Czytaj książkę: «Raus aus der Krise»

Czcionka:

Geri Schnell

Raus aus der Krise

Die Geschichte eins Kämpfers

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Arbeitslos

Urlaub in Ägypten

Das Interview

Der Fall Anita

Die Verteidigerin

Die Webseite

Die Vereinsfeier

Die Hochzeit

Das Beschäftigungsprogramm

Die Tagung

Die Revolution

Der Flugzeugfriedhof

Der 1. Satellit

Der Kongress

Der Deal

Die Flucht

Der Sturm

Die Rache des FWJ

Die Verschwörung

Erfolgreich

Die Suche beginnt

Die Revolte

Aus dem Untergrund

Die Rückkehr

Erinnerung an die Vergangenheit

Weitere E-Books von Geri Schnell

Impressum neobooks

Arbeitslos


Raus aus der Krise!

Die Geschichte eines Kämpfers

von Geri Schnell

Frierend vor Kälte, erwacht Max Meier.

Wo bin ich?

Zögernd schaut er sich um. Es ist noch dunkel und er zittert am ganzen Körper. Er beobachtet seine Umgebung und stellt fest, dass er auf einer Bank im Friedhof geschlafen hat, doch nun hat ihn die Kälte aufgeweckt. Sein Kopf brummt, er versucht sich zu erinnern, wie er auf der Friedhofsbank gelandet ist, es gelingt ihm nicht! Langsam erhebt er sich und macht einige Turnübungen, um sich zu erwärmen. Er räumt seine Sachen zusammen, verstaut sie in seiner Tragetasche und schleicht davon. Die Bank ist zu ungemütlich und er macht sich auf den Weg zum Bahnhof. Wenn er sich nicht allzu sehr beeilt, ist das Bahnhofrestaurant schon offen und er kann einen Kaffee mit Schnaps bestellen, danach wird er sicher wieder etwas klarer denken können und vielleicht fällt ihm wieder ein, wie er den gestrigen Abend verbracht hatte.

Um auf die Strasse zu gelangen, muss er über den Zaun klettern, denn der Friedhof ist nachts geschlossen. Durch das noch schlafende Olten, schleicht er zum Bahnhof. Die menschenleeren Strassen wirken unheimlich und er fühlt sich als Störenfried. Wenn er es vermeiden kann, weicht er den wenigen Frühaufstehern aus, welche schon unterwegs sind. Die Meisten sind Bahnarbeiter, welche auf dem Fahrrad, durch die spärlich beleuchteten Strassen, zur Frühschicht fahren.

An der Kirchenuhr kann er erkennen, dass es erst halbsechs Uhr ist. Es dauert also noch einige Zeit, bis er seinen Kaffee mit Schnaps bekommt. Er macht noch einen kleinen Umweg, der Aare entlang.

In den Büschen am Ufer herrscht jetzt im Frühling reger Betrieb. Die Vögel zwitschern um die Wette. Das Singen der Vögel ist sein erstes freundliches Erlebnis an diesem Morgen. Als er noch gearbeitet hatte, konnte er keine solche Morgenstimmung geniessen. Nach dem Aufstehen hetzte er ins Büro und beachtete die Natur kaum.

Sein Kopf brummt immer noch und er hat es aufgegeben, sich an den gestrigen Tag zu erinnern. Wenn sich der Kopf nicht daran erinnern will, so wird er seine Gründe haben. Von weitem hat er die Typen gesehen, die ungeduldig warten, bis der Kellner das Bahnhofrestaurant aufschliesst. Diese ungepflegten Herumtreiber mit ihren Dreitagebärten, sind sehr neugierig und das geht ihm auf die Nerven. Er wartet bis fünf Minuten nach sechs Uhr. Erst dann, wenn die Dreitagebärtigen ihre Plätze eingenommen haben, geht er rein, so kann er sich allein an einen freien Tisch setzen.

Es dauert einige Zeit, bis er bei Roberto seinen Kaffee bestellen kann. Im letzten Moment entschliesst er sich, statt dem Kaffee mit Schnaps, nur ein Cappuccino zu bestellen. Nach dem ersten Schluck bereut er seinen Entschluss, denn langsam erinnert er sich wieder an den gestrigen Tag und diese Erinnerungen haben überhaupt nichts Erfreuliches an sich.

Gestern, am 1. April 2021 wurde die Scheidung rechtskräftig, wie es so schön heisst. Unter Aufsicht seines ehemaligen Schwiegervaters, war er gestern bei seiner Exfrau und durfte die ihm zugesprochenen Sachen abholen. Auch die Einzimmerwohnung, in der er seit der Trennung wohnen durfte, musste er räumen, sie gehörte seinem Schwiegervater. Walter Zingg, der einzige Kollege, der noch zu ihm hält, half ihm die wenigen persönlichen Dinge abzuholen. Viel war es nicht und da Max noch keine Wohnung gefunden hat, gab es zusätzlich das Problem, dass er nicht wusste, wohin er seine armseligen Sachen deponieren soll.

Ein brummender Kopf ist noch das geringere Übel als diese Erinnerungen. Bis jetzt ging es ihm wenigstens finanziell noch gut, doch nun ist auch sein Bankkonto gesperrt, um sicherzustellen, dass er seine Alimente bezahlen kann.

«Was ist denn das für ein vornehmer Herr?», ruft einer vom Tisch der Dreitagebärtigen. Max verbirgt sich tief hinter der Zeitung, welche eben erst aufgelegt wurde und verhält sich so, als hätte er nichts gehört.

Die suchen doch nur einen Dummen, der eine Runde zahlen muss, oder der im Kartenspiel ausgenommen wird, denkt Max.

Ein bisschen Gesellschaft würde ihm guttun, doch Max kann sich noch nicht damit abfinden, dass das sein neues Zuhause ist.

Als Arbeitsloser hat man am frühen Morgen eigentlich viel zu tun. Man muss die Inserate studieren, auch wenn man genau weiss, dass wieder nichts Passendes zu finden ist. Das Stempeln im Arbeitsamt, wird seine erste Tätigkeit sein. Vorher muss er sich noch etwas zurechtmachen. Das letzte Mal, hatte der Beamte in seinem sauberen, mit Krawatte verzierten Hemd gedroht: «Herr Meier, wenn sie nochmals ungewaschen und unrasiert hier auftauchen, dann streichen wir unsere Unterstützung. Sie müssen vermittlungsfähig sein, damit Sie Arbeitslosengeld kassieren dürfen!»

Bevor sich Max in der Toilette zurechtmachen will, hat er noch genügend Zeit, die Zeitung zu lesen. Viel Erfreuliches steht nicht drin. Wenn er richtig zusammengezählt hat, so sind wieder 200 Stellen gestrichen worden. Also, zweihundert neue Berufskollegen. Die Aussichten werden immer schlechter. Was tun die Politiker dagegen? Reden, reden und nochmals reden. Statt über neue Stellen, reden alle vom Sparen, also müssen Stellen abgebaut werden.

Seit der Corona-Krise hat sich die Wirtschaft noch nicht erholt. Alle Staaten sind überschuldet und beginnen zu sparen. Wer hat damit gerechnet, dass als Folge des Corona-Virus die Steuereinnahmen so drastisch einbrechen. Nun muss man sparen.

Das Lesen der Zeitung hat ihn so geärgert, dass er sich einen Zweier Roten bestellt. Nur so ist die ganze Misere zu ertragen. Den ersten Schluck hätte er am liebsten wieder ausgespuckt, doch dann fühlt er sich stark. In Gedanken fällt er über seine Exfrau her. Sie ist an allem Schuld. Sie wollte ihn nicht verstehen. Zuerst arbeitete er sich für das neue Einfamilienhaus fast zu Tode und dann, als er einmal ein Problem hatte, liess sie ihn fallen, wie eine heisse Kartoffel. Zehn Jahre lang, domminierten seine Arbeit und die beiden Buben, den Lebensinhalt. Es ist verdammt hart, wenn man beides innert ein paar Monaten verliert. Max versinkt im endlosen Selbstmitleid.

«Noch einen», ruft Max dem Kellner zu.

Dann grübelt Max wieder über seine verpatzte Ehe nach. Was hat er nur falsch gemacht? Später bestellt er noch einen Zweier.

«Musst du nicht Stempeln gehen?», fragt ihn plötzlich einer vom Tisch der Dreitagebärtigen.

«Oh, verdammt, das habe ich glatt vergessen. Denen werde ich heute gehörig die Meinung sagen. - Zahlen!»

«Macht zwölf vierzig!»

Max legt fünfzehn Franken auf den Tisch.

Der Kellner sucht nach Kleingeld.

«Stimmt so.»

Er hat sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass er es sich gar nicht mehr leisten kann, grosszügig zu sein. Schliesslich macht er sich ungewaschen und unrasiert auf den Weg zum Arbeitsamt.

Der Beamte will ihn zuerst gar nicht reinlassen, drückt dann aber beide Augen zu. Es hat heute eine längere Kolonne, vermutlich ist wieder eine Firma geschlossen worden, oder der Beamte kam zu spät. Jeder in der Schlange, schaut sich mitleidig nach Max um. Sie haben sofort bemerkt, dass er grosse Mühe hat, sich auf den Beinen zu halten. Jedem fällt auf, dass sein Outfit dem Beamten garantiert missfallen wir. Nur gut, dass man schon vorher drankommt. Der Beamte wird sicher sauer werden. Das wird ein Theater absetzen.

«Was guckt ihr alle so blöd? Ihr Deppen!», grölt Max, «darf man sich nicht voll laufen lassen, wenn man mit 31 schon geschieden wird? Wenn die eigenen Kinder einem nicht mehr sehen wollen? Wenn man keine Wohnung hat und die Nacht auf einer Friedhofsbank schläft und man an diesem Scheissschalter anstehen muss?»

Beschämt schauen die Kolonnensteher nach vorne. Wie wird der Beamte reagieren? Jeder erwartet, dass er loslegt, doch der Beamte bleibt ruhig.

Max randaliert weiter, schimpft über die unfähigen Politiker, über seine Exfrau und über seinen Exchef, der nach Brasilien verduftet ist. Plötzlich wird die Kolonne schnell kürzer. Der Beamte beeilt sich, die letzten noch Anstehenden so schnell wie möglich abzufertigen. Es sind eh nur noch die hoffnungslosen Fälle. Die sind im Moment nicht zu vermitteln. Max Meier wäre mit seiner Ausbildung noch jemand, den man unterbringen könnte, aber der Beamte sieht ein, dass heute nichts zu machen ist. In dieser Verfassung schickt man ihn besser nicht auf Stellensuche, das wäre kontraproduktiv.

Endlich ist Max an der Reihe, er streckt seine Karte in den Schalter und erwartet, dass der Beamte loslegt. Der drückt aber nur seinen Stempel auf die Karte und gibt sie ihm zurück.

«Und, wo soll ich heute Nacht schlafen?», fragt Max den Beamten, «ich musste meine Wohnung räumen. Ich habe nur diese Plastiktasche.»

«Das ist Ihr Problem, versuchen Sie es bei der Heilsarmee, oder beim Pfarrer», schlägt der Beamte vor und bemüht sich, das Türchen zu schliessen.

Bald darauf steht Max wieder vor dem Arbeitsamt auf der Strasse und weiss nicht wie es weiter gehen soll. Die zwanzig Franken, welche ihm pro Tag zum Verbrauchen bleiben, hat er für heute schon fast ausgegeben. Er wird das Budget überziehen müssen.

«Hast du Probleme? - Ich bin Otto», stellt sich der verlauste Typ vor, «komm doch mit zum Gleisspitz, dort treffen sich viele Obdachlose. Gemeinsam ist es einfacher zu ertragen.»

Max ist diese Einladung nicht unangenehm. Er hat immer noch Probleme mit anderen Leuten zu sprechen. Doch, dank seinem alkoholisierten Zustand überwindet er seine Hemmungen.

«Ich kann ja mal vorbeischauen», antwortet Max.

Auf dem Weg zum Gleisspitz gibt ihm Otto einige nützliche Typs: «Kauf deine Weinflasche im Supermarkt und nicht in der Kneipe, sonst bist du zu schnell pleite. Wenn du das Geld richtig einteilst reicht es weiter, als du denkst.»

Je länger Max mit Otto zusammen ist, umso unheimlicher wird er ihm. Seine Ratschläge haben zwar etwas für sich. Max hatte jedoch zu lange etabliert gelebt, um diese Tagediebe zu verstehen. In seinem jetzigen Zustand ist ihm das egal, es tut ihm gut, wieder mit jemandem zu reden, denn seit der Gerichtsverhandlung hat er nur mit dem Kellner und dem Beamten im Arbeitsamt gesprochen.

Am Gleisspitz ist Max schockiert. So hat er sich immer den Letten in Zürich vorgestellt. Dass es so etwas auch im biederen Olten gibt, überrascht ihn. In kleinen Gruppen hängen die unmöglichsten Typen rum. Max ist sich noch nicht bewusst, dass er gute Aussichten hat, auch so ein Landstreicher zu werden. Normalerweise wäre er sofort umgekehrt und hätte sich aus dem Staub gemacht. Nun trottet er Otto hinterher, der geht auf eine Gruppe zu, die sich im hinteren Teil des Parks, auf zwei Parkbänken ausgebreitet hat. Die Gruppe nimmt von den Neuankömmlingen kaum Notiz.

Otto kramt in seinen Taschen. Nach und nach kommen verschiedene Gegenstände zum Vorschein. Otto legt sie vor sich auf den Parkboden und ist beschäftigt, bis ihm plötzlich einfällt, dass er ja jemand mitgebracht hat.

«Soll ich dir auch einen Schuss beschaffen», fragt er Max, «in deinem Zustand würde ich zwar darauf verzichten, zusammen mit Alkohol gibt es ein Horrortrip. Aber wenn du nur sehr wenig nimmst, dann ginge es schon.»

«Nein danke», erwidert Max, «ich kenne mich in solchen Dingen nicht aus.»

Otto lässt sich nicht weiter stören und macht in seinen Vorbereitungen weiter. Max schaut sich in der Gruppe um, ob er wenigstens einen findet, dem er seine beschissene Lage erklären kann. Die meisten der Gruppe sind auf ihrem Trip und deshalb nicht ansprechbar. Ein etwa neunzehnjähriges Mädchen diskutiert mit einem Jungen über ihre Probleme mit den Freiern. Die Diskussion ist für Max kaum verständlich, fast für jedes Wort haben die einen Ausdruck, welcher er noch nie gehört hat. Der Streit dreht sich um den Unterschied, zwischen der Tätigkeit als Strichjunge und der einer Hure. Der Unterschied liegt vor allem in der Bezahlung, anscheinend verdient der Strichjunge bedeutend mehr, muss aber die verrückteren Dinge über sich ergehen lassen.

Otto ist inzwischen auf seinem Trip. Max kennt das bisher nur vom Fernsehen. Es wird ihm schlecht und er muss sich fast übergeben. Auf jeden Fall reicht es ihm für heute, das ist wirklich nicht sein Umgang. In Zukunft wird er einen grossen Bogen um den Gleisspitz machen.

Wieder auf der Strasse angelangt, merkt er, dass er wieder nüchtern wird. Nach diesem Schock kann er allerdings mit seiner Situation besser umgehen. Verglichen mit denen, geht es ihm richtig gut.

Jeder Schritt, den er der Aare entlang geht, erinnert ihn an seine Buben. Was machen sie jetzt? Sicher gefällt es ihnen bei den Grosseltern, schliesslich können sie dort machen was sie wollen. Ob sie ihn vermissen? Vermutlich nicht, denn in letzter Zeit, war er wirklich unausstehlich. Die belastenden Probleme der Arbeit konnte er zu schlecht verstecken und brachte seine schlechte Laune mit nach Hause.

Bei einer Parkbank, von der man auf die Aare blicken kann, setzt er sich und betrachtet das träge dahinfliessende Wasser. So langsam gehen ihm seine Erinnerungen wieder auf die Nerven, er öffnet eine Weinflasche, welche er im Supermarkt gekauft hat und trinkt in einem Zug, die halbe Flasche aus.

Nun macht er sich Gedanken wie es weiter gehen soll. Er will nicht den ganzen Tag mit seinen schweren Tragetaschen unterwegs sein. Es ist ein kühler Frühlingstag und es sind noch nicht viele Spaziergänger unterwegs. Er nimmt seine Wanderung wieder auf. Nun hat er das Stadtgebiet verlassen und erreicht ein kleines Auenwäldchen. Er erinnert sich an die Zeit, als er noch Mitglied im Fischerclub war. Dieser Club hatte hier eine kleine Hütte. Vielleicht haben die den Schlüssel immer noch am gleichen Ort versteckt, er will nachsehen. Tatsächlich findet er den Schlüssel schnell, er ist nicht mehr am gleichen Ort versteckt, doch das Versteck ist nicht origineller gewählt worden. Er nimmt sich vor, heute Abend hier zu übernachten, am Tag getraut er sich nicht in die Hütte einzudringen, das Risiko ist ihm zu gross. Er deponiert seine Taschen hinter dem kleinen Geräteschuppen unter einem Busch. Dort wird niemand nachsehen und die Sachen sind vom Regen geschützt. Er steckt sich einige Dingen in einen Plastiksack und verlässt sein neues Zuhause wie ein Dieb. Jetzt trägt er nur noch die Weinflasche, das Geld und sein Nachtessen auf sich. Das Handy lässt er zurück, es hat keinen Akku mehr und die SIM-Karte ist beinahe leer.

Erleichtert geht er den Weg zurück in die Stadt. Die Aussicht, dass er heute Nacht nicht im Freien übernachten muss, ist eine grosse Erleichterung für ihn. Am Bahnhof setzt er sich auf eine Bank und beobachtet das emsige Treiben. Nach einem kräftigen Schluck wird er ruhiger und döst auf der Bank ein. Nur jede Stunde wird er aufgeweckt, dann hält der Regionalzug auf diesem Geleise. Aber nach zehn Minuten ist der Spuk vorbei und er hat wieder seine Ruhe. Seine Kleidung ist noch einigermassen ordentlich. Auch sein Bart ist inzwischen so lang geworden, dass er als Bart erkennbar ist und nicht unsauber wirkt. So fällt Max auf dem Bahnhof nicht unangenehm auf, lediglich den Leuten, welche in seine unmittelbare Nähe gelangen, fällt seine Alkoholfahne auf und sie machen entsprechende Bemerkungen.

Langsam wird es dunkel und er riskiert es, in die Fischerhütte einzudringen. Am Anfang getraut er sich nicht Licht zu machen. Im Dunkeln findet er das Sofa, auf welchem er sich ausstreckt und sofort einschläft.

In den frühen Morgenstunden erwacht er. Jetzt getraut er sich das Licht einzuschalten, denn um diese Zeit ist sicher niemand in dieser Gegend unterwegs. Am Anschlagbrett findet er alle Anlässe, welche der Verein im laufenden Monat plant. Er kann genau ablesen, wann er in der Hütte Besuch erwarten muss. Das Vereinsleben der Fischer ist nicht sehr rege, so dass er nicht oft gestört wird. Für die nächste Zeit hat er damit einen Stützpunkt gefunden. Er ist stolz auf sich, dass er eine bessere Bleibe gefunden hat, als mancher langjährige Obdachlose.

Die nächste Zeit vergeht wie im Flug. So langsam hat er einen regelmässigen Tagesablauf. Er hat genug Geld, um jeden Tag zwei Flaschen Wein zu kaufen und ist dauernd betrunken. Er kapselt sich von allen anderen Menschen ab und lebt sein Einsiedlerleben.

Heute liegt Max wieder in der Sonne und versucht sich im Schachspielen. Der Schachcomputer ist eines der wenigen Dinge, die er aus der Ehe mitnehmen konnte, seine Exfrau hatte keine Verwendung für den Computer. In letzter Zeit schafft er es, den Computer wenigstens in der dritten Stufe zu schlagen, so ist er motiviert, sein Gehirn zu gebrauchen.

Er ist ins Spiel vertieft, trotzdem fällt ihm auf, dass er von einem Mädchen beobachtet wird. Lange beachtet er es nicht, mittlerweile ist er es gewohnt, dass ihn Leute anstarren. Das Mädchen beweist grosse Ausdauer. Es hat lange schwarze Haare. Das Mädchen dürfte etwa zehn Jahre alt sein.

Durch den ungebetenen Zuschauer wird er vom Spiel abgelenkt. Er schaut öfters zum Mädchen hinüber. Sie lässt sich aber nicht stören und beobachtet ihn weiter.

«Oh verdammt», flucht Max vor sich hin, «jetzt ist die Dame futsch!»

Einen Augenblick lang ärgert er sich über die Zuschauerin, welche ihn zu dem Fehler verleitet hat.

Ist nicht schlimm, jetzt muss ich kämpfen, wenn ich nicht verlieren will, denkt er für sich und die nächsten paar Züge spielt er stark und erobert wenigstens einen Turm zurück. Als er wieder aufschaut ist das Mädchen verschwunden.

Die nächsten Tage ist er wieder öfter auf der Wiese, doch das Mädchen taucht nicht mehr auf. Wegen dem Mädchen hat er doch tatsächlich seinen Alkoholkonsum eingeschränkt. Nach drei Tagen vergeblichen Hoffens, dass es nochmals auftaucht, greift er wieder zur Flasche und holt nach, was er die letzten drei Tage versäumt hat.

So ist er am nächsten Tag in einem so schlechten Zustand, dass er nicht einmal Schachspielen kann. Den ganzen Nachmittag döst er an seinem Lieblingsplatz dahin und erschrickt, als eine Mädchenstimme ihn fragt: «Spielst du heute nicht Schach?»

Verdutzt schaut er auf und da steht das schwarzhaarige Mädchen und spricht sogar mit ihm. In seiner Überraschung bringt er zuerst kein Wort heraus.

«Ich habe schlecht geschlafen und bin heute nicht gut drauf.»

«Darf ich es versuchen? Du kannst dafür mit meinem Handy, The Muscle Hustle spielen, weisst du wie es geht?», fragt das Mädchen scheu.

«Kannst du Schachspielen?»

«Nicht gut, ich habe meinem Vater zugeschaut, aber er meint, ich sei noch zu klein dazu, ich solle lieber lernen.»

Max stellt dem Mädchen die leichteste Stufe ein.

«Also, versuch es, weisst du wie die Figuren aufgestellt werden?»

Das Mädchen stellt die Figuren auf. Max muss nur den König und die Dame vertauschen, dann kann sie mit dem Spiel beginnen. Nach dem ersten Zug ist er schon versucht, ihr einen anderen Zug vorzuschlagen, lässt es aber bleiben, doch schon nach zehn Minuten hat sie die ersten Probleme.

«Da steht doch gar keine Figur, was will er den mit diesem Zug?»

Max stellt fest, dass sie wohl einen Zug falsch gezogen hatte.

«Da kann ich nicht mehr helfen, du hast einen falschen Zug gemacht, du musst von neuem beginnen», er stellt die Figuren wieder in die Ausgangsstellung.

«Puh!», ruft sie entrüstet, «du stinkst furchtbar nach Alkohol. Lassen das, ich stelle lieber selber auf!»

Max wäre am liebsten im Boden versunken, aber es hat ja Recht, wäre sie doch nur gestern gekommen. Er zieht sich zurück und spielt mit dem Handy. Es ist lange her, dass er das letzte Mal ein Spiel gespielt hat.

Plötzlich bricht das Mädchen in einen Jubelschrei aus: «Jetzt konnte ich ihm die Dame nehmen!», sie freut sich riesig. Die Überlegenheit in den Figuren kann sie allerdings nicht ausnutzen, da sie die Möglichkeiten zum schachmatt setzen, noch nicht genug kennt, Figuren erobern geht schon recht gut, aber es gelingt ihr einfach nicht, zum Ende zu kommen.

«Oh, es ist schon so spät», stellt sie plötzlich fest, «ich muss sofort nach Hause. Danke, dass ich es versuchen durfte.»

Noch bevor er es nach ihrem Namen fragen kann, nimmt das Mädchen ihr Handy und schon ist sie verschwunden. Max fühlt sich bedeutend besser. Die Begegnung mit dem Mädchen wirkt auf ihn wie ein Wunder. Genau genommen waren es nur ein paar Worte, die er mit dem Mädchen gewechselt hatte. Es waren aber die ersten Worte seit langer Zeit, die er mit einem Menschen gesprochen hatte, der ihm etwas bedeutet.

Die nächsten Tage sind für Max die Hölle auf Erden, er will sich nicht noch einmal sagen lassen: «Du stinkst!» Also kauft er keinen Wein mehr. Der Entzug trifft ihn mit voller Wucht und er kann sich vor Schmerzen kaum bewegen. Er weiss selbst nicht, wo er die Kraft hernimmt im Supermarkt am Alkoholgestell vorbei zu gehen, aber er schafft es. Am nächsten Tag fühlt er sich so schlecht, dass er sich den ganzen Vormittag im Wäldchen versteckt. Am Nachmittag hat er einen Termin, er darf sich für eine Stelle bewerben. Max gibt sich Mühe, den Job zu kriegen, doch die Aussichten sind bei vierzig Bewerbern nicht gross.

Es dauert über eine Woche bis Max sich wieder auf seinen Platz wagt. Noch immer kämpft er mit seinen Entzugserscheinungen. Es gibt Zeiten, da geht es ihm schon besser, dann wird er wieder von einem Schüttelfrost geschüttelt, dass er glaubt sterben zu müssen. Die Abstände zwischen den Anfällen werden zum Glück immer länger und vor allem denkt er in seinen guten Phasen, nicht mehr an seine Exfrau und seine Buben, sondern an das schwarzhaarige Mädchen.

«Wie sie wohl heissen mag? Julia, Roberta oder gar Natascha?»

Dann, - er denkt sich gerade einen kniffligen Zug aus und ist in seinen Gedanken versunken, hört er plötzlich die Stimme des Mädchens: «Guten Tag, wie läuft das Spiel?»

Er erschrickt, es hört sich an, als ob ein Engel zu ihm sprechen würde. Ängstlich schaut er auf. Endlich steht sie wieder da und schaut auf ihn herab.

«Schön dich wieder zu sehen. Hast du Lust zu spielen», fragt er, nachdem er sich wieder etwas gefasst hat.

«Eigentlich schon, aber ich sehe, dass du gerade in einer interessanten Partie steckst, ich schaue noch ein bisschen zu, vielleicht kann ich so etwas lernen.»

Sie setzt sich ihm gegenüber auf die Wiese. Er macht seinen nächsten Zug und wartet gespannt, wie der Computer darauf antwortet. Bis der nächste Zug angezeigt wird, hat er Zeit und beobachtet das Mädchen. Sie hat tatsächlich schöne braune Augen. Heute trägt sie ein buntes T-Shirt und blaue Jeans.

«Wie heisst du?», fragt er und ist erleichtert, dass er die Frage endlich gestellt hat.

«Rebekka, aber alle nennen mich Rebi und, - wie heisst du?»

«Ach, ich bin der Max.»

Der Computer zeigt seinen Zug an und der gibt Max zu denken, es steht schlecht um ihn, noch ein solcher Fehlzug von ihm und er kann aufgeben. In dieser Situation würde er um eine oder zwei Stufen herunterstellen, aber jetzt getraut er sich nicht. Doch dann sieht er plötzlich einen guten Ausweg aus der misslichen Lage. Er macht seinen Zug, jetzt muss er lange Warten bis die Antwort des Computers kommt, den diesmal hat der ein Problem.

«Das dauert aber lange», meint Rebi, «da hast du ihm eine harte Nuss zum Knacken aufgegeben.»

Stumm warten die beiden auf die Antwort vom Computer. Max hätte sich die Haare raufen können, aber es fällt ihm nichts ein, was er Fragen könnte, dabei hätte ihn so vieles interessiert, aber er hat Angst, dass sie ihn ebenfalls ausfragt und da kann er nicht gross auftrumpfen. Endlich zeigt der Computer seinen Zug an.

«Aa, er macht den erwarteten Zug», freut sich Max, «er hat es nicht bemerkt.»

Max zieht seinen Zug und das Warten geht wieder los.

«Bist du oft hier?», fragt Rebi.

«In letzter Zeit schon, ich liebe diesen Platz, er ist so ruhig.»

«Ja, es ist sehr ruhig hier», meint sie, dann sitzen sie wieder stumm da.

«Oh, - dieser Mistkerl», schimpft Max, als der nächste Zug angezeigt wird, «jetzt kann ich aufgeben.»

«Darf ich dich etwas fragen?», das Mädchen schaut Max schüchtern an.

«Fragen darf man immer», antwortet Max, «ich weiss nur nicht, ob ich antworten kann. Ich hoffe die Frage ist nicht zu schwer.»

«Weisst du», beginnt Rebi schüchtern mit der Frage, «weisst du, wie Gott aussieht und wo er wohnt?»

Max ist total überrascht, mit so einer Frage hat er überhaupt nicht gerechnet.

«Das ist wirklich eine sehr schwere Frage. Ich weiss nicht, ob ich die richtige Person bin, sie zu beantworten. Was meinen deine Eltern dazu?» versucht er etwas Zeit zu gewinnen.

«Das ist ja mein Problem», beginnt Rebi und nun sprudelt es nur so heraus, «wenn ich meine Eltern etwas frage, sagen sie immer, Gott weiss schon, warum das so ist, du musst nur Gott fragen, der wird dir den rechten Weg zeigen; passe nur auf, Gott sieht schon, wenn du nicht brav bist.

Alles was ich frage, wird im Zusammenhang mit Gott gebracht und deshalb ist es für mich sehr wichtig, zu wissen, wer Gott überhaupt ist. Auf meine Gebete habe ich bis jetzt keine Antwort erhalten.»

«Weisst du Rebi», antwortet Max vorsichtig, «diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten, jeder stellt sich da etwas anderes vor. Ich könnte dir jetzt meine Meinung über Gott erklären, aber ob es für dich das Richtige ist, kann ich nicht versprechen, dazu müsste ich dich besser kennen.»

«Aber was hat das mit Gott zu tun?», fragt Rebi verwundert, «wenn Gott alles weiss und kann, so hat das sicher mit mir nichts zu tun.»

«Da irrst du dich. Jeder Mensch kann sich selber seine Gedanken über Gott machen, nur muss er auch damit umgehen können und wenn ich dir jetzt erzähle, wie ich zu Gott stehe, so hilft dir das nicht weiter! Wenn ich dir erklären würde, wie du dir Gott vorzustellen kannst, muss ich auch die Verantwortung dafür übernehmen, dass du damit leben kannst. Das vergessen leider viel Prediger.»

Rebi kann mit der Antwort von Max nicht viel anfangen und sitzt einige Zeit stumm da.

«Warum fragst du nicht deinen Pfarrer?», will Max wissen.

«Ach, für den ist alles so selbstverständlich. Da redet Moses mit Gott, wie mein Vater mit seinem Chef, dann macht er schnell sein Wunder, später ist er wieder zornig und am Schluss vergibt er wieder alles. Nur wie er aussieht, dieser Gott, das darf man ihn nicht fragen, das ist Gotteslästerung! Wie es zu diesen Wundern kam, das ist für den Pfarrer so selbstverständlich, dass man sich dumm vorkommt, wenn man danach fragt und ob die Strafen gerecht, oder ungerecht sind, darf man sich auch nicht fragen, das ist allein die Angelegenheit von Gott.»

In ihren Augen kann Max lesen, wie sehr sie diese Fragen interessiert und dass sie niemanden hat, der ihr darauf eine klare Antwort geben will, oder kann. Ist es seine Sache, sich in ihr Leben einzumischen? Kann sie mit seinen Vorstellungen, die er sich über Gott macht, leben? Ausserdem ist er über seine Ansicht zu Gott selber verunsichert, in letzter Zeit hat er sich zu diesem Thema überhaupt keine Gedanken mehr gemacht. Irgendwie muss er auf ein anderes Thema ablenken, also meint er: «Willst du nochmals eine Partie spielen?»

«Du weichst der Frage auch aus!», stellt sie fest, «eine klare Antwort ist für mich interessanter als Schach spielen, aber eben, niemand will mit mir über solche Sachen reden.»

«Aber Rebi, versteh mich doch, ich habe zur Zeit selber grosse Probleme und weiss nicht, wer in diesen Fragen recht hat, ausserdem habe ich mich schon lange nicht mehr mit solchen Fragen beschäftigt», versucht er sich herauszureden, «wenn du mich für den Anfang etwas Einfacheres, Erklärbares fragen könntest, will ich mich bemühen, eine richtige Antwort zu finden.»

«Was verstehst du unter einer einfachen Frage? Für mich ist jede Frage, die ich mir nicht beantworten kann, gleich schwer?»

«Für mich gibt es schon Unterschiede, ich kann dir zum Beispiel recht gut erklären, wie ein Computer funktioniert, denn davon verstehe ich etwas, das habe ich gelernt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es dich interessiert und ausserdem, weiss ich nicht, ob ich es einfach erklären kann.»

«Das ist wieder typisch, die Erwachsenen interessieren sich nur für Dinge, mit denen man Geld verdienen, oder die Umwelt kaputt machen kann.»

«Es kann sein, dass du da Recht hast, aber wir haben es halt so gelernt. Während der ganzen Schulzeit wurde immer auf unser Berufsziel hingearbeitet und ich gebe zu, dass ich jahrelang nur für den Beruf gelebt habe. Meine Interessen galten immer technischen Sachen, die Natur wurde in meiner Erziehung vernachlässigt.»

«Da ist es kein Wunder, dass so viele Tiere vom Aussterben bedroht sind. Vielleicht können sie mir diese Frage beantworten, wieso darf der Mensch über das Schicksal von Tieren bestimmen?

«Das ist immer noch eine schwere Frage, aber sie liegt mir doch schon bedeutend näher, als das Problem mit Gott, da weiss ich wenigstens, um was es geht. Ob ich kompetent genug bin, ist nicht sicher.»

399 ₽
19,56 zł