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Czytaj książkę: «Der Müller von Angibault», strona 19

Czcionka:

26. Kapitel.
Die Nachtwache

Der Tanz währte im Pachthof länger als jemals. Die Dienstboten hatten sich darein gemischt und dicker Staub wirbelte unter ihren Füßen auf, welcher Umstand jedoch den Bauer aus dem Berry keineswegs verhindert, mit Wut zu tanzen, so wenig als dies Steine, Sonne, Regen oder die Anstrengungen der Heumahd oder der Ernte zu tun imstande sind. Kein Volk tanzt mit größerer Gravität und Leidenschaft zugleich. Wenn man diese Leute in der Bourrée vorwärts und zurückgehen sieht, so langsam und regelmäßig, dass ihre enggeschlossenen Quadrillen den Schwingungen eines Uhrenpendels gleichen, wird man kaum begreifen, welches Vergnügen ihnen diese Übung gewähre. Noch weniger aber wird man die Schwierigkeit ahnen, diesen einfachen Rhythmus zu fassen, wobei es erforderlich, dass jeder Schritt und jede Stellung mit strenger Genauigkeit abgemessen werde, so dass eine große Nüchternheit der Bewegungen und eine scheinbare Lässigkeit erforderlich sind, um es darin zur Vollkommenheit zu bringen und die Anstrengung zu verhehlen. Hat man den Tänzern aber eine Zeit lang zugeschaut, so erstaunt man über ihre unermüdliche Ausdauer, bemerkt an ihnen eine Art weicher und naiver Anmut, welche sie vor Erschöpfung bewahrt, und wenn man nicht selten die nämlichen Leute zehn oder zwölf Stunden unaufhörlich tanzen sieht, könnte man glauben, sie seien von der Tarantel gestochen, oder aber zu der Überzeugung gelangen, dass sie den Tanz mit Wut lieben.

Von Zeit zu Zeit verraten die jungen Leute ihre innerliche Freude durch ein eigentümliches Geschrei, welches sie ausstoßen, ohne dass ihre Physionomie ihren unzerstörbaren Ernst verliert, und für Augenblicke machen sie auch, sich mit Gewalt emporschnellend, Sprünge wie ein Stier, um mit lässiger Geschmeidigkeit in ihr phlegmatisches Hin- und Herwiegen zurückzufallen.

Der Charakter des Berrichon ist vollständig in diesem Tanze ausgedrückt. Die Frauen betreffend, so müssen diese unabänderlich am Boden hinschleifen, was eine größere Leichtigkeit erfordert als man glaubt, und ihre Gebärden sind von strenger Keuschheit.

Rose tanzte die Bourrée so gut, wie nur irgendein Bauernmädchen, was nicht wenig sagen will, und ihr Vater schaute ihr mit Vergnügen zu. Die Fröhlichkeit war allgemein und die Musikanten, sattsam durchgefeuchtet, schonten weder Arme noch Lungen. Das Halbdunkel der schönen Nacht ließ die Tanzenden noch leichthinschwebender erscheinen und vor allen Rose, dieses hübsche Mädchen, welches einer weißen, über die ruhigen Wasser hinwippenden, vom Abendhauch dahingetragenen Möve glich. Die verhaltene Melancholie aller ihrer Bewegungen ließ sie an diesem Abend noch schöner erscheinen als sonst.

Rose, welche in ihrer angeborenen Einfachheit eine echte Bäurin des schwarzen Tales war, fand indessen an dem Tanze nur deshalb Vergnügen, weil sie ihn als eine Vorübung zu den zahllosen Tänzen betrachtete, zu welchen sie der große Louis am morgigen Tage zweifelsohne auffordern würde.

Aber plötzlich schwankte der Dudelsackbläser auf dem Fass, welches ihm zum Standpunkt diente, und die noch in seinem Instrument enthaltene Luft verflüchtigte sich mit einem bizarren und kläglichen Ton, welcher die Tänzer zwang, verwundert innezuhalten und sich gegen den Musicus zu kehren. Im selben Augenblick rollte die Leierorgel, gewalttätig dem andern Musikanten aus der Hand gerissen, zu Roses Füßen und die Wahnsinnige warf sich, von dem ländlichen Orchester springend, aus welches sie sich mit dem Sprung einer wilden Katze geschwungen, mitten in die Bourrée, schreiend:

»Unglück, Unglück über die Meuchelmörder! Unglück über die Henker!«

Dann stürzte sie auf ihre Mutter zu, welche vorgetreten war, um die Unglückliche zurückzuhalten, schlug ihr die Nägel ihrer Finger in den Hals und hätte sie unfehlbar erdrosselt, wenn nicht die alte Mutter Bricolin dies verhindert hätte dadurch, dass sie die Wahnsinnige in ihre Arme fasste.

Die Bricoline hatte niemals eine Gewalttat gegen ihre Großmutter gewagt, sei es, dass sie für dieselbe, ohne sie wiederzuerkennen, eine Art instinktmäßige Anhänglichkeit bewahrte, sei es, dass sie dieselbe von allen andern allein wiedererkannte oder auch, dass sie eine Erinnerung daran behalten hatte, wie sehr ihre Großmutter sich angestrengt, ihre Liebe zu begünstigen. Sie leistete daher keinen Widerstand und ließ sich von ihr in das Haus führen, wobei sie jedoch ein herzzerreißendes Geschrei ausstieß, welches Bestürzung und Schrecken in alle Gemüter warf. Als Marcelle, welche der Wahnsinnigen so schnell als möglich gefolgt war, in dem Hofe ankam, fand sie das Fest unterbrochen, jedermann erschrocken und Rose beinahe ohnmächtig.

Frau Bricolin litt ohne Zweifel im Grunde ihrer Seele, wäre es auch nur, weil sie die Wunde ihres Innern allen Blicken bloßgestellt sah, aber es war in ihren Anstrengungen, die Raserei der Verrückten und das Geschrei derselben zu unterdrücken, eine Heftigkeit und Energie, welche mehr der Festigkeit eines einen Ruhestörer einkerkernden Gendarmen, als der Unruhe einer verzweifelnden Mutter gleichsah. Die Großmutter Bricolin bewies ebenso viel Eifer, aber zugleich weit mehr Gefühl.

Es war ein schmerzhafter Anblick, die arme Greisin mit ihrer rauen Stimme und ihren männlichen Manieren die Wahnsinnige liebkosen zu sehen wie ein kleines Kind, welches man abwechselnd ausschilt und schmeichelt.

»Komm’, komm’, Kleine«, sagte sie; »du, die sonst so ordentlich ist, wirst doch deiner Großmutter keinen Verdruss machen wollen? Du musst dich ruhig zu Bette legen, sonst wirst du mich böse machen und ich werde dich nicht mehr liebhaben.«

Die Wahnsinnige verstand nichts von diesem Zureden und hörte es nicht einmal. Zu Füßen ihres Bettes zusammengekauert, stieß sie ein furchtbares Geheul aus und ihre kranke Einbildungskraft überredete sie, dass sie in diesem Augenblick jene Züchtigungen und Martern ertrüge, von welchen sie Marcelle ein so phantastisches Gemälde entworfen. Frau von Blanchemont ihrerseits musste sich, nachdem sie sich vor allen Dingen überzeugt hatte, dass ihr Kind unter Fanchons Obhut ruhig schliefe, mit Rose beschäftigen, welche vor Furcht und Kummer außer sich war.

Heute zum ersten Mal hatte die Bricoline den Hass, welcher sich seit zwölf Jahren in ihrem gebrochenen Herzen aufgehäuft, hervorbrechen lassen. Bisher hatte sie höchstens einmal in der Woche geschrien und geweint, so oft nämlich ihre Großmutter darauf bestand, dass sie die Kleider wechsle. Aber das war nur das Schreien eines Kindes gewesen und jetzt war es das einer Furie. Sie hatte bisher niemand angeredet und jetzt hatte sie seit zwölf Jahren zum ersten Mal Drohungen ausgestoßen. Nie hatte sie jemand geschlagen und jetzt hatte sie ihre Mutter umbringen wollen, kurz, seit zwölf Jahren hatte dieses Opfer der Habgier seiner Eltern sein unaussprechliches Leiden jedermann verborgen, so dass beinahe alle Welt mit einer Art brutaler Gleichgültigkeit an dieses beklagenswerte Schauspiel sich gewöhnt hatte.

Man hatte keine Furcht vor ihr, man ertrug ihre Gegenwart wie ein notwendiges Übel, und wenn man Reue empfand, so gestand man vielleicht dieselbe nicht einmal sich selbst. Aber das entsetzliche Übel, welches die Arme verzehrte, musste notwendig verschiedene Phasen haben und jetzt war eine eingetreten, welche ihren Wahnsinn andern gefährlich machte. Man musste also einen ernsten Entschluss fassen. Herr Bricolin hörte, vor der Haustüre sitzend, mit einfältiger Miene den plumpen Beileidsbezeugungen seiner Verwandten zu.

»Das ist ein großes Unglück für Sie«, sagte man ihm, »und Sie haben es allzu lange ruhig mitangesehen. Das übersteigt menschliche Kräfte und Sie müssen sich endlich wohl entschließen, die Unglückliche in ein Narrenhaus zu tun.«

»Man wird sie nicht kurieren«, entgegnete er kopfschüttelnd. »Ich habe alles probiert. Es ist unmöglich. Ihr Übel ist zu groß, sie muss daran sterben.«

»Das wäre auch das beste für sie. Sie sehen doch, dass sie sehr zu beklagen ist. Wenn sie auch nicht kuriert werden kann, so wird man Sie wenigstens der Mühe überheben, sie zu pflegen und zu sehen. Man wird sie verhindern, ein Übel anzurichten; denn wenn Sie nicht Acht haben, wird sie am Ende jemand oder auch sich selbst vor Ihren Augen umbringen. Das wäre entsetzlich.«

»Aber was soll ich tun? Ich habe es ihrer Mutter hundertmal gesagt, diese jedoch will sich nicht von ihr trennen. Glaubt mir, sie liebt sie im Grunde noch immer. Die Mütter bewahren, wie es scheint, unter allen Umständen einige Zuneigung für ihre Kinder.«

»Aber sie wäre dort besser aufgehoben, seien Sie versichert. Man behandelt sie dort jetzt recht gut. Es gibt schöne Anstalten, wo man ihnen nichts abgehen lässt. Man hält sie reinlich, beschäftigt sie, lässt sie arbeiten, man sorgt, wie es heißt, sogar für ihr Vergnügen, führt sie in die Messe und macht ihnen Musik.«

»Wenn es so ist, sind sie ja glücklicher, als daheim«, versetzte Herr Bricolin. Dann fügte er nach augenblicklichem Nachdenken bei: »Aber das alles wird wohl viel kosten?«

Rose war tief ergriffen.

Sie war, ihre Großmutter ausgenommen, die einzige Person im Hause, welche für den Schmerz der armen Bricoline nicht unempfindlich geworden, und wenn sie es vermied, von der Sache zu sprechen, so geschah dies, weil sie es nicht tun konnte, ohne ihre Eltern des moralischen Meuchelmords anzuklagen. Zwanzigmal des Tages fühlte sie sich oft von zornigem Schauder überrascht, wenn sie aus dem Munde ihrer Mutter die selbstsüchtigen und habsüchtigen Maximen vernahm, denen ihre Schwester vor ihren Augen hingeopfert worden war. Sobald die Anwandlung von Ohnmacht, welche sie erlitten, vorüber war, wollte sie ihrer Großmutter die Wahnsinnige beruhigen helfen, allein Frau Bricolin, welche besorgte, diese Szene möchte einen zu starken Eindruck auf Rose machen, und der ein unbestimmter Instinkt sagte, dass ein ausschweifender Schmerz ansteckend sein könne, sogar in seinen physischen Folgen, wies sie mit jener Härte zurück, welche sie selbst jetzt in so wohlbegründeter Angst nicht verließ. Rose wurde durch diese Zurückweisung im höchsten Grade aufgebracht und kam in ihr Zimmer zurück, wo sie, eine Beute der lebhaftesten Aufregung, einen Teil der Nacht auf und ab ging, ohne zu sprechen, aus Furcht, sie möchte sich auf Kosten ihrer Eltern in Marcelles Gegenwart zu hart ausdrücken.

Diese Nacht, welche mit einer so süßen Freude begonnen, musste demnach für Frau von Blanchemont außerordentlich peinlich werden. Das Geschrei der Wahnsinnigen hörte zuweilen auf, aber nur um wieder schrecklicher und entsetzlicher zu beginnen. Es erlosch beim Aufhören nicht allmählich, sondern brach im Gegenteil mitten in der äußersten Stärke ab, wie wenn ein gewaltsamer Tod es plötzlich unterbrochen hätte.

»Sollte man nicht meinen, man ermorde sie?« rief Rose aus, kaum imstande, sich zurückzuhalten und fortwährend im Gemache hin- und hergehend. »Ja, das ist wie eine Hinrichtung!«

Marcelle wollte ihr nicht mitteilen, welche entsetzlichen Martern die Wahnsinnige zu ertragen wähnte und in Gedanken auch wirklich ertrug. Sie verschwieg ihr die Unterredung, welche sie mit der Unglücklichen im Parke gehabt. Von Zeit zu Zeit sah sie nach der Kranken und fand dann dieselbe auf dem Fußboden ausgestreckt, die Arme um das Fußgestell ihres Bettes gewunden und wie erstickt von der Anstrengung des Schreiens, aber die Augen offen und starr und den Geist augenscheinlich in fortwährender Tätigkeit.

Ihr zur Seite kniete die Großmutter und versuchte vergeblich, ihr ein Kopfkissen unterzuschieben und ihrem krampfhaft geschlossenen Mund ein beruhigendes Getränk einzuflößen. Bleich und unbeweglich saß Frau Bricolin gegenüber in einem Lehnstuhl und auf ihren energischen, stark gefurchten Zügen drückte sich ein tiefer Schmerz aus, welcher aber nicht einmal vor Gott ihre Schuld bekennen wollte. Die dicke Chounette schluchzte mechanisch in einer Ecke, ohne ihre Dienste anzubieten, ohne dass dieselben verlangt wurden.

Es lag über diesen drei Personen eine große Entmutigung. Die Wahnsinnige aber schien, wenn sie nicht heulte, in ihrem Hirne düstere Gedanken des Hasses zu wälzen. In dem benachbarten Zimmer hörte man Herrn Bricolin schnarchen, jedoch schien sein Schlaf keineswegs ruhig zu sein, sondern zeitweise von bösen Träumen unterbrochen zu werden. Noch weiter entfernt hörte man in dem gegenüberliegenden Verschlag den Großvater Bricolin husten und ächzen, der, fremd den Leiden der Übrigen, kaum Kraft genug besaß, seine eigenen zu ertragen.

Endlich, gegen drei Uhr morgens schien die Wucht des inzwischen ausgebrochenen Gewitters den exaltierten Organismus der Wahnsinnigen zu beschwichtigen. Sie schlief auf dem Boden ein und man legte sie, ohne dass sie es wahrnahm, in ihr Bett. Sie hatte zweifelsohne schon seit lange keinen Augenblick Schlaf genossen, denn sie verfiel jetzt in tiefen Schlummer und alle konnten sich jetzt zur Ruhe begeben, sogar Rose, welcher Marcelle diese gute Neuigkeit sogleich mitteilte. Hätte Marcelle nicht Gelegenheit gehabt, der armen Rose ihre Hingebung zu bezeigen, so würde sie wohl den unglücklichen Einfall verwünscht haben, demzufolge sie in dieses von Habsucht und Unglück bewohnte Haus gekommen, und gewiss hätte sie sich beeilt, sich ein anderes Obdach auszusuchen statt ihres jetzigen, welches so durch und durch prosaisch, im Glücke so unheimlich, im Unglück so schauerlich war. Aber welchen Widerwärtigkeiten sie sich auch noch ferner aussetzen sollte, sie beschloss dennoch zu bleiben, solange sie ihrer jungen Freundin hilfreich sein konnte.

Zum Glücke verging der Morgen ruhig. Alle Hausbewohner erwachten sehr spät und Rose schlief noch, als Marcelle, dank der Geschwindigkeit der jetzigen Postverbindungen, folgende Antwort auf den Brief empfing, welchen sie vor drei Tagen an ihre Schwiegermutter gerichtet hatte:

›Liebe Tochter!

Die Vorsehung möge Sie würdigen, Ihnen den Mut zu bewahren, welchen sie Ihnen eingehaucht hat! Ich verwundre mich nicht, dass Sie ihn besitzen, obgleich er groß sein muss. Loben Sie mich nicht um des meinigen willen. In meinem Alter hat man ja nicht mehr lange zu leiden! In dem Ihrigen… macht man sich glücklicherweise keine klare Vorstellung von der Länge und der Schwere des Lebens.

Ihre Absichten, liebe Tochter, sind löblich und vortrefflich und umso weiser, als sie notwendig sind, viel notwendiger noch als Sie meinen. Auch wir, teure Marcelle, auch wir sind nämlich zugrunde gerichtet und können unserm hochgeliebten Enkel vielleicht nichts vererben. Die Schulden meines unglücklichen Sohnes übersteigen Ihre Kenntnis und alle Voraussicht weit. Wir werden uns mit den Gläubigern auseinandersetzen, allein indem wir die Verpflichtungen unseres Sohnes auf uns nehmen, so müssen wir dadurch notwendigerweise Eduard des ehrenwerten Vermögens berauben, welches er nach unserem Hingang zu erwarten hatte.

Erziehen Sie ihn daher einfach, lehren Sie ihn aus seinen Talenten sich Hilfsquellen zu schaffen und seine Unabhängigkeit zu behaupten durch die Würde, womit er sein Missgeschick trage. Wann er ein Mann geworden sein wird, werden wir nicht mehr auf Erden sein und dann achte er das Andenken seiner Großeltern, welche edelmännischer Ehre den Vorzug gaben vor edelmännischen Vergnügungen und die ihm nur einen reinen und vorwurfsfreien Namen vermacht haben. Der Sohn eines Bankerottiers hätte nur verdammliche Freuden genießen können, der Sohn eines schuldigen Vaters aber wird sich wenigstens denen verpflichtet fühlen, welche seinen Namen vor öffentlicher Schmach sicherten.

Morgen werde ich Ihnen die Einzelnheiten schreiben, heute verhinderte mich daran die Verwirrung, in welche mich diese unheilvolle Entdeckungen gestürzt haben. Ich fasse mich also kurz; denn ich weiß, dass Sie alles verstehen und alles ertragen können. Leben Sie wohl, liebe Tochter, ich bewundere und liebe Sie!‹

»Eduard«, sagte Marcelle, ihren schlummernden Sohn mit Küssen bedeckend, »es war also im Himmel vorherbestimmt, dass du den Ruhm und vielleicht das Glück genießen solltest, in Rang und Reichtum deinen Vätern nicht nachzufolgen! So gehen also große, im Laufe der Jahrhunderte erworbene Glücksgüter an einem einzigen Tage zugrunde! So müssen also die vormaligen Herren der Welt, fortgerissen mehr noch vom Schicksalsschluss als von ihren Leidenschaften, in eigener Person die Beschlüsse der göttlichen Weisheit vollziehen helfen, welche die Kräfte aller Menschen unmerklich auszugleichen strebt! O mein Kind, mögest du eines Tages zu erkennen vermögen, dass dieses Gesetz der Vorsehung dir günstig ist, da es dich in die Herde der Schafe versetzt, welche zur Rechten von Christus stehen, und dich von den Böcken sondert, die da sind zu seiner Linken. O Gott, gib mir die notwendige Weisheit und Stärke, um aus diesem Kinde einen Menschen zu machen! Um einen Edelmann aus ihm zu machen, hätte ich nichts zu tun, als die Arme zu kreuzen und den Reichtum gewähren zu lassen. Jetzt aber bedarf ich der Erleuchtung und Begeisterung. O mein Gott, mein Gott, Du gabst mir diese Aufgabe zu lösen, Du wirst mich also nicht verlassen!«

Einige Augenblicke darauf schrieb sie Folgendes:

›Lemor, mein Sohn ist ruiniert, seine Großeltern sind ruiniert, mein Sohn ist arm! Er wäre vielleicht ein unwürdiger und verächtlicher Reicher geworden, jetzt handelt es sich darum, einen mutigen und edeln Armen ans ihm zu machen. Diesen Beruf hat die Vorsehung Ihnen aufbewahrt. Jetzt sprechen Sie wohl nicht mehr davon, mich zu verlassen? Dieses Kind, welches wie ein Hindernis zwischen uns stand, ist es jetzt nicht vielmehr ein teures und heiliges Band? Im Falle Sie in Jahresfrist mich noch lieben, wer sollte sich dann unserm Glück noch widersetzen können? Haben Sie Mut, mein Freund, reisen Sie! Über ein Jahr werden Sie mich in einer Hütte des schwarzen Tals, unweit der Mühle von Angibault wiederfinden.‹

Marcelle schrieb diese wenigen Zeilen mit Exaltation. Nur als ihre Feder den Satz: ›Im Falle Sie in Jahresfrist mich noch lieben‹ – niederschrieb, hauchte ein zauberisches Lächeln einen unbeschreiblichen Ausdruck über ihr Antlitz.

Zu besserem Verständnis legte sie diesem Billet den Brief ihrer Schwiegermutter bei, und nachdem sie das Couvert versiegelt, steckte sie es in die Tasche mit dem Gedanken, sie werde wohl den Müller bald wiedersehen und vielleicht auch Heinrich in seinem bäurischen Anzug, der ihm so gut stand.

Die Wahnsinnige schlief den ganzen Tag. Sie hatte das Fieber, aber dasselbe hatte sie seit zwölf Jahren keinen einzigen Tag verlassen, und ihre jetzige Betäubung, die man noch nie an ihr wahrgenommen, ließ an eine günstige Krisis glauben. Der Arzt, welchen man aus der Stadt herbeigeholt und der an ihren Anblick gewöhnt war, fand sie nicht kränker als gewöhnlich.

Beruhigt und den heitern Trieben der Jugend wiedergegeben, kleidete sich Rose langsam und mit vieler Koketterie an. Sie wollte einfach angezogen sein, um ihren Freund durch Entfaltung ihres Reichtums nicht aufzubringen; sie wollte aber auch hübsch sein, um ihm zu gefallen. So brachte sie es denn durch Anwendung der äußersten Sorgfalt dahin, bescheiden auszusehen wie ein Landmädchen und schön wie ein Engel.

Ohne es sich inmitten dieser schmerzlichen Vorfälle einzugestehen, hatte sie doch bei dem Gedanken, diesen festlichen Tag einzubüßen, ein wenig gezittert. In dem Alter von achtzehn Jahren verzichtet man nicht ohne Bedauern darauf, einen ganzen Tag über einen Mann zu berauschen, von welchem man sich geliebt weiß, und die Furcht vor dieser Entsagung hatte sich, ohne dass sie es wusste, in den tiefen und aufrichtigen Schmerz gemischt, welchen ihre Schwester ihr eingeflößt.

Als sie in der Kirche zum Hochamt erschien, passte der große Louis schon lange auf ihren Eintritt und hatte sich so gestellt, dass er sie keinen Augenblick aus den Augen verlor. Wie zufällig fand sie sich der großen Marie zur Seite, und er sah mit Entzücken, dass sie ihren schönen Schal der Müllerin unter die Knie legte, der Weigerung der guten Frau ungeachtet. Nach der Messe wusste Rose geschickt den Arm ihrer Großmutter zu ergreifen, welche ihre alte Freundin, die Müllerin, nicht mehr zu verlassen pflegte, wenn sie mit derselben zusammengetroffen; denn das Vergnügen eines solchen Beisammenseins wurde in dem Verhältnis seltener, in welchem das Alter der beiden Matronen die Entfernung zwischen Blanchemont und Angibault größer machte.

Die Großmutter Bricolin plauderte gar gerne. Von ihrer Schwiegertochter beständig aufs Maul geschlagen, wie sie sich ausdrückte, hatte sie immer einen lang zurückgestemmten Wortstrom in den Busen der Müllerin zu ergießen, welche weniger redselig, aber der Gefährtin ihrer Jugend aufrichtig ergeben, ihr mit Geduld zuhörte und mit Auswahl antwortete. Auf diese Art hoffte Rose den ganzen Tag lang der Überwachung ihrer Mutter und selbst der Gesellschaft ihrer Verwandten zu entgehen, denn ihre Großmutter zog es vor, sich mit Landleuten ihresgleichen, als mit den Emporkömmlingen ihrer Familie zu verkehren.

Im Schatten der alten Bäume der Gemeindewiese, angesichts einer reizenden Gegend, drängte sich die Menge der jungen Mädchen vor den Musikanten, welche je zu zwei auf ihren Gerüsten standen und mit äußerster Anstrengung ihrer Arme und Hände eine eifersüchtige Konkurrenz untereinander eröffneten, indem jedes Paar seine eigene Weise aufspielte und daran festhielt ohne alle Rücksicht auf die furchtbare Disharmonie, welche diese Vielzahl gellender, sich in solcher Nähe durchkreuzender Instrumente notwendig hervorbringen musste. Inmitten dieses musikalischen Chaos hielt sich jede Quadrille der Tanzenden unwankbar auf ihrem Platze, ließ sich nie von der Musik verwirren, welche, von einer andern Quadrille bezahlt, zwei Schritte entfernt heulte, und kam, dank der Stärke ihres Gehörs und der Gewohnheit nie aus dem Takte.

Die Wipfel der Bäume widerhallten von dem mannigfaltigsten Geschrei. Hier sang einer mit lauter Stimme, dort wurden mit Leidenschaft Geschäfte verhandelt; hier stießen einige auf gute Kameradschaft an, dort drohten andere, sich die Gläser an den Kopf zu werfen, während die ganze Versammlung von zwei einheimischen Gendarmen überwacht wurde, welche mit väterlicher Miene durch das Gewühl wandelten und deren Gegenwart hinreichte, um diese friedliche Bevölkerung, welche es von Worten selten zu Schlägen kommen ließ, in Frieden zu erhalten.

Der dichte Kreis, welcher sich um die ersten Bourréequadrillen gebildet hatte, verdichtete sich noch mehr, als die reizende Rose den Tanz mit dem großen Mehl-Händler eröffnete. Sie bildeten zusammen das schönste Paar des Festes und ihr sicheres und leichtes Schreiten elektrisierte alle übrigen. Die Müllerin konnte nicht umhin, die Großmutter Bricolin darauf aufmerksam zu machen und zu äußern, wie schade es sei, dass die beiden jungen, so schönen und so guten Leutchen einander nicht gehören sollten.

»Ich für mein Part«, entgegnete die alte Pächterin ohne Zaudern, »hätte gar nichts dagegen, wenn ich Herr wäre, denn ich bin sicher, dass meine Enkelin mit deinem Burschen glücklicher wäre, als mit irgendeinem. Ich weiß auch, dass der große Louis sie liebt; das sieht man gleich, obwohl er so gescheit ist, nichts davon zu sagen. Aber was willst du, arme Marie? Man denkt bei uns nur ans Geld. Ich bin so einfältig gewesen, all’ meine Habe an meinen Sohn abzutreten, und seit ich dies getan, gelte ich so wenig mehr, als ob ich schon tot wäre. Hätt’ ich’s anders gemacht, so würde ich jetzt das Recht haben, Rose nach meinem Willen zu verheiraten, indem ich sie aussteuerte. Wie die Sachen jetzt stehen, hab’ ich nichts mehr denn mein Gefühl; und das ist eine Münze, welche in unserm Haus nicht geht.«

Ungeachtet der Gewandtheit, womit Rose von einer Gruppe zur andern huschte, um ihrer Mutter auszuweichen, um sich immer wieder ihrem Freunde zur Seite oder gegenüber zu finden, gelang es der Frau Bricolin und ihrer Gesellschaft dennoch, sie aufzufangen und festzuhalten. Ihre Vettern tanzten sie müde und der große Louis entfernte sich klugerweise, denn er fühlte, dass die geringste Zänkerei ihm den Kopf bis zur Verrücktheit erhitzen würde. Man hatte zwar versucht, ihn durch verletzende Späße ‘rumzunehmen; allein der klare und kühne Blick seiner großen blauen Augen, seine verachtungsvolle Ruhe und sein hoher Wuchs hatten die Bravour der Bricolins in geziemenden Schranken gehalten.

Als er sich aber wegbegeben, ließ man dem Groll gegen ihn freien Lauf und Rose musste mit Erstaunen vernehmen, wie ihre Schwestern, Schwägerinnen und zahlreichen Basen in ihrer Gegenwart äußerten, dieser große Bursche sehe einfältig aus, tanze lächerlich, sei toll vor Aufgeblasenheit, und keine von ihnen würde nicht um die Welt mit ihm tanzen. Rose war nicht frei von Eigenliebe, denn man hatte so hartnäckig daran gearbeitet, diesen Fehler in ihr zu entwickeln, dass er notwendigerweise dann und wann an ihr hervortreten musste. Man hatte alles getan, um diese gute und offene Statur zu verderben und herabzuwürdigen, und wenn man es nicht dahingebracht, so kam es nur daher, dass es unverderbliche Seelen gibt, über welche das Böse keine Gewalt hat. Dessen ungeachtet machte es ihr Kummer, ihren Liebhaber so hartnäckig und bitter herabsetzen zu hören. Sie wurde verstimmt, wagte nicht mehr, auf einen Tanz mit ihm zu hoffen, erklärte, sie hätte Kopfweh, und begab sich in den Pachthof zurück, nachdem sie vergeblich Marcelle aufgesucht, deren wohltätiger Einfluss ihr, wie sie fühlte, Mut und Ruhe wiedergegeben hätte.

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Data wydania na Litres:
06 grudnia 2019
Objętość:
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