Czytaj książkę: «DSA: Rabenerbe»
Heike Wolf
Rabenerbe
Ein Roman in der Welt von
Das Schwarze Auge©
Originalausgabe
Impressum
Ulisses Spiele
Band US25707
Titelbild: Nikolai Ostertag
Aventurien-Karte: Daniel Jödemann
Lektorat: Eevie Demirtel
Korrektorat: Nora Tretau
Umschlaggestaltung und Illustrationen: Nadine Schäkel, Patrick Soeder
Layout und Satz: Mirko Bader, Michael Mingers
Copyright © 2021 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems. DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN und DERE, MYRANOR, RIESLAND, THARUN und UTHURIA sind eingetragene Marken der Significant GbR. Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.
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Ebook-ISBN 978-3-95752-653-3
Danksagung
Wenn man ein Buch schreibt, ist man erst einmal allein mit dem weißen Blatt und der Geschichte, die noch viele Irrwege und Fehler aufweist. Um diese zu finden und sich nicht ganz einsam zu fühlen, braucht man kritische Leser, die bereit sind, gnadenlos den Finger auf die Wunden zu legen und dafür sorgen, dass mancher krude Einfall niemals den Weg ins fertige Buch findet. Ich schätze mich glücklich, dass ich solche Testleser habe. Armin Abele, Jessica Jüngel, Benjamin Kowalski, Henning Mahr, Stephanie Mehl, Deniz Nitt, Philipp Steinbach und Andreas Wolf, vielen Dank für eure Zeit und Hilfe. Und ganz besonders danke ich Anja Jäcke, die den Roman in jeder Phase seiner Entstehung begleitet hat und ohne deren ständige Rückmeldung ich wohl so manchen Irrweg mehr gegangen wäre. Danke!
I
Esmeraldo
Ein Kitzeln am Bauch weckte ihn aus dem Dämmern. Neben ihm regte sich die Sklavin und schob träge ein Bein über seinen Oberschenkel. Ihr Gesicht ruhte auf seiner Schulter, während ihre Fingerspitzen die Konturen der Muskeln unter seiner Haut nachzeichneten. Ihre Wangen waren gerötet und die Haare zerzaust vom ausgiebigen Liebesspiel, dessen Geruch noch in der Luft hing.
»Ihr seid wundervoll, Herr.« Ihre Stimme war ein dunkles Gurren, rauchig von dem Rauschkraut, das sie genommen hatten. »Aber vermutlich bin ich nicht die Erste, die Euch das sagt.«
»Das bist du nicht.« Esmeraldo gähnte, während er in das schummrige Licht der Öllampen blinzelte, die über dem Bett an der Decke befestigt waren. Die See war ruhig, sodass sie nur sacht im Rhythmus der Dünung hin und herschaukelten und gedämpfte Schatten an die Wände der Kajüte warfen. Draußen schrie ein Seevogel, und das Poltern schwerer Stiefel verklang unter dem gleichmäßigen Trommelschlag, der die Rudersklaven in den Takt zwang. Esmeraldo fuhr nicht gerne zur See, trotz der zweifellos komfortablen Unterkunft, die man ihm an Bord der Paligana Septima zur Verfügung gestellt hatte. Aber Goldos Nachricht war zumindest in diesem einen Punkt eindeutig gewesen – er hatte sich zu beeilen.
Esmeraldo seufzte stumm, während er an seinen Präfektenpalast in Sylla dachte, den er zurückgelassen hatte. Nicht, dass er viel Verlangen danach verspürte, sich länger mit aufsässigen Freibeutern und Piraten aus Charypso herumzuschlagen, aber die Macht seines Amtes hatte ihm durchaus gefallen. Als Präfekt und Statthalter hatte er die Interessen des Imperiums mit harter Hand durchgesetzt. Das war auch nötig in dieser Stadt, die erst seit einigen Jahren unter dem Rabenbanner stand und sich nur schwer an Ketten und Geißel gewöhnen mochte. Er hatte seine Sache durchaus gut gemacht, wie er fand, sodass ihn Goldos Nachricht unvorbereitet erreicht hatte. Er sollte sich unverzüglich in Al’Anfa einfinden, hatte das Oberhaupt des Hauses Paligan geschrieben, als reichte das als Erklärung vollkommen aus. Nicht, dass Esmeraldo eine solche erwartet hätte. Ein Goldo Paligan bat nicht, er befahl. Vielleicht hätte er beunruhigt sein sollen, aber es war nicht seine Art, sich Sorgen über Dinge zu machen, die er nicht beeinflussen konnte. Was immer sein Großonkel von ihm wollte, es war wichtig genug, ihm den Nachfolger im Präfektenamt gleich mitzuschicken, sodass Esmeraldo keine Erwartungen hegte, nach Sylla zurückzukehren. Nein, seine Zukunft lag in der großartigsten aller Städte – in Al’Anfa.
Ein zufriedenes Lächeln strich über seine Züge, was die Sklavin dazu veranlasste, ihre Finger ein wenig tiefer wandern zu lassen. Khaya hieß sie. Goldo hatte sie ihm geschenkt, als er sein Amt in Sylla angetreten hatte. Fünf Jahre waren eine ungewöhnlich lange Zeit, um bei einer Sklavin zu verweilen, aber Khaya war besonders, sodass er kein Verlangen verspürt hatte, sie zu ersetzen.
»Was würde Euch nun gefallen, Herr?« Wie dunkler Samt glitten die Worte über ihre Lippen. »Ich habe neulich ein paar Dinge gelernt, die ich Euch noch gar nicht gezeigt habe. Interessante Dinge. Ihr werdet mich um Erlösung anflehen, das verspreche ich Euch.«
»Mach keine Versprechungen, die du nicht halten kannst.« Esmeraldo hob die Hand, um durch ihr duftendes Haar zu streichen. »Sonst könntest du es bereuen.«
Die Sklavin lachte leise, ohne das Spiel ihrer Finger zu unterbrechen. »Ihr wisst, ich bereue nie, was Ihr mit mir tut, Herr.« Bei den letzten Worten hatte sie die Stimme zu einem Raunen gesenkt, und auch wenn Esmeraldo wusste, dass sie lediglich gut schauspielerte, gefiel ihm die sehnende Unterwürfigkeit, die sie an den Tag legte. Es gab viele perfekt ausgebildete Sklaven, die wussten, wie sie ihren Herren zu gefallen hatten, aber nur wenige, denen es gelang, darüber hinaus den Anschein echter Hingabe vorzugaukeln. Seine Hand grub sich in ihr Haar und packte es grob, sodass sie einen ergebenen Seufzer ausstieß. Sie hatte schönes Haar, samtweich und hell wie das Sonnenlicht auf der Goldenen Bucht.
»Wir werden sehen«, ließ er sie wissen und schloss mit einem zufriedenen Brummen die Augen. »Zeig mir, was du gelernt hast, und ich werde darüber befinden, ob es mir gefällt.«
Sie lachte erneut, ein verführerisches Lachen, ebenso bewusst gesetzt wie die Berührung ihrer Schenkel, als sie sich aufrichtete. »Entspannt Euch, Herr.« Sie beugte sich vor, sodass die Spitzen ihres Haars über seine Haut strichen. »Ihr hattet eine anstrengende Zeit.«
Esmeraldo ließ den Kopf zurücksinken. Es war ein guter Gedanke gewesen, sie mitzunehmen, damit er nicht an die endlosen Tiefen unter dem Rumpf der Galeere nachdenken musste.
Ihre Berührungen begannen gerade, ihm ein leises Stöhnen zu entlocken, als eine harte Stimme und ein energisches Klopfen ihn unsanft aus den wohligen Gedanken rissen.
»Don Esmeraldo? Seid Ihr da?«
Esmeraldo atmete tief ein und öffnete die Augen. Unter anderen Umständen hätte er die Störung geflissentlich ignoriert und den Verantwortlichen zu einem späteren Zeitpunkt seinen Unmut spüren lassen, aber die Stimme gehörte der Capitana, der einzigen Person an Bord, die er zu seinem Leidwesen nicht übergehen konnte.
»Was gibt es?«, rief er ungehalten. »Ich hoffe sehr für Euch, dass es wichtig ist.«
»Ich sollte Euch mitteilen, wenn wir Al’Anfa erreichen. Der Visra ist bereits in Sicht. In einem knappen Stundenglas laufen wir im Hafen ein.«
In einer Stunde ...
Esmeraldo stieß einen Fluch aus und schob die Sklavin zur Seite, die mit einem erschrockenen Laut vom Bett rutschte. Er rechnete nicht damit, dass man ihm einen triumphalen Empfang bereitete, dazu war Goldos Nachricht zu knapp, zu kurzfristig und vor allem nicht förmlich genug gewesen. Aber er sollte sich an Deck zeigen, wenn sie einliefen. Falsche Bescheidenheit hatte noch niemanden nach oben gespült, am allerwenigsten in der Stadt des Raben. Man nannte Goldo schließlich auch deshalb den Großartigen, weil er sich mit Gold und nicht mit Asche bestäuben ließ.
»Ihr werdet erst einlaufen, wenn ich bereit bin«, befahl er barsch in Richtung der Tür. »Geht auf Euren Posten.«
»Sehr wohl, Don Esmeraldo.« Die Antwort kam klar und zackig. »Ich schicke Euch Euren Leibburschen.«
Die Schritte entfernten sich.
Esmeraldo schwang die Beine aus dem Bett und schob die braunen Haare mit einer unwilligen Handbewegung zurück über die Schultern. »Steh auf«, herrschte er die Sklavin an, die sich die Lippe rieb. »Und zieh dir etwas an. Wir sind da.«
Fünf Jahre hatte er in Sylla verbracht. Doch nun würde er endlich heimkehren. Nach Al’Anfa.
Als er wenig später an Deck trat, fühlte er sich bereit, der Welt die Zähne zu zeigen. Esmeraldo zählte zu jenen Granden, die zu jung waren, um nach jahrelanger Schwelgerei fett und aufgedunsen zu sein oder hager und eingefallen vom Rauschkraut. Ehe man ihn nach Sylla entsandt hatte, um die unruhige Piratenstadt zu verwalten, hatte er unter Oderin du Metuant gedient. Der harte Drill des Generals hatte ihm nicht nur politisch genutzt, sondern ihn auch körperlich gestählt. So hatte er auch nach den Jahren in Sylla noch immer die breitschultrige Figur eines Soldaten, die durch die lange Weste und die breite Schärpe vorteilhaft betont wurde. Sein Gesicht war kantig, befehlsgewohnt, wie seine Leibmagierin einmal trocken festgestellt hatte, aber nicht unansehnlich. Nur seine Augen standen eine Wenigkeit zu eng beieinander, bei aller Perfektion ein Ärgernis, aber eins, das zu verschmerzen war. Ja, er war ein Glücksfall für seinen Großonkel, der ihn erst in den letzten Jahren wirklich wahrgenommen hatte. Doch das würde sich nun ändern.
Die Capitana stand an der Reling. Als er nähertrat, drehte sie sich mit einer schneidigen Bewegung zu ihm um und neigte den Kopf.
»Don Goldo hat mich beauftragt, Euch dies zu geben, sobald wir die Stadt erreichen«, teilte sie mit und reichte ihm ein sorgsam gefaltetes Papier. »Ihr sollt es lesen und gemäß seinen Anordnungen verfahren.«
»Anordnungen?« Esmeraldo hob eine Augenbraue, nahm das Schreiben aber entgegen. Kurz blieb sein Blick an dem Siegel hängen, das eine protzige Krone zeigte, ehe er es brach und die Zeilen überflog. Dann ließ er es sinken.
»Er will mich auf Gran Paligana sehen?«
»Don Goldo weilt in letzter Zeit oft auf den Plantagen. Im Hafen steht eine Sänfte für Euch bereit.«
Esmeraldo faltete den Brief wieder zusammen und nickte knapp. Es war sicher kein Zufall, dass ihn das Schreiben erst unmittelbar vor seiner Ankunft erreichen sollte. Goldo wusste, dass er so wenig Zeit haben würde, sich auf das Treffen vorzubereiten.
Die Sonne spiegelte sich auf den Wellen der Goldenen Bucht, verlor sich im Dunst des grünen Küstenstreifens, hinter dem sich undurchdringlicher Dschungel bis an die Hänge des Regengebirges erstreckte. Esmeraldo wandte den Blick nach vorne und genoss den warmen Wind auf dem Gesicht, während sich vor ihm allmählich schwarz und mächtig der Vulkan Visra aus dem morgendlichen Dunst schälte, an dessen Hängen sich die Stadt emporzog.
Die Perle des Südens nannte man Al’Anfa, aber Esmeraldo wusste, dass seine Heimatstadt mehr war – ein Diamant, geschliffen durch Härte, das pulsierende Herz des Imperiums. In der Ferne waren bereits die Türme der Universität zu erkennen und die Villen und Plätze der Grafenstadt. Banner flatterten über der Arena im Wind, und er meinte fast, den Lärm der Straßen und Gassen bis hier draußen zu hören. Al’Anfa schlief nie, sagte man. Wenn die Sonne hinter den Gipfeln des Regengebirges versank, tauchten tausende Öllampen die Stadt in ein Meer aus Lichtern. Und wenn sich der Tag erhob und die letzten Nachtschwärmer sich trunken von Wein und Rauschkraut in einer dunklen Ecke verkrochen, schwärmten bereits die Sklaven aus, um die Brunnen und Plätze zu säubern, huschten Fischer und Feldsklaven auf die Märkte, um frische Früchte und den Fang der letzten Nacht feilzubieten. In den Hauswinkeln drückte sich bereits das Gesindel der Baracken oder aus den Vorstadthütten, auf der Suche nach einer Handvoll Reis. Wenn der Boronrufer schließlich den nahenden Morgen verkündete, zogen Prozessionen hinauf zur Stadt des Schweigens, dem höchsten Tempel des rabengestaltigen Totengottes Boron und Sitz seines mächtigsten Dieners, des Patriarchen von Al’Anfa. Dann erwachte auch der Silberberg, wo die Granden, die hohen Familien der Stadt, in ihren Villen residierten. Sie hatten in den letzten Jahren einen hohen Blutzoll gezahlt, aber ihre Macht war auch unter dem Schwarzen General ungebrochen, denn ihr Gold war das Blut, das die Adern der Stadt pulsieren ließ. In keiner anderen Stadt lagen Elend und Pracht so eng nebeneinander wie in Al’Anfa, in keiner anderen Stadt konnte man so hoch aufsteigen und so tief fallen. Und keine andere Stadt war so großzügig und zugleich so grausam.
Esmeraldo sog die salzige Luft tief in die Lungen, und er spürte, dass er lächelte. Heimat. Hier war alles möglich. Seine Stadt, sein Spiel, und es würden seine Regeln sein, nach denen er es zu gestalten gedachte. Mit Goldos Wohlwollen und der Protektion des Schwarzen Generals gab es nichts, was ihn aufhalten konnte.
***
Die Sonne neigte sich bereits über die Gipfel des nahen Regengebirges, als Esmeraldo sein Ziel erreichte. Gran Paligana war nicht ohne Grund die Lieblingsplantage Goldo Paligans. Natürlich diente der Ort in erster Linie dem Anbau von Arangen, einer jener Waren, die im Norden gute Preise erzielten und Al’Anfas Wohlstand begründeten. Daneben war die Plantage aber auch Oase und Refugium des Familienoberhaupts der Paligan. Vier Schritt hohe, strahlend weiß getünchte Mauern umgaben das innere Areal, in dem sich inmitten einer großzügigen Gartenanlage das Herrenhaus und die Quartiere der Haussklaven befanden. Der Duft von Amarant, Magnolien und Kakaobäumen lag in der Luft, und aus der Ferne drangen die leisen Klänge einer Laute. Die Villa selbst war im spätbosparanischen Kolonialstil gehalten, ein eingeschossiges, weitläufiges Gebäude, das verschiedene schattige Innenhöfe und Gärten umschloss und angenehme Kühle versprach. Mächtige Säulen beherrschten die Fassade und trugen ein Relief aus vergoldetem Marmor, das bedeutsame Vertreter des Hauses Paligan zeigte. Herrlich und stolz, teils mit dem Säbel in der Hand, teils als Kauffahrer und Ratsherren näherten sie sich dem zentral gesetzten göttlichen Raben. Ohne das Knie zu beugen, wie Esmeraldo wieder einmal feststellte, als die Sänfte endlich zum Stehen kam und ein dicklicher Sklave herbeisprang, um ihm beim Aussteigen zu helfen. Es war Goldos Botschaft, die jedem Besucher deutlich entgegensprang: Ein Paligan kniete nicht, er hielt den Stürmen stand, oder er ging unter.
Esmeraldo straffte die Schultern. Die drückende Schwüle und das stete Schaukeln der Sänfte hatten ihm Kopfschmerzen beschert, und seine Kleidung klebte unangenehm am Körper. Es war Zeit, sich seinem Großonkel zu stellen.
»Ich nehme an, Don Goldo erwartet mich?«, wandte er sich an den Sklaven.
»Natürlich. Er befahl mir, Euch zu ihm zu bringen.« Der Sklave zeigte ein dienstfeiles Lächeln und hob dann die Hand, als Khaya ihnen folgen wollte. »Nur Euch. Eure Sklavin wird anderswo benötigt.«
»Benötigt?« Esmeraldo runzelte die Stirn, als sich auf einen Wink des Sklaven hin zwei Gardisten aus dem Schatten der Säulen lösten, um Khaya in die Mitte zu nehmen. »Wenn ich mich recht erinnere, hat Don Goldo sie mir damals zum Geschenk gemacht.«
»Das ist richtig. Ihr werdet sie wiedersehen.« Das Lächeln des Sklaven blieb ebenso höflich wie glatt. »Wenn Ihr mir folgen würdet? Don Goldo schätzt es nicht zu warten.«
Und Esmeraldo schätzte es nicht, wenn andere über sein Eigentum verfügten. Doch der Gedanke, wegen einer Sklavin einen Bruch mit seinem Großonkel in Kauf zu nehmen, war grotesk. Brüsk wandte er sich ab und folgte dem Sklaven ins Innere des Anwesens.
Der dickliche Mann führte ihn durch ein Atrium mit blumenbekränzten Säulen, vorbei an einem Marmorbecken, in dem buntschillernde Fischchen umherflitzten. Die Musik, die er zuvor schon vernommen hatte, drang nun deutlicher an sein Ohr, untermalt von den betörenden Klängen eine Kabasflöte, die sich im harmonischen Spiel mit einer glockenhellen Stimme verband. Schließlich gelangten sie in einen Garten, der von einem weiteren, weitläufigen Säulengang umgeben war.
Der Sklave gab Esmeraldo mit einer Geste zu verstehen, dass er warten sollte, und eilte zu einem Pavillon aus vergoldeten Mohagonistreben, der sich auf einer Marmorterrasse erhob. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann kehrte er zurück. »Don Goldo ist bereit, Euch zu empfangen. Bitte folgt mir.«
Esmeraldo nickte knapp. Die Spannung war inzwischen einer gewissen Ungeduld gewichen. Zielstrebig schritt er auf den Pavillon zu – und hielt verblüfft inne.
Er hatte ein weiteres Schauspiel paliganscher Prachtentfaltung erwartet, vielleicht einen Thron, von dem aus der Großartige ihn huldvoll zu sich winkte, vielleicht einen Diwan und ein halbes Dutzend halbnackter Sklaven und zahmer Geparden, vielleicht einen Kreis erlauchter Persönlichkeiten, zu dem ihm Goldo großzügig Zugang gestattete. Stattdessen war der Pavillon von fast schon erschreckender Schlichtheit. Ein einzelner Tisch mit einer Karaffe gekühlten Limonenwassers stand dort, ein seidenbezogener Hocker und ein Ständer mit verschiedenen Jagdwaffen.
Sein Großonkel stand in der Mitte des Pavillons und hielt die Arme ausgebreitet, während zwei Sklaven um ihn herumhuschten und eine lederne Weste mit passender Schärpe zurechtzupften. Goldo Paligan war eine hochgewachsene, massige Gestalt, ohne dabei übermäßig fett zu wirken. Das blonde Haar war an den Schläfen ebenso ergraut wie der feingestutzte Bart, der ein ehemals markantes, nun vom Alter und gutem Leben gezeichnetes Gesicht umrahmte. Als junger Mann musste Goldo einmal gut ausgesehen haben, doch Satinav, der unerbittliche Herr der Zeit, forderte seinen Tribut. Auch, wenn Esmeraldo wusste, dass der Großartige bereits das siebte Lebensjahrzehnt erreicht hatte, war er einen Herzschlag lang überrascht, wie sehr Goldo in den vergangenen Jahren gealtert war. Doch dann drehte sich der Grande zu ihm um, und als sein Blick ihn traf, erkannte Esmeraldo, dass der Verfall allenfalls die vergängliche Hülle betraf. Klar und aufmerksam sahen ihm die wasserblauen Augen entgegen und maßen ihn mit interessiertem Blick.
»Esmeraldo.« Goldos Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln. »Wir hatten fast nicht mehr mit Euch gerechnet.«
»Don Goldo.« Esmeraldo neigte den Kopf, nicht zu tief, aber ausreichend, um Respekt anzudeuten. »Verzeiht die Verzögerung, aber ich erwartete Euch eigentlich in Al’Anfa. Hätte ich gewusst, dass Ihr mich hier empfangt, hätte ich sicher ein Pferd bereitstellen lassen.«
»Ihr seid früh genug.« Goldo winkte ab und hob einen Arm, damit der Sklave die Schärpe zurechtrücken konnte. »Die Überfahrt verlief zu Eurer Zufriedenheit?«
»Gewiss. Die Paligana Septima ist ein gutes Schiff, die Capitana fähig, und ich hatte angenehme Gesellschaft. Die ich inzwischen jedoch vermisse.«
»Die kleine Khaya.« Goldo lächelte milde. »Sie gefällt Euch?«
»Durchaus. Ich bin allerdings etwas verwundert, dass Eure Leute angewiesen wurden, sie ...«
Goldo unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Ihr werdet sie wiedersehen. Außerdem vergeht Ihr wahrscheinlich vor Ungeduld zu erfahren, weshalb Wir Euch von Euren ohne Zweifel wichtigen Aufgaben in Sylla losreißen und hierherkommen ließen.«
Sein Großonkel kam ungewöhnlich schnell zur Sache. Esmeraldo runzelte die Stirn, während er sich noch fragte, welche Finte nun wieder dahinterstecken mochte. Eigentlich hatte er erwartet, zu einer netten Plauderei bei einem Glas Wein geladen zu werden, bei dem man zunächst die üblichen Belanglosigkeiten austauschte, ehe man langsam zu den interessanten Themen kam. Offensichtlich gedachte Goldo das übliche Vorgehen zu beschleunigen.
»Wir sehen, die Frage beschäftigt Euch bereits.« Goldo schmunzelte und nahm dem Sklaven einen silbernen Dolch ab, um ihn sich unter die Schärpe zu schieben. »Ihr sollt eine Antwort erhalten. Man sagte Uns, Ihr seid ein guter Jäger. Jemand, der eine Beute nicht wieder loslässt, wenn er sie einmal gepackt hat. Allerdings sind Wir bei solchen Geschichten nie sicher, ob es sich nicht um die klassische Übertreibung willfähriger Sklaven handelt oder ob ihnen tatsächlich mehr als ein Funken Wahrheit innewohnt. Wir wollen es herausfinden! Ihr begleitet Uns doch sicher zur Jagd?«
»Zur Jagd?« Esmeraldo blinzelte einen Moment lang irritiert. Doch dann verstand er. »Es ist mir ein Vergnügen, Don Goldo«, antwortete er mit fester Stimme. »Verratet Ihr mir, was wir jagen werden? Es wird in Kürze dunkel.«
»Unsere mohische Amme erzählte immer, die Nacht sei die beste Zeit für große Jäger.« Goldo scheuchte die Sklaven mit einer Handbewegung fort und trat an den Waffenständer heran, um eine der Armbrüste herauszunehmen. »Lassen wir uns überraschen, ob sie Recht hat. Nehmt das hier und macht Euch damit vertraut.« Er drückte Esmeraldo die Waffe in die Hand. »Wir erwarten schließlich einen sicheren Schuss.«
Esmeraldos Finger schlossen sich um das glatte Holz der Armbrust. Es war eine hervorragend gearbeitete Waffe, etwas schwer, aber handhabbar, wenn er sie etwas abstützte. Er fuhr probeweise die Vertiefung entlang, die den Bolzen führte. Keine Unebenheit, nichts, was den Flug ablenken würde. »Ich neige nicht dazu, meine Beute davonkommen zu lassen. Dennoch bin ich gespannt zu erfahren, was das Ziel dieser Jagd sein wird. Wünscht Ihr ein neues Tigerfell für Euer Schlafgemach?«
»Firun bewahre! Solche Felle haben meist nur unschöne Löcher. Nein, eine Beute sollte selbstverständlich lohnenswert sein.« Goldo trat an das Tischchen, um sich ein Glas Wasser einzuschenken. Dann griff er nach einem Kästchen, das neben der Karaffe stand, und zog eine Kette mit einem Rubinanhänger hervor. Langsam ließ er ihn zwischen den Fingern baumeln. Das Licht der tiefstehenden Sonne fing sich in dem Stein, sodass es schien, als glühe er von innen heraus in einem warmen Feuer.
»Ein hübsches Stück, nicht wahr?« Goldo betrachtete es einen Moment lang versonnen. »Ein Erbstück, angeblich zurückreichend bis in die Zeit, da Unsere Familie noch die Vizekönige von Meridiana stellte. Vergangenheit und Zukunft, königliche Macht und das, was davon übriggeblieben ist .... Eine angemessene Beute, wenn man so will. Unsere Wildhüter werden es in Verwahrung nehmen.«
»Die Jagd gilt einem Schmuckstück?«
»Nun, das wäre doch etwas langweilig.« Goldo ließ das Amulett in die Handfläche hochschnellen und schloss die Finger darum. »Schmuckstücke an sich pflegen sich nicht zur Wehr zu setzen, und die Gegenwehr ist es letztendlich doch, die eine Jagd interessant macht. Sonst könnte man ebenso gut auf ausgestopfte Papageien schießen. Nein, wir reden tatsächlich von Tigern. Erfreulicherweise halten Unsere Wildhüter einige dieser Bestien bereit. Damit haben wir eine lohnenswerte Beute und einen ebenbürtigen Gegner. Von Euch erwarten wir selbstverständlich ein beeindruckendes Schauspiel. Meint Ihr, dass Ihr dem gewachsen seid?«
Esmeraldo nickte langsam. Es war ein Spiel, das Goldo mit ihm spielte, aber er mochte den Einsatz. »Ich bin bereit. Wann werden wir aufbrechen?«
Goldo lächelte sacht. »Augenblicklich.«
Es war alles vorbereitet. Ein gutes Dutzend Treiber mit Klappern und Spießen stand bereit, dazu drei Jagdhelfer mit Zornbrechter Bluthunden. Die Tiere warfen sich in ihre Ketten, bellten aufgeregt, aber Esmeraldo wusste, dass sie bei einer Tigerjagd nur von der Leine gelassen wurden, wenn Gefahr für den Jäger drohte. Ein Tiger war ein majestätisches Wesen, das man nicht zerfleischen ließ wie ein beliebiges Stück Wild, sondern im Moment des Triumphs mit einem gut gezielten Schuss zur Strecke brachte.
Zu diesem Zweck stand auch ein Jagdelefant bereit, auf dessen Rücken eine geräumige Gondel für den Hausherrn und seinen Gast angebracht war. Zweifellos machte diese Art der Jagd den Kampf einseitiger, aber letztendlich waren solche Zweikämpfe ohnehin nur symbolischer Natur. Niemand, der klar bei Verstand war, trat zu Fuß einem gereizten Tiger entgegen, und das wusste auch ein Goldo Paligan.
Fackeln erhellten die Kulisse des nächtlichen Dschungels, als sie die Plantage schließlich verließen. Die Rufe der Treiber hallten zwischen Farnen und düsteren Urwaldriesen, gefolgt von den schweren Schritten des Elefanten, der sich langsam einen Weg durch das Unterholz bahnte. Schatten huschten umher, verschwanden im Dunkel, ehe man sie fassen konnte, dort das Keckern eines Affen, hier ein schriller Schrei, der von einem Vogel oder vielleicht auch von einem Menschen rühren konnte.
Auch Esmeraldo fühlte sich von einer seltsamen Unruhe erfasst. Aufmerksam glitten seine Augen über das Dickicht, dessen Dunkel nahezu alles verborgen halten mochte. Schon bei Tag war eine Tigerjagd nicht ungefährlich. Bei Nacht war sie unberechenbar. Dennoch verspürte er keine Angst, allenfalls gespannte Erwartung.
»Die Tigerjagd ist ein Vergnügen, für das man viel zu selten Gelegenheit hat«, drang Goldos Stimme zu ihm heran. »Dabei verrät sie uns so viel, über die Beute wie über den Jäger.« Gelassen ruhte der Großartige auf seinem Thron aus Seidenkissen, während er das Schaukeln des Elefanten scheinbar gleichmütig hinnahm. Seine Hand lag auf dem Knauf seines Spazierstocks, den er gelangweilt hin und her bewegte, als spüre er die wachsende Anspannung nicht, die über der Jagdgesellschaft lag.
»Ihr seid gespannt, was sie über mich erzählt?« Esmeraldo drehte sich nicht um. Die Armbrust ruhte locker in seinen Händen.
»Ach nein.« Der Grande lachte leise. »Wir haben keinen Zweifel daran, dass Ihr nicht zögert, wenn Euch der Tiger gegenübersteht.«
Wenn Ihr das bereits wisst, wozu dann dieser ganze Aufwand? Esmeraldo runzelte die Stirn, aber er blieb stumm. Ein Stück vor ihnen knackte etwas im Unterholz, und ein Ruf drang durch die Nacht.
»Ihr müsst wissen, mit der Tigerjagd verhält es sich wie mit den meisten Dingen im Leben«, fuhr Goldo fort. Seine beringte Hand strich über den Knauf seines Stocks. »Sie nötigt uns in einem einzigen Moment hundert Entscheidungen ab, von denen jede einzelne unser Schicksal besiegeln kann. Sie fordert, dass man handelt. Schnell, hart und konsequent.« Seine Hand hielt in der Bewegung inne, und Esmeraldo spürte wieder den Blick, der auf ihm ruhte. »Die Präfektur von Sylla war ein guter Ort, um eine Klinge zu schärfen. Hier in Al’Anfa gibt es hingegen viele Möglichkeiten, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Ungeachtet der Tatsache, wie hoch man gestiegen ist und wessen Gunst man genießt. Mögt Ihr Wein?«
Esmeraldo schüttelte den Kopf. »Ich brauche eine ruhige Hand für Euren Tiger.«
»Ach was.« Goldo lachte und schnippte mit den Fingern, woraufhin einer der begleitenden Sklaven vorsichtig einen Kelch mit Rotwein auf einer gegabelten Stange hinauf balancierte. »Unser Vater pflegte, nur dann zur Tigerjagd zu gehen, wenn er so viel getrunken hatte, dass er nicht mehr in der Lage war, seine Gespielinnen zu beglücken. Dafür traf er noch erstaunlich gut. Manche nannten ihn tollkühn, andere mutig. Wir halten Uns eher an Letzteres. Mut zählt zweifellos zu den Tugenden Unserer Familie, zumindest bei der Mehrzahl der Männer und Frauen, die den Namen Paligan tragen.«
»Das klingt, als sähet Ihr eine Ausnahme.«
»Wir sehen viele Ausnahmen.« Goldo schmunzelte und nippte an dem Wein. »Die meisten berühren Uns jedoch nicht. Nicht jeder Stier ist dazu berufen, unter dem donnernden Beifall der Arena seine Gegner in den Staub zu werfen. Manch einer taugt eher zum Decken als für die Öffentlichkeit, und wieder andere getrauen sich kaum, die Weide zu verlassen, auf der sie geboren wurden.«
Esmeraldo lachte trocken. »Und wo seht Ihr mich, Don Goldo?«
»Ihr wart in Port Corrad und Sylla, also habt Ihr die Weide bereits vor langer Zeit verlassen.« Goldo nahm einen weiteren Schluck, als wollte er seine Worte einen Moment lang sacken lassen. »Ihr seid Uns aufgefallen, Esmeraldo. Wir haben verfolgt, was Ihr in Sylla erreicht habt. Ihr seid klug und zielstrebig, und Ihr habt ein Gespür dafür, auf den richtigen Gladiator zu setzen. Eure Verbindung zu Oderin du Metuant hat Euch die Präfektur beschert, aber auf Dauer scheinen Uns Eure Fähigkeiten in diesem Piratennest doch etwas vergeudet.«
Esmeraldo nickte langsam. Wieder klang Lärm von weiter vorne, aufgeregte Stimmen und ein Ruf. Fackeln tanzten vor ihm durch die Dunkelheit und tauchten den nächtlichen Dschungel in unruhiges Zwielicht. »Ihr wollt mich an Eure Seite holen«, stellte er leise fest. »Deshalb bin ich hier.«
»Das ist durchaus möglich. Allerdings haben Wir mit vorschnellen Entscheidungen schlechte Erfahrungen gemacht. Uns scheint übrigens, als habe man dort hinten etwas ausgemacht.« Die Ringe an Goldos Fingern funkelten, als er mit einer beiläufigen Geste in die Richtung der Treiber wies. »Unser letzter Jäger erwies sich als bedauernswert unentschlossen, obwohl seine Herkunft vielversprechend war. Man sollte eben nie den Fehler machen, von den Eltern auf den Nachwuchs zu schließen. Tatkraft wird letztendlich vom Leben selbst geformt und nicht von einer seidenbespannten Wiege vorherbestimmt.«
»Ihr sprecht von Don Amato.« Amato, natürlich. Ein weiterer Großneffe des Großartigen, entfernt verwandt, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte Goldo den jungen Mann gefördert, ihm gar einen Sitz im Hohen Rat der Zwölf verschafft. Nun gehörte er zu den engsten Vertrauten des Schwarzen Generals, und doch schien Goldo gewillt, ihn fallen zu lassen.
Esmeraldo hob die Armbrust. »Ihr braucht mich, um an seine Stelle zu treten.«
Goldo lachte leise. »Wir brauchen Euch nicht, Esmeraldo. Aber Wir sind bereit, Euch Gelegenheit zu bieten, Euch zu beweisen. Man sagt Uns vieles nach, aber sicher nicht, einen Fehler zweimal zu machen. Vor allem, wenn Wir Vergangenheit und Zukunft des Hauses Paligan in die Waagschale werfen.«