für die erste, aber dem Historiker Martin Davies zufolge gibt es daran inzwischen Zweifel: Manche Archäologen halten es für unrealistisch, dass die Phönizier eine so schöne und strategisch ideal gelegene Anlegestelle wie die Hauptbucht von Ibiza-Stadt ignorierten und La Caleta den Vorzug gaben. „Solche Überlegungen hängen stets von den jeweiligen Funden ab, von einer Tonscherbe zum Beispiel, die plötzlich wieder alles ändern kann. Die Archäologie der Insel bringt ständig neue Erkenntnisse hervor.“ Unbestritten ist jedoch, dass sich mehrere hundert Phönizier bei Sa Caleta ansiedelten und dort vermutlich vor allem dank ihrer fortschrittlichen Methoden bei der Jagd und der Fischerei überlebten. Sie brachten Jagdhunde mit, und ihre mutmaßlichen Nachkommen, die auf Ibiza heimischen Ca-Eivissenc-Hunde oder Podencos, gleichen verblüffend denen, deren Abbild man am Fuße von Sphinx-Statuen in Äqypten findet. Noch heute gelten die Podencos als die edelsten und unabhängigsten Hunde der Insel. Sie können durchaus 30 Kilometer ohne Rast zurücklegen und werden oft nachts in freier Wildbahn gesehen, wo sie stundenlang Wild nachsetzen.

Die Phönizier gaben der kleinen Insel den Namen Ybšm, und allgemein wird angenommen, dass dieser Name sich von Bes herleitet, dem ägyptischen Schutzgott des Hauses und dem Gott der Musik, des Tanzes und des sexuellen Vergnügens. Auf phönizischen Münzen wurde er als bärtiger, koboldartiger Gott mit enorm großem Phallus dargestellt. Einige Linguisten vermuten allerdings, dass die wahre Wurzel von Ybšm im phönizischen Wort für Balsam liegt und sich möglicherweise auf den Geruch der Pinien bezieht; die Griechen hatten Ibiza und Formentera Pityoussai genannt, die Pinieninseln. Ybšm war bereits damals ein großartiges Versteck und ein guter Lagerplatz für die verschiedensten Waren. Seeleute brachten hier die unterwegs erhandelten Güter unter, da auf der Insel mit weniger Diebstählen zu rechnen war als auf dem spanischen Festland.

Und so wurde Ibiza schon früh zu einem Rückzugsort, und nachdem die Phönizier dauerhaft dort Siedlungen errichteten, entwickelte es sich schnell zu einem der größten Häfen im westlichen Mittelmeer. In dieser Zeit begann man auf der Insel auch mit dem Weinbau, eine Pionierleistung, die sowohl die Griechen als auch die Römer inspirierte. Transportiert und gelagert wurde der Wein in den irdenen Amphoren, die bis heute ein beliebtes Artefakt der Insel darstellen. In der Phönizierzeit erlangten zudem Ibizas Salinen, wie auch die Blei- und Silberminen, große Bedeutung für die Inselwirtschaft. Zudem wurde mehr und mehr Ackerland auf der Insel urbar gemacht.

Zu den schönsten, unberührten Gebieten an der Westküste Ibizas zählt das heute kaum noch zugängliche, immer weiter abbröckelnde Felsplateau von Punta Galera, wo bei Sonnenuntergang das Licht der Cadaquès-ähnlichen Sphären den Anschein erweckt, als kröchen Tiere auf den Horizont zu, und man kann sich leicht vorstellen, dass dieser Anblick auch schon zur Zeit der Phönizier höchst beeindruckend war. Der Schweizer Regisseur Barbet Schroeder drehte verschiedene Szenen für More, seinen dunklen, 1969 veröffentlichten Film über Apathie und Drogensucht, nahe des Hauses seiner Mutter Ursula in Punta Galera. Sein Kameramann Nestor Almendros fing das einzigartige goldene Abendlicht für die Szenen ein, in denen die Protagonisten – ein junges Paar, das mit der Liebe spielt, aber schon in der beginnenden Heroinabhängigkeit gefangen ist – eine kurze, zeitlose, ruhige Glückseligkeit auf den uralten Felsen erlebt, während dazu der eigens für den Film von Pink Floyd geschaffene Soundtrack erklingt.

Die heidnischen Phönizier waren Sonnenanbeter. Ihre Mondgöttin hieß Tanit und war die Partnerin des Baal, der von manchen Historikern für den Sonnengott gehalten wird. Tanit wurde zur Hauptgöttin von Ibiza, und ihre Energie, so heißt es, beschützt und fordert auch heute noch die vielen ausgesprochen unabhängigen Frauen, die sich stets von Ibiza angezogen fühlten. Tanit steht für Tanz, Fruchtbarkeit und Tod. Archäologische Funde deuten an, dass Bes und Tanit beide seit 700 v. Chr. auf der Insel verehrt wurden. Ihr Vermächtnis ist heute noch spürbar, nicht nur auf den Dancefloors der Clubs, sondern auch bei den Strand- und Vollmondpartys, sowie an Orten wie dem Moon Beach im Norden oder dem Sunset Ashram am Platjes de Compte und überall dort, wo Menschen verharren, um zu beobachten, wie die Sonne hinter dem Horizont des Mittelmeeres versinkt – jener Augenblick, der auf Ibiza den Beginn der aufregenden Nächte einläutet.

Der griechische Geschichtsschreiber Diodor bezeichnete Ibiza um 60 v. Chr. als „Barbareninsel“ – und manche würden ihm darin sicher heute noch zustimmen. Über die Männer auf den Balearen schrieb Diodor: „Mehr als andere begehren sie die Frauen und schätzen sie derart, dass sie, wenn eine ihrer Frauen bei einem Piratenüberfall entführt wird, drei oder sogar vier Männer als Lösegeld für eine Frau einzutauschen bereit sind.“ Piraten und Barbaren verschiedenster Couleur stellen eine Konstante in Ibizas Geschichte dar.

Aber so brutal es bei Raub und Plünderung an Land oder auf See auch zugegangen sein mag, das Unheil wurde stets von Menschenhand auf die Insel gebracht, denn es gehört zu den faszinierenden Eigenschaften Ibizas, dass hier dank der speziellen Zusammensetzung der Erde und einer großen Portion Glück niemals giftige Reptilien lebten. Zumindest bis vor kurzem nicht, denn seit Anfang 2003 wurden Berichten zufolge an verschiedenen Orten Schlangen gesichtet, deren höchst un-ibizenkisches Vorhandensein mit dem Import von ausländischen Olivenbäumen in Zusammenhang gebracht wird.

Tatsächlich heißt es im Journal Of The Royal Geographical Society Of London: 1830-31, dass „die Einheimischen besonders stolz darauf verweisen, dass giftige Reptilien auf Formentera nicht überleben können, sei es, weil dort Buchsbaum wächst, der schon in der Antike als Schlangenwurz galt, oder weil die Erde dort Eigenschaften besitzt, die Schlangen töten, so wie Plinius dies von Ebusus berichtet.“ Ebusus war der Name, den die Römer Ibiza verliehen. Plinius der Ältere hatte tatsächlich behauptet: „Es gibt verschiedene Arten von Erde mit besonderen Eigenschaften … Die Erde der Balearen und auf Ebusus tötet Schlangen.“ All dies hat die Historiker zu der übereinstimmenden Meinung gebracht, dass Schlangen erst seit kurzer Zeit auf der Insel vorkommen.

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