Czytaj książkę: «Die große Inflation», strona 3

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Wenn Geld zu weich ist, kommt es oft zu einer Inflation. Wenn es, wie beispielsweise Gold, zu hart ist, kann eine Deflation die Konsequenz sein, was in der Regel dazu führt, dass das Geld gehortet wird und dem Wirtschaftskreislauf nicht mehr zur Verfügung steht20 – mit allen negativen Konsequenzen, wie etwa zur Zeit der Weltwirtschaftskrise zwischen 1929 und 1933. Die Kunst der Zentralbanken besteht also darin, das Geld nicht zu hart und nicht zu weich zu machen.

Auch mit dieser Theorie meint es die Realität aber nicht immer gut. Das Anwachsen der Geldmenge in Japan, den USA und der EU seit den 1990er Jahren hat dort nicht zu einer spürbaren Erhöhung des allgemeinen Preisniveaus geführt. Es ist, als müssten die Notenbanken gegen eine unersättliche Sparneigung andrucken, die das frische Geld ungenutzt in Horten verschwinden lässt.

Kaum jemand beschäftigte sich zu Anfang des Krieges mit der Frage, ob und nach welcher Theorie Reichskassenscheine oder Darlehenskassenscheine Geld waren. Die Hauptsache war, dass sie für die täglichen Einkäufe akzeptiert wurden. Die neu geschaffenen Scheine fanden schnell Verbreitung und wurden zu einem alltäglichen Phänomen. An ihre zweifelhafte Herkunft dachte in einer Zeit, in der Europa ganz andere Sorgen hatte, niemand. Waren sie nicht nach dem Krieg von 1870/71 schnell wieder verschwunden, dank der Reparationszahlungen aus Frankreich? War nicht die Teuerung der frühen Kriegsjahre moderat (gegenüber dem Dollar verlor die Mark zwischen Ende 1914 und 1916 nur etwa ein Fünftel) und war nicht vielmehr die Knappheit der Güter auf die Seeblockade der Alliierten zurückzuführen (und nicht etwa auf eine Verschlechterung des Geldes)? So gelangten die neuen Scheine gedankenlos in Umlauf und oft genug wieder in die Kassen der Reichsbank, wo sie den Status von Gold annahmen. So glaubte das Deutsche Reich, einem Rumpelstilzchen gleich, aus Stroh Gold zu spinnen.

Die Geldmenge ist nicht die einzige Determinante der Härte und Qualität einer Währung. Auch in der Zeit des Goldstandards hing die Glaubwürdigkeit einer Währung nicht allein an der Menge des Goldes in den Kellern der Notenbank, sondern mindestens so sehr am Glauben an die Wirtschaftskraft eines Landes. Banknoten wurden an der Stelle von Gold angenommen, solange man der Regierung vertrauen konnte, dass sie im Zweifelsfalle für ihr Versprechen geradestehen würde, Papiergeld in Gold zu tauschen. Ihr Versprechen konnte sie entweder einhalten, indem sie jede ausgegebene Note vollständig mit Gold hinterlegte oder indem sie über Steuereinnahmen verfügte, die es erlaubten, die nötige Menge Gold herbeizuschaffen. Je stärker die Wirtschaft und je solider der Haushalt eines Staates waren, desto weniger Edelmetall musste er auch in Zeiten des Goldstandards vorhalten, um dennoch eine über allen Zweifel erhabene Währung zu haben.

Die Geldmenge stieg in Deutschland während des Ersten Weltkriegs deutlich an. Die Geldbasis wuchs zwischen 1914 und 1918 von 10 auf 43 Milliarden Mark.21 Wenn dennoch kaum jemand einen Anlass sah, die Härte der Mark zu bezweifeln, so lag dies an der Stärke der deutschen Wirtschaft, die es ermöglichen würde, nach dem Ende des Krieges schnell zum Goldstandard zurückzukehren und alle finanziellen Versprechen einzulösen. Während der Anteil Großbritanniens an der Weltwirtschaft zwischen 1880 und 1913 von 38,2 auf 30,2 % schrumpfte, wuchs der deutsche Anteil von 17,2 auf 26,6 %. Deutschlands Industrieproduktion hatte die britische überholt. Die Stahlproduktion übertraf diejenige Russlands, Frankreichs und Englands zusammengenommen. Die Kohleproduktion lag mit 277 Millionen Tonnen knapp hinter derjenigen Großbritanniens, übertraf aber die französische bei weitem.

Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass ein Land mit zerrütteter Wirtschaft und schwacher Steuerbasis selbst unter den Bedingungen des Goldstandards keine starke Währung haben konnte. Kaum jemand sah die wirtschaftliche Achillesferse des Kaiserreichs, die in den kurzen Kriegen des 19. Jahrhunderts unsichtbar geblieben war: Die Steuerbasis von Bismarcks Koloss in der Mitte Europas war bereits in Friedenszeiten bestenfalls tönern. Das Reich lebte von einigen marginalen Steuern und von Zöllen (und war in dieser Hinsicht der heutigen EU vergleichbar), während die Länder, jedes für sich, eine eigene Steuerpolitik betrieben und sich in einen Wettbewerb um die niedrigste Belastung begaben. Deutschland war vor dem Ersten Weltkrieg, nach heutigen Maßstäben, eine Steueroase. Hat man aber je gehört, dass eine Steueroase einen Krieg gewonnen hätte? Eine wesentliche Voraussetzung nicht nur für eine stabile Währung, sondern auch für einen erfolgreichen Waffengang war der effiziente Zugriff auf Einkommen und Vermögen der Bürger und das darauf basierende Vertrauen eines weiten Kreises von Kreditgebern. Davon konnte 1914 keine Rede sein. Lediglich 3,5 % der Einnahmen des deutschen Staates kamen 1913 aus direkten Steuern, gegenüber 47,5 % in Großbritannien, welches bereits über eine moderne Steuerverwaltung verfügte. Die öffentlichen Ausgaben betrugen vor dem Krieg lediglich 15 % des Volkseinkommens. Bei allem Wohlstand, den Deutschland sich erarbeitet hatte, fehlte die finanzielle Infrastruktur für einen langen und verlustreichen Krieg. Woher das Geld nehmen, wenn der Gegner sich nicht besiegen ließ und seine Kassen außer Reichweite blieben? So stark Deutschland äußerlich erschien, die Kombination aus goldgebundener Währung, schwachem Steuerstaat und unterentwickelten Kapitalmärkten zwang die Regierung zu Kreativität bei der Finanzierung des Krieges. Die Ausweitung der Geldmenge war die logische Konsequenz. Das allein hätte aber auch nicht ausgereicht, um aus einer schleichenden Inflation eine trabende oder gar galoppierende zu machen.

18Die Zitate von Friedrich Bendixen finden sich in: Währungspolitik und Geldtheorie im Lichte des Weltkrieges, S. 27.

19Der Stein der Weisen, so viel ist heute sicher, befindet sich nicht in greifbarer Nähe. Gold kann nicht auf der Erde entstanden sein, ja nicht einmal in unserem Sonnensystem. Die größten hier verfügbaren Kräfte, die etwa im Inneren der Sonne wirken, setzen weniger als 10 MeV pro Nukleon (Proton oder Neutron) frei, was hinreichend ist für die Entstehung von Eisen, nicht aber für alle schwereren Metalle wie Blei oder die Edelmetalle. Die schwereren Elemente entstehen in einem r-Prozess (»r« steht für »rapid«), in welchem bei extrem hohen Temperaturen Neutronen eingefangen und zu neutronenreichen Atomkernen aufgebaut werden, die dann rasch, sehr rasch in die stabilen neutronenreichen Elemente wie Gold (oder instabile, aber langlebige Isotope wie Uran) zerfallen. Ein r-Prozess kommt durch eine Explosion mit sehr vielen Neutronen ins Laufen, aber wo und wie mag es dazu kommen? Astrophysiker gehen heute davon aus, dass die Kollision zweier Neutronensterne oder die Kollision eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch die nötigen Energiemengen freisetzt. Durch einen galaktischen Zufall werden die so geschaffenen Elemente, als seien es Sternentaler, auf die Erde geschleudert und dort, seit es Menschen gibt, hochgeschätzt. Vgl. dazu Stephan Rosswog: »Out of Neutron Star Rubble Comes Gold«. In: Physics 10, 131, Dez. 2017.

20Wie so oft im Zusammenhang mit monetären Phänomenen lässt sich auch hier oft nicht sagen, wer die Henne ist und was das Ei. Das Horten von Geld kann die Folge, aber auch die Ursache einer Deflation sein.

21Deutsche Bundesbank: Deutsches Geld- und Bankwesen in Zahlen 1876–1975, S. 14, 16, 37f.

Rathenaus Planwirtschaft

Unmittelbar nach Kriegsbeginn schrieb Walther Rathenau einen Brief an den Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg, in welchem er sich zur Verfügung stellte, sollte dieser ihn »für die Dauer des Feldzuges für jede, wie immer geartete Tätigkeit verwenden (…) wollen«.22 Bereits am 9. August erhielt er die Gelegenheit, dem preußischen Kriegsminister Erich von Falkenhayn seine Überlegungen zur Organisation des wirtschaftlichen Rückgrats der Kriegsanstrengung zu unterbreiten. Rathenau legte insbesondere dar, wie unter den Bedingungen der Blockade die nötigen Ressourcen für einen Zwei-Fronten-Krieg organisiert werden konnten. Falkenhayn sah in seinem Gesprächspartner nicht nur einen Mann mit guten Ideen, sondern auch den Richtigen, sie umzusetzen. Er beschloss, eine Kriegsrohstoff-Abteilung im Kriegsministerium einzurichten, in der die Beschaffung der kriegswichtigen Ressourcen zentral geplant und besorgt wurde. Zu deren Leiter ernannte er Rathenau, der sich damit plötzlich an einer der entscheidenden Stellen der deutschen Militärmaschinerie wiederfand. Damit nahm er die zu Helfferich spiegelbildliche Funktion ein. Die Mittel, die der Finanzminister irgendwie beschaffte, wurden von Rathenau und seiner Abteilung ihrer Verwendung zugeführt. Rathenau wurde der Mann, der über die Allokation eines großen Teils der staatlichen Ressourcen entschied.

Walther war der Sohn von Emil Rathenau, dem Gründer der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG), die es sich zum Ziel gemacht hatte, nach dem Vorbild von Thomas Edisons General Electric Corporation in Deutschland die Stromerzeugung und -verteilung voranzubringen und zu diesem Zweck auch die entsprechenden brauchbaren Produkte auf den Markt zu bringen. Das war eine außerordentliche Idee, denn im selbstverliebten Europa der Belle Époque hatten nur wenige Unternehmer begriffen, dass in den USA nicht nur sehr viel Getreide wuchs, sondern auch neue Techniken entwickelt wurden. So erwarb der ältere Rathenau Edisons Patente auf Glühbirnen für Deutschland. Die AEG war aber auch aus eigenem Recht erfinderisch, wie etwa die Erfindung des Drehstrommotors und die Entwicklung der drahtlosen Telegraphie (im Rahmen der gemeinsam mit Siemens & Halske gegründeten Tochtergesellschaft Telefunken) bewiesen. Die AEG war innerhalb weniger Jahre zu einem der großen Konglomerate in Deutschland aufgestiegen. Siemens und die AEG wurden für die Elektroindustrie, was Thyssen, Krupp und Stinnes für die Kohle- und Eisenindustrie wurden, Bayer, BASF und Höchst für die Chemische Industrie sowie die Deutsche, Dresdner und Danat Bank für die Kreditwirtschaft. Diese nationalen Champions steckten nach dem Vorbild der amerikanischen Trusts oder der mittelalterlichen Zünfte ihre Reviere in Syndikaten (heute »Kartelle« genannt) ab, um Konkurrenz zu vermeiden und Gewinne zu sichern. In den Syndikaten wurden Preise und Produktionsmengen einvernehmlich festgelegt, so dass niemand das Geschäft des anderen beschädigte. Für die Verbraucher bedeutete dies eine stabile Versorgung zu hohen Preisen und für die Unternehmer ein angenehmes Leben, in welchem sie sich nicht um niedrigere Kosten oder bessere Qualität kümmern mussten, um ihren Teil vom Kuchen zu verteidigen. In der wohlgeordneten Kaiserzeit versorgten die Syndikate einen meist dankbaren Staat mit Industriearbeitsplätzen und standen dem rasant steigenden allgemeinen Wohlstand jedenfalls nicht im Wege. Im Gegenzug wurde die Wirtschaft weitgehend in Ruhe gelassen, wenig besteuert und reguliert, in dem Vertrauen, sie werde schon von allein das Richtige tun. Industrielle und Bankiers mochten auf der gesellschaftlichen Bühne hinter Adel und Militär zurückstehen, ihr Ansehen und ihr Einfluss waren durch ihre Staatsnähe dennoch erheblich. In der Regierung standen ihnen die Türen immer offen, ihr Rat wurde gerne gehört und in entsprechenden Gremien institutionalisiert. Sie gehörten zum personellen Motor des Aufstiegs Deutschlands zur wirtschaftlichen (und damit auch militärischen) Großmacht.

In diesem Club der Firmenpatriarchen kannte jeder jeden, man war staatsnah, technikaffin und, je nach Neigung, patriotisch, national oder imperialistisch gesinnt. Walther Rathenau war doppelt Mitglied als Industrieller und Bankier, denn er hatte, um dem Vater seine Tauglichkeit zu beweisen und sich eine Existenz jenseits des Familienbetriebs aufzubauen, 1902 das Angebot angenommen, Vorstand der Berliner Handelsgesellschaft des legendären Bankiers Carl Fürstenberg zu werden. Sein Erfolg als Finanzier konnte ihn nicht darüber hinwegtrösten, dass er in der AEG nie wirklich das Ruder übernehmen durfte. Nach dem Tod seines ursprünglich als Firmenerbe vorgesehenen jüngeren Bruders Erich wurde er zwar Aufsichtsratsvorsitzender, aber in der Rolle eines zahnlosen Erben. Sein Vater hielt ihn für zu weich, für einen Mann von hohen Geistesgaben, dem aber der rohe Geschäftsinstinkt abgehe. Als Vorstandsvorsitzenden berief er Felix Deutsch, der zu allem Überfluss auch noch mit Lili Kahn, der einzig wahren Liebe in Walther Rathenaus Leben, verheiratet war.

Kreativ und außerordentlich werden Menschen oft erst, wenn es ihnen gelingt, Fertigkeiten und Ideen, die sie sich in einem Bereich angeeignet haben, auf einen völlig anderen zu übertragen, um dort etwas Neues zu schaffen. Walther Rathenau war von Ausbildung und Beruf her Techniker und Unternehmer, ein Mann auf dem Boden der Tatsachen. Solche Menschen denken viel über Zwecke nach und die Mittel, die zu ihrer Erreichung nötig sind – welche Produkte sich in welchem Markt zu welchem Preis verkaufen lassen. Manche (nicht eben viele, aber doch einige) geraten dabei ins Grübeln und fragen nach immer höheren Zwecken, ihres Unternehmens, ihrer eigenen Existenz oder des Staates, in dem sie etwas bewegen. Walther Rathenau wurde zu einem solchen Grübler. Er brachte ohnehin eine melancholische Veranlagung mit und einen ausgeprägten Sinn für alles Ästhetische. 1907 ließ er sich von Edvard Munch porträtieren, er umgab sich gerne mit den herausragenden Künstlern seiner Zeit, war gut mit Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal, Frank Wedekind, Alfred Messel und Harry Graf Kessler befreundet, förderte Maler, Musiker und Bildhauer, Schriftsteller und Journalisten. Er selbst schrieb zeitkritische Essays und Bücher über Philosophie, Ästhetik, Architektur, Ökonomie und Staatskunst, oft in einem schwermütigen, von Einsamkeit geprägten Ton.

Als Intellektueller und Industrieller wurde Rathenau in beiden Lagern schief angesehen. »Prophet im Frack« nannte man ihn, wobei ihm die einen das Prophetische und die anderen den Frack übelnahmen. Die Unternehmer zweifelten an der Tatkraft des Verfassers von Texten, die dem Zeitgeist entsprechen mochten, den Autor aber doch von der Praxis abhalten mussten. Was mochten sie sich gedacht haben, als Rathenau 1911 von den »Schatten« schrieb, die er sah, wohin er sich wendete? »Ich sehe sie, wenn ich abends durch die gellenden Straßen Berlins gehe; wenn ich die Insolenz unseres wahnsinnig gewordenen Reichtums erblicke, wenn ich die Nichtigkeit kraftstrotzender Worte vernehme (…) Eine Zeit ist nicht deshalb sorglos, weil der Leutnant strahlt und der Attaché voll Hoffnung ist. Seit Jahrzehnten hat Deutschland keine ernstere Periode durchlebt als diese (…).«23 Auf der anderen Seite akzeptierten seine Freunde aus der Kunstszene ihn nie vorbehaltlos als einen der ihren. Konnte der Vorstand einer Großbank und Erbe eines Industrieimperiums, der sich nie nach der Decke gestreckt und sein Brot nie mit Tränen gegessen hatte, wirklich bedeutende Texte zu Kunst und Philosophie schreiben? In seiner Doppelexistenz fehlte Rathenau am Ende in beiden Ställen der passende Geruch. Es blieb, in Lothar Galls Worten, »ein tiefes Misstrauen gegenüber der Person, die nicht recht einzuordnen, zu etikettieren war und die ihrerseits, bei aller äußeren intellektuellen Brillanz, die ihr die Mehrheit zugestand, in der Unsicherheit des Außenseiters verharrte«.24 In beiden Welten blieb er bestenfalls geachtet und oft nur geduldet.

Vielleicht hätte er es mit einer weniger komplizierten Persönlichkeit einfacher gehabt. Sein elitärer Habitus schaffte auch zu Freunden eine Distanz, die ihn zu einem Rätsel machte. »Er stand mir nahe, da wir sehr offen Alles miteinander besprachen und so viele gemeinsame Erlebnisse uns verbanden«, schrieb Max M. Warburg am Tag des Attentats, dem Rathenau im Sommer 1922 zum Opfer fiel, »aber er blieb mir immer fremd in seiner Auffassung, weil er zu sehr auf die Außenwirkung hin arbeitete, zu eitel war und zu häufig seine Ansichten änderte; er hatte eine große Combinationsgabe, aber ein ganz Großer war er doch nicht, er hatte mehr Talente als Größe, er war nicht ehrlich bis zum Äußersten und gefiel sich im Verdunkeln der Geschehnisse, anstatt Klarheit zu erstreben; es war mir körperlich direct schmerzhaft, wenn er so docierte und pathetisch paradoxierte, wo Einfachheit namentlich in der Jetztzeit für uns alle allein erträglich ist.«25 Robert Musil, der Rathenau ausführlich in seinem Roman Der Mann ohne Eigenschaften beschrieb, sah in ihm eine ziel- und wirkungslose Existenz, wie ein Faust ohne Mephisto, einen Menschen ohne festen Grund in Anschauungen oder Persönlichkeit, welcher sich rastlos für eine Moderne ereiferte, die ihm stets entglitt, weil sie sich am Ende immer anders manifestierte, als ein Mann ohne Eigenschaften es sich vorstellen konnte. Und dennoch nagte auch an seinen Kritikern stets der Zweifel, ob die Brillanz dieses Mannes nicht eine echte Substanz reflektierte, hatte er doch in Theorie und Praxis seine haushohe Überlegenheit gegenüber seinen einfacher strukturierten Zeitgenossen bewiesen.

1907 war Rathenau aus der Berliner Handels-Gesellschaft ausgeschieden und wurde Privatier. Er verfasste politische, ökonomische und literarisch-philosophische Schriften, engagierte sich in der deutschen Ostafrikapolitik und kaufte 1909 das Schloss Freienwalde nordöstlich von Berlin, das 1798/99 für Friederike Luise, die Witwe Friedrich Wilhelms II., erbaut worden war, um dort, in einem von Peter Joseph Lenné gestalteten Park, seinen Träumen nachzuhängen und Pläne zu schmieden. Diese exzentrische Figur liebte ihr preußisches Vaterland, wie es im friderizianischen Zeitalter seinen höchsten Ausdruck gefunden haben mochte. Vor dem Krieg sah Rathenau im alten Preußen ein ideales Staatsgebilde, in welchem die Krone und die Stände, die Künste und das Handwerk, das Militär und das Volk einen harmonischen Ausgleich gefunden hatten. Aber auch diese Verehrung war nie ohne Zweifel. So wenig er sich persönlich festlegen mochte, ob er Industrieller, Bankier oder Intellektueller war, so wenig konnte er sich in dem Konflikt zwischen dem altpreußisch-aristokratisch-ländlichen und dem bürgerlich-industriell-städtischen Lager entscheiden. Er gehörte allen Traditionen an, aber keiner mit Konsequenz. Niemand sprach ihm aber seine weltgewandte und kosmopolitische Erscheinung ab, vom Scheitel bis zur Sohle elegant.

Im Frühjahr 1914 war Rathenau 46 Jahre alt und hatte nahezu alles erreicht, wovon ehrgeizige Männer nur träumen können. Seine Existenz hatte eine traurige Note angenommen, denn er spürte, wie die meisten Männer in diesem schwierigen Alter, dass sich in seinem Leben nicht mehr viel Neues ergeben würde. Wonach noch streben, mit wem sich noch verbinden? Woher die Kraft für einen Aufbruch nehmen, wie das Falsche im Bequemen erkennen, warum Fesseln sprengen? Rathenaus Leben war auf höchstem Niveau langweilig geworden.

Alles Grübeln und Sinnieren fand im Sommer 1914 ein Ende. Rathenau zeigte sich vom Kriegsbeginn zwar nicht eben begeistert, denn er ahnte, dass nicht ein kurzes, reinigendes Gewitter bevorstand, sondern ein langes, zähes Ringen. »Den Stolz des Opfers und der Kraft durfte ich teilen«, schrieb er in der Rückschau, »doch dieser Taumel erschien mir als ein Fest des Todes, als die Eingangssymphonie eines Verhängnisses, das ich dunkel und furchtbar, doch niemals jauchzend (…) geahnt hatte.«26 Wie fast das ganze bürgerliche Deutschland empfand er ein »Emporgerissensein, Pathos der Not, Schicksalsergriffenheit, Kraftgefühl und Opferbereitschaft«, das Ende eines bleiernen Zeitalters. Eine ganze Generation spürte eine Opfer- und Todesbereitschaft, »Befreiung aus einer Welt-Stagnation, (…) Zukunftsbegeisterung«.27 Die drohende Langeweile verflog mit einem Schlag für immer aus Rathenaus Leben. Seine rationale Seite mochte den Anlass für den Krieg für nicht eben überzeugend halten, und der Lärm und der Rausch erschienen ihm würdelos. Aber sein Patriotismus gebot es ihm, sich ganz der deutschen Kriegsanstrengung zur Verfügung zu stellen und im selben Zug seine Midlife-Crisis zu beenden. Also schrieb er seinen Brief an den Reichskanzler.

So wollten es die Umstände, dass mit Rathenau ein Mann zur Verfügung stand, wie ihn die Militärführung sich kaum besser wünschen konnte. Denn die sofortige und grenzenlose Bereitstellung der Finanzmittel war nur das eine. Sehr viel anspruchsvoller war die Aufgabe, die Mittel in die richtige Richtung zu leiten und ihre Verwendung zu organisieren. Die Wirtschaft musste auf Kriegsproduktion umgestellt werden. In normalen Zeiten sorgt der freie Markt dafür, dass die richtigen Güter in der richtigen Menge hergestellt werden, aber in einer solchen Situation dauerte der Preisfindungsprozess zu lange, und der Staat wollte und konnte nicht in Konkurrenz mit der privaten Nachfrage treten. Etwa wollte er die Reichsbahn für sich allein nutzen und dabei nicht erst die Reisenden auf dem Weg in die Sommerfrische überbieten müssen. Die Gesetze des Marktes mussten also zu einem guten Teil außer Kraft gesetzt werden. Dazu bedurfte es der Erfahrung in der Planung großer Betriebe, Sinn für Organisation und einen intelligenten Blick auf die Gesamtsituation – Talente, die sich selten in einer Person verbinden, mit denen Rathenau aber reich gesegnet war.

Als Jude, Bankier, Kaufmann und Zivilist war er zu dieser Zeit und im Kriegsministerium ein absoluter Fremdkörper. »Für die Oberkaste der Adligen, Offiziere und Höflinge, zu der er nun einmal nicht gehörte, war er ein ›Koofmich‹.«28 Er war aber wohl Snob genug, um sein Umfeld zu ignorieren und seiner Tätigkeit mit rücksichtsloser Effizienz nachzugehen. Er hatte die Macht und (unausgesprochen und unbeabsichtigt) die Aufgabe, Staat und Wirtschaft grundsätzlich neu zu gestalten. Privilegien und Gewohnheitsrechte spielten, angesichts des alles überragenden Ziels, alle Ressourcen des Landes auf den Sieg hin zu konzentrieren, auf einmal keine Rolle mehr. »Eine Aufgabe also«, schrieb Golo Mann, »die seinem doppelten Ingenium wie keine andere entsprach. Hier durfte er zum ersten Mal ganz zeigen, was er konnte, nicht im Interesse dieses oder jenes Unternehmens, viel weniger im eigenen, sondern im Interesse des Staates, an den er leidenschaftlich glaubte, der Nation, der er sich zugehörig fühlte.«29 Rathenau war selten so vollkommen in seinem Element wie zu Anfang des Krieges.

Im Dezember 1915 schilderte er vor kleinem Publikum, noch spürbar erfüllt von seiner Leistung, wie er in rasender Geschwindigkeit eine mächtige Behörde aus dem Nichts geschaffen hatte, die die ganze deutsche Wirtschaft auf den Krieg ausrichtete. In der Kriegsrohstoff-Abteilung experimentierte Rathenau mit einem dritten Weg zwischen Plan- und Marktwirtschaft und etablierte eine Art Wirtschaftsregierung durch Experten, die keiner Ideologie verpflichtet waren. Er setzte auf nationaler Ebene Ideen um, mit denen er als großer Mitspieler im Elektro-Industrie-Kartell in anderer Weise schon lange vertraut war. »Es ist ein wirtschaftliches Geschehnis, das eng an die Methoden des Sozialismus oder Kommunismus streift, und dennoch nicht in dem Sinne, wie radikale Theorien es vorausgesagt und gefordert haben.«30 Beispielsweise bediente er sich des Mittels der Beschlagnahme. »Dieser Begriff der Beschlagnahme bedeutet nicht, dass eine Ware in Staatseigentum übergeht, sondern nur, dass ihr eine Beschränkung anhaftet (…). Diese Ware darf nur noch für Kriegszwecke verwendet werden.« »Der Güterverkehr gehorchte nicht mehr dem freien Spiel der Kräfte, sondern war zwangsläufig geworden.« Nichts durfte mehr verlorengehen, das Land konnte sich keinen Luxus und keine Verschwendung mehr leisten. Rathenau gründete »Kriegsgesellschaften«, Zwitterwesen aus Behörde und Unternehmen, die in ihren jeweiligen Branchen den wirtschaftlichen Kreislauf bis ins Detail kontrollierten. »Ihre Aufgabe ist es, den Zufluss der Rohstoffe in einer Hand zusammenzufassen und ihre Bewegung so zu leiten, dass jede Produktionsstätte nach Maßgabe ihrer behördlichen Aufträge zu festgesetzten Preisen und Bedingungen mit Material versorgt wird.« Unter Rathenaus sichtbarer Hand wurde die deutsche Wirtschaft zu einem einzigen gewaltigen Kartell umgebaut. An der Spitze dieser Konstruktion saßen aber nicht wie früher die Verbände, sondern wie ein wirtschaftlicher Generalstab die Kriegsrohstoff-Abteilung, die innerhalb weniger Monate zu einer der größten Behörden des Reichs heranwuchs. Der Organismus der Wirtschaft funktionierte nicht mehr nach dem Prinzip der freien Selbstorganisation, sondern wurde durch ein zentrales planendes Nervensystem gesteuert. Der Erfolg war beträchtlich: Deutschland gelang es, seinem Belagerungszustand zum Trotz, sich weitgehend selbst mit allen wesentlichen Gütern zu versorgen, die es bislang an den internationalen Märkten bezogen hatte.

Unter dem Stichwort »Zwangswirtschaft« ergriff Rathenaus Behörde eine Vielzahl von Maßnahmen. Etwa wurde eine Kriegsgetreidegesellschaft gegründet, welche die gesamte heimische Getreideproduktion und den -import kontrollierte. Das Kriegsernährungsamt war dafür zuständig, die Nahrungsmittel gleichmäßig und insbesondere an die Soldaten, Schwerstarbeiter und Stadtbevölkerung zu verteilen. Bald war eine unüberschaubare Zahl von Ämtern damit beschäftigt, den »richtigen« Preis für die lebensnotwendigen Waren festzusetzen. Aber welcher Preis ist schon richtig? Insbesondere in den Augen der Städter waren das Angebot und die Preise bestenfalls ein Witz. Ihr Zorn richtete sich aber nicht auf die staatlichen Stellen, sondern auf die Einzelhändler, denen sie vorwarfen, die Situation auszunutzen, indem sie knappe Waren in der Hoffnung auf höhere Preise zurückhielten. Im Juli 1915 wurde daher eine Preistreibereiverordnung erlassen, wonach niemand im Kriege eine höhere Gewinnspanne verlangen durfte als zu Friedenszeiten. Um die Richtigkeit der Preise vor dem Gesetz zu gewährleisten, wurden Preisprüfungsstellen dekretiert, die der Volkswirtschaftlichen Abteilung des Kriegsernährungsamts unterstellt waren und auf Kreisebene nicht nur kontrollieren, sondern auch die konsumierende Bevölkerung mit nützlichen Informationen versorgen sollten. Es gab Versuche, den »Kettenhandel« zu verbieten, also Zwischenhändler, Makler und Vermittler aus dem Markt zu verdrängen. Deutschland, das Land der Planer und Organisatoren, entschied sich im Krieg für eine weitgehend gelenkte Wirtschaft.

Unter den Bedingungen der Planwirtschaft wird meist der Mangel, den sie eigentlich beheben sollte, ungewollt verstärkt. Bei dem Bestreben, der Bevölkerung etwas Gutes zu tun und sie hoffentlich auch ruhigzustellen, werden die Preise regelmäßig zu niedrig festgesetzt. Die Konsumenten sind dadurch versucht, mehr zu kaufen, als sie benötigen, während die Produzenten angesichts dieser Hamsterei keinen Anreiz verspüren, mehr als das Nötigste herzustellen, wenn sie den Betrieb nicht sogar ganz einstellen oder ihre Ware an das Ausland verkaufen. Ausländische Produzenten werden ohnehin nicht mehr liefern und somit die Ware noch weiter verknappen. Die Festsetzung eines Preises allein löst nicht das Problem, gesuchte Güter erschwinglich zu machen. Um die Mangelerscheinungen in einer Wirtschaft mit staatlich gedeckelten Preisen zu beseitigen, müssen die Behörden also auch dafür sorgen, dass hinreichend Güter auf den Markt kommen. Die Erfolge der Zwangswirtschaft waren in dieser Hinsicht aber erwartbar gering. Es kam bald zu Versorgungsengpässen, die zu unschönen Szenen führten. So bemerkten in Leipzig im Mai 1916 vor einem Buttergeschäft wartende Frauen und Kinder, dass in dem Geschäft bereits Kundschaft bedient wurde, welche offensichtlich durch den Hintereingang Einlass gefunden hatte. Erregt klopften die Wartenden an das Schaufenster, und es dauerte nicht lange, bis auch Steine flogen. Es kam zum Tumult, die Polizei musste einschreiten. In anderen Teilen der Stadt meinten die Hausfrauen ähnliche Zustände bemerkt zu haben, und am Ende dauerte es drei lange Tage, bis das Feuer des Aufruhrs schließlich erstickt war.31

Das Vereinigte Königreich ging einen anderen Weg. Die Briten hielten schon lange den Markt für das ordnende Genie, das aus den unzähligen, mehr oder weniger wohlinformierten Entscheidungen der einzelnen Bürger, Unternehmen und Staatsorganen entsteht. War England in den Augen von Adam Smith, Napoleon und einer Reihe anderer kompetenter Beobachter eine nation of shopkeepers, so wollte Deutschland als das Land der Ingenieure glänzen, dessen Planer in den Komitees dank ihres Vorsprungs an Wissen und Erfahrung die besseren Entscheidungen trafen. Großbritannien entschied sich auch und gerade in dieser unsicheren Zeit dagegen, die Produktion staatlich zu organisieren. Vielmehr subventionierte der Staat die Unternehmer und kaufte, wenn die Preissteigerungen unerträglich wurden, hinreichend viele dieser knappen Güter auf, um sie dann zu einem Preis seiner Wahl an die Bevölkerung weiterzugeben. (Das Geld holte er sich über eine Kriegsgewinnsteuer wieder zurück.) Damit ging er bewusst das Risiko ein, zu viel für diese Waren zu zahlen, sind die Kaufleute doch am patriotischsten ihrer eigenen Geldbörse gegenüber. Aber die Preissignale, welche man als den Tastsinn der »Unsichtbaren Hand« in der Marktwirtschaft bezeichnen könnte, blieben erhalten. In Deutschland bedeutete deren Abwesenheit erhebliche Verzerrungen bei Konsum und Produktion, welche die Planer bald an ihre Grenzen brachten.

In Deutschland wusste man genau, was von den Briten zu halten war. 1915 erscheinen unter dem Titel Händler und Helden einige patriotische Besinnungen von Werner Sombart, einem prominenten und publizistisch aktiven Professor für Staatswissenschaften (später Volkswirtschaftslehre genannt). Darin überhöht er den Ersten Weltkrieg zu einem »Glaubenskrieg« zwischen »händlerischer und heldischer Weltanschauung und dementsprechender Kultur«.32 Die Engländer seien ein Händlervolk, das »an das Leben mit der Frage herantritt: was kannst du Leben mir geben; die also das ganze Dasein des einzelnen auf Erden als eine Summe von Handelsgeschäften ansieht (…)«. (14) Dort könne man durch »Handelstätigkeit zu Ehre und Ansehen gelangen«, was für die Gesellschaft zur Folge habe, dass sich »händlerische Weltanschauung und praktischer Kommerzialismus schließlich zu einer gar nicht mehr zu trennenden Einheit zusammenfügen«. (14) Zu beobachten sei ein »Kommerzialisierungsprozeß der gesamten englischen Kultur«, durch alle Schichten hindurch. »Kaum eines der heute lebenden Adelsgeschlechter Englands ist feudalen Ursprungs. So gut wie alle sind aus dem Kontor hervorgegangen.« (15) Selbst die englischen Philosophen seien sich nicht zu schade, sich auch wirtschaftlichen Themen zu widmen. »Platt und hausbacken fürwahr ist alle echt englische Ethik, (…) Und jeder Gedanke aus händlerischem Geist geboren« (18f.), wie man es dem Utilitarismus der Engländer in jeder Zeile anmerke. Krieg könne für ein Händlervolk »immer nur die Bedeutung haben, daß er materielle Interessen schützt oder verteidigt, (…) die Interessen der Kapitalbesitzer im Auslande«. (40) Darin unterscheide der Engländer sich nur oberflächlich vom Seeräuber. Dazu passend hätten die Engländer den Sport als Ersatz für den Krieg entwickelt, könne diesen doch der Händler »nimmermehr begreifen«. (48) Während die Händlerseele niemals »geistigen Kulturwert« hervorbringen könne, sei das »deutsche Heldentum« von ganz anderem Schlage. Deutsche Philosophen redeten von Pflicht, nicht von Glück. Der Held »will sich verschwenden, will sich opfern – ohne Gegengabe«. (64) Die Tugenden des Helden seien die entgegengesetzten des Händlers: »Opfermut, Treue, Arglosigkeit, Ehrfurcht, Tapferkeit, Frömmigkeit, Gehorsam, Güte.« (65).