Czytaj książkę: «Sepp Kerschbaumer», strona 5

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Die Haltung der Amtskirche

Früher als in der Südtiroler Volkspartei brach im kirchlichen Lager der Streit über die Linie aus, die in der Südtirol-Politik einzuschlagen war. Unterm Faschismus hatte sich die Kirche in Südtirol große Verdienste um die Verteidigung des kulturellen Eigenlebens erworben. Sie war nicht nur Kompass in rein kirchlich-religiösen Fragen gewesen, sondern auch in nationalen Belangen. Da sich die Situation nach dem Krieg nur graduell, aber nicht substanziell besserte, konnte man erwarten, dass die Kirche auch jetzt für Recht und Gerechtigkeit eintrete. Diese Hoffnungen wurden zunächst auch erfüllt. Kanonikus Michael Gamper nahm sich kein Blatt vor den Mund, wenn es galt, Fehlentwicklungen aufzuzeigen und Unrecht anzuprangern. Sein Oberhirte, Bischof Carlo De Ferrari in Trient, sah dies zwar nicht gerne, scheute sich aber, Gamper kaltzustellen oder irgendwelche Maßregeln gegen ihn zu ergreifen. Mit Bischof Johannes Geisler in Brixen wusste sich Gamper eines Sinnes. Zum 40-jährigen Priesterjubiläum im Jahre 1948 sprach ihm Geisler für die „vorbildliche Pressetätigkeit“ seine „vorbehaltlose Anerkennung“ und seinen Dank aus. „Durch Ihre vielfache Tätigkeit, besonders aber durch Ihre erfolgreiche Journalistik, die Sie durch unbestechlichen Gerechtigkeitssinn, heiße Liebe zum Volke und persönlichen Mut auszeichnet, haben Sie unter anderem auch dem ganzen Lande unschätzbare Dienste erwiesen. Die katholische Luft, die in unserem Lande weht, kommt zum Teil auch aus Ihrem katholischen Blatt ‚Dolomiten‘.“73

Johannes Geisler starb aber am 5. September 1952. Und dann trat eine Wende ein. Sein Nachfolger Joseph Gargitter hielt die nationale Linie für einen Irrweg. Er schlug sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit auf die Seite der alten, in ethnischen Fragen kompromissbereiten SVP-Führung. Den katholischen Organisationen sprach er die Aufgabe zu, Hauptträger der Verständigung zwischen den Volksgruppen zu sein und so ein Überschwappen der nationalen Leidenschaften in die jeweiligen Lager zu verhindern. Erst recht war es ihm ein Anliegen, die Geistlichkeit aus dem Parteienstreit herauszuhalten. Da war ein Zusammenstoß mit Michael Gamper fast unvermeidlich. Gamper gehörte jener Priestergeneration an, die die Ansicht vertrat, dass der Priester dem Volk in schweren Zeiten Führer und Orientierung sein müsse.

So trat er auch energisch gegen Versuche auf, die Südtiroler Volkspartei aufzuspalten oder sie durch Leisetreter und Aufweichler zu unterwandern. Diese Gefahr zeichnete sich Anfang März 1953 ab. Michael Gamper setzte sich in den Dolomiten mit einigen orakelhaften Nachrichten des L’Adige und des Alto Adige auseinander.74 Ihren Andeutungen war zu entnehmen, dass der ladinische Rechtsanwalt Natale Dander der SVP beitreten und auf ihrer Liste für die Parlamentswahlen kandidieren wolle.75 Das wäre an sich kein Unglück gewesen. Aber es ging um viel mehr, es ging, wie der Alto Adige zu verstehen gab, um die Einschaltung von Männern, die sich auf das richtige Geleise loyaler und offenherziger Mitarbeit begäben, die entschieden für eine Zusammenarbeit einträten und so eine neue positive Ära eröffneten. Anders und klar gesagt: Es ging darum, die SVP von innen her aufzuweichen und womöglich aufzuspalten. „Merkwürdige Methoden“, meinte Michael Gamper – und zog sich dadurch den Zorn des Bischofs zu. Hinter dem Manöver stand nämlich die Democrazia Cristiana und noch weiter dahinter Bischof Joseph Gargitter. In seinem Schreiben vom 5. März 1953 ließ er seinem Unmut über Gamper freien Lauf: „Bei dieser Gelegenheit erfülle ich die unangenehme Pflicht, Sie von meiner Sorge und Unzufriedenheit darüber in Kenntnis zu setzen, dass Sie in Ihrem Blatte ‚Dolomiten‘ der Volkspartei gegenüber für die christlichen Anliegen nicht entsprechend eintreten. Durch den oben erwähnten Artikel hat sich der schon seit Jahren gehabte Eindruck wesentlich verstärkt, daß Sie das christliche Anliegen zu sehr hinter das nationale zurückstellen. Indem ich Ihnen hierüber mein Bedauern ausspreche, muss ich mit Nachdruck betonen, daß ich diese Haltung unmöglich hinnehmen kann und daß bei Beibehaltung dieser Haltung die Distanzierung des Bischofs und des Klerus von Ihrem Blatte unausweichlich ist.“76 Michael Gamper war einiges gewohnt und hielt auch einiges aus, aber dieser Schlag verletzte ihn zutiefst. In einem langen Schreiben legte er dem Oberhirten seine Auffassung von der Aufgabe des Priestertums dar: „So wie der Priester sich auch um die soziale Not seiner Schutzbefohlenen zu kümmern hat, so muß er auch um die nationale Not seiner Schutzbefohlenen bekümmert sein um der Gerechtigkeit und christlichen Liebe willen. Vielleicht spüren wir Älteren, die wir von den Anfängen unserer gegenwärtigen Lage her miterlebt haben und miterlitten haben, was unser Volk alles an idealen Gütern verloren hat, zu denen zweifellos auch die der nationalen Eigenart und des Volkstums gehören, diese nationale Not stärker als die Jüngeren, die diesen Zustand schon als etwas Gegebenes, wenn nicht gar Selbstverständliches vorgefunden haben.“77 Doch der Bischof blieb unbeugsam: „Ich kann nur noch einmal bitten und warnen: der Weg, den Sie beschritten haben, ist für den Priester und Christen nicht gangbar.“78 Wenn der Kanonikus auch unter Gargitters Verdikt schwer litt, so hatte er wenigstens die Genugtuung, dass sich das Intrigenspiel um die Kandidatur Danders in Luft auflöste.79

Bischof Gargitter wollte offensichtlich seine in Rom gewonnenen Erfahrungen in Südtirol anwenden. Er hatte acht Jahre im deutsch-ungarischen Collegium Germanicum verbracht, wo Leute aus zwölf verschiedenen Nationen untergebracht waren. Bei den Vorlesungen an der Päpstlichen Universität Gregoriana hatte er Männer aus über 30 Nationen kennengelernt. Diese Kontakte hatten sein Verständnis für andere Völker und Sprachgruppen geweckt und gefordert.80 Da jede Nationalität die Eigenheiten und Traditionen der anderen respektierte, kam es dort zu keinen ethnisch bedingten Auseinandersetzungen und Spannungen. Dieses Modell wollte er gewissermaßen auf Südtirol übertragen. Er scheint sich aber bald überzeugt zu haben, dass da doch enorme Unterschiede bestanden. In Rom fanden sich Leute ein, die ein höheres gemeinsames Anliegen zusammenführte. In Südtirol hingegen drückte das Staatsvolk die Minderheit an die Wand. Bei einer Audienz im September 1956 bemerkte Gargitter Papst Pius XII. gegenüber, dass man sich vonseiten der deutschen und ladinischen Bevölkerung eine Stellungnahme zu den politischen Problemen erwarte. Doch der Papst wehrte ab: „Tun Sie das nicht. Sie würden damit ein Feuer anzünden, das Sie nicht mehr löschen können. Halten Sie sich aus der Politik heraus und versuchen Sie, allen drei Volksgruppen in gleicher Weise möglichst gerecht zu werden.“81

Es hat den Anschein, dass in Rom die Linke nicht wusste, was die Rechte tat. Wenig später nahm der Vatikan selbst, wenn auch in verklausulierter Form, zur Südtirolfrage Stellung. Mit Bezug auf die Antwort der italienischen Regierung auf das österreichische Memorandum vom 8. Oktober 1956 befasste sich der Vatikansender am 10. Februar 1957 mit dem „Wesen der Verträge“. Nach längeren Ausführungen grundsätzlicher Natur über Sinn und Gültigkeit von Verträgen kam er zu Überlegungen, die durchaus für Südtirol galten: Die Regierungen hätten die Pflicht, sich gegenüber gerechten Forderungen Rechenschaft zu geben und in zweckmäßiger Weise für Abhilfe zu sorgen, „bevor diese sich verschärfen und der Versuchung erliegen, den Weg des Rechts zu verlassen“.82 Das war eine deutliche Aufforderung an die Regierungen in Rom und Wien, das Südtirol-Problem zu lösen, bevor die Dinge außer Kontrolle gerieten. Im Vatikan erwartete man sich nach dieser Sendung ein klares Wort aus Südtirol. Der päpstliche Sekretär Robert Leiber gab in diesen Tagen dem deutschen Vizeschulamtsleiter Josef Ferrari zu verstehen, dass „auch der Südtiroler Klerus Stellung zur politischen Lage beziehen“ müsse, „andernfalls drohe Vertrauenseinbuße besonders bei der Südtiroler Jugend“.83 Nach dem Einwand des Papstes auf die Anregung Gargitters war eine solche Erklärung aus Südtirol nicht zu bekommen. Bischof Gargitter verlegte sich aber auf die stille Diplomatie. Er ließ keine Gelegenheit ungenützt, um italienische Politiker und Staatsmänner zu beschwören, für Südtirol eine gerechte Lösung zu suchen,84 lange Zeit freilich ohne Erfolg. „Immer Verständnis und großzügige Hilfsbereitschaft“ fand er hingegen bei den verschiedenen Stellen im Vatikan vor. Mit Dankbarkeit erinnerte er sich später an die Privataudienzen, die ihm die Päpste Johannes XXIII. und Paul VI. gewahrten.85 Sepp Kerschbaumer hat sich zur landespolitischen Einstellung der Amtskirche in Südtirol öffentlich nie geäußert. Es besteht kein Zweifel, dass er sich ganz der vom Kanonikus geprägten Haltung verbunden fühlte, der zufolge Unnachgiebigkeit in Volkstumsfragen und Religiosität sich absolut nicht auszuschließen brauchten.

Sepp Kerschbaumer im Kreise seiner Familie. Von links Franzl, Luisa, Sepp Kerschbaumer, Christl, Maria Kerschbaumer, Seppl, Mali, Helga, Basl Moidl (Maria Mederle)

Ganz im Gegenteil, das eine baute auf dem Fundament des anderen auf. Dies bedeutete aber nicht, dass man die Rechte der Italiener schmälern wollte. In seinem zu Neujahr 1957 ausgeschickten Rundschreiben reduzierte Sepp Kerschbaumer den ganzen Komplex der Südtirolfrage auf ein Problem. Gelöst werden müssten nicht verschiedene Probleme, „sondern nur eines, und das heißt, dass im Hause Südtirol nicht die Italiener, sondern wir die rechtmäßigen Hausherren sein und bleiben müssen“. Er verglich das Vorgehen der Italiener in Südtirol gerne mit einem impertinenten Mieter: Du bist Eigentümer eines Hauses und vermietest eine Wohnung, eigentlich mehr aus Gefälligkeit denn aus Notwendigkeit. Der Mieter aber macht sich breit und drängt dich aus allen Stockwerken hinaus, bis dir nur mehr eine Dachkammer bleibt. So weit dürfen wir es in Südtirol nicht kommen lassen. In Zusammenhang mit der dabei aufzubringenden Abwehrbereitschaft erinnerte er im oben zitierten Rundschreiben an den am 15. April 1956 verstorbenen Kanonikus: „Hat man … mit der sterblichen Hülle eines so großen geistigen Kämpfers, wie es unser allseits verehrter Kanonikus Gamper war, auch seinen Geist zu Grabe getragen? Waren sein Vorbild und seine Mahnungen in den Wind gesprochen? Haben wir wirklich keine solchen Idealisten mehr in unseren Reihen, die im Sinne Gampers weiterwirken, damit endlich unserer geliebten Heimat Recht widerfahre?“86

Wie dachte Kerschbaumer über Gargitter? Wir können es uns denken, aber genau wissen wir es nicht. Seine Tochter Mali erinnert sich, dass er dem Bischof öfter geschrieben hat. Von seinen handschriftlichen Briefen fertigte er aber nie Abschriften an. Es findet sich auch nirgends eine Antwort des Bischofs. Es ist anzunehmen, dass er auf Kerschbaumers Schreiben gar nie reagiert hat. Er hat ihn auch nie empfangen. „Ich weiß“, erzählt der Dolomiten-Journalist Franz Berger, „dass er fünf-, sechsmal beim Bischof Gargitter in Brixen vorsprechen wollte. Vielleicht, wenn er ihn empfangen hätte, wär’s gar nie zu diesen Anschlägen gekommen. Aber er ist jedes Mal abgewiesen worden, und dann ist der Kerschbaumer eigene Wege gegangen.“ Hier dürfte Franz Berger mit seinen Annahmen zu weit gehen. Es ist unwahrscheinlich, dass es nicht zu den Anschlägen gekommen wäre, wenn Kerschbaumer mit dem Bischof hätte reden können. Der Druck war damals so stark, dass ein bloßer Gedankenaustausch mit dem Oberhirten nicht genügt hätte, um bei Kerschbaumer ein Umdenken herbeizuführen. Dies wäre nur möglich gewesen, wenn sich die politischen Verhältnisse in Südtirol in kürzester Zeit grundlegend geändert hätten. Von einer solchen Trendumkehr war aber nichts zu merken. Übrigens verlor Kerschbaumer seinen Mithäftlingen gegenüber selten ein Wort über Bischof Gargitter – weder ein gutes noch ein böses. Es entsprach seinem Naturell, dass er sich über Dinge, die ihn besonders schwer bedrückten, ausschwieg.

Die Schlacht um die Parlamentswahl von 1958

Enthielt sich Sepp Kerschbaumer jeder öffentlichen Kritik an dem Bischof, so nahm er sich den katholischen Organisationen gegenüber kein Blatt vor den Mund. Zumindest indirekt galten seine Vorwürfe ja auch dem Oberhirten. Zum Stein des Anstoßes wurden die Aktivitäten, die katholische oder sich katholisch nennende Vereine vor der Parlamentswahl vom 25. Mai 1958 entfalteten. Sonst hörte man ja Jahr und Tag nichts von ihnen, den KVW ausgenommen. Vermutlich gab es sie nur auf dem Papier. Aber jetzt traten sie mit voller Kraft in Aktion. Ihnen ging es nun schlicht und einfach darum, Männer ins Parlament zu bringen, die eine weiche Linie vertraten. Südtirol erlebte sozusagen eine Neuauflage des Problems Dander auf Landesebene. Zum Auftakt der Kampagne benützte man ein Flugblatt des BAS. Angeblich auf Ersuchen der Senatoren Josef Raffeiner und Carl von Braitenberg veröffentlichten die Dolomiten einen ihnen zugegangenen Brief des BAS. Die beiden Senatoren wollten die anonymen Schreiber der Mühe entheben, den Brief durch ganz Südtirol flattern zu lassen, wie dies im Schreiben angedroht wurde, sie wollten damit aber auch dem Leser die Möglichkeit bieten, sich ein Urteil über jene Personen zu bilden, die sich hinter dem Decknamen BAS verbargen. Das Schreiben war in der Tat so gehalten, dass es die Angegriffenen eher sympathisch als unsympathisch erscheinen ließ. Es ist zu bezweifeln, ob es aus der Werkstatt Kerschbaumers kam. Das war eigentlich nicht seine Diktion. In einem von ihm gezeichneten Rundschreiben sprach er später selbst von einer „bedauerlichen Form“. Dass er dies nur aus taktischen Gründen getan habe, ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Wie dem auch gewesen sein mag, das Flugblatt nahm seinen Weg und machte Geschichte. „Wer“, so fragten die anonymen Schreiber des BAS eingangs, „soll auf die Kandidatenlisten kommen?“ Das wussten sie offensichtlich selbst nicht, denn Vorschlag machten sie keinen. Klar war für sie nur, wer n i c h t auf die Kandidatenliste kommen durfte. Auf keinen Fall jene Personen, „die unter dem Deckmantel des guten und ehrlichen Namens von Südtirol ihre schmutzigen Geschäfte treiben“. Denen dienten Südtirol und seine Not nur dazu, „ihren Geldbeutel dick zu füllen …“ „Wir haben genug von diesen Herrschaften und wollen nur eines: Abtreten! Abtreten sollt ihr auf dem schnellsten Wege und nicht mehr wiederkehren.“ Wer waren nun diese Herrschaften, die abtreten sollten und nie mehr wiederkehren? Darüber ließen die Verfasser des Flugblattes den Leser nicht im Unklaren: „Wir möchten es nicht unterlassen, diese Pharisäer beim Namen zu nennen:

Herrn Toni Ebner, der der Ansicht ist, dass in unserer Heimat alles in bester Ordnung sei.

Herrn Otto von Guggenberg, ein treuer Gesinnungsgenosse Ebners.

Herrn Braitenberg, der uns schon zur Genüge bewiesen hat, wohin seine Fahne weht.

Herrn Josef Raffeiner, der seinem Volke im Falle Sigmundskron den Dolchstoß in den Rücken versetzte.

„Diesen Herren sagen wir noch einmal: Tretet ab so schnell wie möglich. Ihr habt immer nur persönliche Interessen verfolgt! … Zwingt uns nicht, Euch zu überzeugen, es wäre gegen Eure Interessen. Eure Sprüche kennen wir zur Genüge und wir glauben kein Wort mehr. Das Maß Eurer Lügen ist voll.“87

Das Pamphlet kam den katholischen Wahlstrategen wie bestellt. Schon zwei Tage später erschien in den Dolomiten eine Solidaritätserklärung, unterzeichnet von Franz Fuchs und Johann Pan für die Katholische Bewegung, Franz Kemenater für den Katholischen Verband der Werktätigen und Leo von Pretz für die Arbeitsgemeinschaft christlicher Unternehmer.88 Um der „Wahrheit die Ehre“ zu geben, zählten die Unterfertigten die Verdienste auf, die sich diese Parlamentarier in der letzten Legislaturperiode erworben hatten:

1.Die Anrechnung der Dienstjahre für die zur Zeit des Faschismus entlassenen Lehrer.

2.Die Verpflichtung der ENTE, 110 Optantenbesitze, die in den Jahren 1941 bis 1943 ohne Bezahlung oder ohne Übergabe in sein Eigentum übergegangen waren, an die früheren Eigentümer oder deren Erben gegen Bezahlung des Schätzwertes von 1939 abzutreten.

3.Die Gleichbehandlung der Kriegsopfer und Heimkehrer der Wehrmacht mit jenen des italienischen Heeres.

4.Die Straßburger Rede Ebners vor dem Europarat.

5.Das der Regierung im Jahre 1954 überreichte Memorandum.

Recht unterwürfig dankte der Katholische Südtiroler Lehrerbund in einem eigenen Artikel den Parlamentariern für ihre geleistete Arbeit. Doch vermochten die dabei angeführten Verdienste die magere Bilanz von vier oder auch mehr Jahren parlamentarischer Tätigkeit nicht aufzubessern. Es war gewiss nicht allein die Schuld der Südtiroler Parlamentarier, dass sie nicht mehr aufzuweisen hatten. Rom war einfach zu keinen substanziellen Zugeständnissen bereit. Umso unverständlicher ist es daher, dass die alte Garde nicht bereit war, den neuen Kurs der Parteiführung mitzutragen.

Von einer Einsicht eben keine Spur. Im Gegenteil. Die Vertreter der oben angeführten Vereine verstanden es vortrefflich, Blech für Gold zu verkaufen. Sepp Kerschbaumer erfasste sofort, dass da Gefahr im Verzug war. Noch am 30. März 1958 griff er zur Feder und schickte an Franz Fuchs, Johann Pan, Franz Kemenater und Leo von Pretz ein Schreiben:89

Der Wahlkampf hat begonnen. Und ich muß sofort vorwegnehmen, daß er tragisch begonnen hat. Die Bezeichnung tragisch dürfte, wie Sie im folgenden schon sehen werden, meinem ganzen Schreiben den Stempel aufdrücken. Der Grund mag wohl in der einfachen Erkenntnis liegen, daß schon bei der Nominierung der Kandidaten für das Parlament und den Senat sich zwei ganz entgegengesetzte Fronten bildeten. Die eine Gruppe lehnt gewisse bisherige Parlamentarier und die Senatoren in einer bedauerlichen Form, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt, grundsätzlich ab, während eine andere Gruppe, das heißt, Organisationen und deren führende Männer, sich dafür voll und ganz einsetzen. In den nächsten Tagen läßt sich daher ein heißer Kampf bei den zuständigen Stellen des Landes erwarten.

Was mich veranlaßt, Ihnen heute zu schreiben und Ihnen meine Meinung in dieser traurigen Angelegenheit mitzuteilen, ist, dass ein anonymer Brief in unseren Zeitungen veröffentlicht worden ist und dass daraufhin mehrere Stellungnahmen von Organisationen erfolgt sind.

Mein Eindruck als einfacher und aufrechter Tiroler war und ist es, daß diese Maßnahmen beim Volke bestimmt große Verwirrung anstiften werden. Und aus dieser Kenntnis heraus will ich es mir nicht nehmen lassen, Ihnen mit diesem Schreiben meinen Standpunkt mitzuteilen: Warum ist einem anonymen Schreiben, die für gewöhnlich im Papierkorb landen, eine so große Wichtigkeit beigemessen worden, dass man es erstens vollinhaltlich in den Zeitungen abdruckte und dass man zweitens sog. Organisationen auf den Plan rief, gegen dieses Schreiben Stellung zu nehmen und sich für die Betroffenen rückhaltlos einzusetzen? Ich möchte die Herren dieser Organisationen ganz offen fragen, ob ihrer Aktion die Absicht zugrunde lag, die betreffenden Herren zu rehabilitieren, oder ob sie wirklich damit glaubten, die ganze öffentliche Meinung zum Ausdruck gebracht zu haben. Wenn letzteres wirklich zutreffen sollte, dann würde ich Ihnen nur das Eine raten, selbst im Lande herumzufahren und herumzufragen, und Sie werden bald eines anderen belehrt werden! Und nun meine Meinung dazu: Sie haben in Ihrem Schreiben nur die guten Seiten Ihrer Schützlinge angeführt, was bestimmt niemand tadeln wird, anderseits aber wäre es Ihre Pflicht gewesen, auf die durch die Zeitungen bekanntgewordenen Vorwürfe näher einzugehen und dieselben zu widerlegen. Daraus muß jeder rechtlich Denkende den Schluß ziehen, daß es in allen diesen Kreisen nur um die wirtschaftlichen Interessen unseres Volkes geht. In diesem und nur in diesem Sinne kann ich Ihren Standpunkt verstehen. Aber ist es wirklich so weit, daß sogar schon verantwortliche Männer von verschiedenen großen Organisationen Südtirols den Volkstumskampf nur mehr in diesem Sinne verstehen? Wenn es wirklich soweit sein sollte, dann muß man sich allen Ernstes fragen, wozu wir überhaupt noch eine politische Partei brauchen. Dann könnte man wohl ohne Bedenken dem Beispiel eines gewissen Kreises von Südtirolern folgen, der auf dem Standpunkt steht, man müsse sich mit der gegenwärtigen Lage so gut als möglich abfinden, indem man sich mit den Italienern in jeglicher Hinsicht verbrüdert. Von diesem Standpunkt aus gesehen, würde es vollauf genügen, wenn man die besten Wirtschaftsmänner für Rom und für die Landesverwaltung bestimmen würde.

Und nun meine diesbezügliche Meinung: Wie Sie selber wissen müßten, ist jedes Volk, das sein Heil und seinen Fortbestand nur mehr vom wirtschaftlichen Standpunkt aus sieht, dem völkischen Untergang geweiht. Und ich bin fest überzeugt, dass der größte Teil unseres Volkes diese meine Ansicht teilt. Daher ist nach meinem Dafürhalten unser Kampf ein politisch-völkischer Kampf – muß es so sein, wenn wir unseren Kindern unsere liebe Heimat deutsch-tirolerisch und christlich erhalten wollen. Und das sind wir unseren großen Vorfahren schuldig! Unser politisch-völkischer Kampf kann auf folgende einfache Formel gebracht werden: Recht gegen Unrecht. Sie alle wissen, dass unserem Volke von Italien schwerstes Unrecht zugefügt worden ist und dauernd zugefügt wird. Die letzte Landesversammlung und die Kundgebung von Sigmundskron haben gezeigt, dass unser Volk nicht Ihrer Meinung ist. Wenn deshalb unser Volk bei den kommenden Wahlen gewissen Herren nicht mehr das Vertrauen schenkt, so aus dem einfachen Grunde, weil sie die völkischen Interessen Südtirols nicht zufriedenstellend vertreten haben, ja da sie außerdem sogar gegen den Willen des Volkes in Rom gesprochen haben (Senator Raffeiner und Braitenberg anläßlich der Sigmundskroner Volkskundgebung in Rom). Wenn dann trotzdem gewisse Organisationen, Gruppen und verantwortungsvolle Männer solche Volksvertreter dem Volke gegenüber als vorbildlich hinzustellen versuchen, dann kann man nur sagen, daß dabei ein sehr trauriges Spiel gespielt wird. Sind diese Kreise wirklich selbst davon so fest von der Anständigkeit und Sauberkeit dieser Herren überzeugt, dass Sie es vor ihrem Gewissen und vor dem ganzen Südtiroler Volke verantworten können, sie dem Volke vorbehaltlos anzupreisen?

Ich jedenfalls habe dabei sehr große Bedenken. Und wenn Sie dabei glauben, betonen zu müssen, Sie würden dabei den christlichen Standpunkt vertreten, dann muß ich Ihnen sagen, dass ich hier anderer Meinung bin. Eher bin ich überzeugt, daß Sie mit diesem Schritt der Sache für Glaube und Heimat eher Schaden zugefügt haben.

In Bezug auf Dr. Ebner muß ich bemerken, daß sein Platz als Nachfolger des hochverehrten Kanonikus Gamper einzig und allein bei unserer Presse wäre, wo er, wenn er seinen Posten für unsere Heimat richtig ausfüllen würde, sehr segensreich wirken könnte. Und nun noch einige Fragen an Sie: Was sagt Ihr Gewissen zum Schandurteil gegen unsere Landsleute aus Pfunders? Haben Sie bereits an irgendeiner zuständigen Stelle Ihre Entrüstung darüber zum Ausdruck gebracht, wo Sie zur gleichen Zeit Ihre Entrüstung über den anonymen Brief zum Ausdruck gebracht haben? Wollen Sie wirklich zu diesem himmelschreienden Unrecht schweigen? Ist Ihnen die große Entrüstung des Volkes über dieses Urteil wirklich entgangen? Um der Gerechtigkeit willen bitte ich Sie, nehmen Sie auch zu diesem Urteil Stellung und das Volk wird es Ihnen danken.

Und noch eine kleine Schlußbemerkung: Wie oft hört man in unserem Lande die Worte „radikal“ und „gemäßigt“! Ich weiß, daß ich immer zu den Radikalen gezählt werde. Nun möchte ich Ihnen ganz kurz sagen, was ich von dieser Bezeichnung halte: Wenn ein Südtiroler sich ernstlich bemüht, dahin zu wirken, daß unsrem Volke und unserer Heimat endlich Gerechtigkeit widerfahre, daß also Recht wieder Recht werde, dann ist man eben nicht nur bei den Italienern, sondern auch schon in gewissen Kreisen Südtirols als radikal verschrien: Eben nur weil man auf das Recht pocht, das unserem Volke zusteht. Dies meine Stellungnahme!

Ergebenst Sepp Kerschbaumer

Frangart, den 30. März 1958.

Das war eine geballte Ladung, die Kerschbaumer den Vertretern der katholischen Vereine ins Haus stellte. Doch die Anstrengung war umsonst. Zwar wurde Raffeiner als Kandidat für den Senat nicht mehr aufgestellt. Und aus Solidarität mit Raffeiner verzichtete auch Braitenberg auf eine Kandidatur. An ihrer statt bewarben sich Karl Tinzl und Luis Sand um einen Sitz im Senat. Als Senatskandidat für den Brixner Wahlkreis war ursprünglich Hans Stanek vorgesehen gewesen. Doch auf Druck des Bischofs Gargitters hatte Stanek auf eine Kandidatur für das Abgeordnetenhaus ausweichen müssen. Eine religiös motivierte Intrige brachte zudem die Kandidatur Volggers für die Kammer zu Fall. Auf die Liste für das Abgeordnetenhaus kamen schließlich

Toni Ebner

Otto von Guggenberg

Karl Mitterdorfer

Roland Riz

Hans Stanek

Karl Vaja

Nach Auffassung des Alto Adige stellte die Kandidatur Staneks den Sieg des BAS dar. „Kann man da noch irregehen, wenn man annimmt, daß es sich um eine Organisation in der Partei handelt? Ist diese Wahlliste nicht die einleuchtendste Bestätigung dafür?“90 In Wirklichkeit war Kerschbaumer über die Kandidatur Staneks gar nicht glücklich.

Hans Stanek, Generalsekretär der Südtiroler Volkspartei

Er hatte Stanek als fleißigen und einsatzfreudigen Mann kennengelernt. Doch war er der Meinung, dass er in Bozen mehr leisten könne als in Rom. „Stanek braucht es in Bozen, nicht in Rom.“ Auch gefiel ihm nicht, dass Stanek, erst zum Generalsekretär der SVP bestellt, schon nach einem Parlamentsmandat strebte. Kurz, Stanek war – bei aller Wertschätzung – nicht der Wunschkandidat des Josef Kerschbaumer oder des BAS. Aus ganz anderen Gründen freilich lehnten ihn auch die Vertreter der katholischen oder sich katholisch nennenden Vereine ab. Die setzten nun alles daran, ihre Favoriten durchzubringen. Dies waren Toni Ebner, Roland Riz und Karl Mitterdorfer. Guggenberg und Vaja ließen sie links liegen, Stanek suchten sie – unterstützt durch die Zeitungen L’Adige und Alto Adige – durch massive Angriffe zu Fall zu bringen. Kurz vor der Wahl brachten sie ein Flugblatt in Umlauf, das die Wahl ihrer Favoriten als religiöse Pflicht darstellte. Organisatorisch legten sie eine Maßarbeit hin. Flugblätter gingen teils mit der Post, teils über die Pfarrämter, teils über Vereinsmitglieder in alle Gegenden hinaus und erreichten die höchstgelegenen Berghöfe. Der Einsatz hatte Erfolg. Alle drei Kandidaten wurden gewählt. Das Lager der „Gemäßigten“ konnte also zufrieden sein. Zufrieden war auch der L’Adige: „Gefallen sind die Extremisten, die Maximalisten, die Separatisten, geblieben sind jene, welche bewiesen, dass sie begriffen haben, dass die Anliegen ihrer Gruppe in einer höheren christlichen Vision liegen, jene also, welche jeden Zusammenstoß und jeden Bruch vermeiden wollen …“91 Zufrieden war schließlich auch der Volksbote: „Gut ist es gegangen, ausgezeichnet, besser als selbst die kühnsten Erwartungen es erhoffen ließen.“92 Einer im Lande war allerdings nicht zufrieden, er war vielmehr todunglücklich, vielleicht weniger über den Ausgang der Wahl als über die Methode, die diesen Ausgang erzielt hatte: Sepp Kerschbaumer. Ende Juni 1958 ließ er die katholischen Bewegungen und den Katholischen Verband der Werktätigen mit Rundschreiben wissen, was er von ihrem Verhalten hielt:93

Spät, aber nicht allzuspät will ich hier meine Meinung über die letzten Kammer- und Senatswahlen zum Ausdruck bringen und „meine Besorgnisse zur gegenwärtigen Lage in Südtirol“ niederschreiben. Dieses Vorhaben hat sich leider etwas verzögert, da ich mittlerweile einen unfreiwilligen „10tägigen Urlaub“ antreten mußte.

Noch nie ist ein schonungsloserer Wahlkampf geführt worden wie diesmal. Wenn Politiker und verschiedene politische Strömungen dabei zu unfairen Mitteln greifen, kann man dies noch verstehen. Geschieht dies aber ausgerechnet durch solche Kreise, die die Katholizität auf ihre Fahnen geschrieben haben, dann ist dies eine unentschuldbare Verantwortungslosigkeit, die getadelt und verurteilt werden muß. Ich betone ausdrücklich, daß es mehr als traurig ist, daß ich als überzeugter Katholik diesen Schritt überhaupt unternehmen muß, weil ich mich in meinem christlichen Empfinden beleidigt fühle. Ebenso möchte ich ausdrücklich betonen, daß es ein offenes Geheimnis ist, daß dieses schändliche Treiben nur von einigen wenigen Männern ausgegangen ist, die die Verantwortung hiefür vor Gott und dem Volk getragen haben. Ihre Hauptaufgabe wäre es bei den Wahlen gewesen, zu vereinen und nicht zu spalten, zu versöhnen und nicht zu verhetzen. Aber Sie scheuten nicht einmal davor zurück, in skrupellosester und rücksichtslosester Weise über ihre politischen Gegner herzufallen und diese durch gemeinste Verleumdungen beim Volke unmöglich zu machen.

Die religiösen Gefühle unseres Volkes sind wohl kaum einmal in einer solch pharisäischen Weise zu selbstsüchtigen Zwecken mißbraucht worden, wie es bei diesen Wahlen durch die katholischen Organisationen geschehen ist. Sie sprachen von „Glauben“ – meinten aber sich selbst. Sie sprachen von „Heimat“ – meinten aber gesicherte Positionen, von wo aus Sie wie in einer Farm hätten schalten und walten können, keinen Widerspruch duldend.

Was haben sich diese Organisationen eigentlich zum Ziele gesetzt? Sie selbst haben dies klipp und klar ausgesprochen: Für die religiösen Belange in unserer Heimat einzutreten! Sie hätten zahlreiche Arbeitsfelder, wo Sie eine segensreiche Betätigung entfalten könnten. Aber fragen Sie sich einmal ehrlich, was haben Sie z. B. bisher gegen die Sonntagsentheiligung unternommen, die auch in unserem Lande immer weiter um sich greift? Und wieviel gäbe es für Sie noch zu tun gegen den schlechten Film, die unsittliche Presse, Varietés, Nachtlokale usw.!