Czytaj książkę: «George Sand – Gesammelte Werke»
George Sand
Gesammelte Werke
Romane und Geschichten
George Sand
Gesammelte Werke
Romane und Geschichten
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2020
1. Auflage, ISBN 978-3-962816-14-8
null-papier.de/652
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Consuelo
I. Band
II. Band
Die Gräfin von Rudolstadt
Erster Teil.
Zweiter Teil.
Dritter Teil.
Vierter Teil.
Fünfter Teil.
Sechster Teil.
Siebter Teil.
Achter Teil.
Die Grille oder die kleine Fadette
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebtes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Neunundzwanzigstes Kapitel.
Dreißigstes Kapitel.
Einunddreißigstes Kapitel.
Zweiunddreißigstes Kapitel.
Dreiunddreißigstes Kapitel.
Vierunddreißigstes Kapitel.
Fünfunddreißigstes Kapitel.
Sechsunddreißigstes Kapitel.
Siebenunddreißigstes Kapitel.
Achtunddreißigstes Kapitel.
Neununddreißigstes Kapitel.
Die Marquise
I
II
III
Indiana
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebtes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Schluss.
Lavinia - Pauline - Kora
Vorrede
Lavinia
Pauline
Kora
Literaturverzeichnis
Index
Danke
Danke, dass Sie sich für ein E-Book aus meinem Verlag entschieden haben.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr
Jürgen Schulze
Newsletter abonnieren
Der Newsletter informiert Sie über:
die Neuerscheinungen aus dem Programm
Neuigkeiten über unsere Autoren
Videos, Lese- und Hörproben
attraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr
https://null-papier.de/newsletter
Consuelo
I. Band
Erster Teil.
1.
Ja, ja, Mesdemoiselles, schütteln Sie die Köpfe so viel es Ihnen beliebt; die beste und folgsamste von allen ist – doch nein! ich nenne sie nicht; denn sie ist in meiner Klasse das einzige bescheidene Kind, und ich will sie nicht an eine so seltene Tugend bringen, welche ich Ihnen eben wünsche …
– In nomine Patris er Filii et Spiritus sancti sang die Costanza mit trotziger Miene.
– Amen, antworteten im Chore die übrigen jungen Mädchen.
– Bösewicht! sagte die Clorinda, indem sie dem Singmeister ein hübsches böses Gesicht machte und ihm mit dem Stiele ihres Fächers einen leisen Schlag auf die knochigen und gerunzelten Finger gab, welche noch ausgestreckt auf der Claviatur der Orgel ruheten.
– Kommt mit! sagte der alte Professore mit dem erfahrenen und ruhigen Wesen eines Mannes, welcher seit vierzig Jahren sechs Stunden täglich alle Launen und Schelmereien verschiedener Generationen von weiblichen Zöglingen zu bestehen hat. Er steckte seine Brille in das Futteral und seine Tabaksdose in die Tasche, ohne nach dem eifernden und spottenden Schwarme aufzublicken. Wahr ist es dennoch, setzte er hinzu, jenes wohlgesittete, lernbegierige, fleißige, gute Kind, von dem ich sagte, das sind Sie nicht, Signora Clorinda; und Sie nicht, Signora Costanza; Sie auch nicht, Signora Zulietta; die Rosina eben so wenig; und die Michela noch weniger …
– Dann bin ich’s … Nein, ich!… – Gar nicht, ich! … – Ich! – Ich! – riefen mit ihren flötenden oder schneidenden Stimmen fünfzig Blondinen und Brünetten und warfen sich wie ein Flug Möven auf eine arme Muschel, die das ebbende Meer auf dem Strande im Trocknen zurückgelassen hat.
Die Muschel, nämlich der Maestro (und fürwahr, kein treffenderes Gleichnis ließe sich für ihn erdenken, mit seinen eckigen Bewegungen, seinen schillernden Augen, seinen rotgefleckten Backen und besonders seiner weißen, sich in tausend steifen, spitzigen Löckchen kräuselnden Perrücke), der Maestro, sag’ ich, dreimal wieder auf die Orgelbank zurückgedrückt, so oft er sich erhob um hinwegzugehen, aber immer ruhig und unerschüttert, ganz wie eine von den Stürmen gewiegte und abgehärtete Muschel, ließ sich lange bitten; dass er diejenige seiner Schülerinnen nennen möchte, welche er, mit seinen Lobsprüchen sonst so karg, diesmal damit überhäuft hatte. Endlich, indem er tat, als ob er den Bitten, die seine Schlauheit hervorgerufen, nur mit Widerstreben wiche, griff er nach dem Magisterstabe, der ihm zum Taktschlagen diente, und trennte und teilte mittels desselben seinen undisziplinierten Haufen in zwei Reihen ab. Endlich schritt er zwischen diesem doppelten Spaliere leichter Köpfchen hindurch und blieb am Ende des Orgelchores vor einem kleinen Wesen stehen, das, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, die Finger in den Ohren, um nicht von dem Lärm gestört zu werden, seine Aufgabe halblaut, um niemanden zu stören, lernend, und zusammengebückt wie ein Äffchen, auf einer Stufe saß; mit feierlicher und triumphierender Miene blieb er stehen, den Fuß und den Arm vorgestreckt, wie Paris der den Apfel reicht, hier nicht der Schönsten, aber der Folgsamsten.
– Consuelo? die Spanierin? riefen in der ersten Überraschung die jungen Choristinnen wie aus einem Munde, dann brach ein allgemeines, homerisches Gelächter aus und lockte die Röte des Verdrusses und des Zornes auf die majestätische Stirn des Lehrers. Die kleine Consuelo, deren verstopfte Ohren von der ganzen Unterredung nichts gehört hatten, und deren zerstreute Augen aufs Geratewohl umherblickten ohne etwas zu sehen, so vertieft war sie in ihre Arbeit, – Consuelo merkte Anfangs nicht im geringsten auf all den Tumult, und als sie endlich die Aufmerksamkeit wahrnahm, welche sie erregt hatte, ließ sie ihre Hände aus den Ohren auf ihren Schoß und ihr Heft von ihrem Schoße auf die Erde fallen; starr vor Erstaunen saß sie da, verwirrt nicht, doch ein wenig erschreckt, und zuletzt stand sie auf und blickte hinter sich, um zu sehen, ob etwa dort irgend etwas Sonderbares oder Lächerliches wäre, das statt ihrer zu einer so lärmenden Lustigkeit Anlass geben mochte.
– Consuelo, sagte der Maestro, indem er sie ohne weitere Erklärung bei der Hand nahm, komm her, mein gutes Kind, und singe mir das Salve Regina von Pergolese, das du seit vierzehn Tagen übst und woran die Clorinde schon ein Jahr lernt.
Consuelo ging, ohne zu antworten, ohne Furcht, ohne Stolz, ohne Verlegenheit, mit dem Singlehrer an die Orgel; dieser setzte sich und gab mit triumphierenden Blicken seiner jungen Schülerin den Ton an. Rein, einfach, ohne Anstrengung sang Consuelo und es klangen unter den tiefen Wölbungen der Kathedrale hin die Töne der schönsten Stimme, die jemals dort erschollen war. Sie sang das Salve Regina ohne sich des kleinsten Gedächtnisfehlers schuldig zu machen und ohne einen Ton zu wagen, der nicht untadelhaft rein und voll geriet und immer am rechten Orte ausgehalten oder losgelassen; sie folgte nur ganz willenlos, aber mit der größten Pünktlichkeit den Anweisungen, welche der einsichtige Lehrer ihr gegeben hatte, und führte mit ihren gewaltigen Mitteln die wohlbedachten und richtigen Intentionen des trefflichen Mannes aus; so leistete sie mit der Unerfahrenheit und Unbewusstheit eines Kindes was wohl Kenntnis, Fertigkeit und Begeisterung einer vollendeten Sängerin nicht vollbracht hätten: sie sang mit Vollkommenheit.
Recht gut, mein Kind, sagte der alte Meister, der mit seinem Lobe stets sparsam war. Du hast mit Aufmerksamkeit studiert und du hast mit Bewusstsein gesungen. Das nächste Mal sollst du mir die Cantate von Scarlatti wiederholen, die ich dir eingeübt habe.
– Si, Signor Professore, antwortete Consuelo. Kann ich nun gehen?
– Ja, mein Kind. Mesdemoiselles, die Stunde ist aus.
Consuelo nahm ihre Hefte, ihren Bleistift und ihren kleinen Fächer von schwarzem Papier, den steten Begleiter der Spanierin wie der Venezianerin, den sie zwar fast niemals brauchte, aber immer bei sich hatte, und tat das alles in einen kleinen Kober. Dann verschwand sie hinter den Orgelpfeifen, schlüpfte behänd wie ein Mäuschen über die dunkle Treppe, die in die Kirche hinabführt, kniete an dem Mittelschiff vorübereilend einen Augenblick nieder, und eben als sie die Kirche verlassen wollte, traf sie bei dem Weihwasser einen schönen Herrn, welcher ihr lächelnd den Wedel reichte. Während sie nahm, schaute sie ihm gerad’ ins Gesicht mit der Unbefangenheit eines kleinen Mädchens, das seine Weiblichkeit noch nicht weiß und fühlt, und mischte so komisch ihre Bekreuzigung mit ihrem Dank, dass der junge Herr zu lachen anhob. Consuelo lachte ebenfalls; aber auf einmal, als ob es ihr einfiele, dass sie erwartet werde, fing sie an zu laufen und hatte im Augenblicke Türschwelle, Stufen und Vorhalle der Kirche hinter sich gelassen.
Unterdessen steckte der Professor seine Brille zum zweiten Male in seine große Westentasche, und sprach dabei zu den Schülerinnen, welche ihn schweigend umgaben:
– Schämen Sie sich, meine schönen Demoiselles! sagte er. Dieses kleine Mädchen, die jüngste unter Ihnen, die jüngste meiner Klasse, ist die einzige, die ein Solo ordentlich singen kann, und in den Chören lässt sie sich durch alle Dummheiten, welche Sie rechts und links machen, nicht irreführen, sondern ich höre sie immer richtig und sicher wie einen Klavierton. Eifer und Ausdauer besitzt sie, und außerdem was Sie alle, wie Sie da sind, nicht haben und niemals haben werden: Bewusstsein!
– Aha! hat er sein Schlagwort noch losgelassen! rief Costanza, als er hinaus war. Er hat es bloß neun und dreißigmal während der Stunde angebracht, und er wäre wahrhaftig krank geworden, wenn ihm das vierzigste entgangen wäre.
– Ein rechtes Wunder, wenn die Consuelo Fortschritte macht, sagte Zulietta. Sie ist so arm. Sie hat an weiter nichts zu denken als wie sie nur geschwind etwas lerne, um ihr Brot zu verdienen.
– Ihre Mutter soll eine Zigeunerin gewesen sein, setzte Michelina hinzu, und die Kleine hör’ ich, hat auf Gassen und Landstraßen gesungen, ehe sie hierher kam. Eine schöne Stimme hat sie, das kann man nicht bestreiten; aber sie hat nicht ein Fünkchen Geist, das arme Ding. Sie lernt auswendig, sie folgt sklavisch den Anweisungen des Professors, und dann tut ihre gute Lunge das Übrige.
– Mag ihre Lunge noch so gut sein, und hätte sie noch so viel Geist obenein, sagte die schöne Clorinda, so möchte ich doch nicht mit ihr tauschen, wenn ich meine Gestalt für die ihrige hingeben müsste.
– Da würdest Du auch nicht so gar viel verlieren, entgegnete die Costanza, welche niemals große Lust hatte, Clorindens Schönheit anzuerkennen.
– Nein! schön ist sie nicht, sagte eine andere, sie ist gelb wie eine Osterkerze und ihre großen Augen sind so nichtssagend, auch ist sie immer so schlecht angezogen: gewiss, ganz garstig ist sie. – Armes Mädchen! o, es ist ein recht großes Unglück für sie, das alles. Kein Vermögen, keine Reize!
So endete Consuelo’s Lob; durch dieses Bedauern hielten sich die anderen für die Bewunderung schadlos, welche ihnen der Gesang des Mädchens abgenötigt hatte.
2.
Es trug sich dieses in Venedig zu, vor etwa hundert Jahren und zwar in der Kirche der Mendicanti, als eben der berühmte Maestro Porpora daselbst die Proben der großen Vespermusik beschloss, welche er zu Mariä Himmelfahrt nächsten Sonntag auszuführen hatte. Die jungen Choristinnen, die so wacker von ihm ausgescholten wurden, waren Freischülerinnen jener Scuola, welche die Republik unterhielt, um junge Mädchen darin auszubilden und später auszustatten – soit pour le mariage, soit pour le cloître, sagt Jean Jacques Rousseau, der ihren herrlichen Gesang gerade auch um jene Zeit und in derselben Kirche bewundert hat. Gewiss erinnerst du dich, lieber Leser! seiner Schilderung und der reizenden Episode im 7. Buche der Confessions. Ich werde mich wohl hüten, diese Paar Seiten, die entzückend sind, dir hier abzuschreiben, denn die meinigen würdest du danach nicht wieder in die Hand nehmen mögen; und ich an deiner Stelle, lieber Leser, würde es eben so machen. Ich will nun hoffen, dass du die Confessions nicht gerade bei der Hand hast, und in meiner Geschichte fortfahren.
Nicht alle diese jungen Mädchen waren gleich arm, und es ist kein Zweifel, dass der äußerst gewissenhaften Verwaltung ungeachtet manche mit einschlüpften, für welche es weit mehr eine Spekulation als ein Bedürfnis war, auf Kosten der Republik ihren Unterricht in der Kunst und eine Ausstattung zu erhalten. Daher erlaubten es sich manche die heiligen Gesetze der Gleichheit zu vergessen, unter deren Anrufung es ihnen gelungen war, sich auf dieselben Bänke mit ihren wirklich armen Schwestern zu stehlen. Manche entzogen sich dann wohl wieder der ernsten Bestimmung, welche die Republik ihnen zugedacht hatte, und verzichteten, nachdem sie den Vorteil des unentgeldlichen Unterrichts genossen hatten, auf die Mitgift, um anderweitig sich ein glänzenderes Loos zu bereiten. Die Verwaltung hatte es nicht vermeiden können, zu den Lehrstunden bisweilen auch die Kinder armer Künstler zuzulassen, denen ihr unstätes Leben keinen längeren Aufenthalt in Venedig gestattete. Zu dieser Klasse gehörte die kleine Consuelo. Sie war in Spanien geboren und von dort nach Italien gekommen, ich weiß nicht ob über St. Petersburg oder Constantinopel, Mexiko, Archangel oder auf einem Wege, noch direkter, nach Zigeunerart, als die genannten.
Zigeunerin war sie nur durch Lebensweise und nach dem Redegebrauch, von Abkunft war sie weder irgendwie Gitana, noch Hindu, noch Israelitin; sie war von reinem spanischem Blute, von maurischem Ursprung ohne Zweifel, denn sie war so ziemlich braun und ihr ganzes Wesen war von einer Ruhe, wie solche nicht den umherschweifenden Stämmen eigen ist. Ich will hiermit von diesen Stämmen nichts Übles gesagt haben. Hätte ich mir Consuelo’s Gestalt erdacht, so weiß ich nicht, ob ich sie nicht von Israel hätte ausgehen lassen: so aber war sie von der Rippe Ismaels entstammt, ihr ganzes Wesen verriet das. Ich habe sie nicht gesehen, denn hundert Jahre bin ich noch nicht alt, aber man hat es mir versichert, und ich wüsste nicht, was sich dawider sagen ließe. Jener Wechsel von fiebrischem Ungestüm und stumpfer Abspannung, welcher die Zingarelle bezeichnet, war ihr fremd. Sie hatte nichts von der geschmeidigen Neugier und der unermüdlichen Zudringlichkeit einer bettelnden Ebbrea. Sie war so still wie das Wasser der Lagunen und zugleich so ämsig wie die leichten Gondeln, welche die Fläche desselben unablässig durchfurchen.
Da sie schnell wuchs und da sich ihre Mutter in großer Dürftigkeit befand, so trug sie Kleider, welche ihr immer um ein Jahr zu kurz waren: ihren langen vierzehnjährigen Beinen gab dies eine solche Art von wilder Grazie und Dreistigkeit des Schreitens, dass es zugleich lustig und traurig anzusehen war. Ihr Fuß ließ nicht erkennen, ob er klein sei, so plump war er bekleidet. Ihr Wuchs dagegen, umspannt von dem zu eng gewordenen und an allen Nähten durchbrochenen Leibchen, zeigte sich schlank und biegsam wie eine Palme, aber formlos, nicht gerundet, nicht verführerisch. Das arme Mädchen dachte daran nicht. Sie war es gewohnt, sich »Affe«, »Citrone«, »Mulattin« von den blonden, weißen und völligen Töchtern der Adria schelten zu hören. Ihr rundes, bleiches, unbedeutendes Gesicht würde niemanden aufgefallen sein, wenn nicht ihr kurzes, dichtes, hinter den Ohren zurückgeworfenes Haar und ihr ernsthafter, auf keinem Gegenstande verweilender Blick diesem Gesichte eine eigene, nicht gerade angenehme Sonderbarkeit gegeben hätten.
Ein Äußeres, das nie missfällt, verliert mehr und mehr die Fähigkeit, zu gefallen. Wer ein solches hat, wird durch die Gleichgültigkeit anderer gleichgültig gegen sich selbst gemacht und nimmt eine Vernachlässigung der Haltung an, welche immer mehr die Aufmerksamkeit von ihm abwendet. Die Schönheit nimmt sich in Acht, richtet sich ein, hält auf sich, betrachtet sich und stellt sich gleichsam stets sich selbst in einem eingebildeten Spiegel vor Augen. Die Hässlichkeit vergisst sich und lässt sich gehen. Doch gibt es zwei verschiedene Arten: die eine fühlt sich von Allen verworfen und sträubt sich dawider in steter Regung von Wut und Neid – das ist die wahre, die unbedingte Hässlichkeit; die andere ist unbefangen, sorglos, hat sich beschieden, scheuet nicht das Urteil und sucht es nicht, gewinnt aber die Herzen, indem sie den Augen wehe tut – so war Consuelo’s Hässlichkeit. Wohltäter, die sich ihrer annahmen, meinten wohl zuerst: wie Schade, dass sie nicht hübsch ist! besannen sich dann und nahmen den Kopf des Kindes so vertraulich, wie man der Schönheit nicht begegnet, in die Höhe.
»Man sieht dir’s am Gesicht an, Kleine!« sagten sie nun, »du bist ein gutes Geschöpf.«
Darüber freute sich Consuelo, obgleich sie recht gut wusste, dass dies hieß: »und bist eben weiter nichts.«
Indessen blieb der schöne, junge Herr, welcher ihr Weihwasser gereicht hatte, bei dem Weihkessel stehen und ließ die jungen »Scolari« eine nach der anderen an sich vorübergehen. Er betrachtete eine jede mit Aufmerksamkeit, und als die schönste von ihnen, die Clorinda, herbeikam, teilte er ihr das geweihte Wasser mit den Fingern mit, um des Vergnügens willen, die ihrigen zu berühren. Das junge Mädchen wurde rot vor Stolz und warf im Weitergehen ihm jenen halb scheuen halb dreisten Blick zu, welcher der Ausdruck weder des Selbstvertrauens noch der Scham ist.
Nachdem sie alle in das Innere des Klosters eingetreten waren, wendete sich der galante Patrizier wieder dem Schiffe zu und redete den Professor an, der inzwischen langsamer von der Empore herabgestiegen war.
– Beim Leib des Bacchus, rief er, lieber Meister! ihr müsst mir sagen, welche von euren Eleven das Salve Regina gesungen hat.
– Und weswegen begehrt ihr das zu wissen, Graf Zustiniani? entgegnete der Professor, während sie miteinander aus der Kirche traten.
– Um euch mein Kompliment zu machen, antwortete der Patrizier. Seit langer Zeit verfolge ich eure Vespermusiken, und bis in die Proben sogar, denn es ist euch bekannt, wie sehr ich dilettante der heiligen Musik bin – aber heut zum ersten male habe ich ein Stück vom Pergolese mit solcher Vollkommenheit singen hören; und die Stimme anlangend, so ist es wahrhaftig die schönste, die ich Zeit meines Lebens gehört habe.
– Glaub’s wohl, beim Christ! versetzte der Professor und nahm mit Behagen und mit Würde eine große Prise Tabak.
– Sagt mir also den Namen dieses himmlischen Wesens, das mich so hoch entzückt hat. Wie barsch ihr auch seid, und wiewohl ihr ewig klagt, so muss man doch gestehen, dass ihr aus eurer Schule eine der besten in ganz Italien gemacht habt; vortrefflich sind euere Chöre und euere Soli wirklich sehr schätzbar; jedoch sind die Musikstücke, welche ihr aufführen lasset, von so großem und strengem Stil, dass es den jungen Mädchen nur selten gelingt alle Schönheiten derselben zur Empfindung zu bringen.
– Sie bringen sie nicht zur Empfindung, sagte der Professor traurig, weil sie selber nichts davon empfinden! An frischen umfangreichen und metallreichen Stimmen haben wir, Gott sei Dank, keinen Mangel; aber die innere musikalische Anlage, hilf Himmel! wie selten ist die und wie unzulänglich!
– Wenigstens besitzet ihr doch eine von bewundernswürdigen Gaben. Ein herrliches Instrument, vollkommenes Gefühl und bemerkliche Schule! Sagt mir doch, wer es ist.
– Nicht wahr, entgegnete der Professor, indem er die Frage des Grafen überging, ihr habt euere Freude daran gehabt?
– Sie hat mir an’s Herz gegriffen, sie hat mir Tränen entlockt; und mit so einfachen Mitteln, mit so ungesuchten Effekten, dass ich bis heute keine Ahnung von der Möglichkeit hatte. Übrigens habe ich mich der Worte erinnert, die ihr mir beim Unterrichte in euerer göttlichen Kunst so oft wiederholt habt, teurer Meister! und zum ersten male habe ich deren Wahrheit begriffen.
– Was habe ich euch denn gesagt? versetzte der Maestro, indem sein Gesicht glänzte.
– Ihr habt gesagt, erwiderte der Graf, das Große, Wahre und Schöne in den Künsten ist das Einfache.
– Ich sagte euch aber auch, dass wir das Brillante, das Gewählte, das Kunstreiche haben, Eigenschaften denen man unter Umständen ebenfalls die Achtung und den Beifall nicht versagen kann?
– Ohne Zweifel. Jedoch zwischen diesen untergeordneten Eigenschaften und den wahrhaften Offenbarungen des Genius ist ein Abgrund, sagtet ihr. Wohlan, teurer Meister! euere Sängerin steht auf der einen Seite, sie ganz allein, und alle die anderen stehen drüben.
– Wahr, bemerkte der Professor sich die Hände reibend, wahr und gut gesagt!
– Sie heißt? nahm wieder der Graf das Wort.
– Wer? fragte boshaft der Professor.
– O, per Dio Santo, jene Sirene, oder vielmehr der Erzengel dessen Gesang ich hörte.
– Und was liegt denn an ihrem Namen, Herr Graf? sagte Porpora mit strengem Tone.
– Und warum wollt ihr aus diesem Namen ein Geheimnis machen, Herr Professor?
– Ich werde euch sagen: warum, sobald ihr mir gesagt haben werdet, weswegen ihr so hitzig seid, ihn zu erfahren.
– Ist es nicht ein sehr natürliches und in der Tat unwiderstehliches Gefühl, welches uns antreibt das zu kennen, zu nennen, zu erblicken, was unsere Bewunderung erregt?
– Sehr wohl, das ist aber nicht euer einziger Beweggrund; erlaubt mir, teuerer Graf, euch hierin Lügen zu strafen. Ich weiß wohl, ihr seid ein großer Musikfreund und ein Kenner, aber ihr seid daneben auch der Eigentümer des Theaters San Samuel. Es ist euer Interesse und noch mehr der Ruhm, den ihr darein setzet, die besten Talente und die schönsten Stimmen Italiens heranzuziehen. Ihr wisset wohl, dass bei uns die gute Schule ist, dass nur bei uns die strengen Studien gemacht und die großen Sängerinnen gebildet werden. Die Corilla habt ihr uns schon weggefischt, und da sie euch vielleicht nächstens durch ein anderweitiges Engagement wieder weggenommen wird, so streicht ihr um unsere Schule herum und spüret, ob wir nicht wieder so eine Corilla haben, die ihr dann auf dem Sprunge steht, uns wegzuschnappen. Dieses ist die Wahrheit, mein Herr Graf! bekennen Sie, dass ich die Wahrheit gesagt habe.
– Und wenn auch, teurer Maestro, entgegnete der Graf lächelnd, was tut das und was für Übles findet ihr darin?
– Was für Übeles? Ei, ein sehr großes, Herr Graf! Ihr verführt, ihr verderbt diese armen Geschöpfe.
– Holla, wie meint ihr das, toller Professor? Seit wann habt ihr euch denn zum Pater Guardian dieser brechlichen Tugenden gemacht?
– Ich meine das, wie es recht ist, Herr Graf, und ich kümmere mich nicht um ihre Tugend und nicht um ihre Brechlichkeit: aber ich kümmere mich um ihr Talent, das ihr auf eueren Theatern verbildet und zu Grunde richtet, indem ihr sie gemeines und geschmackloses Zeug singen lasset. Ist es nicht ein Jammer und eine Schande, diese Corilla, die auf dem besten Wege war, die ernste Kunst großartig zu erfassen, diese Corilla von dem Heiligen zum Profanen, vom Gebet zu den Possen, vom Altare zu den Brettern, vom Erhabenen zum Lächerlichen, von Allegri und Palestrina zu einem Albinoni und dem Bartscherer Apollini herabsteigen zu sehen?
– Somit schlagt ihr es mir aus Rigorismus ab, dieses Mädchen zu nennen, auf welches ich gar nicht einmal Absichten haben kann, da ich ja nicht weiß ob sie die übrigen für das Theater notwendigen Eigenschaften besitzt?
– Ich schlage es euch rund ab.
– Und ihr meint wirklich, dass ich sie nicht entdecken werde?
– Leider! entdecken werdet ihr sie, wenn ihr es euch vorsetztet: aber ich werde mein Möglichstes tun, um zu verhüten, dass ihr sie uns entreißet.
– Wohlan, Meister, halb seid ihr schon besiegt: denn euere geheimnisvolle Göttin habe ich gesehen, habe ich erraten, habe ich erkannt.
– So? sagte der Maestro mit einer zweifelnden und zurückhaltenden Miene, seid ihr euerer Sache auch gewiss?
– Meine Augen und mein Herz haben sie mir verraten, und um euch zu überzeugen, will ich euch ihr Bild entwerfen. Sie ist groß gewachsen: sie ist, glaub’ ich, die größte von allen euern Schülerinnen; sie ist weiß wie der Schnee von Friaul und rosenwangig wie der Morgenhimmel eines heiteren Tages. Sie hat Haare von Gold, Augen von Azur, eine liebliche Körperfülle und am Finger trägt sie einen kleinen Rubin, der meine Hand streifend mich in Flammen gesetzt hat wie ein magischer Funke.
– Bravo, rief Porpora, spöttisch lächelnd. In diesem Falle habe ich euch nichts zu verheimlichen. Euere Schönheit ist – die Clorinde. Geht doch hin und macht ihr euere verlockenden Anträge. Bietet ihr Gold, Diamanten, Putz. Ihr werdet sie ohne Mühe für euere Truppe gewinnen, und sie wird euch auch wohl die Corilla ersetzen können. Denn euer heutiges Theaterpublikum zieht ja ein paar schöne Schultern einer schönen Stimme, und ein paar herausfordernde Augen einem gebildeten Geiste vor.