Czytaj książkę: «Auf Wölfe schießt man nicht»
Bei dem nachstehenden Werk handelt es sich um einen Roman und bei allen handelnden Personen um fiktive Gestalten, die der Fantasie des Autors entsprungen sind, wie auch die beschriebenen Handlungen. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder auch bereits verstorbenen Personen, wie auch etwaigen tatsächlichen Geschehnissen wäre damit rein zufällig und unbeabsichtigt.
Heinz-Dietmar Lütje
AUF WÖLFE
SCHIEßT MAN NICHT
Ein Jagdkrimi aus Schleswig-Holstein
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2013
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Copyright (2013) Engelsdorfer Verlag Leipzig
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Inhaltsverzeichnis
Cover
Vorwort
Titel
Impressum
Auf Wölfe schießt man nicht
»Das verstehe wer will – ich nicht mehr«, erklärte kopfschüttelnd Jochen Buss, genannt Jockel, »noch vor zwei Wochen überall Rehwild, auch tagsüber zu sehen. Und jetzt?«
»Das frage ich mich auch. Und Damwild habe ich überhaupt nicht mehr gesehen«, entgegnete der Jagdpächter, der gerade seinen Anteil an einer Anwaltspraxis in Hamburg an seine Kollegen in der Sozietät verkauft hatte und sich nun mehr der geliebten Jagd widmen wollte. Zuvor hatte es ihm immer an der Zeit gemangelt, die seit bereits über zwanzig Jahren gepachtete Jagd im Kreis Plön wirklich zu nutzen. Gut, er schoss seine Böcke, und dann und wann auch mal eine Sau. Aber den seit Beginn an möglichen IA-Damhirsch, den hatten weder sein Jagdaufseher, noch er selbst bisher erlegen können. Einige Spießer, zwei Knieper und einige Stücke weibliches Wild. Das war es bisher. Eigentlich in keinem Verhältnis zum Preis, den der Eigentümer der Jagd, ein Rheinländer, der das rund dreihundert Hektar große Grundstück geerbt hatte, ihm pro Jahr abknöpfte. Aber er hatte immer gut verdient und darum konnte er es sich leisten, sich diese überteuerte Jagd zu gönnen. Jetzt aber, in seinem ersten Jahr als Ruheständler, wollte er vielleicht einmal ein Fachbuch oder auch einen Roman schreiben, vor allem aber sich der Jagd widmen und auch einmal selbst Strecke machen, und nicht die meisten jagdlichen Freuden seinem Jagdaufseher und einigen Freunden und Bekannten überlassen. Aber gerade jetzt, zum Aufgang der Bockjagd am 1. Mai, also in der nächsten Woche, war kaum noch Wild zu sehen. Selbst das sonst allgegenwärtige Rehwild schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein. »Weißt du, woran das liegen kann? Ob hier vielleicht gewildert wird?« Jockel, der Jagdaufseher kratzte sich den etwas ungepflegt wirkenden grauen Bart.
»Ist doch lange Jahre her, dass wir mal ein paar verluderte Stücke Rehwild aufgefunden haben«, erwiderte der Jagdherr, der 65jährige Dr. Gerd Michaelis, der doch immer eine Stunde Fahrzeit von seinem Haus in Bad Brammer bis ins Revier Birkenrade an der Bundesstraße 404 aufwenden musste.
»Stimmt auch wieder«, nickte sein Freund und Jagdaufseher zustimmend, »auch Schlingen oder Fallen haben wir ja nicht gefunden.«
»Eben, und verdächtige Schüsse sind auch von den Reviernachbarn nicht gemeldet, was aber wohl wenig zu sagen hat, weil es hier rundherum alle naslang knallt«, nickte der frühere Anwalt. »Aber, vielleicht sollten wir uns die Segnungen der Technik zunutze machen«, setzte er noch hinzu.
»Was meinst du da speziell?« Für Technik war Jockel immer zu haben. Schließlich war er Computerfan, nervte mit überflüssigen Rundmails Freunde und Bekannte und hatte auch sein Haus mit Kamera gesichert.
»Na, überleg mal«, neckte ihn sein Freund, »was käme wohl in Betracht?«
In Jochen Buss arbeitete es, wie nicht zu übersehen war. Seine Stirn furchte sich, und als er schon den Kopf schütteln wollte, überzog plötzlich ein wissendes Lächeln sein Gesicht und die blauen Augen blitzten erfreut. »Kameras!«, entfuhr es ihm und fragend blickte er auf.
»Richtig, mach mal und stell die insbesondere an den wenig genutzten Wegen auf, nicht an den Kirrungen, wo man sie vielleicht erwartet«, nickte Michaelis, »und vor allem, halt das Maul und erzähl niemand – niemand, verstanden – davon.«
»Ich bin doch nicht blöd!«, versetzte Jockel empört. »Nee, aber manchmal sehr mitteilsam – und das können wir hier nicht gebrauchen!«
Bereits am selben Abend bestellte Jockel Buss die insgesamt fünf Kameras und freute sich über die prompte Lieferung, die bereits drei Tage später erfolgte.
Als Technikfreak, der er ganz im Gegensatz zu seinem Jagdherrn war, der selbst mit den simpelsten Anwendungen eines heute ja leider allgegenwärtigen Computers seine Probleme hatte, hatte Jochen Buss natürlich dafür gesorgt, dass jedes Bild, das die mit Bewegungsmelder ausgestatteten Kameras machten, sofort auf sein Handy übertragen wurde.
Am Abend des 1. Mai trafen sich Gerd Michaelis und Jochen Buss im Revier Birkenrade verabredungsgemäß am Ortseingang. Sie begrüßten sich und Jockel, der ganz stolz auf seine schnelle Ausführung der in Auftrag gegebenen Kamerainstallation war, fragte, »und, soll ich dir noch schnell zeigen, wo ich die Kameras angebracht habe?« Er freute sich immer über die Bestätigung seiner Arbeit, und meistens tat Michalis ihm auch den Gefallen und lobte anschließend reichlich. Heute aber meinte er nur, »ich glaube dir ja, dass du die Dinger so installiert hast, dass nicht jeder sie gleich erkennt und abbaut – und wo du sie angebracht hast, haben wir ja besprochen. Aber nun sollten wir uns erst einmal ansetzen, bevor wir noch unseren ersten Bock für dieses Jahr verpassen!«
»Wenn du meinst«, entgegnete Jockel, der seine Enttäuschung nicht ganz verbergen konnte.
Beide saßen sie bis in die Dunkelheit hinein auf den sonst immer, gerade bei Aufgang der Bockjagd, vielversprechenden Leitern an. Aber ohne jeden Erfolg. Lediglich Michaelis bekam einen Fuchsrüden in Anblick, der aber im Hinblick auf das zu versorgende Geheck natürlich verschont wurde.
Auch Jockel hatte keinen Anblick, wie er missmutig zum Ausdruck brachte. »Das hatten wir ja wohl noch nie, Aufgang der Bockjagd und noch nicht mal einen Bock zu Gesicht bekommen, geschweige denn erlegt«, schüttelte er sein graues Haupt. »Vielleicht sollten wir morgen früh unser Glück versuchen!« »Nee, ganz bestimmt nicht. Ich habe ja meinen Beruf nicht aufgegeben, um jetzt noch früher aufzustehen«, verneinte Gerd Michaelis, »aber wenn du willst, meinen Segen hast du!«
Dann bestiegen sie ihre Fahrzeuge. Jockel seinen in die Jahre gekommenen Ford-Kombi und Gerd seinen ebenfalls angejahrten Pajero, der ihm seit fast 18 Jahren treue Dienste leistete und von dem er sich nicht trennen mochte, auch wenn er diesen Wagen eigentlich nur zur Jagd nutzte, oder im Winter, wenn hoch Schnee lag oder Gartenabfälle zu entsorgen waren. Dieses Auto hatte ihn noch nie im Stich gelassen, egal, ob hohe Minusgrade, das Auto sprang immer an und war auch sonst die Zuverlässigkeit an sich.
Jockels Ford hingegen hustete schon erst einmal asthmatisch, ehe er endlich ansprang und mit einigen Fehlzündungen in Gang kam.
Michaelis kam gut vierzig Minuten später nach Hause, packte Waffen und Munition in den Safe, stieg die Treppe vom Keller in sein großes Haus hinauf und begrüßte den Jagdhund, einen Deutsch-Drahthaarrüden, der infolge einer Laufverletzung zu seinem großen Bedauern nicht mitgenommen wurde und sein Missfallen hierüber auch deutlich zum Ausdruck gebracht hatte. Seine Frau schlief schon tief und fest, wie er mit einem Blick in das Schlafgemach bemerkte. Er zog seine Jagdklamotten aus, kleidete sich bequem in Freizeithose und leichten Pullover, machte sich einen ordentlichen Abendimbiss und verholte sich vor den Fernseher. Das machte er so seit Jahren, egal, ob er morgens früh raus musste oder nicht, das gehörte für ihn einfach zum Abschluss des Tages dazu. Dafür schlief er gerne morgens aus.
Gegen zwei Uhr, mitten in der Nacht, er war gerade eingeschlafen, klingelte sein Handy. Ganz gegen seine Gewohnheit hatte er es nicht vor dem Schlafengehen ausgeschaltet. Knurrend griff er nach dem klingelnden Ruhestörer, während seine Frau aufwachte und fragte, was los sei?
»Hä, ist der Kerl verrückt«, entfuhr es ihm und erklärend für seine sogenannte bessere Hälfte fügte er hinzu, »das ist Jockel«, wie ihm der Blick auf das Display verraten hatte.
»Spinnst du, mich mitten in der Nacht anzurufen? Ich bin gerade eingeschlafen, du Nervensäge!«
»Mein Handy hat geklingelt«, erklärte Jockel, »und du …«
»Ach und deshalb meinst du Arsch, dann kann ich auch geweckt werden? Da hört sich ja wohl alles auf!« Gerd Michaelis war rechtschaffend empört und schob die Hand seiner Frau, die ihn beschwichtigen wollte, beiseite.
»Entschuldige, aber das willst du wissen, sonst hätte ich dich bestimmt nicht gestört«, den Grunzlaut seines Gesprächspartners vernehmend fuhr er schnell fort, »ich weiß jetzt, was das Wild vertrieben hat!« »Das dauert länger, schlaf weiter!«, gab der genervte Angerufene seiner Frau Hiltrud Bescheid, wohl wissend, dass ihre Neugier sie keine Ruhe finden lassen würde, bis sie wusste, was der Grund des nächtlichen Anrufes war. »Bleib dran, Jockel, ich gehe ins Wohnzimmer«, knurrte er in sein Telefon und schlurfte aus dem Schlafgemach.
»Ich schick dir ein Bild aufs Handy, du wirst staunen!«, verkündete Jockel.
Dr. Gerd Michaelis wusste im ersten Moment nicht, ob er staunen oder sich schlicht ärgern sollte? Das, was auf seinem Handy zu sehen war, sah aus wie ein Schäferhund-Mischling. Und neben seinem Drahthaar-Rüden war auch er Besitzer eines Deutschen Schäferhundes. Eines Prachtexemplars von Rüden, wie ihm alle gern bestätigten. Berry hieß der stolze Hund. Etwas zu groß geraten, aber umso stattlicher im Aussehen. Schwarze Maske, knuffig und nicht etwa spitz und mickrig, wie bei so vielen überzüchteten Hunden dieser Rasse, die Schnauze mit dem kräftigen Gebiss und den aufmerksamen braunen Augen, denen nichts entging. Dazu ein erstklassiges Gehör und eine Nasenleistung, die in der Vergangenheit schon den einen oder anderen Nachsuchenspezialisten auf die hinteren Plätze verwies. Michaelis hätte auch sein Schäferhund gereicht, wenn dieser als Jagdhund die Prüfung hätte machen dürfen. Da dieses seinerzeit nicht der Fall war, wurde zusätzlich zu dem imponierenden Schäferhund ein Drahthaar angeschafft. Berry war der vierte Schäferhundrüde und Roy das dritte Drahthaar, aber der erste Rüde. Seine jagdlichen Vorgänger waren Hündinnen gewesen, was somit deutlich weniger Probleme aufgeworfen hatte. Beide Hunde vertrugen sich nach kurzem Kräftemessen, dass Roy, so hieß der Drahthaar, als zweiter Sieger beendete, ausgesprochen gut. Keine Selbstverständlichkeit bei zwei stattlichen Rüden, wie jeder Hundekenner weiß.
»Scheiße, ein wildernder Hund, das hat uns gerade noch gefehlt«, lautete der nicht ganz feine aber verständliche erste Kommentar des Ex-Anwaltes.« Dann stutzte er, schaute nochmals genau hin und wurde kurz abgelenkt, als sich die Stubentür öffnete und Hilde, die Angst hatte, etwas zu verpassen, das Zimmer betrat. Interessiert schaute sie ihren Mann, mit dem sie fast vierzig Jahre verehelicht war, an. Bevor sie fragen konnte, winkte er ab und unterbrach auch etwas grob den gerade zu einer Erklärung ansetzenden Jockel. »Sag nichts. Ich glaube, ich weiß, was du sagen willst. Kein Wort, zu niemand. Wir treffen uns um neun Uhr bei dir. Ansitz fällt flach. Bis nachher und kein Wort zu irgendwem, auch nicht zu deiner Zimmerlinde!« Mit diesen Worten beendete er das Gespräch.
»Ja, nun sag schon, was ist denn so wichtig, dass Jockel mitten in der Nacht anruft?« Etwas unwirsch starrte Gerd seine Frau an. Er überlegte kurz, kam aber zu dem Schluss, dass sie ohnehin keine Ruhe geben würde. »Ein wildernder Hund im Revier. Darum ist das Wild entweder verschwunden, hat sich also anderswo eingestellt oder aber ist sehr heimlich geworden. Ich bespreche das morgen mit Jockel.
»Aber ihr werdet doch den Hund nicht totschießen?« »Nein, du kennst mich doch«, beruhigte der Jäger seine besorgte Frau, »da müsste schon viel passieren, bevor ich auf einen Hund schießen würde.«
Nur komisch, dass wir von den umliegenden Revieren nichts gehört haben, überlegte der Beständer. Aber da dieses Eigenjagdrevier inmitten eines sehr großen, fast zweitausend Hektar umfassenden gemeinschaftlichen Jagdbezirkes und einer auch nicht gerade kleinen anderen Eigenjagd von fast 900 Hektar lag, zu deren Eigentümer und den Pächtern der Genossenschaft eine gewachsene Feindschaft seines Verpächters bestand, war das auch nicht ganz unverständlich. Leider hatten die Genossen der Gemeinschaftsjagd, wie auch der Großbauer und Eigenjagdbesitzer, ihre Aversionen gegenüber seinem Verpächter, die auch bereits durch die Feindschaft mit dessen Großonkel, den dieser beerbt hatte, herrührten, auch auf ihn übertragen. Alle Versuche seinerseits, diesen Zustand zu beenden, waren erfolglos geblieben und schließlich hatte auch er dann auf stur geschaltet. Nicht schön, für keine Seite, aber wohl verständlich und leider alles andere als selten, gerade in Jägerkreisen.
Michaelis ging wieder zu Bett. Während kurz darauf seine Frau wieder fest eingeschlafen war, wie ihre rasselnden Schnarchtöne verkündeten, wurde er immer wacher und – wen wundert es – auch immer wütender. Ausgerechnet jetzt, wo er Job und auch Ehrenämter aufgegeben hatte und sich schon seit Jahresbeginn auf den Aufgang der Bockjagd gefreut hatte, musste dieses Unglück über ihn hereinbrechen. Denn da hatte Jockel wohl recht, auch wenn er ihn gerade noch daran gehindert hatte, dieses auszusprechen, aber der wildernde Hund war wohl ein Wolf. Schließlich waren nicht weit entfernt erst in jüngster Vergangenheit Wölfe aufgetaucht, eindeutig identifiziert und auch bereits einer überfahren worden. Nun hatte er nichts gegen Wölfe. Ganz bestimmt nicht. Aber in diese dicht besiedelte Kulturlandschaft passten sie ganz einfach nicht – und in sein gepflegtes Revier, wo Fuchs und sonstiges Raubwild mit allen erlaubten Mitteln scharf bejagt wurde, schon gar nicht.
Diese ganze »Wolfshype«, die überall ausgebrochen war, konnte er ohnehin nicht nachvollziehen.
»Da siehst du das noch etwas deutlicher. Ich habe das Bild nochmal auf Fotopapier ausgedruckt.« Mit diesen Worten hielt Jockel seinem Jagdherrn das von der Kamera auf sein Handy gesandte, jetzt ausgedruckte, Foto hin. Michaelis guckte lange auf das in erstaunlich guter Qualität gefertigte Foto. »Stimmt, Jockel, das dürfte eindeutig ein Wolf sein. Nur erstaunlich, dass bisher keine Risse bekannt geworden sind.« Michaelis rieb sich die Nase. Das tat er immer, wenn er intensiv nachdachte. Bei Gericht hieß es dann immer: Er hat sich lange den Kolben gerieben; gleich kommt irgendeine nicht alltägliche Einlassung. Manche sagten auch: Jetzt serviert er uns wieder einen dicken Hund.
Das war allerdings gegenüber seinem Freund Jockel nicht der Fall. Nachdenklich meinte er nur, »auch wenn der Wolf noch jung aussieht, scheint er doch schon fast ausgewachsen zu sein – oder?«
»Ja, mit Wölfen kenne ich mich nicht so gut aus, aber dein Schäferhund ist in jedem Fall größer und kräftiger. Was wiegt Berry?« Michaelis war kurz mit den Gedanken schon weiter und hatte die Frage nur halb mitbekommen. »Berry? Wie schwer? Na, ich schätze so an die fünfzig Kilo. Er ist ja auch etwas höher vom Stockmaß, als eigentlich üblich.« Michaelis fuhr sich mit der Hand durch die ebenfalls schwindenden Haare und bemerkte plötzlich, dass er Hunger und Durst bekam.
»Ja, siehst du, und den Wolf schätze ich auf höchstens vierzig bis fünfundvierzig Kilo – wenn überhaupt. Ach, hast du eigentlich schon gefrühstückt?« Fragend sah Buss auf.
»Du nimmst mir die Frage aus dem Mund«, antwortete Gerd erfreut. Irgendetwas Deftiges und auch ein Bier könnte wohl nicht schaden.
Kurz darauf standen zwei Flaschen Budweiser und ein Teller mit Wurstschnitten und Pfefferbeißern auf dem Tisch und beide langten kräftig zu. Michaelis wischte sich den Schaum und die kleinen Krümel des selbstgebackenen Brotes vom ebenfalls angegrauten, aber gepflegten Oberlippenbart und nahm das Thema wieder auf. »Weißt du, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass weder Risse von Wild bei unseren geliebten Jagdkollegen aufgefallen sind, noch dass insbesondere Walthers Schafe nicht vom Wolf als schmackhaft empfunden worden sind.« Walther, das war einer der kleinen Bauern, der auch ein paar Schafe draußen hielt.
»Das hätte sich aber doch rumgesprochen. Da bleibt nicht der Deckel drauf, kann ich mir zumindest nicht vorstellen«, widersprach Jockel vehement. »Aber, wenn die genauso denken, wie du und nichts rauslassen«, arbeitete es in ihm, »warum eigentlich?« Nun, das war Jockel. Ein lieber, netter und hilfsbereiter Typ, auch handwerklich begabt, aber manchmal haperte es beim schnellen Erfassen von Sachlagen. Etwas, das Michaelis überhaupt nicht abkonnte, was vielleicht berufsbedingt war. Er hatte sich auch immer mühsam beherrschen müssen, wenn Richter, Staatsanwälte oder auch Kollegen oder Referendare eine überlange Leitung bewiesen. Früher war das einmal anders, pflegte er oft im Kreise vertrauter Kollegen zu klagen. Aber seitdem man ohne Beschränkung eigentlich nur noch Jura und einige noch wirtschaftlich deutlich uninteressantere Studienplätze belegen kann und auch jeder Hans und Franz heute das Abitur nachgeworfen bekommt, wenn er man nur fehlerfrei seinen Namen schreiben kann, haben wir doch gerade im Anwaltsbereich eine ganze Menge Bodensatz angesammelt, die lieber an Autos schrauben oder auch den Besen schwingen sollten. Das war eines seiner Lieblingsargumente, vor allem, wenn er sich wieder über einen dusseligen Gegenanwalt geärgert hatte. Aber Jockel sah er vieles nach, auch wenn er lange nicht mehr so flexibel und fix war.
»Ja, vielleicht haben die ja auch eine schnelle pragmatische Lösung des Problems angedacht.«
Jockel nahm den letzten Schluck aus seiner Buddel und auf seinen fragenden Blick nickte Michaelis. Kurz darauf stellte der Jagdaufseher zwei neue grüne Flaschen auf den Tisch, öffnete diese mit einem auf dem selbstgezimmerten Holztisch liegendem Feuerzeug und hatte zwischenzeitlich nachgedacht.
»Du meinst, dass sie den Wolf schießen wollen?« Gerd Michaelis nickte vielsagend und ergänzte, »oder vergiften, was weiß ich? Auf keinen Fall kann ich mir vorstellen, dass sie bei sich in der Jagd irgendwelche sogenannten Wolfsbetreuer oder sonstige grüne Spinner sehen wollen. Will doch eigentlich kaum einer, auch wenn öffentlich immer etwas anderes behauptet wird. Und jetzt, mit unserem grünen Umweltminister ganz bestimmt nicht.« Buss dachte nach. Dann nickte er.
»Stimmt, zumal diese Idioten wohl auch noch uns die Hasenjagd verbieten wollen und wenn irgendwo ein seltenes Tier gesehen wird, in Kompaniestärke durch die Gegend latschen und damit letztlich auch noch den Rest an Wild verjagen.« Gedankenschwer nickte Jockel zu seinen eigenen Worten und Gerd Michaelis musste schmunzeln. Man musste den guten Jockel nur auf die Fährte setzen, dann folgte er ihr wie ein guter Schweißhund. Und richtig, jetzt redete er sich in Rage.
»Und unser Rehwild wird verdammt als Rindenfresser und egal, ob es passt oder nicht im Staatsforst abgeknallt. Ohne Rücksicht auf Verluste.« Zustimmung erheischend sah er hoch.
»Stimmt, mein Lieber, und das ist ja noch lange nicht alles«, bestärkte ihn sein Jagdherr gern, »und der Fuchs wird dann wohl demnächst eine ganzjährige Schonzeit erhalten, das Damwild als artfremder Einwanderer ausgemerzt und die Rotwildbestände so dezimiert, dass eine vernünftige Hege nicht mehr möglich ist. Dazu wird dann von dieser rotgrünblauen Koalition der ach so klugen, besserwissenden Selbstbeweihräucherer und in die eigene Tasche lügenden Gutmenschen die Fallenjagd verboten, wie auch das Auswildern der ebenfalls als die ursprüngliche Fauna verfälschende Lustzielscheiben angesehenen Fasanen verboten und die Gänsejagd zumindest stark eingeschränkt. Singvögel wie die Rabenkrähe, Elster und Eichelhäher ganzjährig geschont und die Jäger als wirkliche Naturschützer, die sie sind, als Lustmörder verteufelt, aber durch Erhöhung der Jagdabgaben und Waffengebühren lustig weiter geschröpft. Zum Ausgleich dafür, darf er dann kaum noch nach den Grundsätzen der Deutschen Waidgerechtigkeit jagen, sondern wird zum Schädlingsbekämpfer degradiert, der alles was fiept und grunzt ohne Rücksicht auf Verluste abzuknallen hat. Willst du da noch Jäger sein?«
»Nein, nein und nochmals nein!« Jochen Buss war jetzt auf Linie gebracht und Gerd Michaelis glaubte schon, dass dieser nun auch ohne weitere Worte wusste, was zu tun ist, was also von ihm für den Fall des Falles erwartet würde. Doch dann bemerkte er, wie es in dem klein und faltig gewordenen Gesicht des Freundes arbeitete. Als wenn die Gedanken nach draußen drängen, musste Michaelis unwillkürlich denken. Und so war es wohl auch. »Also, wenn ich ihn sehe, Finger krumm und unschädlich beseitigen?« Das war die Frage, die Michaelis gern vermieden hätte, wie auch die Antwort darauf. Aber er war natürlich rhetorisch in vielen gerichtlichen Redeschlachten geschult, so dass auch hier ihm die Antwort nicht schwer fiel. »Wenn du den wildernden Hauskater siehst, den grauen Gesellen, der uns wohl schon so viele Hasen gestohlen hat, ja!« Wie der Zufall es wollte, musste der Anwalt im Ruhestand, der aber seine Zulassung behalten hatte, man weiß ja nie, bei dem Wort Hauskater kräftig zwinkern. Er wischte zur Sicherheit sich auch nochmals über das linke Augenlid und grinste. Mit den Worten, »wenn also was Außergewöhnliches im Revier sein sollte, ruf mich an und«, rein vorsorglich fügte er noch hinzu, »wenn, was ja unwahrscheinlich ist, aber man weiß ja nie, wenn du also diesen alten grauen Kater erwischt, lass ihn im Revier, aber gut verblendet und ruf mich an. Du meldest dann nur: Wildernde Katze erlegt!«
Aber es schien so, als sei der Wolf weitergezogen oder eben vielleicht doch in irgendeinem Revier verendet, vielleicht gar an Bleivergiftung gestorben, wie angeblich so viele Greife, also Habichte, Bussarde und auch Seeadler, die sich an Aufbruch, den Jäger nicht ordentlich entsorgt haben sollten, delektiert hatten? Zweifel dürften zumindest erlaubt sein. Man denke nur an die vielen Angler, die von Kindheit an die Bleikügelchen an der Angelschnur stets mit den Zähnen an der Schnur befestigt haben und es wohl vielfach immer noch tun.
Der Monat Mai neigte sich dem Ende und sowohl Michaelis, als auch Buss hatten mit je einem Jährling und Buss auch noch mit einem Schmalreh Waidmannsheil. Dennoch war selbst das sonst weniger vorsichtige Rehwild deutlich heimlicher geworden, trat nur kurz zum Äsen aus und sicherte deutlich häufiger als sonst üblich.
Damwild hingegen wurde zwar von Jockel Buss noch vereinzelt gefährtet, kam aber nicht mehr in Anblick. Also, irgendetwas hatte sich in Feld und Wald verändert. Etwas, das das Wild zur Vorsicht mahnte. Immer noch die Anwesenheit des Wolfes? Aber im eigenen Revier fanden weder Buss noch Michaelis auch nur einen einzigen Riss und das war ungewöhnlich.
Dann geschah es. Zu diesem Zeitpunkt eigentlich völlig unerwartet, da wohl alle, zumindest aber Dr. Gerd Michaelis und Jochen Buss, die ja tatsächlich Kenntnis von der Anwesenheit des Wolfes im Revier erlangt hatten, davon ausgegangen waren, dass dieser weitergezogen war. Es war der frühe Abend des 27. Mai, unmittelbar nach Vollmond. Jockel hatte eine Rotte Sauen, wohl drei bis vier vagabundierende Überläufer, da alle Abdrücke in etwa gleich groß waren, gefährtet. Da der Mond in der zweiten Nachthälfte noch gutes Licht spendete, wollten Dr. Michaelis und sein Jagdaufseher erst noch das letzte Licht nutzen, um vielleicht noch einen Bock oder eines der nach Abschussplan zu streckenden Schmalrehe zu erlegen. Danach, sofern keine Wolken aufzogen, sollte noch der Ansitz verlängert werden, im Hinblick auf die gefährteten Sauen.
Während der Jagdherr am Waldrand ansaß, hatte Jockel in der Nähe des Wegekreuzes, etwa hundert Meter von der Stelle entfernt, wo die Wildkamera den grauen Räuber abgebildet hatte, einen überdachten Sitz bezogen. Einzig ein Hase vertrieb ihm die Zeit von etwa 20.00 Uhr an. Kein roter Bock, kein Schmalreh und erst recht kein Schwein kamen in Anblick. Langsam senkte sich die Dunkelheit über das Feld. Bis der aufziehende Mond genug Licht spenden würde, dürfte es noch einige Zeit dauern und so beschloss Jockel noch etwas Augenpflege zu betreiben und setzte sich bequem zurecht. Kurz darauf fielen ihm die Augen zu.
Dr. Michaeles hingegen hatte schon Anblick. Ein ganz starker Bock mit ungewöhnlich langen, starken Sechserstangen trat aus dem kleinen Bauernwäldchen, das auch die Reviergrenze zum Großbauern bildete, kurz aus. Gerd Michaelis überlegte einen Moment lang, ob er schießen sollte oder aber dem Kapitalen noch Gelegenheit gegeben werden müsste, sich in der demnächst anstehenden Blattzeit zu vererben? Ach was, der Großbauer würde auch nicht zögern, allein deshalb nicht, damit nicht etwa er oder gar sein Freund Jockel diesen hochkapitalen Trophäenträger erbeuteten.
Gerade hatte er sich zum Schuss entschlossen und die alte Sauer 80, seinen ersten Repetierer, den er gleich nach Erlangung des Jagdscheines erworben hatte, in Anschlag gebracht, drehte sich der Bock und drehte dem Jäger das Hinterteil zu, um am Waldrand die jungen Laubblätter zu äsen. Verdammt, dachte Michaelis, ich kann ihm doch nicht ins Weidloch schießen. Er wartete und wartete, aber der starke, sicher mehr als fünf Jahre alte, Bock dachte gar nicht daran, sich breit zu stellen und dem Schützen Gelegenheit zu geben, einen sauberen Schuss hinter das Blatt anzutragen.
So vergingen die Minuten. Das Licht des Tages wich der hereinbrechenden Nacht und der rote Bock erschien nur noch als grauer Schatten, bis er nicht mehr auszumachen war.
»Warum habe ich Idiot auch solange gezögert«, brummte der verhinderte Erleger sich in den grauen, Oberlippe und Kinn bedeckenden Bart. Längst hatte er die Büchse wieder gesichert und vor sich auf die Leiterumrandung, die gleichzeitig einen sicheren Anschlag ermöglichte, gelegt. Ein Blick zum Himmel verriet ihm, dass wohl noch mindestens zwei Stunden vergehen würden, bis der aufgehende Mond genug Schützenlicht spenden würde, um den hoffentlich auftauchenden Überläufern einen sicheren Schuss aus der Waffe im Kaliber 7,64 mm antragen zu können. Er gähnte herzhaft und es dauerte gar nicht lange, bis auch ihn die Müdigkeit übermannte.
Auch das Objekt der jagdlichen Begierde, der starke Rehbock, hatte nach dem abendlichen Mahl sich zur Ruhe begeben und eine Liegestelle im Gras der Wiese, zwischen Ansitzleiter und Waldrand, bezogen und war nach ausreichender Sicherung schließlich eingeschlafen. Doch plötzlich regte er sich. Irgendetwas beunruhigte ihn. Fast unhörbar hob er den Kopf über das schon ziemlich lang gewachsene Gras, das in Kürze dem ersten Schnitt anheimfallen würde, um als Heu im Winter dem Vieh als Nahrung zu dienen. Er holte Wind und wurde unruhig. Die Lauscher spielten und bemühten sich ein Geräusch auszumachen. Da, ein ganz leises Rascheln verkündete, dass da etwas gegen den kaum merkbaren Wind auf ihn zukam. War das etwa der graue Mörder, dem er erst vor wenigen Wochen ganz knapp entkommen war? Angstvoll spähte er in die Richtung, aus der seine Lauscher das kaum hörbare Geräusch vernommen hatten, das grünes, saftiges Gras verursacht, wenn es langsam und sacht niedergedrückt wird und sich dann, wenn der Druck gewichen ist, wieder aufrichtet.
Jetzt gab es kein Halten mehr. Laut schreckend sprang der Bock auf die Läufe und flüchtete in Richtung der breiten Straße, die ihn schon einmal gerettet hatte, als dieses graue Raubtier ihn fast erwischt hätte. Seine Rettung war wohl ein Lkw, der einen laut klappernden Bauwagen zog und vor dem er eben noch die asphaltierte Fahrbahn überqueren konnte, um sich auf der anderen Seite in Sicherheit zu bringen.
Das Schrecken riss auch Dr. Michaelis aus dem Schlummer. Die Augen aufreißen und zum Gewehr greifen, sowie die Sicherung zu betätigen, war eins. Der Lauf der Waffe richtete sich in Richtung des Geräusches, während das Gehirn des Jägers registrierte, dass der Mond noch kaum hinreichendes Licht für einen sicheren Schuss spendete. Da, ein Schatten raste in vollem Lauf in Richtung Bundesstraße. Oh, dahinter ein zweiter, etwas niedriger und mit Riesensätzen den ersten verfolgend.
Ein wildernder Hund, der den kapitalen Bock reißen wollte, fuhr es dem Jäger durch den Kopf. Er versuchte krampfhaft, den Verfolger in die Zieloptik zu bekommen. Da, der rote Punkt im Zielfernrohr fasste den Schatten. Ohne weiter zu überlegen ließ er seinen rechten Zeigefinger den Abzug betätigen. Wumm! Laut hallte der Schussknall durch die Nacht und der helle, feurig rote Blitz des Mündungsfeuers blendete den Schützen. Angestrengt stierte er mit brennenden Augen in die Nacht. So langsam konnte er die Konturen des Waldrandes und auch der einzelnen Bäume und Büsche wieder wahrnehmen. Da drang, mittlerweile ein ganzes Stück entfernt, erneut der bekannte Laut schreckenden Rehwildes an sein Ohr. Laut hörbar atmete der Schütze die eingesaugte Luft aus. Trotz der Kühle der noch jungen Frühjahrsnacht begann er zu schwitzen und seine Brille beschlug. Auch auf dem Rücken und im Nacken fühlte es sich feucht an. Er versuchte, das Geschehen zu ordnen. Was war genau gewesen? Ja, das Schrecken eines Rehs hatte ihn aus dem Traum gerissen. Instinktiv hatte er zur Waffe gegriffen und sah schließlich den Schatten eines Rehs flüchten. Unmittelbar dahinter ein langgestreckter, flacherer Körper. Der Kontur nach ein Hund. Für einen Fuchs eindeutig zu schnell und auch zu groß. Er griff zum Fernglas. Aber auch durch die teure, nachttaugliche Optik war nichts zu erkennen. Wo war noch genau der mutmaßliche Anschuss? Unmöglich das jetzt genau zu sagen, überlegte er.