Czytaj książkę: «Der Wolfsmann»
Hans-Peter Vogt
Der Wolfsmann
(Odins warrior)
Reihe: Die Wächter des Lebens, Band 5
E-Book / Deutsche Ausgabe
© vogt multimedia verlag, Reinheim / E-Book / Ungekürzte Ausgabe
1. Auflage 2018 / Alle Rechte vorbehalten / ISBN 978-3-942652-69-8 /
Empfohlen ab 14 Jahren
Autor: Hans-Peter Vogt / Umschlagentwurf: © vogt multimedia design / Verlag: © vogt multimedia verlag, Dr. Hans-Peter Vogt, Erlenweg 18, 64354 Reinheim
Vertrieb: Libreka / erhältlich in über 1000 e-Book-Shops
Wir brauchen Phantasiewelten und die Geschichten über unsere Vergangenheit, um über das eigene Leben reflektieren zu können. Durch die Geschichte unserer Völker werden uns Werte Überliefert, die unser Denken und Handeln bestimmen
Inhaltsangabe / Index
Titel, Autor, Impressum
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Zum Vorverständnis des Buches
Kapitel 1. Ein Tag, der alles im Leben verändert
Kapitel 2. In einem fremden Land
Kapitel 3. Im Dorf der Wikinger
Kapitel 4. Kindheit bei den Nordmännern
Kapitel 5. Der Wolfsmann
Kapitel 6. Die Herzogin von Köbenhaun
Kapitel 7. Der Bote
Kapitel 8. Der Neubeginn
Kapitel 9. Märkte, Unterwerfung und Widerstand
Kapitel 10. Die Sicherung der Macht
Kapitel 11. Der Missionar
Kapitel 12. Die Rückkehr nach Berlin
Nachtrag
Anhang / Anmerkungen:
1. Die handelnden Personen im Buch und weitere Informationen
2. Was man über die Zeit der Wikinger wissen sollte
3. Drachenboote und die nordischen Mythen
4. Der Autor
Einleitung
Zum Vorverständnis dieses Buches:
Auch der Band 5 der Reihe der Wächter des Lebens handelt von der Familie und den Freunden von Leon. Der Ausgangspunkt des Buches ist das Jahr 2079. Leon ist eines natürlichen Todes gestorben, und er hat eine große Zahl an Kindern, Enkelkindern und Urenkeln hinterlassen. Eines dieser Urenkelkinder ist Alf, der mit vollem Namen Alvarez heißt. Es ist ein mexikanischer Name, der aus der Heimat seiner Großmutter stammt. Alf ist der jüngste Sohn von Elvira. Alfs Vater ist Rochen, der die Sicherheitsabteilung der großen Firmengruppe leitet, die Opa Leon in Europa seinen Enkeln hinterlassen hat.
Alf ist der Hauptdarsteller dieses Buches. Er hat Urgroßvater Leon schon gar nicht mehr persönlich gekannt, und auch seinen zweiten Urgroßvater, nach dem er benannt ist, den hat er nie gesehen, aber er hat Geschichten über die Großväter gehört.
Alfs Mutter Elvira hatte von Leon und Katharina die Leitung des Musikzentrums in Berlin übernommen, also dieses riesige Zentrum vor den Toren Berlins. Es gibt hier Musik, Tanz, Kleinkunst, Theater, viele Workshops, PC-, Video- und Fotokurse. Es gibt hier eine Menge an BMX und Rollercracks. Es gibt Sportflächen und Events, zu denen Zehntausende strömen, wie zu den legendären Festspielen der Skater und der Kleinkunstakteure, die jedes Jahr im August stattfinden, in jährlichem Wechsel.
Elvira leitet nicht nur dieses Zentrum, sie hat auch noch eine geheime Tätigkeit. Sie ist die Friedensrichterin der illegalen Mächte in Europa geworden, das was man als Mafia bezeichnet, und sie nimmt diese Aufgabe sehr ernst, weil sie sich langfristig eine Kontrolle über diese Gruppen ausgerechnet hat, um sie schrittweise zu zähmen, und in die Gesellschaft wiedereinzugliedern. Sie wird dabei stets begleitet von ihrer Tante Chénoa, der Anführerin des Clans und von ihrer Cousine Solveig.
Alf, seine Geschwister, Elvira und Rochen leben zusammen mit Tante Lara im obersten Stockwerk eines der Gebäude des Zentrums.
Alf ist 2076 zur Welt gekommen, und er ist zu Beginn des Buches erst drei Jahre alt. Wie alle Mitglieder der Familie hat auch Alf diese übernatürlichen Kräfte der Familie geerbt, aber weil er noch sehr jung ist, sind die natürlich noch sehr wenig ausgeprägt. Alf fängt gerade erst an, solche Kräfte zu entwickeln. Leider passiert etwas Schreckliches und Alf wird über 1.200 Jahre zurück in die Vergangenheit geschleudert. Dass dies durch das besondere Geschick des Volkes der Cantara geschieht, davon hat Alf allerdings keine Ahnung. Er braucht das auch nicht zu wissen.
Wie schon so oft in der Familie von Leon, wird Alf bei diesem Ereignis von jenem legendären Artemis beschützt, dem Anführer der Überlebenden des Volkes der Cantara, der auch Leon vor vielen Jahrzehnten den Beginn seiner Kräfte geschenkt hat, und der in Krisensituationen immer über die Familie wacht.
Alf ist noch ein wirklich kleines Kind, als er diesen Zeitsprung macht. So richtig begreift er das Ereignis noch gar nicht. Er kommt in eine fremde Welt. Er ist jetzt scheinbar ganz ohne den Schutz der Familie und er muss sich auf sich selbst verlassen. Oh je.
Dann begreift er, dass er in eine Zeit „hineingeboren“ wurde, wo die Familie alles gilt.
Eine Zeit, die von gewalttätigen und mutigen Kriegern beherrscht wird. Eine Zeit, die von den Mächten der Natur bestimmt wird, und eine Zeit, in der die Stämme, die es damals gab, bereits einen regen Austausch von Waren und Kenntnissen betrieben.
Alf kommt in eine Zeit, in der es mächtige Götter gibt, denen diese Völker huldigen. Es ist eine Zeit von Kriegern, von Menschenopfern, und des Glaubens an übernatürliche Kräfte. Es ist eine Zeit mächtiger Stammesfürsten, von geschickten Waffenschmieden, von Sehern und Druiden, aber auch von starken und selbstbewussten Frauen.
Es ist die Zeit der Wikinger, die mit schnellen Drachenbooten die Nordmeere beherrschen und sogar bis nach Island, ins Mittelmeer, bis nach Grönland und bis nach Amerika vordringen.
Es ist eine rauhe Zeit, in die Alf da „hineingeboren“ wird, und in dieser Zeit gibt es ganz andere Moralvorstellungen als heute.
Manchmal erschreckend brutal, manchmal geprägt durch einen Moralkodex, bei dem Ehre, Vertrauen, die Sippe, oder Zuverlässigkeit eine besondere Rolle spielen. Es ist aber auch die Zeit der Leibeigenen und Rechtlosen.
Dieses Buch ist eine Zeitreise der besonderen Art. Sie geschieht nicht aus Alfs eigenem Antrieb, aber stellt euch vor, solche Zeitreisen könntet ihr mit der Kraft eures Willens möglich machen...
Diese Reise dient dazu, Alf mit besonderen Erlebnissen und Kenntnissen auszustatten.
Dieses Buch beschreibt seine Erlebnisse in der Zeit der Wikinger. Er wird selbst einer von ihnen, und er wird in dieser rauhen Gesellschaft einmal wichtige Aufgaben übernehmen.
Dies Buch beschäftigt sich mit der Gewalt, die diesem Volk innewohnt, und mit ihrer Art der Freiheit, die sie praktizieren, indem sie brennend und mordend durch die Lande ziehen. Es ist schließlich die Auseinandersetzung mit einer neuen Freiheit, die sich mit dem Entstehen „freier Handelsplätze“ entwickelt, und mit den sich unversöhnlich gegenüberstehenden Religionen der Wikinger und der Christen, die im Grenzgebiet aufeinanderprallen.
Was man über die Zeit der Wikinger wissen sollte, könnt ihr in den Anmerkungen nachlesen.
Kapitel 1. Ein Tag, der alles im Leben verändert
1.1.
Alf wacht langsam auf. Sein Gesicht ist noch halb verdeckt von der Bettdecke mit den bunten Marienkäfermustern. Durch die Ritzen der Rollos scheint schon die Morgensonne, und hinterlässt auf dem Boden und der Wand schmale lange Streifen, wie aus flüssigem Gold. Alf sieht die Helligkeit zuerst durch die geschlossenen Lider.
Er ist noch etwas benommen, dann macht er die Augen einen kleinen Spalt auf, und schielt an die Decke.
Alf hat ein Zimmer zusammen mit seiner 2 Jahre älteren Schwester Lilly, aber solche Zahlen sind für ihn noch nicht greifbar. Lilly ist die große Schwester.
Die anderen Geschwister sind Juan und Sarah, aber die haben ein eigenes Zimmer, die sind schon sieben und neun Jahre alt, aber auch diese Zahlen sagen Alf noch nichts. Er ist schließlich erst knapp drei.
Alf merkt, dass Lilly einen Schnaufer von sich gibt. Er schiebt den Kopf in ihre Richtung, und schlägt die Augen jetzt endgültig auf. Dann lässt er sich rückwärts aus dem Bett, spaziert zu Lilly, und wirft den Oberkörper auf ihr Bett.
Manchmal will Lilly ihre Ruhe haben, aber heute legt sie den Arm um Alf und meint, „komm“. Alf lässt sich das nicht zweimal sagen und kriecht zu Lilly unter die warme Bettdecke.
Es dauert nicht lange, da fangen sie an zu kichern, und Lilly bestimmt irgendwann, „lass uns mal nach Mama schauen.“
1.2.
Alf, Lilly, Juan und Sarah leben zusammen mit ihren Eltern, Elvira und, in einer kleinen Wohnung im Osten Berlins. Naja. Klein ist relativ.
Eigentlich ist es eine riesige Wohnung, die aus ursprünglich zwei Wohnungen verbunden worden war.
Alf lebt mit seiner Familie in dem kleineren Teil der Wohnung, Tante Lara lebt in dem größeren Teil der Wohnung. Dort gibt es auch eine große Küche, die von beiden Familien gemeinsam genutzt wird.
Tante Lara hat drei Kinder, aber die sind schon richtig groß. Nur Lore wohnt noch Zuhause. Sie ist jetzt 21 und studiert Elektrotechnik in Berlin.
Jens studiert in Darmstadt Maschinenbau, und Rob lebt mit ein paar Freunden in einer großen Wohnung, die Tante Helen im Osten Berlins gehört, und die viele Jahre leergestanden hatte.
Rob hatte sich schon immer für Malerei, Musik, Foto und Film interessiert, und er studiert in Berlin Film und Regie.
Von solchen Dingen hat Alf noch keine Ahnung, aber er malt gerne, und er hat viele Interessen.
Lore, Jens und Rob sind oft bei Lara und sie übernehmen manchmal auch den „Kinderdienst“, wenn Elvira und Rochen viel zu tun haben, oder sich mal zurückziehen wollen.
Lore, Jens und Rob sind für Alf große Vorbilder.
Sie können Dinge, die sind ganz unglaublich. Sie können Gegenstände durch die Luft bewegen, und Kontakt zu Alf aufnehmen, nur mit der Kraft ihrer Gedanken. Sie könnten durch den Raum gehen, und sie haben Alf und seine Geschwister schon ein paar mal mit nach Peru, nach Mexiko, in die USA und nach Wittenberge genommen.
Überall dort hat die Familie ihre „Stützpunkte“.
Man trifft sich, man redet, man lacht, und man übt sich in den übersinnlichen Kräften der Familie.
Alf wächst in diese Familie hinein. Auch wenn er in der Großstadt lebt, so kennt er inzwischen viele Tiere. Hunde, Pferde, Kaninchen, Greifvögel und vor allem Mäuse und Ratten. Tante Lore hatte ihn schon ein paar Mal mitgenommen in die „Berliner Unterwelt“. In den U-Bahntunneln und Schächten unter Berlin leben viele Ratten, und Alf hat bereits gelernt, sich mit ihnen zu unterhalten.
Auch wenn es in Berlin kaum wildlebende Tiere gibt, so gibt es in Berlin doch viele Hunde und Katzen, Vögel in Käfigen, und manche Leute halten sich Spinnen oder Krokodile in der Wohnung. natürlich gibt es auch in Berlin viele wildlebende Tiere, die den Gattungen der Vögel, der Insekten, Käfer und Spinnen angehören, aber das zählt nicht.
In der Nähe der Wohnung von Alf gibt es viel Wald. Dort gibt es sogar Kaninchen, Rehe, Eulen und Wildschweine. Auch zu diesen Tieren hat Alf schon gelernt, Kontakt aufzunehmen. Die Verständigung klappt wirklich gut.
1.3.
Mama ist ein Wunder. Sie ist wie alle Mütter, aber Mama hat diese besonderen Fähigkeiten der Familie, diese Schwingungen und Energieströme, mit denen man sich über große Strecken verständigen kann, ganz ohne Telefon. Auch Alf lernt das von ihr. Ganz langsam, denn das ist höllisch schwer. Es sind nur erste Anfänge. Ein intuitives Erfassen dieser Ströme von Energie.
Seine Geschwister sind darin viel besser, ab er die sind schließlich schon groß.
Alf weiß auch schon, dass Mama irgendetwas zu tun hat mit diesem riesigen Zentrum der Musik, das sich unter der Wohnung ausbreitet, in der er lebt.
Dieses Zentrum bestimmt auch das Denken und Handeln von Alf. Es gibt dort eine Krabbelgruppe, und es gibt einen Kindergarten. Sie haben in einem der Innenhöfe einen großen Spielplatz, und es gibt dort Kaninchenställe und richtige Hühner. Die werden von den größeren Kindern versorgt, aber natürlich haben die ganz Kleinen Kontakt zu diesen Tieren. Mama hat das vor ein paar Jahren angestoßen, damit die Kinder dieses besondere Verantwortungsgefühl im Umgang mit Tieren schon von Kleinauf lernen.
1.4.
An diesem Vormittag gehen Alf und Lilly hinüber zu Mama und Papa. Lilly hat angeklopft. Das ist in ihrer Familie so üblich. Manchmal wollen Mama und Papa auch alleine sein, aber an diesem Morgen hat Mama gerufen „kommt rein“, und sie legen sich zu Mama und Papa ins Bett, schmusen ein bisschen, erzählen, lachen und balgen, wie sie das oft zusammen tun.
Schließlich steht Mama auf und sie meint, jetzt sei Frühstückszeit.
Juan und Sarah sind schon auf. Sie haben sich schon gewaschen und schon angezogen, und sie stehen jetzt in der Küche und decken gerade den Tisch. Sie wissen schon, wie man das macht.
Mama hat gar nicht mehr so viel Arbeit mit dem Frühstück. Es wird noch Kaffee gekocht und Toastbrot geröstet. Mama kontrolliert alles noch mal, und Papa kommt frisch rasiert aus dem Bad.
Er duftet nach Rasierschaum, wie immer, und er ist schon angezogen. Er wird bald das Haus verlassen, denn es gibt heute frühe Termine. Was das ist, davon Alf keine Ahnung.
Mit knapp drei Jahren hast du eine Wahrnehmung die fern von solchen Dingen liegt. Also krabbelt Alf zu Papa auf die Eckbank, legt seine Ärmchen um seinen Hals und schnuppert an der frisch rasierten Wange. Alf liebt diesen Geruch.
1.5.
Heute bringt Mama Alf und Lilly in die Kindereinrichtung. Juan und Sahra machten sich auf den Weg zur Schule. Sie fahren mit dem Bus und mit der U-Bahn.
Auch Mama verabschiedet sich heute schnell. Sie liebt diese Ruhe am Morgen, wenn die Hektik des Betriebs noch nicht ausgebrochen ist. Dann kann sie in Ruhe Akten studieren, Gespräche mit Lieferanten führen, und frühe Sitzungstermine wahrnehmen. Solche Dinge gibt es oft. Mama ist in vielen wichtigen Ausschüssen und Gremien vertreten. Handelskammer, Gesundheitskammer, Ausländerkammer, lauter solche Dinge. Für Alf sind das Themen, mit denen er sich noch nicht beschäftigen muss.
Für ihn zählen andere Dinge. Die anderen Kinder in der Krabbelgruppe, die Erzieher, die Kaninchen, die große Halle im Zentrum, in der „Aysas Imbiss“ liegt, der seit einigen Jahren von ihrer Enkelin Senay geführt wird. Dort gibt es alle möglichen leckeren Dinge. Seit vielen Jahren bekommt man dort auch regelmäßig frisch gepresste Säfte aus Obst und Gemüse. Es gibt Bananen- und Schokomilch, Erdbeermilch und viele Obstspeisen, mit Quark und Joghurt. Es gibt verschiedene Käsesorten, Hammelfleisch, Meeresfrüchte und natürlich Teigwaren in jeder Form. Türkische Pizza, Fladenbrot, süßes Gebäck, Nudeln, Tagliatelle, Spaghetti. Senay hatte längst auch italienische, spanische und griechische Spezialitäten im Programm. Es gibt frische Feigen und Oliven, gefüllte Paprika und allerlei Soßen, süß und salzig, scharf und mild, und sogar süße Pfannekuchen mit Apfelmus, Reibekuchen, geschmorte Äpfel in Schokoladenguss, und Waffeln mit Puderzucker. Alf liebt das.
Senay hat mit der Krabbelgruppe und mit dem Kindergarten einen Liefervertrag. Sie sorgt für das Frühstück und das Mittagessen. Es gibt aber auch einen Vertrag mit dem Metzger und dem Bäcker im Zentrum. Das Essen in der Kindereinrichtung ist vielseitig.
Jedenfalls ist Alf oft bei Tante Senay im Imbiss.
Er liebt Senay, und er wird stets bevorzugt behandelt. Nun, vielleicht nicht übertrieben bevorzugt, aber als Sohn der Leiterin des Zentrums, und als Sohn des Leiters der Sicherheitsabteilung, hat er natürlich eine bevorzugte Stellung.
Manchmal ist er mit den Geschwistern oder mit Mama oder Tante Lara bei Tanz- oder bei Musikproben. Manchmal kommt Lore mit, manchmal Rob. Es gibt im Zentrum auch Verkleidungskünstler, Stelzenmänner, Zauberer und Pantomimen, und eine Einradfahrergruppe.
Sie besuchen die Kindergruppe oft, und es gibt Vorführungen. An manchen Tagen werden die Kinder angemalt wie Clowns oder Tiger, Katzen oder Bären. Es gibt Verkleidungen und kleine Theaterstücke. Sie singen. Es gibt kleine Trommeln und Klangstäbe, Triangeln, Glöckchen und Rasseln, und es wird vorgelesen und gebastelt, manchmal mit Knete, manchmal mit Phimo, manchmal mit Papier. Natürlich gibt es Holzbausteine, Duplo und Lego.
Alf hat schon früh gelernt, dass er ein Teil der Gruppe ist. Nicht nur ein Teil seiner Familie, sondern auch der Kindergruppe und der großen Gruppe im Musikzentrum.
Manchmal nutzt er die Stellung aus, die er als Sohn der großen Chefin hat, aber er hat schnell gelernt, dass die vielen Menschen im Servicebereich des Zentrums angewiesen worden waren, dass Regeln eingehalten werden müssen.
So etwas wie Starallüren oder vordrängeln wird nicht geduldet. Mama sagt stets. „Wir leben hier. Die Menschen hier im Zentrum, das ist unsere Familie. All die vielen Kids sind so etwas wie eure Schwestern und Brüder, aber weil ich das Zentrum leite, habe ich eine große Verantwortung. Ich bin der Diener all dieser Kids. Wir haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich hier alle wohl fühlen. Nicht nur ich und nicht nur Papa. Auch ihr habt diese Verantwortung. Vergesst das nie.“
So war Alf schon früh in diesem Bewusstsein aufgewachsen, der Diener all dieser Menschen zu sein, auch wenn er stets spürt, dass er etwas Besonderes ist, und dass immer jemand da ist, wenn er Hilfe braucht.
Auch wenn er Teil der Kindergruppe ist, so gibt es manchmal Meinungsverschiedenheiten und Streit. Das ist so, wenn Kinder zusammen aufwachsen. Die Erzieher sind aber immer zur Stelle. Sie mischen sich nicht immer ein, Kinder müssen schließlich lernen, Konflikte untereinander zu lösen, aber die Gemeinsamkeiten sind um vieles größer als die Konflikte. Es gibt einfach auch so viel Interessantes zu tun. Manchmal holen sie vorsichtig die Eier ins Haus, die von den Hühnern gelegt werden. Sie werden dann gekocht oder gebraten, oder auch in die Suppe gerührt. Es gibt eine große Küche. Manchmal werden kleine Kuchen gebacken, manchmal Fischstäbchen oder Kartoffeln gebraten. Senay bringt manchmal nur die Rohzutaten, und die Erzieher und die Kinder matschen sich ihr eigenes Essen. Es wird aber auch gebastelt und gemalt, vorgelesen und getanzt.
Manchmal werden die beiden Kindergruppen zusammengeführt, die Großen und die Kleinen.
Schließlich gibt es einen Ruheraum, wo man mittags schlafen kann. Manchmal liegt einer der Erzieher mit ihnen in diesem abgedunkelten Raum auf den großen Polstern, und summt oder singt leise.
Alf hat gelernt, dass das Leben behütet ist. Wenn er dann abends von Mama oder Papa abgeholt wird, oder mit den Geschwistern nach Hause geht, dort ins oberste Stockwerk des Musikzentrums, dann ist immer die engste Familie für ihn da. Er kann auch immer zu Tante Lara hinüber in die andere Wohnung gehen, und die Küche ist der gemeinsame Mittelpunkt aller.
1.6.
An diesem Vormittag sieht Alf zuerst nach den Hühnern und nach den Kaninchen. Die Hühner haben Küken bekommen. Über Nacht hatten sich einige schon durch die Schale gepickt, andere tun das gerade eben und das ist für die Kinder richtig spannend. Die Küken sind noch richtig nackt, nur bedeckt von einem kaum sichtbaren Flaum.
Die Henne ist wie eine Glucke und passt auf ihre Küken auf. Die Kinder sehen und staunen.
Auch die Kaninchen haben Junge. Die sind aber schon so groß, dass man sie anfassen kann. Man kann sie vorsichtig mit den Händen aufnehmen und in die Arme nehmen. Das ist gar nicht so einfach. Die Koordination der Gliedmaßen ist in diesem Alter noch nicht so richtig ausgebildet.
Die Kinder müssen höllisch vorsichtig sein, um den kleinen Kaninchen nicht weh zu tun, und fallen lassen darf man sie auch nicht.
Alf hat da große Vorteile. Es ist jetzt nicht so, dass er ganz bewusst in die Tiersprache wechseln kann. Da ist so etwas, wie ein innerer Antrieb, eine innere Steuerung, die ihm hilft, den Kontakt zu den Tieren herzustellen. Auch heute ist das so.
Er kniet sich einfach vor dem Stall auf den Boden und breitet seine Handflächen aus. Er beginnt, leicht zu summen. Das weitet sich zu einem Art Brabbeln aus, und die kleinen Kaninchen spitzen die Ohren. Die Kaninchenmama kommt auf ihn zu und beschnuppert seine Hände. Dann kriecht das erste Kaninchenjunge auf seine offene Handfläche und kuschelt sich dort in die Kuhle aus Ballen und Fingerspitzen, wie in ein Nest. Alf ist vorsichtig. Er nimmt das Kaninchen nicht hoch. Er lässt es in seiner Handfläche sitzen.
Schließlich setzt er das Junge vorsichtig wieder ins Stroh zurück.
Moni, die neben ihm steht, fragt, ob er ihr das Kaninchen einmal geben könne, und Alf sagt in seiner kleinkindlichen Sprache sinngemäß, „ja, schon, aber es ist besser, wenn die Kaninchen erst einmal den Geruch der Mutter in der Nase haben. Wenn wir das machen, dann musst du sehr vorsichtig sein.“
Die Erzieher kennen schon diese Fähigkeit von Alf, aber selbst Worte, die er gebraucht, die sind altersuntypisch. Alf gibt Moni das Junge vorsichtig in die Arme, und er setzt es später zurück ins Stroh. Er sieht die Erzieher und die Kinder seiner Gruppe mit einem ernsten Rundumblick an und meint. „Wirklich, wir sollten noch ein paar Tage warten. Die Kaninchen sind zu jung.“
Später spielen sie Kaninchenhüpfen und Fangen, und sie singen ein Kaninchenlied. Zum Frühstück beschließen sie, zusammen zu Aysas Imbiss zu gehen. Zu dieser Tageszeit ist noch nicht viel los in der großen Halle und die Bedienung hat Zeit für die „Knirpse“, wie die Kinder manchmal bezeichnet werden.
Heute soll zum Frühstück eine Gruppe aus Künstlern kommen, die im Zentrum proben. Es würde ein wunderbarer Vormittag werden.
An diesem Vormittag wird die Halle unvermutet voll. Es war der letzte Schultag. Es gibt große Ferien, und viele Kids aus Berlin haben sich schon eingefunden. Skater und Musiker, BMX’ler und Musikinteressierte.
Nach dem Frühstück zieht sich die Kindergruppe in eine der Nischen in der großen Halle zurück.
Die Straßenkünstler beginnen mit ihrer Vorstellung. Die Kinder kennen sie schon, aber es ist immer wieder interessant, und die Gruppe bezieht die Kinder immer wieder in ihr Spiel ein, manchmal in Zauberkunststückchen, manchmal in Purzelbäume oder Überschläge, Stelzenlaufen oder Ballspiele.
Auch viele der anderen Kids stehen jetzt um sie herum, lachen, klatschen und wechseln Worte.
Für die Erzieher wird die Situation langsam unübersichtlich, weil sich Besucher, Akteure und Kinder immer mehr mischen, aber sie sind hier „auf heimischem Boden“, es ist undenkbar, dass hier etwas passieren würde.
1.7.
Alf fühlt einen kleinen Stich im Nacken, dann wird er urplötzlich schläfrig. Er spürt noch, wie er von starken Armen aufgefangen wird, und sieht über sich verschwommen das Gesicht eines Clowns.
Die Menge bekommt gar nicht mit, wie sich dieser Clown herumdreht und mit Alf das Gebäude verlässt. Nach wenigen Schritten hat er einen Teil seines weiten Mantels um Alf geworfen, der unter diesem Tuch verschwindet. Alf wird in ein Auto getragen, das sich in Bewegung setzt und aus Berlin hinausfährt.
Alfs Verschwinden wird erst zehn Minuten später entdeckt, als einem der Akteure auffällt, dass eines der Kinder fehlt. Er sieht sich um, dann geht er zu einem der Erzieher und stupst ihn an.
„Ruf doch mal deine Kids zusammen. Ich habe den Eindruck, da fehlt jemand.“
Drei Kinder und eine Erzieherin fehlen. Die Erzieherin und zwei der Kinder kommen aber bald zurück. Sie sind auf dem Klo gewesen. In diesem Alter dauert das manchmal ein wenig länger. Alf fehlt.
Das ist ungewöhnlich. Alf entfernt sich zwar manchmal aus der Kindergruppe, aber er war ermahnt worden, sich abzumelden, wie alle Kinder, und er tut das auch.
Die Suche wird ausgeweitet und eine der Bedienungen von Aysas Imbiss findet jetzt ein zusammengeknülltes Papier im Abfalleimer für Gemüseabfälle, das dort nicht hingehört. Sie will es schon in den Papiermüll stecken, da faltet sie das Papier, wie aus einer Art innerem Antrieb auseinander, und runzelt die Stirn.
Dort steht in ausgeschnittenen bunten Lettern: „Alf ist weg. Das kostet euch 100 Millionen.“
Sie bringt den Zettel sofort zu Senay und die schaltet schnell. „Keine weiteren Fingerabdrücke“, bestimmt sie, und greift zum Telefon.
1.8.
Fünf Minuten später steht Elvira neben ihr, und lässt sich die Situation erklären. Sie nickt. Sie alarmiert Rochen und die Sicherheitsabteilung.
Rochen lässt sich das Papier mit einer Pinzette in ein Plastiksäckchen stecken, und alarmiert die Polizei.
Dann werden die Kinder, die Erzieher, die Zuschauer und die Akteure befragt. Niemand hat etwas gesehen.
Rochen geht hinüber in den Videoüberwachungsraum und lässt die Bänder zurücklaufen. Auf einem der Bänder ist zu sehen, wie ein ungewöhnlich unförmiger Clown das Gebäude in Richtung der Parkplätze verlässt. Da es keine Außenkameras gibt, gibt es dort keine weiteren Bilder.
Als die Kripo eintrifft, werden weitere Befragungen und Ermittlungen vorgenommen, dann verabschiedet sich Elvira. Sie hat jetzt ein paar dringende Gespräche zu führen.
Das ist nun etwas, wobei sie die Beobachtung der Polizei nicht gebrauchen kann. Elvira nimmt Kontakt zu den Leitern der großen Mafiaorganisationen in Berlin auf, zu den Chinesen, den Kroaten, den Italienern, den Russen und den Serben.
„Ich nehme nicht an, dass ihr mit dieser Entführung etwas zu tun habt“, sagt sie, und ich bitte euch, dass ihr eure Augen und Ohren offen haltet. Ich will mein Kind heil und gesund wiederhaben. Der Entführer hat 100 Millionen verlangt. Wenn ihr dafür sorgt, dass Alf wieder nach Hause kommt, dann werden eure Informanten einen sehr schönen Urlaub verbringen können, das verspreche ich euch.“
Diesmal schlüpft Elvira in die Köpfe der Mafiabosse. Sie sind nicht involviert. Sie wissen wirklich nichts.
Noch bevor der Polizeiapparat richtig auf Touren kommt, arbeiten schon die Mafiaorganisationen, und auch Rochens Sicherheitsgruppe an der Lösung des Problems.
Elvira versucht über ihre Energie den Kontakt zu ihrem Sohn herzustellen. Sie fühlt, dass er lebt und dass es ihm gut geht.
Sie nimmt Kontakt zu ihrer Tante Chénoa und zu ihrer Cousine Solveig auf, die beide über diese gewaltigen Fähigkeiten verfügen, Energieströme zu versenden, aber auch die schütteln den Kopf.
Sie spüren, dass es dem Kind gut geht, aber wo Alf ist, das finden sie nicht heraus.
Nach zwei Tagen kommt der erste Brief des Entführers. Er wurde irgendwo im Westen von Berlin im Briefkasten eines Backshops eingeworfen. Auch jetzt hatte niemand etwas gesehen. „Keine Polizei“, steht da, und wenn Elvira bezahlen wolle, dann solle sie in der Berliner Morgenpost eine Anzeige aufgeben, mit dem Text. „Berliner Bären lieben heiße Schokolade“. Alles andere würde sie später erfahren.
1.9.
Die Leute der Mafia strecken ihre Fühler aus.
Rochens Leute werden aktiv. Die Polizei hört sich um. Es gibt keine Spur. Es ist wie verhext. Der Staat hatte seine Überwachung längst perfektioniert. Heimlich und für die Bürger unsichtbar. Die Mafia hat sehr große Ohren und sie kennt sich in diesem Milieu aus. Rochens Leute sind geschickt und gut vernetzt. Sie kennen sich in Berlin und Umgebung wirklich gut aus, aber sie finden keinen einzigen Hinweis.
Chénoa nimmt Kontakt zu den Bossen der südamerikanischen Drogenmafia auf. Wenn es da einen Zusammenhang gäbe, warnt sie, dann würde sie das persönlich nehmen. Die Mafiabosse versichern, dass sie damit nichts zu tun haben.
Elvira versucht immer wieder, den Kontakt zu ihrem Kind herzustellen. Sie spürt, dass Alf lebt.
Sie spürt, dass er sich gegen den Entführer wehrt, aber seine Energieströme sind viel zu schwach, dass sie hätte herausfinden können, wo er sich gerade aufhält.
Nur Artemis weiß, wo Alf steckt, denn einer der Cantara sitzt in Alfs Kopf, aber Artemis tut nichts.
In diesem Stadium scheint es nicht notwendig, Alf zu schützen, oder der Familie zu helfen.
1.10.
Als Alf aus seiner Betäubung wieder aufwacht, ist er in einem leeren und ziemlich verwahrlosten Raum. Es gibt eine Matratze und eine Decke. Vor ihm steht ein Tablett mit einem Teller Müsli und eine Flasche Wasser. Es gibt ein Oberlicht, das nur Dämmerlicht in den Raum durchlässt, und es gibt eine Tür mit einem Spion. Es gibt ein „Töpfchen“ aus Emaille, eine Rolle Klopapier, und es ist so still, dass es schon fast unheimlich ist.
Alf ist alleine. Er ist nicht gefesselt, und seine Augen, Ohren und der Mund sind auch nicht verbunden.
Er setzt sich auf, studiert seine Umgebung, versucht sich zu erinnern, und steht dann auf, um gegen die Stahltür zu hämmern.
Es klingt dumpf, fast lautlos. Irgendwo gibt es eine Art Hall. Dann schreit Alf, aber da ist nichts.
Kein Laut, keine Reaktion.