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Czytaj książkę: «Der Müller von Angibault», strona 18

Czcionka:

Vierter Tag

25. Kapitel.
Sophie

Die alte Müllerin versank in düstere Gedanken, welchen sie nach der Weise des Alters laut nachhing, während sie ihren Kleiderschrank öffnete und mechanisch ihr altertümliches Leibchen mit langen Schößen und die Schürze aus karierter Indienne herausnahm, welche sie als ein kostbares Kleidungsstück von ihrer Jugend her aufgehoben, und welche sie umso höher schätzte, als der Stoß damals viermal mehr gekostet hatte, als heutzutage ein viel schönerer kostet.

»Macht Euch keinen Kummer, Mutter!« redete sie plötzlich der große Louis an, welcher, ohne von ihr bemerkt zu werden, auf der Türschwelle erschienen war und ihr Selbstgespräch vernahm. »Macht Euch keinen Kummer; alles das wird enden, wie es Gott gefällt, aber Euer Sohn wird stets versuchen, Euch glücklich zu machen.«

»Ei, mein armes Kind, ich nahm dich nicht wahr!« versetzte die Müllerin, noch in ihrem Alter etwas beschämt, von ihrem Sohne überrascht worden zu sein, während ihre langen grauen Haare losgebunden über ihre Schultern hinabrollten; denn die Bäuerinnen ihrer Generation setzen im schwarzen Tal eine große Schamhaftigkeit darein, ihre Haare nicht zu zeigen. Allein die große Marie vergaß diese Bewegung einer überzeitigen Prüderie sogleich, als sie die Verwirrung und Blässe des Müllers bemerkte.

»Jesus, mein Sohn!« rief sie, die Hände faltend, »wie siehst du aus! Man sollte meinen, aller Regen, der diese Nacht gefallen, hätte dich allein getroffen! Ei, du bist ja bis auf die Haut durchnässt. Geh’ doch schnell, dich umzukleiden! Hast du denn nirgends ein Unterkommen gefunden? Und wie übel du aussiehst! Armes Kind, man sollte meinen, du wärest nahe daran, krank zu werden!«

»Ach, nein, Mutter, macht Euch keine unnützen Sorgen!« entgegnete der Müller, indem er sich zwang, seine gewohnte muntere Miene wieder anzunehmen. »Ich habe die Nacht über bei Freunden ein Unterkommen gefunden, bei Leuten, mit welchen ich Geschäfte abzumachen hatte und die mir ein treffliches Abendessen aufgetischt. Ich bin nur etwas vom Wetter mitgenommen worden, weil ich den Heimweg zu Fuß gemacht.«

»Zu Fuß? Aber was hast du denn mit Sophie angefangen?«

»Ich habe sie ausgeliehen dem… dem Dings da unten…«

»Wie, dem Dings da unten?«

»Ach, Ihr wisst wohl, bah, ich will es Euch später sagen. Wenn Ihr zur Kirchweih wollt, werde ich die kleine Schwarze nehmen und Euch auf derselben hinbringen.«

»Du hast Unrecht getan, Sophie auszuleihen, mein Kind. Das ist ein Tier, welches nicht seinesgleichen hat und geschont zu werden verdient. Ich hätte dich lieber die beiden andern ausleihen sehen.«

»Ich ebenfalls. Aber was wollt Ihr? Es hat sich nun einmal so getroffen. Nun, Mutter, ich will mich ankleiden und bitte, mich zu rufen, wenn Ihr fortwollt.«

»Nein, nein, ich sehe wohl, dass du diese Nacht kein Auge zugemacht, und will, dass du noch ein bisschen schlafen gehst. Es ist noch lange bis zur Messe. Ach großer Louis, wie siehst du aus! Man muss sich nicht so abmüden.«

»Seid ruhig, Mutter, ich fühle mich nicht unwohl und es soll nicht mehr vorkommen. Man muss sich eben manchmal ein bisschen anstrengen.«

Hiemit ging der Müller, welchen es noch trauriger machte, seine Mutter zu betrüben, deren Unruhe oder Unzufriedenheit sich immer nur mit sanfter, kluger Zurückhaltung ausdrückte, um sich mit einer Art von zorniger Aufregung auf sein Bett zu werfen, so dass Lemor erwachte.

»Sie wollen schon aufstehen?« fragte Heinrich und rieb sich die Augen.

»Nein, ich lege mich erst schlafen, wenn Sie nichts dagegen haben«, entgegnete der Müller, mit der Faust auf sein Bett schlagend.

»Freund, Sie sind verdrießlich«, fuhr Lemor fort, gänzlich ermuntert durch die unzweideutigen Zeichen des Ingrimms, welche der große Louis von sich gab.

»Verdrießlich? Ja, Herr, ich gestehe es, vielleicht mehr, als die Sache wert ist; allein es macht mir nun einmal mehr Sorge, als mir recht, ich kann nichts dafür.«

Und schwere Tränen entrollten den müden Augen des Müllers.

»Mein Freund«, rief Lemor, aus dem Bett springend und sich rasch in die Kleider werfend, »es ist Ihnen diese Nacht ein Unglück zugestoßen, ich sehe es wohl. Und ich schlief hier unbesorgt! Mein Gott, was soll ich tun? Wohin gehen?«

»Ach, gehen Sie nicht; das ist unnütz«, sagte der große Louis achselzuckend, als schäme er sich seiner Schwäche. »Ich bin die ganze Nacht hinlänglich umhergelaufen um nichts, ja, habe mich müde gelaufen bis zum Umfallen … um eines Tieres willen. Aber bei alledem, was wollen Sie? Man gewöhnt sich an Tiere, wie an Menschen, und man bedauert den Verlust eines alten Pferdes, wie den eines alten Freundes. Ihr versteht das nicht, Ihr andern, Ihr Stadtleute, aber wir, wir einfachen Bauersleute, wir leben mit den Tieren, von welchen wir uns kaum unterscheiden.«

»Ich verstehe, Sie haben Sophie verloren?«

»Verloren, ja, d. h. man hat sie mir gestohlen.«

»Doch wohl nicht gestern Abend in dem Parke.«

»Gerade dort. Sie erinnern sich, dass es mir wie eine schlimme Ahnung im Kopf herumgegangen? Nachdem ich Sie verlassen hatte, kehrte ich an den Ort zurück, wo ich Sophie verborgen hatte und von wo das arme Tier, geduldig wie ein Lamm, sich gewisslich nie entfernt hätte. Hat es doch sein Leben lang weder Zaum noch Halfter jemals zerrissen und doch, Herr, war Pferd und Zaum, alles war fort. Ich habe alles ausgesucht, umsonst. Zudem durfte ich nicht zu eifrig dem Tiere nachfragen, besonders auf dem Pachthof, das hätte zu reden gegeben! Man würde mich gefragt haben, wie ich denn, da ich doch auf meinem Gaule weggeritten, denselben unterwegs hätte verlieren können? Man würde geglaubt haben, ich wäre betrunken gewesen, und Frau Bricolin hätte gewiss nicht unterlassen, vor Jungfer Rose von einem schmählichen Abenteuer zu sprechen, das ich gehabt haben sollte, und das eines Mannes, der nur an sie denkt, doppelt unwürdig wäre. Anfangs meinte ich, man wolle mir einen Schabernack antun und durchsuchte daher alle Häuser. Das ganze Dorf war noch auf den Beinen. Ich ging anscheinend absichtsvoll von einem zum andern und besichtigte alle Ställe, selbst den Schlossstall, ohne dass man mich wahrnahm… nirgends eine Spur von Sophie! Blanchemont ist zu dieser Stunde mit Leuten des verschiedensten Gelichters angefüllt und gewiss fand sich da irgendein verschlagener Schelm, der, zu Fuß angekommen, sich zu Pferd entfernte, indem er sich sagte, das Fest sei für ihn ein gutes, bevor es noch begonnen, und er brauche weiter nichts mehr von selbem zu sehen… Doch denken wir nicht mehr daran. Glücklicherweise habe ich bei alledem nicht zu sehr den Kopf verloren. Ich ging rasch nach La Châtre, ich traf den Notar – es war freilich zu spät, er hatte schon zu Nacht gegessen und die Verdauung machte ihn etwas träge – allein er hat mir dennoch versprochen, zum Fest zu kommen. Nachdem ich ihn verlassen, stöberte ich die ganze Gegend durch und klopfte alle Büsche aus, wie ein Jäger bei Nacht. Ich bin bis Tagesanbruch in Regen und Gewitter umhergelaufen, in der Hoffnung, den Pferdedieb irgendwo versteckt zu finden; umsonst! Ich will mein Missgeschick nicht austrommeln; es würde nur Skandal verursachen und wie würden wir, so es zu einer gerichtlichen Verhandlung käme, dastehen mit unserer Geschichte von dem im Parke verborgenen und eine Stunde lang sich selbst überlassenen Gaul, ohne dass wir irgendeinen Grund hiefür anzugeben vermochten? Ich hatte sie weit von dem Orte Eurer Zusammenkunft angebunden, damit sie nicht durch eine zufällige Bewegung Geräusch verursache und Euch störe. Arme Sophie! Ich hätte mich sollen auf ihre Klugheit verlassen; sie würde sich nicht gerührt haben!«

»So bin also ich die Ursache dieses unglücklichen Zufalls! Großer Louis, ich bedaure denselben noch mehr wie Sie, und sie werden mir gewiss erlauben, Sie nach Kräften schadlos zu halten.«

»Still, Herr, ich kümmere mich verteufelt wenig um das wenige Geld, welches das alte Tier auf dem Markt gegolten hätte. Meinen Sie, dass ich mich über hundert Francs so beunruhigen würde? O nein, was ich bedaure, ist Sophie selbst, nicht ihr Wert. Für mich war sie unschätzbar. Sie war so mutig, so klug, kannte mich so genau! Ich bin gewiss, sie denkt zur Stunde an mich und sieht den, der Sorge für sie trägt, von der Seite an. Wenn er sie nur gut versorgt! Wüsste ich das, wäre ich fast getröstet. Aber er wird sie mit Peitschenhieben warten und ihr Kastanienhülsen vorsetzen; denn es muss so ein Marcheländer Filou sein, der sie auf einen seiner felsigen Berge zur Weide führt, statt auf die hübsche kleine Wiese am Flussufer, wo sie so gut lebte und wo sie noch mit den jungen Füllen närrisch tat, in so gute Laune versetzte sie stets der Anblick des Grünen. Und meine Mutter! Wie wird erst diese den Verlust bedauern, wozu noch kommt, dass ich ihr nie werde erklären können, wie dieses Unglück gekommen. Ich habe noch nicht den Mut gehabt, ihr etwas davon zu sagen. Sprechen Sie also nicht davon, bis ich in meinem Kopfe irgendeine Geschichte ausgeheckt, welche ihr die Neuigkeit weniger bitter machen kann.«

Es war in den naiven Klagen des Müllers etwas zugleich Komisches und Rührendes, und Lemor fühlte sich, trostlos darüber, dass er die Ursache dieses Unglücks sein sollte, davon so ergriffen, dass der gute Louis seinerseits ihn zu trösten begann.

»Nun, nun«, sagte er, »genug jetzt der Klagen um eine vierfüßige Kreatur! Ich weiß recht gut, dass Sie nicht an dem Unfall schuld sind, und habe keinen Augenblick daran gedacht, Ihnen einen Vorwurf zu machen. Es soll Ihnen die Erinnerung an das genossene Glück nicht stören, Freund; ist es doch bloß eine Kleinigkeit im Verhältnis zu dem Werte des schönen Abends, welchen Sie inzwischen verlebten. Sagen Sie der gnädigen Frau Marcelle ja nichts davon; sie wäre imstande, mir ein Pferd, das tausend Francs kostet, anzubieten, und das würde mir in der Tat Kummer machen. Ich will mich an keine Tiere mehr gewöhnen; man hat mit denselben so viele Mühe im Leben, wie mit den Menschen. Doch jetzt, sag’ ich, denken Sie an Ihre Liebe und machen Sie sich hübsch, doch immer in ländlicher Weise, um zu dem Feste zu gehen, denn man muss sich hier zu Lande allmählich an Ihren Anblick gewöhnen. Dies ist besser, als dass Sie sich verstecken, was auf der Stelle Verdacht erregen könnte. Sie werden die gnädige Frau Marcelle sehen, aber Sie werden nicht mit ihr sprechen, verstanden? Übrigens werden Sie wohl hiezu auch keine Gelegenheit haben, denn sie wird nicht tanzen, weil sie noch in Trauer ist. Aber Rose ist nicht in Trauer, potz alle Welt! und ich zähle darauf, bis Einbruch der Nacht mir ihr zu tanzen, vorausgesetzt, dass ihr niedlicher Papa nichts dagegen hat. Aber dies erinnert mich, dass ich eine Handvoll Schlaf bedarf, um nicht wie eine ausgegrabene Leiche auszusehen. Ärgern Sie sich also nicht, wenn Sie mich binnen fünf Minuten schnarchen hören.«

Der Müller hielt Wort und als man ihm gegen zehn Uhr seine schwarze Stute vorführte, die viel schöner, aber weniger geliebt war als Sophie, als er, angetan mit seinem Sonntagsstaat von feinem Tuch, das Kinn wohlrasiert, die Haut frisch, das Auge glänzend, die Flanken seines Rosses mit seinen kräftigen Schenkeln drückte, konnte die Müllerin, welche sich mit Hilfe eines Stuhles und der Arme Lemors hinter ihren Sohn setzte, eine Wallung des Stolzes, dass sie die Mutter des schönen Mehlhändlers sei, nicht unterdrücken.

Auf dem Pachthof hatte man nicht viel mehr geschlafen als in der Mühle, und wir sind genötigt, etwas zurückzugehen, um den Leser mit Ereignissen bekanntzumachen, welche in der Nacht vor dem Fest vorfielen.

Geteilt zwischen der peinlichen Aufregung, welche ihm die seltsame Begegnung mit der Wahnsinnigen verursachte, und der berauschenden Freude, Marcelle wiederzusehen, hatte Lemor in dem Parke nicht wahrgenommen, dass der Müller kaum ruhiger sei denn er selbst. Der große Louis hatte nämlich den Hof der Pächterei voller Bewegung und Tumult gefunden. Zwei Patachen und drei Cabriolette, welche die ganze Verwandtschaft der Bricolin herbeigeschafft hatten, standen längs der Ställe und Dunglegen hin. Alle armen Nachbarinnen waren, nach einem kleinen Lohn begierig, in Requisition gesetzt worden, um das Nachtessen für die Gäste bereiten zu helfen, welche zahlreicher und hungriger erschienen waren, als man erwartet hatte. Herr Bricolin, bei welchem die Eitelkeit, seinen Reichtum zu zeigen, den Verdruss über die Kosten dieser Schaustellung überwog, war in der besten Laune. Von seinen Töchtern, Söhnen, Basen, Neffen und Schwiegersöhnen kam eines nach dem andern, um ihn heimlich zu fragen, wann er seinen Herd in dem alten, wiederhergestellten und neueingerichteten Schlosse aufschlagen und den Namen Bricolin statt des Waffenschildes über das Tor setzen würde. Denn, hieß der allgemeine Refrain, du musst jetzt doch einmal Herr und Meister von Blanchemont werden und du wirst die Besitzung zur größern Ehre der neuen Aristokratie, des Adels der guten Taler, ein wenig besser verwalten denn alle die Grafen und Barone, welchen du nachfolgest. Bricolin war demzufolge trunken von Stolz und erwiderte seinen teuern Verwandten mit einem boshaften Lächeln fortwährend:

»Noch nicht, noch nicht! Vielleicht niemals!«

Es kitzelte ihn außerordentlich, sich mit der ganzen Wichtigkeit eines Schlossherrn zu brüsten. Die Ausgaben nicht mehr berücksichtigend, erteilte er mit donnernder Stimme und seinen dicken Wanst bis ans Kinn hinauf aufblasend seinen Dienstboten, seiner Mutter, seiner Tochter und seiner Frau Befehle.

Das ganze Haus war umgekehrt; die Mutter Bricolin rupfte noch zuckende Hühner dutzendweise und Frau Bricolin, welche, den Tumult in der Küche beherrschend, anfangs in einer mörderischen Laune gewesen war, begann jetzt auch nach ihrer Weise heiter zu werden, als sie das füllreiche Mahl, die aufgeputzten Gemächer und die Menge ihrer von Bewunderung hingerissenen Gäste erblickte.

Dank dieser Unordnung konnte der Müller Marcelle leicht unbemerkt ansprechen und konnte sie, eine Migräne vorschützend, dem Nachtessen sich entziehen und unterdessen mit Lemor in dem Wildgehege zusammenkommen. Auch Rose hatte ihrerseits, während man den Tisch deckte, diesen oder jenen guten Vorwand gefunden, um im Hof umherzulaufen und im Vorbeigehen einige freundschaftliche Worte an den großen Louis zu richten. Allein ihre Mutter, welche sie nicht aus dem Gesicht verlor, hatte bald ein Mittel ausfindig gemacht, um den Müller von ihr zu entfernen. Gezwungen, den Vorschriften ihres Mannes nachzuleben, der ihr strenge anbefohlen hatte, dem großen Louis kein böses Gesicht zu machen, war sie, um ihrem Hass genugzutun und Rosen um deren Freundschaft für den Müller willen eine Schmach anzutun, darauf verfallen, denselben bei ihren andern Töchtern und übrigen Verwandten, welche, die jungen wie die alten, alle mitsammen gleich boshaft waren, lächerlich zu machen. Schnell anvertraute sie einer nach der andern, dass dieser ländliche Schöngeist sich schmeichle, ihrer Tochter zu gefallen, dass Rose nichts davon wisse und nicht darauf achte, dass Herr Bricolin, welcher es nicht glauben wolle, ihn mit großer Güte behandle, dass sie aber aus guter Quelle die kuriose Tatsache wisse, der schöne Mehlhändler sei der Galan aller Mädchen von schlechtem Lebenswandel in der ganzen Gegend und habe sich oft gerühmt, dass er den reichsten Bürgermädchen gefalle, welchen immer er den Hof machen wolle, so gut, wie der Rose. Und nun nannte Frau Bricolin die anwesenden Mädchen und lachte herb und verächtlich, indem sie ihre Schürze, zurückschlug und ihre Faust in die Seite stemmte. Von Seiten des weiblichen Teils der Familie teilten sich diese Vertraulichkeiten so schnell von Mund zu Mund und von Ohr zu Ohr allen Bricolins des männlichen Geschlechtes mit, dass sich der große Louis, welcher an nichts dachte, als sich wieder mit Lemor zu vereinigen, rings mit Spitzworten bestürmt sah, die zu fad waren, um verständlich zu sein und zu treffen, und bei seinem Weggehen von schlecht ersticktem Gelächter und äußerst unverschämtem Geflüster begleitet wurde.

Nicht ahnend, welche Lustigkeit er erregte, verließ er den Pachthof unruhig, sorgenvoll und voller Verachtung für die schlechten Witze der diesen Abend zu Blanchemont versammelten Herrenbauern. Auf die Empfehlung der Frau Bricolin hin trug man Sorge, dass Herr Bricolin die Verschwörung nicht wahrnahm, und gab sich das Wort, folgenden Tags den Müller in Roses Gegenwart zu verfolgen; denn es war, wie die Pächterin meinte, notwendig, diesen Bauer in den Augen ihrer Tochter zu demütigen, damit diese aufhöre, ihrem guten Herz zu folgen, und anfange, die Bauern künftig in gehöriger Entfernung zu halten.

Nach dem Nachtessen ließ man die Spielleute kommen und begann, zum Vorspiel des kommenden Tages, zu tanzen.

In der Pause, welche das Essen verursachte, hatte der Müller, dem daran lag, nach La Châtre zu kommen, den Liebenden versichert, dass die Lustigkeit im neuen Schlosse zu Ende sei, und sie gezwungen, sich für ihre Wünsche viel zu früh zu trennen. Als Marcelle in den Pachthof zurückkehrte, hatte man den Tanz wieder begonnen, und da sie das gleiche Bedürfnis der Einsamkeit und Träumerei empfand, welches Lemor in die Einöde des schwarzen Tals gelockt hatte, wandte sie sich wieder nach dem Park zurück und ging daselbst bis gegen Mitternacht langsam auf und ab. Der Ton des Dudelsacks, welchem sich der der Leierorgel einte, beleidigte in der Nähe das Ohr, aber in der Ferne übt diese ländliche Musik, welche zuweilen so anmutige Weisen vorbringt, die durch eine barbarische Harmonie noch origineller gemacht werden, einen Zauber, der einfache Gemüter durchdringt und das Herz eines jeden höher schlagen macht, welcher in den schönen Tagen der Jugend von diesen Klängen eingewiegt wurde.

Die kräftige, wenn auch etwas raue und gellende Vibration des Dudelsacks, das scharfe Knarren und tiefdringende Staccato der Leierorgel sind recht füreinander gemacht und verbessern sich gegenseitig. Marcelle hörte lange mit Vergnügen zu und bemerkend, dass der Reiz der Musik mit der Entfernung wuchs, befand sie sich zuletzt am entgegengesetzten Ende des Wildgeheges, verloren in den Traum eines idyllischen Lebens, in welchem, wie man sich leicht denken kann, ihre Liebe die Hauptrolle spielte. Aber sie hielt plötzlich inne, als sie die die Wahnsinnige fast vor ihren Füßen bewegungslos und wie tot auf der Erde ausgestreckt sah. Ungeachtet des Ekels, welchen ihr die furchtbare Unreinlichkeit des unglücklichen Geschöpfes einflößte, entschloss sie sich, nachdem sie vergeblich versucht hatte, die Ohnmächtige zu erwecken, dieselbe aufzuheben und sie eine Strecke weit zu tragen.

Sie lehnte die Arme an einen Baum, und da ihr die Kraft mangelte, dieselbe weiter zu tragen, entschloss sie sich, Hilfe von dem Pachthof herbeizuholen, als die Bricoline aus ihrer Erstarrung zu erwachen begann und mit ihrer fleischlosen Hand die langen, mit Gras und Sand vermengten Haare, welche ihr vor dem Gesicht hingen, wegzustreifen versuchte. Marcelle half ihr diesen Schleier, der sie am Atmen hinderte, beseitigen, und indem sie es zum ersten Mal wagte, sie anzureden, fragte sie, ob die Unglückliche leide.

»Gewiss, ich leide!« entgegnete die Wahnsinnige mit erschreckender Gleichgültigkeit und in einem Ton, wie wenn sie hätte sagen wollen: ›Ich lebe noch!‹ Dann setzte sie kurz und befehlerisch hinzu:

»Hast du ihn gesehen? Er ist zurückgekommen. Er will nicht mit mir reden. Hat er dir gesagt, warum?«

»Er hat mir gesagt, er werde wiederkommen«, erwiderte Marcelle, indem sie sich bemühte, dem Wahnsinn der Armen zu schmeicheln.

»Oh, er wird nie zurückkommen!« schrie die Wahnsinnige, mit Heftigkeit auffahrend: »er wird nie wiederkommen! Er hat Furcht vor mir. Alle Welt hat Furcht vor mir, weil ich sehr reich bin, sehr reich, so reich, dass man mir verwehrt hat, zu leben. Aber ich will nicht reich sein; morgen werde ich arm sein. Es ist Zeit, dass es ein Ende nehme. Morgen werden alle arm sein. Auch du wirst arm sein, Rose, und keine Furcht mehr einflößen! Ich werde die Boshaften bestrafen, welche mich töten, einsperren, vergiften wollen.«

»Aber es gibt auch Leute, welche Sie beklagen und Ihnen nur wohlwollen«, sagte Marcelle.

»Nein, solche gibt es nicht«, entgegnete die Verrückte, sich schreckbar gebärdend, »alle sind mir Feind. Sie haben mich gemartert, sie haben mir glühendes Erz in den Kopf gegossen, sie haben mich mit Nägeln an die Bäume geschlagen, sie haben mich öfter denn zweitausendmal von der Höhe der Türme aufs Pflaster geworfen, sie haben mit stählernen Nadeln mein Herz umgewühlt, sie haben mich bei lebendigem Leibe geschunden, weshalb ich mich nicht mehr anziehen kann, ohne entsetzliche Schmerzen auszustehen. Sie wollen mir die Haare ausraufen, weil mich diese etwas vor ihren Schlägen schützen aber ich werde mich rächen! … Ich habe eine Klagschrift entworfen; ich habe vierundfünfzig Jahre darauf verwandt, dieselbe in allen Sprachen niederzuschreiben, um sie allen Monarchen des Erdkreises zu übergeben. Ich will, dass man mir Paul zurückgebe, welchen sie in ihrem Keller eingekerkert halten und welchen sie martern wie mich. Ich höre ihn allnächtlich schreien, wenn man ihn martert; ich kenne seine Stimme. … Da, da, hören Sie?« setzte sie traurig hinzu, die munteren Töne des Dudelsacks mit ihren Ohren auffangend. »Sie sehen doch, dass man ihn tausend Tode leiden lässt! Sie wollen ihn verschlingen… aber sie sollen bestraft werden! Ja, sie sollen bestraft werden! Morgen will ich auch sie leiden lassen, ich! Sie sollen so leiden, dass sogar ich Mitleid mit ihnen haben werde…«

Indem die Unglückliche diese Worte mit rasender Geschwindigkeit hervorstieß, warf sie sich seitwärts in das Buschwerk und schlug die Richtung nach dem Pachthof ein, ohne dass es Marcelle möglich war, ihrem wahnwitzigen Laufen und Springen zu folgen.

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Data wydania na Litres:
06 grudnia 2019
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