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Czytaj książkę: «Der Müller von Angibault», strona 9

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12. Kapitel.
Luftschlösser

Unter dem majestätischen Laubzelt, welches die hohen Eichen dem Weg entlang bildeten und über welches die Sonne im Untergehen glänzende Streiflichter und starke Schlagschatten hinwarf, ging gemessenen Schrittes eine Frau einher oder vielmehr ein namenloses Wesen, das in wilde Gedanken versunken schien.

Es war eines jener durch das Unglück ausgemergelten und durchfurchten Gesichter, welche keinem Alter, keinem Geschlecht mehr angehören. Indessen trugen diese Züge den Stempel eines gewissen Adels, welcher noch nicht vollständig verwischt war ungeachtet der furchtbaren Verheerungen, welche Kummer und Krankheit darauf angerichtet hatten, und lange schwarze Haare, welche unordentlich unter einer weißen, von einem aus Stroh geflochtenen, allenthalben zerrissenen und durchlöcherten Männerhut bedeckten Mütze hervorfielen, gaben der regelmäßigen, sonnverbrannten Physionomie, die sie großenteils verbargen, einen finstern Ausdruck. Man sah von diesem safrangelben, durch das Fieber verheerten Gesicht nur zwei große, schwarze Augen von erschreckender Starrheit, eine gerade und schöne, obgleich etwas zu weit vorspringende Nase und einen schwarzbraunen, halb offenen Mund. Der Anzug dieses Wesens gehörte der bürgerlichen Klasse an, war aber von zurückstoßender Unsauberkeit. Ein schlechter Rock von gelbem Stoff umgab den ungestalten Körper, dessen hohe und gekrümmte Schultern eine Ausdehnung angenommen hatten, die in gar keinem Verhältnis stand mit der übrigen Gestalt, welche ausgedörrt schien und über die das Kleid lose und schleppend herhing. Ihre magern und schwarzen Beine waren nackt, und abgetragene, schmutzige Schuhe schützten ihre Füße nur schlecht gegen die Kiesel und Dornen, gegen welche sie übrigens unempfindlich schienen. Sie ging abgemessen einher, das Haupt vorgeneigt, den Blick an die Erde geheftet und in den Händen ein blutbeflecktes Schnupftuch hin und her wendend und zusammenpressend.

Sie kam gerade auf Frau von Blanchemont zu, welche, ihren Schrecken verbergend, um denselben Eduard nicht mitzuteilen, mit großer Beklemmung abwartete, ob das Weib rechts oder links an ihr vorübergehen werde. Aber das Gespenst, denn einem solchen ähnelte die düstere Erscheinung, schien, während seine Physionomie nicht so fast Blödsinn, als vielmehr finstere Verzweiflung und abstrakte Beschaulichkeit ausdrückte, für äußere Eindrücke völlig unempfänglich. Sobald aber die Erscheinung den Schatten Marcelles vor ihren Füßen erblickte, stand sie stille, wie wenn sie auf ein unübersteigliches Hindernis getroffen wäre, und wandte sich rasch um, um ihren eintönigen und gleichförmigen Gang nach der Seite hin fortzusetzen, woher sie gekommen.

»Das ist die arme Bricoline«, sagte Rose, ohne die Stimme zu dämpfen, als hätte sie’s darauf angelegt, gehört zu werden. »Es ist meine älteste Schwester, die im ›Hirn verrückt‹, wie man auf dem Lande zu sagen pflegt, d. h. närrisch ist. Sie ist erst dreißig Jahre alt, obgleich sie wie ein altes Weib aussieht, und es ist jetzt zwölf Jahre her, dass sie weder ein Wort zu uns gesprochen hat, noch eines gehört zu haben scheint. Wir wissen nicht, ob sie taub, wohl aber wissen wir, dass sie nicht stumm ist, denn wenn sie sich allein glaubt, redet sie zuweilen, aber sinnloses Zeug. Sie will immer allein sein und ist nicht bösartig, wenn man sie gehen lässt. Sie brauchen sich nicht vor ihr zu fürchten, denn wenn Sie sich den Anschein geben, als bemerkten Sie sie nicht, so wird sie Sie nicht beachten. Nur wenn wir ihr etwas näher ›auf den Leib rücken‹ wollen, wird sie zornig und sträubt sich schreiend mit Händen und Füßen, als täte man ihr etwas zuleide.«

»Mama«, sagte Eduard, indem er seinen Schrecken zu verbergen suchte, »bring’ mich doch nach Hause; ich habe Hunger.«

»Wie könntest du schon wieder Hunger haben, da du gerade vom Essen herkommst?« entgegnete Marcelle, welche ebenso Lust hatte, diesem traurigen Anblick sich nicht länger hinzugeben, wie ihr Sohn. »Du täuschest dich sicherlich. Komm’ in einen andern Baumgang; es ist in diesem vielleicht zu sonnig für dich und die Wärme macht dich matt.«

»Ja, ja, gehen wir in das Gehölz zurück«, bemerkte Rose. »Meine Schwester gewährt einen traurigen Anblick. Wir brauchen überdies nicht zu besorgen, dass sie uns folgen werde, denn wenn sie sich einmal in einem Baumgang aufhält, so verlässt sie denselben nicht sobald wieder. Sie können das hier sehen; das Gras in der Mitte ist niedergetreten, weil sie an einer und derselben Stelle immer auf und ab geht. Arme Schwester! Wie schade! Sie war so schön und so gut! Ich erinnere mich noch der Zeit, wo sie mich auf ihren Armen trug und sich mit mir abgab, wie Sie sich mit diesem hübschen Kinde da abgeben. Aber seit ihrem Unglück kennt sie mich nicht mehr und erinnert sich nicht einmal, dass ich lebe.«

»Ach, meine liebe Jungfer Rose, welch’ ein schreckliches Unglück! Und was ist daran schuld? Kummer oder Krankheit? Weiß man es?«

»Leider ja, man weiß es recht gut, aber man spricht nicht davon.«

»Ich bitte Sie um Verzeihung, wenn das Interesse, welches Sie mir einflößen, mich zu einer unschicklichen Frage verleitete.«

»O, gnädige Frau, Ihnen darf man’s schon sagen. Sie scheinen mir so gut zu sein, dass man sich vor Ihnen dadurch nicht erniedrigt. Also, unter uns gesagt, meine Schwester ist infolge einer ›widerwärtigen‹ Liebe närrisch geworden. Sie liebte einen sehr braven und ehrenhaften jungen Mann, aber er hatte nichts und deshalb wollten meine Eltern nicht in die Heirat willigen. Der junge Mann ließ sich daher anwerben und in Algier totschießen. Die arme Bricoline, welche seit der Abreise ihres Geliebten immer schweigsam und traurig gewesen, deren Kummer aber, wie man glaubte, mit der Zeit wohl vorübergehen würde, musste seinen Tod auf eine etwas grausame Weise erfahren. Meine Mutter, welche der Ansicht war, der Verlust jeder Hoffnung werde meine Schwester endlich zur Vernunft bringen, warf ihr die Todesnachricht mit harten Ausdrücken und in einem Augenblick, wo eine solche Bewegung tödlich werden konnte, unversehens an den Kopf. Meine Schwester schien nichts zu hören und gab keine Antwort. Wir saßen gerade bei Tische und ich erinnere mich des Vorgangs, als hätte er sich erst gestern ereignet, obgleich ich noch sehr jung war. Sie ließ ihre Gabel fallen und starrte meine Mutter länger denn eine Viertelstunde ohne ein Auge zu verwenden und mit einer so seltsamen Miene an, dass meine Mutter in Furcht geriet und ausrief: ›Sollte man nicht meinen, sie wolle mich fressen?‹ – ›Sie haben es zu arg gemacht‹, sagte meine Großmutter, welche eine kreuzbrave Frau ist und die Heirat der Bricoline mit ihrem Liebhaber gerne gesehen hätte, ›Sie werden Ihrer Tochter noch so viel Kummer machen, dass sie verrückt werden wird.‹ – Meine Großmutter hatte ganz Recht. Meine Schwester war von diesem Augenblicke an närrisch und hat seither nie mehr mit uns gegessen. Sie rührt nichts von dem an, was man ihr darreicht, ist immer allein, flieht uns alle und nährt sich von den Überbleibseln, welche sie in der Speisetruhe zusammenrafft, wenn gerade niemand in der Küche sich befindet. Zuweilen wirft sie sich auf ein Stück Geflügel, erwürgt es, zerreißt es mit den Fingern und verschlingt es noch ganz blutend. Sie muss dies gerade auch jetzt getan haben, dessen bin ich sicher, denn sie hatte Blut an den Händen und an ihrem Tuche. Ein andermal reißt sie Gemüse in dem Garten aus und verzehrt es roh, kurz, sie lebt wie eine Wilde, und setzt jedermann in Schrecken. Da haben Sie die Folgen einer ›widerwärtigen‹ Liebe, und meine armen Eltern sind nur zu hart damit gestraft, dass sie das Herz ihrer Tochter nicht besser kannten. Dessen ungeachtet sagen sie nicht, dass sie anders handeln würden, wenn sich die Sache noch einmal von vorne anfangen ließe.«

Marcelle glaubte, Rose spiele mit den letzten Worten auf sich selber an, und indem sie zu erfahren wünschte, inwieweit das Mädchen die Neigung des großen Louis teile, ermutigte sie das Zutrauen Roses mit sanften und liebevollen Worten, während sie den der Stelle, wo die Wahnsinnige hin und her ging, entgegengesetzten Raum des Wildgeheges erreichten.

Marcelle hatte inzwischen ihre Fassung vollkommen wieder gewonnen und auch der kleine Eduard seinen Schrecken schon vergessen und sprang wieder mutwillig vor der Mutter einher.

»Ihre Mutter scheint mir in der Tat ein wenig strenge«, sagte Frau von Blanchemont zu ihrer Begleiterin, »aber Herr Bricolin scheint Ihnen gegenüber viel nachgiebiger zu sein.«

»Papa macht weniger Lärm«, erwiderte Rose kopfschüttelnd, »er ist munterer, zärtlicher, macht mehr Geschenke, erweist mehr Aufmerksamkeiten, kurz, er liebt seine Kinder recht sehr und ist ein guter Vater, allein rücksichtlich des Vermögenspunkts und dessen, was er Schicklichkeit nennt, da ist sein Wille vielleicht noch unbeugsamer als der meiner Mutter. Ich habe ihn hundertmal sagen hören, dass der Tod besser sei als Armut, und dass er mich lieber töten würde, als einzuwilligen.«

»Dass Sie sich nach Ihrem Wunsche verheirateten?« setzte Marcelle hinzu, als sie bemerkte, dass dem Mädchen Worte fehlten, seine Gedanken auszudrücken.

»O, das hat er nicht gesagt!« entgegnete Rose, eine etwas prüde Miene annehmend. »Ich habe noch nicht ans Heiraten gedacht und weiß nicht, ob mein Wunsch nicht auch der seinige wäre. Aber er ist sehr ehrgeizig bezugs meiner Person und quält sich schon mit der Befürchtung, keinen ihm anständigen Schwiegersohn zu finden. Das macht, dass man mich noch nicht so bald verheiraten wird, und ich befinde mich so auch ganz wohl, denn ich wünsche nicht, meine Familie zu verlassen, ungeachtet der kleinen Widerwärtigkeiten, welche ich von Seiten der Mutter auszustehen habe.«

Marcelle glaubte in diesen Worten etwas Heuchelei zu finden, und indem sie das Vertrauen des Mädchens nicht erzwingen wollte, warf sie die Bemerkung hin, Rose sei wohl ebenfalls von dem Ehrgeiz ihres Vaters angesteckt.

»O, ganz und gar nicht«, entgegnete Rose nachlässig. »Ich finde mich viel reicher, als ich es zu sein bedarf und sein wollte. Mein Vater mag immerhin sagen, dass wir fünf Geschwister seien (ich habe nämlich zwei verheiratete Schwestern und einen verheirateten Bruder) und dass also der Anteil eines jeden von uns nicht so gar beträchtlich ausfallen werde, das ist mir ganz einerlei. Ich habe nicht viele Bedürfnisse und sehe zudem täglich, dass man, je mehr man reich, desto ärmer ist.«

»Wie das?«

»Wenigstens bei uns Landleuten ist das gewiss der Fall. Bei Euch, bei den Adeligen, ist das anders. Ihr setzt eine Ehre darein, mit Euerm Vermögen Aufwand zu machen, man beschuldigt Euch bei uns sogar der Verschwendung, und angesichts des Ruins so vieler alten Familien sagt man sich, man werde klüger sein, und strebt mit Mühe, ja, was sag’ ich? mit Leidenschaft darnach, sein Geschlecht zu bereichern. Man will das, was man besitzt, immer verdoppeln und verdreifachen, wenigstens haben das mein Vater, meine Mutter, meine Schwestern und ihre Männer, meine Basen und meine Vettern, in allen möglichen Ausdrücken mir wiederholt, seil ich lebe. Auch legt man sich, um in dem Geschäfte, sich zu bereichern, nicht innezuhalten, alle Arten von Entbehrungen auf. Man treibt zwar vor andern von Zeit zu Zeit Aufwand, allein daheim knickert man dann wieder um ein Ei. Man fürchtet, seine Möbeln, seine Kleider zu beschmutzen, seiner Gemächlichkeit zu viel nachzugeben. Das ist wenigstens die Art und Weise meiner Mutter, und es ist ein wenig hart, das ganze Leben hindurch zu sparen und sich jedes Vergnügen zu versagen, wenn die Gewährung desselben nur von uns selbst abhängt. Und wenn man sogar mit dem Wohlbehagen, dem Lohn, dem Appetit anderer knausern, wenn man hart sein muss gegen die, welche für uns arbeiten, so ist das doch gar zu traurig. Ich für meine Person, wenn ich tun könnte, was ich wollte, ich würde weder andern, noch mir etwas versagen. Ich würde mein Einkommen aufbrauchen und vielleicht würde mein Vermögen nicht übel dabei fahren, denn man würde mich lieben und mit Eifer und Treue für mich arbeiten. Hat nicht der große Louis beim Essen ungefähr in diesem Sinne gesprochen? Er hat Recht.«

»Meine liebe Rose, er hat in der Theorie Recht.«

»In der Theorie?«

»Das will sagen: indem er seine edelherzigen Ideen einer Gesellschaft anpasste, die noch nicht existiert, die aber eines Tages gewiss existieren wird. In Bezug auf das wirkliche Leben, d. h in Bezug der Möglichkeit einer Betätigung dieser Theorien in der Gegenwart, täuschen Sie sich, wenn Sie glauben, die gute Gesinnung einiger wenigen inmitten aller andern, welche diese Gesinnung nicht teilen, sei hinlänglich, um verstanden, geliebt und belohnt zu werden.«

»Was Sie da sagen, setzt mich in Verwunderung. Ich glaubte, Sie dächten wie ich. Sie meinen also, man tue Recht, die zu schinden, welche für unsern Vorteil arbeiten?«

»Ich denke nicht wie Sie, Rose, und dennoch bin ich weit von der Denkweise entfernt, welche Sie mir unterschieben. Ich will, dass niemand für sich arbeite, sondern dass man, indem jeder für alle arbeitet, zugleich um Gottes und seiner selbst willen arbeite.«

»Wie wäre das anzufangen?«

»Eine Erklärung darüber würde zu weitläufig sein, mein Kind, und ich fürchte, damit Unheil anzurichten. In Erwartung der Zukunft, wie ich sie mir denke, betrachte ich es als ein sehr großes Unglück, reich zu sein, und ich für meinen Teil bin froh, von dieser Last befreit zu sein.«

»Das ist einzig«, meinte Rose, »wer reich ist, kann denen, die es nicht sind, wohltun, und das ist doch wohl ein großes Glück?«

»Ja, aber ein einzelner gutherziger Mensch kann so wenig Gutes tun, selbst wenn er all’ seinen Besitz dahingäbe, und dann, wie bald ist es ihm zur Unmöglichkeit gemacht!«

»Allein wenn jeder das Nämliche täte?«

»Ja, wenn jeder! Das ist Not; es ist jedoch unmöglich, in der Gegenwart alle Reichen zu einem solchen Opfer zu vermögen. Sie selbst, Rose, wären nicht geneigt, es vollständig zu bringen. Sie wären zwar geneigt, mit ihrem Einkommen so viele Leiden als möglich zu lindern, d. h. einige Familien vor Elend zu bewahren, aber dies geschähe immer mit dem Vorbehalt, ihr Kapital nicht anzugreifen, und ich, die Ihnen vorpredigt, ich klammere mich an die Trümmer meines Vermögens, um die Ehre meines Sohnes zu retten, wie man das ausdrückt, indem ich ihm Gelegenheit verschaffe, die Schulden seines Vaters zu bezahlen, ohne ihn selbst in völlige Armut zu stürzen, welche für ein so zartes Wesen, für den Sprössling eines müßiggängerischen Geschlechts, für den Erben einer kränklichen Organisation, um welcher willen er gegenüber dem Sohn eines Bauers sehr im Nachteil ist, nur den Mangel der Erziehung, übertriebene Anstrengung und vielleicht den Tod zur Folge haben könnte. Sie sehen also, dass wir mit unsern guten Absichten, wir, die wir nicht wissen, was für ein Mittel die Gesellschalt zu ihrer Reform ausfindig machen wird, nichts vermögen, außer dem Reichtum ein bescheidenes Auskommen, dem Müßiggang die Arbeit vorzuziehen. Das ist allerdings ein Schritt zur Tugend, allein welch’ ein kleines Verdienst erwerben wir uns dadurch und wie wenig können wir darin ein Rettungsmittel gegen das zahllose Elend erblicken, welches unsern Augen wehtut und unsere Herzen mit Trauer erfüllt!«

»Aber das Rettungsmittel?« fragte Rose verwundert. »Gibt es denn kein Rettungsmittel? Ein König muss es in seinem Kopfe finden, denn ein König kann alles.«

»Ein König kann nichts, oder beinahe nichts«, versetzte Marcelle, über die Naivität des Mädchens lächelnd. »Ein Volk muss das in seinem Herzen finden.«

»Alles das kommt mir wie ein Traum vor«, sagte die gute Rose. »Es ist das erste Mal, dass ich von solchen Dingen reden höre. Ich denke wohl zuweilen für mich darüber nach, allein bei uns sagt niemand, dass es in der Welt nicht recht zugehe. Man sagt, man müsse sich eifrigst um das Seinige bekümmern, denn unser Glück sei die einzige Sache, womit sich andere nicht beschäftigen, und die Welt sei jedem Feind; das ist fürchterlich, nicht wahr?«

»Ja, und zugleich ein seltsamer Gegensatz. Es geht in der Welt nur deshalb so schlecht zu, weil sie von Wesen erfüllt ist, die einander gegenseitig verabscheuen und hassen.«

»Aber wie soll diesem Zustande ein Ende gemacht werden? Denn sobald man ein Übel wahrnimmt, hat man doch zugleich auch eine Vorstellung von etwas Besserem.«

»Man kann diese Idee erst dann vollkommen klar und deutlich erfassen, wenn jedermann sie mit Euch zugleich erfasst und Euch hilft, sie zu betätigen. Aber wenn man alle gegen sich hat, die einen verspotten, wenn man daran denkt, und einem ein Verbrechen daraus machen, dass man davon spricht, so muss diese Vorstellung notwendigerweise nur erst eine verworrene und unbestimmte sein. Das begegnet, ich will nicht sagen, den größten Geistern unserer Zeit, – ich weiß nichts davon, bin nur eine unwissende Frau – gewiss aber den bestgesinnten Herzen, und weiter sind wir denn bis heutzutage noch nicht gekommen.«

»Ja, bis ›heutzutage‹, wie Papa zu sagen pflegt«, meinte Rose lächelnd. Dann setzte sie mit trauriger Miene hinzu: »Aber was soll ich denn tun, ich, die ich reich bin, was soll ich tun, um gut zu werden?«

»Bewahren Sie in Ihrem Herzen, meine liebe Rose, wie einen kostbaren Schatz den Schmerz über das Weh anderer, die Nächstenliebe, welche Ihnen das Evangelium vorschreibt, und den brennenden Wunsch, sich dem allgemeinen Wohl an dem Tage zu opfern, an welchem ein solches Opfer für alle ersprießlich sein wird.«

»Ein solcher Tag wird also kommen?«

»Zweifeln Sie nicht daran!«

»Sie sind dessen gewiss?«

»Wie der Gerechtigkeit und Güte Gottes.«

»Das ist gewiss, Gott kann das Übel nicht ewig dauern lassen. Sie haben mir die Augen geblendet, Frau Baronin, und mir Kopfweh gemacht, aber das hat nichts zu sagen; ich glaube jetzt zu begreifen, warum Sie den Verlust Ihres Vermögens so ruhig hinnehmen konnten, und für Augenblicke bilde ich mir ein, auch ich könnte mit Vergnügen mich auf ein ›bescheidenes Auskommen‹ beschränkt sehen.«

»Und wenn Sie arm werden, leiden, arbeiten müssten?«

»Herr Jesus, wenn es zu nichts diente, so wäre das entsetzlich!«

»Wenn man aber zu der Einsicht gelangte, dass es dennoch zu etwas dienen könnte? Wenn man durch eine Krisis großer Not, durch eine Art von Martyrtum hindurchmüsste, um zur Erlösung der Menschheit zu gelangen?«

»Nun wohl«, entgegnete Rose, indem sie Marcelle mit Erstaunen ansah, »so müsste man dieses Martyrtum mit Ergebung tragen.«

»Nein, man müsste sich mit Begeisterung in dasselbe hineinstürzen!« rief Marcelle mit einer Betonung und einem Blick aus, welche Rose erbeben machten und sie, wenn auch zu ihrer Verwunderung, wie ein elektrischer Schlag berührte.

Dem kleinen Eduard begannen jetzt die Augen zuzufallen, denn der Mond stieg schon am Himmel empor. Marcelle bemerkte, es sei Zeit, das Kind zu Bette zu bringen, und Rose folgte ihr stillschweigend, noch ganz erfüllt von dem Gespräche, welches sie mitsammen geführt. Als sie sich aber dem Pachthof näherten und das Mädchen die durchdringende Stimme ihrer Mutter unfern vernahm, kehrte sie zu den Vorstellungen des wirklichen Lebens zurück und sprach, einen Blick auf die vor ihr hergehende junge Dame werfend, leise vor sich hin:

»Wäre es nicht möglich, dass diese ebenfalls im Hirn verrückt wäre?«

13. Kapitel.
Rose

Dieses Zweifels ungeachtet fühlte sich Rose unwiderstehlich zu Marcelle hingezogen. Sie half ihr das Kind zu Bette bringen, erwies ihr tausend Zuvorkommenheiten und ergriff, als sie weggehen wollte, ihre Hand, um dieselbe zu küssen. Marcelle, welche das Mädchen als ein gut begabtes Naturkind bereits liebgewonnen hatte, verhinderte dieses und küsste sie auf beide Wangen. Dadurch ermutigt und entzückt, zauderte Rose und brachte endlich die Worte vor:

»Ich möchte Sie gerne etwas fragen. Besitzt der große Louis wirklich Geist genug, um Sie zu verstehen?«

»Gewiss, Rose. Aber was geht das Sie an?« entgegnete Marcelle, ein wenig boshaft.

»Es kam mir heute so sonderbar vor, dass von uns allen unser Müller die meisten Einfälle hatte, und doch hat er keine sehr gute Erziehung genossen, der arme Louis!«

»Allein er besitzt viel Gemüt und Verstand.«

»O, was das Gemüt angeht, ja. Ich kenne den Burschen recht gut, ich. Seine älteste Schwester hat mich gesäugt und ich habe meine ersten Jahre in der Mühle von Angibault zugebracht. Hat er es Ihnen nicht gesagt?«

»Er hat mir nicht von Ihnen gesprochen, aber ich glaubte zu bemerken, dass er Ihnen sehr ergeben ist.«

»Ja, er war immer recht gut mit mir«, versetzte Rose errötend. »Ein Beweis seines trefflichen Herzens ist, dass er jederzeit die Kinder gern hatte. Er war erst sieben oder acht Jahre alt, als ich bei seiner Schwester war, und meine Großmutter sagt, er hätte mich gepflegt und unterhalten, wie wenn er schon alt genug gewesen, um mein Vater sein zu können. Ich hatte auch bald eine solche Freundschaft für ihn gefasst, dass ich ihn nicht verlassen wollte und dass meine Mutter, welche ihn damals noch nicht hasste, wie sie jetzt tut, ihn, als ich entwöhnt wurde, zu uns kommen ließ, um mir Gesellschaft zu leisten. Man war anfangs übereingekommen, dass er zwei bis drei Monate bleiben sollte, allein er blieb stattdessen zwei oder drei Jahre und war so tätig und anstellig, dass man ihn sehr brauchbar fand. Seiner Mutter ging es damals hart, und meine Großmutter, welche ihre Freundin ist, fand es gut, dass man ihr wenigstens eines ihrer Kinder abnahm. Ich erinnere mich ganz gut der Zeit, wo Louis, meine arme Schwester und ich immer mitsammen auf der Wiese, im Wildgehege und in den Korridoren des Schlosses herumsprangen und spielten. Als aber Louis alt genug geworden, um seiner Mutter bei den Mahlgeschäften an die Hand gehen zu können, rief sie ihn nach Hause. Wir trennten uns so ungerne, ich langweilte mich ohne ihn so sehr, seine Mutter und seine Schwester, meine Amme, hatten mich so lieb, dass man mich alle Sonnabende nach Angibault brachte, wo ich immer bis am Montagmorgen blieb. So ging es, bis ich in die Jahre kam, wo man mich in die Pension in der Stadt tat, und als ich von dort zurückkam, konnte von einer Kameradschaft zwischen einem Burschen, wie der Müller war, und einem jungen Mädchen, die man als Jungfer behandelte, keine Rede mehr sein. Dessen ungeachtet sahen wir uns immerfort oft, besonders seit mein Vater, trotz der Entfernung, Louis zu seinem Müller genommen hat und dieser also allwöchentlich drei- oder viermal hierherkommt. Ich meinerseits hatte stets eine große Freude daran, Angibault und die Müllerin wiederzusehen, welche so gut ist und die ich so sehr lieb habe! Nun denken Sie sich aber, gnädige Frau, seit einiger Zeit findet meine Mutter das unschicklich und lässt mich nicht mehr hingehen. Sie hat den armen Louis aufs Korn genommen und tut ihr Möglichstes, ihn umzubringen, sie hat mir sogar verboten, auf den ›Bällen‹ mit ihm zu tanzen, unter dem Vorwand, er sei für mich zu ›gemein‹. Und doch tanzen wir Landjungfern, wie man uns nennt, stets mit jedem Bauer, der uns auffordert, und zudem kann man nicht einmal sagen, dass der Müller von Angibault ein Bauer sei. Auch hat er wohl an zwanzigtausend Francs im Vermögen und ist weit besser geschult, als viele andere. Da ist, um Ihnen die Wahrheit zu sagen, mein Vetter Honoré Bricolin, der schreibt lange nicht so gut orthographisch, wie der große Louis, obgleich man viel Geld ausgegeben hat, um ihn unterrichten zu lassen, und ich sehe ganz und gar nicht ein, warum man will, dass ich auf meine Familie stolz sei.«

»Ich sehe es ebenfalls nicht ein«, bemerkte Marcelle, welche einsah, dass man mit Jungfer Rose ein wenig klug umgehen müsse und dass diese ihr Bekenntnis nicht mit der glühenden Offenheit des großen Louis ablegen werde. »Haben Sie denn in dem Betragen des guten Müllers nie etwas wahrgenommen, was die Abneigung Ihrer Mutter rechtfertigen könnte?«

»O, durchaus nichts. Er ist hundertmal ehrenhafter und gesitteter als alle unsere Herrenbauern, welche sich fortwährend betrinken und durch und durch abgeschmackte Menschen sind. Er hat mir nie ein Wort gesagt, wovor ich hätte die Augen niederschlagen müssen.«

»Aber könnte sich Ihre Mutter nicht seltsamerweise eingebildet haben, er sei Ihr Liebhaber?«

Rose wurde verwirrt, zauderte und gestand endlich, ihre Mutter könnte sich das in der Tat eingebildet haben.

»Und wenn Ihre Mutter es erraten hätte, wäre es denn nicht ratsam, dass Sie sich vor ihm in Acht nähmen?«

»Aber, … je nachdem ja, wenn es so wäre und er mir es gesagt hätte! … Aber er hat mir nie ein Wort gesagt, das nicht pure Freundschaft gewesen wäre.«

»Wenn er nun aber dennoch sehr in Sie verliebt wäre, ohne zu wagen, es Ihnen zu gestehen?«

»Nun, was wäre da Böses daran?« fragte Rose etwas kokett.

»Sie würden sich eine große Schuld aufbürden, wenn Sie seine Leidenschaft nur reizen, nicht aber ernstlich teilen wollten«, bemerkte Marcelle sehr ernst. »Das hieße ein Spiel treiben mit dem Weh eines Freundes, und es ist in Ihrer Familie eben nicht herkömmlich, es mit ›widerwärtigen Liebschaften‹ leicht zu nehmen, Rose.«

»O«, entgegnete das Mädchen störrisch, »die Männer werden solcher Dinge wegen nicht verrückt! Indessen«, fügte sie, indem sie den Kopf senkte, naiv hinzu, »muss man gestehen, dass er zuweilen traurig ist, der arme Louis, und dass er dann spricht, wie ein verzweifelter Mensch, ohne dass ich erraten kann, warum. Das macht mich oft ängstlich.«

»Doch nicht genug, um Sie zu vermögen, ihn verstehen zu wollen.«

»Aber wenn er mich liebte, was könnte ich tun, um ihn zu trösten?«

»Sie müssten ihn entweder wieder lieben oder ihm ausweichen.«

»Ich kann weder das eine, noch das andere. Ihn lieben ist sozusagen unmöglich, ihm ausweichen … ich hege zu viel Freundschaft für ihn, um ihm diese .Kränkung anzutun. Wenn Sie wüssten, was er für Augen macht; wenn ich mir die Mühe gebe, ihn nicht zu beachten. Er wird darüber ganz blass und das macht mir weh.«

»Warum sagen Sie aber denn, es sei Ihnen unmöglich, ihn zu lieben?«

»Herr Jesus, kann man denn einen lieben, den man nicht heiraten kann?«

»Ei, man kann den heiraten, welchen man liebt.«

»O, nicht immer! Denken Sie nur an meine arme Schwester! Ihr Beispiel setzt mich zu sehr in Furcht, als dass ich wagen sollte, es zu befolgen.«

»Sie wagen nichts, meine gute Rose«, sagte Marcelle etwas bitter; »wenn man über seine Liebe und seine Neigung mit solcher Leichtigkeit disponiert, dann liebt man nicht, läuft keinerlei Gefahr.«

»Sagen Sie das nicht«, entgegnete Rose lebhaft, »ich bin nicht weniger als eine andere imstande, zu lieben und mich dem Unglück auszusetzen. Aber raten Sie mir, diesen Mut zu haben?«

»Gott bewahre mich davor! Ich wollte Ihnen nur helfen, über den Zustand ihres Herzens ins Klare zu kommen, damit Sie nicht etwa durch Ihre Unklugheit den armen Louis unglücklich machen.«

»Ach, der arme Louis! … Aber sehen Sie, gnädige Frau, was kann ich tun? Ich setze den Fall, obgleich das höchst unwahrscheinlich ist, dass mein Vater nach vielem Drohen und Wüten einwillige, mich ihm zu geben, dass meine Mutter, erschreckt durch das Schicksal meiner Schwester, lieber ihren Widerwillen zum Opfer bringen, als mich krank werden sehen will; allein bis dahin, sehen Sie, was würde es da für Auftritte, für Händel, für Misshelligkeiten absetzen!«

»Sie fürchten sich, Sie lieben nicht, sage ich Ihnen; Sie können aber Recht haben und deshalb müssen Sie dem großen Louis ausweichen.«

Dieser Rat, auf welchen Marcelle immer wieder zurückkam, schien gar nicht nach Roses Geschmack zu sein; denn die Liebe des Müllers schmeichelte ihrer Eigenliebe außerordentlich, besonders seit Frau von Blanchemont ihn in ihren Augen so sehr erhoben hatte, und vielleicht auch, weil ihr sonst wenig der Hof gemacht wurde. Die Bauersleute sind nur wenig für die Leidenschaft der Liebe empfänglich und in der Welt, in welcher Rose lebte, war diese Leidenschaft ohnehin vor den Interessen der Habsucht immer mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Das Mädchen hatte aber einige Romane gelesen und war stolz darauf, eine ungleiche, unmögliche Liebe eingeflößt zu haben, von welcher eines Tages das ganze Land mit Verwunderung sprechen würde. Überdies war der große Louis das Herzblatt aller Bauernmädchen und der bürgerliche Stand der Bricolins war noch von zu neuerem Datum, als dass es nicht einigen Reiz für Rose gehabt hätte, über die hübschesten Mädchen der Gegend den Sieg davon zu tragen.

»Glauben Sie ja nicht, dass ich feige sei«, sagte Rose nach kurzem Nachsinnen. »Ich weiß der Mutter recht gut zu antworten, wenn sie den armen Burschen ungerechterweise schmäht, und wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt hätte, so würde ich mit Ihrer Hilfe, die Sie so gescheit sind und der mein Vater dermalen zu gefallen suchen will, wohl über alles den Sieg davon tragen. Vor allem sage ich Ihnen, dass ich keineswegs den Kopf verlöre, wie meine arme Schwester. Ich bin hartnäckig und man hat mich zu sehr verzogen, als dass man nicht ein wenig fürchten sollte. Ich will Ihnen jedoch sagen, was mich am härtesten ankäme.«

»Lassen Sie hören, Rose.«

»Was würde man von mir im Land umher denken, wenn ich meiner Familie einen solchen Tort antäte? Alle meine Gespielinnen würden, eifersüchtig vielleicht auf die Liebe, welche ich einflöße und welche sie in ihren Geldheiraten nie finden werden, Steine gegen mich aufheben. Alle meine Vettern und Freier, wütend über den Vorzug, welchen ich ihnen gegenüber, die ihren eigenen Wert so hoch anschlagen, einem Bauer gäbe, alle Familienmütter, erschreckt durch das Beispiel, welches ich ihren Töchtern gäbe, endlich die Bauern selbst, neidisch darüber, dass einer aus ihrer Mitte eine, wie sie sich ausdrücken, unsinnig reiche Heirat machte, würden mich mit Schimpf und Spott verfolgen. ›Seht da die Närrin‹, würde der eine sagen; ›es muss im Blute liegen und bald wird auch sie das Fleisch roh fressen, wie ihre Schwester.‹ … ›Seht da die Einfältige‹, würde der andere bemerken, ›welche einen Bauern statt einen Ihresgleichen nimmt.‹ .... ›Seht da die schlechte Tochter‹, würde jedermann sagen, ›welche ihren Eltern, die ihr doch nie etwas abschlagen, so vielen Kummer macht! O, über die Freche, Schamlose, welche diesen ganzen Skandal um eines Landbuben willen angefangen, weil dieser fünf Fuß, acht Zoll misst! Warum nicht ebenso gut für ihren Ackerknecht oder für den Vetter Cadoche, welcher von Haus zu Haus bettelt?‹.... Kurz, das Aufsehen würde kein Ende nehmen, und es ist für ein junges Mädchen doch nicht sehr angenehm, um der Liebe eines Mannes willen sich allem dem auszusetzen.«

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Data wydania na Litres:
06 grudnia 2019
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