Limoncellolügen

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Limoncellolügen
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Gudrun Grägel

Limoncellolügen

Gardasee-Krimi


Zum Buch

Mörderische Scharade In der Hotelküche des »Magdalena« in Limone herrscht Chaos, seit Chefkoch Valdo mit gebrochenem Arm ausgefallen ist. Greta Rinaldi bittet ihre Freundin Doro, die Saison im Familienhotel zu retten. Doro Ritter ist leidenschaftliche Köchin und den Gourmettempel ihres Vaters in München für ein paar Wochen gegen Dolce Vita am Gardasee einzutauschen, klingt traumhaft. Aber neben Limoncello und Pasta bekommt Doro einen Toten im Pool serviert, verdächtige Gestalten schleichen ums Hotel und auch in der Familie gibt es Geheimnisse. Jeder kocht hier sein eigenes Süppchen. Die traumhafte Kulisse hat Risse und Doro will wissen, wer lügt und wer etwas zu verbergen hat. Was hat das geplante Hotelprojekt mit dem Verschwinden des Kochs zu tun? Als ihr Freund Vinc in Limone eintrifft, schaut Doro längst hinter die Fassaden. Dabei lässt sie sich weder von Carabiniere Mario Forti noch von Vinc bremsen. Sie mischt sich ein – das findet jemand gar nicht witzig und für Doro wird’s brenzlig.

Gudrun Grägel, 1964 in Augsburg geboren, ist Bayerisch-Schwaben treu geblieben und lebt heute mit ihrer Familie nur einen südlichen Schritt weiter, in Königsbrunn. Neben ihrer Arbeit in der Apotheke schreibt die Autorin Kriminalromane, wobei ihr das pharmazeutische Wissen und auch eine Ausbildung auf dem Gebiet der Pädagogik/Psychologie oft interessante Ideen liefern. Krimispannung, gewürzt mit südlicher Sonne und einem Schuss Romantik – da wird der Schreibtisch zum Urlaub und Urlaub zur Recherche, sagt die Autorin. In »Limoncellolügen« ermittelt die junge Köchin Doro Ritter in ihrem zweiten Fall. Gewohnt spontan und ein wenig leichtsinnig macht sie sich auf die Suche nach der Wahrheit, diesmal in Limone am Gardasee – ein Ort, an den es die Autorin immer wieder zieht.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Susanne Tachlinski

Herstellung/Kartengestaltung: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Thomas Hecker / shutterstock.com

ISBN 978-3-8392-6764-6

Widmung

Für

Martin und Flo

Meine Eltern und meine Familie

Zitat

»Wie sehr wünschte ich meine Freunde einen Augenblick neben mich, dass sie sich der Aussicht erfreuen könnten, die vor mir liegt. Heute Abend hätte ich in Verona können sein, aber es lag mir noch eine herrliche Naturwirkung an der Seite, ein köstliches Schauspiel, der Gardasee, den wollte ich nicht versäumen, und bin herrlich für meinen Umweg belohnt.«

(Goethe. Italien-Reise Sept. 1786)

Personen

Doro Ritter, 26 Jahre, Tochter von Sterne- und Fernsehkoch Sascha Ritter, kocht leidenschaftlich gerne und steckt ihre Nase nicht nur in Kochtöpfe

Vincent Wolkenberg, genannt Vinc, Doros Freund

Sascha Ritter, Doro Ritters Vater, bekannter Fernseh- und Sternekoch

Vittorio und Francesca Rinaldi, Besitzer des Hotels Magdalena

Mia Rinaldi, Tochter

Adriano Rinaldi, Sohn von Francesca und Vittorio Rinaldi, verheiratet mit Greta

Laura und Davide, Adrianos Kinder aus erster Ehe

Greta Rinaldi, geb. Schönauer, Ehefrau von Adriano Rinaldo und alte Schulfreundin von Doro Ritter

Isabella Rinaldi, Exfrau von Adriano Rinaldi

*

Valdo Carlotti, Chefkoch im »Magdalena«

Niveo Marino, Hilfskoch im »Magdalena«

Irmela, Zimmermädchen im »Magdalena«

*

Corrado Scalieri, Hotelier aus Limone

Hugo Scalieri, sein Sohn

*

Mario Forti, Carabiniere

*

Jacopo Olmo, Hausmeister und stolzer Besitzer von Fini

Maria Olmo, seine Schwester

Fini, eine alte Eseldame

Julian Weigel, Hotelgast

Und weitere Gäste

Karte


Prolog

München

Eine Sternschnuppe zieht ihre Bahn am frühen Nachthimmel, der hier über der Stadt milchig hell beleuchtet wird. Wer sie gesehen hat, hat einen Wunsch frei.

Die Glocken vom Alten Peter schweigen, das Glockenspiel am Rathaus hat sein Tagwerk eingestellt, der Schäfflertanz ruht bis morgen, die Jungvermählten, Renate von Lothringen und Herzog Wilhelm V., haben sich bereits zur Hochzeitsnacht zurückgezogen. Irgendwo aus der Ferne weht der Klang einer späten Glocke, die sich die Stimme nicht verbieten lässt.

Kapitel 1
La dolce Vita – Zwiebel, Mozzarella und ein Glas Prosecco

Sabato (Samstag) – 25. August

Abends, 21 Uhr

Hmmh. Ich mach die Augen zu und stelle meine Riechzellen auf Empfang. Auf jeden Fall überbacken … Käse … kein Gratin … Zwiebel und Mozzarella. Mediterrane Kräutermischung. Ha! Schon gewonnen. Mit siegesgewissem Lächeln im Gesicht sperr ich die Wohnungstür auf. Aufräumarbeiten in der Küche hat heute Vinc an der Backe, so viel ist sicher. Wieder mal.

Mein Schatz steht im Flur, Arme verschränkt, breitbeinig, coole Miene.

»Tomaten-Mozzarella-Brötchen, Schinken, Schalottenringe, Kräutermischung mediterran«, erwähn ich betont beiläufig und stell meine Umhängetasche seitlich an der Schuhablage ab – die sich mittlerweile auf fünf Stockwerke hochgearbeitet hat. »Ach ja, und ein paar Körnchen grober Pfeffer«, setz ich imaginär gelangweilt hinzu und drück ihm ein gönnerhaftes Küsschen auf die Wange.

Vinc verdreht gespielt verzweifelt seine Augen. »Mann, Doro, kannst du nicht wenigstens mal aus Versehen danebenliegen? Ich storniere die Wette! Allmählich wachsen mir Schwimmhäute zwischen den Fingern vom vielen Spülen.«

Mitleidslos schüttel ich den Kopf. »War deine Idee. Vier Wochen.« Ich verziehe mich auf unseren Balkon.

Sieben Kilo Lebendgewicht streichen schnurrend um meine Waden.

»Na, mein Kleiner, heute hier?«, frag ich unseren Kater, der sich nach dieser persönlichen Anrede sofort auf den Weg Richtung Küche macht. Folgsam trotte ich hinterher. Geschirrklappern und Gläserklirren weckt die Vorfreude auf einen gemütlichen Abend. Im »Macis« war’s heute stressig, Presse für Paps, mittags volles Haus, dafür war’s am Abend dann ruhig, halb neun Feierabend war locker drin, da hab ich gleich Vinc angerufen …

»Irgendein Leckerli übrig für Rambo?«, frag ich, an den Türrahmen gelehnt.

»Nix vom Tisch!«, bestimmt Vinc resolut.

Ich bin da wesentlich weicher.

»Doro, das ist so ungesund«, versucht Vinc, mich zu Konsequenz zu erziehen.

Ich grinse in mich hinein. Das hat Paps schon nicht geschafft …

Vinc schaut kurz über die Schulter, zieht eine Augenbraue hoch. Er weiß wieder mal genau, was ich denke.

»Okay«, geb ich mich geschlagen und schütte lediglich ein bisschen Trockenfutter in Rambos Schälchen. Der verzieht sich beleidigt.

»Soll ich was mit rausnehmen?«, frag ich, die Nase an Vinc’ Schulter reibend.

»Schleich dich«, sagt er drohend, was heißen soll: Bin gleich fertig, mach’s dir gemütlich.

Gerne. Der Tag in Papas Gourmettempel »Macis« war strapaziös genug. Pressebesuch für Paps, seines Zeichens Sterne- und Fernsehkoch, ziemlich gefragt, und das seit Jahren, hat sich wie immer mit Genuss in seinem Ruhm gebadet – leider kann er es nicht lassen, mich mit ins Rampenlicht zu ziehen. Find ich ja nett, dass er stolz ist auf seine Tochter, aber Hintergrund ist mir lieber.

Rambo schleicht an mir vorbei, springt mit ein paar eleganten Sätzen von Balkon zu Balkon nach unten, bis zu der schmalen Katzenleiter für die rote Lilly aus dem ersten Stock. Okay, das heißt Gourmetmeile über den Viktualienmarkt, wo der eine oder andere Katzenfreund an ausgehungerte Streuner denkt. Rambo sieht das anders und nimmt es als Huldigung seiner stattlichen Erscheinung gnädig entgegen. Das ist ihm dann, wenn’s sein muss, sogar einen kleinen Machtkampf wert, den er aber mangels echten Hungers in der Regel verliert. Kratzt ihn vermutlich nicht wirklich, weil im »Macis« wird der Liebling des Chefs sowieso verwöhnt … Was in der Folge bedeutet, Rambo übernachtet bei Paps am Sebastiansplatz, und für Vinc und mich ist genügend Platz in der Hollywoodschaukel.

Ich gieß Wasser in die ausgetrocknete Erde im Pflanzgefäß. Das Geißblatt steht in voller Blüte, ist Blickschutz und Schattenspender zugleich, hat er prima gemacht, der Vormieter. Als Vinc mit vollbeladenem Tablett rauskommt, schieb ich schnell den kleinen, weiß lackierten Metalltisch zurecht. Sieht lecker aus, was mein Schatz kreiert hat. Nach dem ganzen Schnickschnack in Paps’ Küche freu ich mich am Abend auf was Schlichtes, als Nachtisch kuscheln mit Vinc.

 

Der Nachtisch hält den Erwartungen stand, dazu ein Gläschen Vino bianco frizzante – schön gekühlt, haben wir noch aus Italien, letztes Jahr von Maria.

Das Telefon klingelt.

»Nö, nicht jetzt«, nörgle ich, hangele mich aber ein Stück vor und greif mein Handy.

»Du musst mir helfen, Doro!«, kann ich grad so zwischen Schluchzern und Hicksern heraushören. Ich halt die Hand über den Lautsprecher.

»Keine Ahnung, wer dran ist«, sag ich zu Vinc und setze mich auf. Zehn-Uhr-Läuten vom Alten Peter. Über den Dächern von München.

Aus dem Handy Geheule.

»Hallo, bist du es, Lollo?« Meine Vermutung. Vinc nippt am Wein, wartet ab.

Ich leg die Hand über den Lautsprecher. »Wahrscheinlich hat sie ein graues Haar entdeckt. Und das mit 42«, spotte ich böse über die aktuelle Lebensabschnittsgefährtin meines Vaters.

»I… ich bin’s. Greta.«

»Greta?« Greta Rinaldi, geborene Schönauer, meine alte Schulfreundin. Ruft mich an und heult?

Ich mein, das irritiert mich schon. Schließlich sind wir zwar Freundinnen. Seit dem Gymi. Aber nicht beste Freundinnen.

Vinc schaut interessiert hoch, ich zucke mit den Schultern und lausche dem Gestammel am anderen Ende der Leitung. Der letzte Glockenton des Stundenschlags verklingt.

»Stopp!«, unterbreche ich Greta. »Jetzt beruhig dich mal. Kurz zusammengefasst, ihr braucht einen Ersatzkoch und du hast an mich gedacht. So weit richtig?«

Vinc runzelt die Stirn.

Ein tiefer Seufzer von Greta. »Valdo, unser Koch, hat sich den Arm gebrochen, und wo sollen wir Ende August einen neuen auftreiben? Wir haben alles versucht …«, erklärt Greta, jetzt wesentlich verständlicher.

»Ist doch kein Grund, so rumzuheulen«, bring ich die Lage auf den Punkt.

»Tut mir leid, Doro, wollt ich gar nicht … ist grad alles zu viel … und jetzt das noch. Das Hotel ist ausgebucht und fast alle Gäste wollen Halbpension. Das schafft Niveo nicht. Der ist nur Aushilfskoch.«

»Und wenn euer Valdo sich auf einen Stuhl setzt und dirigiert?« Praktiziert Paps auch, wenn er mit Abendgarderobe in seiner Küche vorbeischaut – und das selten ohne einen Verbesserungsvorschlag.

»Valdo muss ein paar Tage liegen, er hat nämlich auch eine leichte Gehirnerschütterung …«

Okay. Ich reib mir die Nase und schau zu Vinc. Sein Blick spricht Bände. Allein das, was er mitgekriegt hat, lässt anscheinend böse Ahnungen in ihm aufsteigen.

Irgendwo schlägt ne verspätete Glocke. Der alte Peter nebenan schweigt.

»Tja, Greta, wie stellst du dir das vor? Ich mein, ich arbeite bei Paps und kann nicht einfach losfahren.«

Vinc grinst unverschämt, was ihm einen Hieb auf die Schulter einbringt. War anscheinend zu schwach, er grinst frech weiter. Okay, okay, bin ihm nicht böse, er hat ja recht. Bei Bedarf kommt’s durchaus vor, dass ich schnell disponiere.

Äh … Moment, ich hab mich noch nicht entschieden …

»Und dein Mann traut mir das zu? Einer Frau, und erst 26 Jahre alt? Kein italienischer Macho?«

»Doro, ich habe mit meinen Schwiegereltern gesprochen, die haben das Sagen im Hotel, und als die gehört haben, wessen Tochter du bist, haben sie noch was aufs Gehalt draufgelegt«, schmeichelt Greta jetzt.

Hat sie allerdings den falschen Knopf erwischt. Mit Tochterbonus vom berühmten Sascha Ritter aufzutreten, hasse ich wie die Pest. Ich liebe Paps, aber ich bin ich, da leg ich extremen Wert drauf. Okay, Doro, schluck’s runter, befehl ich mir, kann Greta ja nicht wissen.

»Machen wir’s kurz«, entscheide ich. »Ich ruf dich morgen an, okay?«

»Doro, du bist ein Schatz!«, schreit mir Greta euphorisch ins Ohr.

»Mal langsam«, brems ich sie, »ich hab noch nicht Ja gesagt. Morgen, okay?«

»Ja, morgen. Ist gut.« Sagt’s und klingt so befreit, als hätte ich keine Wahl.

»Was war das jetzt?«, fragt Vinc, als ich das Handy in den Schoß sinken lasse und mich zurücklehne. Er legt den Arm um meine Schulter.

»Ich soll bei Greta in der Küche aushelfen. Am besten seit gestern.«

»Und was heißt das jetzt?«

»Na ja, die scheinen echt nen Notstand zu haben, Greta ist total verzweifelt, und Paps käme auch ohne mich aus.«

»Heißt zusammengefasst: Du fährst«, resümiert Vinc trocken.

Ich zuck die Schultern. Weiß ja selber nicht … »Na ja, wahrscheinlich … Aber Australien …«, sag ich.

»Hmm.«

»Könnten wir auch verschieben«, schlag ich vor.

»Könnten wir.«

Ich schau Vinc in die Augen. Wie meint er das jetzt? Ernst? Oder ist er beleidigt? Sauer?

Er blinzelt ein paarmal. »Ich fänd’s gar nicht so schlecht«, sagt er dann. »Der Umzug war sauteuer, die Miete und so … Eigentlich passt Italien und Kohle verdienen besser als Australien und tauchen am Great Barrier Reef. Zum Glück haben wir noch keine Flugtickets.«

Wie bitte? »Du wolltest doch auch …?«, frag ich leicht verunsichert.

Hab ich ihn überrollt mit meiner Begeisterung? Quatsch! Vinc sagt schon, was er will. Er ist halt meistens ein bisschen vernünftiger als ich. Und es stimmt ja. Ebbe in unserer Kasse.

»Und, kommst du mit? Ich mein, nach Italien.«

»Was hast du denn gedacht? Du machst Urlaub am Gardasee und ich hüte die Wohnung und nuckel an den Weinflaschen vom letzten Jahr?« Vinc schlingt die Arme um mich, sein Kuss schmeckt nach Wein und Oliven. »Allerdings kann ich erst in zwei Tagen. Fahr du mit dem Auto voraus, ich komm mit Fredis Motorrad nach.«

»Hast du dich mit Greta abgesprochen?«

»Mit Greta? Was meinst du?«

»Tja, so schnell, wie du alles regelst …« Ich zieh die Augenbrauen hoch.

»Glaubst du, nur du kannst spontan sein?«, fragt Vinc herausfordernd. »Aber im Ernst. Fredi hat ne Knieoperation hinter sich, Fußballunfall, und hat mich letzte Woche gefragt, ob ich seine Suzuki ausleihen will. Ab Montag kann ich sie haben, und ich hab mich eh schon gefragt, wann wir damit losziehen. Ich würde sagen, das ist die Gelegenheit. Also nimm deine Motorradklamotten mit.«

»Perfetto«, übe ich mich schon mal im Italienischen und wähle Paps’ Handynummer.

Vinc verzieht sich in die Küche. »Trinkst du noch ein Glas?«, ruft er von dort.

»Rat mal«, ruf ich zurück.

»Danke, das war mein Ohr«, beschwert sich Paps am anderen Ende der Leitung.

»Tschuldigung, war nicht für dich bestimmt«, sag ich zu ihm.

»Hast du was vergessen oder suchst du Rambo?«

»Weder noch. Ich kann eine Weile nicht bei dir kochen …«, komm ich ohne Umschweife zum Punkt.

»Was ist es diesmal?«, fragt Paps spöttisch.

Er ist nicht sauer. Anscheinend tut ihm Lollo wirklich gut.

»Witzig find ich das eigentlich nicht«, schiebt er trocken hinterher.

»Hallo? Kannst du meine Mimik hören?«

»Nicht nötig. Ich kenn dich seit 26 Jahren.«

»Dein Punkt«, geb ich mich geschlagen und erklär ihm die Lage.

»Ja, dann rette das Hotel deiner Freundin oder ihr Leben oder was auch immer … Aber du weißt ja: Rezepte, Gewürze, Ideen.«

»Ich weiß. Und ein paar Fläschchen Vino. Beste Qualität. Ich schau mich um. Und danke, Paps.« Ich schick einen dicken Schmatzer durch den Äther.

»Danke, das war wieder mein Ohr. Und … ich dich auch«, lacht Paps.

Eine verfrühte Sternschnuppe zieht ihre Bahn und verglüht am milchigen Nachthimmel.

»Hast du gesehen?«

Vinc tippt gerade an seinem Handy rum. »Was?«, fragt er, ohne hochzuschauen.

»Die Sternschnuppe. Ich darf mir was wünschen.«

»Also, ich wünsch mir, dass du jetzt endlich herkommst und Ruhe gibst«, brummt Vinc und legt sein Handy zur Seite. »Außerdem ist es viel zu früh für ne Sternschnuppe, war vermutlich nur ein Flugzeug.«

»Bist ja nur neidisch. Tja, blöd, dass du die Sternschnuppe nicht gesehen hast, gell. Aber manche Wünsche gehen trotzdem in Erfüllung«, tröste ich ihn und kuschel mich zu ihm auf die Hollywoodschaukel.

Kapitel 2
Lago di Garda – Wo Benacus und Phillis sich treffen

Domenica (Sonntag) – 26. August

Nachts, 22 Uhr

Nicht viel los auf der Autobahn. Langsam werd ich echt müde. Na immerhin, Bozen liegt schon hinter mir. Im Radio dudelt ein italienischer Sender, auf dem Beifahrersitz kein Vinc, nur Jacke, Handtasche und eine halb leere Wasserflasche. Ich gähne hinaus in die Dunkelheit. Eindeutig, die Tage werden kürzer. Noch ne knappe Stunde. Mann, ich krieg bald ne Kiefersperre vor lauter Gähnerei. Vielleicht mach ich doch ne kurze Pause. Vor Rovereto gibt’s eine Raststätte … Toilette und Espresso … hört sich gut an, beschließe ich und gähne weiter. Ohne schlechtes Gewissen, denn zum Glück kann sich die Jacke nicht beschweren, von wegen Gähnen ist ansteckend … So wie Vinc das macht, wenn er fährt und ich auf dem Beifahrersitz diverse Geräusche von mir gebe.

Nach zehn Minuten im gemächlichen 120-km/h-Schleichgang – für meinen Rennschlitten fast maximale Obergrenze – seh ich das Hinweisschild. Ich setze den Blinker, eine Menge LKWs, wenig PKWs. Direkt vor dem Eingang der Raststätte gibt’s genügend freie Parkplätze. Drinnen ist es ruhig. Ich gönn mir einen Coffee to go, also richtigen Kaffee, keinen Espresso, was hier üblicherweise unter Caffè läuft, und trolle mich mit dem Pappbecher nach draußen. Hab die Wahl zwischen Tankstelle und LKW-Stellplatz. Echt ne öde Angelegenheit, nachts alleine hier, mit nem Kaffee im Pappbecher … Hätt doch nur einen schnellen Espresso nehmen sollen. Egal. Der restliche Kaffee landet samt Becher im Mülleimer, ich setz mich ins Auto und aktiviere das Navi. Neu. Haben wir uns gegönnt, nachdem das alte jedes Mal gestreikt hat, wenn wir es gebraucht hätten. Eigentlich unnötig für die Strecke, gleich nach Riva schalt ich’s wieder aus.

Die Illusion, Kaffee weckt die Lebensgeister, widerlege ich mit Gähnerei Teil zwei. Egal. Bin ohnehin gleich da. Kurze WhatsApp an Greta, sie stellt schon mal die Weingläser bereit, schreibt sie … links von mir glitzert der Benaco, die Lichter des gegenüberliegenden Ufers funkeln um die Wette. Ich liebe das. Urlaubsgefühle trotz Arbeitseinsatz. Seitlich strahlen Scheinwerfer eine Art Hängebrücke an. Ist mir noch nie aufgefallen. Neu? Muss ich mir bei Gelegenheit mal genauer anschauen. Die letzten Tunnel vor Limone. Limone, der Sage nach Sohn von Gott Benacus und der Nymphe Phillis, wurde nach einem tödlichen Jagdunfall vom göttlichen Papa wiederbelebt und lebte von da ab … ja, eben am westlichen Ufer des Lacus Benacus, wie der alte Lateiner sagt. Vater und Sohn gaben See und Ort seine Namen und Stoff für eine schöne Legende – und Stoff für eine lateinische Übersetzung dieser Sage. Ich muss grinsen, wenn ich daran denke, wie der Wiesmüller – Lateinlehrer und armer Tropf, den das Los der 10c getroffen hatte – die Legende von Benacus übersetzt hat. Extra für uns, einem Haufen hoffnungsloser Lateinfälle, weil er dachte, uns damit zu begeistern. Haha. Ich glaub, so ne Geschichte hätt’s nicht gegeben …

Damals war Greta in meiner Klasse … Greta, Miriam, Anna, Lisi, Felli und ich. Mädelsclique, Greta und ich vielleicht einen Tick enger, aber beide nicht der »Bestefreundinnentyp«. Nach dem Abi haben wir uns aus den Augen verloren. Greta. Hat mich letztes Jahr eingeladen, ins Hotel Magdalena, und mir stolz ihre Familie präsentiert. Haben alte Zeiten bequatscht. Das kommt davon. Jetzt soll ich die Küche übernehmen. Vorübergehend. Okay, kein Problem. Die haben, glaub ich, 20 Doppelzimmer und zwei Familienzimmer, das pack ich locker. Mit dem Hilfskoch, wenn der nicht querarbeitet … Ah, da geht’s hoch zum Hotel. Vorsichtig umfahre ich einige Nachteulen, manche sichtlich weinschwer. War ich gerade noch müde? Voll fit, würd ich sagen! Ich freu mich. Auf Greta, auf die Arbeit, auf Italien. Motorradtouren mit Vinc.

Die schmale Straße zum Hotel gabelt sich, wird enger, Via E. de Nicola, das ist es. Rechts Silhouetten von Olivenbäumen in der spärlichen Straßenbeleuchtung, die laue Luft durchs offene Autofenster, vorne links das Hotel. Ich stelle Vinc’ mintmetallicfarbenen Luxusschlitten, seines Zeichens Opel Corsa B, Baujahr ’98, Sonderedition, hinters Hotel, wo die Privatwagen der Familie stehen. Irgendwas hat sich verändert seit dem letzten Jahr. Muss kurz überlegen, was. Genau, der Anbau ist jetzt einen Stock höher, was heißt, ein paar Gäste mehr. Kein Problem. Ich streck mich und geh ums Haus.

 

»Hallo, Doro«, schreit mir Greta entgegen und winkt, dass das Tablett voller Gläser bedrohlich in Schieflage gerät. Noch gut was los auf der Terrasse. Egal, muss mich erst ab morgen kümmern. Einige Gäste schauen neugierig. Interessiert sie wahrscheinlich brennend, wer die junge Frau ist, die hier mitten in der Nacht ankommt und von der Juniorchefin so herzlich begrüßt wird.

»Okay, du kannst mich loslassen, ich bleib schon da«, sag ich lachend und winde mich aus Gretas Umarmung – will ja nicht übertreiben mit der Sentimentalität.

»Tut mir leid, Doro, aber ich freu mich so!«

In Gretas Augen glitzert es verdächtig. Nee, bitte nicht schon wieder!

»Ich freu mich auch, und jetzt her mit dem Vino. Darauf stoßen wir an.«

Greta schnieft kurz, lacht und schiebt mich zu dem Tisch in der Nische zwischen gemauertem Kräuterhochbeet, Olivenbaum und Eingang zur Küche. Kenn ich vom letzten Jahr, ist immer für die Familie reserviert. Bisschen abseits der anderen Tische, Küchendüfte gratis, Treffpunkt der Familie, wenn grade ein paar Minuten nichts zu tun ist.

»Das ist Niveo«, stellt Greta mir einen jungen Italiener vor, ungefähr unser Alter, schätz ich. »Doro. Meine Freundin. Hab dir ja von ihr erzählt«, sagt sie an Niveo gewandt.

»Ciao, Doro«, sagt Niveo freundlich und stellt Wasser und Wein auf den Tisch.

Perfetto. Den mag ich.

»Ciao, Niveo. Ab morgen hast du Hilfe in der Küche«, sag ich und proste ihm zu.

»Ich helfe dir!« Sagt’s, zwinkert und geht.

Er hat’s erfasst. Ohne Worte. Muss ich Vinc erzählen.

Gretas Lachfältchen vertiefen sich. »Ich glaub, der ist genauso froh wie ich, dass du da bist. Der Gute ist in der Küche eindeutig überfordert. Er ist uns Anfang der Saison sozusagen zugeflogen. Hat eine Stelle gesucht, zum Glück haben wir uns entschieden, dass unserem Valdo ein bisschen Unterstützung nicht schaden würde, er ist ja nicht mehr der Jüngste. Und jetzt sind wir total froh, dass wir Niveo haben. Als Assistent ist er okay, aber der ist niemals Koch! War schon ein leichtes Chaos die letzten Tage. Mein Mann und Niveo rocken die Küche. Wenn’s nicht so ein Stress gewesen wäre, eigentlich zum Totlachen.«

»Entspann dich, Greta. Kein Problem für mich. Hab ich gelernt, und du weißt ja, ich bin bei Paps aufgewachsen …«

Was das heißt, kann sie immerhin ahnen, auch wenn wir privat nie übermäßig ins Detail gegangen sind.

»Italiener?«, frag ich Greta und mein den einzelnen Mann, dunkelhaarig, so um die 30, der am Handy surft und ein Fasspils trinkt.

»Nein, Deutscher. Aus Stuttgart. Sportler. Düst hier mit dem Rennrad die Pässe rauf und runter«, klärt Greta mich auf. »Der ist nett, will aber seine Ruhe, hat keine Anschlussambitionen.«

Das versteh ich gut. Geht mir abends auch oft so. Den ganzen Tag Hektik, Gäste, Presse … und Paps, da brauch ich außer Vinc nichts mehr.

Niveo bedient, Greta und ich arbeiten die Zeit von der Schule bis jetzt auf, vom Rest ihrer Familie nichts zu sehen. Hab ich nen roten Teppich erwartet? Nicht wirklich … Aber so gar keiner? Außer Greta und Niveo natürlich … Na ja. Ich rutsch tiefer in den Stuhl und streck die Beine unterm Tisch aus. Die letzten Gäste, ein Paar mittleren Alters, verabschieden sich von Niveo und winken zu uns rüber.

»Buona notte«, ruft Greta und winkt zurück.

»Warum lachst du?«, fragt sie mich.

»Die sind bestimmt fünf Jahre jünger als Paps, und ich hab sie gerade mittelalt eingestuft … Paps würde mir den Kopf abreißen. Das Wort »alt« akzeptiert er nur im Zusammenhang mit Käse oder Wein!«

»Sieht aber gut aus, dein Vater. Ich hab ihn schon ein paarmal im Fernsehen gesehen.«

»Ja, klar. Wer nicht? Aber für nen roten Teppich hat’s nicht gereicht.«

»Was für’n roter Teppich?«

Ich wink ab. »Egal … Mann, ich bin platt. Zeigst du mir mein Zimmer?«

Greta nickt. »Hol du dein Gepäck, ich stell noch die restlichen Gläser rein und mach dir dann hinten auf.«

Ich geh außen herum zum Auto. Vor der Zufahrt steht eine dunkle Limousine. Na, wenn die da parkt, kommt keiner mehr durch, denk ich, erledigt sich dann aber von selbst, der Wagen wendet und fährt Richtung Hauptstraße davon.

Halb zwei. Jetzt brauch ich ein Bett. Greta geht’s genauso. Schlüsselübergabe, Küsschen und buona notte, bis morgen früh, 6 Uhr, in der Küche.

Mein Zimmer liegt im ersten Stock des Altbaus, Familientrakt des Hauses. Kurzer Blick vom Balkon: Garten, Pool und unten der See. Ist echt ein kleines Paradies, das Hotel. Hätte Greta schlechter treffen können, denk ich. Bin aber nicht neidisch. Meine Optionen in München sind durchaus reizvoll und mit Vinc hab ich sowieso den Jackpot geknackt. Freu mich, dass er nachkommt.

Ich geh ins Zimmer, die Balkontür lass ich offen, kann keiner rein hier und selbst wenn – viel gibt’s nicht zu holen. Milde Nachtluft folgt mir. Tja, das ist der Unterschied, die Nächte bei uns sind schon kühl, bald herbstlich. Hier wird’s zwar früh dunkel, aber die Nächte sind lau. Okay, auspacken kann ich morgen. Gute-Nacht-Küsschen-WhatsApp für Vinc, obwohl der bestimmt längst schläft, wecken um halb sechs, dann hab ich noch Zeit für nen Espresso. Ich schlüpf ins Bett. Slip und Top sind warm genug, ich steck nur die Füße unter die Decke.