Czytaj książkę: «Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990», strona 4

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Förderung der Arbeiter- und Bauernkinder

Sorge und Skrupel bereitete mir, besonders in jenen ersten harten Jahren der DDR, die gerechte Bewertung von Leistungen, Charakter und Persönlichkeit eines Schülers unter Berücksichtigung seines sozialen Milieus. Denn die Förderung der Arbeiter- und Bauernkinder, ein vom Staat dem Lehrer vorgegebener politisch-ideologischer Erziehungsauftrag, hatte höchste Priorität!

Diesem Prinzip wollte ich, selbst aus dem Arbeiterstand kommend, auf vernünftige Weise gern nachkommen, wenn man bedenkt, dass bei Kindern aus unbemittelten Arbeiterfamilien Bildungsvorlauf und -unterstützung geringer war als bei Kindern in Familien des Bildungsbürgertums. Und es ist unter demokratischen Verhältnissen selbstverständlich, den Unbemittelten zu gleichen Bildungschancen zu verhelfen und sich solcher benachteiligten Schüler in der Schule entsprechend anzunehmen.

Aber die Vorschrift, Arbeiterkinder aus rein politischen Gründen zu privilegieren, sie anderen tüchtigen und ebenso charakterlich wertvollen Kindern vorzuziehen, das hat in Einzelfällen zur Gewissensbelastung des Lehrers geführt. Da wurde beispielsweise ein „bürgerlicher“ Schüler mit einem Leistungsdurchschnitt von 1,7 abgelehnt, während ein Arbeiterkind mit 2,3 zum Oberschulbesuch zugelassen wurde. Besonders, wenn es sich bei dem Kind „bürgerlicher Eltern“ um einen leistungsfähigen, sozial positiv eingestellten, charakterlich anständigen jungen Menschen handelte, war eine Zurückstellung und Ablehnung von Seiten der Schule kaum zu unterstützen. Man hätte beiden Schülern zu gern die Chance eines Oberschulbesuchs eingeräumt. Wahrscheinlich hätte der Junge mit 2,3 auch fleißig gearbeitet, hätte seine sozial begründeten Defizite ausgleichen können und wäre gut bis ins Abitur gekommen. Aber den bis dato Leistungsfähigeren einfach ausschließen, das konnte man ebenso nicht vertreten. Infolge dieser Förderungsbedingungen durfte jede „Grundschule“ bei den Abgängern nach der 8. Klasse ein vorgegebenes Limit von Oberschulzulassungen nicht überschreiten. Und der Anteil der Arbeiter- und Bauernkinder sollte, wenn ich mich recht erinnere, etwa 60 % betragen. Dafür gab es kein Gesetz, lediglich verbindliche Direktiven für Lehrer und Schulleitung. Die Anträge der Eltern mussten zunächst dem „Pädagogischen Rat“ (Lehrerkollegium) vorgelegt werden. Wir Lehrer sondierten und prüften, welche Anträge der Kategorie „Arbeiterkind“ zugeordnet werden können. Dabei bemühten wir uns, wenn angebracht, beruflich bzw. sozial nicht eindeutig zu definierende Elternhäuser unter die Rubrik „Arbeiterfamilie“ einzuordnen.

In manchen Fällen wurden Zustimmungen der Schule von der „Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises“ (Schulamt) zurückgewiesen. Dann erinnere ich mich eines Falles, wo wir Lehrer an der Schule einen Schüler mit „bürgerlicher Herkunft“ auf Grund seines Leistungsdurchschnitts von 2,3 und nachlässiger Lernhaltung abgelehnt hatten, der dann aber, nachdem die gewichtigen Eltern vor dem Schulrat starken Protest eingelegt hatten, gegen unsere Entscheidung doch noch zur Oberschule zugelassen worden war.

In diesen ersten Jahren meiner Löfflerschulzeit hatten wir Jahr für Jahr die gleiche schwere Aufgabe, möglichst gerecht zu entscheiden, wer es verdiente, eine weiterführende Schule besuchen zu dürfen. Erst später, im Laufe der 60er Jahre wurde das verordnete Kriterium „Förderung der Arbeiter- und Bauernkinder“ einem zweiten ähnlichen politischen Kriterium etwa gleichgestellt.

Parteilichkeit und Gesellschaftliche Arbeit

Die „Parteiliche Haltung“ und die „Gesellschaftliche Arbeit“ einer Schülerin oder eines Schülers sollten zunehmend als ebenso wichtige Kriterien für die charakterliche Beurteilung „herangezogen“ werden. Mit den Jahren wurde das Maß des „parteilichen“ Auftretens bzw. der „klassenbewussten“ Einstellung und der „gesellschaftlichen Arbeit“ an erste Stelle gesetzt.

„Parteiliches, klassenbewusstes Verhalten“ war abzulesen an erkennbaren politischen Überzeugungen und offenen politischen Bekenntnissen. Es war auch beweisbar durch Mitgliedschaft und „aktive“ Mitarbeit in einer politischen Organisation (Junge Pioniere/​FDJ) und Teilnahme an der Jugendweihe. Gesellschaftliche Arbeit leistete ein/​e Schüler/​in zum Beispiel, wenn er/​sie im Verband der Jungen Pioniere oder in der FDJ eine leitende Funktion ausübte und an Arbeitseinsätzen, Altstoffsammlungen, politischen Aktionen und schulischen Veranstaltungen aktiv mitwirkte.

Etwa mit Ende der 50er Jahre wurden wir Deutschlehrer angewiesen, den Aufbau und die Gestaltung eines Deutsch-Aufsatzes in den oberen Klassen so zu lehren und zu üben, dass der Schüler in seiner schriftlichen Darlegung oder bei Abschluss seiner Erörterung seine „parteiliche Meinung“ – in Beziehung zum Thema – schriftlich zum Ausdruck bringen sollte! Man erwartete damit keine ehrliche subjektive Wertung bzw. Meinungsäußerung, sondern meinte eine im Sinne der SED-Ideologie formulierte „parteiliche“ Stellungnahme. Das verführte den Schüler oft zu verkrampfter Heuchelei, weil er wusste, seine „Parteilichkeit“ könne ihm zu einer besseren Zensur verhelfen. Zum anderen vermochte der Lehrer auch, wenn er es für angebracht hielt, einen schwachen Aufsatz, der mit so einem „parteilichen“ Anhängsel endete, aufzuwerten.

Besonders im Fach Staatsbürgerkunde, aber auch in anderen ideologierelevanten Fächern achteten hospitierende Inspektoren oder Fachberater auf mündliche „parteiliche“ Aussagen der Schüler. An solchen „parteilichen“ und „klassenbewussten“ Stellungnahmen der Schüler wurde von versessenen Schulfunktionären oftmals die pädagogische Leistung des Fachlehrers gemessen! Wo sich Lehrer und Schüler gut kannten und verstanden, lernten Schüler mit der Zeit, wenn es darauf ankam, z. B. bei mündlichen Prüfungen, auf den Putz zu hauen und ihre Parteilichkeit vorzuspielen. Ich mochte solch ein Theater nicht.

Wenn man unter „gesellschaftlicher Arbeit“ gemeinnützigen Einsatz und engagiertes Mittun in der Gemeinschaft versteht oder eine positive soziale Einstellung, so wäre dagegen nichts einzuwenden.

Aber allein durch die penetrante Forderung, „gesellschaftliche Arbeit“ unter Beweis zu stellen, erstarrte der Gesichtspunkt Gemeinnutz zu einer formalen ideologischen Floskel. So suchte und sammelte der Lehrer in bestimmten Fällen alle möglichen „gesellschaftlichen Arbeiten“ eines Schülers zusammen, um dem geforderten Kriterium nachzukommen, vor allem aber, um dem Schüler auch unter diesem Gesichtspunkt möglichst Positives ins Zeugnis schreiben zu können.

Der eigentliche moralische Wert gemeinnützigen Verhaltens trat, weil mehr oder weniger erzwungen, in den Hintergrund und hatte im Rahmen der Erziehung einen geringeren Effekt.

So waren „parteiliches Verhalten“ nicht das Recht oder die Aufforderung zu freier subjektiver Meinungsäußerung und die geforderte „gesellschaftliche Arbeit“ nicht im eigentlichen Sinne nur gemeinnützige Tätigkeit, sondern beide Kriterien waren ausgeartet zu wirksamen Mitteln des Zwanges und zur Anpassung. Und wenn beispielsweise ein Mädchen oder ein Junge „nur ein bürgerliches Kind war“, dann sah es sich leicht verführt, sich durch berechnendes „parteiliches“ Auftreten, durch eine betuliche „gesellschaftliche Arbeit“ und durch vorgezeigte Aktivitäten als „Junger Pionier“ so verdient zu machen, dass es bei Schulabschluss eine gute Beurteilung bekam und vom erstrebten Besuch der weiterführenden Oberschule nicht ausgeschlossen wurde. – Der verlangte Beweis von Parteilichkeit verführte zur Heuchelei. Und Heuchelei war und blieb ein negatives Symptom der Schule in der DDR.

Für mich war es als Lehrer unter damaligen Bedingungen wie auch zu allen Zeiten stets die schwerste Aufgabe, eine ehrliche und gerechte, die geistige und psychische Entwicklung des Jugendlichen berücksichtigende Persönlichkeitsbeurteilung schriftlich zu formulieren

Die „Pionierarbeit“

Als ich 1950 in der Schule als Lehrer begann, war vorwiegend von antifaschistischer, demokratischer, humanistischer Erziehung die Rede, gemäß dem Gesetz zur Schulreform von 1946. Als Hauptpostulat galt noch „die Erziehung“ … der Kinder und Jugendlichen „zu selbständig denkenden, verantwortungsbewusst handelnden Menschen … “

Bereits 1952 folgten auf Wendungen wie „Erziehung zum Frieden“ oder „ … im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts“ weiterführend die geforderte „Liebe zur Arbeiterklasse“ und der Auftrag „zur sozialistischen Erziehung“; und wir Lehrer mussten nun schon – im Hinblick auf Künftiges – in Konferenzen die „kommunistische Erziehung“ nach sowjetischem Vorbild diskutieren und „lernen“.

Auf dem I. Pioniertreffen 1952 in Dresden, wo dem „Verband der Jungen Pioniere“ der Name „Ernst Thälmann“ verliehen wurde, ist das allgemeine Erziehungsziel so formuliert worden: „Erziehung der Kinder im Geiste des Friedens, der Völkerfreundschaft und des Sozialismus zu bewussten Staatsbürgern der DDR“.

Wer die Schule der DDR durchlaufen hat, wird sich erinnern an politische Programme und Parolen des Verbandes der „Jungen Pioniere“, an „Stufenprogramme“, an die „Gesetze der Jungen Pioniere“, an Blaues Halstuch, Pioniergruß und entsprechende Rituale beim Appell der „Pionierfreundschaft“ in der Schule.

Was ich sagen will: Wenn anfangs dieser Pionier-Verband als Kinderorganisation noch eine nebensächliche Rolle gespielt hatte, so wurde ihm ab 1952 von Seiten der Partei und der Schulbehörden ein ganz wichtiger Platz im Schulleben eingeräumt.

Schule – Elternhaus – Pionierorganisation, diese drei wurden jetzt in dieser Reihe als die wichtigsten Erziehungsträger genannt. Der Kinder- und Jugendverband der „Jungen Pioniere“, nun dem Elternhaus und der Schule als Erziehungsträger nahezu gleichgestellt, war somit erheblich aufgewertet worden, und er sollte künftighin maßgebend die staatsbürgerliche Erziehung der 6 – 14jährigen unterstützen.

In der Folge kamen hauptamtliche Pionierleiter an die Schulen. Lehrer wurden verpflichtet und mussten es als Teil ihrer beruflichen oder „gesellschaftlichen Arbeit“ betrachten, die „Pionierarbeit tatkräftig zu unterstützen“ … Es lief darauf hinaus, dass wir Klassenlehrer sogleich als „Gruppenpionierleiter“ die „Pioniergruppe“ der Klasse zu leiten hatten und regelmäßig „Gruppennachmittage“ organisieren und ausgestalten mussten. Oder wir Lehrer sollten Mütter oder Väter aus der Elternschaft als Gruppenpionierleiter gewinnen, was erfolglos blieb.

Die „Pionierarbeit an der Schule mit Leben erfüllen“ – das war von nun an eine vordringliche Arbeit der Lehrer. Wir wurden also eingespannt und sollten „freiwillig“ den Hauptteil der so genannten „Pionierarbeit“ leisten.

Der eingesetzte Pionierleiter an der Schule war verantwortlich, das Leitungsgremium der „Pionierfreundschaft“ (der ganzen Schule) sowie die Gruppenpionierleiter anzuleiten und die gesamte „Pionierarbeit“ an der Schule programmatisch zu steuern und zu kontrollieren. Er zählte mit zum „Pädagogischen Rat“, wie man die Lehrerkonferenz bald großsprecherisch nannte. So waren wir Lehrer auch dem Pionierleiter gegenüber verpflichtet oder mussten uns mit diesem arrangieren.


Aufmarsch am 1. Mai 1952 oder 1953 in Gotha.

Mehrmals hatten wir einen jungen Mann als hauptamtlichen Pionierleiter an der Schule, zeitweise auch ein junge Frau. Sie wechselten öfter. Meistens versuchte sich der Pionierleiter an die Lehrer anzupassen, war bestrebt, sich mit uns kollegial zu verständigen und uns für die kooperative Mitarbeit zu gewinnen. Ich erinnere mich an zwei dieser Pionierleiter, mit denen wir Lehrer/​innen gut zurechtkamen, weil sie nicht wie sture Politfunktionäre auftraten, sondern bemüht waren, vernünftig und nutzbringend die Freizeitgestaltung der Kinder zu fördern und mit uns zusammenzuarbeiten. Eine bei uns eingesetzte Pionierleiterin war völlig unfähig und musste bald abgelöst werden. Einen Pionierleiter wurden wir los, nachdem er mit seiner Pionierkasse nicht korrekt umgegangen war. Von einer anderen strammen Pionierleiterin hielten wir uns möglichst fern, weil sie sich überzogen politisch und autoritär ins Zeug legte.

Manche Lehrer/​innen glaubten sich anfangs wehren zu können gegen die ihnen auferlegte „berufsfremde“ Tätigkeit in einer politischen Kinderorganisation. Sie verwiesen auf ältere Jugendliche, auf Oberschüler oder Studenten, die als Gruppenpionierleiter viel besser geeignet seien. Andere fügten sich und führten ihren „Pionierauftrag“ formal aus, ohne viel zu bewirken. Einige standen mit Überzeugung zu ihrer neuen Aufgabe.


Schulveranstaltung zum Tag des Kindes 1953.

Abgesehen von meiner Abneigung gegen diese hinzugekommene „Pflicht“, sah ich mich im Widerspruch. Zum einen war ich wie andere geneigt, mitzuhelfen, für die Kinder eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu gestalten. Doch die ideologische Ausrichtung und der rituelle Kult des „Pionierlebens“ mit militanten „Fahnenappellen“ und „feierlich“ aufgezogenen Pionierveranstaltungen stießen mich ab. Da stiegen in mir Bilder auf von einst erlebtem patriotischen, „zackigen“ Gehabe, und bei öffentlichen Pionieraufmärschen mit Fanfaren und Spielmannszug zum Tag der Republik hörte ich wieder den schmetternden Klang der Hitlerjugendfanfaren …!

Zur „Pionierarbeit“ zählte man auch geforderte oder freiwillige Sondereinsätze von Schülern außerhalb des Unterrichts, die von den Lehrern organisiert bzw. geleitet werden mussten. Manche dieser Einsätze hatten wenigstens einen Sinn: wie Altstoffsammlungen an der Schule, Pflegearbeiten im Schulgelände oder Erntehilfe in benachbarten Dörfern. Dass wir helfen sollten, auf den Feldern der Bauern die Kartoffelkäfer abzusammeln, konnte man für nützlich ansehen. Aber wenn dann zur Motivierung der Kinder ein Feindbild herhalten sollte, indem man erklärte, die „klassenfeindlichen, westdeutschen und amerikanischen Imperialisten“ hätten die Kartoffelkäfer über unseren Feldern abgeworfen, dann war das gemeinnützige Tun schon wieder politischpropagandistisch entwertet und nicht mehr glaubhaft ….

Abgesehen von einigen Höhepunkten und interessanten schulischen Veranstaltungen, lief die „Pionierarbeit“ an der Schule, aus meiner Sicht gesehen, ziemlich formal ab oder pflichtgemäß diszipliniert; und als „Erziehungsträger“ (!) kam der Pionier-Verband nur schwer ins Laufen.


Mit meiner Klasse 1953 …


… und unterwegs 1954.

Die „Ferienaktion“

Zu dem umfassenden Aufgabenbereich des Lehrers gehörte auch seine Mitwirkung bei der Organisation und Gestaltung der 1950 staatlich eingeführten „Ferienaktion für Kinder“. Unter dem Motto „Frohe Ferientage für alle Kinder“ wurde als Erstes verfügt, dass jede Grundschule (Kl. 1 – 8) während der Sommerferien in zwei Durchgängen von je drei Wochen so genannte Örtliche Ferienspiele an der Schule bzw. an einem örtlichen Ferienstützpunkt durchzuführen habe.

Sport und Spiele, interessante Gruppenbeschäftigung und von zentraler Stelle vorgegebene Veranstaltungen wie Kinobesuch, Informations- oder politische Gedenkstunden waren vorgesehen und erwünscht. In den folgenden Jahren wurde die ideologische Erziehung der teilnehmenden Kinder stärker betont. Parteifunktionäre forderten, dass die „ideologische Erziehungsarbeit“ in den langen Sommerferien nicht zum Erliegen kommen dürfe und daher während der „Ferienaktion“ weitergeführt werden müsse.

Zum Stützpunkt der Örtlichen Ferienspiele unserer Löfflerschule war seit 1951 der Bereich der Ausflugsgaststätte „Berggarten“ auf dem Kranberg nahe der Stadt bestimmt worden. Der Gaststättenwirt G. und seine Frau, denen man die verordneten Ferienspiele einfach vor die Nase gesetzt hatte, sahen sich wohl anfangs eher gezwungen und geschäftlich belastet. Sie mussten als Gastgeber der Ferienspiele ihr Gartenlokal zur Verfügung stellen. Und zur Mittagszeit, wenn hier das von der Zentralküche angelieferte Mittagessen für etwa 150 bis 200 Kinder ausgegeben und eingenommen wurde, sahen sich wohl private Gäste des Gasthauses am Rande des Geschehens eher benachteiligt.

Die meisten unserer jungen Lehrerinnen und Lehrer waren während ihrer Sommerferien (!) für je einen Durchgang als Gruppenleiter/​in eingesetzt. Jede/​r bekam eine Gruppe von Mädchen und Jungen, etwa 20, mit denen er über einen Zeitraum von drei Wochen, wochentags von 9.00 bis 16.00 Uhr, die Ferienspiele zu betreiben hatte. Alle Gruppen trafen sich am Morgen auf vereinbartem Platz und zogen gemeinsam hinauf in den Kranberg, wo im Wirtshausgarten der Gaststätte „Berggarten“ das allgemeine Tagesprogramm durch die Lagerleitung bekannt gegeben wurde. Danach begaben sich die einzelnen Gruppen (12 bis 15 etwa) zu ihren Gruppenplätzen am Rande der Spielwiese oberhalb des Gartenlokals.

Abgesehen von festgelegten Veranstaltungen, war es den Gruppenleitern überlassen, das Tagesprogramm der Gruppe nach eigenen Vorstellungen und nach den Bedürfnissen der Kinder zu gestalten. Wichtig für die Kinder war ihr fester Lagerplatz am Rand der großen Spielwiese, halb im Gebüsch. Es machte ihnen Spaß, ihren selbst ausgesuchten Platz durch Gezweig abzugrenzen und mit trockenem Gras und mitgebrachten Decken behaglich zu gestalten. Mancher brachte eine alte Zeltplane mit, die als Schutzdach gegen Regen aufgehängt wurde. Von diesen Gruppen-Lagerplätzen aus wurden unter Anleitung des Gruppenleiters alle ausgedachten Unternehmungen in Gang gesetzt. Neben einfachem Versteckspiel, Geländespiel oder Schnitzeljagd im nahen Wald, naturkundlichen Kleinexkursionen oder x-beliebigen Entdeckungsgängen, lustigen Unterhaltungsspielen im Lager und vor allem Sportspielen auf der großen Wiese wurden alle möglichen Beschäftigungen genutzt. Manchmal meldete sich eine Gruppe ab, um in ein Schwimmbad zu fahren oder einen ganztägigen Ausflug zu unternehmen. Geschickte Gruppenleiter förderten die Ideen- und Entdeckungslust der Kinder.

Die von der städtischen Leitung der Ferienspiele angesetzten zentralen Veranstaltungen für Ferienspiellager mussten in unserem Tagesprogramm berücksichtigt werden. Sie brachten gelegentlich auch gewünschte, vertretbare Abwechslung in den Tagesablauf. Meistens waren es Filmvorführungen im Kino der Stadt oder Vorträge in unserem Stützpunkt „Berggarten“. Man schickte uns z. B. einen Förster, der über das Leben im Walde und vom Naturschutz erzählte, oder einen „Arbeiterveteran“, der von seinem „antifaschistischen Widerstandskampf“ gegen die Nazis berichtete, oder einen Verkehrspolizisten oder einen Zauberer vom Zirkus und dergleichen.

Der dreiwöchige Ferienspiel-Durchgang endete mit einer großen „Abschiedsfeier“ am letzten Tag. Jede Gruppe war aufgefordert, einen originellen Vortrag oder Auftritt für das große Abschlussprogramm vorzubereiten. Es war erstaunlich und interessant, wie ideenreich und begeistert die Kinder dann ihre eingeübten Darbietungen zum Besten gaben. Ich erinnere mich an schöne Abschlussveranstaltungen im Beisein der eingeladenen Eltern – mit großem Lagerfeuer und abschließendem Lampion-Zug hinunter in die Stadt.

Es sei noch erwähnt: Die Teilnahme an den Ferienspielen war freiwillig! Sie kostete nur eine geringe Gebühr: zwei Mark pro Durchgang. Die Verpflegung der Kinder und Helfer erfolgte ohne Abgabe von Lebensmittelkarten. Der von der Schule beauftragte Leiter der Ferienspiele wurde von einem Angestellten der Stadtverwaltung unterstützt. Von seiner Behörde zu diesem besonderen Zweck vorübergehend abgestellt, war er für die Verpflegung und wirtschaftliche Verwaltung dieses Stützpunktes der Ferienspiele verantwortlich. Auch Eltern-Frauen, von der Schule geworben und eingewiesen, waren als Ferienspielhelfer im Küchendienst oder als Gruppenleiterin eingesetzt worden. Das Ganze wurde also mit großem Aufwand betrieben.

Abgesehen von den vorgegebenen Richtlinien zur „ideologischen Erziehung“, waren wir mitverantwortlichen Lehrer bestrebt, für die Kinder sinnvolle, erlebnisreiche, frohe Ferienwochen zu gestalten. Die meisten von uns haben sich um heikle oder schwierige politische Themen herumgedrückt oder versucht, diese auf ein vernünftiges Maß abzuwandeln. Wer wollte schon die Kinder in den Ferien aufdringlich agitieren. In den von „oben“ geforderten Berichten nach Abschluss der Ferienspiele hat man natürlich den Vollzug der geforderten „Erziehungspflichten“ im einzelnen genau aufgeführt, damit es keinen Ärger gab.

Im Laufe der 50er Jahre wurde die „Ferienaktion für Kinder“ weiter ausgebaut. Neben den „Örtlichen Ferienspielen“ wurden zunehmend mehrtägige Ferienwanderungen oder -fahrten ermöglicht und gefördert. Eine zentrale Verteilungsstelle bot den Schulen anreizende Wanderquartiere in interessanten Landschaften und Städten der DDR an, in denen Wandergruppen mehrtägig untergebracht und verpflegt werden konnten.

Ich habe davon oft Gebrauch gemacht, denn ich bin gern mit Kindern auf Fahrt gegangen. Es machte mir Freude, meinen Ideen zufolge mit den Schülern auf Entdeckung zu gehen, mit ihnen Sehenswertes zu erschließen und zu erleben und ihren Gesichtskreis zu erweitern. Natürlich war man als Leiter einer Wandergruppe, ob im Thüringischen unterwegs oder im Erzgebirge, im Harz oder in Berlin, so gut wie Tag und Nacht „im Dienst“. Es war anstrengend und verantwortungsvoll bei allem, was man täglich zu leisten hatte. Aber ein Vorteil lockte: War man 8 oder 10 Tage lang als Wandergruppenleiter unterwegs, war man freigestellt von drei Wochen Einsatz in den „örtlichen Ferienspielen“. Somit verlängerte sich für den „wandernden“ Lehrer die Zeit der freien Tage während der Sommerferien um eine Woche.

Eine weitere Form der staatlich gelenkten „Ferienaktion für Kinder“ waren die „Betriebsferienlager“. Die volkseigenen Betriebe wurden angeregt, an einem interessanten Standort ein geeignetes Gebäude zu erwerben und dieses mit Unterkünften, Küche und Sanitäreinrichtungen als Ferienlager auszubauen. Vornehmlich für Kinder der Betriebsangehörigen. Der Betrieb kam nicht umhin, für Verpflegung, Betreuung und Programm zu sorgen und auch Personal für das Ferienlager zu stellen. Später wurden zusätzlich Studenten oder Oberschüler als Helfer eingesetzt.

Schließlich gab es noch die „Zentralen Pionierlager“, von der obersten Leitung der Pionierorganisation eingerichtet und „geführt“! Bewährte, vorbildliche Pioniere durften für drei Ferienwochen an solch einem Lager teilnehmen und hatten das als Auszeichnung für besondere Verdienste zu verstehen. Nicht jeder wollte dahin!

Mit den Jahren nahm das Angebot und der Bedarf solcher Ferien-Gestaltungen zu, sodass in den Sommerferien fast alle Schüler mindestens an einer dieser angebotenen Ferien-Aktionen teilnehmen konnten.

Warum ich so ausführlich auf die Ferienaktion eingehe? – Ich will zeigen, mit welchem Aufwand die Staatspartei, das Ministerium für Volksbildung und die Pionier-Organisation das staatlich gesteuerte Ferienprogramm für



Ferienspiele im „Berggarten“ 1951 oder 1952.



Unser kleines schuleigenes Ferienlager im Thüringer Wald 1958.

Kinder forcierten und Schulen, Kommunen und Betriebe zur Verwirklichung rigoros einspannten. Die Parole „Frohe Ferientage für alle Kinder“ hatten die Urheber in ihrem Sinne sicherlich ernst gemeint, aber doch eng verbunden mit dem Ziel, die „politisch-ideologische Erziehung“ der Schuljugend während der sechs Wochen langen Sommerferien weiterzuführen.

Ich denke aber, dass überall in den Ferieneinrichtungen – wie von selbst – die fürsorgliche Betreuung, eine interessante, kind- oder jugendgerechte Gestaltung der Ferientage und eine vernünftige moralische Beeinflussung der Kinder im Vordergrund standen. Viele Lehrer/​innen und die beteiligten Eltern haben sich eingesetzt zum puren Wohl und Nutzen der Kinder. Und jeder von uns Lehrern weiß und hat dabei erlebt, wie durch das tägliche gemeinsame Zusammensein mit den Kindern, durch das gegenseitige nähere Kennenlernen, das allgemeine Lehrer-Schüler-Verhältnis auf schöne Weise an Vertrauen und auch an Freundschaft gewinnen kann.

Dann darf nicht vergessen werden, dass in der dürftigen DDR-Nachkriegszeit die Menschen genügsam … und die Kinder (wie auch Eltern) sehr dankbar waren für jegliche Zuwendung außerhalb des Schulunterrichts: für ein einfaches zusätzliches Essen, für einfache interessante, freudige Erlebnisse und für eine einfache fürsorgliche Betreuung in den Schulferien! Ich meine, die Ferienaktion für Kinder in der DDR hat besonders in den fünfziger Jahren einen gemeinnützigen, kinderfreundlichen Wert gehabt!