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Czytaj książkę: «Eine Mutter», strona 19

Czcionka:

»Na, das wird gut gehen, aber ich habe noch nicht einmal meine Rolle, und da fällt der Vorhang schon wieder.«

»Rebe hat sie, in Handor's Garderobe, lieber, bester Meier. Zehn Thaler baar! so viel Spielhonorar haben Sie in Ihrem ganzen Leben noch nicht gehabt!«

»Das weiß Gott! Na, meinetwegen;« stöhnte Meier, »wenn es denn einmal auf meinen Ruin abgesehen ist, mir kann's recht sein!« Und mit dem Kopf schüttelnd, begab sich der unglückliche, frisch geworbene Güldenstern nach hinten und brummte unverständliche Verwünschungen über das verdammte »Mimen« in den Bart.

Und draußen wirkte Peters.

Kaum war der Vorhang gefallen, als ein Paar riesige Hände zusammenschlugen und eine scharfe Stimme da capo! brüllte, Andere stimmten bei, und das Parterre, leicht geneigt, einem solchen Beispiel zu folgen, fiel endlich, wenn auch nicht gleich in Übereinstimmung, in den Beifall ein. Auch auf der rechten Seite des zweiten Ranges wurde der Ruf da capo laut, aber noch vereinzelt und von einer ganz unsichtbaren Stimme; aber der Vorhang zögerte noch wieder aufzugehen, und nun wurde das Publikum ungeduldig.

»Bellachini 'raus, Bellachini 'raus!« schrieen Einzelne – »da capo!« tönte der Ruf wieder, »da capo!« ging das Echo von da und dort, und als der Vorhang jetzt rasch in die Höhe rollte und das junge, reizende Mädchen mit einem wilden Sprung noch einmal auf der Bühne erschien, brach der Beifall stürmisch aus.

»Musik, Musik!« schrie der Director, der selber hinunter an die Orchesterthür gelaufen war – »noch einmal anfangen – rasch!«

Alle Musici wiederholten die Worte – der Kapellmeister sah sich nach der Thür um und bemerkte das erhitzte Gesicht seines Directors, der Tactstock hob sich, und die Tänzerin, von der Musik überhaupt hingerissen, begann noch einmal, während es jetzt von oben Kränze und Bouquets ordentlich niederregnete.

Krüger aber brach im Conversationszimmer auf dem Sopha zusammen und stöhnte:

»Und wenn ich so alt würde wie Methusalem, an den Abend will ich denken!«

19.
Der Verlobungsabend

Und wo war Handor indessen?

Er hatte den Nachmittag dieses Tages in fieberhafter Unruhe und Ungeduld verbracht, denn er stand an einem Wendepunkt seines Lebens, und die nächsten Stunden mußten entscheiden, ob es zum Guten oder zum Bösen neigen würde.

Liebte er Paula wirklich und aufrichtig? Er hatte an sein eigenes Herz noch nie die Frage ernst gestellt, denn er wußte, daß es keiner solchen Neigung fähig sei. Er liebte nur sich selbst; nur sein eigener Ehrgeiz, sein eigenes Wohlbefinden stachelte ihn an, und das liebliche Grafenkind mit einer halben Million im Hintergrunde reizte natürlich seine Begierden. Er merkte bald, daß er einen Eindruck auf sie gemacht; die Aufstellung eines Liebhabertheaters bot ihm erwünschte Gelegenheit, ihr in einer Weise zu nahen, die ihm unter anderen Verhältnissen unmöglich gewesen wäre, und Paula, überhaupt sinniger und schwärmerischer Natur, glaubte in ihm das Ideal ihres Lebens gefunden zu haben.

Daß er an Rang, Vermögen und Bildung tief unter ihr stand, achtete oder sah sie nicht; die Klagen des routinirten Liebhabers rührten ihr Herz und machten ihr Mitleid mit seinen erheuchelten Leiden rege. Die übermäßige und unvernünftige Strenge dabei, mit der sie von einer hartgesottenen Gouvernante bewacht wurde, reizte sie zum Widerstande, und sie vergaß sich zuletzt so weit, dem Geliebten heimlich Zusammenkünfte zu gestatten.

Sie allerdings sah darin nichts Arges; ihr Herz hatte sich ihm so rein und voll hingegeben, so gut und lieb und brav erschien er ihr in allen Stücken, daß sie ihm auch mit ihrer Liebe ihre Ehre anvertraute und selig träumend Monden lang an einem Abgrund stand.

So verschlossen aber ihr dabei sein wahres und inneres Gemüth geblieben, so vollkommen hatte ihr Handor in das, keines falschen Gedankens fähige Herz gesehen und bald gefunden, daß sie an ihm mit der ganzen Kraft ihrer Seele hange. Er war ihre erste heilige Liebe; sie fühlte das Bedürfniß einer Brust, in die sie die Gefühle der ihrigen ausgoß, sie fühlte das Bedürfniß, zu lieben und zu vertrauen, und da ihre eigene Mutter wohl stets freundlich, aber nie, nie herzlich mit ihr war, ihr nie gestattete, ihr so zu nahen, wie ein Kind der Mutter nahen soll, und besonders alle Gemüthsbewegungen als mit ihren Nerven nicht verträglich auf das Sorgfältigste mied und von sich hielt, wuchs diese Liebe Paula's zu dem einzigen Wesen, dem sie sich ganz und ungetheilt hingeben konnte, endlich zu einer Leidenschaft an, die sie selbst erschreckt haben müßte, wenn sie sich je derselben klar geworden wäre.

Handor benutzte das mit kalter Berechnung. Er wußte recht gut, daß der stolze Graf nie seine Einwilligung zu der Verbindung seiner einzigen Tochter mit einem bürgerlichen, pfenniglosen Schauspieler geben würde, so lange er nicht mußte, aber er zweifelte auch keinen Augenblick, daß er sich endlich, dazu gezwungen, fügen und sein Kind nicht verstoßen oder ihm doch jedenfalls eine Summe zur Verfügung stellen würde, die dem Rang der jungen Gräfin entsprechend war – und mehr verlangte er nicht. Damit hatte er Alles erreicht, was er wollte, und dahin arbeitete er jetzt.

In Haßburg konnte er sich doch nicht länger halten. Seine Schulden waren zu einer Höhe angewachsen, die selbst des Versuches spottete, sie zu decken, und die Geduld seiner Gläubiger hatte sich erschöpft. Der nächste Monat schon konnte deshalb eine Katastrophe herbeiführen, die Alles vernichtete, was er bis dahin aufgebaut, und so scheu er den entscheidenden Schritt bis jetzt noch immer hinausgeschoben, so wurde er selber nun dazu gedrängt.

Der Erste des Monats nahte, für den er die volle Gage theils schon verschleudert hatte, theils noch in der Tasche trug; Rebe hatte ihm schon seinen Secundanten geschickt, er konnte ihm nicht ausweichen, die Verlobung kam dazu, und Paula hatte ihm gesagt, daß Vater und Mutter ganz im Stillen ihre Vorbereitungen träfen, um gleich am andern Morgen Haßburg auf längere Zeit mit ihr zu verlassen. Da erhielt er noch von Paula durch die Post einen Brief, den sie der Terrasse nicht hatte anvertrauen mögen, und er erhielt die wenigen, inhaltschweren Worte:

»Wir müssen fliehen. Das Schrecklichste ist geschehen – ich bin elend mein ganzes Leben. Sei heute Abend vor neun Uhr mit einem Wagen am Drahtthor des Parks. Jetzt auf ewig die Deine.«

Und heute Abend »Hamlet«! Handor lachte bitter vor sich hin, doch sein Director machte ihm wenig Sorge. Mit dem Brief war aber die Entscheidung seines eigenen Geschickes unmittelbar in seine Hand gelegt, und es blieb ihm keine Wahl mehr.

Den Brief verbrannte er augenblicklich, dann ging er wohl eine halbe Stunde mit raschen Schritten in seinem Zimmer auf und ab. Das Ob kam nicht mehr in Frage, nur das Wie, und darüber brütete er jetzt. Daß er ein Wesen elend gemacht, zu dem er wie zu einer Heiligen hätte aufschauen sollen, trübte nicht einen seiner Gedanken. Sie war jetzt sein, und nur mit Umsicht mußten die Schritte geschehen, eine Vereitelung ihrer Flucht zu vermeiden, und dann, wenn er sich in Sicherheit wußte, den alten Starrkopf von Vater zu beugen – oder zu brechen – es galt ihm ziemlich gleich. –

Der Abend dämmerte; im Schloß des Grafen Monford waren alle nöthigen Vorbereitungen getroffen, und die Gäste konnten jetzt jeden Augenblick eintreffen. Die Gräfin selber stand schon fertig angezogen unten im Empfangssaal, von dem aus links eine Reihe prachtvoller Zimmer lag, deren Flügelthüren alle weit offen standen, während sich rechts der große Salon befand, in dem gewöhnlich gespeist wurde.

Paula war noch nicht da, und ihre Mutter ging ein paar Mal auf und ab. Endlich betrat Mademoiselle Beautemps das Zimmer.

»Ist meine Tochter noch nicht fertig?«

»Ich bedauere, Ihnen nichts Bestimmtes darüber sagen zu können, Frau Gräfin,« bemerkte die Französin achselzuckend; »die Comtesse hat sich so vollständig von mir losgesagt, daß ich nicht einmal mehr ihr Boudoir betreten darf. Ich hatte mir auch vorgenommen, Sie zu bitten, mich, obgleich meine Verpflichtung eigentlich noch einige Monate länger dauert, schon morgen zu entlassen, da ich sehe, daß ich hier nicht allein vollkommen nutzlos, sondern auch ein – Gegenstand steigender Unzufriedenheit bin. Sie werden selber begreifen, daß unter solchen Verhältnissen meine Stellung keine angenehme sein kann.«

»Liebe Beautemps, Sie sehen die Sachen mit zu schwarzen Farben.«

»Ich sehe sie leider, wie sie wirklich sind, und die gnädige Gräfin würden mich – und ich glaube, auch die Comtesse – sehr verpflichten, wenn Sie meiner Bitte Gehör schenken wollten.«

»Nun gut, ich werde mit dem Grafen Monford darüber sprechen.«

»Dann erlauben Sie mir noch, Frau Gräfin, Sie auf eine Entdeckung aufmerksam zu machen, zu der mich heute der Zufall brachte; sie betrifft die Comtesse.«

»Eine Entdeckung?«

»Als ich heute Morgen die Comtesse auf der Terrasse suchte, überraschte ich sie, wie sie einen kleinen, rosafarbenen Brief las. Sie erschrak, als sie mich hörte, und drückte das Papier so fest in der Hand zusammen, daß ich es nicht wieder zu sehen bekam.«

»Und was glauben Sie, daß es war?«

»Was es war? Ein Liebesbrief, sans doute

»Und von wem? Doch jedenfalls von ihrem Verlobten?«

»Weshalb dann das Geheimnißvolle gegen mich? Warum erschrak sie, wenn sie ein reines Gewissen hatte?«

»Das ist nicht möglich!« rief die Gräfin rasch.

»Nicht möglich?« sagte achselzuckend die Gouvernante; »glauben Sie mir, Frau Gräfin, Sie wissen noch gar nicht, was bei einem so jungen, unerfahrenen Mädchen unmöglich ist. Ich kenne das, und so lange ich die Aufsicht über die Comtesse und die Überwachung der jungen Dame in meinen Händen hatte, konnte ich Ihnen für Alles, was geschah, gut stehen. Da mich aber der Herr Graf durch einen Machtspruch derselben enthoben, darf ich auch nicht mehr für die Folgen verantwortlich gemacht werden.«

Die Gräfin hatte still und schweigend vor sich niedergesehen. Die Französin wollte morgen ihr Haus verlassen, und sie wußte, daß sie auf deren Verschwiegenheit in einer so zarten Sache, die ihre Familie betraf, nicht rechnen konnte. Es mußte deshalb auf dieser Seite jeder Verdacht zerstört werden, und sie sagte jetzt, die Gouvernante forschend ansehend:

»Ein grünfarbiges Papier hatte sie in der Hand?«

»Nein, Frau Gräfin, ein rosafarbenes, ich habe es deutlich erkannt.«

»Rosafarben? Dann, liebe Beautemps,« lächelte die Gräfin, »war es der nämliche Zettel, den ich ihr heute Morgen gegeben und der weiter nichts enthielt, als das Verzeichniß einiger Sachen, die wir zu unserer in nächster Zeit beabsichtigten Reise mitnehmen wollten. Ich habe es Paula aufgeschrieben, damit nicht immer etwas vergessen wird.«

»Gnädige Gräfin, das Papier sah nicht aus wie ein Verzeichniß,« rief die Gouvernante, die sich an ihren Verdacht klammerte.

»Es war auf meinem Rosabriefpapier geschrieben.«

»Es sah dunkler aus.«

»Wollen Sie eine Schattirung draußen im Freien und in einem solchen Moment erkennen?« lächelte die Gräfin. »Nein, liebe Beautemps, dieses Mal haben Sie einen falschen Verdacht, denn ich gab es Paula ein paar Minuten vorher, ehe ich fortfuhr, und sie wird es dort gelesen haben. Übrigens danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, und ich würde selber auf Paula strenge Obacht haben, wenn nicht mit dem heutigen Abend ein jeder solcher Verdacht von selber aufhören müßte. Sie werden begreifen, daß man ihn nachher nicht einmal mehr äußern dürfte, ohne das Kind aus das Tödtlichste zu beleidigen.«

»Aber, Frau Gräfin,« rief die Französin, »ich kenne Beispiele, wo nach der Verlobung, ja, sogar nach der Trauung…«

»Lassen wir das,« wehrte die Gräfin ab, der das Gespräch unangenehm wurde; »hier mit Paula haben Sie sich geirrt, und ich werde, um Sie selber zu überzeugen, mir nachher den Zettel von ihr geben lassen.«

»Wie die Frau Gräfin befehlen,« sagte die Gouvernante kalt, aber höflich, und ordnete die Lichter auf den verschiedenen Tischen, wegen deren sie hereingekommen war.

Und Paula kam noch immer nicht. Die Gräfin stand einige Minuten ungeduldig in der offenen Thür, drehte sich dann um und schritt langsam in das nächste Zimmer hinein, von dem ein Ausgang zu Paula's Boudoir führte. Dort klopfte sie leise an, und Paula öffnete selber.

»Meine Mutter!« rief sie erstaunt.

»Bist Du fertig, mein Kind? Das ist recht; es wird auch in der That die höchste Zeit, denn es hat schon geschlagen und unsere Gäste müssen jeden Augenblick eintreffen. Aber Du siehst recht bleich aus, Paula; Du hättest wahrhaftig ein klein wenig rouge auflegen sollen.«

»Meine Mutter!« rief Paula und wollte sich in überströmendem Gefühl an ihre Brust werfen.

»Ma fille,« rief aber die Mutter, erschreckt zurücktretend, »Du zerdrückst mir den ganzen Kragen, ich bin ja in voller Toilette, Kind! Komm, komm, das geht nicht, diese Aufregung paßt nicht für einen Moment, wo man eben Gäste empfangen will. Und Thränen – um Gottes willen, Du wirst im Saal mit rothen Augen erscheinen, und was soll dann Dein Verlobter von Dir denken?«

Paula faßte ihr Herz mit der Hand, als ob es zerspringen wollte, – sie vermochte kein Wort darauf zu erwidern.

»Keine Aufregung heut Abend, liebes Kind,« fuhr die Mutter fort, indem sie den in der That schon etwas derangirten Kragen vor dem Spiegel wieder in Ordnung brachte; »morgen früh halten wir einen großen Familienrath, wir Beide zusammen, und da sollst Du mir Dein Herz ausschütten nach Herzenslust – ich bin schon in der That hinter ein paar von Deinen kleinen Geheimnissen gekommen; heute aber haben wir keine Zeit dazu.«

»Morgen, liebe Mutter, morgen? O Gott, was liegt Alles zwischen dieser kurzen Zeit!«

»Viel, in der That, mein Töchterchen: der erste entscheidende Schritt zu Deinem ganzen künftigen Lebensglück – geh ihn getrost, Du wirst es nie bereuen. – Aber da fährt wahrhaftig schon ein Wagen vor; rasch, Kind, die Thränen fort; bade die Augen ein wenig in kaltem Wasser, und bleib nicht lange, der Vater wird sonst böse!« Und mit den Worten rauschte sie mit ihrem schweren Stoffkleid aus dem Zimmer und in den Empfangssalon, um dort die zuerst eingetroffenen Gäste zu begrüßen.

Paula blieb, als die Mutter sie verlassen, mit gefalteten Händen, mit bleichem Antlitz in der Stube stehen. Endlich flüsterte sie leise:

»Und kein Mitleid, kein Gefühl für das eigene Kind – nicht einmal ausweinen an ihrem Herzen durfte ich meinen Gram! Oh, Mutter, Mutter, ahnst Du denn, wie furchtbar weh Du mir damit gethan? Aber nein, nein, sie kann nicht selber fühlen, was mir die Brust hier mit qualvoller Pein zerreißen will; ihr Gott ist der Ehrgeiz, dem selbst das eigene Kind geopfert werden soll – daß das selber einen Willen, ein Gefühl, ein Verlangen haben könnte, scheint ihr entweder nicht möglich oder ist so unbedeutend, daß es keine Beachtung verdient! So lebe wohl, Mutter! Wenn ich denn allein im Leben stehen soll, will ich mir auch die Bahn allein suchen! Gott schütze Euch und mich, aber Er weiß, ich kann nicht anders!«

Eine eigene, feste Entschlossenheit kam über das junge Mädchen, fast noch ein Kind. Ihr Auge blickte klarer, ihr Schritt wurde entschiedener, und rasch trat sie zum Waschtisch, badete ihre Augen in klarem Quellwasser, ordnete sich das Haar wieder ein wenig, festigte eine locker gewordene Blume in ihrem Schmuck und legte dann selber die kostbaren Brillanten um Nacken und Arme, die sie am letzten Weihnachten von ihrem Vater erhalten hatte. Das Alles nahm ihr auch nur wenige Minuten Zeit; rasch war sie damit fertig, und noch einen Blick in den durch zwei Girandolen erleuchteten Spiegel werfend, schritt sie in den Empfangssaal hinüber.

Der Mutterblick ruhte wohlgefällig auf ihr, als sie sah, in wie kurzer Zeit und wie vollkommen ihre Tochter alles Andere von sich abgeschüttelt, was ihr den heutigen Abend zu trüben drohte – ach, wenn sie hätte in ihr Herz sehen können!

Aber ein eigener unnatürlicher und starrer Trotz war über das sanfte, hingebende Kind gekommen: – der Entschluß, sich der Macht, die sie in Fesseln schlagen wollte, für Lebenszeit und gegen ihren Willen, nicht zu beugen, und nur ein einziges Mal schrak sie noch zusammen und fühlte, wie ihre Glieder zitterten. Es war der Moment, in dem der ihr bestimmte Bräutigam, Graf Bolten, den Saal betrat.

Und wie Glück und Freude strahlend sah Graf Bolten aus, als sein Blick ungeduldig im Saal umherflog, die ihm bestimmte Braut zu suchen, und sie jetzt erkannte! Wie rasch glitt er, nicht einmal die Eltern zuerst begrüßend, auf sie zu und flüsterte, ihre Hand ergreifend:

»Meine Paula, meine liebe, liebe Paula, wenn Sie wüßten, wie unaussprechlich glücklich mich der heutige Tag macht!«

»Sie sind sehr gütig, Herr Graf!« stammelte Paula, tief erröthend, denn dem Manne gegenüber war sie sich einer Schuld bewußt.

»Herr Graf? Wie kalt das klingt!« rief Hubert vorwurfsvoll. »Hab' ich mir noch keinen besseren Titel verdient, als die fremde, kalte Form? Seien Sie freundlich mit mir, Paula; mein ganzes Lebensglück liegt ja in Ihren Händen. Lassen Sie es mich mit einem Lächeln, nicht mit einem Trauerblick empfangen!«

»Lebensglück, Du großer Gott,« sagte Paula mit einem Seufzer, »wer von uns armen Sterblichen weiß, was die nächste Stunde für ihn birgt? Hoffen Sie auf kein Glück, Herr Graf; die Enttäuschung wäre zu furchtbar und schmerzlich nachher!«

»Hoffen dürfen wir, liebe Paula,« sagte Hubert herzlich, »es ist das schönste Vorrecht des Menschen und sein Trost und Stab. Lassen Sie mir immer die Hoffnung, die mir Ihr lieber Anblick frisch und warm in's Herz gießt – aber was Plaudern wir da,« brach er lachend ab, »so ernst und feierlich, als ob wir zu einem Begräbniß und nicht zu einer Verlobung gingen. – Da kommt auch die Mama, die wird böse, wenn sie nicht freundliche Gesichter sieht.«

Die Gräfin kam in der That heran, und Hubert sah sich für die nächste Zeit überhaupt von allen Seiten in Anspruch genommen, da das Geheimniß der Verlobung ja doch nur ein öffentliches war und alle Welt ihm ihre Glückwünsche darbringen wollte.

»Und wo steckt George? Ich habe ihn noch mit keinem Blick gesehen.«

»Vorhin,« sagte Hauptmann von Seydlitz, der neben Hubert stand, »fuhr er an mir vorbei, aber mit einem Gesicht wie eine Wetterwolke. Er sah mich gar nicht – weiß der liebe Gott, was er hat!«

»George?« fragte die Gräfin erstaunt. »Was kann der haben, das ihn verdrießlich machen dürfte? Er ist ja doch sonst immer das Leben selber; aber er hat heute Mancherlei zu thun. Ich werde mich einmal nach ihm umsehen.«

Sie traf George, als sie das nächste Zimmer betrat, in Verzweiflung, und er winkte seiner Mutter, ihm über den Gang zu folgen.

»Aber was hast Du nur? Weshalb kommst Du nicht zur Gesellschaft?«

»Zur Gesellschaft? und was ich habe? Heiland der Welt, und dabei wird es nicht für anständig gehalten, zu fluchen!«

»Aber, George!«

»Denke Dir nur, dieses alte, verwünschte Burgfräulein, die genau so aussieht, als ob sie dreieckig geschnitten und dann aufgeklebt wäre, dieses Fräulein von Wünschel läßt mir vor einer halben Stunde absagen!«

»Das ist allerdings fatal!«

»Fatal? Göttlich! Das nennst Du fatal? Und ich bin mit meiner ganzen Geschichte, die mich die letzten acht Tage vollständig aufgerieben hat, heut Abend auch noch obendrein blamirt!«

»Und was willst Du jetzt thun?«

»Weiß ich's denn selber? Ich liege hier auf der Lauer, um irgend ein unglückliches, passendes Individuum abzufassen, das mir in den Weg läuft. Glücklicher Weise sind es nur ein paar Worte zu sprechen, aber es ist eine Hauptsache, die nicht wegbleiben kann.«

»Hast Du denn sonst Alle zusammen?«

»Rottacks fehlen noch; das wäre jetzt ein Hauptspaß, wenn die auch ausblieben – dann schösse ich mir eine Kugel über den Kopf weg…«

»Aber, George…!«

»Über den Kopf, Mama; ich würde außerordentlich vorsichtig zielen, daß ich kein Unglück anrichtete. – Aber, beim Himmel, da kommt Fräulein von Bazcow angefahren. Die entere ich, die thut mir auch den Gefallen!«

»Aber wir sind mit den Leuten erst so kurze Zeit bekannt!«

»Bah, zu Rottacks bin ich am nächsten Tag gegangen – da kommen auch Rottacks – Hurrah, nun bring' ich die Sache doch noch am Ende zu Stande!«

Und fort schoß er mit weiter nichts im Kopf, als der glücklichen Durchbringung seines Liebhabertheaters.

Rottacks fuhren in der That in dem Augenblick vor, und Helene sah bleich und erregt aus, hatte sie doch die stolze Gräfin seit jenem Abend nicht wieder gesehen, da diese den verschiedenen Proben nicht mehr beiwohnte und sie jetzt ein erneutes Begegnen ordentlich fürchtete. Aber es half nichts; der Verpflichtung gegen George konnten sie sich nicht entziehen. Er vor Allen war gerade immer so liebenswürdig und herzlich mit ihnen gewesen, und es hätte ihn zu sehr gekränkt; das durfte nicht sein. So mußten sie denn der Gesellschaft beiwohnen, und gerade die Gesellschaft schützte sie ja auch vor einem für beide Theile vielleicht peinlichen Zusammentreffen mit der Gräfin. In großen Gesellschaften wie in einer großen Stadt kann man, wenn man will, allein sein und sich von der übrigen Welt abschließen; in kleinen Cirkeln und Städten ist es unmöglich. In der Gesellschaft verdeckt die Form auch alles Andere, denn sie besteht nur aus vorgeschriebenen Bewegungen und Situationen, wie ein Schauspiel fast auf offener Bühne, wo sich die im gewöhnlichen Leben vielleicht feindseligsten Charaktere offen und herzlich in die Arme fallen. Auch in der Gesellschaft wird Haß und Liebe übertüncht, und nur die Höflichkeit und der gute Anstand regieren.

Helenens Befürchtung war deshalb auch ganz grundlos gewesen, denn an keinem andern Platz der Welt hätte sie nach der damaligen Scene besser mit ihrer Mutter wieder zusammentreffen können, als in diesem Kreise geputzter, fröhlicher Menschen. Und trotzdem schlug ihr das Herz ängstlich in der Brust, als sie den Saal betraten und die Gräfin auf sie zukam, um sie zu begrüßen. Aber die Gräfin war eine Weltdame; kein Zug ihres Antlitzes verrieth etwas Anderes, und durfte etwas Anderes verrathen, als Freude über das Erscheinen ihrer Gäste.

»Meine liebe Gräfin Rottack, wie ich mich freue, Sie wieder begrüßen zu können. Wir hatten solche Sorge neulich, als wir hörten, daß Sie sich unwohl fühlten! Herr Graf, Sie sind uns herzlich willkommen – hoffentlich hatte es mit Ihrer lieben jungen Frau weiter nichts zu sagen!«

»Migräne, gnädige Gräfin.«

»Ach ja, das alte, häßliche Leiden, ich kenne es; in unserer Familie ist es ordentlich epidemisch.«

»Auch Helene hat es geerbt,« sagte Graf Rottack ruhig. Aber die Gräfin erwiderte freundlich:

»Dann muß sich Ihre liebe Frau recht in Acht nehmen und in Geduld fassen, denn es verliert sich erst mit den Jahren. Und nun bitte, legen Sie ab, lieber Graf. George hat schon ein paar Mal nach Ihnen gefragt, er war selig, als er Sie kommen sah.«

»Er hat doch nicht etwa gefürchtet, daß wir ihn im Stich lassen würden?« sagte Felix.

»Er hat heute alle Hände voll zu thun,« lächelte die Gräfin, »und wirklich dabei das Unglaubliche geleistet, denn Paula ahnt noch gar nichts von der Überraschung – aber da kommt Paula, verrathen Sie sich nicht!«

Paula hatte die junge Gräfin gesehen und kam rasch auf sie zu; aber je mehr sie ihr nahte, desto mehr hemmte sie ihren Schritt, und wollte sie und ihren Gatten eben in der gewöhnlichen stummen und hergebrachten Form der vornehmen Welt begrüßen, als Helene auf sie zutrat, ihre beiden Hände ergriff und mit herzlicher Stimme sagte:

»Meine liebe Comtesse, wie freue ich mich, Sie wiederbegrüßen zu können!«

Die Worte klangen so gut, so lieb, so wahr – Paula traten, so sehr sie dagegen ankämpfte, die Thränen in die Augen, und unwillkürlich bog sie sich zu Helenen über, die einen leisen Kuß auf ihre Stirn drückte.

Die Mutter sah es, und freundlich sagte sie:

»Nehmen Sie sich der Kleinen ein wenig an, Frau Gräfin; sie macht ein viel traurigeres Gesicht heute, als es für den Tag paßt; sie ist mir auch immer zu viel allein und sinnt und grübelt; das taugt nicht für ein junges Mädchen. Aber jetzt entschuldigen Sie mich, meine Pflichten als Hausfrau sind unerbittlich.«

»Wer ist denn dieser Graf Rottack eigentlich, und wo kommt er auf einmal her?« sagte ein alter Herr mit einem entschieden militärischen Anstrich, zu einem andern Herrn, der neben ihm stand und mit einem etwas verbissenen Gesicht bis jetzt die Gesellschaft betrachtet hatte, als ob er sich über jeden Einzelnen ärgere, daß er überhaupt auf der Welt wäre. »Wissen Sie es nicht, Herr Staatsrath?«

»Thut mir leid,« entgegnete der also Angeredete, »er war lange in Brasilien und hat sich auch seine Frau von dort mitgebracht.«

»Es ist ein reizendes Paar; wunderhübsches Frauchen.«

»Ja, passirt; er sieht mir aber eher wie ein Demokrat im Frack, als wie ein Graf aus, macht auch Besuche bei Schauspielern. Ich glaube nicht, daß viel dahinter ist. Apropos, Oberst, haben Sie denn schon diesen neuen Beitrag zu unserer chronique scandaleuse gehört mit dem Baron Beltine?«

»Mit Beltine? Nein. Da drüben steht er ja.«

»Ja, er ist wieder zurück. Vor acht Tagen machte er sich aber das kleine Vergnügen, eine Schneiderstochter von hier zu entführen. Die ganze Stadt war ja voll davon.«

»Ich habe kein Wort davon gehört; er ist ja aber verheirathet.«

»Eh bien, und was weiter – seine Frau fuhr indessen allein in's Theater.«

»Ach, das ist ja gar nicht möglich; das wäre ja eine Niederträchtigkeit und Graf Monford der Letzte, der ihn danach wieder einladen würde.«

»Lieber Oberst, Sie kennen die Welt noch nicht, obgleich Sie beinahe siebzig Jahre darin leben; der Baron ist außerordentlich reich.«

»Sind Sie auch mit ihm befreundet?«

»Befreundet,« sagte der Staatsrath, die Achseln zuckend; »mit wem ist man eigentlich in der Welt befreundet, und ich in meiner Stellung schon gar. Ich glaube nicht, daß es zwei Menschen in der Stadt giebt, die mich nicht hassen, aber merken Sie das Jemandem an, Oberst? Sie sind Alle die Höflichkeit selber, so lange sie mit mir verkehren, alles Andere geht mich nichts an, und wie sie hinter meinem Rücken schimpfen, was kümmert's mich? Ebenso halten es Andere. Der Baron kann mich auch nicht leiden, eingebildeter, fader Narr, der er ist; aber er und ich geben ausgezeichnete Dejeuners, und da brauchen wir einander.«

»Da kommt er gerade auf uns zu.«

»Ah, lieber Staatsrath! Herr Oberst, ich habe die Ehre!« »

»Mein bester Baron, wo haben Sie die ganze Woche gesteckt? Mir hat ordentlich etwas gefehlt, wenn ich Ihnen Morgens auf meinem gewöhnlichen Spaziergang nicht begegnete.«

»Sie sind sehr gütig, Herr Staatsrath; ich war auf einige Tage in der Residenz, wohin mich Geschäfte riefen. Die gewöhnlichen Plackereien des Lebens.«

»Über die ich Sie erhaben glaubte.«

»Keiner von uns, Keiner von uns, lieber Staatsrath; aber wo ist eigentlich unser junges Pärchen?«

»Die Braut steht da drüben, sie sieht auffallend blaß und gedrückt aus; Comtesse Monford ist sehr zart.«

»In der That, in der That. Sie entschuldigen, lieber Staatsrath, ich habe der Comtesse noch nicht einmal meine Huldigung dargebracht.«

»Aber, meine liebe Paula, was ist Ihnen?« sagte Helene liebevoll, indem sie ihren Arm um die schlanke Taille des jungen Mädchens legte; »Sie sind so furchtbar aufgeregt.«

»Ach, wenn ich Ihnen Alles sagen könnte,« flüsterte Paula, »wenn ich Sie früher gekannt hätte; Vieles, Vieles wäre vielleicht anders, besser, als es jetzt ist!«

»Es ist selbst jetzt noch nicht zu spät,« sagte Helene herzlich, »und ich hoffe, wir sollen recht gute Freunde werden!«

»Zu spät, zu spät!« hauchte Paula leise, daß der Schall der Worte kaum zu Helenens Ohr drang.

»Das ist recht, meine liebe Frau Gräfin,« sagte in diesem Augenblicke Graf Monford's Stimme, und der Graf grüßte freundlich die junge Dame, »daß Sie mein kleines Töchterchen ein wenig aus ihrer Lethargie emporrütteln – das Köpfchen hoch, Paula, bist ja mein gutes Kind.«

»Mein lieber, lieber Vater!« rief Paula, leidenschaftlich des Vaters Hand ergreifend.

»Bst, Kind, bst,« sagte der alte Herr, »ich habe mir vorgenommen, heut Abend recht lustig und vergnügt zu sein, und da mußt Du mir helfen, denn Du hast auch alle Ursache dazu. Es ist ein merkwürdiges Kind, Frau Gräfin, so außerordentlich weich, gar nicht wie ihre Mutter, die einen viel festeren und entschiedeneren Charakter hat. Aber ein gehorsames Töchterchen ist es doch, das seinen Eltern große, unendlich große Freude macht, und auf das sie wohl mit Recht stolz sein können.«

»Mein guter Vater!«

»Haben Sie nur Geduld mit ihr, Herr Graf,« sagte Helene; »es ist ja so natürlich, daß sie einer so gewaltigen Wendung ihres ganzen bisherigen Lebens nicht mit voller Ruhe und Sicherheit entgegengehen kann.«

»Ich habe auch Geduld mit ihr,« lächelte der Graf, »denn ich kenne meine Tochter, und sie wird mir noch einmal mit thränenden Augen danken –« und Paula freundlich zunickend und mit einer Verneigung gegen Helene schritt er zu dem andern Theil des Saales hinüber. –

Unten in der Halle hatte der Haushofmeister eine Reihe von Bierfässern und Körbe voll Wein an die eine Wand reihen lassen, und nicht allein die Dienstleute des Gutes und die Forstbeamten und Holzhauer des benachbarten Waldes wurden dort frei gehalten, sondern wer von der Stadt heraufkam, erhielt, was er essen und trinken wollte, denn es sollte Keiner hungrig von der Schwelle gehen, auf der die Freude herrschte.

Das hatten sich denn auch eine Menge von Leuten zu Nutze gemacht, und der Platz hinter dem Schlosse, wohin sie sämmtlich gewiesen wurden, schwärmte von ihnen.

Auch der alte Maulwurfsfänger war mit heraufgekommen, aber er mischte sich nicht unter den Troß, ließ sich auch weder Getränk noch Speisen geben, und drückte sich eigentlich mehr in den Büschen herum, abseit von den Leuten. Es war fast, als ob er Jemanden suche oder erwarte.

Endlich kam der Förster den Weg herauf, seine Flinte wie immer auf dem Rücken, und blieb erst eine Weile da, wo der Weg auf den freien Platz ausmündete, stehen, um sich das fröhliche Treiben zu betrachten. Gefallen that's ihm nicht; ein ächter Jäger mag keinen Lärm leiden, ob er nun auf der Jagd ist oder nicht, denn immer an Ruhe und Stille gewöhnt, stört es ihn. Aber der Förster trank gern ein Glas Wein, und da sein Gehalt ihm nur Bier verstattete, und selbst das mäßig, war er doch auch einmal herüber in's Schloß gekommen, um mit seinem alten Freund, dem Haushofmeister, eine Flasche zu leeren. Der Holzhändler aus der Stadt und der Müller vom Bache gleich unter dem Forsthaus, wie der Schulmeister von Eslich, dem nächsten Dorf, hatten sich auch schon eingefunden und saßen in des Haushofmeisters Stübchen um den runden Tisch am Fenster, während sein eigener, besonders zu dem Zweck herüber bestellter Forstgehülfe nicht weit davon beschäftigt war, ein paar kleine Böller in Ordnung zu bringen, die gelöst werden sollten, wenn drinnen im Saal zuerst die Gesundheit des Brautpaars ausgebracht wurde.