Ein junger Mann geht die Mönckebergstraße entlang. Unter jedem Arm einen großen Karton, drängt er sich eilig durch die Leute, die hier an diesem schönen Herbstmorgen bummeln, stehenbleiben, Schaufenster ansehen, in Läden eintreten und weitergehen – drängt er sich eilig, mit gesenktem Kopf.
Am Warenhaus Karstadt erfasst sein Blick von der Seite den Schimmer eines großen Schaufensters voll strahlender Toiletten, seidiger Glanz von Frauen, sanfte Helle.
Der junge Mann geht hastiger, er sieht nicht noch einmal zur Seite, steuert vorbei an dieser Klippe. Drei Häuser weiter steht das große Bürohaus, das sein Ziel ist. Zum Portier murmelt er: »China-Export«, verschmäht Aufzug und Paternoster und klimmt eilig die Treppe hinauf.
Im Ausstellungssaal, voll von Kristall, Stoffen, Buddhas, Porzellan, ist es um diese Morgenstunde noch still. Ein einziger Lehrling, ein kleiner untersetzter Bengel mit abstehenden Ohren, so glührot, als habe ihn eben erst sein Chef daran gerissen, wedelt dort mit einem Flederwisch herum.
»Bitte?« fragt der Lehrling.
»Zu Herrn Brammer«, sagt Kufalt. Und: »Danke, ich weiß schon den Weg.«
Er geht durch zwei Büros, in denen Mädchen an ihren Schreibmaschinen sitzen, und kommt in ein drittes. Dort waltet Herr Brammer hinter einer langen, knatternden, klingelnden Buchungsmaschine, zwischen vielen bunten Karten und Avisen.
»Die letzten zweitausend, Herr Brammer«, sagt Kufalt.
Herr Brammer ist auch noch ein junger Mensch, mit einem frischen Gesicht, blonden Haaren und der zu kurz geratenen Oberlippe der Hamburger.
Herr Brammer drückt auf ein paar Tasten, der Wagen ruckt, knattert, klingelt, spuckt eine Karte aus. Herr Brammer liest sie stirnrunzelnd und sagt: »Legen Sie immer hin.«
Kufalt tut es.
»Die Zahl wird ja stimmen, was?«
»Die stimmt«, sagt Kufalt.
»Na schön«, sagt Herr Brammer, legt die Karte aus der Hand, fischt irgendwo aus dem Hintergrund ein Quittungsformular, schreibt es aus, gibt es Kufalt nebst einem Kopierstift, und schon hat Kufalt einen Zehnmarkschein in der Hand.
»Danke schön«, sagt Kufalt.
»Wir danken auch«, sagt Herr Brammer mit Nachdruck. Er sieht sich nach seiner Maschine um, dann Kufalt an und sagt höflich lächelnd: »Also guten Morgen, Herr Kufalt.«
»Guten Morgen, Herr Brammer«, sagt Kufalt auch höflich. Aber er geht noch nicht ganz, trotzdem dies sichtlich von ihm erwartet wird, er fragt zögernd: »Sonst wäre weiter nichts?«
»Nichts«, sagt Herr Brammer.
»Nein, nein«, sagt Kufalt hastig.
»Der Chef will vorläufig weiter keine Propaganda machen, Sie verstehen: bei diesen Zeiten!«
»Ich verstehe«, sagt Kufalt. Er hat im Hintergrund die Geldkassette entdeckt, es scheint eine ganze Menge Geld darin zu sein, unwahrscheinlich viel Geld, nicht zum direkten Ausgeben, einfach so für alle Fälle liegengelassen.
»Ja …«, sagt Herr Brammer und betrachtet Kufalt sehr aufmerksam.
Kufalt wird unter diesem Blick langsam rot. Er merkt, wie er immer röter wird, er sagt verlegen: »Und dass Sie mich vielleicht einmal einer anderen Firma empfehlen könnten?«
»Gerne, gerne«, sagt Herr Brammer. »Nur … Sie wissen ja …«
»Ja«, sagt Kufalt hastig. »Natürlich.«
Er versucht, von Brammers Blick los und wieder zur Kassette hinzukommen. Sie ist ein so lieblicher Anblick, aber nein, es lässt sich nicht machen, der Blick gibt ihn nicht frei.
Übrigens scheint sich Herr Brammer über irgendetwas geärgert zu haben. »Und dann, Herr Kufalt, Sie sind zu teuer. Fünf Mark fürs Tausend Adressen! Jeden zweiten Tag kommt hier einer, der es für vier oder drei machen will. Ich kann das vorm Chef gar nicht mehr verantworten.«
»Nein«, sagt Kufalt plötzlich – er hat die Geldkassette nicht wieder angesehen, und er weiß, er wird sie nie wieder sehen. »Nein«, sagt er, »billiger kann ich es nun nicht machen, Herr Brammer.«
»So«, sagt der. »Also guten Morgen.«
»Guten Morgen«, sagt auch Kufalt und geht.
Der direkte Weg von der Mönckebergstraße zu den Raboisen1 dauert kaum fünf Minuten. Aber Kufalt geht nicht den direkten Weg. Er hat zwei Tage, und die halben Nächte auch noch, getippt, ohne aufzusehen. Nun hat er alle Zeit, die Gott werden lässt, er ist mal wieder ohne Arbeit, er kann ruhig spazierengehen. Wenn er aber auch keine Arbeit hat, so hat er dafür Geld, zehn Mark frisch eingenommen, und eins zwanzig war noch Kassenbestand, elf zwanzig also. Ganz schönes Geld. Dicke Mauer zwischen ihm und dem Nichts, nicht wahr? Übrigens müsste er der Wirtin, der Dübel, mindestens drei Mark auf Abschlag geben, sonst würde sie ihn wohl rausschmeißen.
Schöner Morgen heute Morgen zum Spazierengehen, o Gott!
Nein, Kufalt wohnte nicht mehr in der Marienthaler Straße, jetzt wohnt er auf den Raboisen, in einem Loch, nach einem dunklen Hinterhof hinaus, außerdem ging er jetzt nicht dahin, sondern er ging spazieren an der Alster, am schönen Vormittag, wie ein Großkotz … Übrigens sind Sie zu teuer, Herr Kufalt. Andere machen das für drei Mark …
So ein Affe! So ein langschwänziger Affe! Also diese Arbeit war er nun auch los, bloß weil er so nach der Kasse geschielt hatte, alle Arbeit war er los. Hatte man deswegen weniger Kohldampf? Schlecht konnte es einem immer noch werden von den schlechten Zeiten, lieber jetzt erst ein bisschen Lebeschön machen.
Und Kufalt kauft sich vier Rundstücke und ein Viertel Leberwurst, fünfundzwanzig Pfennig, Rest zehn fünfundneunzig.
Na, was denn? So zum Picknick? Was denn?
Also, das schöne Zimmer in der Marienthaler war vorbei. Nichts mehr von wehenden Vorhängen, klirrenden Bahnen, obszönen Müttern, perversen Liesen, nichts mehr. Ein schlichter Abschied, ein englischer Abschied. Als Kufalt damals zurückkam aus der Untersuchungshaft, da war niemand von denen zu Hause. Und da niemand von ihnen zu Hause war, packte Kufalt still und stumm seine Sachen und verzog. Unbekannt, wohin.
Ja, die Wahrheit zu reden, es hätte da vielleicht noch eine Chance gegeben, es war da ein Augenblick des Wartens vorgekommen, genauer gesagt, eine ganze reichliche halbe Stunde, Kufalt war auf und ab gegangen. Er hätte ja nun die Taxe holen können, Umzug ins Blaue, auf den Rat eines Chauffeurs hin – aber nein, er war auf und ab gelaufen und hatte gewartet.
Kam sie nicht?
Nein, sie kam nicht.
Es hat einmal eine schmähliche Nacht gegeben, wo wir vor der Tür ihres Zimmers lagen – also jetzt gehen wir mal rein. Ja, wir sind verrückt, wir sind rot im Hirn, Feuersbrunst, wir riechen an ihren Kleidern, wir schnuppern an ihrem Bett …
Aber dann geht eine Tür, und schon fliehen wir, schon stehen wir auf dem Vorplatz, unser Herz zittert vor Angst, dass sie es sein könnte. Dann war es nur die Tür bei den Nachbarn.
Damit war es aber auch genug, allzu viel halten wir nicht mehr aus, die letzten Tage kam es ein wenig dicke, mit Beerboom, mit Cito-Presto, mit Polizeihaft, mit den getreuen Freunden Maack und Jänsch – also her mit der Taxe und ab dafür.
Es genügt nicht, schließlich ein Zimmer in einem Hinterhof der Raboisen gefunden zu haben, ein dunkles, schmieriges, stinkendes Loch mit trüben Fenstern neben einer schwarzen Küche, so groß wie ein Handtuch, mit hunderttausend Schaben und einem verrückten alten Weib von Wirtin, das Dübel heißt – ach ja, es ist schon die rechte Wohnung für den geschlagenen, entmutigten, verzweifelten Kufalt, die dunkle Höhle, in deren knolligem Federbett man liegen und vor sich hin dösen kann, Stunden und Stunden – aber es genügt nicht.
Denn zwischendurch immer wieder blitzt sie in ihm auf, die Hoffnung, wie Tatendurst, es kann noch werden, o Gott, alles kann vielleicht noch wieder gut werden.
Und da rennt er denn hin, er hat eine Idee, hat er nicht die Schreibmaschine anbezahlt, hat er nicht Geld dafür gegeben, soll das Geld alles verloren sein …?
Ach, in seinen Träumen ist ein Blümlein aufgeblüht, eine eigene Schreibmaschine ist etwas Großes, nicht nur ein Ding aus Stahl und Eisen mit Rädern, Federn, Walzen, Gummi – eine Schreibmaschine ist eine Hoffnung, mit einer Schreibmaschine kann man sich durchs Leben schlagen, sie ist ein Wechsel auf die Zukunft. Nichts mehr von Dreihunderttausend-Stück-Aufträgen, aber, wie er da so auf seinem Bette lag, scheinbar betäubt von der Tiefe seines Sturzes, da ist er losgelaufen, zwischendurch, in Gedanken, zwischen der blöden, ewig gleich knarrenden Kaffeemühle der ewig gleichen Vorwürfe: Hätt ich – hätt ich nicht – hätt ich doch …! – da ist er losgelaufen in Gedanken von Bürohaus zu Bürohaus, von Geschäft zu Geschäft. »Hätten Sie vielleicht irgendeine Schreibarbeit für mich?«
So viel musste sich doch zusammenbringen lassen im großen Hamburg, dass ein einzelner Mensch nicht darüber verhungerte?!
Nun, er hat es erreicht: Er hat sich auf den netten Untersuchungsrichter berufen dürfen, eine ebenso nette Firma hat ein Einsehen gehabt, und er hat eine Schreibmaschine bekommen. Keine neue zwar, aber eine tadellose gebrauchte, Kostenpunkt hundertfünfzig, dreißig Mark Anzahlung von damals ab, Rest hundertzwanzig Mark in bar.
O Gott, wie glücklich ist er in der ersten Zeit über seine olle Mercedes gewesen! Wie hat er an ihr gewischt und poliert, Stäubchen und Fäserchen entfernt, immer wieder den Anschlag probiert und dem Klingling am Schluss der Zeile gelauscht!
Aber seltsam – er wohnt eben nicht in einem Zimmer, er haust in einer Höhle, in einem Loch, worein man sich verkriecht. Da steht der Wechsel auf die Zukunft unter seiner Wachstuchhaube – müsste er nicht aufstehen und Aufträge sammeln?
Gut, gut, gut. Er steht schon auf, er geht schon los, anderthalb Stunden ist eine Fernsprechzelle auf dem Hauptpostamt blockiert, weil einer da das halbe Branchentelefonbuch ausschreibt …
Dann marschiert er ab, klingelt zweimal, spricht zweimal, erhält zwei Körbe – und heim ins Loch, auf das hässliche Bett. Zieh gar nicht erst die Schuhe aus, es lohnt nicht, du hast keine Ahnung, ob du heute noch einmal Lust haben wirst, sie wieder anzuziehen … also rein mit den Stiefeln in die Betten und losgegrübelt …
Ich war ein Strafgefangener, ich bin ein Strafgefangener, ich werde ein Strafgefangener sein. Alle.
Ein Ganove werde ich sein – aber auch das nicht einmal richtig, gut, schön, ich werde ein paar Aufträge zusammenkriegen, aber davon leben?
Und das Geld rinnt fort, wenn wir auch schmale Kost machen, es rinnt, es rinnt, zehn Mark fünfundneunzig zwischen uns und dem Nichts – und was dann?
Die Sachen kann man noch verscheuern, die Maschine noch verscheuern – und was dann? Die Höhle kann man noch aufgeben, eine Schlafstelle nehmen, selbst bei den Halleluja-Brüdern kann man pennen – und was dann?
Ein Entschluss, Kufalt, nur ein Entschluss!
Und was nach dem Entschluss …?
1 Straßenbezeichnung in der Hamburger Altstadt <<<
Also nun sitzt Willi Kufalt auf einer Bank an der Außenalster und ringt um einen Entschluss. Er verzehrt dabei seine vier Rundstücke und sein Viertel Leberwurst, das schmeckt, um seinen Appetit braucht ihm überhaupt nicht bange zu sein, wenn es um alles so gut stände wie um den!
Seltsam –: In den letzten belämmerten Wochen ist die Erinnerung an das Zentralgefängnis in jener kleinen Stadt wie eine selige Insel aus dem graunebligen Meer seines Lebens aufgetaucht. War es nicht eine herrliche, ruhige Zeit, als er dort in seiner Zelle lebte und nichts wusste von Geld, Kohldampf, Arbeit, Bleibe …?
Er stand morgens auf und wienerte seine Zelle, er ging zur Freistunde und schwätzte mit Schicksalsgefährten, er stand am Netz und strickte – die Stunden rannen dahin, mittags gab es Erbsen, und man freute sich, oder Rumfutsch, und man ärgerte sich, freute sich aber auf die Linsen morgen – eine selige Insel also, wie gesagt.
Was Wunder, dass bei der Insel auch der kugelige weißblonde Seehundskopf des kleinen Emil Bruhn mit seinen wasserblauen Augen auftauchte! Emil hatte recht gehabt, es wäre schlauer gewesen, er wäre mit ihm gegangen, statt nach Hamburg zu ziehen.
Es hatte ja nun zwei Richtungen damals gegeben: die Richtung Batzke (ich bin Ganove, und ich bleibe Ganove) und die Richtung Bruhn (einmal und nie wieder): Ich, Kufalts Willi, Dussel, das ich bin, ich habe es darauf ankommen lassen, ich habe nicht ja gesagt, ich habe nicht nein gesagt – und hier sitze ich mit meinem Talent!
Natürlich gab es immer noch die Möglichkeit, sich für das Eine oder für das Andere zu entscheiden, man konnte Bruhn einen Brief schreiben, dass man doch käme, oder man konnte mit Hilfe des Einwohnermeldeamtes auf die Suche nach Batzke gehen. Aber das war es ja gerade, wovor Batzke gewarnt hatte: Es war zu spät. Nun war das Geld alle, man hatte kein Betriebskapital mehr, um ein rechtes Ding auszubaldowern, zu sichern, zu finanzieren, man musste etwas Überstürztes machen, das immer misslang. Und das Geld, hier seine Zelte abzubrechen und zu Bruhn zu fahren, das hatte man eben auch nicht mehr, mit all den Sachen – und sich jetzt bereits von ihnen zu trennen, stand es denn wirklich schon so schlimm?
Diese Oktobersonne meinte es noch recht gut, in ihrem Schein, in ihrer Wärme sah die Welt wirklich nicht so verzweifelt aus, es würde sich schon etwas finden, nur ein Entschluss musste erst einmal kommen.
Nur ein Entschluss.
Einen Entschluss, der hier gewöhnlich um diese Stunde an regenfreien Tagen entlangstöckelte, den kannte Kufalt schon. Es war ein Parallelentschluss zu Batzke, dieser Entschluss hieß Emil Monte.
Ja, die beiden Prospektpacker aus der seligen Cito-Presto hatten sich hier wiedergetroffen. Aber in letzter Zeit kannten sie sich nicht mehr, sie zogen den Hut nicht mehr voreinander, sie verachteten einer den anderen.
Zuerst, das erste Mal, war es ja ein freudiges Wiedersehen zwischen den beiden gewesen, sie hatten so viel zu erzählen, Kufalt von seinen Erlebnissen in der Polizeihaft und dem endlichen Triumph der Unschuld, Monte von der Auflösung der Schreibstube, wie sie gejammert, wie sie gefleht hatten vor Marcetus, vor Seidenzopf, vor Jauch – man möchte sie wieder in Gnaden aufnehmen nach Presto, ins Friedensheim, zum halben Lohn ihrethalben – was in aller Welt sollten sie in dieser Welt anfangen, diese armen, von Kufalt und Maack verführten Herren Deutschmann, Öser, Fasse oder wie sie alle hießen …?!
Und nach langem Zögern, nach strengen Zurückweisungen, nach fürchterlichen Anschnauzern hatte sich der Herr Pastor Marcetus schließlich doch wieder ihrer erbarmt – konnte man sie denn so verkommen lassen, im Pfuhle der Großstadt? Und schon seufzten sie, trafen sie sich einmal mit Monte, von Neuem unter dem harten Joch Jauchs, der nicht mit Stichelreden, Tadeln, Strafen sparte –: »Noch ein Wort, und Sie sitzen auf der Straße! Sie wissen doch, nicht wahr …«
Was aber wieder die Herren Jänsch und Maack anging, so saßen sie immer noch in Untersuchungshaft. Dieser Diebstahl, der kein Einbruchsdiebstahl gewesen war, hatte sich als eine recht komplizierte Geschichte erwiesen – denn hatte nicht jeder von den beiden einen Anteil an diesen von ihnen zusammengepackten Schreibmaschinen bezahlt? Kühnlich behaupteten sie, die Absicht gehabt zu haben, die Raten weiter abzutragen, und da sie im Besitz nicht unerheblicher Geldmittel waren, konnte man ihnen nicht einmal die Unmöglichkeit solcher Ratenzahlung vorhalten.
Woher Monte das wusste? Monte wusste alles!
Denn Monte war nicht zu Kreuze gekrochen, Monte hatte, wie er schon öfter gesagt hatte, für eine längere Zeit seines Lebens genug gearbeitet, Monte hatte seinen alten Beruf wiederaufgenommen!
Und dieser alte Beruf war es ja eben, der ihn an fast jedem schönen Morgen durch die belebteren Straßen, die von Fremden bevorzugten Anlagen Hamburgs führte: Monte war auf Jagd nach Kundschaft, nach würdigen älteren Herren, die so verschämt und zimperlich taten wie junge Bürgermädchen, und nach Engländern mit Raffzähnen, die nach abgewickeltem Geschäft mit einer Bullenbeißerwut um jede Mark feilschten.
Darum eben war es ja gekommen, dass diese beiden letzten Säulen der glücklichen Cito-Presto sich entzweien konnten, sodass sie sich heute nicht einmal mehr grüßten: Monte hatte jemanden, also Kufalt, haben wollen, der für ihn die Marie ziepte.
Oder genauer gesagt: Eigentlich kam die Differenz aus einem Streit her, um das Rauchbare, diese Quelle aller Differenzen, im Kittchen und draußen. Über alles andere hätte sich eine Einigung erzielen lassen, aber in der Tabakfrage hatte Monte eine gewisse Engherzigkeit, eine große Kleinzügigkeit bewiesen: daher die Verstimmung.
Beim ersten Wiedersehen war natürlich alles in schönster Butter gewesen. Die beiden hatten angeregt miteinander geplaudert, Monte hatte häufig Kufalt sein dickes silbernes Zigarettenetui hingereicht, und dabei hatte er natürlich gemerkt, dass Kufalt klamm war. Denn erstens hatte der nur Juno zu dreieindrittel bei sich gehabt, während Monte Ariston zu sechs rauchte, und zweitens hatte Kufalt von dieser Juno nur drei Stück gehabt, während Monte gleichgültig sagen konnte: »Wenn die alle sind, gibt’s im nächsten Laden mehr.«
Nun gut, alles war in den angenehmsten Formen verlaufen, Kufalt hatte sich was zugute getan mit Rauchen, und für den nächsten Tag hatten sie sich wieder verabredet, an dieselbe Stelle.
Aber am nächsten Tag fing nun eben Monte an zu erzählen, was für Malesche er mit seinen Kunden wegen der Marie hatte. Er brauchte gerade einen, der für ihn das Geld ziepte, wie er es nannte, das heißt, sein Kompagnon sollte gegen fünfundzwanzig Prozent der Einkünfte sich in der Nähe aufhalten und, hatten die Herren sich erst ihrer Oberkleider entledigt, eine kleine Brieftaschenrevision vornehmen.
O Gott, nein, beileibe nein, etwa die Brieftasche klauen? Nicht in die Hand, nicht in die la main, nein, nur zur Erleichterung des Zahlungsverkehrs, nicht wahr, etwa einen Zehnmarkschein? Natürlich auch mal einen Fünfzigmarkschein, war die Tasche sehr gespickt.
Bis hierher war alles recht gut gegangen, Kufalt hatte sich im Bewusstsein des großmütigen Monte gar nicht erst mit Rauchware versehen, fleißig hatte er aus der Silberdose mitgeschmökt. Aber hier war nun der Punkt gekommen, der entscheidende, die Vorschläge waren gemacht, die Antwort wurde erwartet – und da hatte Monte ein gewisses Zögern, den Vorboten einer Abweisung gewissermaßen, auf Kufalts Zügen zu bemerken geglaubt.
So hatte er denn auseinandergesetzt, dass man bei solcher Zieperei überhaupt nichts riskierte, es gab einen Paragrafen hundertfünfundsiebzig, und Montes Kunden hatten einen großmächtigen Respekt vor diesem Paragrafen. Außerdem würde er seinen Kufalt schon anlernen, der würde bald wissen, wo es zu riskieren war und wo nicht.
Und während er dies alles auseinandersetzte, hatte er träumerisch in seine Zigarettendose geblickt, sich eine genommen, Kufalt angeblickt, die sich angesteckt, Kufalt wieder angeblickt, weitergesprochen, gepafft, weitergesprochen …
Kufalt aber gehörte zu den Menschen, die andere nur dann rauchen sehen können, wenn sie selbst eine zwischen den Lippen haben. Er hatte den lieblichen Duft der Ariston gerochen, er hatte gut verstanden, warum ihn Monte so angeblickt hatte.
Jawohl, das Angebot war vielleicht nicht einmal so schlecht gewesen, trotzdem es Kufalt nicht ganz lag, jedenfalls hätte man es sich gründlich überlegen können – aber wenn dieser Bengel, dieser Pupe, da so saß und einem was vorrauchte und dachte, damit hätte er ihn, so hatte er sich geschnitten!
Eine kurze Auseinandersetzung war gefolgt, Kufalt hatte Montes Lebenswandel gemein, Monte Kufalts Verhalten dusselig gefunden, schließlich gingen sie auseinander, der eine hierhin, der andere dorthin – und kannten sich fürder nicht mehr.
Das war im August gewesen, und jetzt war es Oktober, zwei Monate gleichen viel aus. Wenn Kufalt jetzt über seinen Leberwurst-Rundstücken die Vorübergehenden musterte, so vielleicht darum, weil Monte ihm nicht ungelegen gekommen wäre. Hätte Monte damals nur ein bisschen mehr Verstand in seinem Lockenschädel gehabt und begriffen, dass es mit Rauchwarenerpressung nicht zu machen war, so hätte man ein Geschäft tätigen, eine Kumpelage begründen können.
Aber kein Monte ließ sich sehen, kein Monte kam.
Wer stattdessen kam, war ein großer, dunkelhaariger Mann, mit einer lederartigen grauen Haut, mit sehr eindringlichen, starken, schwarzen Augen, in einem äußerst auffallenden großkarierten Anzug.
»Mein Gott, Batzke!« rief Kufalt fassungslos aus.
»Hallo, Willi!« sagte Batzke und setzte sich neben ihn auf die Bank.