Czytaj książkę: «Durch die Hölle in die Freiheit», strona 7

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Zweifel

Als ich in Katowice wohnte, ging ich ganz selten in die Kirche, und die spirituellen Anliegen interessierten mich kaum an. Ich fing sogar an, an all diesen religiösen Geschichten zu zweifeln. Ich verwies sie ins Reich der Fabel. Ich stellte mir immer wieder die Frage, warum man im Namen Gottes so viele Verbrechen begangen hatte und Gott selbst nicht eingegriffen hatte. Wenn Er tatsächlich existierte, warum ließ Er so viel Unheil geschehen?

Ich las damals viele Bücher und suchte eifrig die Antworten auf alle diesen spannenden Fragen. Ich konnte aber keine sachliche Erklärung dafür finden. Einige Lektüren von mir stellten die katholische Lehre nicht nur in Frage. Sie ließen sogar an der Bibel und an der Existenz Gottes zweifeln. Nach einiger Zeit kam ich an die Bücher, die mich in Richtung Atheismus führten. Die in diesen Bändern geschilderten Ausführungen waren schön formuliert und wissenschaftlich begründet. Sie ließen mich vermuten, dass etwas an diesen religiösen Ansichten nicht stimmt. Ich wollte nach der Wahrheit streben, und daher hielt ich es für notwendig, mich mit den Auslegungen von allen Quellen vertraut zu machen. Ich ging davon aus, dass die Wissenschaftler wussten, was sie schrieben, weil sie gut ausgebildet waren, was sie von der restlichen Bevölkerung unterschied. Mit der Zeit keimte in mir die Überzeugung, dass Religion etwas für die Ahnungslosen war. Ich entwickelte mich intellektuell, glaubte an die Macht des Verstands und wollte mit Religiosität nichts am Hut haben.

Ich sah die Religion immer mehr als „das Opium des Volkes“ und das geistige Futter für die großen Kinder an. Ich war der Meinung, dass die Leute den Glauben brauchen um zu überleben, ihr gemeines Schicksal zu ertragen und in der Hoffnung zu leben, dass es ihnen in ihrem zukünftigen Leben besser gehen würde. Solche Geschichten überzeugten mich nicht mehr. Ich stellte mir die Frage, wo Gott eigentlich wohnte, wenn Er überhaupt existierte, und warum unser Schicksal Ihn nichts anging.

Ich hatte unglaublich viele Fragen, aber wenige Gesprächspartner zu diesem Thema. Ich bemühte mich ohnehin nicht allzu sehr darum, einen klugen Kopf zu finden, der mich darüber aufklären konnte. Im Gegenteil. Ich hatte immer mehr Respekt vor den Atheisten. Ich versuchte, diesen Leuten genau zuzuhören und alles im Kopf zu behalten, was sie zum Thema Glauben zu sagen hatten. Ich versuchte mir einen eigenen Standpunkt zu bilden, indem ich die gängigen und stereotypischen Meinungen sammelte. Ich war bemüht, an die logische Definition von Gott zu kommen. Ich hatte gar keine Ahnung, dass mir eine solche Herangehensweise kaum helfen würde, die Realität Gottes zu begreifen. Man kann Gott nur dann verstehen, wenn man ein spiritueller Mensch ist. Und die Spiritualität lässt sich mit purem Verstand nicht erzeugen. Ich überlegte, warum der menschliche Verstand, als das vollkommenste Werk Gottes, die Existenz von seinem Schöpfer in Frage stellte. Ich hörte auf zur Beichte zu gehen, weil ein katholischer Priester für mich weder eine Autorität noch ein glaubwürdiger Gesprächspartner war, der auf meine Probleme eingehen könnte, ohne gleichzeitig seine eigenen Interessen zu verfolgen. Ich wagte noch nicht, die Existenz von Gott selbst in Frage zu stellen, aber ich war mir gar nicht sicher, ob Er überhaupt existierte. Ich schrieb sogar ein philosophisches Lied darüber, dass das Leben keinen Sinn hätte, wenn es Gott nicht gäbe. Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich noch daran, dass es einem Menschen ohne Gott nicht gut gehen konnte. Paradoxerweise fing ich gerade damit an, an Gott zu zweifeln. Als ich über die Existenz Gottes nachdachte und gleichzeitig an Ihm zweifelte, driftete ich immer weiter von dem Schöpfer ab. Zugleich war mir die Lebensfreude immer fremder. Ich spürte es. Das gab mir viel zu denken, weil diese Freude mich immer am Leben hielt. Sie war ein Teil von meiner Identität. Leider reagierte ich gar nicht auf diesen Instinkt. Ich blieb untätig, als ob ich gar nicht gewusst hätte, welche Folgen meine Ignoranz auslösen konnte. Mir war nicht bewusst, dass die von mir bisher so eifrig gepflegte katholische Tradition und die geistige Disziplin einen sehr hohen Wert hatten. Ich verschwendete die ganze Mühe, die sich meine Eltern machten, sowie die Bestrebungen von allen Priestern, die mir den Religionsunterricht gaben. Plötzlich erschienen mir all diese Werte altmodisch und nutzlos. Ich ließ den Schutzschild, der mich in schwierigsten Momenten geschützt hatte, leichtsinnig fallen. Ich wusste damals gar nicht, was für einen hohen Preis ich dafür später bezahlen musste.

In dem Raum, den früher religiöse Werte erfüllten, breitete sich der Alkohol immer weiter aus. Es gab immer mehr Platz für Partys und die Abstecher mit den Freunden in die Kneipe. Wenn ich schon in die Kirche ging, saß ich gelangweilt da, betete immer weniger, und wenn schon, dann ganz gleichgültig und ohne mich Gott hinzugeben. Manchmal erlaubte ich mir die Naturgesetze und religiöse Traditionen zu bespötteln.

Kurz vor meiner Abreise ins Ausland drangen einige enge Freundinnen von mir auf zur Beichte zu gehen. Sie führten mich dorthin, um mich vor dem Abfall vom Glauben zu retten. Sie bestanden so sehr darauf, dass ich endlich nachgab. Als ich vor dem Beichtstuhl kniete und einige Worte der Zweifel und Verbitterung aussprach, wusste der Priester genau, was sich in meiner Seele abspielte. Er versuchte mich ganz unaufdringlich von meinen Absichten abzubringen, mein Leben fortan ohne Gott zu führen. Er empfahl mir, weder den Kommunisten noch den Atheisten Gehör zu schenken, weil sie die Wahrheit nicht wissen wollten. Es kam sogar ein Moment, in dem etwas in mir bröckelte, und das Gewissen, das ich so lange verdrängt hatte, kam zu Wort. Hätte ich mich mit diesem Priester für ein nächstes Gespräch verabredet, vielleicht woanders und nicht mehr unter Druck, hätte er mich wahrscheinlich überzeugt, und ich wäre in der katholischen Kirche geblieben. Ich kam ihm aber nicht entgegen. Er wollte nicht allzu aufdringlich sein, weil er wusste, dass das keine gute Taktik war. Eine Zeitlang hörte ich noch im Herzen seine klugen und liebevollen Worte, aber die Schale, die mein Herz umgab, wurde immer dicker. Ich war schon nicht mehr in der Lage, von meinem Weg abzuweichen. Ich musste mich wohl selbst überzeugen, was Schlimmes auf dem Menschen zukommt, wenn er seinen Glauben aufgibt.

So verließ ich Gott und die katholische Kirche – die Quelle meines Lebens und Glücks. Ich vergaß das Versprechen, das ich als Jugendlicher gegeben hatte, und zwar, dass ich Gott treu bleiben würde. Mein spirituelles Leben geriet in einen freien Fall. Auf dem Boden meiner verwahrlosten Seele wuchsen die mit Alkohol bewässerten Unkräuter.

Auswanderung

Im Herbst 1986 entschied ich mich dafür, meinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen und buchte einen Ausflug nach Deutschland und Dänemark. Mit 25 öffnete sich mir die Perspektive eines besseren Lebens in der demokratischen Welt. Cezary, mein Kollege, wanderte im März dieses Jahres nach Deutschland aus. Das war für mich noch ein zusätzlicher Ansporn dafür das kommunistische Lager zu verlassen. Außerdem hatte ich in meinem potenziellen Einwanderungsland eine bestimmte Kontaktperson.

Aus diesem Anlass war ich auch in Przasnysz bei Jerzy, einem Freund von uns beiden. Da er auch vorhatte ins Ausland zu gehen, weihten wir ihn in unser gemeinsames Unterfangen ein. Später gab er diese Idee aber auf, unter anderem deshalb, weil er sich verliebte und verheiratete. Das war ein echtes Saufgelage, das wir anlässlich meiner Abreise veranstalteten. Ich wollte auf diese Art und Weise Abschied nehmen. Unsere Clique wurde fortan durch den Eisernen Vorhang geteilt. Cezary war schon drüber. Ich war als Nächster dran dieses kommunistische Boot zu verlassen. Kommunistisches Polen war dann wie ein treibendes Schiff. Ich bereitete mich im Geheimen darauf vor, von Bord dieses Schiffs zu gehen. Zu jener Zeit konnte ich mir mein weiteres Leben in diesem System kaum vorstellen.

Am Tag der Abreise fuhr mich mein älterer Bruder Edward mit dem Auto zu dem vereinbarten Ort in Radom, wo wir in den Reisebus einsteigen und nach Swinemünde fahren sollten. Dort sollten wir die berühmte Fähre „Silesia“ besteigen, die uns nach Dänemark und Deutschland brachte. Ich war sternhagelvoll, weil ich mich die ganze Nacht lang in der Gesellschaft meiner Brüder von meiner sozialistischen Heimat verabschiedete und dabei viel Alkohol in mich hineinschüttete. Ich hatte einen Grund dafür: Ich wusste doch nicht, wann ich sie wiedersehen würde.

Als der Bus schon abfahrtbereit war, wies mich Edward ganz lautstark darauf hin, dass ich ihn nicht vergessen sollte, sobald ich mich mit den Verhältnissen in meiner neuen Heimat gut einrichtet hatte. Sicherlich fehlte ihm zu diesem Zeitpunkt das Gefühl für die Situation. Mit dieser Selbstsorge konnte er mich sehr schädigen. Der Ausflug wurde von dem Mitarbeiter des polnischen Sicherheitsdienstes (UB) begleitet. Er hatte alle Reisenden genau im Visier und war dazu berechtigt, jeden Fahrgast festzuhalten, der seiner Meinung nach vorhatte, von dem Land auf Dauer zu fliehen. Mein Bruder verhielt sich so, als ob er mir einen „Migrationsselbstmord“ gewünscht hätte. Anscheinend wurde ich bereits dann in die schwarze Liste von potentiellen Flüchtlingen eingetragen, nur weil mein Bruder diesen großen Fauxpas begangen hatte. Man kann sich vorstellen, wie viel Mühe es kostete, all diesen Agenten zu überlisten und meinen Auswanderungsplan in Erfüllung zu bringen.

Wir lebten gerade in den Zeiten, als die Polen ihre Heimat massenhaft verließen und zwar indem sie sich Ausflüge über den Eisernen Vorhang kauften. Die Kommunisten hingegen mit dem einheimischen Gangster, Wojciech Jaruzelski, am Steuer, drückten dabei die Augen zu – zum Teil, weil sie dagegen kaum etwas unternehmen konnten, und zum Teil, weil sie froh waren, teilweise gefährliche Elemente loszuwerden.

In der Nähe von Posen, wo wir am ersten Tag übernachteten, gab es kleine Ferienhäuser, wo wir in Kleingruppen untergebracht wurden. Der von mir mühelos enttarnte Sicherheitsagent von unserem Ausflug aus Radom wohnte gerade in unserem Haus. Um uns zu täuschen, kramte er als Erster eine Flasche raus. Er bereitete sich dadurch den Grund, unseren Absichten auf der Spur zu kommen. Ich glaube, dass es kein Zufall war, dass er gerade in unserem Häuschen untergebracht war. Und höchstwahrscheinlich war ich selbst ein Grund dafür, weil ich der Erste war, der von diesem Kameraden angesprochen wurde.

Ein Verrat lag in der Luft. Man konnte es von allen Seiten erwarten. Ich verfolgte eine Taktik der Desinformation und traute niemandem. Ich schloss mich einer Clique der Einwohner von Radom an, und am Bord verspottete ich die Geheimagenten, was das Zeug hielt. Ich wusste, dass sie mich nicht aus den Augen lassen würden und musste sie daher entsprechend überlisten, um überhaupt abhauen zu können. In der Disco, in welcher ich in der Freizeit feierte, erzählte ich viel Unsinn, was sonst kein anderer Flüchtling gewagt hätte. Ich versuchte mich in das Denken der Geheimagenten hineinzuversetzen: Jemand, der tatsächlich abhauen will, wird fast kein Mucks von sich geben, um auf keinem Fall die Aufmerksamkeit der Spitzel auf sich zu lenken. Um den Gegner zu täuschen, machte ich das Gegenteil. Ich wusste allzu gut, dass ein musterhaftes Verhalten keine gute Taktik war, weil für die kommunistischen Spitzel mit guter psychologischer Ausbildung gerade das ein Anzeichen dafür sein kann, dass etwas nicht ganz stimmte. Es war für sie ein leichtes Spiel festzustellen, dass jemand etwas zu höflich war. Man stellt solch einen Typ unter Verdacht und lässt ihn nicht aus den Augen entsprechend dem Sprichwort „Stille Wasser sind tief“.

Ich war aber in einer viel schwierigeren Lage als diejenigen, die sich diskret verhielten, um Ihre Migrationspläne nicht ans Tageslicht kommen zu lassen. Ich war schon enttarnt und wurde auf Schritt und Tritt beobachtet. Um die Aufmerksamkeit der Agenten von mir abzulenken, war ich laut und machte den Eindruck, als ob es mich nichts anginge. Dieses komische Verhalten von mir war eine peinlich harte Nuss, die ihr Intellekt zu knacken hatte, weil sie letztendlich nicht wussten, wer ich eigentlich war. Sie hatten auch gar keine Ahnung, dass ich ihren Gedankengängen Punkt für Punkt folgte und dass ich – ganz entgegen ihrer erlernten Strategie – genauso wie in dem Spiegelbild handelte.

In Kopenhagen verkaufte ich Zigaretten und Wodka. Das Geschäft lief verhältnismäßig gut, wenn man bedenkt, dass das mein erstes Mal war. Ich konnte Deutsch sprechen, was vielen Mitreisenden auf mich aufmerksam machte. Dadurch gewann ich immer schnell Freunde.

Am Abend zog ich leichtsinnig etwas zu weit in die Stadt und verlief mich. Ich wusste den Weg zurück in den Hafen nicht. Nach kurzem Überlegen lief ich gegen den Wind, weil ich dachte, dass ich so die See finde. Und ich hatte Recht. Ich fand den Hafen, und da der Port groß war, machte ich meine Fähre mit der Unterstützung der Dänen ausfindig, die an der See spazieren gingen. Ich schaffte es kurz vor der Schließung des Eingangs einzutreffen. Ich wollte nicht in Dänemark bleiben. Mein Ziel war Deutschland.

In der Nacht ging die Fähre nach Travemünde, und aus dieser Ortschaft fuhren wir mit den Reisebussen an einigen Tagen nach Hamburg. Genau diese Stadt war mein Ziel, wo ich mich von der Gruppe entfernen und an Bord nicht mehr zurückkommen wollte. Das war kein großes Problem, weil niemand so streng auf uns aufpasste, dass es nicht möglich gewesen wäre sich von der Gruppe zu trennen. Jedes besichtigte Hamburg und ging einkaufen – entweder alleine oder in Kleingruppen. Das Problem lag darin, wie man seinen Reisekoffer vor den Augen den Agenten von der Fähre in den Bus schleppen sollte. Was hätte man antworten sollen, wenn der Spitzel gefragt hätte, warum man alle Klamotten mitnimmt, obwohl man die nächste Nacht am Bord verbringen soll? Hätte man gesagt, dass man Angst hätte, beklaut zu werden, das Hab und Gut zu verlieren, wäre nicht glaubwürdig gewesen. In diesem Fall musste man damit rechnen, dass solch ein Reisegast in eine isolierte Kajüte gesperrt und erst dann frei gelassen wurde, wenn die Reisegruppe wieder in Polen eintraf. So konnte der Geheimdienst die Flucht aus dem sozialistischen Polen vereiteln. Solch eine Überführung konnte ich mir nicht leisten.

Als ich überlegte, wie ich meinen Rucksack von dem Schiff in den Bus bekommen konnte, ohne dass ich den Geheimagenten auf mich aufmerksam machte, kam mir plötzlich der Fahrer selbst zur Hilfe. Er schlug vor, diese Aufgabe zu übernehmen und dass ich mich darum nicht mehr kümmern sollte. Für einen Augenblick schaute ich ihn an und überlegte, ob nicht gerade der Geheimdienst versuchte mich auszutricksen. Er durchschaute aber meine Gedanken und sagte, dass er Typen wie mich, die auf Dauer ins Ausland fliehen wollten, sofort erkannte, weil seine Arbeit gerade darin bestand, die Reisebusse über den Eisernen Vorhang zu fahren. Er hatte Mitleid mit einem Flüchtling, der die Flucht wagte und dessen Pläne in die Hose gehen würden, nur weil er von dem Geheimdienst ertappt wird, weil er irgendeinen Fehler machte, der die Aufmerksamkeit der Spitzel auf ihn lenkte.

Ich entschloss mich, mich auf den Busfahrer zu verlassen und gab ihm meinen Rucksack. Ich war aber darauf vorbereitet, dass ich notfalls auch ohne Rucksack die Flucht ergreifen musste, wenn die Geheimagenten versuchten mich festzuhalten. Glücklicherweise war dies nicht notwendig. Der Fahrer half mir aus gutem Herzen und hatte mit dem Geheimdienst nichts zu tun. Er war ein toller Mensch. Keiner der Passagiere, die an diesem Tag in dem Bus nach Hamburg saßen, ahnte, dass ich am Abend nicht mehr zurückkomme. Sicherlich glaubten einige, dass ich schon am ersten oder zweiten Tag ausgerissen wäre, hätte ich überhaupt solche Absicht. Daher entschied ich mich dafür, erst am letzten Tag davonzukommen.

Darüber hinaus wollte ich gar nicht auf die Berge leckeren Essens verzichten, die uns in der Schiffkantine angeboten wurden. Die Läden im kommunistischen Polen waren ganz leer, und ich konnte mich kaum erinnern, wann ich zum letzten Mal derartige Köstlichkeiten zu mir genommen hatte. Ich nahm mir vor, mich an diesen Leckerbissen satt zu essen, ehe ich das Schiff verlassen würde. Eine solche Feinkost konnte man in jenen Tagen nur in den Kantinen der Zentral- und Lokalkomitees der regierenden kommunistischen Arbeiterpartei und vielleicht in manchen sehr teuren Restaurants genießen. Und warum sollte ich mir all diesen Spezialitäten nicht gönnen, sondern bei der erstbesten Gelegenheit wie ein armer Hund abhauen? Ich bezahlte für all das gute Geld. Deshalb nahm ich diesen Luxus in Anspruch, soweit es mir möglich war und verabschiedete ich mich festlich von dem Kommunismus. Wie sich später herausstellte, waren die Jahre seiner Blütezeit schon gezählt.

Die Überraschung aller Fahrgäste war kaum zu beschreiben, als ich im Zentrum von Hamburg meinen Rucksack von dem Fahrer übernahm. Ich zeigte meinen Mitreisenden mit den Fingern das Victory-Zeichen. Ich warf einen Blick auf unseren Agenten. Er schaute mich komisch an. Er war nicht mehr der höfliche Kerl, der mit mir in dem Ferienhaus in der Nähe von Posen übernachtete und nette Gespräche führte. Seine Augen waren traurig und vorwurfsvoll, als ob ihm das Leben entzogen worden wäre. Er fühlte sich von mir betrogen und überlistet. Ich glaube, dass er einen großen Groll gegen mich hegte und mir diesen Unfug noch lange nicht vergaß. Vielleicht wurde meine Korrespondenz gerade aus diesem Grund sechs Monate lang gesperrt, und ich erhielt in dieser Zeit gar keine Briefe aus Polen.

Politischer Flüchtling

Nachdem ich mich von der Gruppe trennte, war ich ruhig und musste mir keine Sorgen machen, weil ich alles bereits zuvor genau geplant hatte. Ich rief Filip, einen Freund von Cezary, an, der seit einiger Zeit in Hamburg wohnte. In meinen ersten Tagen in Hamburg war mir die Unterkunft besonders wichtig sowie die fachliche Unterstützung von jemandem, der die deutsche Sprache gut beherrschte, um mir bei den amtlichen Formalitäten zu helfen. Cezary konnte mir nicht helfen, weil er schon früher nach Regensburg in Bayern verlegt wurde. Glücklicherweise hatte er seine Kollegen in Hamburg. Noch vor seiner Abreise gab er seinem Freund entsprechende Anweisungen und bat ihn darum mir zu helfen, sobald ich abhaute und mit ihm Kontakt aufnahm. Filip nannte mir die Adresse, zu welcher ich mich begeben sollte. An diesen Ort musste ich mit dem Nahverkehrszug fahren, weil meine Anlaufstelle 15 km von dem Stadtzentrum entfernt war. Dort konnte ich die notwendige Unterstützung und wichtige Informationen erhalten. Unter dieser Adresse waren die Freunde von Cezary und Filip wohnhaft. Deshalb musste ich mir keine Sorgen machen. In der Reihe unserer Clique aus Radom gab es nur zwei Menschen, die beabsichtigten, nicht mehr nach Polen zurückzukehren, und zwar mich und Kazik. Er vermied mich am Bord. Anscheinend glaubte er, dass ein leichtsinniger Typ wie ich keine Fluchtpläne aus Polen schmieden konnte und seinen eigenen Absichten im Weg sein konnte. Der arme Kerl hatte gar keine Ahnung, dass ich nur eine Maske trug, unter der ich mich perfekt tarnte. Diejenigen, die im Westen bleiben wollten, machten einen großen Bogen um mich. Die Leute, die mit mir feierten, waren jene, die Geschäfte in Polen hatten und die Auswanderung gar nicht in Erwägung zogen. Es ging mir genau darum die Geheimspione zu täuschen und ihrer aufmerksamen Beobachtung zu entkommen. Hätte Kazik begriffen, worum es mir ging, so hätte er sich bestimmt wie eine Klette an mich gehängt und wäre mir auf Schritt und Tritt gefolgt. Mit mir hätte er es viel einfacher gehabt, da er kein Deutsch sprach. Ich hätte ihm helfen können. Wahrscheinlich war Kazik der Meinung, dass ich zu den Menschen gehörte, die einfach viel Spaß haben wollten, und er hatte doch so ernsthafte Pläne! Er verließ die Gruppe einen Tag vor mir und war felsenfest davon überzeugt, dass er mit offenen Armen empfangen werden würde.

Kazik, der immer alles so genau wusste und eine super verlässliche Kontaktperson vor Ort zu haben glaubte, stand jetzt hilflos genau an der Stelle, an welcher unser Reisebus ankam. Er war pleite, weil die Reise zu dem angeblich verlässlichen Mann, den er einst in Polen kennenlernte, sein ganzes Erspartes gefressen hatte und erfolglos war – und zwar nicht deshalb, weil die Adresse falsch war. Diesmal geriet das Gespräch aber ins Stocken. Der angebliche Wohltäter konnte Kazik lange nicht in Erinnerung bringen. Er half ihnen eifrig und betonte ständig, dass er ihm Unterstützung versprach, sobald er nach Deutschland kommen würde. Der Landwirt jagte ihn zum Teufel und bat ihn darum ihm nicht mehr auf den Wecker zu fallen. Er fügte noch hinzu, dass man manchmal viel dummes Zeug erzählen würde, wenn man betrunken sei. Man solle diese Geschichten nicht allzu ernst nehmen, weil Alkohol zum Spaß diene und nicht dazu, Geschäfte zu machen.

Kazik, der am Bord nichts mit mir zu tun haben wollte, schaute mich jetzt mit einem flehenden Blick an, damit ich ihm gnädig sein würde und ihm seine frühere Arroganz vergab. Er war hilflos und wollte, dass ich ihn mit mir nahm, weil er kein Deutsch sprach und mittellos war. Ich kam auf ihn zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte lächelnd: „Alter, mach dir keine Sorgen. Du gehst mit mir!“. Kazik atmete erleichtert auf. Obwohl er fast doppelt so alt wie ich war, schaute er mich dann so an, als ob er mein Sohn wäre. Auf dem Hauptbahnhof kaufte ich zwei Tickets für den Nahverkehrszug und fuhr mit Kazik in das Viertel, wo wir Filip treffen sollten.

Unter der vereinbarten Adresse gab es die Wohnanlagen für die Asylbewerber verschiedener Nationen und Rassen. Dort nahmen wir Kontakt mit den ersten Polen auf, die wir trafen. Ich rief erneut bei Filip an. Ich sagte, wo ich war, und dass ich auf ihn wartete. Er traf gleich ein und nahm mich mit zu seinen Kollegen, die in der Nähe wohnten und mich bei meinen ersten Schritten in der freien Welt unterstützen sollten. Kazik blieb zu dieser Zeit bei den Polen, die wir zuvor getroffen hatten. Ich konnte dort auch bleiben, aber Filip wollte mir einen Deal vorschlagen, der mit keinem Risiko verbunden war.

Das Wochenende begann gerade, und erst am Montag konnte ich mich um das politische Asyl in dem zuständigen Amt (Biberhaus) bewerben. Ich hatte die Gitarre dabei und spielte unseren Asylanten die polnische Musik vor, die sie so sehr vermissten. Bei den Kollegen von Filip gab es auch viele „Ausflugsflüchtlinge“, die viel Schnaps mitbrachten. Die Stimmung war super, und alle, die es aus Polen erfolgreich hierherschafften, konnten nun erleichtert aufatmen. Ich feierte mit meinen neuen Freunden das ganze Wochenende über in der demokratischen Welt. Ich sollte nur singen und spielen. Ich musste mich um nichts anderes sorgen. Ich erhielt alle nötige Unterstützung.

Nachdem ich mich ums Asyl bewarb, bekam ich eine Unterkunft in einem kleinen Gasthaus mitten im Stadtzentrum von Hamburg und verhältnismäßig gutes Geld für den Neustart. Das Gasthaus war nicht besonders interessant, aber es gab nichts auszusetzen. Auch Kazik wurde hier untergebracht.

Deutschland machte einen enormen Eindruck auf mich. Der Lebensstandard war hier himmelweit höher als in Polens düsterer kommunistischer Realität. Alles sah hier anders aus, war besser organisiert. Die Leute waren höflich und heiter. Hamburg war eine sehr belebte und prachtvolle Weltmetropole.

Am Anfang meines Aufenthalts erkundete ich diese schöne und imposante Stadt fast die ganze Freizeit über. Dabei genoss ich das gute deutsche Bier. Ich lernte alles langsam zu tun, weil ich es nirgendwo eilig hatte. Meine Integration in diesem Land wurde von den entsprechenden Behörden geregelt, die verschiedene Genehmigungen und Verfügungen erteilten. Würde ein Migrant wie ich etwas in diesem Bereich eigenständig unternehmen, so würde solches Handeln wie ein Vergehen betrachtet, was wiederum ernsthafte Folgen haben könnte. Auf jeden Verfahrensfortschritt musste man ziemlich lange warten, weil am Anfang des Asylverfahrens jede staatliche Entscheidung von oben getroffen werden musste. Wir mussten auch eine Übergangsphase durchgehen, um die deutsche Realität besser zu verstehen und uns mit der Kultur unseres neuen Einwanderungslandes vertraut zu machen.

Nach einem Monat in Hamburg wurde ich für vier Tage in ein anderes Auffanglager versetzt, und zwar nach Karlsruhe im Südwesten Deutschlands. Das Saufgelage war dann voll im Gange. Uns Polen kam in Bezug auf diese Sache niemand gleich. Keine Konkurrenz war in Sicht, weil die Russen zu diesen Zeiten noch nicht in Deutschland ankamen. Eine Woche lang war ich dann in Göppingen. Danach wurde ich nach Stuttgart verlagert. Ich und einige andere Polen, unter anderen Kazik, bekamen eine Wohnung mit ein paar Doppelzimmern zugeteilt. Ab dem Zeitpunkt, als ich ihm in Hamburg auf den Arm geklopft hatte, folgte er mir wie ein Schatten. Das war aber ein purer Zufall. Genauso gut konnte einer von uns nach Bayern versetzt werden, wo es den Asylbewerbern nicht so gut ging wie in Baden-Württemberg.

Nun begann ein anderthalb Jahre dauerndes sorgenfreies Leben eines Asylbewerbers. Das war eine unrühmliche Zeit mit vielen Trinkereien. Die Alkohol-Gewohnheiten, die uns allmählich zum Alltag wurden, konnten wir später nicht aufgeben. Diese Gelegenheiten erschwerten den Alltag vieler Asylanten deutlich und trugen in einigen Fällen zu ihrem Tod bei. Vielen Polen nahm der Alkohol frühzeitig das Leben. Ich persönlich kannte viele Polen und Polinnen, die sich zu Tode tranken. Alkohol tarnt sich nur als Freund, und in Wirklichkeit ist er ein Vorbote für den Tod.

Kazik wurde davon auch nicht verschont. Nach einigen Jahren eines Aufenthalts in Deutschland starb er, weil der Alkohol seine Leber so geschädigt hatte, dass sie sich nicht mehr beleben ließ. Ein Jahr vor dem Tod gab er das Trinken auf, aber das war schon zu spät, um sein Leben zu retten. Wahrscheinlich hätte er in Polen, in den Armen seiner Frau viel länger gelebt. Nicht allen kam die Auswanderung zugute, weil man dafür einen hohen Preis zahlen musste – und zwar die Sehnsucht nach Familie und Heimat. Daraufhin ertränkten viele ihre Sorgen im Alkohol. Viele aber tranken einfach zum Spaß; ich war einer davon. Fast jeder, der gerne trank, brachte seine Trinkgewohnheiten schon aus Polen mit, um sie hier sorglos und leichtsinnig zu entwickeln.

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