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Czytaj książkę: «Soll und Haben», strona 29

Czcionka:

»Alle Wetter! Plagt Sie der Teufel? Zum Henker mit Ihrem Besteck!« riefen sämtliche Husarenoffiziere aufspringend. Wie Heckenfeuer fuhren die Verwünschungen um das Haupt des Doktors.

»Meine Herren«, rief der Doktor, nur wenig eingeschüchtert durch den Sturm des Unwillens, »hat einer von Ihnen ein Messer? Sehen Sie nicht erst nach, ich weiß, keiner hat eins. Spiegel und Bürste, weiter darf man in Ihren Taschen doch nicht suchen. Und versteht einer von Ihnen eine Bowle zu machen, die ein Mann von Herz und Welt trinken kann? Austrinken, ja, aber machen können Sie nichts.«

»Ich will’s versuchen, Doktor«, sagte Bolling aus einer Ecke.

»Ah, Herr von Bolling, Sie auch hier?« erwiderte der Doktor mit einer Verbeugung.

Bolling nahm ihm die Ananas aus der Hand und hielt sie sorgfältig aus dem Bereich des medizinischen Armes. »Kommen Sie, Anton«, rief er, »und verhüten Sie, daß dieses Ungeheuer von Doktor mit seinem Tranchiermesser dem Getränk zu nahe kommt.«

Während Anton mit dem älteren Leutnant in eifriger Tätigkeit war, zog der Doktor zwei Spiele Karten aus der Tasche und legte sie feierlich auf den Tisch.

»Fort mit Ihren Karten«, rief Eugen, »heut wenigstens wollen wir ohne Sünde beisammenbleiben.«

»Sie können’s ja nicht«, spottete der Doktor, »Sie selbst sind der erste, der danach greifen wird. Ich beabsichtige nichts als ein ruhiges Whist mit stabilem Paré nach rechts und links, ein Spiel für fromme Einsiedler. Was Sie aber mit diesen Karten anfangen, das wird die Zeit lehren. Hier liegen sie beim Leuchter.«

»Hört nicht auf den Versucher«, rief einer der Leutnants lachend.

»Wer die Karte zuerst anfaßt, zahlt ein Frühstück – zur Strafe«, ein anderer.

»Hier ist der Trank«, sagte Bolling und trug die Bowle auf den Tisch. Er goß ein. »Kosten Sie, Blutmensch«, sagte er zu dem Doktor.

»Roh«, entschied dieser, »morgen abend wird sie trinkbar sein.«

Während die Herren sich über das Getränk stritten, griff Eugen nach einem Spiel Karten und zog es in zwei Häufchen ab, die er nebeneinanderlegte. Der Doktor rief: »Halt, gefangen! Er selbst zahlt die Strafe.« Alles lachte und drängte an den Tisch. »Die Bank, Doktor«, riefen die Offiziere, sie warfen ihm die Karten zu, schnell kamen einige andere Spiele aus den Taschen der Herren ans Licht, der Doktor legte ein Häufchen Papier und Silber auf den Tisch, das Spiel begann. Man pointierte nicht gerade hoch, kurze Scherze begleiteten den Gewinn und Verlust der Spieler. Auch Anton ergriff eine Karte und setzte ohne Aufmerksamkeit. Er vermochte heut nur mit Mühe an der Unterhaltung teilzunehmen und sah mit innigem Bedauern auf den jungen Rothsattel, der sich ahnungslos über die Karten beugte. Anton gewann einige Taler, aber mit Mißbehagen bemerkte er, daß Eugen endloses Unglück hatte. Ein Dukaten nach dem andern flog in die Tasche des Bankhalters. Da Anton bei dem Verlust seines Wirtes nicht ganz unbeteiligt war, so machte er keine Bemerkungen darüber; aber der Doktor selbst sagte zu seinem Patienten, nachdem er wieder einige Dukaten eingestrichen hatte: »Sie sind heiß geworden, Sie haben Fieber, es wäre am klügsten, wenn Sie nicht mehr spielten, ich habe noch nie einen Fieberkranken gehabt, der nicht im Pharao verloren hätte.«

»Das geht Sie nichts an, Doktor«, erwiderte Eugen heftig und setzte wieder.

»Du hast Unglück, Eugen«, rief der gutmütige Bolling, »du gehst wieder zu sehr ins Geschirr.«

Als der Abzug beendet war, nahm der Doktor die Karten und steckte sie gemütlich in die Tasche. »Die Bank hat stark gewonnen«, sagte er, »aber ich höre doch auf, es ist genug des Guten.«

Wieder erhob sich ein Sturm unter den Offizieren. »Ich will Bank legen«, rief Eugen, »geben Sie mir Ihre Kasse, Wohlfart.«

Der Doktor protestierte, endlich beruhigte er sich mit der Ansicht. »Vielleicht hat er Glück als Bankier, man muß dem Menschen nicht die Gelegenheit entziehen, eine Scharte auszuwetzen.«

Anton holte einige Kassenbilletts aus der Tasche und legte sie schweigend vor Eugen hin, aber er selbst spielte nicht mit. Traurig saß er da und sah auf seinen guten Freund, der mit einem Gesicht, das von Wein und Fieber glühte, auf die Karten der Spieler hinstarrte. Wieder flog ein Abzug auf den andern, und wieder verlor Eugen, was er vor sich hatte. Die Kassenscheine flogen von ihm weg, kaum einmal fiel ein Blatt zu seinen Gunsten. Verwundert sahen die Offiziere einander an. »Auch ich schlage vor, daß wir aufhören«, rief Bolling, »ein andermal geben wir Revanche.«

»Ich will sie heut haben«, forderte Eugen, sprang auf und verschloß die Tür, »keiner kommt heraus. Setzt ordentlich und wagt, hier ist Geld.« Er warf einen Haufen Streichhölzer auf den Tisch. »Das Holz einen Champagnertaler, morgen zahle ich; ich gebe zu, daß das Holz einmal gebrochen wird, unter einem Taler kein Point.« Wieder fuhren die Karten auf den Tisch, und wieder ging das Spiel fort. Anton bemächtigte sich unterdes des Punschlöffels und beschloß, nichts mehr in die Gläser zu gießen. Eugen verlor immerfort; die Streichhölzer wurden wie durch eine geheime Kraft nach allen Richtungen fortgerissen. Eugen holte neue Bündel und rief: »Beim Abschied machen wir Rechnung.« Da erhob sich Bolling und stampfte mit dem Stuhl auf den Boden.

»Ein Hundsfott, wer die Stube verläßt«, gebot Eugen.

»Du bist ein Narr«, sagte der andere unwillig. »Es ist unrecht, seinem nächsten Kameraden das Geld abzunehmen, wie wir heut mit dir tun. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Wenn hier der Satan sein Spiel hat, ich will ihm nicht helfen.« Er setzte sich vom Tisch ab, Anton trat zu ihm; beide sahen schweigend dem Übermut zu, mit welchem das Geld aus einer Hand in die andere geworfen wurde.

»Auch ich habe genug«, sagte der Doktor und zeigte ein dickes Bund Hölzer in seiner Hand. »Dies ist ein merkwürdiger Abend; seit ich Karten kenne, ist mir so etwas noch nicht vorgekommen. Er vermag kein Paroli abzuschlagen.«

Von neuem sprang Eugen zu dem Seitentisch, wo die Hölzer lagen, da ergriff Bolling den Rest des Pakets, öffnete das Fenster und warf die Hölzer hinunter auf die Straße. »Besser, die Teufelshölzer verbrennen da unten einen Stiefel als hier deine Börse.« Darauf schleuderte er die Karten auf die Erde. »Das Spiel soll aufhören, du hast uns vorhin aufgetrumpft wie einer aus der Wachtstube des Alten Dessauer, ich tue jetzt dasselbe.«

»Ich verbitte mir solche Befehle«, rief Eugen gereizt.

Bolling schnallte seinen Säbel um und griff mit der Hand an den Korb. »Du wirst dich heut fügen«, sagte er ernst, »morgen will ich dir vor den Kameraden Rede stehen. Macht eure Rechnung, ihr Herren, wir brechen auf.«

Die Marken wurden auf den Tisch geworfen, der Doktor zählte.

Eugen riß finster die Brieftasche aus dem Rock und notierte seine Schuld an die einzelnen. Ohne Behagen, mit kurzem Gruß, entfernte sich die Gesellschaft. »Es sind gegen achthundert Taler«, sagte der Doktor auf dem Wege. Bolling zuckte die Achseln. »Ich hoffe, er kann das Geld schaffen, aber ich wollte doch, daß Sie heute das Stempelpapier in Ihrer Tasche behalten hätten. Wenn von der Geschichte etwas verlautet, so wird Rothsattel keine Ursache haben, sich zu freuen. Wir alle werden gut tun, über den Vorfall zu schweigen, auch Sie, Herr Wohlfart, bitte ich darum.«

Anton ging in stürmischer Bewegung nach Hause. Den ganzen Abend hatte er wie auf Kohlen gesessen und dem Verschwender in der Stille die bittersten Vorwürfe gemacht. Er schalt sich, daß er ihm Geld geliehen hatte, und fühlte doch, wie unpassend es gewesen wäre, seinen Wunsch nicht zu gewähren.

Als er am nächsten Morgen Eugen aufsuchen wollte, öffnete sich die Tür, und Eugen selbst trat in das Zimmer, verstimmt, niedergeschlagen, unsicher. »Ein nichtswürdiges Malheur gestern«, rief er, »ich bin in arger Klemme; ich muß heute achthundert Taler schaffen und habe in diesem Unglücksnest niemand, an den ich mich wenden kann, als Sie. Seien Sie verständig, Anton, und besorgen Sie mir das Geld.«

»Auch mir ist es nicht leicht, Herr von Rothsattel«, erwiderte Anton ernst. »Es ist keine unbedeutende Summe, und die Gelder, über die ich hier disponieren kann, sind nicht mein Eigentum.«

»Sie werden es schon möglich machen«, fuhr Eugen überredend fort. »Wenn Sie mir nicht aus der Verlegenheit helfen, so bin ich ganz ratlos. Der Oberst versteht keinen Spaß, ich riskiere alles, wenn die Geschichte nicht schnell abgemacht wird.« Er ergriff in seiner Verlegenheit Antons Hand und drückte sie ängstlich.

Anton sah in das verstörte Gesicht dessen, der Lenorens Bruder war, und erwiderte mit innerer Überwindung: »Ich habe eine kleine Summe, welche mir gehört, in der Kasse unseres Geschäfts und habe von hier aus Geld an unser Haus zu senden. Es wird möglich sein, daß ich unsern Kassierer auf mein Geld anweise und die Summe, welche Sie brauchen, zurückbehalte.«

»Sie sind mein Retter«, rief Eugen erleichtert; »in spätestens vier Wochen schaffe ich Ihnen achthundert Taler zurück«, fügte er hinzu, bei der Aussicht auf das Geld geneigt, das Beste zu hoffen.

Anton ging zum Schreibtisch und zählte dem Leutnant das Geld auf. Es war ein großer Teil der Summe, die er von seinem Erbteil übrig hatte.

Als Eugen das Papier unter lebhaftem Danke eingesteckt hatte, begann Anton: »Und jetzt, Herr von Rothsattel, wünsche ich Ihnen noch etwas mitzuteilen, was mir gestern den ganzen Abend auf dem Herzen gelegen hat. Ich bitte Sie, mich nicht für zudringlich zu halten, wenn ich Ihnen nicht verschweige, was Sie wissen müssen und was doch ein Fremder kaum zu sagen das Recht hat.«

»Wenn Sie mir gute Lehren zuteilen wollen, so ist der Augenblick schlecht gewählt«, antwortete der Leutnant finster, »ich weiß ohnedies, daß ich einen dummen Streich gemacht habe, und ich bin auf eine Strafrede meines Papas gefaßt. Was ich von ihm anhören muß, wünsche ich von keinem Dritten zu vernehmen.«

»Sie trauen mir wenig Zartgefühl zu, Herr von Rothsattel«, rief Anton, aufrichtig bekümmert durch den Ärger des Offiziers. »Ich habe gestern aus einer allerdings wenig lauteren Quelle gehört, daß Ihr Herr Vater durch die Intrigen gewissenloser Spekulanten in Verwicklungen gekommen ist oder doch kommen soll, welche seinem Vermögen Gefahr bedeuten. Auch der gefährliche Mensch, welcher die Ränke gegen ihn schmiedet, ist mir genannt worden.«

Der Leutnant sah verwundert in das ernste Gesicht Antons und sagte endlich. »Teufel, Sie jagen mir einen Schrecken ein. Doch nein, es ist nicht möglich, Papa hat mir nie etwas davon gesagt, daß seine Verhältnisse nicht ganz in Ordnung sind.«

»Vielleicht kennt er selbst nicht die Pläne und die Rücksichtslosigkeit der Menschen, welche die Absicht haben, seinen Kredit für solche Zwecke zu benutzen.«

»Der Freiherr von Rothsattel ist nicht der Mann, sich von irgend jemand benutzen zu lassen«, entgegnete der Leutnant mit Stolz.

»Das nehme ich auch an«, räumte Anton bereitwillig ein. »Und doch bitte ich Sie, daran zu denken, daß die letzten großen Unternehmungen des Herrn Barons ihn mehrfach mit schlauen und wenig bedenklichen Händlern in Berührung gebracht haben. Der mir den Rat erteilte, gab ihn offenbar in guter Meinung. Er sprach eine Ansicht aus, welche, wie ich fürchte, von einer Anzahl untergeordneter Geschäftsleute geteilt wird, daß Ihr Herr Vater in ernster Gefahr ist, große Summen zu verlieren. Und ich fordere Sie auf, mit mir zu dem Mann zu gehen, vielleicht gelingt es uns, mehr von ihm zu erfahren. Es ist derselbe Händler, den Sie gestern bei mir sahen.«

Der Leutnant sah sehr niedergeschlagen vor sich hin, er faßte, ohne ein Wort zu sagen, seine Dienstmütze, und beide eilten nach der Herberge, in welcher Tinkeles wohnte.

»Es wird am besten sein, daß Sie selbst nach ihm fragen«, sagte Anton auf dem Wege. Der Offizier ging in das Haus, er fragte einen Hausknecht, den Wirt, alle Hausgenossen, welche ihm in den Weg kamen: Schmeie war gestern mittag abgereist. Sie eilten von der Herberge zum Stadtkommando und erhielten nach vielen Fragen die Auskunft, daß dem Tinkeles sein Paß nach der türkischen Grenze visiert worden sei. So war der Zudringliche plötzlich verschwunden, und durch seine Abreise erhielt die Warnung für beide noch größeres Gewicht. Je länger sie über seine Bekenntnisse sprachen, desto aufgeregter wurde der Leutnant, und um so weniger wußte er, was zu tun sei. Endlich brach er in großer Bewegung mit der Klage hervor: »Mein Vater ist vielleicht jetzt in Geldverlegenheit. Wie soll ich ihm meine Schuld gestehen? Es ist für mich ein verfluchter Fall. Wohlfart, Sie sind ein honetter Mann, denn Sie haben mir das Geld geliehen, obgleich Sie die Nachrichten dieses unsichtbaren Juden schon im Kopfe hatten. Sie müssen jetzt weiter anständig sein und mir die Summe auf längere Zeit leihen.«

»So lange, bis Sie selbst den Wunsch aussprechen, sie zurückzuzahlen.«

»Das ist gentil«, rief der Leutnant, »und noch eins, schreiben Sie selbst an meinen Vater. Sie wissen am besten, was der verrückte Mensch Ihnen gesagt hat, und mir ist es langweilig, so etwas meinem Papa mitzuteilen.«

»Aber Ihr Herr Vater wird die Einmischung eines Fremden mit Recht für zudringlich halten«, entgegnete Anton, befangen durch die Aussicht, mit dem Vater Lenorens in Briefwechsel zu treten.

»Mein Vater kennt Sie ja«, sagte Eugen überredend, »ich erinnere mich, daß meine Schwester mir schon von Ihnen erzählt hat. Schreiben Sie nur, ich hätte Sie darum gebeten. Es ist wirklich besser, wenn Sie das übernehmen.« Anton willigte ein. Er setzte sich auf der Stelle hin und berichtete dem Baron die Warnungen des Händlers.

So kam er in der Fremde mit der Familie des Freiherrn in eine neue Verbindung, welche für ihn und die Rothsattel verhängnisvoll werden sollte.

4

Glücklich der Fuß, welcher über weite Flächen des eigenen Grundes schreitet; glücklich das Haupt, welches die Kraft der grünenden Natur einem verständigen Willen zu unterwerfen weiß! Alles, was den Menschen stark, gesund und gut macht, das ist dem Landwirt zuteil geworden. Sein Leben ist ein unaufhörlicher Kampf, ein endloser Sieg. Ihm stählt die reine Gottesluft die Muskeln des Leibes, ihm zwingt die uralte Ordnung der Natur auch die Gedanken zu geordnetem Lauf. Er ist der Priester, welcher Beständigkeit, Zucht und Sitte, die ersten Tugenden eines Volkes, zu hüten hat. Wenn andere Arten nützlicher Tätigkeit veralten, die seine ist so ewig wie das Leben der Erde; wenn andere Arbeit den Menschen in enge Mauern einschließt, in die Tiefen der Erde oder zwischen die Holzplanken des Schiffes, sein Blick hat nur zwei Grenzen, oben den blauen Himmel und unten den festen Grund. Ihm wird die höchste Freude des Schaffens, denn was sein Befehl in der Natur fordert, Pflanze und Tier, das wächst unter seiner Hand zu eigenem frohem Leben auf. Auch dem Städter sind die grüne Saat und die goldene Halmfrucht des Feldes, das Rind auf der Weide und das galoppierende Füllen, Waldesgrün und Wiesenduft eine Erquickung des Herzens; aber kräftiger, stolzer, edler ist das Behagen des Mannes, der mit dem Bewußtsein über seine Flur schreitet, dies alles ist mein, meine Kraft erschuf es, und mir gereicht es zum Segen. Denn nicht in mühelosem Genuß betrachtet er die Bilder, welche ihm die Natur entgegenhält. An jeden Blick knüpft sich ein Wunsch, an jeden Eindruck ein Vorsatz, jedes Ding hat für ihn einen Zweck, denn alles, das fruchtbare Feld, das Tier und der Mensch, soll Neues schaffen nach seinem Willen, dem Willen des Gebieters. Die tägliche Arbeit ist sein Genuß, und in diesem Genusse wächst seine Kraft. So lebt der Mann, welcher selbst der arbeitsame Wirt seines Gutes ist.

Und dreimal glücklich der Herr eines Grundes, auf dem durch mehrere Menschenalter ein starker Kampf gegen die rohen Launen der Natur geführt ist. Die Pflugschar greift tief in den gereinigten Boden, anspruchsvolle Kulturpflanzen breiten ihre Blätter in üppiger Pracht, auf den Stengeln breiten sich große Dolden und körnerreiche Schoten, und unten in der Erde rundet sich mächtig die fleischige Wurzel. Dann kommt die Zeit, wo sich kunstvolle Industrie auf den Ackerschollen ansiedelt. Dann ziehen die abenteuerlichen Gestalten der Maschinen nach dem Wirtschaftshof, der ungeheure Kupferkessel fährt mit Blumen bekränzt heran, große Räder mit hundert Zähnen drehen sich gehorsam im Kreise, lange Röhren verschlingen sich in den neugebauten Räumen, und die mechanischen Gelenke bewegen sich rastlos bei Tag und Nacht. Eine edle Industrie! Sie erblüht aus der Kraft des Bodens und vergrößert wieder diese Kraft. Wo der eigene Grund des Gutes seine Früchte der Fabrik reichlich spendet, da arbeiten im Freien die uralte Pflugschar, im gemauerten Haus der neue Dampfkessel brüderlich miteinander, um ihren Herrn reicher zu machen, stattlicher und weiser. Solange er nur die alten Halmfrüchte baute, die grüne Nahrung der Tiere und die runde Knollenfrucht, waren die Preise auf dem nächsten Wochenmarkt vielleicht das, was ihn in der fremden Welt am meisten interessierte, und wenn der Bauer im Dorf gegen ihn auftrumpfte, so war ihm das vielleicht der größte Ärger. Und mit abschließendem Stolz sah er aus seinem umgrenzten Kreise wie in die blaue Ferne hinein, in das geschäftige Treiben der großen Städte, in die verwickelten Verhältnisse, welche durch eine neue Zeit geschaffen sind. Jetzt steht er selbst mitten zwischen den Rädern des modernen Schaffens, er beobachtet viele Strömungen des menschlichen Geistes auch außerhalb seiner Feldmark. Viele Gesetze des Lebens lernt er kennen und viele Gedanken der Menschen, er gewinnt einen andern Maßstab für den Wert des Mannes, jetzt wo er das Gewühl des Marktes, das Arbeitszimmer des Gelehrten auch für sich braucht. Er knüpft seine Fäden an Leute von anderm Beruf, und Fremde freuen sich, ihm die Hand zu reichen und ihren Vorteil mit dem seinen zu verbinden. Immer größer werden die Kreise, in welche ihn sein Interesse zieht, immer mächtiger der Einfluß, den er auf andere gewinnt.

Neben dem ländlichen Tagelöhner baut ein neues Geschlecht arbeitsamer Menschen seine Hütten auf den Ackerboden, in jeder Abstufung von Wissen und Bildung; allen kann er gerecht und allen zum Heil werden. In starker Zunahme wächst die Kraft seiner Landschaft, der Wert des Bodens steigt von Jahr zu Jahr, die lockende Aufforderung zu größerem Erwerb treibt auch den zähen Bauer aus dem Gleise alter Gewohnheit. Der schlechte Feldweg wird zur Chaussee, der sumpfige Graben zum Kanal. Zwischen den Getreidefeldern fahren die Reihen der Frachtwagen entlang, auf wüsten Stellen erheben sich die roten Dächer neuer Wohnungen; der Briefbote, der sonst nur zweimal in der Woche seine Ledertasche durch die Fluren trug, erscheint jetzt alle Tage, sein Ranzen ist schwer von Briefen und Zeitungen; und wenn er bei einem neuen Haus anhält, um der jungen Frau, die mit ihrem Manne von fern zuzog, eine Nachricht aus der Heimat zu bringen, da nimmt er dankend das Glas Milch, das ihm die Erfreute an der Tür reicht, und erzählt ihr eilig, wie lang ihm sonst der Weg von einem Dorf zum andern in der heißen Sonne geworden. Dann erwacht auch die Begehrlichkeit, die kindliche Base jedes Fortschritts. Die Nadel des Schneiders hat viel an neuen Stoffen zu nähen, zwischen den Bauernhäusern stellt der kleine Kaufmann seinen Kram auf, er legt seine Zitronen an das Schaufenster, den Tabak in schönen Paketen und lockende Flaschen mit silbernen Zetteln. Und die Schullehrer in den Dörfern klagen über die Menge der Schüler, ein zweites Schulhaus wird gebaut, eine höhere Klasse eingerichtet; in einem Schrank seiner Wohnstube legt der Lehrer die erste Leihbibliothek an, und der Buchhändler in der Stadt übergibt ihm neue Bücher zum Verkauf. – So wird das Leben des starken Landwirts ein Segen für die Umgegend, für das ganze Land.

Wehe aber dem Landwirt, dem der Grund unter den Füßen fremden Gewalten verfällt! Er ist verloren, wenn seine Arbeit nicht mehr ausreicht, die Ansprüche zu befriedigen, welche andere Menschen an ihn stellen. Die Geister der Natur gönnen ihren Segen nur dem, welcher ihnen frei und sicher gegenübersteht, sie empören sich, wo sie Schwäche, Eile und halben Mut ahnen. Keine Arbeit wird mehr zum Heil. Die gelbe Blüte der Ölsaat und die blaue Blume des Flachses vertrocknen ohne Frucht, Rost und Brand fallen über das Getreide, in tödlichem Faulfieber schwindet der kleine Leib der Kartoffel; sie alle, so lange an Gehorsam gewöhnt, wissen so bitter jede Nachlässigkeit zu strafen. Dann wird für den Herrn der tägliche Gang durch die Felder ein täglicher Fluch; wenn die Lerche aus dem Roggen aufsteigt, muß er denken, daß die Frucht schon auf dem Halme verkauft ist; wenn das Gespann der Rinder den Klee nach den Ställen führt, weiß er, daß der Ertrag von Milch und Fleisch schon von fremden Gläubigern gefordert ist, und er muß zweifeln, ob die Fruchtbarkeit, welche seinem Acker durch das Wiederkäuen der eßlustigen Tiere im nächsten Jahr kommen soll, noch ihm selbst zum Vorteil werden wird. Finster, mürrisch, verzweifelt kehrt er nach dem Hofe zurück. Leicht wird er dann seiner Wirtschaft und den Feldern fremd, er sucht jenseits seiner Flur den lästigen Gedanken zu entfliehen, und durch die Flucht beschleunigt er seinen Untergang. Was ihn vielleicht noch retten könnte, ein vollständiges Hingeben an die Arbeit, das wird ihm unerträglich.

Und dreimal wehe dem Landwirt, der übereilt in unverständigem Gelüst die schwarze Kunst des Dampfes über seine Schollen führt, um Kräfte aus ihnen hervorzulocken, die nicht darin leben. Ihn trifft der härteste Fluch, der Sterblichen beschieden ist. Nicht er allein wird schwächer, er macht auch viele andre schlecht, die er zum Dienst an sein Leben gebunden hat. In dem Schwunge der Räder, die er vorwitzig in seinem Kreis aufstellte, wird zerrissen, was in seiner Wirtschaft noch unversehrt war, die Kraft seines Bodens verzehrt sich in fruchtlosen Versuchen, seine Gespanne erlahmen an schweren Fabrikfuhren, seine ehrlichen Landarbeiter verwandeln sich in ein schmutziges, hungerndes Proletariat. Wo sonst ruhiger Gehorsam wenigstens das Nötige schuf, wuchern jetzt Hader, Widersetzlichkeit und Betrug. Er selbst ist hineingezogen in den Wirbel lästiger Geschäfte, wie brausende Wellen stürzen die Forderungen auf ihn herein im verzweifelten Kampf, ein Ertrinkender, sucht er ohne Wahl Hilfe bei allem, was in den Bereich seiner Hände kommt, und ermattet von fruchtlosem Ringen sinkt er hinab in die Tiefe.

Auf dem Gut des Freiherrn hatte die Saat oft besser gestanden als bei den Nachbarn, seine Herden waren als kerngesund in der ganzen Landschaft bekannt, Fehljahre, welche andere niederdrückten, hatten ihm verhältnismäßig wenig geschadet; jetzt war das alles wie durch bösen Zauber verändert. In der Rinderherde brach eine pestartige Krankheit aus, das Getreide stand hoch im Feld, und als die Garben in der Scheuer zerschlagen wurden, waren der Scheffel nur wenige, die er aufschütten konnte. Überall war sein Anschlag größer gewesen als der Ertrag. Zu anderer Zeit hätte er’s ruhig überwunden, jetzt machte ihn das krank. Die Ackerwirtschaft wurde ihm verhaßt, er überließ sie ganz dem Amtmann. Alle seine Hoffnungen flogen jetzt der Fabrik zu, und wenn er seine Feldmark betrat, so geschah es nur, um nach den Rüben zu sehen, auf deren Bau er im letzten Jahr die beste Kraft des Gutes verwandt hatte.

Hinter den Bäumen des Parks erhob sich das neue Fabrikgebäude. Viele Stimmen geschäftiger Menschen schrien um den neuen Bau durcheinander. Die erste Rübenernte wurde eingebracht und zum Verarbeiten aufgeschüttet. Mit dem nächsten Tage sollten die regelmäßigen Arbeiten in der Fabrik beginnen. Noch immer hämmerte drin der Kupferschmied, an der großen Presse arbeitete der Mechaniker, und emsige Frauen trugen Körbe von Spänen und Kalkbrocken aus den Mauern und säuberten mit Scheuerlappen die Stätte, in der sie fortan werken sollten. Der Freiherr stand vor dem Hause; er hörte ungeduldig auf das Klopfen der Hämmer, die so lange die Vollendung des Werkes verzögert hatten. Von morgen begann für ihn eine neue Zeit. Er stand jetzt an der Pforte seines Schatzhauses. Die alten Sorgen konnte er weit hinter sich werfen, in den nächsten Jahren zahlte er ab, was er geliehen hatte, dann sammelte er Geld. Und während er so dachte, sah er auf seine abgetriebenen Pferde und das sorgenvolle Gesicht des alten Amtmanns, und eine unbestimmte Furcht schlich wie ein häßliches Insekt über die unruhig flatternden Blätter seiner Gedanken. Er hatte alles auf diesen Wurf gesetzt, er hatte sein Gut so hoch mit Hypotheken belastet, daß er sich in diesem Augenblick fragen konnte, wieviel davon noch ihm selbst gehöre – alles, um durch den erhärteten Saft der Ackerfrucht den Wappenschild seines Geschlechts höher zu stellen. Hüte dich, Freiherr! Und wenn du die weißen Kristalle härtest, daß sie klingen wie Stein, sie halten Wind und Wetter nicht aus, sie zerfließen im Regen, sie verwittern in der Luft, und was du darauf gegründet, das stürzt in Trümmer.

Der Freiherr selbst war in den letzten Jahren ein anderer geworden. Falten auf der Stirn, zwei mürrische Falten um den Mund und graues Haar an den Schläfen, das waren die ersten Folgen der ewigen Sorge um Kapital, um die Familie, um die Zukunft des Gutes. Seine Stimme, die sonst kräftig aus der Brust geklungen hatte, war scharf und heiser geworden, und eine zornige Hast war in seinen Gebärden. Schwere Sorgen hatte der Freiherr in der letzten Zeit gehabt. Was bei dem großen Bau Mangel an Geld heißt, das Elend hatte er gründlich kennengelernt. Ehrenthal war jetzt ein regelmäßiger Besucher des Schlosses. Seine Pferde hatten in jeder Woche gutes Heu von den Raufen des Freiherrn gerupft, in jeder Woche hatte er seine Brieftasche hervorgezogen und Rechnungen gebracht oder Kassenscheine aufgezählt. Seine Hand, die im Anfange so ehrerbietig nach der Tasche griff, war säumig geworden, und nur langsam lösten sich die flatternden Papiere von seinen Fingern, sein gebeugter Hals war steif, sein unterwürfiges Lächeln hatte sich in einen trockenen Gruß verwandelt, er schritt jetzt mit prüfendem Blick durch den Wirtschaftshof, und statt der feurigen Lobrede kam mancher Tadel aus seinem Munde. Der demütige Agent war zum anspruchsvollen Gläubiger herangewachsen, und der Freiherr ertrug mit immer steigendem Widerwillen die Ansprüche eines Mannes, den er nicht mehr entbehren konnte. Aber nicht Ehrenthal allein, auch andere fremde Gestalten klopften an das Arbeitszimmer des Gutsherrn und verhandelten mit ihm unter vier Augen. Die breite Figur des rauhen Pinkus schritt alle Vierteljahre aus dem Gasthof des Dorfes auf das Schloß, und jedesmal, wenn sein schwerer Fuß die Stufen betrat, zog hinter ihm der Mißmut in das Haus.

Alle Wochen war Ehrenthal auf dem Gute erschienen, jetzt war die schwerste Zeit gekommen, und kein Auge erblickte den Geschäftsmann. Er war verreist, hieß es in der Stadt, und unruhig hörte der Freiherr auf das Geräusch jedes Wagens, ob nicht einer den Säumigen zuführe, den Verhaßten, Unentbehrlichen.

Lenore trat zu dem Vater, eine reife Schönheit von vollen Formen und hohem Wuchs; daß auch sie von dem Ernst des Lebens berührt war, zeigten das sinnende Auge und der besorgte Blick, den sie auf den Freiherrn warf. »Der Bote bringt die Postsachen«, sagte sie, ein Paket Briefe und Zeitungen überreichend. »Es ist gewiß wieder kein Brief von Eugen dabei.«

»Der hat jetzt anderes zu tun, als zu schreiben«, antwortete der Vater, aber er selbst suchte eifrig die Handschrift des Sohnes. Da sah er ein Schreiben von fremder Hand mit dem Postzeichen der Stadt, in welcher Eugen eingerückt war. Es war Antons Brief. Schnell öffnete er. Als er in der ehrerbietigen Sprache die gute Meinung erkannt und den Namen Itzig gelesen hatte, verbarg er den Brief hastig in seiner Brusttasche. Die geheime Angst, welche jetzt manchmal sein Herz zusammenzog, überfiel ihn wieder, und gleich darauf folgte der unwillige Gedanke, daß seine Verlegenheiten ein Gegenstand der Unterhaltung in der Fremde waren. Unbestimmte Warnungen waren das letzte, dessen er bedurfte, sie demütigten ihn nur. Lange stand er in finsterm Schweigen neben der Tochter. Da der Brief aber Nachrichten von Eugen enthielt, so zwang er sich, endlich zu sprechen. »Da hat mir ein Herr Wohlfart geschrieben, der jetzt als Kaufmann jenseits der Grenze umherreist und Eugens Bekanntschaft gemacht hat.«

»Er?« rief Lenore.

»Er scheint ein ordentlicher Mann geworden zu sein«, fuhr der Freiherr mit Überwindung fort. »Er spricht mit Wärme von Eugen.«

»Ja«, rief Lenore erfreut, »was gewissenhaft und zuverlässig heißt, das lernt man kennen, wenn man mit ihm umgeht. Welcher Zufall! Die Schwester und der Bruder. Was hat er dir geschrieben, Vater?«

»Geschäftliches, das wahrscheinlich gut gemeint ist, mir aber nicht von wesentlichem Nutzen sein kann. Die törichten Knaben haben irgendein Geschwätz aus dritter Hand gehört und haben sich um meine Angelegenheiten unnötige Sorgen gemacht.« Und schwerfällig schritt er nach diesen Worten zu seiner Fabrik.

Beunruhigt folgte ihm Lenore. Endlich entfaltete er die Zeitung und wandte die Blätter nachlässig um, bis sein Blick auf eine gerichtliche Anzeige fiel. Eine dunkle Röte stieg ihm langsam über die Wangen, das Blatt fiel zur Erde, er griff mit der Hand an die Bretter eines Wagens und legte seinen Kopf darauf. Erschrocken hob Lenore das Zeitungsblatt auf und sah den Namen der polnischen Herrschaft, auf welcher der Vater, wie sie wußte, ein großes Kapital stehen hatte. Ein Termin zur Versteigerung der Herrschaft wegen Konkurses war angezeigt.

Wie ein Blitzstrahl traf den Freiherrn die Nachricht. Wenn er sein eigenes Gut belastet hatte, war ihm die Summe, die auf fremdem Boden ruhte, als die letzte Grundlage seines Wohlstandes erschienen. Oft hatte er gedacht, ob es nicht töricht war, andern in der Fremde sein Geld zu lassen und daheim fremdes nur zu teuer zu bezahlen; immer hatte er eine Scheu davor gefühlt, auch dies runde Kapital in seine Unternehmungen zu werfen, er betrachtete es als das Wittum seiner Gemahlin, als das Erbteil der Tochter. Jetzt war auch diese Summe gefährdet, die letzte Sicherheit war verschwunden, alles um ihn wankte. Ehrenthal hatte ihn betrogen, er hatte die Korrespondenz mit dem Bevollmächtigten des polnischen Grafen geführt, er hatte ihm am letzten Termin die Zinsen noch vollständig berechnet, es war kein Zweifel, Ehrenthal wußte von den schlechten Verhältnissen des polnischen Gutes und hatte sie ihm verheimlicht.

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Data wydania na Litres:
04 grudnia 2019
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