Dieses Mal machte sie ein zorniges Gesicht und rief laut:
»Ich werde mir Ihretwegen noch eine Krankheit zuziehen; ich kann nicht fort, solange Sie da sind.«
Nun stand ich auf und ging fort, nicht ohne mich öfters umzuwenden. Als sie mich weit genug entfernt glaubte, stieg sie in halbgebückter Stellung aus dem Wasser heraus, wobei sie mir den Rücken zudrehte. Dann verschwand sie in einer Felsspalte hinter einem vor dem Eingang aufgehängten Rock.
Am nächsten Tage ging ich wieder hin. Sie war noch im Bade, aber diesmal in vollständigem Kostüm, und zeigte mir laut lachend ihre perlenweißen Zähne.
Nach acht Tagen hatten wir uns angefreundet, und nach weiteren acht Tagen waren wir schon ganz intim.
Sie hiess Marroca, zweifelsohne ein Spitzname, den sie aussprach, wie wenn er ein Dutzend »r« enthielte. Die Tochter spanischer Ansiedler, hatte sie einen Franzosen namens Pontabeze geheiratet. Ihr Mann hatte irgend einen Staatsposten, aber ich habe nie recht erfahren können, welcher Art eigentlich seine Beschäftigung war. Ich erfuhr nur, dass er immer sehr viel zu tun hatte, und das Übrige konnte mir ja auch gleichgültig sein.
Von nun an verlegte sie ihre Badezeit und hielt jeden Tag nach dem Gabelfrühstück mit mir in meinem Hause die Siesta. Welch eine Siesta! Das soll man Erholung nennen!
Ich habe wirklich selten ein so herrliches Weib gesehen; ihr Typus erinnerte etwas an ein Raubtier, aber sie war zu entzückend. Ihre Augen schienen immer vor Leidenschaft zu strahlen; ihr halboffener Mund, ihre scharfen Zähne, ja selbst ihr Lachen deutete auf eine sinnliche Wildheit hin. Ihre wundervolle straffe und hochgewölbte Büste, gleich fleischigen Äpfeln, war so schmiegsam wie eine Sprungfeder und vermehrte bei ihrem Körper den Eindruck des Tierischen, machte sie gewissermassen zu einem untergeordneten und doch erhabenen Geschöpfe, dessen Anblick in mir die Vorstellung von jenen Liebesgöttinnen des Altertums erweckte, deren Mysterien man sich ungezwungen in Hainen und Wäldern hingab.
Niemals schlug ein Herz mit unbezähmbarerem Verlangen als das im Busen dieser Frau. Ihrem flammenden Feuer, das sich in wilden Seufzern, im Knirschen der Zähne, in Zuckungen und in Beissen kundgab, folgte fast ebenso rasch eine tiefe totesähnliche Ohnmacht. Aber dann wachte sie plötzlich wieder in meinen Armen auf, zu neuen Liebkosungen und Genüssen bereit, indem sie mich mit ihren Küssen fast erstickte.
Ihr Verstand war nicht gerade sehr hervorragend, und ließ jede höhere Bildung vermissen; ein helles Lachen vertrat meistens bei ihr die Stelle der Gedanken. In dem instinktiven Bewusstsein ihrer Schönheit verabscheute sie selbst die leichteste Hülle, und in meinem Hause ging, lief und hüpfte sie mit einer ebenso harmlosen wie zuversichtlichen Ungeniertheit herum. Wenn sie schliesslich der Zärtlichkeit genug getan hatte, schlief sie, erschöpft von Seufzern und Liebesanstrengungen, neben mir auf dem Divan einen kräftigen gesunden Schlaf, während die drückende Hitze auf ihrer braunen Haut kleine Schweißperlchen hervorzauberte. Von ihren unter dem Kopf gekreuzten Armen, von ihren Schultern, aus all’ den verborgenen Falten ihres Körpers strömte jener unnennbare Duft aus, der uns Männer so sehr berauscht.
Zuweilen kam sie abends nochmals wieder, wenn ihr Mann irgendwo dienstlich abgehalten war. Wir machten es uns dann, nur notdürftig mit den feinen faltigen Geweben des Orients bekleidet, auf der Terrasse bequem.
Wenn der volle leuchtende Mond der Tropenländer am hohen Himmel stand und Stadt und Golf mit der sie einschliessenden Gebirgskette verklärte, dann sahen wir auf all’ den anderen Terrassen ein Heer von stummen Geistergestalten liegen, wieder aufstehen, ihre Plätze wechseln und sich bei der erschlaffenden Schwüle der windstillen Nacht wieder niederlegen.
Trotz der Helligkeit dieser südlichen Nächte bestand Marroca stets darauf, sich ohne jede Kleidung und noch dazu im vollsten Mondlicht niederzulegen. Ihr war es gleichgültig, ob andere uns vielleicht sehen könnten; und zuweilen schallten trotz meiner ängstlichen Bitten ihre lauten Schreie durch die Nacht, worauf dann in der Ferne die Hunde heulend Antwort gaben.
Als ich eines Abends unter dem hohen sternbesäeten Himmelszelt schon entschlummert war, kniete sie vor mir auf dem Teppich nieder, und indem sie ihre großen vollen Lippen meinem Munde näherte, sagte sie:
»Du musst einmal bei mir zu Hause schlafen.«
»Wie? Bei Dir?« fragte ich verständnislos.
»Ja, wenn mein Mann fortgegangen ist, sollst Du seinen Platz einnehmen.«
Ich konnte ein lautes Lachen nicht unterdrücken.
»Aber warum das nur, wo Du ja immer hierher kommst?«
Sie sprach mir ihre Antwort fast in den Mund hinein, sodass ihr warmer Odem mir in die Kehle drang und sein Hauch meinen Schnurrbart befeuchtete:
»Ich muss eine Erinnerung an Dich haben.« Und das »r« in dem Wort Erinnerung rollte über ihre Lippen wie ein Giessbach, der über Felsen stürzt.
Ich verstand immer noch nicht, was sie eigentlich wollte.
»Wenn Du nicht mehr da sein wirst«, sagte sie, ihre Arme um meinen Nacken schlingend, »werde ich immer daran denken; und wenn ich meinen Mann küsse, werde ich glauben, Du wärst es.«
Und die »arrr« und »errr« klangen bei ihrer Art zu sprechen jetzt fast wie entfernter Donner.
»Du bist nicht bei Sinnen«, sagte ich halb gerührt, halb belustigt. »Ich ziehe es doch vor, in meinem Hause zu bleiben.«
Ich muss nämlich gestehen, dass ich an diesen Rendezvous unter dem Dache des Gatten gar keinen Geschmack finde; es sind dies die Mäusefallen, in denen man die Dummen fängt. Sie aber ließ mit Bitten und Flehen nicht nach und weinte sogar schliesslich.
»Du wirst sehen, wie zärtlich ich mit Dir sein werde«, fügte sie hinzu.
Das »zärrrtlich« klang wie der Wirbel eines Tambours, der zum Sturme schlägt.
Ihr Wunsch kam mir so merkwürdig vor, dass ich mir ihn gar nicht erklären konnte; bei längerem Nachdenken glaubte ich jedoch, es sei irgend ein tiefer Hass gegen ihren Mann darunter verborgen, die stille Rachsucht vielleicht einer Frau, die mit Wonne den ihr widerwärtigen Gatten betrügt, und diesen Betrug noch vergrössern möchte, indem sie denselben in seinem Hause, auf seinen Möbeln, in seinen Kissen vollzieht.
»Ist Dein Mann sehr schlecht gegen Dich?« fragte ich sie.
»O nein«, entgegnete sie mit erstaunter Miene, »sogar sehr gut.«
»Aber Du liebst ihn wohl Deinerseits nicht?«
Sie sah mich mit ihren großen fragenden Augen an:
»Doch, ich liebe ihn sehr, im Gegenteil, sogar ganz ausserordentlich; aber nicht so sehr, wie ich Dich liebe, mein Herrrz!«
Ich verstand von alledem nichts, und während ich noch über des Rätsels Lösung nachdachte, erdrückte sie meinen Mund mit einer jener Schmeicheleien, deren Einfluss auf mich sie hinreichend kannte.
»Sag’, wirst Du kommen?« fragte sie leise.
Ich konnte mich aber nicht entschliessen. Da kleidete sie sich schleunigst an und ging fort.
Acht Tage verstrichen, ohne dass ich sie zu sehen bekam. Am neunten erschien sie wieder, blieb mit ernster Miene auf der Schwelle stehen und fragte:
»Willst Du diese Nacht bei mirr in meinen Arrrmen rruhen? Kommst Du nicht, so war ich zum letzten Male hier.«
Acht Tage, lieber Freund, ist eine lange Zeit, und in Afrika kommen sie einem wie ein Monat vor.
»Ja!« rief ich, die Arme öffnend, in die sie sich mit einem Freudenschrei stürzte.
Als die Nacht hereingebrochen war, wartete sie in einer benachbarten Strasse auf mich und geleitete mich zu ihrem Heim.
Sie bewohnten in der Nähe des Hafens ein kleines niedriges Haus. Wir durchschritten zuerst eine Küche, die zugleich als Speisezimmer diente, und gelangten dann in ein weißgetünchtes sauberes Gemach mit Fotografien der Verwandten an den Wänden und Papierblumen unter Glasglocken. Marroca schien vor Freude närrisch geworden zu sein.
»Jetzt bist Du hier, jetzt bist Du zu Hause!« rief sie, im Zimmer umhertanzend, ein über das andere Mal aus.
Und ich tat wirklich, als ob ich zu Hause wäre. Anfangs war ich etwas verlegen, das muss ich gestehen, ja sogar etwas ängstlich. Als ich zögerte, in dieser fremden Wohnung mich eines gewissen Kleidungsstückes zu entledigen, ohne dass ein Mann, wenn er überrascht wird, ebenso linkisch wie lächerlich erscheint und zu jeder Handlungsweise unfähig wird, entriss sie es mir mit Gewalt und trug es mit meinen anderen Sachen in das benachbarte Gemach.
Endlich fand ich meine Sicherheit wieder und suchte ihr dies nach Kräften und so gut zu beweisen, dass wir nach Verlauf von zwei Stunden noch nicht an Ruhe dachten, als plötzlich laute Schläge gegen die Türe uns erzittern Hessen.
»Ich bin’s, Marroca!« rief eine starke männliche Stimme.
»Mein Mann! Schnell, verbirg Dich unterm Bett!« flüsterte sie, in die Höhe fahrend. Ganz verwirrt suchte ich nach meinen Beinkleidern, aber sie drängte mich: »Geh doch, geh doch!«
Ich streckte mich der Länge nach auf dem Bauche aus und lag nun lautlos unter diesem Bette, auf welchem es mir so wohl gewesen war.
Sie schlüpfte in die Küche. Ich hörte, wie sie einen Schrank öffnete, ihn wieder schloss und irgendetwas herbeibrachte, das ich nicht sehen konnte, das sie aber schnell irgend wohin legte; dann, als ihr Mann ungeduldig wurde, antwortete sie mit fester ruhiger Stimme: »Ich finde die Streichhölzerrr nicht.«
»Ah, jetzt habe ich sie«, rief sie dann plötzlich, »ich öffne schon.« Und sie ging hinaus.
Ihr Mann kam herein. Ich sah nur seine Füsse, zwei enorme Füsse. Wenn das Übrige dazu im Verhältnis stand, so müsste es ein wahrer Hüne sein.
Ich hörte Küsse, dann einen Patsch auf die blosse Haut und Lachen.
»Ich habe meine Börse vergessen«, sagte er mit Marseiller Akzent, »deshalb musste ich umkehren. Hoffentlich kannst Du nachher ruhig schlafen.«
Er begab sich an die Kommode und suchte lange, was ihm fehlte, während Marroca sich auf ihr Bett warf, als käme sie vor Müdigkeit um. Hierauf ging er wieder zu ihr hin und versuchte zweifellos seine Zärtlichkeit an ihr, denn sie überhäufte ihn in wirren Redensarten mit einer Flut von rollenden »r«.
Ihre Füsse waren mir so nahe, dass mich ein törichtes, sinnloses und unerklärliches Verlangen ergriff, sie leise zu streicheln. Glücklicherweise konnte ich mich noch beherrschen.
Er schien seinen Zweck übrigens nicht zu erreichen, denn er wurde ärgerlich und sagte:
»Du bist sehr unliebenswürdig heute.« Aber schliesslich musste er gehen. »Adieu Kleine.«
Ein neuer Kuss, die großen Füsse wandten sich fort und verschwanden in der Küche. Die Haustüre schloss sich wieder.
Ich war erlöst!
Langsam, beschämt und niedergeschlagen verliess ich mein Versteck; und während Marroca, immer noch ganz unbekleidet, laut lachend und mit den Händen klatschend um mich herumtanzte, ließ ich mich schwerfällig auf einen Stuhl fallen. Aber mit einem Satze sprang ich wieder in die Höhe; etwas Kaltes lag unter mir, und da ich nicht mehr an hatte, als meine Gefährtin, so war mir diese Berührung sehr empfindlich gewesen.
Als ich mich umwandte, sah ich, dass ich mich auf ein kleines Beil gesetzt hatte, scharf wie eine Messerklinge, wie man es zum Holzspalten gebraucht. Wie war es dahin gekommen? Beim Eintreten hatte ich es noch nicht bemerkt.
Marroca sah meinen erstaunten Blick und lachte überlaut, sie schrie vor Vergnügen, während sie sich vor Lachen die Seiten hielt.
Ich fand dieses Lachen sehr wenig am Platze; es ärgerte mich ordentlich. Wir hatten doch einfach um unser Leben gespielt; es überlief mich noch kalt, wenn ich daran dachte. Und nun dieses fast beleidigende Lachen!
»Wenn Dein Mann mich nun aber entdeckt hätte?« fragte ich.
»Keine Not«, antwortete sie kurz.
»Was, keine Not?« Sie ist närrisch geworden, dachte ich. »Er brauchte sich doch nur zu bücken, um mich zu bemerken!«
Sie lachte nicht mehr; sie lächelte nur noch, indem sie mich mit ihren großen starren Augen ansah, in denen neue Begehrlichkeit aufflammte.
»Er hätte sich nicht gebückt.«
»Aber erlaube ’mal«, fuhr ich fort, »er brauchte z. B. nur seinen Hut fallen zu lassen. Er hätte ihn doch sicher aufgehoben, und dann … mir wäre es nett gegangen in diesem Kostüm da.«
Sie legte ihre runden kräftigen Arme auf meine Schultern, und ihre Stimme mässigend, als wollte sie sagen, »ich bete Dich an«, murmelte sie leise:
»Errr hätte sich nicht wiederr aufgerrrichtet.«
»Wieso denn?« fragte ich verständnislos.
Sie zwinkerte boshaft mit einem Auge und streckte ihre Hand nach dem Stuhle aus, auf dem ich sass. Ihre gekrümmten Finger, die Falten auf ihren Wangen, die spitzen glänzenden Raubtierzähne, das alles zeigte mir schon, wozu das kleine Holzbeil dienen sollte, dessen scharfe Schneide im Lichte glänzte.
Sie tat, als ob sie es ergriffe, zog mich mit der linken Hand ganz nahe an sich heran, presste ihre Hüfte an die meinige und führte mit der rechten eine Bewegung aus, wie wenn man einem knienden Menschen den Kopf spaltet …
*
Nun weißt Du, lieber Freund, was man hierzulande unter ehelicher Treue, Liebe und Gastfreundschaft versteht.
*
Wollen wir den Kaffee auf dem Dache einnehmen?« fragte mich der Kapitän.
»Natürlich, sehr gern«, antwortete ich. Er erhob sich. Es wurde in dem nach maurischer Bauart nur vom Hofe her erleuchteten Saale schon finster. Vor den hohen Spitzbogenfenstern rankten sich die Lianen von der großen Terrasse herunter, auf der man die warmen Sommerabende zuzubringen pflegte. Auf der Tafel standen nur noch Früchte, die riesigen Früchte Afrikas, Weintrauben von Pflaumengrösse, Feigen so weich, dass die Haut violett war, gelbe Birnen, schlanke und dicke Bananen, schliesslich in einem silbernen Körbchen die köstlichen Datteln von Tugurt.
Der maurische Diener öffnete die Tür und ich stieg die Treppe herauf, deren Wände durch das von oben einfallende Licht des sinkenden Tagesgestirns azurfarben leuchteten.
Bald hatte ich die Terrasse erklommen, nicht ohne einen lebhaften Ruf der Befriedigung auszustossen. Denn man sah von hier aus Algier, den Hafen, die Rhede und sogar die entfernter liegenden Küsten.
Das Haus, welches sich der Kapitän gekauft hatte, war eine alte arabische Wohnung und lag im Zentrum der Stadt zwischen den labyrinthartigen Gässchen, in denen die eingeborene Bevölkerung der afrikanischen Küste hauset.
Unter uns stiegen die flachen viereckigen Dächer wie riesige Stufen bis zu den schrägen Dächern der europäischen Stadt empor. Hinter diesen bemerkte man die Masten verankerter Schiffe, dann sah man schliesslich das Meer in seiner vollen Grösse blau und ruhig unter dem blauen und ruhigen Himmel.
Wir streckten uns auf weichen Matten, den Kopf von Kissen gestützt; und langsam den köstlichen Kaffee zur Neige schlürfend, sah ich dem Erscheinen der ersten Sterne am dunklen Horizont zu. Man bemerkte sie kaum erst, so weit entfernt und fahl, wie eben angezündete Lämpchen sahen sie aus.
Eine leichte Wärme, besser gesagt eine geflügelte Wärme, umschmeichelte die Schläfen. Zuweilen kam ein heisserer, drückenderer Hauch mit einem unbestimmbaren Dufte, dem Duft Afrikas, zu uns herüber; es war der Odem der nahen Wüste, der über die Hügel des Atlas her uns umwehte.
»Welch ein Land!« sagte der Kapitän, behaglich auf dem Rücken liegend. »Wie angenehm ist das Leben, wie erquickend, wie wohltuend die Ruhe! Sind diese Nächte nicht zum Träumen geschaffen?«
Ich betrachtete immer noch die aufgehenden Sterne mit einer behaglichen und zugleich lebhaften Neugierde, mit einer Art einschläfernden Wohlbefindens.
»Sie könnten mir eigentlich wohl etwas aus Ihrem Leben im Süden erzählen«, sagte ich.
Kapitän Marret war einer der ältesten Afrikaner unserer Armee, ein alter Spahi, der von der Pike auf gedient und sich mit dem Säbel in der Faust seinen jetzigen Rang erworben hatte.
Seinen Liebenswürdigkeiten, seinen freundschaftlichen Beziehungen verdankte ich eine herrliche Wüstenreise, und ich hatte ihm diesen Abend für alles danken wollen, ehe ich nach Frankreich zurückkehrte.
»Welche Art von Geschichten ziehen Sie vor?« fragte er; »es sind mir während der zwölf Jahre Wüstenlebens so viele Abenteuer passiert, dass ich sie fast schon vergessen habe.«
»Erzählen Sie mir von den arabischen Frauen«, bat ich.
Er antwortete nicht, sondern blieb, die Hände rückwärts unter den Kopf gelegt, auf seiner Matte liegen. Ich verspürte nur zuweilen den Rauch seiner vortrefflichen Zigarre, der sich kerzengrade in dieser windstillen Nacht emporringelte. Dann brach er plötzlich in ein herzliches Lachen aus:
»Ach ja! Eine komische Geschichte aus meiner ersten Zeit in Afrika muss ich Ihnen erzählen.
Wir hatten damals in der afrikanischen Armee noch ganz sonderbare Käuze, wie man sie jetzt nicht mehr kennt; Leute, deren Typus Sie so ergötzt hätte, dass Sie Ihr ganzes Leben hätten in diesem Lande zubringen mögen.
Ich war damals noch einfacher Spahi, ein kleiner Spahi von zwanzig Jahren, ganz blond, ein Tollkopf, dabei geschmeidig und kräftig, kurz ein Soldat, lieber Freund, wie man sie in Afrika braucht. Man hatte mich dem Militärposten von Boghar zugeteilt. Sie kennen Boghar, das man den Altan des Südens nennt; Sie haben von der Spitze des Forts dieses glühende, ausgesaugte, nackte, von Winden durchwehte, steinige und raue Land gesehen. Es ist wirklich das Vorzimmer der Wüste, die glühende stolze Grenze der unermesslichen Region der gelben Einsamkeit.
Gut! Wir waren in Boghar ungefähr vier Dutzend Spahis, eine muntere Gesellschaft, ferner eine Eskadron Chasseurs d’Afrique, als wir eines Tages hörten, dass der Stamm der Ouled-Berghi einen englischen Reisenden ermordet habe. Niemand wusste, wie der Mann es fertig gebracht hatte, in das Innere zu gelangen; aber die Engländer haben den Teufel im Leibe.
Gerechtigkeit musste nun wegen dieses Verbrechens an einem Europäer geübt werden; indessen der Oberkommandant zögerte mit Absendung einer Kolonne, da er einen Engländer vielleicht so viel Aufhebens gar nicht für wert hielt.
Da plötzlich machte ein Wachtmeister der Spahis, als der Kommandant noch mit dem Lieutenant während des Rapports über diese Angelegenheit sprach, den Vorschlag, den Stamm zu züchtigen, wenn man ihm nur sechs Mann mitgeben wolle.
Sie wissen, dass man im Süden etwas freier ist, als in den städtischen Garnisonen, und dass zwischen Offizieren und Mannschaften eine Art Kameradschaft besteht, die man sonst nicht kennt.
Bei den Worten des Wachtmeisters lachte der Kapitän.
»Du, mein Braver?«
»Jawohl, mein Kapitän! Und wenn’s verlangt wird, führe ich Ihnen den ganzen Stamm als Gefangene her.«
Der Kommandant, der viel auf den Zufall gab, nahm ihn beim Wort:
»Morgen früh kannst Du mit sechs Mann Deiner Wahl abmarschieren, und hol’ Dich der Teufel, wenn Du Dein Wort nicht hältst.«
Der Unteroffizier lachte in seinen Bart:
»Seien Sie unbesorgt, mein Kommandant! Spätestens Mittwoch Mittag sind die Gefangenen hier.«
Dieser Wachtmeister, Mohammed Fripouille, wie wir ihn nannten, war ein äusserst verschlagener Kerl, ein Türke, ein ganz echter, der nach einem vielbewegten und zweifellos etwas dunklem Leben in französische Dienste getreten war. Er war viel herumgekommen, in Griechenland, Kleinasien, Ägypten, Palästina, und mochte auf diesem Wege manche hübsche Geschichte ausgefressen haben. Er war ein echter Baschi-Bozuk, kühn, zügellos, wild und lustig, aber von der ruhigen Art der Orientalen. Er war dick, sehr dick sogar, aber gewandt wie ein Affe, und ritt ganz vorzüglich. Seine unverhältnismässig langen und dicken Schnurrbartenden machten auf mich stets den Eindruck zweier gekreuzter Krummsäbel. Er hasste die Araber wie die Pest und behandelte sie, wo er konnte, mit ausgesuchter tückischer Grausamkeit; stets hatte er neue Schliche, irgend eine raffinierte Schlechtigkeit für sie in Bereitschaft.
Ausserdem besass er eine riesige Kraft und einen geradezu tollkühnen Mut.
»Wähle Dir Deine Leute aus, mein Bursche«, hatte der Kommandant zu ihm gesagt.
Mohammed wählte unter anderen mich aus; er hatte Zutrauen zu mir, der Brave, und ich werde ihm zeitlebens für seine Wahl dankbar sein, die mir ebenso viel Freude machte, als später das Kreuz der Ehrenlegion.
Am anderen Morgen also beim ersten Tagesgrauen marschierten wir Sieben ab; es nahmen nur wir Sieben Teil. Meine Kameraden gehörten zu jener Klasse von schlimmen Subjekten, die in der halben Welt geplündert und geraubt hatten, um schliesslich in einer Fremden-Legion Dienst zu nehmen. Unsere afrikanische Armee war damals voll von diesen Kerls, ausgezeichneten Soldaten, aber nicht sehr gewissenhaft.
Mohammed hatte jedem von uns zehn Stück Strick-Enden von annähernd einem Meter Länge mitgegeben. Ich trug ausserdem als der Jüngste und Leichteste einen großen Strick von ungefähr hundert Meter Länge bei mir. Als wir unseren Führer fragten, wozu dies alles dienen solle, antwortete er mit freundlichem und verschlagenen Lächeln:
»Für den Araber-Fischzug.«
Hierbei kniff er boshaft ein Auge zu; eine Allure, die er von einem alten Pariser Chasseur d’Afrique angenommen hatte.
Er ritt an der Spitze unseres kleinen Zuges, auf dem Kopfe den roten Turban, den er stets im Felde trug, und lachte vielsagend in seinen großen Bart.
Er war in der Tat schön, dieser große Türke mit seinem dicken Bauche, den Schultern eines Kolosses und seiner ruhigen Miene. Sein Pferd war weiß, von mittlerer Figur, aber sehr kräftig; äusserlich schien allerdings sein Reiter zehn Mal zu groß für das Pferd.
Wir waren in ein kleines, steiniges, nacktes und ganz gelbes Tal hereingeritten, welches in das Tal des Chelif mündet, und sprachen von unserer Expedition. Meine Begleiter redeten in allen möglichen Sprachen, denn es waren unter ihnen zwei Griechen, ein Spanier, ein Amerikaner und drei Franzosen. Mohammed Fripouille selbst sprach ein tolles Kauderwälsch.
Die Sonne, die schreckliche Sonne des Südens, die man jenseits des Mittelmeeres nicht kennt, brannte auf unsere Schultern und wir ritten, wie dort üblich, im Schritt vorwärts.
Den ganzen Tag marschierten wir weiter ohne einen Baum oder einen Araber zu Gesicht zu bekommen.
Mittags 1 Uhr hatten wir in der Nähe einer kleinen Quelle, welche aus dem Gestein rieselte, Brot und trocknes Hammelfleisch gegessen, das wir in den Satteltaschen mitführten, dann machten wir uns nach einer Ruhepause von zwanzig Minuten neuerdings auf den Weg.
Endlich gegen 6 Uhr abends entdeckten wir nach dem endlosen Marsch, den uns unser Führer hatte zurücklegen lassen, hinter einem Hügel einen lagernden Stamm. Die niedrigen braunen Zelte warfen dunkle Schatten auf die gelbe Erde, wie große Wüsten-Pilze, welche die heisse Sonne am Fusse des rötlichen Hügels hervorgelockt hatte.
Es waren die, die wir suchten. Etwas weiter davon weideten am Rande einer kleinen dunkelgrünen Fläche die zusammengekoppelten Pferde.
»Galopp« rief Mohammed und wie ein Orkan waren wir plötzlich mitten im Lager. In großer Verwirrung durcheinander rennend und sich drängend wie eine gejagte Herde, rannten die mit weißen flatternden Fetzen bedeckten Frauen so schnell wie möglich den schützenden Zelten zu. Die Männer dagegen kamen von allen Seiten herbei, um sich zur Verteidigung anzuschicken.
Wir hatten den Säbel nach dem Beispiele Mohammeds in der Scheide behalten und galoppierten direkt auf das grösste Zelt, das des Häuptlings, zu.
Mohammeds Haltung war geradezu bewunderungswert. Unbeweglich ganz gerade sass er auf seinem Schimmel, der sich unter dem Druck seiner Schenkel wie rasend gebärdete. Gerade dieser Gegensatz zwischen der Ruhe des Reiters und der Lebhaftigkeit des Pferdes erregte Aufsehen.
Als wir vor dem Zelte des Häuptlings ankamen, trat dieser heraus. Es war ein hoher schlanker Mann von dunkler Hautfarbe, mit durchdringenden Augen, deren Brauen einen Bogen auf der gewölbten Stirn beschrieben.
»Was wünscht Ihr?« rief er uns auf Arabisch zu.
Kurz sein Pferd parierend fragte ihn Mohammed in seiner Sprache:
»Hast Du den englischen Reisenden getötet?«
»Darüber bin ich Dir keine Rechenschaft schuldig« antwortete stolz der Häuptling.
Um uns her grollte es wie bei einem nahenden Gewitter. Von allen Seiten liefen die Araber herbei und umdrängten uns wutschnaubend.
Mit ihren großen gebogenen Nasen, dem mageren Gesicht, und ihren flatternden Gewändern sahen sie wie wilde Raubvögel aus, die die Flügel regen.
Mohammed lächelte, unter seinem Turban mit den Augen blinzelnd, und ich sah, wie ein Wonneschauer über seine herabhängenden, fleischigen und faltigen Wangen huschte.
»Tod dem Mörder« rief er mit donnernder Stimme, die das Geschrei der Araber übertönte, und richtete gleichzeitig seinen Revolver auf die Stirn des Häuptlings. Ich sah eine Rauchwolke aufsteigen und dann rieselte rosiger Schaum und gleich darauf Blut aus dessen Stirn. Tötlich getroffen fiel er auf den Rücken, und seine weitgeöffneten Arme, in denen die Zipfel des Burnus sich verwickelten, sahen wie ausgespannte Flügel aus.
Jetzt glaubte ich wahrhaftig unser letztes Stündchen gekommen, so furchtbar war der Tumult, der losbrach.
Mohammed hatte seinen Säbel gezogen und wir folgten seinem Beispiele. Er warf mit einer Wendung seines Pferdes seine nächsten Gegner zur Seite und rief:
»Wer sich unterwirft, bleibt am Leben, die anderen müssen sterben.«
Mit seiner herkulischen Faust griff er den Nächsten, zog ihn auf den Sattel und hatte ihm die Hände gebunden, während er uns zurief
»Macht’s ebenso und säbelt die Widerspenstigen nieder.«
In fünf Minuten hatten wir ihrer Zwanzig gefangen, denen wir die Hände fest verschnürten. Dann ging’s an die Verfolgung der Flüchtigen; denn beim Anblick der gezogenen Säbel war eine allgemeine Flucht ringsum entstanden. Wir brachten noch einige dreissig Gefangene ein.
Über die ganze Ebene sah man weiße Punkte laufen. Es waren die Frauen, die ihre Kinder unter schrecklichem Geheul zu retten suchten.
Die gelben schakalartigen Hunde wimmelten knurrend um uns herum und fletschten die weißen Zähne.
Mohammed, der vor Freude närrisch geworden zu sein schien, ließ sein Pferd eine Kapriole machen und rief, den Strick ergreifend, den ich mitgebracht hatte:
»Achtung Kinder! Zwei Mann absitzen.«
Dann ordnete er etwas eben so Furchtbares wie Komisches an: Er befahl uns aus den Gefangenen oder besser gesagt, aus den Gehenkten einen Rosenkranz zu machen, wie er es scherzend nannte. In demselben Strick, der die Hände des ersten Gefangenen zusammenschnürte, machte er um den Hals desselben eine Schlinge, deren eines Ende wiederum die Faustgelenke des folgenden Arabers fesselte und ebenfalls wieder in einer um dessen Hals gelegten Schlinge endete. Unsere fünfzig Gefangenen waren bald auf diese Weise derartig verbunden, dass die geringste Fluchtbewegung des einen nicht nur ihn selbst, sondern auch seinen Vorder- und Hintermann, erdrosseln musste. Jede Bewegung, die sie machten, wirkte auf die Halsschlinge zurück und sie mussten in ganz gleichmässigem Abstand voneinander marschieren, wollten sie nicht Gefahr laufen, wie ein abgenickter Hase hinzustürzen.