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Ein Weihnachtsmärchen

Heinrich Seidel

Inhaltsverzeichnis

Über den Autoren

Ein Weihnachtsmärchen

Impressum

Über den Autoren

Heinrich Friedrich Wilhelm Karl Philipp Georg Eduard Seidel war ein deutscher Ingenieur und Schriftsteller.

Ein Weihnachtsmärchen

Es war einmal ein armer Student, der war recht einsam und allein und hatte keinen Menschen auf der weiten Welt, der sich um ihn gekümmert hätte. Und er hätte doch so gerne jemanden gehabt, den er so recht innig hätte lieben können.

Manchmal saß er wohl in den schönen Sommernächten, wenn der Mond schien, am offenen Fenster seiner kleinen Dachstube und schaute hinaus über die Dächer der großen Stadt, wie sie im Mondenlichte dalagen, und dann dachte er: ob wohl unter diesen Dächern ein Herz noch einmal für ihn schlagen möge, ob er in dieser großen weiten Stadt noch einmal jemand finden werde, der ihn so recht lieb habe, und den er so recht lieb haben könne vom Grunde seines Herzens. Und der Mond schien ihm voll ins Antlitz, und die Sterne blitzten hell hernieder. Ferne standen dunkel und schweigsam die hohen Kirchentürme, und das Rollen und Brausen der großen Stadt drang zu ihm herauf, der großen Stadt, darin er so ganz allein war.

Er war sehr fleißig und arbeitete wohl den ganzen Tag. Wenn dann der Abend kam, eilte er durch das Drängen und Treiben der Stadt ins Freie und freute sich an den lustigen Spielen der Kinder und über die fröhlichen Spaziergänger oder suchte sich eine einsame Stelle, um ungestört seinen Gedanken nachzuhängen.

Eines Tages im Sommer, als er so in der Dämmerung durch die Straßen ging, begegnete ihm ein Mann mit einem Hundekarren. Das war ein recht sonderbarer Mann. Er war nicht groß und etwas buckelig und trug einen langen, grauen Rock mit großen Taschen darin. Ein großer schwarzer Hut mit breiter Krampe verdeckte sein kleines graubärtiges Gesicht, so daß, wenn er mit seinen tiefliegenden, dunklen Augen jemanden ansehen wollte, er den Kopf ganz in den Nacken legen mußte. Er sah mit dem zugeknöpften langen Rocke und dem breitkrämpigen Hute beinahe wie ein riesiger Pilz aus.

Sein Hund war grau und langhaarig, hatte krumme Beine und einen zottigen Kopf mit klugen Augen. Der Mann ließ seinen Wagen auf der Straße stehen und ging in die Häuser, denn er kaufte Lumpen, Knochen und alle solche Dinge, welche kein Mensch mehr gebrauchen konnte. Hermann sah dem grauen Mann eben nach, wie er in ein Haus ging, als ein Straßenjunge ankam und den armen grauen Hund, der sich nicht wehren konnte, mit einem Stocke neckte. Als der Hund knurrte und bellte und nach dem Stocke schnappte, fing er sogar an, ihn zu prügeln, indem er sich an dem Gewinsel des armen Tieres ergötzte. Hermann geriet in gewaltigen Zorn darüber, riß dem Jungen den Stock aus der Hand und, indem er ihn herzhaft damit prügelte, sagte er: »Warte nur, du sollst auch einmal fühlen, wie das tut.« Der graue Mann war eben wieder aus der Tür getreten und bat Hermann einzuhalten. »Lassen Sie den Jungen nur laufen, er wird es gewiß nicht wieder tun«, meinte er. Hermann ließ den brüllenden und ganz verdutzten Jungen los und streichelte den Hund, der ihm dankbar die Hand leckte. Der alte Mann sah aber den armen Studenten recht freundlich an, drückte ihm die Hand und sagte: »Das will ich Ihnen gedenken . . . komm Bello.«

Hermann hörte noch, wie der alte Mann und sein Bello weiter fuhren, daß er vor sich hinmurmelte: »Das will ich ihm gedenken.« Und Bello wedelte dazu mit dem Schwanze, als wolle er dasselbe sagen.

Oft noch begegnete Hermann dem Lumpensammler auf der Straße; dann nickten sie sich einander freundlich zu und Bello sprang und bellte vor Freude. Der Sommer verging, es ward Herbst, bald fielen die ersten Schneeflocken, und dann kam die schöne Weihnachtszeit.

Der arme Student hatte aber keinen Menschen, der ihm etwas geschenkt hätte, keinen Menschen, der an diesem Abend seiner gedachte.

Am heiligen Abend, als es dunkel wurde, wanderte er durch die Straßen der Stadt, durch das Treiben und Drängen des Weihnachtsmarktes und war recht traurig und allein.

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