Czytaj książkę: «Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990», strona 3

Czcionka:

In jenen 50er Jahren war ein gewisser Genosse x als Beauftragter der SED-Kreisleitung, Abt. Agitation und Propaganda, für die Schulparteiorganisationen zuständig. Er leitete Zusammenkünfte der Schulparteisekretäre in der Kreisleitung, erteilte Anweisungen, prüfte Versammlungsprotokolle, Arbeitspläne und Rechenschaftsberichte der Schulparteiorganisationen, nahm an deren Parteiversammlungen teil und war insgesamt für Kontrolle und Anleitung der Schulparteiorganisationen und somit auch für die politische „Betreuung“ der Löfflerschule verantwortlich.

Ich vergesse diesen Mann nicht: seinen Namen, sein arrogantes Auftreten, seine krähende Feldwebelstimme, sein aggressiv durchdringender Blick, seine spitzen, scharfen dogmatischen Phrasen – alles das sehe und höre ich, wenn ich zurückdenke an diesen kleinwüchsigen mächtigen Mann der Partei. „Giftzwerg“ wurde er genannt unter den Genossen der Gothaer Schulen. Dieser Parteifunktionär war für mich ein personifiziertes Sinnbild stalinistischer Parteidiktatur. Das war kein „Genosse“, wenn man darunter einen gleichgesinnten, vertrauten politischen Freund und Gefährten versteht. Er war der kleine Diktator – ein Ebenbild der Mächtigen von den oberen Etagen der Partei.

Ich erinnere mich noch genau, wie er als Instrukteur der SED-Kreisleitung in einer Wahl-Versammlung unserer Parteigruppe aufgetreten ist. Die Genossin P., die mir nachfolgende Parteisekretärin an der Schule, hatte den Rechenschaftsbericht der Parteileitung der Schule vorgetragen, dann wurde die neue Parteileitung gewählt und anschließend der neue Arbeitsplan der Parteigruppe gelesen und erläutert. Er hörte sich noch den Beginn der Diskussion an, dann setzte er mit einem Donnerwetter ein, verriss in harten Worten den Arbeitsplan, schrie scharf seine Beanstandungen in die Runde, erklärte den Arbeitsplan für null und nichtig, forderte auf der Stelle dessen grundlegende Überarbeitung und Korrektur und befahl die Wiederholung dieser Wahlversammlung, an der er selbstverständlich wieder teilnehmen werde. Es wirkte vernichtend und in hohem Maße verletzend. – Ich weiß heute nicht mehr genau, was er bemängelt hatte oder welches „wichtige“ politische Klassenkampf-Thema die Parteisekretärin in ihrem Arbeitsplan vergessen hatte. Das wäre auch nicht so wichtig, es war einzig und allein sein geradezu menschenfeindliches Auftreten. Waren wir seine politischen Sklaven oder seine politischen Freunde und Genossen? Man erzählte sich damals, dass dieser Genosse im trunkenen Zustand damit prahle, unter seiner Jacke eine Pistole zu tragen – natürlich im Auftrag der Partei! Ob das nun stimmte oder nicht. Man traute es ihm zu, zumal die politische Herrschaft der Partei in ihrer ganzen Schärfe hinter ihm stand.

Diese Art zu herrschen und die eigenen Genossen voranzutreiben wurde immer wieder mit der „notwendigen Härte im verschärften Klassenkampf“ begründet. Die Partei müsse verlangen, dass ihre Mitglieder bedingungslos gehorchten und mit gleicher „Konsequenz“ und „Parteidisziplin“ gegenüber Kollegen, Schülern und Eltern aufzutreten hätten.

So fragte ich mich: Ist diese praktizierte Diktatur der SED nicht nach innen gerichtet? Dient sie nicht in erster Linie zur Disziplinierung oder gar zur bedingungslosen Unterwerfung der eigenen Parteimitglieder und darüber hinaus eines ganzen Volkes? Und „unsere sowjetischen Freunde“ und die KPdSU als „Bruderpartei“ – sind wir nicht deren Gewaltherrschaft und Besatzungsmacht ohnmächtig ausgeliefert? – Immer wieder die Frage: Geht es um den Sozialismus oder geht es um die feste Verankerung und Festigung der sowjetrussischen Machtposition in Mitteleuropa? – Oder um beides?

Andererseits fiel es mir auch schwer, damals der Deutschlandpolitik Adenauers zu folgen. Hätte man nicht doch das sowjetische Angebot zu einem Friedensvertrag unter der Bedingung einer Neutralisierung Deutschlands und ohne Wiederbewaffnung annehmen sollen? Die Sowjets wenigstens beim Wort nehmen müssen? Demokratie für ganz Deutschland unter Verzicht auf Einbindung in einen Militärpakt, weder nach Ost noch nach West – wäre das nicht eine annehmbare Perspektive gewesen? Und Aussicht auf eine „bessere Freiheit“ für uns hier im Osten?

Dann störten mich auch die Alten Nazis in den Bonner Ämtern und Behörden. Oder war das nur üble Propaganda der SED – diese „Globke“ und „Oberländer“?

In starken inneren Konflikt geriet ich, wenn ich zu einem Agitationseinsatz beordert wurde. Ich erinnere mich, wie wir Lehrer am Wochenende mit einem LKW zu einem „Aufklärungseinsatz“ nach Haina, einem Dorf im Kreis, gefahren wurden. Dort erhielten wir zu zweit oder zu dritt einen Straßenabschnitt zugewiesen, wo wir von Haus zu Haus die Leute aufsuchen und „aufklären“ sollten. Vielleicht über das „Wahlprogramm der Nationalen Front“ oder irgendwelche Parteitagsbeschlüsse oder auch über die „Friedensvorschläge“ der Sowjetunion. Jedenfalls zu dem Thema einer aktuellen ideologischen Kampagne. Ein andermal – so weiß ich noch – mussten wir in Gierstädt von Haus zu Haus gehen und die Bauern für irgendeine politische Aktion oder bevorstehende „Volkswahl“ agitieren. Wenn das Hoftor geschlossen blieb nach mehrmaligem Klopfen, zogen wir zufrieden weiter. Natürlich gab es bei solchen Gesprächen, zu denen die Gesprächspartner beider Seiten gedrängt wurden, keinen echten Meinungsaustausch. Die Fremden, die da aus der Stadt gekommen waren, trugen pflichtgemäß, formal oder gekürzt und abgeschwächt die phraseologischen Parolen und Erklärungen vor; wenn möglich beschränkten sie sich auf die Überreichung einer „Aufklärungsschrift“. Die Angesprochenen standen da und nickten vorsichtig. Mancher Bauer wagte einen gemäßigten Einwand, gab aber sicherheitshalber zu verstehen, dass er die „Friedenspolitik von Partei und Regierung“ selbstverständlich unterstütze. Nur in wenigen Fällen zeigte man offen und unverkennbar eine ablehnende Haltung. Meistens entstand eine peinliche Heuchelei, die höchstens dann erträglich wurde, wenn sie in einen verschmitzt ironischen Dialog überging. – Es war ein widerliches Theater, weil alles erzwungen. Doch die Schule, sagen wir Partei- und Schulleitung, hatte einfach auf Anweisung der übergeordneten Parteiorgane eine bestimmte Anzahl von Kollegen/​innen „zu mobilisieren“, diesen den politischen Auftrag „zu erklären“, das heißt ihnen einfach zu sagen, was sie zu tun hätten. Wer von uns wollte eine ehrliche Verweigerung oder Ablehnung dieses unwürdigen Auftrages wagen? Dann als „Feind unseres Friedenskampfes“ und der „Arbeiterklasse“ dastehen? Unsere Kolleginnen konnten freilich Samstag nachmittags stichhaltige Gründe vorweisen oder vortäuschen: großer Haushalt, kleine Kinder oder Krankheit in der Familie; doch wir jungen Männer, zumal noch Genossen der SED, wir standen ganz oben auf der Liste, wenn es um die Auswahl geeigneter Einsatzkräfte ging. Und immer, wenn man sich letztendlich doch fügte, folgte man auch einer gewissen Angst, die – so empfand ich das –von den Parteimächtigen zur Machtausübung ganz bewusst genährt wurde.

Dazu diente, meines Erachtens, auch die öffentliche „Entlarvung“ und Verurteilung von „Klassenfeinden“ in Presse und Rundfunk. Ich erinnere mich, wie wir im Kollegium Schauprozesse, z. B. den Slanski-Prozess von Prag, auswerten mussten. Einmal sogar waren wir Mitglieder der SED-Gruppe der Schule in unseren Patenbetrieb, ins RAW, bestellt. Gemeinsam mit der Parteigruppe dieses Patenbetriebes mussten wir uns in einem Saal die Rundfunkübertragung einer „bedeutsamen“ Gerichtsverhandlung bzw. Urteilsverkündung gegen eine Gruppe von „Staatsfeinden“ anhören. Warum das? Ich meinte zu spüren, dass all die großen und kleinen Berichte von Prozessen gegen „Klassenfeinde“ bei der Bevölkerung Einschüchterung, Abschreckung und Angst erzeugen sollten.

Irgendwann in den Jahren 1952 – 54 schickte mich die Partei für zwei Wochen auf die Kreisparteischule Langensalza. Ich war vorher beauftragt worden, innerhalb der Schulparteiorganisation das „Parteilehrjahr“ zu leiten (… da ich ja Geschichtslehrer sei). Nun meinte man, mich auf dieser Parteischule darauf vorbereiten zu müssen. Dieser Lehrgang gab mir den Rest. Untergebracht in einem Internat, zu 5 oder 6 Personen auf dem Zimmer, hatten wir täglich einem 10-stündigen militanten Schulungsprogramm zu folgen und nach dem Abendessen „organisiertes Selbststudium“ zu betreiben. Um 22 Uhr Zapfenstreich – Bettruhe. Ich wollte abends mit dem Fahrrad nach Hause fahren. Das wurde nicht erlaubt. Zwei Wochen kein aufrichtiges Wort, unentwegt Heuchelei und ernsthaft verkrampfte Gesichter – das war quälend und niederdrückend.

Mit solchen massiven politischen Erfahrungen belastet, begann für mich die Zeit, in der ich mich von dieser SED innerlich immer weiter entfernte und darüber nachzudenken begann, wie ich mich von der Partei trennen könnte. Manchmal fühlte ich mich unter dem Druck dieser Parteidisziplin schlechter als auf dem Kasernenhof. Ich blieb auch fest entschlossen, mich nicht zum gewissenlosen Handlanger eines unerbittlichen Machtapparates herabwürdigen zu lassen, hatte ich mich doch schon einmal als junger Mensch einbinden lassen in eine Diktatur, die ich nachher als Schreckensherrschaft erkennen musste.

Ich wollte mich nicht gegen die Entwicklung einer sozialistischen Gesellschaft sträuben. Nein, mir wäre – nach meinem damaligen marxistischen Verständnis – eine sozial gerechte oder sozialistische Neuordnung schon recht gewesen, aber unter demokratischen Bedingungen! Hier aber in der SED-Wirklichkeit wieder Zwang, Angst und Gesinnungsterror – im Namen einer sozialistischen Idee! Nein – das konnte nicht besser sein. Oder waren es, wie gut meinende Genossen beschwichtigend sagten, lediglich die „Kinderkrankheiten einer neuen sozialistischen Gesellschaft“?


Tageszeitungsblatt vom 19. März 1953.

Hinzu kam, dass das, was ich vom „Westen“ hörte, von jenem Kapitalismus mit den vielen „tüchtigen Leuten“ aus alter Zeit, natürlich auch Misstrauen erregte. Dann wiederum war ich von der freien, kritischen Berichterstattung im westdeutschen Rundfunk und den übertragenen kontrovers geführten Bundestagsdebatten sehr angetan. Wenn ich (z. B.) im Radio hören konnte, wie der SPD-Abgeordnete Erler im Plenum des Bundestages gegen die Adenauer-Regierung loswetterte! War das nicht Demokratie?

Doch wir, die wir in der DDR lebten und hier arbeiteten, mussten wir uns nicht danach richten, wie uns die SED-Parteitage, das „Neue Deutschland“ und unsere „sowjetischen Freunde“ die Welt erklärten? Konnte man sich da als Mensch oder vor allem als Schullehrer heraushalten? Oder gar unberührt lassen von allen Skrupeln gegenüber dem totalitären Diktatur- und Machtgetriebe? Wäre es möglich oder zur Selbsterhaltung besser gewesen, das ganze ideologische Getöne samt Klassenkampf-Gelärme einfach zu überhören und sich damit abzufinden, dass wir Deutschen eben die Verlierer sind und dass uns – ganz nüchtern und realistisch gesehen – nichts anderes übrig bleibt, als sich bedingungslos zu fügen und mitzumachen – also mit den Wölfen zu heulen?

Doch ich stand nun mal nicht außerhalb oder auf zeitliche Distanz, sondern mittendrin! Mal dafür – mehr dagegen. – Und gab es da einen Weg, herauszufinden aus diesem Druckkessel?

Meine Hauptaufgabe: der schulische Unterricht

Nun war dieses „Parteileben“ nur die eine Seite meines Lehrerdaseins. Das Wichtigere – mittendrin – das waren die Kinder, die Mädchen und Jungen, die täglich vor mir saßen. Die wussten selbstverständlich kaum etwas von meinen politischen Sorgen. Sie fühlten sich als Schulkinder und erwarteten von ihrem Lehrer, dass er sich ihnen zuwandte, mit Autorität, aber möglichst auch in ausgeglichener Freundlichkeit, der sie auf verständliche Weise lehrte, was sie auch lernen wollten, und der sie vertrauensvoll und helfend begleitete in ihren Kinder- und Jugendjahren.

Und das zu leisten, mich vor allem den Kindern zu widmen, sie zu lehren und pädagogisch im humanen Sinne zu lenken, mich für sie verantwortlich zu fühlen und mit den Eltern zusammenzuarbeiten – das war meine Hauptaufgabe! Ich wollte dabei moralisch-politisch glaubwürdig bleiben und keinesfalls Gesinnungszwang ausüben. Gerade das war mir, dem einst verführten Jungvolkjungen aus der Hitlerzeit, in meiner jetzigen Schulstube äußerst wichtig.

So sah ich mich einerseits der störenden, zehrenden Belastung durch das politisch-staatliche Herrschaftsregime ausgesetzt, andererseits fühlte ich mich moralisch verpflichtet, unter Einsatz meiner ganzen Kraft und Energie – in meiner eigentlichen Arbeitszeit – meine tägliche Unterrichts- und Erziehungsarbeit so gut wie möglich zu leisten.


Mit meiner 6c in den Fahner Höhen 1952.

Mein Unterricht und die Lehrtätigkeit war besonders in den ersten Lehrerjahren für mich sehr zeitaufwendig, teils auch schwierig, weil ich – wie fast jede/​r meiner Kollegen/​innen – in mehreren Fächern unterrichten musste, auch wenn es mir dazu an der erforderlichen Ausbildung und Qualifikation fehlte. Wir Neulehrer mussten das ganze Spektrum des Unterrichts bestreiten. Als Geschichtslehrer ausgebildet, notdürftig in Deutsch und Geographie, musste ich auf Grund der Lehrer- und Schulsituation auch in anderen Fächern unterrichten. Mit Selbstverständlichkeit in Deutsch oder Mathematik, darüber hinaus in Erdkunde, Physik und natürlich als Klassenlehrer damals auch in Staatsbürgerkunde, und, weil ja ein „junger“ Lehrer, auch in Turnen! Zu meiner Profilierung als Sportlehrer schickte man mich in Ferienzeiten – so nebenbei – zu einem Lehrgang für Sportlehrer.

Wir Kollegen/​innen halfen uns gegenseitig. Mit der Kollegin M., zum Beispiel, die wie ich als Parallelklassenlehrerin Deutsch und Mathematik unterrichtete, traf ich mich wöchentlich einmal zu einer Arbeitsberatung. Gemeinsam besprachen wir den zu vermittelnden Lehrstoff und dazu geeignete Lehrmethoden. Solch eine Gemeinschaftsarbeit ergab sich zwangsläufig, da wir unfertigen Lehrer ihrer bedurften. Durch die Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe entwickelte sich dann, wenn man sich weltanschaulich verstand, meist ein recht gutes kollegiales Verhältnis. Wir saßen alle „in einem Boot“ und waren als Lehrer alle „gleich gut und gleich schlecht“. So konnte kaum Überheblichkeit oder Konkurrenzneid aufkommen. Vorausgesetzt, wie schon angedeutet, dass nicht politische Differenzen und Absichten den Zusammenhalt störten.


Mit der Klasse 7a auf der Ebertswiese 1951.

Es gab nur eine Kollegin damals unter uns, die „über uns“ Neulehrern stand, Frau St., aus dem zerbombten Köln nach Thüringen evakuiert, war sie seit Kriegsjahren als altgediente Lehrerin (55 Jahre alt) in Gotha tätig. Als Älteste im Kollegium ließ sie uns freundlichst spüren, dass wir jungen, halbfertigen Neulinge weniger wussten als sie!

Der in den ersten Jahren von uns Neulehrern geforderte Einsatz in mehreren oder gar vielen Unterrichtsfächern war in der zweiten Hälfte der 50er Jahre in so hohem Maße nicht mehr notwendig. Inzwischen waren akademisch ausgebildete Lehrer, meist in zwei Lehrfächern, nachgerückt und hatten auch an unserer Schule Lehrplätze der in den „Westen abgehauenen“ Kollegen/​innen eingenommen. Zugleich hatten wir einstigen Neulehrer bei zunehmend gewonnenen Erfahrungen inzwischen auch ein erstes Fachlehrer-Fernstudium absolviert, so dass an der Schule mehr und mehr gut ausgebildete Fachlehrer jeweils fachgerecht eingesetzt werden konnten. Der qualitative Unterschied zwischen Neulehrern und normal ausgebildeten Lehrern glich sich aus.

Ich hatte – wie schon gesagt – nach meiner ersten und zweiten Lehrerprüfung ein Fernstudium in Deutsch aufgenommen und 1957 abgeschlossen. Deutsch hatte ich als zweites Unterrichtsfach vorgezogen, weil es meiner Liebe zur Literatur entgegenkam und da ich meinte, im Deutsch- und Literaturunterricht meinem weltanschaulichen Verständnis leichter gerecht werden zu können.

Trotzdem war ich weiterhin gut zur Hälfte meiner Pflichtstunden im Fach Geschichte eingesetzt. Der Anfang der 50er Jahre gültige Lehrplan für die Klassen 5 – 8 ließ nach meiner Meinung noch einen „vernünftigen“ Geschichtsunterricht zu. Es war möglich, den Lehrstoff so zu interpretieren, dass ich Gesagtes mit gutem Gewissen verantworten konnte. Natürlich war anstelle ausführlicher Kriegsbeschreibungen (wie in meiner Schulzeit) jetzt mehr Raum für die Entwicklung der Arbeiterbewegung im 19. und 20. Jahrhundert eingeräumt worden, auch für die revolutionären Ereignisse in Frankreich, Deutschland und Russland. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, wusste ich doch, dass ich von diesen bedeutenden geschichtlichen Entwicklungen und Ereignissen früher, in meiner Volksschule, so gut wie nichts erfahren hatte.

Jetzt als Geschichtslehrer war ich bestrebt, überzogene Glorifizierungen und einseitige oder überhöhte Deutungen zu vermeiden und die Schüler an kritische und nachdenkliche Betrachtung, besonders der jüngsten Geschichte, zu gewöhnen. Wenn möglich, ließ ich mich in den Klassen 7 und 8 einsetzen, da in diesen Klassen laut Lehrplan der Geschichtsablauf von der Französischen Revolution bis 1945 behandelt wurde. Natürlich in einem Überblick. Besonderen Wert legte ich darauf, die geschichtliche Entwicklung vom Wilhelminischen Deutschland mit I. Weltkrieg über die Weimarer Republik bis hinein in die Hitlerdiktatur möglichst durchdringend verständlich zu machen. Es war mir (auf Grund meiner eigenen Erfahrungen) wichtig, die frühen und komplexen Wurzeln des Nazismus bloßzulegen und zu erarbeiten und mahnend zu zeigen, wie fast ein ganzes Volk (teils „ahnungslos“) in den faschistischen Irrweg hineingezogen oder hinein- „erzogen“ worden ist … und einen verbrecherischen Krieg mit Völkermord bis zum bitteren Ende durchstehen musste.

Im Laufe der 50er und 60er Jahre wurde der Geschichtslehrplan aus der Nachkriegzeit überarbeitet und schließlich durch einen neuen ersetzt. Die nun geforderten Erziehungsziele und Bildungsinhalte mussten der „Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft“ angepasst werden und der Erziehung und „Herausbildung eines neuen sozialistischen Menschen“ dienen. Die Ideologisierung nahm im Geschichtsunterricht zu. Vor allem musste künftig die Nachkriegsgeschichte mit Teilung Deutschlands und Staatenbildung auf beiden Seiten und der „verschärfte Klassenkampf“ der „fortschrittlichen Arbeiterklasse“ in der DDR und „ihrer führenden Partei“, der SED, gegen die „reaktionäre Bourgeoisie“ und gegen den „krieglüsternen Imperialismus in der BRD“ breiten Raum einnehmen. Ebenso … jetzt „verstärkt“ der „konsequente Friedenskampf der sozialistischen Bruderstaaten“, die „wissenschaftlich-technische Überlegenheit der Sowjetunion“, der „großartige Aufbau des Kommunismus“ in der Sowjetunion und schließlich auch die „führende Rolle der SU bei der Eroberung des Weltraumes“. Unüberhörbar auch die penetranten propagandistischen Lobeshymnen auf „unsere Deutsche Demokratische Republik“ mit ihren „hervorragenden Genossen an der Spitze“ und auf die „überragenden Führer der KPdSU und des sozialistischen Weltfriedenslagers“.

So wurde anstatt objektiver Sachlichkeit die politische Agitation in den Vordergrund gestellt. Dadurch hatte es der Lehrer immer schwerer, ein objektives bzw. persönliches Geschichtsverständnis im Unterricht frei und offen vertreten zu können und ein „vernünftiges“ Geschichtsbewusstsein zu vermitteln. – Obwohl ich Geschichte gern und mit Passion unterrichtet habe und als Geschichtslehrer immer noch gebraucht wurde, zielte ich in den folgenden Jahren darauf hin, mich allmählich von „Geschichte“ zurückziehen!

Staatsbürgerkunde hatte ich auch zu unterrichten, weil man meinte: Wer in Geschichte unterrichten kann, der kann das auch in Staatsbürgerkunde. Geschichts- und Staatsbürgerkundelehrer wurden zuweilen als die „Chefideologen“ einer Schule betrachtet.

Anfang der 50er Jahre fand ich den Unterricht in Staatsbürgerkunde nicht so problematisch. Nach der Gründung der DDR, in den Jahren 1950/​51, nahm die Erörterung und Erläuterung der neuen „demokratischen“ Staatsverfassung breiten Raum ein. Der Aufbau des Staates, die Funktionen von parlamentarischen und exekutiven Instanzen wurden theoretisch besprochen. Auch die Rechte und Pflichten der Bürger … Das sah ja, theoretisch gesehen, damals einigermaßen demokratisch aus. Man konnte es auch so deklarieren und dazu auffordern, für eine demokratische Verwirklichung einzustehen.

In den Jahren danach nahmen die politischen Zwänge zu. Im Fach Staatsbürgerkunde (eine Zeit lang auch Gegenwartskunde genannt) mussten vorwiegend aktuelle politische Themen, oft auch kurzfristig eingeschoben, behandelt werden. Immer öfter bezogen auf Partei- bzw. Parteitagsbeschlüsse der SED oder der KPdSU, auf die „Remilitarisierung“ in der BRD, vor allem aber den „Aufbau des Sozialismus“ betreffend oder ein von der SED befohlenes Wahlprogramm der „Nationalen Front des Demokratischen Deutschland“. Alle diese „Aufklärungs“-Themen hatten stets einer aktuellen politisch-propagandistischen Kampagne zu dienen.

Irgendwann in jenen Jahren wurde verordnet, dass jeder Klassenlehrer einmal in der Woche eine „Zeitungsschau durchführen“ musste. Aktuelle Berichte von politischen Geschehnissen oder Reden von Walter Ulbricht oder von sonst wem mussten auszugsweise gelesen und erläutert werden. Die meisten Kollegen/​innen absolvierten diesen Auftrag formal. Schüler brachten das „Neue Deutschland“ mit, und da wurde einfach ein Textausschnitt vorgelesen. Somit konnte, ins Klassenbuch eingetragen, die Erfüllung dieser Pflichtaufgabe nachgewiesen werden.

Der Deutschunterricht blieb damals vor überzogener Politisierung verschont. – Für relativ hohe Anforderungen in Orthographie und Grammatik war ein hoher Anteil der Deutsch-Unterrichtsstunden vorgesehen. Wir hatten damals mehr Zeit zum Üben als in späteren Jahren. Es wurden zahlreiche Übungsdiktate und Kontrollarbeiten geschrieben, was zu guten Ergebnissen beitrug. Dagegen waren speziell für den Sprachlichen Ausdruck wenig Unterrichtsstunden eingeräumt. Den Literaturlehrplan in den Klassen 5 – 8 hielt ich für angemessen. Er bot geeignete Beispiele aus schöner Lyrik und guter Prosa, vorwiegend aus der deutschen Literatur des 18./​19. Jahrhunderts, folgte auch der Vermittlung eines klassischen humanistischen Menschenbildes und flankierte so indirekt die harte Klassenkampf-Ideologie. Zwar gab es neben vertretbaren antifaschistischen Gedichten oder Texten von Gorki, Weinert und Becher … auch einige schwache Lesebuchtexte aus der „neuen sozialistischen Literatur“, mit denen der „neue, sozialistisch Mensch“ der Gegenwart zum Vorbild erhoben werden sollte. Doch diese Absicht führte bei Schülern wie bei Lehrern nicht zum gewünschten Erfolg.

Wie im Laufe der 50er Jahre auch der Deutsch-Lehrplan infolge der „politischen und gesellschaftlichen Entwicklung“ verändert wurde, das kann man an Hand folgender Beispiele sehen:

Bis in die Mitte der 50er Jahre war nach dem Deutschlehrplan für die 8. Klasse ein Ausschnitt aus Schillers „Wilhelm Tell“ mit der Rütliszene zu behandeln. Wir wissen: „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr … “! Wenn ich mich recht erinnere, war der Rütli-Schwur sogar einmal zum zentralen Thema des Deutsch-Aufsatzes in einer Abschlussprüfung am Ende der 8. Klasse erhoben worden. Es ist völlig klar: Wenige Jahre später, mit der deutlichen Abgrenzung von der „feindlichen“ Bundesrepublik und erst recht nach dem „Mauerbau von 1961“, war der Rütli-Schwur im Lehrplan gestrichen.

Ein andermal, ich glaube 1951, war ich als Hospitant bei einer Modell-Unterrichtsstunde meiner Kollegin und damaligen Mentorin B. zugegen. Der Schulrat Linde (in seiner Thälmann-Mütze) war gekommen, um zu sehen und zu kontrollieren. Marlies B. hatte in dieser Unterrichtsstunde im Fach Erdkunde die Schüler in den Stoffkomplex „Der Doppelkontinent Amerika“ einzuführen. Sie eröffnete ihren Unterricht, indem sie aus einer großen Einkaufstasche ein Paket, ein ziemlich auffällig präpariertes Postpaket, herausholte und mit lebendiger Beredsamkeit den Schülern erzählte, dass sie dieses (oder so ein ähnliches) Paket jüngst von ihren Verwandten aus Amerika geschickt bekommen habe! Die Anschrift des Absenders wurde groß und breit an die Tafel geschrieben, und natürlich dann die Frage nach Ort und Land des Absenders in den Mittelpunkt gestellt. Mit dieser spannenden „Zielangabe“ ging man nun daran, mit Hilfe der aufgerollten Landkarte und der Schüleratlanten den Zielkontinent Amerika und insbesondere die Stadt des Absenders in den USA topographisch auszumachen. Auf diese Weise wurden die Schüler – nach dem didaktischen Prinzip „Vom Nahen zum Entfernten“ – hingeführt zu jenem fernen Kontinent und Land, das man in der Folge nun im Unterricht näher kennen lernen wolle. Der Schulrat lobte danach diesen lebendigen, geschickten methodischen Griff der Lehrerin! – Es liegt auch auf der Hand, was ich sagen will: Sechs Jahre später hätte ein Schulrat die Kollegin Beck für diesen „politisch verantwortungslosen Missgriff“ hart verurteilt … Nebenbei bemerkt: Heute, im Medienzeitalter, wo sich schon zehnjährige Kinder – ohne Hilfe der Schule – „in Amerika gut auskennen“(!?), erscheint diese einfache Zielorientierung fast simpel und beinahe lächerlich. Doch man sollte bedenken: Solch eine „leicht und interessant gemachte“ Unterrichtseinführung vor 50 Jahren berücksichtigte ganz gewiss das eingeengte Bildungsspektrum, das als Folge der „Gleichschaltung“ des Denkens und Wissens in der Nazi-Ära noch in den Nachkriegsjahren bei vielen Menschen nachwirkte. Ich denke, auch wir Neulehrer-Studenten waren auf dieses Wissensniveau eingestellt worden – didaktisch und methodisch.

Der frontale Unterricht hatte damals den Vorrang. Nach Einstimmung oder Hinführung folgte der Lehrervortrag, und Wiederholungen und Übungen dienten danach der Festigung des Wissens und Könnens. Die Mädchen und Jungen folgten gutwillig unserer Unterrichtsführung. Sie hatten Respekt vor den Lehrern, waren aus Gewohnheit autoritätsgläubig und fügten sich im Allgemeinen unseren Forderungen. Wenn man nicht grundsätzlich ungeschickt oder unpädagogisch vorging, entstanden kaum nennenswerte Disziplinprobleme. Natürlich gab es in jeder Klasse den einen oder anderen „schwierigen“ Schüler, auf den sich der Lehrer einzustellen hatte. Doch die damals an unserer Schule herrschende gute Lern- und Arbeitsatmosphäre begünstigte die Arbeit des Lehrers. Die öffentliche Meinung unter den Schülern einer Klasse war fast immer gegen Faulenzer und Störenfriede gerichtet. Eine solche Mehrheit war möglich, weil damals – nach dem Prinzip der Einheitsschule – bis zur 8. Klasse alle Kinder, „gute“ wie „schlechte“ Schüler, gemeinsam unterrichtet wurden und die „positiven“ in der Klassengemeinschaft „guten“ Einfluss nehmen konnten. Zum anderen waren die Nachkriegsjahre mit Not und Armut, auch mit der üblichen oder erneut erzwungenen Unterordnung nicht dazu angetan, dass man sich mutig oder absichtlich dem Lehrer widersetzt hätte. Ich denke auch, Schüler und Lehrer fühlten sich – ähnlich wie in einer Notgemeinschaft – miteinander verbunden. Und wenn der Lehrer sichtbar einen Fehler machte oder irgend etwas nicht wusste und dies offen eingestand, dann verlor er längst nicht sein Gesicht. „Das müssen wir klären!“ so könnte er gesagt und damit die Kinder einbezogen haben in das selbstverständliche gemeinsame Streben nach Wissen und Können.

Ich fühlte mich als Lehrer gut damals – im Unterricht wie im Zusammensein mit meinen Schülern. Man vertraute mir … .

Ein erschwerender Umstand für uns Lehrer/​innen waren die hohen Klassenstärken. Meine erste Klasse 1950 hatte 45 Mädchen und Jungen. Da saßen sie eng gedrängt in den alten Viersitzer-Bänken; jedoch gab es dadurch noch genügend Platz im Klassenraum, und der Lehrer konnte diesen dichten Schüler-Block gut übersehen. Auch die schriftlichen Korrekturen in so hoher Zahl forderten vom Lehrer mehr Kraft und häusliche Arbeitszeit. Gemäß dieser hohen Klassenfrequenz brauchte der Klassenlehrer auch mehr Zeit für die individuelle Förderung und Betreuung der Schüler und für die Zusammenarbeit mit den Eltern. – Nur langsam konnte man in den folgenden Jahren die Klassenstärken reduzieren.