Czytaj książkę: «Die Erziehung der Gefühle», strona 5

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5.

Am nächsten Vormittag hatte er sich einen Farbenkasten, Pinsel und eine Staffelei gekauft. Pellerin willigte ein, ihm Unterricht zu geben, und Frédéric führte ihn in seine Wohnung, um zu sehen, ob an seinen Mal-Utensilien nichts fehle.

Deslauriers war zurückgekommen. Ein junger Mann saß auf dem zweiten Sessel. Der Schreiber sagte, auf ihn weisend:

»Das ist er! da ist er nun! Sénécal!«

Dieser junge Mensch mißfiel Frédéric… Die Stirn trat unter seinem ganz kurz geschorenen Haar noch mehr hervor. Etwas Hartes, Kaltes stach aus seinen grauen Augen; und sein langer schwarzer Überrock, sein ganzes Kostüm verriet den Pädagogen, den Geistlichen.

Anfangs sprach man über Tagesereignisse, unter anderm von Rossinis Stabat; Sénécal, danach gefragt, erklärte, er gehe niemals ins Theater. Pellerin öffnete den Farbenkasten.

»Ist das alles für dich?« sagte der Schreiber.

»Aber selbstverständlich!«

»Ach was! welch eine Idee!«

Und er neigte sich über den Tisch, wo der Hilfslehrer der Mathematik in einem Bande von Louis Blanc blätterte. Er hatte ihn selber mitgebracht und las mit leiser Stimme Stellen daraus, während Pellerin und Frédéric zusammen die Palette, den Spachtel, die Tuben untersuchten, worauf sie anfingen, sich über das Diner bei Arnoux zu unterhalten.

»Der Kunsthändler?« fragte Sénécal. »Netter Herr, wahrhaftig!«

»Weshalb denn?« sagte Pellerin.

Sénécal erwiderte:

»Ein Mann, der aus politischen Schandtaten Geld herausschlägt!«

Und er fing an von einer bekannten Lithographie zu erzählen, auf der die ganze königliche Familie bei erbaulichen Beschäftigungen dargestellt war: Louis Philippe hielt ein Gesetzbuch, die Königin ein Gebetbuch, die Prinzessinnen stickten, der Herzog von Nemours gürtete sich einen Säbel um; Monsieur de Joinville zeigte seinen jüngeren Brüdern eine Landkarte; im Hintergrund bemerkte man ein zweischläfriges Bett. Dieses Bild, »Eine gute Familie« betitelt, war das Entzücken der Bürger gewesen, aber der Kummer der Patrioten. Pellerin erwiderte in einem ärgerlichen Ton, als wäre er selbst der Urheber, daß doch alle Meinungen von gleichem Wert seien. Sénécal widersprach. Die Kunst sollte ausschließlich die Moralisierung der Massen im Auge haben! Es müßten nur Stoffe wiedergegeben werden, die tugendhafte Handlungen darstellten; die andern wären schädlich.

»Aber das hängt doch von der Ausführung ab!« rief Pellerin aus. »Ich kann Meisterwerke schaffen!«

»Dann um so schlimmer. Man hat nicht das Recht…«

»Wie?«

»Nein, mein Herr, Sie haben nicht das Recht, mich für Dinge zu interessieren, die ich mißbillige! Wozu brauchen wir diese mühseligen Nichtigkeiten, aus denen unmöglich ein Nutzen zu ziehen ist, diese ewige Venus zum Beispiel, mit all euern Landschaften? Ich sehe darin keine Belehrung für das Volk! Zeigt uns dann lieber sein Elend! Begeistert uns für seine Opfer! Ach, mein Gott, an Gegenständen fehlt es nicht: die Felder und Wiesen, die Werkstätte…«

Entrüstet und in dem Glauben, ein Argument gefunden zu haben, stammelte Pellerin:

»Und Molière, lassen Sie den gelten?«

»Meinetwegen,« sagte Sénécal. »Ich bewundere ihn als Vorboten der französischen Revolution.«

»Ah! die Revolution! Welch eine Kunst! Nie gab es eine kläglichere Epoche!«

»Keine größere, mein Herr!«

Pellerin kreuzte die Arme und blickte ihm ins Gesicht:

»Sie sind wohl einer der berühmten Nationalgardisten!«

Sein Gegner, der an Diskussionen gewöhnt war, erwiderte ihm:

»Das nicht! und ich verabscheue sie ebenso wie Sie. Aber mit solchen Prinzipien verdirbt man die Menge! Übrigens aber rechnet die Regierung damit, sie wäre nicht so stark ohne die Mitschuld eines Haufens von Narren wie diese.«

Der Maler übernahm die Verteidigung des Kaufmanns, denn die Ansichten Sénécals brachten ihn auf. Er ging sogar so weit, zu behaupten, daß Jacques Arnoux ein Herz von Gold habe, seinen Freunden ergeben sei und seine Frau zärtlich liebe.

»Wer weiß! Wenn man ihm eine schöne Summe böte, würde er sich nicht weigern, sie als Modell herzugeben.«

Frédéric wurde bleich.

»Er hat Ihnen wohl großes Unrecht getan?«

»Mir? nein! Ich habe ihn nur einmal mit einem Freunde im Café gesehen. Das ist alles!«

Sénécal sprach die Wahrheit. Aber er fühlte sich täglich durch die Reklamen der Kunsthandlung peinlich berührt. Arnoux war für ihn der Repräsentant einer Welt, die er als unheilvoll für die Demokratie betrachtete. Als strenger Republikaner hielt er jede Vornehmheit für verdächtig, da er selber keine Bedürfnisse hatte und von unbeugsamer Gradheit war.

Es war schwer, die Unterhaltung wieder anzubahnen. Der Maler erinnerte sich bald seiner Verabredung, der Lehrer seiner Schüler; und als sie gegangen waren, stellte Deslauriers nach langem Schweigen verschiedene Fragen über Arnoux.

»Du führst mich dort später ein, nicht wahr, alter Junge?«

»Gewiß,« sagte Frédéric.

Darauf berieten sie ihre Einrichtung. Deslauriers hatte ohne Mühe eine Stelle als zweiter Schreiber bei einem Anwalt erhalten, hatte sich bei der Juristischen Fakultät immatrikulieren lassen, unentbehrliche Bücher gekauft – und das Leben, das so lange erträumte, begann.

Es war herrlich, dank der Schönheit ihrer Jugend. Da Deslauriers von einer Übereinkunft in Geldsachen nichts gesagt hatte, sprach Frédéric auch nicht davon. Er bestritt alle Ausgaben, sorgte für Ordnung, nahm sich des Haushalts an; aber wenn der Hausmeister einmal heruntergemacht werden sollte, so nahm der Schreiber es auf sich und fuhr fort, wie auf dem Gymnasium, die Rolle des Beschützers und des Älteren zu spielen.

Den ganzen langen Tag hindurch getrennt, fanden sie sich abends wieder zusammen. Jeder nahm seinen Platz am Kamin ein und setzte sich an seine Arbeit, aber sie zögerten nicht, sie zu unterbrechen. Es kamen Ergüsse ohne Ende, Fröhlichkeit ohne Grund, und zu weilen Streitigkeiten wegen einer Lampe, die qualmte, oder wegen eines verlegten Buches, Zornesausbrüche einer Minute, die unter Lachen verstummten.

Die Tür zu der Kammer blieb offen, und sie plauderten in ihren Betten.

Morgens spazierten sie in Hemdsärmeln auf ihrer Terrasse hin und her, die Sonne ging auf, leichte Nebel wallten über den Fluß, man hörte ein Kreischen vom Blumenmarkt nebenan; – und der Rauch ihrer Pfeifen wirbelte in der reinen Luft, die ihre noch verquollenen Augen erfrischte; sie atmeten sie ein und empfanden eine unermeßliche Hoffnungsfreudigkeit.

Sonntags gingen sie, wenn es nicht regnete, zusammen aus, und schlenderten Arm in Arm durch die Straßen. Fast immer überkam sie gleichzeitig dieselbe Nachdenklichkeit, oder sie plauderten, ohne etwas um sich her zu sehen. Deslauriers strebte nach Reichtum als Mittel zur Macht über die Menschen. Er hätte viele Leute in Bewegung setzen, viel Lärm machen, drei Sekretäre zu seiner Verfügung haben und einmal wöchentlich ein politisches Diner geben mögen. Frédéric richtete sich in Gedanken ein Palais in maurischem Stil ein, um sich, auf Kaschmirdiwans hingestreckt, beim Geplätscher eines Springbrunnens, von Negerpagen bedienen zu lassen; – und diese erträumten Dinge standen schließlich so deutlich vor ihm, daß er untröstlich war, als hätte er sie verloren.

»Wozu von alledem reden,« sagte er, »da wir es doch niemals haben werden.«

»Wer weiß?« sagte Deslauriers.

Trotz seiner demokratischen Ansichten schlug er ihm vor, Dambreuse nochmals zu besuchen. Frédéric wandte seine früheren Versuche ein.

»Ach was! Geh nur wieder hin! Sie laden dich schon ein!«

Gegen Mitte März erhielten sie unter anderen hohen Rechnungen diejenige des Speisewirts, der ihnen ihr Essen schickte. Frédéric, der nicht mehr die genügende Summe hatte, lieh von Deslauriers hundert Taler; vierzehn Tage später wiederholte er dieselbe Bitte, und der Schreiber schalt ihn wegen der Ausgaben, die er bei Arnoux machte.

Er kannte darin tatsächlich kein Maß. Eine Ansicht von Venedig, eine von Neapel und eine andere von Konstantinopel nahmen die Mitte der drei Wände ein, da und dort Reiterstudien von Alfred de Dreux und eine Gruppe von Pradier auf dem Kamin, Nummern der Kunsthandlung auf dem Piano und Mappen in den Ecken und auf dem Boden überfüllten ihre Wohnung derart, daß man kaum Platz hatte, ein Buch fortzulegen und die Arme zu bewegen. Frédéric behauptete, alles das für seine Malerei zu brauchen.

Er arbeitete bei Pellerin. Aber oft war Pellerin unterwegs, – er hatte die Gewohnheit, allen Leichenbegängnissen und Ereignissen, die von den Zeitungen erwähnt wurden, beizuwohnen; – und Frédéric verbrachte ganze Stunden allein im Atelier. Die Ruhe dieses großen Raumes, wo man nur das Rascheln der Mäuse vernahm, das von der Decke herabfallende Licht, ja, selbst das Knistern im Ofen, alles versenkte ihn anfangs in eine Art geistigen Wohlbefindens. Dann schweiften seine Augen, wenn er von der Arbeit aufblickte, über die Wände, die Nippsachen auf der Etagere, die Torsi, auf denen der angesammelte Staub wie Samtfetzen lag; und wie ein Reisender, der sich mitten im Walde verirrt hat, wo alle Wege immer auf denselben Platz zurückführen, fand er auf dem Grunde jedes Gedankens die Erinnerung an Madame Arnoux.

Er bestimmte Tage, an denen er zu ihr gehen wollte; in der zweiten Etage, vor ihrer Tür angelangt, zögerte er zu klingeln. Und näherten sich Schritte, wurde geöffnet, so war es bei den Worten: »Madame ist ausgegangen,« wie eine Befreiung, eine Last war ihm vom Herzen genommen.

Schließlich traf er sie aber doch an. Das erste Mal waren drei Damen bei ihr; an einem Nachmittag kam der Schreiblehrer der kleinen Marthe dazu. Übrigens machten die Herren, die bei Madame Arnoux verkehrten, ihr keine Besuche. Seine Zurückhaltung verbot auch ihm, wieder hinzugehen.

Aber um zu den Donnerstag-Diners eingeladen zu werden, versäumte er nicht, sich regelmäßig jeden Mittwoch in der Kunsthandlung einzufinden; und er blieb länger als alle andern, länger als Regimbart, bis zur letzten Minute, indem er tat, als betrachte er eine Gravüre, als blättere er in einer Zeitung. Schließlich sagte Arnoux zu ihm: – »Sind Sie morgen abend frei?«

Er nahm an, ehe der Satz ausgesprochen war. Arnoux schien Zuneigung zu ihm zu fassen. Er lehrte ihn die Kunst, Weine zu prüfen, Punsch abzubrennen und Schnepfenragout zu bereiten; Frédéric befolgte gelehrig seine Ratschläge, – er liebte alles, was in Zusammenhang mit Madame Arnoux stand, ihre Möbel, ihre Dienstboten, ihr Haus und ihre Straße.

Er sprach nicht viel während dieser Diners; er betrachtete sie nur. Sie hatte rechts, an der Schläfe, ein kleines Schönheitsfleckchen; ihre tiefen Scheitel waren schwärzer als ihr übriges Haar und immer wie ein wenig feucht am Rande; sie strich bisweilen nur mit zwei Fingern darüber hin. Er kannte die Form eines jeden ihrer Nägel, es war ihm ein Genuß, das Rauschen ihres Seidenkleides zu hören, wenn sie durch die Türen schritt, er sog verstohlen den Duft ihres Taschentuchs ein; ihr Kamm, ihre Handschuhe, ihre Ringe waren für ihn merkwürdige Dinge, bedeutend wie Kunstwerke, fast beseelt wie Personen; alles fesselte sein Herz und vermehrte seine Leidenschaft.

Er hatte nicht die Kraft gehabt, sie vor Deslauriers zu verbergen. Wenn er von Madame Arnoux kam, weckte er ihn wie aus Versehen, um von ihr reden zu können.

Deslauriers, der in der kleinen Kammer schlief, gähnte laut. Frédéric setzte sich ans Fußende seines Bettes. Erst sprach er vom Diner, darauf erzählte er tausend unbedeutende Einzelheiten, in denen er Zeichen von Verachtung oder Zuneigung sah. Einmal zum Beispiel hatte sie seinen Arm zurückgewiesen, um den Dittmers’ zu nehmen, und Frédéric war untröstlich.

»Ach! was für Dummheiten!«

Oder sie hatte ihn einmal ihren »Freund« genannt.

»So gehe doch hin und sei vergnügt!«

»Aber ich wage es nicht,« sagte Frédéric.

»Schön, dann denke nicht mehr daran! Gute Nacht!«

Deslauriers kehrte sich zur Wand und schlief ein. Er begriff nichts von dieser Liebe, die er als letzte Jugendtorheit ansah; und da Frédéric seine Freundschaft offenbar nicht mehr genügte, nahm er sich vor, ihre gemeinsamen Freunde einmal in der Woche einzuladen.

Sie kamen am Sonnabend gegen neun Uhr. Die drei algerischen Vorhänge waren sorgfältig vorgezogen; die Lampe und vier Kerzen brannten; mitten auf dem Tisch stand der Tabakskasten voll Pfeifen zwischen Bierflaschen, dem Teegeschirr, einer Flasche Rum und kleinem Gebäck. Man diskutierte über die Unsterblichkeit der Seele, zog Vergleiche zwischen den Professoren.

Hussonnet führte eines Abends einen großen jungen Mann in einem viel zu kurzärmeligen Überrock und verlegener Haltung ein. Es war der Bursche, gegen dessen Verhaftung sie im vorigen Jahre auf der Wache Einspruch erhoben hatten.

Da er seinem Meister den im Getümmel verlorenen Karton mit Spitzen nicht hatte wiedergeben können, hatte dieser ihn des Diebstahls bezichtigt und mit den Gerichten bedroht; jetzt war er Angestellter in einem Fuhrgeschäft. Hussonnet war ihm morgens an einer Straßenecke begegnet und führte ihn her, denn Dussardier wollte aus Dankbarkeit gern den »andern« sehen.

Er reichte Frédéric die noch gefüllte Zigarrentasche, die er, in der Hoffnung, sie wiederzugeben, gewissenhaft bewahrt hatte. Die jungen Leute forderten ihn auf, wiederzukommen. Er versäumte es nicht.

Alle sympathisierten miteinander. Vor allem stand ihr Haß gegen die Regierung als unbestrittenes Dogma obenan. Martinon allein versuchte Louis Philippe zu verteidigen. Man stürmte mit Gemeinplätzen aus den Zeitungen auf ihn ein: die Befestigung von Paris, die Septembergesetze, Pritchard, Lord Guizot – so daß Martinon in der Furcht, jemand zu verletzen, verstummte. In den sieben Jahren auf dem Gymnasium hatte er keine Strafarbeit bekommen, und auf der Universität wußte er den Professoren zu gefallen. Er trug meist einen groben Überrock von Mastixfarbe und Gummischuhe; aber eines Abends erschien er wie zu einer Hochzeit gekleidet in langer Samtweste, weißer Kravatte und Goldkette.

Das Erstaunen verdoppelte sich, als man erfuhr, daß er von Monsieur Dambreuse kam. Die Sache war die, daß der Bankier Dambreuse von dem Vater Martinons einen beträchtlichen Posten Holz gekauft hatte; und als der gute Mann ihm seinen Sohn vorstellte, hatte er sie beide zum Diner eingeladen.

»Gab es viele Trüffeln?« fragte Deslauriers, »und hast du zwischen zwei Türen seine Frau um die Taille gefaßt, sicut decet?«

Dann drehte sich die Unterhaltung um die Frauen. Pellerin bestritt, daß es schöne Frauen gebe, (er zog die Tiger vor); überdies sei der weibliche Mensch ein inferiores Geschöpf in der ästhetischen Rangordnung.

»Was euch betört, ist hauptsächlich das, was sie als Begriff degradiert; ich meine den Busen, das Haar…«

»Indessen,« warf Frédéric ein, »langes schwarzes Haar und große schwarze Augen…«

»Ah! kennt man!« rief Hussonnet. »Genug von Spanien und Kastanien! Das Antike? Ich danke! Denn schließlich, Scherz beiseite! eine Lorette ist amüsanter als die Venus von Milo! Laßt uns doch Gallier sein, zum Donnerwetter, und flott, wenn wir können!

Fließe, guter Wein, ein Lächeln, ihr Frauen!

Man muß von den Braunen zu den Blonden übergehen! – Wie denken Sie darüber, alter Dussardier?«

Dussardier antwortete nicht. Alle drängten ihn, um seinen Geschmack kennen zu lernen.

»Wohlan!« sagte er errötend, »ich, ich würde immer dieselbe lieben!«

Es wurde in solcher Weise gesagt, daß einen Moment Schweigen entstand; die einen waren überrascht von dieser Treuherzigkeit, die anderen entdeckten darin vielleicht das geheime Verlangen ihrer Seele.

Sénécal stellte seinen Bierschoppen auf das Fensterbrett und erklärte lehrhaft, daß, da die Prostitution eine Tyrannei und die Ehe eine Unsittlichkeit sei, die Enthaltsamkeit das beste wäre. Deslauriers betrachtete die Frauen als eine Zerstreuung, nichts weiter. Monsieur de Cisy hatte in bezug auf sie allerlei Befürchtungen.

Unter den Augen einer frommen Großmutter erzogen, fand er die Gesellschaft dieser jungen Leute lockend wie einen verrufenen Ort und lehrreich wie die Sorbonne. Man sparte nicht mit Lehren für ihn, und er zeigte sich voll Eifer, so daß er sogar rauchen wollte trotz der Übelkeit, die ihn regelmäßig danach quälte. Frédéric überhäufte ihn mit Aufmerksamkeiten. Er bewunderte die Nüance seiner Kravatte, das Futter seines Paletots und besonders seine Stiefel, die dünn wie Handschuhe waren und unverschämt sauber und fein; sein Wagen wartete unten auf der Straße.

Eines Abends, als er eben gegangen war und es zu schneien begann, fing Sénécal an, seinen Kutscher zu bemitleiden. Darauf zog er gegen die gelben Handschuhe her, gegen den Jockeyklub. Ein Arbeiter sei mehr wert als diese Herren.

»Ich arbeite wenigstens! ich bin arm!«

»Das sieht man,« sagte Frédéric endlich ungeduldig.

Der Lehrer trug ihm für dieses Wort seinen Groll nach.

Als aber Regimbart einmal sagte, daß er Sénécal ein wenig kenne, und Frédéric einem Freunde Arnoux’ eine Aufmerksamkeit erweisen wollte, bat er ihn, zu den Sonnabend-Vereinigungen zu kommen, und die Begegnung war beiden Patrioten willkommen.

Indessen, ihre Meinungen gingen auseinander.

Sénécal – der ein spitzfindiger Kopf war – zog nur Systeme in Betracht. Regimbart dagegen sah in den Tatsachen nichts als Tatsachen. Was ihn hauptsächlich beunruhigte, war die Rheingrenze. Er behauptete, sich auf Geschütze zu verstehen, und ließ sich seine Anzüge bei dem Schneider der Polytechnischen Hochschule machen.

Am ersten Tage, als ihm Kuchen angeboten wurde, zuckte er verächtlich die Achseln und sagte, daß das etwas für Frauen sei; und er war die folgenden Male nicht viel liebenswürdiger. Sobald die Gedanken sich in einer etwas höheren Sphäre bewegten, brummte er: »Nur keine Utopien, keine Träume!« In Kunstfragen waren seine Ansichten (obwohl er die Ateliers besuchte, wo er zu weilen eine Stunde Fechtunterricht gab) weniger überlegen. Er verglich den Stil von Monsieur Marast mit dem von Voltaire und Mademoiselle Vatnaz mit Madame de Staël, um einer Ode auf Polen willen, »in der Herz war«. Regimbart ärgerte alle, besonders aber Deslauriers, denn der Citoyen war ein Vertrauter Arnoux’. In der Hoffnung, nützliche Bekanntschaften zu machen, strebte der Schreiber jedoch danach, in dessen Haus zu verkehren.

»Wann führst du mich dort ein?« fragte er. Arnoux wäre mit Geschäften überladen, oder er befinde sich auf Reisen, erwiderte Frédéric, darum sei es nicht der Mühe wert, denn die Diners würden jetzt eingestellt.

Wenn er für seinen Freund das Leben hätte aufs Spiel setzen müssen, würde Frédéric es getan haben, aber da ihm daran lag, sich so vorteilhaft wie möglich zu zeigen, er soviel auf seine Sprache, seine Manieren, seine Kleidung gab, daß er immer mit tadellosen Handschuhen in der Kunsthandlung erschien, fürchtete er, daß Deslauriers mit seinem alten, schwarzen Anzug, seiner Haltung eines kleinen Beamten und seinen vermessenen Reden Madame Arnoux mißfallen könnte, was ihn selber kompromittieren und ihn in ihren Augen herabsetzen würde. Er ließ alle anderen gelten, aber gerade er hätte ihn ungemein geniert. Der Schreiber merkte, daß er sein Versprechen nicht halten wollte, und Frédérics Schweigen schien ihm umso beleidigender.

Er wollte ihn unbedingt leiten, ihn sich nach dem Ideal ihrer Jugend entwickeln sehen, und sein Müßiggang empörte ihn wie ein Ungehorsam oder ein Verrat. Außerdem sprach Frédéric, voll von Gedanken an Madame Arnoux, oft von ihrem Mann; und Deslauriers verfiel auf eine unerträgliche Neckerei, die darin bestand, seinen Namen hundertmal des Tages am Schluß jedes Satzes auszusprechen, wie in einer idiotischen Manier. Klopfte es an seine Tür, antwortete er: »Herein, Arnoux!« Im Restaurant forderte er einen Fromage de Brie »à la Arnoux!« und nachts tat er, als ob ein Alb ihn bedrücke und weckte seinen Gefährten mit dem Gebrüll: »Arnoux! Arnoux!« Schließlich sagte Frédéric eines Tages mit kläglicher Stimme:

»Aber laß mich doch in Ruhe mit Arnoux.«

»Niemals,« erwiderte der Schreiber.

»Immer er! immerzu!… Das Bild von Arnoux…«

»So schweige doch!« rief Frédéric und hob die Faust. Dann fuhr er leise fort:

»Es ist mir peinlich, das weißt du doch!«

»O! Pardon, mein Lieber,« erwiderte Deslauriers und verneigte sich sehr tief, »die Nerven von Mademoiselle sollen hinfort geschont werden. Bitte nochmals um Verzeihung; tausendmal um Entschuldigung!«

So nahm der Scherz ein Ende.

Aber drei Wochen später sagte er eines Abends zu ihm:

»Nun habe ich Madame Arnoux aber gesehen.«

»Wo denn?«

»Im Justizpalast, mit Balandard, dem Rechtsanwalt; eine brünette Frau, nicht wahr, von mittelgroßer Figur?«

Frédéric machte ein Zeichen der Zustimmung. Er wartete, daß Deslauriers spreche. Bei dem kleinsten Wort der Bewunderung hätte er sein Herz ganz ausgeschüttet, wäre bereit gewesen, ihn innig zu lieben; der andere schwieg noch immer; schließlich hielt er es nicht mehr aus und fragte ihn, was er von ihr denke.

Deslauriers fand sie »nicht übel, ohne doch etwas Besonderes zu haben«.

»Findest du?« sagte Frédéric.

Es kam der Monat August, die Zeit seines zweiten Examens. Nach der allgemeinen Ansicht sollten vierzehn Tage genügen, um sich dazu vorzubereiten. Frédéric, der an seiner Fähigkeit nicht zweifelte, verschlang gleich im Anfang die vier ersten Bände der Prozeßordnung, die drei ersten des Strafgesetzbuches, mehrere Stücke Strafprozeßordnung und einen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches mit den Erläuterungen von Poncelet. Am Abend vorher ging Deslauriers noch einmal alles mit ihm durch, was sich bis zum Morgen hinzog, und um die letzte Viertelstunde noch auszunutzen, fuhr er fort, unterwegs im Gehen Fragen an ihn zu stellen.

Da gleichzeitig mehrere Prüfungen stattfanden, waren viele Leute anwesend, unter anderen Hussonnet und de Cisy; man versäumte nicht, diesen Prüfungen beizuwohnen, wenn es sich um Kameraden handelte. Frédéric legte die traditionelle schwarze Robe an, darauf trat er, von der Menge gefolgt, mit drei anderen Studenten in einen großen Raum, der von gardinenlosen Fenstern erhellt und mit Bänken längs der Wände ausgestattet war. In der Mitte stand, von Lederstühlen umgeben, ein Tisch, mit grünem Tuch bekleidet. Er trennte die Kandidaten von den Herren Professoren in roten Roben; sie trugen alle Hermelinstreifen auf den Achseln und goldbetreßte Baretts.

Frédéric befand sich als vorletzter in der Reihe, ein schlechter Platz. Bei der ersten Frage über den Unterschied zwischen einer Übereinkunft und einem Kontrakt verwechselte er eins mit dem andern; und der Professor, ein freundlicher Mann, sagte zu ihm: – »Regen Sie sich nicht auf, mein Herr, fassen Sie sich!« dann, nachdem er noch zwei leichte Fragen gestellt hatte, auf die unbestimmte Antworten folgten, ging er endlich zum Vierten über. Frédéric wurde mutlos durch diesen kläglichen Anfang. Deslauriers machte ihm, gegenüber, unter dem Publikum Zeichen, daß noch nicht alles verloren sei; und bei der zweiten Frage über das Strafrecht zeigte er sich leidlich. Allein, nach der dritten, das testamentum mysticum betreffend, verdoppelte sich seine Angst, da der Examinator immer gleich kaltblütig geblieben war und Hussonnet die Hände zusammenlegte, wie um zu applaudieren, während Deslauriers die Achseln zuckte. Endlich kam der Moment, wo er über die Zivilprozeßordnung befragt wurde. Es handelte sich um den Einspruch eines Dritten. Der Professor, entrüstet über Theorien, die den seinen widersprachen, fragte ihn in barschem Ton:

»Und Sie, wie ist Ihre Ansicht darüber? Wie bringen Sie den Grundsatz von Artikel 1351 des Bürgerlichen Gesetzbuches mit diesem außerordentlichen Anklageverfahren in Einklang?«

Frédéric empfand heftiges Kopfweh, da er die Nacht ohne Schlaf verbracht hatte. Ein Sonnenstrahl, der durch die Ritze einer Jalousie fiel, traf sein Gesicht. Hinter seinem Stuhl stehend, wankte er hin und her und drehte an seinem Schnurrbart.

»Ich warte noch immer auf Ihre Antwort!« fing der Mann mit dem Goldbarett wieder an.

Und da Frédérics Geberde ihn offenbar reizte, fuhr er fort:

»In Ihrem Bart werden Sie sie nicht finden.«

Dieser Hohn brachte die Zuhörer zum Lachen; der Professor fühlte sich geschmeichelt und schmunzelte. Er richtete noch zwei Fragen über Vorladung und Zwangsverfahren an ihn und neigte dann den Kopf zum Zeichen der Zustimmung; der öffentliche Akt war beendet. Frédéric trat ins Vestibül zurück.

Während der Diener ihm die Robe abnahm, um sie unmittelbar darauf einem andern anzulegen, umringten ihn seine Freunde, die ihn vollends mit ihren widersprechenden Ansichten über das Resultat des Examens einschüchterten.

Am Eingang des Saals wurde bald mit sonorer Stimme ausgerufen: »Der Dritte ist – zurückgestellt!«

»Futsch!« sagte Hussonnet, »laßt uns gehen!«

Vor der Loge des Hausmeisters trafen sie Martinon, rot, bewegt, mit einem Lächeln in den Augen und dem Nimbus des Triumphs auf der Stirn. Er hatte eben ohne Hindernis sein letztes Examen bestanden. Nun blieb nur noch die Dissertation übrig. In vierzehn Tagen würde er Lizenziat sein. Seine Familie war bekannt mit einem Minister, eine schöne Karriere stand ihm bevor.

»Der übertrifft dich doch,« sagte Deslauriers.

Nichts ist demütigender, als zu sehen, wie Dummköpfen Unternehmungen gelingen, an denen man selber scheitert. Frédéric erwiderte ärgerlich, daß er sich nichts daraus mache. Seine Ansprüche gingen höher; und als Hussonnet Miene machte, zu gehen, nahm er ihn beiseite, um ihm zu sagen:

»Selbstverständlich kein Wort davon bei Arnoux!«

Es war leicht, es geheim zu halten, da Arnoux am nächsten Tage eine Reise nach Deutschland unternahm.

Abends bei seiner Rückkehr fand der Schreiber seinen Freund seltsam verändert: er tänzelte, pfiff, und als Deslauriers sich über diese Laune wunderte, erklärte Frédéric, daß er nicht zu seiner Mutter ginge, sondern die Ferien zum Arbeiten benutzen wolle.

Bei der Nachricht von Arnoux’ Abreise überkam ihn große Freude. Er konnte sich jetzt dort einstellen, ganz nach Belieben und ohne Furcht, bei seinen Besuchen gestört zu werden. Das Bewußtsein einer absoluten Sicherheit würde ihm Mut verleihen. Endlich würde er nicht fern, nicht getrennt von ihr sein! Stärker als durch eine eiserne Kette war er an Paris gefesselt, eine innere Stimme rief ihm zu, zu bleiben.

Hindernisse stellten sich ihm entgegen. Er überwand sie, indem er seiner Mutter schrieb; er gestand ihr zunächst seine Schlappe, die durch Änderungen im Programm verursacht worden – durch einen Zufall, eine Ungerechtigkeit – übrigens wären alle großen Advokaten (er zitierte ihre Namen) im Examen durchgefallen. Aber er hätte die Absicht, sich im November nochmals zu melden. Da er jedoch keine Zeit zu verlieren habe, käme er in diesem Jahre nicht nach Haus und bitte außer um das Quartalsgeld um zweihundertundfünfzig Francs für die sehr nützlichen Repetitionen in der Rechtskunde, – das ganze mit Bedauern, Trauer, Schmeicheleien und Beteuerungen kindlicher Liebe verbrämt.

Madame Moreau, die ihn am nächsten Tage erwartete, war doppelt bekümmert. Sie hielt den Mißerfolg ihres Sohnes geheim und antwortete ihm, er möge dennoch kommen. Frédéric gehorchte nicht. Ein Streit entspann sich. Am Ende der Woche jedoch erhielt er das Quartalsgeld, wie auch die für die Repetitionen bestimmte Summe, die dazu diente, eine perlgraue Hose, einen weißen Filzhut und ein tomatenrotes Spazierstöckchen zu bezahlen.

Als all dieses in seinem Besitz war, dachte er:

»Ich habe da vielleicht eine rechte Friseur-Idee gehabt.«

Und eine große Unerschrockenheit erfaßte ihn.

Um zu wissen, ob er zu Madame Arnoux gehen sollte, warf er dreimal Geldstücke in die Luft. Jedesmal war das Vorzeichen günstig. Also, das Schicksal selbst gebot es. Er nahm eine Droschke und fuhr nach der Rue Choiseul.

Lebhaft stieg er die Treppen hinauf und zog an der Klingelschnur; es läutete nicht; eine leise Schwäche überkam ihn.

Dann riß er wütend an der schweren, roten Seidenquaste. Eine Glocke ertönte, verstummte allmählich, und es war wieder nichts zu hören. Frédéric wurde ängstlich.

Er drückte sein Ohr an die Tür; kein Laut! Er legte das Auge ans Schlüsselloch, bemerkte aber im Vorzimmer nichts als zwei Schilfspitzen zwischen Papierblumen an der Wand. Schließlich wollte er umkehren, besann sich aber eines besseren. Diesmal klingelte er nur ganz leise. Die Tür öffnete sich und auf der Schwelle erschien mit zerzaustem Haar, karmoisinrotem Gesicht und verdrießlicher Miene Arnoux selbst.

»Was, zum Teufel, führt Sie her? Treten Sie ein!«

Er führte ihn hinein, aber nicht in das Boudoir oder sein Zimmer, sondern in den Speisesaal, wo auf dem Tisch eine Champagnerflasche und zwei Gläser standen, und in barschem Ton sagte er:

»Sie wollen mich etwas fragen, lieber Freund?«

»Nein, nichts! nichts!« stotterte der junge Mann und suchte nach einem Vorwand für seinen Besuch.

Schließlich sagte er, daß er gekommen wäre, um von ihm zu hören, da er ihn nach einem Bericht von Hussonnet auf einer Reise in Deutschland wußte.

»Keineswegs!« erwiderte Arnoux. »Welch ein Strohkopf ist dieser Bursche, alles verkehrt zu hören!«

Um seine Unruhe zu verbergen, ging Frédéric von rechts nach links durch den Saal. An den Fuß eines Stuhles stoßend, warf er einen Sonnenschirm herunter, der darauf lag; der Elfenbeingriff zerbrach.

»Mein Gott!« rief er, »wie bedauere ich, Madame Arnoux’ Sonnenschirm zerbrochen zu haben.«

Bei diesen Worten hob der Kaufmann den Kopf mit einem seltsamen Lächeln. Frédéric benutzte die Gelegenheit von ihr zu sprechen und sagte schüchtern:

»Könnt ich sie nicht sehen?«

Sie war in ihrer Heimat, bei ihrer kranken Mutter.

Er wagte nicht, über die Dauer ihrer Abwesenheit Fragen zu stellen. Er erkundigte sich nur, welches die Heimat Madame Arnoux’ war.

»Chartres! Das überrascht Sie?«

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