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Mit dem journalistischen Selbstverständnis – bzw. besser: mit Paradoxien im journalistischen Selbstverständnis – befasst sich Wolfgang Donsbach in seinem Beitrag »Im Bermuda-Dreieck« (Donsbach 2008). Für ihn umfasst das Rollen- oder Aufgabenverständnis von Journalisten »all jene Verhaltenserwartungen an den journalistischen Beruf, die von den Berufsangehörigen innerhalb einer Kultur als legitim erachtet und als Richtlinien für das eigene Handeln akzeptiert werden, sodass sie sich letztlich auch im journalistischen Arbeitsprodukt niederschlagen […]« (Donsbach 2008, S. 147). In demokratischen Gesellschaften speise sich das journalistische Selbstverständnis aus drei Traditionen, [130]nämlich (Donsbach 2008, S. 147ff): als individualrechtliche bzw. subjektive Tradition (Journalismus als »subjektives Menschenrecht, das der Selbstverwirklichung des frei geborenen Individuums« dient); als Tradition der sozialen und politischen Dienstleistung (»öffentliche Aufgabe«); und der Tradition des wirtschaftlichen Primats (»Geld verdienen und bestimmte gesellschaftspolitische Zwecke verfolgen«). Die drei Traditionen werden von Donsbach im Detail beschrieben.

4.1.1.5 Zum Image von Journalisten

Zu Image, Prestige, Ansehen, Vertrauen in und Glaubwürdigkeit von Journalisten liegen mehrere aktuelle Studien vor. Teils handelt es sich um schlichte Berufsrankings anhand vorgegebener Berufslisten wie etwa der Allensbacher Berufsprestigeskala oder dem GfK-Vertrauensindex, teils um wissenschaftliche Arbeiten wie jener von Sandra Lieske (2008) oder Wolfgang Donsbach et al. (2009). Allgemein wird von Imagestudien gesprochen, aus wissenschaftlicher Sicht ist mit genaueren Begriffen zu arbeiten. Das Image ist ein komplexes Konstrukt, um das herum Begriffe wie Prestige und Ansehen, v. a. aber Vertrauen und Glaubwürdigkeit konfigurieren. Es ist hier nicht möglich, auf sie im Einzelnen umfassend einzugehen, allenfalls können sie nur kurz umrissen werden (vgl. Pürer 2012).

Beim Image handelt es sich um »ein Fremdbild, eine Bündelung von Vorstellungen, Bewertungen, Ideen und Gefühlen, die mit einem Objekt [hier mit einem Beruf] verbunden werden« (Dernbach 2005, S. 145). Als Prestige »wird ausschließlich die gesellschaftlich typische Bewertung der sozialen Positionen und Merkmale von Menschen bezeichnet« (Hradil 2001, S. 277), von Bedeutung sind berufliche Positionen (S. 278). Ansehen meint »die Bewertung von Menschen aufgrund ihrer persönlichen Merkmale und Eigenschaften« wie Fleiß, Anständigkeit, fachliche Fähigkeit und Tüchtigkeit. Mit Vertrauen ist »eine gefühlsbeladene, Sicherheit verleihende Erwartungshaltung eines Menschen oder einer Mehrzahl von Personen […] hinsichtlich eines aufrichtigen, normgerechten und fairen Handelns anderer Individuen oder kollektiver Akteure« gemeint (Hillmann 2008, S. 940). Glaubwürdigkeit ist Teil des komplexen Mechanismus Vertrauen. Sie lässt sich mit Bentele »bestimmen als eine Eigenschaft, die Menschen, Institutionen oder deren kommunikativen Produkten (mündliche und schriftliche Texte, audiovisuelle Darstellungen) von jemandem in bezug auf etwas (Ereignisse, Sachverhalte etc.) zugeschrieben wird« (Bentele 1988, S. 406).

Images bilden sich beim Beobachter erst im Laufe der Zeit. Zur Entstehung von Images haben Maximilian Gottschlich und Fritz Karmasin (1979) sechs Kriterien ausfindig gemacht, die für »die soziale Positionierung von Berufen relevant sein dürften«: 1) eine vorstellbare Aufgabenbeschreibung; 2) das Wissen über den Werdegang dieser Personengruppe; 3) damit verbunden die Beschreibbarkeit des Tätigkeitsbereiches; 4) unmittelbare Kontaktmöglichkeit; 5) Vorstellungen über Berufs- und Verhaltenskodex sowie 6) »eine adäquate Einschätzung seiner sozialen Funktionen, d. h. die Wichtigkeit für die Gesellschaft« (Gottschlich/Karmasin 1979, S. 42). Für die Einschätzung eines Berufes ist bedeutsam, je eindeutiger ihm die genannten Kriterien zugeordnet werden können (vgl. ebd.). Dies gilt auch für Journalisten.

Für die Entstehung von Personenimages sind weiter Bilder von Bedeutung, die wir uns von einem Gegenüber, hier also von Journalisten, machen. Dafür stehen Evelin Engesser zufolge mehrere Quellen zur Verfügung (Engesser 2005, S. 31ff): 1) direkte Beobachtungen und Erfahrungen (persönliche Kontakte); 2) indirekte Beobachtungen wie a) mediale Darstellungen von Journalisten bei der Ausübung ihres Berufes; b) personale Darstellungen wie Biografien und Autobiografien; c) fiktionale Darstellungen von Journalisten in Film, Fernsehen, Literatur; d) Produkte journalistischer Arbeit, aus denen wir auf Journalisten schließen. 3) Auf der imaginären Ebene können es Erwartungen, Vorannahmen und Vorurteile sein, auch Para-Feedback-Prozesse.

[131]Im Weiteren sollen kurz Ergebnisse einiger aktueller Studien vorgestellt werden, die sich mit Prestige, Ansehen und Image von sowie Vertrauen in Journalisten befassen.

Berufsrankings

Der seit 1966 durchgeführten Allensbacher Berufsprestigeskala mit 18 gelisteten Berufen liegt der Journalist der Befragung von 2011 zufolge (1803 repräsentativ Befragte) mit 17 Prozent Zustimmung an 12. Stelle, der Fernsehmoderator mit nur 4 Prozent Zustimmung gar an letzter, also 18. Stelle. An der Spitze standen und stehen seit vielen Jahren Ärzte, Krankenschwestern, Lehrer etc. (Institut für Demoskopie Allensbach 2011). Dem seit 2003 von der Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung (GfK) ermittelten GfK-Vertrauensindex mit 20 gelisteten Berufen rangiert der Umfrage von 2011 zufolge der Beruf Journalist in Deutschland mit 44 Prozent der Befragten auf Platz 16. An der Spitze lagen 2011 Feuerwehr, Ärzte und Postangestellte (GfK-Vertrauensindex 2011).

Weitere Umfragen zum Thema liegen in der Studie Journalismus 2009 der Makromedia-Hochschule (Journalismus 2009) und einer Imagestudie der Akademie für Publizistik Hamburg aus 2010 vor (Imagestudie 2010). Beide Studien vermitteln ein recht ambivalentes Bild der Berufsgruppe der Journalisten sowie in das Vertrauen zu den Medien.

Zu den nur über Berufsskalen ermittelten Ergebnissen über Prestige, Ansehen von oder Vertrauen in Berufe ist mehreres festzuhalten: 1) In den zur Beantwortung vorgelegten Fragebögen wird meist nicht definiert, was jeweils mit Prestige, Ansehen oder Vertrauen gemeint ist. 2) Es ist unmöglich, in die Berufslisten alle Berufe aufzunehmen, die Auswahl bzw. das Umfeld der gelisteten Berufe kann für die Resultate von Bedeutung sein. (vgl. Donsbach et al. 2009, S. 39; siehe auch Kunczik/Zipfel 2001, S. 151). 3) Die Befragten vermögen sich nicht über alle Berufe ein zuverlässiges Bild zu machen, am ehesten über Berufe, mit deren Vertretern man persönlich zu tun hat (wie etwa Verkäufer, Lehrer, Apotheker, Arzt etc.). 4) Das Urteil der Befragten kann auch vom Zeitpunkt der Umfrage beeinflusst sein: Sollte er zufällig mit öffentlich bekannt gewordenen Fehlleistungen einer Berufsgruppe, also etwa auch des Journalismus, zusammenfallen, sind die Befragten möglicherweise voreingenommen.

Wissenschaftliche Studien

Sandra Lieske untersuchte in ihrer Dissertation mittels qualitativer Leitfadeninterviews (24 Befragte, nicht repräsentativ) das Image von Journalisten (Lieske 2008). Dieses umfasst für sie aus der Sicht des Rezipienten »das objektiv richtige und falsche Wissen sowie subjektive, d. h. von der Persönlichkeit und den Erfahrungen des Einzelnen geprägte Vorstellungen, Einstellungen und Gefühle gegenüber Journalisten. Es wandelt sich im Laufe der Zeit, ist mit empirischen Methoden messbar und besitzt Handlungsrelevanz, da es das Verhalten des Einzelnen gegenüber Journalisten und Medieneinhalten steuert« (Lieske 2008, S. 25). Sie ermittelte neben vielem anderen (absolut auch Positivem für die Einschätzung des Berufs Journalist) zwei Typen von Journalisten, den ›seriösen‹ und den ›unseriösen‹ (Lieske 2008, S. 242ff, 287–291), wobei sie einräumt, und dies erscheint wichtig (!), dass die Reduzierung auf ein Zwei-Kategorien-Schema »zu kurz [greift]« (vgl. Lieske 290ff). Die Aussagekraft der Ergebnisse ist daher nur sehr begrenzt. Dem seriösen Journalist wird Berufserfahrung und hohe Allgemeinbildung zugesprochen, er ist u. a. vertrauensvoll, sympathisch, verantwortungsbewusst und interessiert an ausgewogener Berichterstattung; er informiert sachlich und äußert seine Meinung in erkennbarer Form. Er wird mit öffentlich-rechtlichem Fernsehen sowie mit Qualitätsjournalismus in Printmedien (wie Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit [132]etc.) in Verbindung gebracht. Anders der unseriöse Journalist, der jung und dynamisch eingeschätzt, aber u. a. als aufdringlich charakterisiert sowie teils mit unsachlicher Berichterstattung in Verbindung gebracht wird. Er hält sich nicht an journalistische Normen (u. a. illegitime Methoden der Informationsbeschaffung), verletzt die Privatsphäre leichter, hat einen schlechten Leumund, wird gar als »Schmierfink« (Lieske 2008, S. 289) gesehen. Er wird nicht ausschließlich, aber oft mit Boulevard- und Sensationsjournalismus in Verbindung gebracht, insbesondere mit der Bild-Zeitung (ebd.). Für dieses Bild des unseriösen Journalismus liefert die Verfasserin einen »Erklärungsversuch« (siehe dazu Lieske 2008, S. 278ff). Es empfiehlt sich, einen Blick auf die zahlreichen anderen Resultate der Studie im Einzelnen zu werfen.

Wolfgang Donsbach et al. wollten in ihrer quantitativen Studie (1.054 telefonisch repräsentativ Befragte) mit dem Titel »Entzauberung eines Berufs« (2009) u. a. ergründen, wie es um Ansehen und Vertrauen im Journalismus bestellt ist. Das öffentliche Ansehen eines Berufs wird in der Studie als Frage der Wertschätzung gesehen »und berührt das Sozialprestige« einer Profession (Donsbach et al. 2009, S. 62f). Vertrauen in den Journalismus »ist für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft […] wichtig« (Donsbach et al. 2009, S. 64). Anhand einer Liste von zehn vorgegebenen, breit gestreuten Berufen gaben 61 Prozent der Befragten an, dass sie Journalisten »eher schätzen«. Bei der Vertrauensfrage erhalten Journalisten nur 35 Prozent Zustimmung. Alle gelisteten Berufe werden mehr geschätzt als ihnen vertraut wird, bei keinem anderen klafft zwischen Wertschätzung/Ansehen und Vertrauen jedoch eine so große Lücke wie bei Journalisten, nämlich 26 Prozentpunkte. Es scheint, so die Autoren, als werde aus der Sicht der Bürger »der Journalismus seiner gesellschaftlichen Rolle nicht hinreichend gerecht und enttäuscht die Bevölkerung in ihren Erwartungen erheblich« (Donsbach et al. 2009, S. 66). Auch für diese Studie scheint es angeraten, die zahlreichen weiteren Resultate zu betrachten.

Mögliche Ursachen

Worin könn(t)en Ursachen für das negative, aber auch ambivalente Bild der Journalisten in der Bevölkerung liegen? In der Literatur finden sich u. a. die folgenden Gründe:

• unklare Vorstellungen in der Bevölkerung vom weitgesteckten Tätigkeitsbereich der Journalisten, über ihren Werdegang und ihre Ausbildung (Gottschlich/Karmasin 1979, S. 43f);

• Alltagserfahrungen der Menschen, dass »Informationen über [in den Medien berichtete – Ergänzung H. P.] Ereignisse […] nicht immer mit den Ereignissen selbst überein[stimmen]« (Bentele 1988, S. 407);

• Medienskandale bzw. lange Zeit zurückliegende negative Ereignisse wie etwa der Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher (Lieske 2008, S. 287);

• neben Medienskandalen u. a. auch die Entschleierung der kommerziellen Basis der Medien sowie etwa auch Negativismus in der Nachrichtenauswahl (Donsbach et al. 2009, S. 13ff);

• negative fiktionale Journalistenbilder in Filmen (vgl. Lieske 2008, S. 296) und, so darf man vermutlich ergänzen, auch in TV-Serien und Romanen (vgl. Engesser 2005).

Für Horst Pöttker sind Skandalisierung und Negativismus des Journalismus und der Medien nicht a priori schlecht: Beides resultiere aus der »grundlegenden Pflicht zum Veröffentlichen«, insbesondere über (tabuisierte) Missstände und Fehlleistungen, »die der Öffentlichkeit bedürfen, um bearbeitet und korrigiert zu werden« (Pöttker 1997, S. 86).

Das Image der Journalisten ist also durchaus ambivalent: Einerseits werden sie geschätzt als Nachrichtenboten, Aufklärer und Welterklärer, andererseits sieht man in ihnen manchmal auch profilsüchtige [133]Skandalproduzenten. Auffällig ist die – auch empirisch bestätigte – hohe Arbeitszufriedenheit unter den Journalisten (Weischenberg et al. 2006b, S. 89–92). Beruht sie möglicherweise nicht zum Teil auch an einem »Defizit an selbstkritischem Vermögen« (Roegele 2000, S. 159) dieser Berufsgruppe? Mit dem Image von und Erwarungen an Journalisten befassen sich jüngst auch Magdalena Obermaier et al. (2012) am Beispiel eines »online-affinen« Publikums.

4.1.2 Journalisten und Medieninhalte

In der Kommunikationswissenschaft wird seit langem der Frage nachgegangen, wie Medieninhalte zu Stande kommen und welche Rolle dabei u. a. auch die Journalisten spielen. Es geht also um die Entstehungsbedingungen journalistischer Aussagen(produktion). Diese Thematik wirft für die Systematik des vorliegenden Buches ein Abgrenzungsproblem auf: Soll das Thema im Rahmen der Kommunikator- bzw. Journalismusforschung erörtert oder in den Ausführungen über Aussagen- bzw. Medieninhaltsforschung abgehandelt werden (vgl. Kap. 4.2)? Die Ermittlung von Nachrichtenfaktoren, um die es im Folgenden u. a. auch geht, erfolgt nämlich oftmals auch inhaltsanalytisch (vgl. u. a. Wilke 1984b). Die Entscheidung wird hier zu Gunsten der Kommunikator-/Journalismusforschung getroffen. Es sind mehrere Themenkreise anzusprechen, nämlich: 1) die Theorien zur Nachrichtenauswahl, insbesondere die Gatekeeper- und Nachrichtenwertforschung; 2) die Problematik der instrumentellen Aktualisierung sowie 3) das Verhältnis Public Relations und Journalismus.

Was das Zustandekommen von Medieninhalten betrifft, so ist auf eine Erkenntnis zu verweisen, die ursprünglich auf Östgaard (1965) zurückgeht, inzwischen aber zum Allgemeingut kommunikationswissenschaftlicher Forschung und Lehre gehört, nämlich dass exogene und endogene Faktoren für den allgemeinen Nachrichtenfluss von Bedeutung sind. Exogene Faktoren, solche also, die außerhalb der Medien liegen, sind in politisch-rechtlichen Bestimmungen und Maßnahmen, in ökonomischen Bedingungen, in internationalen Modalitäten des Nachrichtenflusses etc. zu sehen, kurz: Faktoren, die Journalismus und Massenkommunikation von außen tangieren. Dazu gehört aber z. B. auch der Einfluss, der von Öffentlichkeitsarbeit und anderen Formen organisierter Kommunikation auf den Journalismus ausgehen kann. Endogene Faktoren sind dagegen solche, die im Nachrichtensystem und im Journalismus selbst angelegt sind, also von innen her zum Tragen kommen.

4.1.2.1 Theorien zur Nachrichtenauswahl

Theorien zur Nachrichtenauswahl versuchen zu erklären, warum Journalisten in den Medien über bestimmte Themen und Ereignisse berichten und über andere nicht. Neuerdings wird auch versucht herauszufinden, warum Rezipienten bestimmte Themen in den Medien konsumieren und andere nicht (ein Forschungsbereich, der also eher in das Feld der Rezipientenforschung gehört, gleichwohl aber hier abgehandelt werden soll). Zu den klassischen Forschungsrichtungen, die sich mit Nachrichtenauswahl von Journalisten befassen, gehören die Gatekeeper-Forschung (einschließlich der News-Bias-Forschung), organisationstheoretische Studien sowie die Nachrichtenwerttheorie.

Die in den 1950er-Jahren in den USA aufkommende Gatekeeper-Forschung stellte den Journalisten in den Mittelpunkt ihrer Forschungsbemühungen. Dieser Forschungszweig geht ursprünglich auf sozialpsychologische Studien Kurt Lewins über das Einkaufsverhalten von Hausfrauen am Beispiel der Auswahl von Lebensmitteln zurück (was kommt in den Einkaufskorb, was nicht). Das Konzept wurde 1949 von David M. White auf den Journalismus übertragen. In einer kleinen amerikanischen Zeitungsredaktion wurde ergründet, welche aus dem Fernschreiber stammenden Nachrichten vom [134]Nachrichtenredakteur »Mr. Gates« (gatekeeper = der Türhüter, Pförtner) für die Zeitung verwendet bzw. nicht verwendet wurden. Die Gatekeeper-Forschung ging anfangs davon aus, dass die Nachrichtenauswahl nach mehr oder weniger subjektiven Kriterien des einzelnen Journalisten sowie nach professionellen Auswahlkriterien eher passiv erfolgt (vgl. White 1950; Gieber 1956). Insbesondere die News-Bias-Forschung legte ihren Schwerpunkt v. a. auf die persönlichen Überzeugungen von Journalisten und deren Einfluss auf die Nachrichtenauswahl (vgl. Klein/Maccoby 1954; Carter 1959; Flegel/Chaffee 1971). Dieser Persönlichkeitsansatz – und das ist seine Schwäche – stützt(e) sich einseitig auf eine Persönlichkeitspsychologie ab und geht beim Gatekeeper von einer individualistischen Entscheidungssituation aus, »die auf der Annahme basiert, der Journalist arbeite mehr oder weniger allein« (Bonfadelli/Wyss 1998, S. 25).

In weiterführenden Gatekeeper-Studien wurde erkannt, dass bei der Nachrichtenauswahl auch sozialpsychologische (der Gatekeeper als Träger einer Berufsrolle) und soziologische Aspekte (Strukturen und Funktionen einer Gesamtredaktion) eine Rolle spielen. So fand z. B. Warren Breed die Bedeutung der beruflichen Sozialisation heraus, in deren Verlauf Journalisten Normen und Werte (z. B. Blattlinie, Blattpolitik, »Rotstift« des Chefredakteurs etc.) der Redaktion kennen lernen (vgl. Breed 1955). Weiterhin wurde herausgefunden, dass handwerkliche Kriterien, Produktionszwänge (wie Zeitdruck und Platzvorgaben, insbesondere Platzmangel, Redaktionsschluss), politische und ideologische Orientierungen (z. B. Grundrichtung einer Zeitung, redaktionelle Gruppennormen) sowie Wertorientierungen der Berufsgruppe die Nachrichtenauswahl mitbestimmen (vgl. Shoemaker/Reese 1991). Solche organisationstheoretische Studien berücksichtigen, »dass Gatekeeper keine isolierten Individuen sind, sondern in bürokratisch organisierte Institutionen integriert sind« (Bonfadelli/Wyss 1998).

Die von der amerikanischen Soziologin Gaye Tuchman entwickelte und im deutschen Sprachraum von Ulrich Saxer aufgenommene Theorie der redaktionellen Entscheidungsprogramme/Routinen kann als Weiterführung und Modifikation des organisationstheoretischen Ansatzes betrachtet werden, wie Schanne und Schulz (1993) ausführen. Ausgangsthese ist folgende Annahme (Bonfadelli/Wyss 1998 in Anlehnung an Schanne/Schulz 1993): »Journalismus als Massenproduktion von Unikaten unter hohem Zeitdruck setzt ausgewählte Gesichtspunkte der Wirklichkeit in Szene, »und zwar auf Grund redaktioneller Entscheidungsroutinen« (Bonfadelli/Wyss 1998). Das bedeutet in der Konsequenz: Zunächst muss auf Grund struktureller Kriterien wie Zugänglichkeit der Informationsquellen, Beschaffungsaufwand, Zeit-/Platzmangel etc. die Zahl der berichtenswerten Themen und Ereignisse eingeschränkt werden. Sodann sind die Themen und Ereignisse bestimmten Ressorts bzw. Rubriken im Medium zuzuordnen. Schließlich drittens müssen die Ereignisse »bestimmten journalistischen Kriterien genügen, d. h. sie müssen Nachrichtenwerte verkörpern« (Bonfadelli/Wyss 1998, S. 26).

Damit ist die Brücke zur Nachrichtenwerttheorie geschlagen. Die Nachrichtenwert-Forschung konzentriert sich auf Merkmale von Ereignissen, über die berichtet wird. Das Konzept der Nachrichtenwerttheorie geht ursprünglich auf Walter Lippmann zurück. Er identifizierte spezifische Ereignismerkmale, sog. »news values«, von denen er annahm, dass sie die Publikationswahrscheinlichkeit erhöhen (vgl. Lippmann 1922). Der Nachrichtenwert wird einer Nachricht durch entsprechende Nachrichtenfaktoren verliehen. Im Kern geht die Nachrichtenwerttheorie davon aus, dass Ereignisse, auf die mehrere Nachrichtenfaktoren in hohem Maße zutreffen, eher zur Veröffentlichung ausgewählt werden als Ereignisse mit niedrigem Nachrichtenwert.

Im Laufe der Zeit entwickelten verschiedene Kommunikationsforscher anhand theoretischer Überlegungen und empirischer Studien ein immer differenzierteres Spektrum von Nachrichtenfaktoren. Anhand einer Analyse von zehn Titelgeschichten in amerikanischen Tageszeitungen ergründete Carl Merz (1925) Merkmale wie Personalisierung, Prominenz, Spannung und Konflikt. In den 1950er-Jahren [135]wurde in den USA ein relativ stabiler Katalog von sechs Faktoren entwickelt, die als Definitionskriterien für Nachrichten in Lehrbüchern für Journalisten aufscheinen, nämlich: Konflikt, Unmittelbarkeit, Nähe, Prominenz, Ungewöhnlichkeit und Bedeutung (vgl. Warren 1953). In Europa trug Einar Östgaard verschiedene Ergebnisse empirischer Forschung zusammen und kam zu dem Schluss, dass in erster Linie die Faktorendimensionen Vereinfachung, Identifikation und Sensationalismus die Zeitungsinhalte bestimmen (vgl. Östgard 1965; Schmidt/Zurstiege 2000, S. 134): Mit Vereinfachung ist gemeint, »dass die Medien einfache Nachrichten gegenüber komplexer strukturierten bevorzugen«. Mit dem Faktorkomplex Identifikation wird zum Ausdruck gebracht, »dass Nachrichten, sollen sie ihr Publikum erreichen, nicht nur verständlich, sondern darüber hinaus auch relevant für das Publikum sein müssen«. Dabei erhalten kulturell nahe liegende Themen eine Bevorzugung gegenüber kulturell entfernteren Themen. »Mit dem Faktorenkomplex Sensationalismus beschrieb Östgaard seine Beobachtung, dass die Nachrichtenmedien die Aufmerksamkeit ihres Publikums v. a. durch Berichte über dramatische und emotional aufgeladene Ereignisse zu gewinnen suchen. Aus diesem Grund dominieren Nachrichten über Krisen, Konflikte und Auseinandersetzungen in der Berichterstattung der Medien« (Schmidt/Zurstiege 2000, S. 134).

Aufbauend auf den Überlegungen Östgaards entwickelten die ebenfalls norwegischen Friedensforscher Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge die Nachrichtenwerttheorien theoretisch weiter. Galtung und Ruge formulierten zwölf Auswahlregeln, die sie als Nachrichtenfaktoren bezeichneten; deren empirisch-inhaltsanalytische Überprüfung nahmen sie allerdings nur anhand eines kleinen Ausschnittes, nämlich an der Auslandsberichterstattung (Kongo, Kuba, Zypern-Krise) von vier Tageszeitungen vor. Es sind dies die Faktoren Elite-Nationen, Elite-Personen, Frequenz, Schwellenfaktor, Eindeutigkeit, Negativismus, Bedeutsamkeit, Konsonanz, Überraschung, Kontinuität, Variation/Kompensation sowie Personalisierung. Aus den nachfolgenden Ausführungen geht hervor, was inhaltlich jeweils gemeint ist (vgl. Abb. 2, S. 136).

In den Faktoren 1 bis 8 sind kulturunabhängige Faktoren zu sehen, in den Faktoren 9 bis 12 kulturabhängige. Wie Siegfried J. Schmidt und Guido Zurstiege (2000) schreiben, haben Galtung und Ruge versucht, »das Zusammenwirken der einzelnen Nachrichtenfaktoren im gesamten Prozess der Nachrichtenselektion näher zu bestimmen. In fünf Hypothesen konkretisierten Galtung und Ruge die Ergebnisse ihrer theoretischen Überlegungen:


1)Selektionshypothese: Je stärker die Nachrichtenfaktoren auf ein Ereignis zutreffen, desto wahrscheinlicher ist es, dass darüber berichtet wird.
2)Verzerrungshypothese: Die Merkmale, die den Nachrichtenwert eines Ereignisses bestimmen, werden in der Berichterstattung akzentuiert. Dies hat zur Folge, dass das Bild, das die Nachrichtenmedien von den berichteten Ereignissen vermitteln, in Richtung auf Nachrichtenfaktoren verzerrt ist.
3)Wiederholungshypthese: Weil Prozesse der Selektivität und der Verzerrung auf allen Stufen der Nachrichtenproduktion ablaufen, verstärken sich die Verzerrungseffekte, je mehr Selektionsstufen im Prozess der Nachrichtenproduktion überwunden werden müssen. Gerade im Rahmen der Auslandsberichterstattung müssen lange Selektionsketten überwunden werden, was zur Folge hat, dass Auslandsmeldungen stärker in Richtung auf die Nachrichtenfaktoren verzerrt sind als Inlandsmeldungen.
4)Additivitätshypothese: Je mehr Nachrichtenfaktoren auf ein Ereignis zutreffen, desto wahrscheinlicher ist es, dass über dieses Ereignis berichtet wird.
5)Komplementaritätshypothese: Die Nachrichtenfaktoren verhalten sich komplementär zueinander, das Fehlen eines Faktors kann also durch einen anderen ausgeglichen werden« (Schmidt/Zurstiege 2000, S. 137f).

[136]Abb. 2: Nachrichtenfaktoren nach J. Galtung und M. H. Ruge (1965)


(nach Galtung/Ruge 1965, in: Noelle-Neumann, Elisabeth et al. (Hrsg.): Fischer Lexikon Publizistik/Massenkommunikation 2009, S. 391)

Der Faktorenkatalog von Galtung/Ruge wurde von deutschen Kommunikationswissenschaftlern wie Winfried Schulz (1976), Joachim F. Staab (1990), Christiane Eilders (1997), Georg Ruhrmann et al. (2003), Benjamin Fretwurst (2008) überarbeitet, erweitert und in meist breit angelegten Forschungsarbeiten (Medieninhaltsanalysen, Befragungen von Mediennutzern und auch Journalisten) empirisch überprüft. Während z. B. Schulz und Staab in ihren Forschungen mittels Inhaltsanalyse kommunikatorientiert arbeiteten, sind z. B. Eilders, Fretwurst und auch Ruhrmann et al. mittels Befragungen auch rezipientenorientiert. Die Faktoren von Schulz (1976) und Staab (1990) lassen sich dabei wie folgt gegenüber stellen (vgl. Abb. 3), wobei erkennbar ist, dass zahlreiche Faktoren übereinstimmen, teils aber etwas anders benannt werden. Eilders (1997) fügte den Faktor Sex/Erotik hinzu, Fretwurst in seiner Systematik (2008, S. 112f sowie S. 130) den Faktor [137]Kuriosität. Ruhrmann et al. (2003) ermittelten den Faktor Visualisierung (vgl. Maier 2003; Dielmann 2003). Die Studien von Ruhrmann et al. (2003), Fretwurst (2008) sowie Michaela Maier et al. (2009) »basieren auf 19 bzw. 22 Nachrichtenfaktoren« (Maier et al. 2010, S. 97). Die Entwicklung des Kataloges der Nachrichtenfaktoren von Ostgaard (1965) bis Ruhrmann et al. (2003) ist dem Lehrbuch »Nachrichtenwerttheorie« von Maier et al. (2010, S. 80–84) zu entnehmen.

Abb. 3: Nachrichtenfaktoren nach W. Schulz (1976) und J. F. Staab (1990)


(Schulz, Winfried (1976): Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien. Freiburg/München. Staab, Joachim Friedrich (1990): Nachrichtenwerttheorie. Formale Struktur und empirischer Gehalt. Freiburg/München. Vgl. auch Maier et al. 2010, S. 80ff.)

Schulz hat seine 1976 (und dann 1982 etwas modifiziert) hergeleiteten Nachrichtenfaktoren zu sechs Faktorendimensionen gebündelt. Hier die aus 1982 stammende Bündelung bzw. Zuordnung: Faktorendimension Konsonanz: Thema, Vorhersehbarkeit, Stereotypen; Dimension Status: Elitenation, Eliteperson, Eliteinstitution; Dimension Dynamik: Unvorhersehbarkeit, Aktualität, Unsicherheit; Dimension Valenz: Kontroverse, Erfolg, Aggression, Werte; Dimension Identifikation: Personalisierung, Ethnozentrismus, Nähe, Emotionen; Dimension Relevanz: Konsequenzen, Betroffenheit (vgl. Maier et al. 2010, S. 99 mit Bezugnahme auf Schulz 1982).

Als problematisch erweist sich, wenn Journalismus und Massenmedien, und dies ist bei Presse, Hörfunk und Fernsehen weitgehend der Fall, sich ausschließlich an Nachrichtenfaktoren orientieren und ihr Selektionsverhalten danach ausrichten. Es kommt dann nämlich zu einer verzerrten [138]Berichterstattung, die Realität und Medienrealität weit auseinander klaffen lässt. Winfried Schulz, der sich, wie dargelegt, intensiv mit Nachrichtenwerten beschäftigt hat, »sieht – wie schon Lippmann (1922) – in den Nachrichtenfaktoren weniger Merkmale von Ereignissen, als vielmehr journalistische Hypothesen von Wirklichkeit, d. h. Annahmen der Journalisten über Inhalt und Struktur von Ereignissen, die ihnen zu einer als sinnvoll angenommenen Interpretation von Realität dienen« (Schulz 1994, S. 332; vgl. auch Schulz 1989). Konsequent weitergedacht würde dies bedeuten, dass Journalisten nur noch Konstrukte von Wirklichkeit liefern bzw. dass Wirklichkeit die Folge der Medien sei – ein Grundgedanke, von dem der Konstruktivismus, bzw. der radikale Konstruktivismus, ausgeht.

Dem (Kausal-)Modell, das Nachrichtenfaktoren als Determinanten der Auswahl versteht (Orientierung der Journalisten an Nachrichtenwerten – entsprechendes Selektions- und Publikationsverhalten als Folge), wird von Joachim F. Staab und Hans Mathias Kepplinger ein sog. »Finalmodell« (Staab 1990) gegenübergestellt. »Es verweist auf die Möglichkeit der Instrumentalisierung von Nachrichtenfaktoren. Demzufolge spielen bei der Nachrichtenselektion politische Einstellungen der Journalisten eine wichtige Rolle; Nachrichten sind bloß Nebenprodukt oder Legitimation der letztlich durch politische Absichten (der Journalisten – Ergänzung H. P.) gesteuerten Auswahlprozesse« (Schulz 1994, S. 332). Eine vergleichende Darstellung von Kausal- und Finalmodell ist Maier et al. (2010, S. 20) zu entnehmen. Von Kepplinger wurde diese Sichtweise 1998 in einem Zwei-Komponenten-Modell der Nachrichtenauswahl präzisiert. Die eine Komponente im Modell sind die Nachrichtenfaktoren als Merkmale von Ereignissen; die zweite sind variierende Selektions- bzw. Auswahlkriterien der Journalisten, die mit den Nachrichtenfaktoren die Auswahl, Platzierung und den Umfang der Berichterstattung bestimmen (Kepplinger 1998; siehe auch Kepplinger/Ehmig 2006, Maurer/Reinemann 2006, Maier et al. 2010 sowie Kepplinger/Bastian 2000).

Aus den zurückliegenden zehn bis 15 Jahren liegen zahlreiche, größere oder kleinere Studien zum Thema Nachrichtenfaktoren vor. Einige dieser Arbeiten seien hier stellvertretend für andere erwähnt. Christiane Eilders (1997 und 1999) z. B. übernimmt weitgehend die Nachrichtenfaktoren von Staab und überträgt das ursprünglich kommunikatororientierte Konzept der Nachrichtenwerttheorie auf die Nachrichtenrezeption. Neu fügt sie die Faktoren Emotion sowie den bereits bei Emmerich 1984 genannten Faktor Sex/Erotik hinzu. Ihre Untersuchungen beschäftigen sich mit der Frage, ob die in der bisherigen Nachrichtenwertforschung überwiegend zu journalistischen Auswahlkriterien reduzierten Nachrichtenfaktoren auch die Rezeption von Nachrichten durch das Publikum beeinflussen, und zwar sowohl die Hinwendung zu als auch die Erinnerung an bestimmte Nachrichten (vgl. Eilders 1997 und 1999). Empirisch wurde diese Fragestellung überprüft, indem Medienbeiträge und deren Rezeption in Bezug auf ihre Orientierung an Nachrichtenfaktoren verglichen wurden. Eilders konnte das auf die Rezeption erweiterte Nachrichtenwertkonzept im Wesentlichen bestätigen, d. h. Nachrichtenfaktoren steuern sowohl die journalistische Verarbeitung wie auch Interesse und Rezeption durch Nachrichtenrezipienten. Als besonders bedeutsam stuften Rezipienten dabei v. a. die Faktoren Etablierung, Kontroverse, Überraschung, Einfluss/Prominenz, Personalisierung und Schaden ein, während die Faktoren Nutzen, Faktizität und Reichweite für Rezipienten offenbar keine besonderen Kriterien darstellen (vgl. Eilders 1997, S. 266).