Die Stadt ist dunkel und trübe. Es wird nicht hell am Tage, es wird nicht dunkel in der Nacht. Immer schleicht irgendwie der Mond dazwischen, und die Büsche haben Zweige, die wie Arme deuten, und du bist nicht allein, so einsam du auch gehst, und jeder Zweig deutet hin auf das Handwerk, das du auszuüben hast.
Hinter deinem Bett steht ein Handkoffer. Er ist nicht Vulkanfiber, er könnte aber beinahe Vulkanfiber sein. Und in diesem Handkoffer liegen vierzehn Handtaschen. Du nimmst sie manchmal in die Hand und versuchst, dich zu erinnern. Aber was hat Erinnern für einen Sinn? Es ist immer dasselbe gewesen, und es ist umsonst, dass du am frühen Morgen, wenn du alt und müde bist, in deinem Bett liegst, und du nimmst die Taschen zur Hand, und du versuchst: Das war dieses Gesicht und das jener fein gemalte Mund, und du hast zugeschlagen mit aller Kraft, und die feine Nase zerplatzte und wurde dumm, roh. Umsonst, umsonst, du musst heute Abend noch einmal gehen. Verschollen, verblichen. Noch einmal und noch einmal, und dir ist doch schon, als tauchte immer die gleiche Schiebermütze auf über irgendeinem Dummen-Jungen-Gesicht, dummen Achtgroschengesicht, wenn du das Haus verlässt.
Und das Gesicht latscht dir nach unter der Schirmmütze, und du gehst listige Wege. Aber du weißt ganz gut, du hast immer denselben Überzieher an und immer den gleichen Hut auf, und es gibt vierzehn Beschreibungen von dir auf der Polizei, und heute Abend und morgen Abend und übermorgen Abend und vierzehn Tage abends wirst du eine Pause einlegen müssen, weil sie dir auf der Spur sind. Schirmmütze mit einem Achtgroschengesicht darunter …
Da sitzt du in deinem Bett. Da ist dein offener Handkoffer. Und die alte Pastorin Fleege mit ihren süßlichen Aniskuchen wirtschaftet auf dem Flur. Du hast den Koffer aufgemacht. Du hantierst mit deinen Handtaschen. Die meisten sind aus Kunstleder, aber eine Krokodilledertasche ist doch dabei und auch eine aus grauweißem Eidechsenleder. An denen riechst du gern. Sie haben dir eigentlich nicht viel eingebracht, diese vierzehn Taschen. Hundertsiebenundachtzig Mark sechzig in Summa. Aber was will das heißen? Man kann sich für dies Geld einen neuen Mantel und einen neuen Hut kaufen, und die Schirmmütze wird abhauen. Und was will das nun wieder sagen?
Da sind die Mädchen und die Frauen, und sie gehen ihren Weg nach Haus. Und sie stammen aus den gesicherten Heimen, wo man die Zeitungen liest wie aus Welten, wo fern die Völker die Waffen zusammenschlagen. Und nun kommst du und schlägst ihnen ins Gesicht. Und nimmst die Handtasche. Und die fernen Welten kommen rübergerutscht nach Hamburg und sind hart und heiß und trostlos.
Eine Klingel geht – warum geht immer eine Klingel? Er hört sie schusseln auf dem Flur, die alte Pastorin. Eine Stimme fragt, eine Stimme antwortet, und dann kommen leichte Schritte über den Gang, und er stopft die Taschen weg. Aber nicht ganz schnell genug, eine Tasche bleibt zurück, und dann tut die Tür sich auf.
Und wer ist es, der eintritt …?
Ilse. Niemand weiter als Ilse.
»Na, Ilse«, sagte Kufalt.
»Guten Tag, Willi«, sagte Ilse.
»Wieso Willi?« sagte Kufalt. »Ich heiße Ernst.«
»Meinethalben auch Ernst«, sagte Ilse fügsam und setzte sich in einen Sessel. »Hast du Kognak da?«
»Nein, ich habe keinen Kognak da.«
Pause. Sehr lange Pause.
»Du bringst mir sicher meine zehn Mark vom letzten Mal?« fragte Kufalt schließlich.
»Welche zehn Mark?« fragte sie dagegen.
»Die von der falschen Adresse«, sagte er.
»Ich hab dir nie eine falsche Adresse gegeben«, sagte sie.
Und die beiden versanken wieder in Stillschweigen.
»Was willst du eigentlich?« fragte er schließlich.
»Du hast da eine hübsche Handtasche«, sagte sie.
»Willst du sie haben?« fragte er.
»Du bist reizend, Schatz«, sagte sie und versuchte, ihn zu küssen. Aber er wollte nicht, und so wurde nichts daraus.
»Warum bist du eigentlich hier?« fragte er wieder.
»Ich wollte mal wissen, ob du überhaupt noch lebst.«
»Du hast dir Zeit gelassen«, sagte Kufalt.
»Man traut sich ja gar nicht«, sagte sie. »Wo du so böse von mir fortgegangen bist.«
»Und jetzt bin ich nicht mehr böse?« fragte er.
Wieder eine lange Stille.
»Zigaretten hast du auch nicht?« fragte sie schließlich.
»Ich glaube nein«, sagte er und brannte sich eine an.
»Na ja«, sagte sie. »Jeder muss wissen, wie er’s treibt.«
»Wie bitte?« sagte er, eine Spur gereizt.
»Jeder muss wissen, wo er bleibt«, sagte sie schließlich und schlug ihre langen Beine übereinander, sodass er über den Strümpfen einen Finger Fleisch und dann den Ansatz der fraisfarbenen Schlüpfer sah.
»Ich verstehe immer Bahnhof«, sagte er.
»Bahnhof ist gar nicht so schlecht«, sagte sie, »wenn einer türmen muss.«
»Wer muss türmen?« fragte er.
»Wenn einer«, sagte sie.
Kufalt sah gedankenvoll auf die Bettdecke vor sich, auf der noch immer die Handtasche lag.
»’ne ganz hübsche Handtasche«, sagte er einladend.
»Was macht eigentlich dein Freund?« fragte sie.
»Welcher Freund?« fragte er.
»Na, der Schwarze, Lange, Finstere«, sagte sie.
»Wieso?« fragte er.
»Ich frage ja bloß«, sagte sie.
»Ach so«, sagte er.
»Na also?« fragte sie.
»Ja«, sagte er.
»Also, dann kann ich ja gehen«, sagte sie sehr beleidigt.
»Wieso?« fragte er und tat sehr erstaunt. »Habe ich dich beleidigt?«
»Beleidigt?« fragte sie. »Mich kann so leicht keiner beleidigen.«
»Warum bist du denn so komisch?« fragte er.
»Ich bin doch nicht komisch«, sagte sie, »du bist komisch!«
»Ist denn Batzke nicht komisch?« fragte er.
»Wer Batzke?« fragte sie.
»Ach, den kennst du nicht?« fragte er. »Schickt er jetzt Achtgroschenjungen aus?«
»Ich verstehe nicht, von was du redest«, sagte sie.
»Das schadet auch nichts«, sagte er. »Wenn ich nur meine eigenen Worte verstehe.«
»Na also, denn gehe ich«, sagte sie.
Aber sie ging nicht.
»Guten Abend«, sagte er.
»Guten Abend«, sagte sie. »Und wie ist es mit den Brillantringen?« Sie lachte.
Es war, als hätte er einen Stoß vor den Magen bekommen.
»Mit welchen Brillantringen?« fragte er.
»Als wenn es viele solche Dinger gäbe!«
»Ohne Interesse«, sagte er. »Flau«, sagte er. »Dein Batzke hatte ja Angst«, sagte er. »Zittre bloß ab«, sagte er. »Wenn du denkst, ich drehe für euch den Kram«, sagte er. »So blau«, sagte er. »Ausverkauft, Mariechen«, sagte er. »Andere Tour«, sagte er. »Grüß den Stenz«, sagte er. »Sein Stubben wär ich nicht«, sagte er. »Würde ich auch nicht«, sagte er. »Guten Abend, Ilse«, sagte er. »Gib mir auch einen Kuss«, meinte er. »Nein, die Tasche ist viel zu mies für dich«, erklärte er. »Also denn auf Wiedersehen«, meinte er. »Schluss«, meinte er.
Und war sauwütend und trank vielen scharfen Kognak aus Deutschland.
Im Jahre 1904 hatte der landwirtschaftliche Bauernverein in Wilster eine Ausstellung veranstaltet, auf der mehr als dreihundert Haupt Rindvieh vorgeführt worden waren. Durch irgendeinen Zufall hatte Herr Pastor Fleege, damals noch im blühenden Leben befindlich, einen ersten Preis für sein Bullenkalb Jaromir aus der Thekla vom Eldorado-Sucher1 bekommen.
Dieser erste Preis stellte sich in Bronze in Gestalt eines aufbäumenden Bullen dar.
Frau Pastorin Fleege hatte ein sehr ausgesprochenes Gefühl dafür, eine wie große Ehrung die Verleihung dieses Kunstwerks darstellte. Trotzdem war ihr in all den vielen Jahren seitdem der auf seinen Hinterbeinen sich aufbäumende, den Kopf mit den klobigen Hörnern in ein unsichtbares Hindernis bohrende Bulle nicht sympathischer geworden.
Unter allen Dingen in ihrer Wohnung – und es waren viele Dinge in ihrer Wohnung – behandelte sie diesen Bullen ausgesucht stiefmütterlich. So penibel sie war, hier wurde erst abgestaubt, wenn die Not am höchsten war. So sanft der Flederwisch über alle Dinge in diesem Haushalt ging, hier klopfte und schlug er ein wenig. So ein Tier und sich aufbäumen …
Manchmal erinnerte sie sich erst spätabends um neun oder zehn Uhr daran, unter welcher Staubschicht er seufzte.
Jedenfalls war es an diesem Abend, sie erinnerte sich später genau daran. Herr Lederer hatte Besuch von der Frau seines unsympathischen Kollegen gehabt und hatte dann noch ungewöhnlich lange geschlafen. Er war erst um acht oder halb neun abends aus dem Bett aufgestanden, als die Frau des Freundes längst weggegangen war, und eigentlich hatte sie gehofft, Herr Lederer würde nach einem so stummen Tage wenigstens noch für zehn Minuten zu ihr hereinkommen.
Aber er war über den Flur gegangen und wortlos entschwunden. Und da hatte sie entdeckt, dass der Bulle mit dem Silberschild ganz voller Staub lag, und hatte sich an ein Klopfen und Abstäuben gemacht …
Unterdessen war Lederer in die Straßen hinuntergestiegen, ein wenig müde, ein wenig hungrig, ein wenig sehr durstig nach Alkohol.
Na also schön, na also gut. Die Ilse war mal wieder bei ihm gewesen. Sie hatte zärtlich werden wollen. Fünf oder zehn Mark hatten ihr sicherlich gefehlt – wie hatte sie übrigens gefragt?
Was macht dein Freund Batzke?
Nein, nicht so. Sie hatte ganz anders gefragt. Was interessierte sie übrigens Batzke?
Übrigens sind die Nachtstunden eine unübersichtliche Einrichtung. Es kann um acht in den Alsteranlagen dunkler und verlassener sein als um Mitternacht. Aber immerhin müssen trotzdem Mantel und Hut umgehend gewechselt werden. Warum sie eigentlich noch nicht gewechselt sind, kann niemand verstehen. Nicht einmal Kufalt.
Das Geld liegt doch zu Hause!
*
Es ist ein Motorradfahrer mit Beiwagen, der von einer kurzen Fahrt mit seiner Frau nach Haus kommt. Unten im Haus, in dem er wohnt, ist eine Kneipe. Diese Februarnachtfahrt war ziemlich frisch. Sie trinken beide einen Grog in der Wirtschaft, ehe sie das Motorrad mit Beiwagen durch die noch verschlossene Toreinfahrt auf den dritten Hof in die Garage vom Taxifahrer Scholtheiß schieben.
Nein, dazu kommt es dann doch nicht. Als sie wieder nach ihrem Grog aus der Wirtschaft auf die Straße kommen, ist das Motorrad mitsamt dem Beiwagen verschwunden. Es gibt nun natürlich einiges Gerenne.
Frau Pastorin Fleege freilich stört solches Gerenne nicht. Pussi ist zu Haus. Die Tür ist gesichert, Herr Lederer schwatzt gern mit seinen ehemaligen Berufskollegen und kommt selten vor zwei, drei nach Haus. So zieht sie unter der eng mit Haken versehenen Taille das Korsett schon aus und die Nachtjacke an. Und dann nimmt sie die Bibel vor. Sie liest ihren Tagesabschnitt und versucht, wie es ihr lieber Mann vor vielen, vielen Jahren tat, darüber Gedanken zu haben. Aber das ist nicht ganz einfach. Viel leichter ist es zu entdecken, dass dem vor anderthalb Stunden abgestäubten Bullen das linke Hinterbein noch immer nicht ordentlich abgestäubt ist.
»Verstehst du auch, was du liesest«, liest sie und überlegt, ob sie den Flederwisch noch im Zimmer oder schon in der Küche hat.
Wenn man eine Stunde geht, kann man in einer Stadt schon eine weite Strecke gegangen sein. Viele Gesichter, auch Mädchengesichter. Auch zärtliche Mädchengesichter, auch alleingehende zärtliche Mädchengesichter haben indessen Kufalt angeschaut. Was geht ihn das an? Ist er ein Handtaschenmarder? Er geht hier, damit er schlafen kann, wenn er müde ist. Es ist doch nicht so, dass er etwa darauf angewiesen wäre. Er kann sie laufen lassen, alle, alle, die besten Bürgertöchter, und kann die letzte Nutte nehmen, mit nichts in der Tasche als einem Lippenstift. Ist er etwa zu irgendwas verpflichtet?
Es ist neun Uhr zehn – gibt es etwa Leute, die an solchem Zeitticker sitzen und zählen die Zeit? Zeit ist bedeutungslos. Es gibt viele Zeit, die verrinnt, und für kaum einen hat sie Wert.
Der Wächter vom Goldwarengeschäft steht meistens hinter einer Säule an den Alsterarkaden. Er hat sehr viel Zeit. Er hat zwölf Stunden Dienst. Er hat seit zweiundzwanzigeinhalb Jahren zwölf Stunden Dienst, und nie ist irgendetwas geschehen. Er hat kaum noch ein Gefühl dafür, dass er unaussprechliche Kostbarkeiten bewacht. Er steht eben da, zwölf Stunden von vierundzwanzig. Jeden Tag, den Gott werden lässt, und dafür darf er die anderen zwölf Stunden zu Haus sein und Kinder ziehen und sich mit seiner Frau zanken. Er steht da hinter seiner Säule und kiekt. Aber er kiekt nicht die Spur, denn er hat nichts zu kieken, denn es passiert nichts. Denn es ist alles bestens organisiert.
Wenn man nun auf der anderen Seite wieder Ilse nimmt, so ist Ilseken nichts wie eine Strunze. Sie nimmt mit den geringsten Beträgen vorlieb, und sie versteht nichts, als dass sie irgendetwas haben möchte. Eine neue Tasche etwa oder drei Paar Seidenstrümpfe oder das schicke Straßenkleid von Robinsohn. Aber von diesen Wünschen erfüllt, von diesen Wünschen getrieben, geht sie dahin und erzählt dem Batzke dies und das und jenes. Und Willi weiß von nichts, und ein Bengel mit einer Schirmmütze taucht auf, und der sagt auch, Kufalt weiß von nichts, und dann knattert es vor der Haustür – aber wie bringt man in einem Beiwagen zwei Mann unter? Und wie lange fährt man bis zum Jungfernstieg? Wenn alle Verkehrsampeln rot brennen, fünfunddreißig Minuten, aber wenn alle Verkehrsampeln grün brennen, zwanzig Minuten. Und elf Uhr zweiundvierzig ist die Zeit, und auffallen darf man um keinen Preis.
Die Zeit macht tick und tick und tick, und das ist aller Schade. Und das ist aller Vorteil. Sie halten die Köpfe gesenkt, und sie halten die Köpfe erhoben, und zwischen der Innen- und der Außenalster geht eine Brücke. Sie heißt die Lombardsbrücke. Und die Bahn fährt dort lang. Und es ist eigentlich eine recht belebte Straße. Und keine drei Minuten Luftweg vom Jungfernstieg. Und ein junger Mann sagt dort: »Fräulein, wie ist es denn mit uns?«
Und ehe der Schlag fällt, und ehe sich das zage, zärtliche Gesicht entstellt, hat längst ein Motorrad geklappert, und eine Scheibe ist zerklirrt, und ein alter Mann mit einem Seehundsbart ist verzweifelt, und die uralte, hühnchenhafte, sagenhafte Fleege ist in ihre Federbetten zwischen Unterbett und Oberbett gestiegen, und ein Sternenfall von hunderteinundfünfzig Brillantringen im Verkaufswerte von einhundertdreiundfünfzigtausend Mark hat über die Straße geglänzt – aber das zarte, zärtliche Gesicht hat sich verändert, alle Lampen haben trüber gebrannt …
War nicht einer, war nicht eine, die sich aufgesetzt hat in ihrem Bett? Und die Zeit ging hervor, und der Regulator an der stummen dunklen Wand machte so laut und eindringlich tick-tack, tick-tack?
War nicht einer, war nicht eine? Es sind viele Wohnungen, es sind unzählige Betten, aber wer denkt an die, die draußen sind, die nicht schlafen können, die es umtreibt in der Nacht?
Wieder ein Mädchen zerschlagen: Sie wird nie wieder so schlafen können wie dermal einst, als sie noch glaubte, sie sei geborgen. Geh heim mit deiner Tasche, du, du wirst doch nicht schlafen können wie dermal einst, als du noch zu Haus warst und hattest eine Mutter.
Das Motorrad geht und geht und geht. Es knattert wie das Herz der Stadt. Es trägt fort. Es trägt fort, und dann ist es plötzlich, als sei sein Geräusch ausgelöscht. Von dem Wind, der von irgendwo kommt. Vom Lande etwa, wo die Seen sind und die Wälder. Es ist so still.
Nun ruhen alle.
1 Eldorado=sagenhaftes Goldland im Innern des nördlichen Südamerika. <<<
»Jetzt will ich Ihnen mal etwas sagen«, erklärte Herr Wossidlo und sah die beiden Kriminalbeamten böse an. »Sie haben mich, meinen Geschäftsführer, meine sämtlichen Angestellten seit Stunden vernommen. Sie haben mit einem sehr schlecht verborgenen Misstrauen meine Angaben über den Wert der gestohlenen Brillantringe aufgenommen. Sie haben der Reihe nach eigentlich jeden Angestellten meines Geschäfts in Verdacht der Teilhaberschaft an diesem Überfall gehabt, bis auf meinen armen Wächter hinunter, der seit über zwanzig Jahren bei meiner Firma arbeitet. Dann haben Sie wieder stundenlang auf der Straße und im Geschäft Untersuchungen angestellt, wie der Raub zustande gekommen ist. Sie haben diesen lächerlichen Pflasterstein, der aussieht wie jeder andere Pflasterstein, mit einer Sorgfalt untersucht, als wäre er ein nur einmal vorhandenes Einbruchswerkzeug.
All das mag ja Ihren kriminalistischen Gepflogenheiten entsprechen. Ich als Laie in diesen Dingen gewissermaßen möchte aber meinen, dass es etwas wichtiger wäre, sich um die Ergreifung der ausgerissenen Diebe zu bemühen. Die sechs oder sieben Stunden, die Sie jetzt in meinem Geschäft mit Untersuchungen und Vernehmungen zugebracht haben, sind sechs oder sieben Stunden Vorsprung für die Verbrecher. Ich möchte mir doch die Frage erlauben, ob wenigstens Kollegen von Ihnen sich mittlerweile mit der Ergreifung dieser Leute beschäftigt haben?«
»Darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben«, sagte der eine Kriminalbeamte mürrisch.
»Und darf ich weiter fragen«, sagte Herr Wossidlo kopfnickend, als sei das eben genau die Antwort gewesen, die er erwartet hatte, »darf ich weiter fragen, ob Sie schon eine gewisse Spur verfolgen?«
»Auch darüber darf ich im Interesse unserer Arbeit nichts sagen«, erklärte derselbe Beamte.
»Schön«, sagte Herr Wossidlo. »Und was denken Sie, was nun geschehen wird?«
»Darüber werden Sie Bescheid bekommen.«
»Ich will Ihnen noch etwas sagen«, rief Herr Wossidlo mit lauterer Stimme. »Was Sie hier bei mir getan haben, ist nur getan, um überhaupt irgendetwas zu tun – damit ich gewissermaßen beruhigt bin.
Ich bin nicht beruhigt, meine Herren. Ich habe mich nie mit kriminalistischen Methoden beschäftigt. Aber das sehe ich doch, dass Sie hier genauso wie ich im Dunkeln tappen und auf irgendeinen Zufall warten. Ich denke aber gar nicht daran, auf die Polizei und ihren Zufall zu warten. Ich erkläre Ihnen hiermit, ich werde selbstständig vorgehen, und ich werde selbstständig versuchen, die Räuber zu ermitteln, um meine Ringe wiederzubekommen.«
»Detektiv?« fragte der zweite Beamte.
»Darüber kann ich Ihnen im Interesse meiner Ermittlungen leider nichts sagen«, erklärte Herr Wossidlo. »Jedenfalls werden Sie bald Neueres von mir aus den Tageszeitungen hören.«
»Was wollen Sie denn machen?« sagte der erste Beamte rasch und besorgt. »Wir müssen doch Hand in Hand arbeiten.«
»Jetzt plötzlich?«
»Und wenn Sie eine Belohnung aussetzen wollen, zweifellos wird auch von uns eine Belohnung ausgesetzt werden.«
»Also ich kann nichts sagen«, erklärte Herr Wossidlo mit Nachdruck.
»Es können Berufsverbrecher in Frage kommen«, sagte sinnend, jetzt plötzlich mitteilsamer, der zweite Beamte. »Es können aber auch Leute sein, die durch irgendeinen Zufall von diesen drei Minuten erfahren haben, die der Laden praktisch unbewacht ist. Gerade darum mussten wir ja unsere Ermittlungen auch auf Ihre Angestellten erstrecken. Denn es gehört schon ein ganz gerissener Beobachter dazu, um ohne Wink hinter diese drei Minuten zu kommen.«
»Ich glaube an all diese Geschichten nicht«, sagte Herr Wossidlo. »Ich habe auch Kriminalromane gelesen, aber ich glaube nicht daran, dass Verbrechen so komplizierte Geschichten sind. Was braucht es Berufsverbrecher und lange Beobachtungen, um einen Stein in ein Ladenfenster zu werfen!«
Die Beamten wiegten die Köpfe, sichtlich nicht derselben Ansicht.
»Also, wir bitten Sie dann«, sagte der eine abschließend, »uns eine möglichst genaue Beschreibung der gestohlenen Ringe mit allen näheren Angaben noch heute aufs Stadthaus zu schicken. Das geht dann sofort heraus.«
»Schön, schön, das werde ich tun«, sagte Herr Wossidlo. »Guten Morgen, die Herren.«