Czytaj książkę: «Hans Fallada – Gesammelte Werke», strona 48

Czcionka:

70. Es ist so weit, Quangel

Es ist noch Nacht, als ein Auf­se­her die Tür zu Otto Quan­gels Zel­le auf­schließt.

Quan­gel, aus tie­fem Schlaf er­wacht, sieht blin­zelnd auf die große, schwar­ze Ge­stalt, die in sei­ne Zel­le ge­tre­ten ist. Im nächs­ten Au­gen­blick ist er hell­wach, und sein Herz klopft schnel­ler als sonst, denn er hat be­grif­fen, was die­se große, dort schwei­gend un­ter der Tür ste­hen­de Ge­stalt be­deu­tet.

»Ist es so weit, Herr Pas­tor?«, fragt er und greift schon nach sei­nen Klei­dern.

»Es ist so weit, Quan­gel!«, ant­wor­tet der Geist­li­che. Und fragt: »Füh­len Sie sich be­reit?«

»Ich bin jede Stun­de be­reit«, ant­wor­tet Quan­gel, und sei­ne Zun­ge be­rührt das Röhr­chen in sei­nem Mun­de.

Er fängt an, sich an­zu­klei­den. Alle sei­ne Grif­fe ge­sche­hen ru­hig, ohne Hast.

Ei­nen Au­gen­blick mus­tern sich die bei­den schwei­gend. Der Pas­tor ist ein noch jun­ger, grob­kno­chi­ger Mann, mit ei­nem ein­fa­chen, viel­leicht et­was tö­rich­ten Ge­sicht.

Nicht viel los mit dem, ent­schei­det Quan­gel. Kein Mann wie der gute Pas­tor.

Der Pas­tor wie­der sieht vor sich einen lan­gen, ver­ar­bei­te­ten Mann. Das Ge­sicht mit dem schar­fen, vo­gel­haf­ten Pro­fil miss­fällt ihm, der mus­tern­de Blick des dun­keln, merk­wür­dig run­den Au­ges miss­fällt ihm, es miss­fällt ihm auch der schma­le, blut­lo­se Mund mit den ein­ge­knif­fe­nen Lip­pen. Aber der Geist­li­che gibt sich einen Stoß und sagt so freund­lich, wie er kann: »Ich hof­fe, Sie ha­ben Ihren Frie­den mit die­ser Welt ge­macht, Quan­gel?«

»Hat die­se Welt Frie­den ge­macht, Herr Pas­tor?«, fragt Quan­gel da­ge­gen.

»Lei­der noch nicht, Quan­gel, lei­der noch nicht«, ant­wor­tet der Geist­li­che, und sein Ge­sicht ver­sucht, einen Kum­mer aus­zu­drücken, der nicht emp­fun­den wird. Er über­geht die­sen Punkt und fragt wei­ter: »Aber den Frie­den mit Ihrem Herr­gott ha­ben Sie doch ge­macht, Quan­gel?«

»Ich glau­be an kei­nen Herr­gott«, ant­wor­tet Quan­gel kurz.

»Wie?«

Der Pas­tor scheint fast er­schro­cken von die­ser brüs­ken Er­klä­rung. »Nun«, fährt er fort, »wenn Sie viel­leicht auch an kei­nen per­sön­li­chen Gott glau­ben, so wer­den Sie doch ein Pan­the­ist sein, nicht wahr, Quan­gel?«

»Was ist das?«

»Nun, das ist doch klar …« Der Pas­tor ver­sucht et­was zu er­klä­ren, was ihm selbst nicht ganz klar ist. »Eine Welt­see­le, ver­ste­hen Sie. Al­les ist Gott, Sie ver­ste­hen? Ihre See­le, Ihre un­s­terb­li­che See­le wird in die große Wel­ten­see­le heim­keh­ren, Quan­gel!«

»Al­les ist Gott?«, fragt Quan­gel. Er ist jetzt mit An­zie­hen fer­tig ge­wor­den und steht vor der Prit­sche. »Ist Hit­ler auch Gott? Das Mor­den drau­ßen Gott? Sie Gott? Ich Gott?«

»Sie ha­ben mich falsch ver­stan­den, ver­mut­lich ab­sicht­lich falsch ver­stan­den«, ant­wor­tet ge­reizt der Geist­li­che. »Aber ich bin nicht hier, Quan­gel, um mit Ih­nen über re­li­gi­öse Fra­gen zu dis­ku­tie­ren. Ich bin ge­kom­men, Sie auf Ihren Tod vor­zu­be­rei­ten. Sie wer­den ster­ben müs­sen, Quan­gel, in we­ni­gen Stun­den. Sind Sie be­reit?«

Statt ei­ner Ant­wort fragt Quan­gel: »Ha­ben Sie den Pas­tor Lo­renz ge­kannt im Un­ter­su­chungs­ge­fäng­nis beim Volks­ge­richts­hof?«

Der Pas­tor, schon wie­der aus dem Kon­zept ge­bracht, ant­wor­tet är­ger­lich: »Nein, aber ich habe von ihm ge­hört. Ich darf wohl sa­gen, der Herr hat ihn zur rech­ten Zeit ab­be­ru­fen. Er hat un­serm Stan­de Schan­de ge­macht.«

Quan­gel sah den Geist­li­chen auf­merk­sam an. Er sag­te: »Er war ein sehr gu­ter Mann. Vie­le Ge­fan­ge­ne wer­den mit Dank­bar­keit an ihn den­ken.«

»Ja«, rief der Pas­tor in un­ver­hüll­tem Är­ger. »Weil er eu­ren Lüs­ten nach­ge­ge­ben hat! Er war ein sehr schwa­cher Mann, Quan­gel. Der Die­ner Got­tes hat ein Kämp­fer zu sein in die­sen Kriegs­zei­ten, kein flau­er Kom­pro­miss­ma­cher!« Er be­sann sich wie­der. Er sah has­tig auf die Uhr und sag­te: »Ich habe nur noch acht Mi­nu­ten für Sie, Quan­gel. Ich habe noch ei­ni­ge Ih­rer Lei­dens­ge­fähr­ten, die gleich Ih­nen heu­te den letz­ten Gang an­tre­ten, mit mei­nem geist­li­chen Trost zu ver­se­hen. Wir wol­len jetzt be­ten …«

Der Geist­li­che, die­ser stark­kno­chi­ge, gro­be Bau­er, hat­te ein wei­ßes Tuch aus der Ta­sche ge­zo­gen und ent­fal­te­te es be­hut­sam.

Quan­gel frag­te: »Ver­se­hen Sie auch die hin­zu­rich­ten­den Frau­en mit Ihrem geist­li­chen Trost?«

Sein Spott war so un­durch­dring­lich, dass der Pas­tor nichts von ihm merk­te. Er brei­te­te das schnee­wei­ße Tuch auf dem Zel­len­bo­den aus und ant­wor­te­te da­bei gleich­gül­tig: »Es fin­den heu­te kei­ne Hin­rich­tun­gen von Frau­en statt.«

»Erin­nern Sie sich viel­leicht«, frag­te Quan­gel hart­nä­ckig wei­ter, »ob Sie in der letz­ten Zeit bei ei­ner Frau Anna Quan­gel ge­we­sen sind?«

»Frau Anna Quan­gel? Das ist Ihre Frau? Nein, be­stimmt nicht. Ich wür­de mich er­in­nern. Ich habe ein un­ge­wöhn­lich gu­tes Na­men­ge­dächt­nis …«

»Ich habe eine Bit­te, Herr Pas­tor …«

»Nun, sa­gen Sie schon, Quan­gel! Sie wis­sen, mei­ne Zeit ist knapp!«

»Ich bit­te Sie, mei­ner Frau, wenn es so weit ist, nicht zu sa­gen, dass ich vor ihr hin­ge­rich­tet wor­den bin. Sa­gen Sie ihr bit­te, dass ich in der glei­chen Stun­de mit ihr st­er­be.«

»Das wäre eine Lüge, Quan­gel, und ich als Die­ner Got­tes darf mich nicht ge­gen sein ach­tes Ge­bot ver­ge­hen.«

»Sie lü­gen also nie, Herr Pas­tor? Sie ha­ben noch nie in Ihrem Le­ben ge­lo­gen?«

»Ich hof­fe«, sag­te der Pas­tor, ver­wirrt un­ter dem spöt­tisch mus­tern­den Blick des an­de­ren, »ich hof­fe, dass ich mich stets nach mei­nen schwa­chen Kräf­ten be­müht habe, Got­tes Ge­bo­te zu hal­ten.«

»Und Got­tes Ge­bo­te ver­lan­gen also von Ih­nen, mei­ner Frau den Trost, dass sie in der glei­chen Stun­de mit mir stirbt, zu ver­sa­gen?«

»Ich darf nicht falsch Zeug­nis re­den wi­der mei­nen Nächs­ten, Quan­gel!«

»Scha­de, scha­de! Sie sind wirk­lich nicht der gute Pas­tor.«

»Wie?«, rief der Geist­li­che, halb ver­wirrt, halb dro­hend.

»Herr Pas­tor Lo­renz hieß im Ge­fäng­nis nur der gute Pas­tor«, er­klär­te Quan­gel.

»Nein, nein«, rief der Pas­tor zor­nig, »ich seh­ne mich nicht nach ei­nem sol­chen von euch ge­spen­de­ten Ehren­na­men! Ich wür­de das einen Uneh­ren­na­men hei­ßen!« Er be­sann sich. Mit ei­nem Plumps fiel er auf die Knie, ge­nau auf das wei­ße Ta­schen­tuch. Er deu­te­te auf eine Stel­le des dunklen Zel­len­bo­dens ne­ben sich (denn das wei­ße Tuch reich­te nur für ihn aus): »Kni­en Sie auch nie­der, Quan­gel, wir wol­len be­ten!«

»Vor wem soll ich kni­en?«, frag­te Quan­gel kalt. »Zu wem soll ich be­ten?«

»Oh!«, brach der Pas­tor är­ger­lich aus, »fan­gen Sie doch nicht schon wie­der da­mit an! Ich habe schon viel zu viel Zeit an Sie ver­schwen­det!« Er sah kni­end zu dem Mann mit dem har­ten, bö­sen Ge­sicht auf. Er mur­mel­te: »Gleich­viel, ich wer­de mei­ne Pf­licht tun. Ich wer­de für Sie be­ten!«

Er senk­te den Kopf, fal­te­te die Hän­de, und sei­ne Au­gen schlos­sen sich. Dann stieß er den Kopf vor, öff­ne­te die Au­gen weit und schrie plötz­lich so laut, dass Quan­gel er­schro­cken zu­sam­men­fuhr: »O Du mein Herr und mein Gott! All­mäch­ti­ger, all­wis­sen­der, all­gü­ti­ger, all­ge­rech­ter Gott, Rich­ter über Gut und Böse! Ein Sün­der liegt hier vor Dir im Stau­be, ich bit­te Dich, Du wol­lest die Au­gen in Barm­her­zig­keit wen­den auf die­sen Men­schen, der vie­le Mis­se­tat be­gan­gen hat, ihn er­qui­cken an Leib und See­le und ihm alle sei­ne Sün­den in Gna­den ver­ge­ben …«

Der kni­en­de Pas­tor schrie noch lau­ter: »Nimm an das Op­fer des un­schul­di­gen To­des Jesu Chris­ti, Dei­nes lie­ben Soh­nes, für die Be­zah­lung sei­ner Mis­se­tat! Er ist ja auch auf des­sel­bi­gen Na­men ge­tauft und mit des­sel­bi­gen Blut ge­wa­schen und ge­rei­nigt. So er­ret­te ihn nun von des Lei­bes Qual und Pein! Ver­kür­ze ihm sei­ne Schmer­zen, er­hal­te ihn wi­der die An­kla­ge des Ge­wis­sens! Ver­lei­he ihm eine se­li­ge Heim­fahrt zum ewi­gen Le­ben!«

Der Geist­li­che senk­te sei­ne Stim­me zu ei­nem ge­heim­nis­vol­len Flüs­tern: »Schi­cke Dei­ne hei­li­gen En­gel her, dass sie ihn be­glei­ten zur Ver­samm­lung Dei­ner Au­ser­wähl­ten in Chri­sto Jesu, un­serm Herrn.«

Der Pas­tor rief wie­der sehr laut: »Amen! Amen! Amen!«

Er stand auf, fal­te­te das wei­ße Tuch sorg­fäl­tig wie­der zu­sam­men und frag­te, ohne Quan­gel an­zu­se­hen: »Es ist wohl ver­geb­lich, dass ich Sie fra­ge, ob Sie be­reit sind, das hei­li­ge Abend­mahl ein­zu­neh­men?«

»Völ­lig ver­geb­lich, Herr Pas­tor.«

Der Pas­tor streck­te zö­gernd sei­ne Hand ge­gen Quan­gel aus.

Quan­gel schüt­tel­te den Kopf und leg­te sei­ne Hän­de auf den Rücken.

»Auch das ist ver­geb­lich, Herr Pas­tor!«, sag­te er.

Der Pas­tor ging, ohne ihn an­zu­se­hen, zur Tür. Er wand­te sich noch ein­mal um, warf einen flüch­ti­gen Blick auf Quan­gel und sag­te: »Neh­men Sie noch die­sen Spruch mit zur letz­ten Richt­stät­te, Phil­ip­per 1,21: Chris­tus ist mein Le­ben, und Ster­ben ist mein Ge­winn.«

Die Tür klapp­te, er war ge­gan­gen.

Quan­gel at­me­te auf.

71. Der letzte Weg

Der Geist­li­che war kaum ge­gan­gen, da trat ein klei­ner, un­ter­setz­ter Mann in ei­nem hell­grau­en An­zug in die Zel­le. Er warf einen ra­schen, scharf prü­fen­den, klu­gen Blick auf Quan­gels Ge­sicht, ging dann auf ihn zu und sag­te: »Dr. Brandt, Ge­fäng­nis­arzt.« Er hat­te da­bei Quan­gels Hand ge­schüt­telt und be­hielt sie nun in der sei­nen, wäh­rend er sag­te: »Darf ich Ih­nen den Puls füh­len?«

»Im­mer zu!«, sag­te Quan­gel.

Der Arzt zähl­te lang­sam. Dann ließ er die Hand Quan­gels los und sag­te bei­fäl­lig: »Sehr gut. Aus­ge­zeich­net. Sie sind ein Mann.«

Er warf einen ra­schen Blick zur Tür, die halb of­fen­ge­blie­ben war, und frag­te flüs­ternd: »Kann ich was für Sie tun? Was Be­täu­ben­des?«

Quan­gel be­weg­te ver­nei­nend den Kopf. »Ich dan­ke schön, Herr Dok­tor. Es wird auch so ge­hen.«

Sei­ne Zun­ge be­rühr­te die Am­pul­le. Er über­leg­te einen Au­gen­blick, ob er dem Arzt noch ir­gend­ei­nen Auf­trag an Anna ge­ben soll­te. Aber nein, die­ser Pas­tor wür­de ihr doch al­les er­zäh­len …

»Sonst et­was?«, frag­te der Arzt flüs­ternd. Er hat­te Quan­gels Schwan­ken so­fort be­merkt. »Vi­el­leicht ein Brief zu be­stel­len?«

»Ich habe hier kein Schreib­zeug – ach nein, ich will es auch las­sen. Ich dan­ke Ih­nen je­den­falls, Herr Dok­tor, wie­der ein Mensch mehr! Gott­lob sind auch in solch ei­nem Bau nicht alle schlecht.«

Der Arzt nick­te trü­be, gab Quan­gel noch ein­mal die Hand, über­leg­te und sag­te rasch: »Ich kann Ih­nen nur sa­gen: Blei­ben Sie so mu­tig.«

Und er ver­ließ rasch die Zel­le.

Ein Auf­se­her trat ein, ge­folgt von ei­nem Ge­fan­ge­nen, der eine Schüs­sel und einen Tel­ler trug. In der Schüs­sel dampf­te hei­ßer Kaf­fee, auf dem Tel­ler la­gen mit But­ter be­stri­che­ne Bro­te. Da­ne­ben zwei Zi­ga­ret­ten, zwei Streich­höl­zer und ein Stück­chen Reib­flä­che.

»So«, sag­te der Auf­se­her. »Sie se­hen, wir las­sen uns nicht lum­pen. Und al­les ohne Kar­ten!«

Er lach­te, und der Kal­fak­tor lach­te pflicht­schul­digst mit. Es war zu mer­ken, dass die­ser »Witz« schon oft ge­macht wor­den war.

In ei­ner plötz­li­chen, über­ra­schen­den Auf­wal­lung von Är­ger sag­te Quan­gel: »Neh­men Sie das Zeug wie­der raus! Ich brau­che eure Hen­kers­mahl­zeit nicht!«

»Das soll mir kei­ner zwei­mal sa­gen!«, sag­te der Auf­se­her. »Üb­ri­gens ist der Kaf­fee bloß Mucke­fuck und die But­ter Mar­ga­ri­ne …«

Und wie­der war Quan­gel al­lein. Er ord­ne­te sein Bett, zog die Be­zü­ge ab und leg­te sie ne­ben der Tür nie­der, klapp­te das Ge­stell an die Wand. Dann mach­te er sich dar­an, sich zu wa­schen.

Er war noch da­bei, als ein Mann, ge­folgt von zwei Bur­schen, die Zel­le be­trat.

»Die Wa­sche­rei spa­ren Sie sich man«, sag­te der Mann lär­mend. »Jetzt wer­den wir Sie erst­klas­sig ra­sie­ren und fri­sie­ren! Los, Jun­gens, macht ein biss­chen schnell, wir sind spät dran!« Und ent­schul­di­gend zu Quan­gel: »Ihr Vor­gän­ger hat uns zu sehr auf­ge­hal­ten. Man­che wol­len gar kei­ne Ver­nunft an­neh­men und be­grei­fen nicht, dass ich nichts än­dern kann. Ich bin näm­lich der Scharf­rich­ter von Ber­lin …«

Er streck­te Quan­gel die Hand hin.

»Nun, Sie wer­den se­hen, ich wer­de we­der trö­deln noch quä­len. Macht ihr kei­ne Schwie­rig­kei­ten, ma­che ich auch kei­ne. Ich sage im­mer zu mei­nen Jun­gens: ›Jun­gens‹, sage ich, ›wenn ei­ner sich un­ver­nünf­tig an­stellt und schmeißt sich hin und brüllt und schreit, so seid ihr auch un­ver­nünf­tig. Packt ihn an, wo ihr ihn zu fas­sen kriegt, und wenn ihr ihm die Ho­den raus­reißt!‹ Aber bei ver­nünf­ti­gen Leu­ten, wie du ei­ner bist, im­mer fein sach­te!«

Wäh­rend er so im­mer wei­ter­re­de­te, war eine Haar­schnei­de­ma­schi­ne über Quan­gels Kopf hin und her ge­wan­dert, sein sämt­li­ches Kopf­haar lag auf dem Zel­len­bo­den. Der an­de­re Hen­kers­ge­hil­fe hat­te Sei­fe zu Schaum ge­schla­gen und ra­sier­te Quan­gels Bart. »So«, sag­te der Scharf­rich­ter be­frie­digt. »Sie­ben Mi­nu­ten! Wir ha­ben wie­der auf­ge­holt. Noch ein paar sol­che Ver­nünf­ti­ge, und wir sind pünkt­lich wie die Ei­sen­bahn.« Und bit­tend zu Quan­gel: »Sei so nett und feg dein Zeug sel­ber zu­sam­men. Du bist nicht dazu ver­pflich­tet, ver­stehst du, aber wir sind knapp mit der Zeit. Der Di­rek­tor und der An­klä­ger kön­nen je­den Au­gen­blick kom­men. Schmeiß die Haa­re nicht in den Kü­bel, ich leg dir hier ’ne Zei­tung hin: wick­le sie ein und lege sie ne­ben die Tür. Es ist ein klei­ner Ne­ben­ver­dienst, du ver­stehst?«

»Was machst du denn mit mei­nen Haa­ren?«, frag­te Quan­gel neu­gie­rig.

»Ver­kauf ich an einen Perücken­ma­cher. Perücken wer­den im­mer ge­braucht. Nicht nur für die Schau­spie­ler, auch so. Na, dann dank ich auch schön. Heil Hit­ler!«

Auch die wa­ren ge­gan­gen, mun­te­re Bur­schen, konn­te man wohl sa­gen, sie ver­stan­den ihr Hand­werk, man konn­te nicht mit mehr See­len­ru­he Schwei­ne schlach­ten. Und doch ent­schied Quan­gel, dass die­se ro­hen, herz­lo­sen Bur­schen bes­ser zu er­tra­gen sei­en als der Pas­tor vor­hin. Dem Scharf­rich­ter hat­te er doch so­gar ohne Wei­te­res die Hand ge­ge­ben.

Quan­gel hat­te ge­ra­de die Wün­sche des Scharf­rich­ters, die Zel­len­rei­ni­gung be­tref­fend, er­füllt, als schon wie­der die Tür ge­öff­net wur­de. Es tra­ten ein, be­glei­tet von ei­ni­gen Uni­for­mier­ten, ein di­cker Herr mit ro­tem Schnurr­bart und ei­nem fet­ten, blei­chen Ge­sicht – der Ge­fäng­nis­di­rek­tor, wie sich gleich her­aus­stell­te, und ein al­ter Be­kann­ter Quan­gels: der An­klä­ger aus der Haupt­ver­hand­lung, der wie ein Pin­scher kläff­te.

Zwei Uni­for­mier­te pack­ten Quan­gel und ris­sen ihn roh ge­gen die Zel­len­wand zu­rück, wo sie ihn zwan­gen, Hal­tung ein­zu­neh­men. Dann stell­ten sie sich ne­ben ihn.

»Otto Quan­gel«, schrie der eine.

»Ach so!«, kläff­te der Pin­scher los. »An das Ge­sicht er­in­ne­re ich mich doch!« Er wand­te sich an den Di­rek­tor. »Dem habe ich sel­ber sein To­des­ur­teil ver­schafft!«, sag­te er stolz. »Ein ganz un­ver­schäm­ter Bur­sche das. Er dach­te, er könn­te dem Ge­richt und mir frech kom­men. Aber wir ha­ben’s dir ge­ge­ben, Bur­sche!«, kläff­te er, zu Quan­gel ge­wen­det, wei­ter. »Was, wir ha­ben’s dir ge­ge­ben! Wie ist dir nun? Nicht mehr ganz so frech, wie?«

Ei­ner der Män­ner ne­ben ihm puff­te Quan­gel in die Sei­te. »Ant­wor­ten!«, flüs­ter­te er be­feh­lend.

»Ach, leckt mich doch alle!«, sag­te Quan­gel ge­lang­weilt.

»Wie? Was?« Der An­klä­ger tanz­te vor Er­re­gung von ei­nem Bein aufs an­de­re. »Herr Di­rek­tor, ich ver­lan­ge …«

»Ach was!«, sag­te der Di­rek­tor, »las­sen Sie die Leu­te doch zu­frie­den! Sie se­hen doch, das ist ein ganz ru­hi­ger Mann! Nicht wahr, das sind Sie doch?«

»Na­tür­lich!«, ant­wor­te­te Quan­gel. »Er soll mich nur zu­frie­den las­sen. Ich las­se ihn schon in Ruhe.«

»Ich pro­tes­tie­re! Ich ver­lan­ge …!«, schrie der Pin­scher.

»Was denn?«, sag­te der Di­rek­tor, »was kön­nen Sie denn jetzt noch ver­lan­gen? Mehr als hin­rich­ten kön­nen wir den Mann doch nicht, und das weiß der sehr gut. Also, ma­chen Sie los, le­sen Sie ihm schon das Ur­teil vor!«

End­lich be­ru­hig­te sich der Pin­scher, ent­fal­te­te ein Ak­ten­stück und be­gann vor­zu­le­sen. Er las has­tig und un­deut­lich, über­sprang Sät­ze, ver­wirr­te sich und schloss ganz plötz­lich: »Also, Sie wis­sen Be­scheid!«

Quan­gel ant­wor­te­te nicht.

»Füh­ren Sie den Mann nach un­ten!«, sag­te der rot­bär­ti­ge Di­rek­tor, und die bei­den Wa­chen pack­ten Quan­gel fest bei den Ar­men.

Er mach­te sich un­wil­lig los.

Sie pack­ten ihn noch fes­ter an.

»Las­sen Sie den Mann al­lein ge­hen!«, be­fahl der Di­rek­tor. »Der wird schon kei­ne Schwie­rig­kei­ten ma­chen.«

Sie tra­ten auf den Gang hin­aus. Dort stan­den eine Men­ge Leu­te, Uni­for­mier­te und Zi­vi­lis­ten. Plötz­lich hat­te sich ein Zug ge­bil­det, des­sen Mit­tel­punkt Otto Quan­gel war. An der Spit­ze gin­gen Wacht­meis­ter. Dann folg­te der Pas­tor, der jetzt einen Talar mit weißem Kra­gen trug und ir­gen­det­was Un­ver­ständ­li­ches vor sich hin be­te­te. Hin­ter ihm ging Quan­gel, in eine gan­ze Trau­be von Auf­se­hern gehüllt, aber der klei­ne Arzt im hel­len An­zug hielt sich dicht bei ihm. Da­hin­ter folg­ten der Di­rek­tor und der An­klä­ger, de­nen wie­der Zi­vi­lis­ten und Uni­for­mier­te nach­gin­gen, die Zi­vi­lis­ten zum Teil mit Fo­to­ap­pa­ra­ten be­waff­net.

So be­weg­te sich der Zug über Kor­ri­do­re, die schlecht be­leuch­tet wa­ren, über ei­ser­ne Trep­pen, de­ren Lin­ole­um­be­lag schlüpf­rig war, durch das To­ten­haus. Und wo er vor­bei­kam, schi­en ein Stöh­nen in den Zel­len laut zu wer­den, ein ver­hal­te­nes Äch­zen aus tiefs­ter Brust. Plötz­lich rief eine Stim­me aus ei­ner Zel­le sehr laut: »Lebe wohl, Ge­nos­se!«

Und ganz me­cha­nisch ant­wor­te­te Otto Quan­gel laut: »Lebe wohl, Ge­nos­se!« Erst einen Au­gen­blick spä­ter fiel ihm ein, wie wi­der­sin­nig die­ses »Le­be­wohl« an einen Ster­ben­den ge­we­sen war.

Jetzt wur­de eine Tür auf­ge­schlos­sen, und sie tra­ten auf den Hof hin­aus. Noch hing das nächt­li­che Dun­kel zwi­schen den Mau­ern. Quan­gel sah rasch rechts und links, sei­ner über­wa­chen Auf­merk­sam­keit ent­ging nichts. Er sah an den Fens­tern des Zel­len­ge­fäng­nis­ses das Rund vie­ler blei­cher Ge­sich­ter, die Ka­me­ra­den, die, gleich ihm zum Tode ver­ur­teilt, noch leb­ten. Ein Schä­fer­hund fuhr laut bel­lend dem Zuge ent­ge­gen, wur­de von dem Pos­ten zu­rück­ge­pfif­fen und zog sich knur­rend zu­rück. Der Kies knirsch­te un­ter den vie­len Fü­ßen, es sah aus, als müs­se er bei Ta­ges­licht leicht gelb­lich aus­se­hen, jetzt, im Schein der elek­tri­schen Lam­pen, wirk­te er weiß­lich­grau. Über die Mau­er sah schat­ten­haft der Um­riss ei­nes ent­blät­ter­ten Bau­mes. Die Luft war frös­te­lig und feucht. Quan­gel dach­te: In ei­ner Vier­tel­stun­de wer­de ich nicht mehr frie­ren – ko­misch!

Sei­ne Zun­ge tas­te­te nach der Glasam­pul­le. Aber es war noch zu früh …

Selt­sam, so deut­lich er al­les sah und hör­te, was um ihn vor­ging, bis auf die ge­rings­te Klei­nig­keit, so un­wirk­lich schi­en ihm doch al­les. Dies war ihm ein­mal er­zählt wor­den. Er lag in sei­ner Zel­le und träum­te da­von. Ja, es war ganz un­mög­lich, dass er hier kör­per­lich wan­del­te, und sie alle, die hier mit ihm gin­gen, mit ih­ren gleich­gül­ti­gen oder ro­hen oder gie­ri­gen oder trau­ri­gen Ge­sich­tern, sie alle wa­ren nichts Kör­per­li­ches. Der Kies war kaum Kies, und das Schar­ren der Füße, das Knir­schen der Stein­chen un­ter den Soh­len – das wa­ren Traum­ge­räusche …

Sie tra­ten durch eine Tür und ka­men in einen Raum, der so grell be­leuch­tet war, dass Quan­gel zu­erst nichts sah. Sei­ne Beglei­ter ris­sen ihn plötz­lich nach vorn, an dem nie­der­kni­en­den Geist­li­chen vor­bei.

Der Scharf­rich­ter kam mit sei­nen bei­den Ge­hil­fen auf ihn zu. Er streck­te ihm die Hand hin.

»Also, nimm mir’s nicht übel!«, sag­te er.

»Nee, zu was denn?«, ant­wor­te­te Quan­gel und nahm me­cha­nisch die Hand.

Wäh­rend der Scharf­rich­ter Quan­gel die Ja­cke aus­zog und den Kra­gen sei­nes Hem­des ab­schnitt, sah Quan­gel zu­rück auf die, die ihn be­glei­tet hat­ten. Er sah in der blen­den­den Hel­le nur einen Kranz wei­ßer Ge­sich­ter, die alle ihm zu­ge­wandt wa­ren.

Ich träu­me das, dach­te er, und sein Herz be­gann stär­ker zu klop­fen.

Aus dem Zuschau­er­raum lös­te sich eine Ge­stalt, und als sie nä­her kam, er­kann­te Quan­gel den klei­nen, hilfs­be­rei­ten Arzt im hell­grau­en An­zug.

»Nun?«, frag­te der Arzt mit ei­nem mat­ten Lä­cheln. »Wie geht es uns?«

»Im­mer ru­hig!«, sag­te Quan­gel, wäh­rend ihm die Hän­de auf dem Rücken ge­bun­den wur­den. »Im Au­gen­blick habe ich ziem­li­ches Herz­klop­fen, aber ich neh­me an, das wird sich in den nächs­ten fünf Mi­nu­ten ge­ben.«

Und er lä­chel­te.

»War­ten Sie, ich gebe Ih­nen was!«, sag­te der Arzt und griff in sei­ne Ta­sche.

»Ma­chen Sie sich kei­ne Mühe, Herr Dok­tor«, ant­wor­te­te Quan­gel. »Ich bin gut ver­sorgt …«

Und für einen Au­gen­blick zeig­te die Zun­ge zwi­schen den dün­nen Lip­pen die Glasam­pul­le …

»Ja, dann!«, mein­te der Arzt und sah ver­wirrt aus.

Sie dreh­ten Quan­gel um. Jetzt sah er vor sich den lan­gen Tisch, der mit ei­nem glat­ten, stump­fen, schwar­zen Über­zug be­deckt war, wie Wachs­tuch. Er sah Rie­men, Schnal­len, aber vor al­lem sah er das Mes­ser, das brei­te Mes­ser. Es schi­en ihm sehr hoch über dem Kopf zu hän­gen, dro­hend hoch. Es blink­te grau­sil­bern, es sah ihn tückisch an.

Quan­gel seufz­te leicht …

Plötz­lich stand der Di­rek­tor ne­ben ihm und sprach mit dem Scharf­rich­ter ei­ni­ge Wor­te. Quan­gel sah un­ver­wandt auf das Mes­ser. Er hör­te nur halb hin: »Ich über­ge­be Ih­nen als dem Scharf­rich­ter der Stadt Ber­lin die­sen Otto Quan­gel, dass Sie ihn mit dem Fall­beil vom Le­ben zum Tode brin­gen, wie es an­ge­ord­net ist durch rechts­kräf­ti­ges Ur­teil des Volks­ge­richts­ho­fes …«

Die Stim­me schall­te un­er­träg­lich laut. Das Licht war zu hell …

Jetzt, dach­te Quan­gel. Jetzt …

Aber er tat es nicht. Eine fürch­ter­li­che, pei­ni­gen­de Neu­gier kit­zel­te ihn …

Nur noch ein paar Mi­nu­ten, dach­te er. Ich muss noch wis­sen, wie es auf die­sem Tisch ist …

»Nun mal los, al­ter Jun­ge!«, mahn­te der Scharf­rich­ter. »Mach jetzt kei­ne lan­gen Ge­schich­ten. In zwei Mi­nu­ten hast du es aus­ge­stan­den. Hast du üb­ri­gens an die Haa­re ge­dacht?«

»Lie­gen an der Tür«, ant­wor­te­te Quan­gel.

Ei­nen Au­gen­blick spä­ter lag Quan­gel auf dem Tisch, er fühl­te, wie sie sei­ne Füße fest­schnall­ten. Ein stäh­ler­ner Bü­gel senk­te sich auf sei­nen Rücken und press­te sei­ne Schul­tern fest ge­gen die Un­ter­la­ge …

Es stank nach Kalk, nach feuch­tem Sä­ge­mehl, es stank nach Des­in­fek­ti­ons­mit­teln … Aber vor al­lem stank es, al­les an­de­re über­täu­bend, wi­der­lich süß nach et­was, nach et­was …

Blut …, dach­te Quan­gel. Es stinkt nach Blut …

Er hör­te, wie der Scharf­rich­ter lei­se flüs­ter­te: »Jetzt!«

Aber so lei­se er auch flüs­ter­te, so lei­se konn­te kein Mensch flüs­tern, Quan­gel hör­te es doch, die­ses »Jetzt!«

Er hör­te auch ein sur­ren­des Geräusch …

Jetzt!, dach­te es auch in ihm, und sei­ne Zäh­ne woll­ten die Zy­an­ka­liam­pul­le zer­bei­ßen …

Da würg­te es in ihm, ein Strom von Er­bro­che­nem füll­te sei­nen Mund, riss das Glas­röhr­chen mit …

O Gott, dach­te er, ich habe zu lan­ge ge­war­tet …

Das Sur­ren war ein Sau­sen ge­wor­den, das Sau­sen war ein gel­len­des Ge­schrei ge­wor­den, das bis in die Ster­ne, bis vor Got­tes Thron zu hö­ren sein muss­te …

Dann krach­te das Beil durch sein Ge­nick.

Quan­gels Kopf fällt in den Korb.

Ei­nen Au­gen­blick lag er ganz still, als sei die­ser kopf­lo­se Kör­per ver­blüfft über den Streich, den man ihm da ge­spielt. Dann bäum­te der Leib sich auf, er wand sich zwi­schen Rie­men und Stahl­bü­geln, die Ge­hil­fen des Scharf­rich­ters war­fen sich auf ihn und ver­such­ten, ihn nie­der­zu­drücken.

Die Ve­nen in den Hän­den des To­ten wur­den dick und di­cker, und dann fiel al­les zu­sam­men. Man hör­te nur das Blut, das zi­schen­de, rau­schen­de, dumpf nie­der­fal­len­de Blut.

Drei Mi­nu­ten nach dem Fall des Beils ver­kün­de­te der blei­che Arzt mit et­was zit­tern­der Stim­me den Tod des Hin­ge­rich­te­ten.

Sie räum­ten den Ka­da­ver fort.

Otto Quan­gel war nicht mehr.

4,24 zł
Gatunki i tagi
Ograniczenie wiekowe:
18+
Objętość:
5251 str. 2 ilustracje
ISBN:
9783962813598
Właściciel praw:
Bookwire
Format pobierania:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip