Czytaj książkę: «Jahrgang 1928 - Erinnerungen»

Czcionka:

Heinz Müller

JAHRGANG 1928

ERINNERUNGEN

Von damals bis heute

Kinder- und Jugendjahre

Vom Fronthelfer zur Antifa-Jugend

Ein Menschenschicksal / Alois

Eine Trilogie

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2017

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Geschichten werden zur Geschichte

Für die, die nach mir kommen.

Für meine Enkel und Urenkel

Geschichte ist nicht nur Vergangenheit und darin ruhende Ereignisse, Sachverhalte und Schicksale von Menschen. Sie ist vor allem die Interpretation dieser Ereignisse und wird geprägt vom Standpunkt des Betrachters, von seinen Zielen und seinem Wollen

Heinz Müller – Jahrgang 1928 – im Dezember 2016

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Kinder- und Jugendjahre

Der Vater

Die Geschichten von Hans

Weihnachten

Hans der Geschichtenerzähler

Mit der Mutter kehrt die Sonne ins Haus zurück

Das Kleeblatt und die Spatzenbrühe

Ein Beschwerdebrief an die Regierung

Das Taschengeld und der Trick, frische Eier zu erkennen

Eine traurige Jagd und der erste Hund

Putz – der Findling

Felix – der Hauskater

Der Krieg kommt näher

Vom Fronthelfer zur Antifa-Jugend

Die Beerdigung des Freundes

Wassili

Gründung der Antifa-Jugend

Ein Menschenschicksal – Alois

Der geheimnisvolle Brief

Geheimdienstarbeit

Tote Briefkästen, ein Mittel zur Nachrichtenübermittlung

Das Geheimnis der alten Waldkapelle

Ein neuer Treff in West Berlin, neue Aufträge und die Vorbereitung in eine Dienststelle des Geheimdienstes einzudringen

Die „Flucht“ in die BRD

Die Heimkehr

Die Rache des Mister Smith

Epilog

Zitat

Über den Autor

Kinder- und Jugendjahre

eine Lebensetappe und Zeit, in der jeder Mensch emotional und rational für sein ganzes weiteres Leben geprägt wird

Der Vater

Robert zog es raus aus seinem Dorf in Schlesien hinaus in die Welt, um Neues kennenzulernen. Er war sehr wissbegierig und in der Schule, in der alle Kinder des Dorfes und alle Altersstufen in einer Klasse vom Kriegsinvaliden Lehrer Hempel unterrichtet wurden, war er oft dessen Vertreter.

Lehrer Hempel war gleichzeitig Imker und besonders im Sommer oft mit den Bienen beschäftigt. Robert musste dann für Ruhe und Ordnung in der Klasse sorgen und den Kleineren helfen, schreiben und rechnen zu lernen.

Der Vater von Robert, seine Mutter und alle 6 Geschwister waren bei dem „Herrn Hauptmann“ beschäftigt. Das war der Gutsbesitzer, der sich nur mit Herr Hauptmann ansprechen ließ. Während der Ernte oder zu anderen Arbeitsspitzenzeiten in der Landwirtschaft gab der Herr Hauptmann Order, dann musste der Kriegsinvalide Lehrer Hempel den Schulkindern freigeben, damit sie in der Landwirtschaft mithelfen konnten.

Robert wollte den Beruf eines Schmiedes erlernen, von dem war er fasziniert. Das ging aber nicht, denn bereits mit 13 Jahren wurde er per Handschlag zwischen seinem Vater und dem Herrn Hauptmann letzterem versprochen. Das hieß, nach Abschluss der Schule mit 14 Jahren, im Gut als Kutscher zu arbeiten. Ein Kutscher war schon eine herausragende Stelle.

Als ersten Jahreslohn bekam er vom Herrn Hauptmann ein Hemd, einen Kutscheranzug und ein paar Schaftstiefel. Auf den Feldern brauchte er nicht zu arbeiten, dafür musste er sich um die Pferde und den Kutschwagen kümmern. Alles musste stets geputzt und einsatzbereit sein. Auch nachts, denn oft ging es noch am späten Abend zu Gelagen in die Nachbarschaft. Im Morgengrauen musste dann der Herr Hauptmann wieder nach Hause kutschiert werden. Eine oft mühselige Fahrt mit vielen Unterbrechungen, weil der Herr stark angetrunken war. Die anschließend erforderliche Reinigung des Wagens war nicht die angenehmste Arbeit, aber die Kutsche musste blank geputzt sofort wieder zur Verfügung stehen. Robert war also ein besserer Lakai.

Das alles gefiel ihm aber nicht und er beschloss, sich nach Ablauf des durch seinen Vater gegebenen Versprechens – also zu seinem 18. Geburtsgag – eine andere Arbeitsstelle zu suchen.

Zu MARIÄ LICHTMESS – am 2. Februar – war es dann soweit. Das war der Tag, an dem sich die Dienstboten in der Landwirtschaft eine neue Arbeitsstelle suchen konnten. Im Februar gab es in der Landwirtschaft nicht mehr soviel zu tun und die Knechte und Mägde konnten gehen.

In der Zeitung hatte er gemeinsam mit einem Freund gelesen, dass in Oberschlesien im Bergbau Arbeitskräfte gesucht wurden. Gemeinsam beschlossen sie, dorthin zu ziehen, um zu arbeiten. Im Steinkohlebergwerk in Kattowitz wurde er zunächst unter Tage zum Schlepper und später zum Hauer ausgebildet.

Als Schlepper musste er die Kohlebrocken, die der Hauer zuvor abgeschlagen hatte, in Loren schaufeln und auf Gleisen zu einem Aufzug fahren. Von hier wurden die Kohleloren nach oben gezogen. Geleert kamen sie zurück in den Schacht.

In den 20er Jahren bekam er von polnischen Bergarbeitern, mit denen er sich gut verstand, die Empfehlung, Oberschlesien zu verlassen, da es zu Aufständen kommen würde, bei denen sein Leben als Deutscher nicht mehr sicher wäre. Er folgte dem Rat und zog nach Ziebingen in Brandenburg, um hier in einem Braunkohlebergwerk als Hauer zu arbeiten. Hier lernte er seine spätere Frau Dorothea – die Dorchen gerufen wurde – kennen. Sie war auch Landarbeiterin, aber nicht beim Herrn Hauptmann sondern bei „Herrschafts“, wie es im Brandenburgischen hieß, angestellt. Bald heirateten beide und ihr erster Sohn Hans wurde geboren.

Die Geschichten von Hans

Und hier beginnt die eigentliche Geschichte.

Kurz nach seiner Geburt zog die junge Familie aus Ziebingen nach Zschornegosda in der Niederlausitz. Ein Ort mit sorbischem Ursprung – wie der Name schon verrät – der später in Schwarzheide eingedeutscht wurde. Hier lebten sie vorerst im Wandelhof. Das war ein Ortsteil mit langgestreckten Reihenhäusern, in denen die ankommenden Bergarbeiter mit ihren Familien eine erste Unterkunft fanden. Es war ein Kommen und Gehen, eben ein ständiger Wandel und Wechsel in diesen Häusern. Fast alle, die hierher zogen, arbeiteten bei der BUBIAG (Braunkohlen und Brikett Industrie Aktiengesellschaft), die versuchte, tüchtige Arbeiter in ihren Betrieben zu halten.

Sie ließ kostengünstig einfache Häuser für ihre Arbeiter bauen. So entstanden in der Umgebung Siedlungen, deren Häuser die Arbeiter erwerben konnten. Jeder Arbeiter musste dazu nach seiner eigentlichen Arbeit eine bestimmte Stundenzahl auf dem Bau als Hilfsarbeiter und Handlanger für die Maurer leisten. Der Geldwert der Häuser wurde in kleinen Raten vom Lohn abgezogen. Die eigene Arbeit am zukünftigen Haus und das System der Abzahlung schufen natürlich Bindungen zu Grund und Boden. Die Arbeiter wurden dadurch bodenständig und die Fluktuation der Fachkräfte hörte auf. Ein kluger Schachzug der BUBIAG.

Hans feierte seinen vierten Geburtstag im neuen, aber noch nicht abgeputzten Siedlungshaus. Richtigerweise muss man aber sagen, er erlebte seinen Geburtstag, denn zum Feiern waren weder Zeit noch Geld da. Es war trotzdem feierlich, als zum Frühstück eine Kerze angezündet wurde und Hans sie schließlich ausblasen durfte. Die Mutter hatte einen Napfkuchen im neuen, frisch gemauerten Küchenherd in der neuen Küche gebacken. Da sie den Ofen und seine Tücken aber noch nicht kannte, wurde der gute Kuchen schliff. Trotzdem war er der Höhepunkt des Geburtstagsfrühstücks und wurde mit großem Appetit gegessen. Für den Geburtstag hatte Hans Mutter extra Feldblumen gepflückt und damit den Tisch geschmückt.

Sein Vater ging zur zweiten Schicht um 14:00 Uhr zur Arbeit, vorher hatten er und seine Frau tüchtig auf dem Bau geholfen, denn bis zum Einbruch des Winters sollte der Außenputz endlich fertig sein. Der Putz musste bis dahin abgestorben, also ausgetrocknet sein, damit er durch den Frost nicht abfrieren konnte und von den Wänden wieder abfiel. Eile war also geboten, darum arbeitete die Mutter am Nachmittag allein als Hilfsarbeiter für die Maurer auf dem Bau weiter.

Kies musste gesiebt werden, die Mörtelmischung für die Maurer zum Putzen auf die Baugerüste geschleppt werden, Wasser bereitgestellt werden und vieles mehr. Eine körperlich schwere Arbeit für eine Frau. So vergingen der September und Oktober, das Haus war nun abgeputzt und sogar eine Hofmauer schon gemauert. Aber die körperlich schwere und anstrengende Arbeit hatte Spuren hinterlassen.

Dorchen kam ins Bergarbeiter-Krankenhaus Klettwitz. Durch die Schlepperei auf dem Bau hatte sie sich eine Unterleibserkrankung zugezogen und musste operiert werden.

Für Hans begann eine schwere Zeit. Nun war er den ganzen Tag allein im zwar neuen aber noch fremden Haus. Beziehungen oder Freundschaften zu den Nachbarn oder ihren Kindern hatte er in der Kürze der Zeit, in der seine Familie hier wohnte, noch nicht knüpfen können. Das direkte Nachbargrundstück sollte sogar erst zu Weihnachten bezogen werden.

Sein Vater Robert versuchte, mit seinen Arbeitskollegen die Tagesin Nachtschichten zu tauschen. So konnte er tagsüber bei seinem Sohn sein. Aber das klappte auch nicht immer.

Für Robert wurde es immer schwerer, scheinbare Banalitäten nahmen zu. Hans und auch er selbst hatten keine Wäsche mehr zum Wechseln und was noch viel schlimmer war, Hans wurde krank. Er hatte Fieber und lag schwitzend im Bett. In der größten Not kam die ehemalige Nachbarin aus dem Wandelhof zu Hilfe.

Arbeitskollegen von Robert, die noch in Zschornegosda wohnten, hatten ihr von Roberts schwieriger Situation erzählt. Sie kam mit ihrem Mann aus Oberschlesien und hatte noch keine Kinder. Aus eigenem Erleben wusste sie wie es ist, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht. Hans, den sie als ein liebes Nachbarkind kennen gelernt und auch gern hatte, gab den Ausschlag. Sie kam und half.

Zuerst sorgte sie wieder für saubere Wäsche, dabei kümmerte sie sich liebevoll um den kleinen Hans, dem es von Tag zu Tag auch wieder besser ging.

„Die Mutter fehlt“, war ihr Kommentar. „Sie muss schnellstens wieder gesund werden.“

In den ersten Dezembertagen war es wieder wärmer geworden und Robert beschloss, seine Frau im Krankenhaus zu besuchen. Hans bettelte, er wollte unbedingt mit zur Mutter.

Robert gab dem Drängen nach. Er besorgte sich über einen Arbeitskollegen einen Kindersattel für sein Fahrrad, der noch am Freitagabend auf den Querrahmen des Fahrrades montiert wurde. Für Sonnabend hatte er sich eine Freistellung von der Arbeit beim Steiger besorgt, musste dafür allerdings am Sonntag zur Nachmittagsschicht antreten. Deshalb ging es am Sonnabend gleich nach dem Frühstück per Fahrrad los ins 18 Kilometer entfernte Bergmannskrankenhaus in Klettwitz.

Die aufgehende Sonne meinte es zwar gut, aber das Wetter täuschte die beiden Radfahrer. Es war doch noch empfindlich kalt und insbesondere Hans fror an den Händen und Füßen. Um halb zehn kamen sie steif und durchfroren im Krankenhaus an. Die Visite war gerade beendet, als sie das Zimmer betraten.

Ein „besseres“ Zimmer mit nur acht Betten, einem großen Tisch mit Stühlen und an jedem Bett ein Nachtschränkchen mit Unterfach und Schublade. Alles weiß lackiert und blitzblank sauber. Hans war beeindruckt und flog der Mutter, die sich im Bett aufgerichtet hatte, entgegen.

Robert war in diesem Augenblick abgemeldet und blieb lächelnd an der Tür stehen, bevor er seine Frau auch in die Arme nehmen konnte.

Nun fing ein Erzählen an, das nur durch das zwischenzeitlich servierte Mittagsmahl unterbrochen wurde. Robert wollte genau wissen, wie es seiner Frau nach der Operation ging und welche Schmerzen sie noch hatte. Hans aber konnte gar nicht aufhören, von den Neuigkeiten im und am Haus zu erzählen.

Er berichtete auch von der Tante Huworeck aus Wandelhof, die sich um ihn und auch um die schmutzige Wäsche gekümmert hatte. Er berichtete lang und ausführlich, sehr zum Leidwesen seines Vaters, der wusste, wie eifersüchtig seine Frau werden konnte und der er doch jede Aufregung ersparen wollte.

Robert war froh als er sah, wie seine Frau lächelnd den Redefluss ihres Sohnes unterbrach und dafür aus der Schublade des Nachtschränkchens eine mit Schnittkäse belegte Weißbrotstulle hervor zauberte. Robert hatte ja den Besuch angekündigt und sie konnte deshalb für ihren Sohn diese Stulle extra vom Frühstück aufheben, um ihm damit eine Freude zu bereiten.

Das war voll gelungen. So etwas Feines hatte Hans bisher noch nicht gegessen. Er kam zu dem Schluss, wenn es so feine Sachen zum Essen gab, konnte es im Krankenhaus nicht so schlimm sein, wie ihm das die Tante Huworeck erzählt hatte.

Robert erkundigte sich bei einem Arzt nach dem Gesundheitszustand seiner Frau und musste betrübt zur Kenntnis nehmen, dass sie eventuell erst Anfang des neuen Jahres aus dem Krankenhaus entlassen werden könnte. Nach der Operation waren Komplikationen aufgetreten die erst noch abgeklärt werden müssten. So vergingen drei oder vier Stunden, viel zu viel für einen Krankenbesuch, aber viel zu wenig für die Besucher.

Die Kranke durfte aber nicht überlastet werden und Robert musste an die Heimfahrt denken, denn er wollte ja noch bei Tageslicht zu Hause ankommen. Der Abschied fiel allen schwer, aber Robert versprach seiner Frau, dass sie Weihnachten nicht allein im Krankenhaus ist und er sie zusammen mit Hans wieder besuchen wird.

Dorchen hatte beim Eintreffen ihres Besuches besorgt und erschrocken zugleich die froststarren kleinen Hände ihres Sohnes in ihre Hände und unter die Bettdecke genommen, um sie zu erwärmen.

In Erinnerung daran beschloss sie, sofort für Hans ein Paar Handschuhe und auch eine Mütze als Weihnachtsgeschenk zu stricken.

Die Krankenschwestern halfen bei der Besorgung von Stricknadeln und Wolle. Sie waren beeindruckt von der Willensstärke dieser Frau, die sie Schmerzen vergessen ließen und sogar im Bett liegend strickend für ihren Sohn zu sorgen.

Dorchen wollte unbedingt Weihnachten zu Hause bei der Familie sein und nicht bis zum nächsten Jahr im Krankenhaus bleiben. Bei jeder Visite sprach sie deswegen die Ärzte an, die schließlich einwilligten, sie am 23. Dezember nach Hause zu entlassen. Sie wollte damit die Familie überraschen und Weihnachtsgeschenke brachte sie auch mit. Die Handschuhe und eine Mütze für Hans und einen Leibwärmer für Robert waren gestrickt. Die Schwestern, die sich mit ihr auf die Überraschung freuten halfen, die Geschenke in fein bedrucktes Weihnachtspapier einzupacken.

Weihnachten

Der mit Ungeduld erwartete 23. Dezember kam. Die Entlassungspapiere und eine Überweisung an den weiter behandelnden Hausarzt waren geschrieben. Nach dem Mittagessen stand der Krankenwagen bereit zur Abfahrt. Schnell noch von den Ärzten und Schwestern verabschiedet, die ihr die Daumen drückten und frohe Weihnachten mit ihrer kleinen Familie wünschten. Sie freuten sich mit ihr auf die Überraschung, die sie ihrem Sohn und Ehemann bereiten würde.

Doch es kam alles ganz anders. Das Wetter war umgeschlagen, es war weihnachtlich weiß geworden. Doch nicht nur die Pracht des Schnees war beeindruckend, auch die Glätte der Straßen. Sie brachte dem Krankenhaus neue Patienten.

So kam es, dass der Krankenwagen auf eisglatter Straße vor einem Bahnübergang nicht zum Halten kam und mit dem in diesem Augenblick vorbeifahrendem Triebwagen der Deutschen Reichsbahn zusammenstieß. Im Krankenwagen waren neben dem Kraftfahrer drei Patienten, die aus dem Krankenhaus entlassen wurden und sich darauf freuten, Weihnachten mit ihren Familien zu verleben. Der Kraftfahrer verstarb am Unfallort, stand am nächsten Tag in der Zeitung, und die drei Patienten kamen schwer verletzt sofort wieder zurück ins Klettwitzer Krankenhaus.

Keine freudige, sondern eine böse und traurige Überraschung für die Familien. So auch für Hans und Robert, denen die Schwester Marianne aus dem Krankenhaus noch am gleichen Abend die traurige Nachricht überbrachte. Sie brachte auch die gestrickten Weihnachtsgeschenke von Dorchen mit, die man aus dem zertrümmerten Auto gerettet hatte. Der Schwester, welche die Vorfreude von Dorchen, aber auch ihre Mühe und Fleiß bei der Anfertigung der Weihnachtsgeschenke miterlebt hatte, standen bei der Übergabe Tränen in den Augen. Hans schlief schon und Robert, der so schnell nicht aus der Fassung zu bringen war, schluckte und kämpfte auch mit feuchten Augen.

Das waren keine frohen Weihnachten. Robert holte am Nachmittag des 24. schnell noch eine kleine Kiefer aus der nahen Schonung und schmückte sie unbeholfen und notdürftig. Darin hatte er keine Übung, denn in den Jahren zuvor hatte das immer seine Frau gemacht. Hans sollte aber doch eine kleine Freude haben.

Die Handschuhe und die Mütze legte er neben den gekauften Pfefferkuchen und einen kleinen Schokoladenweihnachtsmann unter den Baum.

Es wurde ein kalter Winter. So oft es an den Wochenenden ging, besuchte Robert seine Frau im Krankenhaus. Hans musste das Haus hüten, für ihn war bei diesem Wetter die Fahrradtour zu kalt. Roberts Arbeitskollegen halfen ihm beim Wechseln der Schichten, damit er Sonnabend frei hatte, um seine Frau besuchen zu können und die Weihnachten eingezogenen Nachbarn passten auf Hans auf.

Dorchen hatte Glück, dass sie bei dem Unfall im Krankenwagen nicht zerquetscht worden war. Ein Schädelbruch, Rippenbrüche und die Lädierung des Beckens waren aber schwere Verletzungen, die abermals Zeit zur Heilung brauchten.

Das Beste für Robert und Hans waren die Nachtschichten, die um 22:00 Uhr begannen und früh um 6:00 Uhr beendet waren. Da konnten beide gemeinsam Frühstücken, Mittagbrot und zu Abend essen. Nach dem Frühstück holte Robert bis zum Mittag seinen Nachtschlaf nach und danach war Hausarbeit angesagt. Jetzt erst merkte er, was seine Frau alles geleistet hatte, um den Haushalt in Ordnung zu halten. Sie fehlte den beiden Männern sehr.

Hans der Geschichtenerzähler

So vergingen der Januar und Februar. Der ungewöhnlich warme März ließ den Schnee tauen und die ersten Schneeglöckchen ihre Blüten entfalten. Das war die Zeit, in der Hans den ganzen Tag allein im Hause war, denn immer klappte es mit den Nachtschichten seines Vaters auch nicht. Die Nachbarkinder kamen und spielten auf dem Sandhaufen vor dem Küchenfenster. Ihr Lachen und Toben weckte Hans aus seiner Traurigkeit, aber er konnte nicht mit ihnen spielen, denn die Wohnung war verschlossen.

Er kletterte auf den Küchentisch, der direkt vor dem Fenster stand und öffnete das Fenster. So konnte er sich mit den Kindern unterhalten. Aber nach einer Stunde wurde den Nachbarskindern kalt und sie verschwanden wieder. Wieder war er allein und tief traurig. Am nächsten Tag war es wieder so, diesmal hatte sich Hans aber etwas ausgedacht. Er erzählte Helmut, Gerda, Elli und dem kleinen Manfred – alle vom Nachbargrundstück – eine Geschichte, so wie er sie oft von seiner Mutter gehört hatte.

Damit sie recht gruslig und spannend wurde, dichtete er noch einiges dazu. Den Kindern gefiel das. Fernsehen gab es noch nicht und ein Rundfunkempfänger war zu teuer, den gab es auch nicht. Für die Kinder war das eine willkommene Abwechslung und sie freuten sich auf den nächsten Tag, an dem Hans eine neue Geschichte erzählen wollte.

So ging es die ganze Woche weiter und die Phantasie von Hans im Erfinden neuer Geschichten fand vorerst kein Ende. So wurde er frühzeitig zum Erzähler und diese Gabe setzte sich fort bis zur Schulzeit und auch später danach.

Die Tage wurden wieder kälter und es regnete Tag und Nacht. Die Kinder kamen nicht mehr zum Sandhaufen, um zu spielen und sich Geschichten anzuhören. Schon nach 16:00 Uhr wurde es dunkler und der Regen prasselte an das nun geschlossene Küchenfenster.

Da klopfte es energisch an die Haustür. Eine fremde, furchteinflößende tiefe Stimme forderte Einlass. Man konnte deutliche hören, dass die Stimme verstellt war. Hans pochte das Herz bis zum Hals. Er nahm allen Mut zusammen und sagte mit fester Stimme: „Fremde Leute lassen wir hier nicht rein, kommen Sie später wieder!“

Nach dieser Antwort blieb alles still, doch dann ertönte ein Lachen, so wie nur seine Mutti lachen konnte. „Aber Hans, erkennst du deine Mutti nicht? Lass mich schnell rein, denn ich bin vom Regen nass wie eine Katze und will mich nicht erkälten.“

Mit zitternden Fingern versuchte Hans, den Schlüssel in das Schloss zu stecken, das gelang aber erst nach mehreren Versuchen. Endlich war die Tür geöffnet und Mutter und Sohn lagen sich in den Armen.

Die Mutter zog schnell die nassen Sachen aus und dann ging ein Erzählen los, das kein Ende nahm und die Abendbrotzeit vergessen ließ. Wie jeden Tag hatte der Vater die Stullen für Hans als Abendbrot fertig gemacht. Hans erinnerte sich daran, stellte alles für die Mutter einladend auf den Tisch und seit langer, langer Zeit konnten beide wieder gemeinsam Abendbrot essen. Danach konnte sich Hans – zum Erstaunen der Mutter – allein waschen und ermattet von der Aufregung gingen beide zum Schlafen ins Bett.

Eng aneinander gekuschelt schliefen beide ein. So fand sie Robert, als er nach 22:00 Uhr von der Arbeit kam und erstaunt war, dass das Abendbrotgeschirr schon abgewaschen und zurück im Küchenschrank abgestellt war.

399 ₽
21,17 zł
Ograniczenie wiekowe:
0+
Data wydania na Litres:
23 grudnia 2023
Objętość:
185 str. 9 ilustracje
ISBN:
9783961450053
Właściciel praw:
Автор
Format pobierania:
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