Billigkeit. – Eine Fortbildung der Gerechtigkeit ist die Billigkeit, entstehend unter solchen, welche nicht gegen die Gemeinde-Gleichheit verstoßen: es wird auf Fälle, wo das Gesetz nichts vorschreibt, jene feinere Rücksicht des Gleichgewichts übertragen, welche vor- und rückwärts blickt und deren Maxime ist "wie du mir, so ich dir". Aequum heißt eben "es ist gemäß unserer Gleichheit; diese mildert auch unsere kleinen Verschiedenheiten zu einem Anschein von Gleichheit herab und will, daß wir manches uns nachsehen, was wir nicht müßten".
Elemente der Rache. – Das Wort "Rache" ist so schnell gesprochen: fast scheint es, als ob es gar nicht mehr enthalten könne, als eine Begriffs- und Empfindungs-Wurzel. Und so bemüht man sich immer noch dieselbe zu finden: wie unsere Nationalökonomen noch nicht müde geworden sind, im Worte "Wert" eine solche Einheit zu wittern und nach dem ursprünglichen Wurzelbegriff des Wertes zu suchen. Als ob nicht alle Worte Taschen wären, in welche bald dies, bald jenes, bald mehreres auf einmal gesteckt worden ist! So ist auch "Rache" bald dies, bald jenes, bald etwas mehr Zusammengesetztes. Man unterscheide einmal jenen abwehrenden Zurückschlag, den man fast unwillkürlich auch gegen leblose Gegenstände, die uns beschädigt haben (wie gegen bewegte Maschinen), ausführt: der Sinn unserer Gegenbewegung ist, dem Beschädigten Einhalt zu tun dadurch, daß wir die Maschine zum Stillstand bringen. Die Stärke des Gegenschlags muß mitunter, um dies zu erreichen, so stark sein, daß er die Maschine zertrümmert; wenn dieselbe aber zu stark ist, um vom einzelnen sofort zerstört werden zu können, wird dieser doch immer noch den heftigsten Schlag ausführen, dessen er fähig ist, – gleichsam als einen letzten Versuch. So benimmt man sich auch gegen schädigende Personen bei der unmittelbaren Empfindung des Schadens selber; will man diesen Akt einen Rache-Akt nennen, so mag es sein; nur erwäge man, daß hier allein die Selbst-Erhaltung ihr Vernunft-Räderwerk in Bewegung gesetzt hat, und daß man im Grunde nicht an den Schädiger, sondern nur an sich dabei denkt: wir handeln so, ohne wieder schaden zu wollen, sondern nur um noch mit Leib und Leben davonzukommen. – Man braucht Zeit, wenn man von sich mit seinen Gedanken zum Gegner übergeht und sich fragt, auf welche Weise er am empfindlichsten zu treffen ist. Dies geschieht bei der zweiten Art von Rache: ein Nachdenken über die Verwundbarkeit und Leidensfähigkeit des andern ist ihre Voraussetzung: man will wehetun. Dagegen sich selber gegen weiteren Schaden sichern, liegt hier so wenig im Gesichtskreis des Rache-Nehmenden, daß er fast regelmäßig den weiteren eigenen Schaden zuwege bringt und ihm sehr oft kaltblütig vorher entgegensieht. War es bei der ersten Art von Rache die Angst vor dem zweiten Schlage, welche den Gegenschlag so stark wie möglich machte: so ist hier fast völlige Gleichgültigkeit gegen das, was der Gegner tun wird; die Stärke des Gegenschlags wird nur durch das, was er uns getan hat, bestimmt. Was hat er denn getan? Und was nützt es uns, wenn er nun leidet, nachdem wir durch ihn gelitten haben? Es handelt sich um eine Wiederherstellung: während der Rache-Akt erster Art nur der Selbst-Erhaltung dient. Vielleicht verloren wir durch den Gegner Besitz, Rang, Freunde, Kinder – diese Verluste werden durch die Rache nicht zurückgekauft, die Wiederherstellung bezieht sich allein auf einen Nebenverlust bei allen den erwähnten Verlusten. Die Rache der Wiederherstellung bewahrt nicht vor weiterem Schaden, sie macht den erlittenen Schaden nicht wieder gut, – außer in einem Falle. Wenn unsere Ehre durch den Gegner gelitten hat, so vermag die Rache sie wiederherzustellen. Sie hat aber in jedem Falle einen Schaden erlitten, wenn man uns absichtlich ein Leid zufügte: denn der Gegner bewies damit, daß er uns nicht fürchtete. Durch die Rache beweisen wir, daß wir auch ihn nicht fürchten: darin liegt die Ausgleichung, die Wiederherstellung. (Die Absicht, den völligen Mangel an Furcht zu zeigen, geht bei einigen Personen so weit, daß ihnen die Gefährlichkeit der Rache für sie selbst – Einbuße der Gesundheit oder des Lebens oder sonstige Verluste – als eine unerläßliche Bedingung jeder Rache gilt. Deshalb gehen sie den Weg des Duells, obschon die Gerichte ihnen den Arm bieten, um auch so Genugtuung für die Beleidigung zu erhalten: sie nehmen aber die gefahrlose Wiederherstellung ihrer Ehre nicht als genügend an, weil sie ihren Mangel an Furcht nicht beweisen kann.) – Bei der ersterwähnten Art der Rache ist es gerade die Furcht, die den Gegenschlag ausführt: hier dagegen ist es die Abwesenheit der Furcht, welche, wie gesagt, durch den Gegenschlag sich beweisen will. – Nichts scheint also verschiedener als die innere Motivierung der beiden Handlungsweisen, die mit einem Wort "Rache" benannt werden: und trotzdem kommt es sehr häufig vor, daß der Rache-Übende in Unklarheit ist, was ihn eigentlich zur Tat bestimmt hat; vielleicht, daß er aus Furcht und um sich zu erhalten den Gegenschlag führte, hinterher aber, als er Zeit hatte, über den Gesichtspunkt der verletzten Ehre nachzudenken, selber sich einredet, seiner Ehre halber sich gerächt zu haben: – dieses Motiv ist ja jedenfalls vornehmer als das andere! Dabei ist noch wesentlich, ob er seine Ehre in den Augen der anderen (der Welt) beschädigt sieht oder nur in den Augen des Beleidigers: im letzteren Falle wird er die geheime Rache vorziehen, im ersteren aber die öffentliche. Je nachdem er sich stark oder schwach in die Seele des Täters und der Zuschauer hineindenkt, wird seine Rache erbitterter oder zahmer sein; fehlt ihm diese Art Phantasie ganz, so wird er gar nicht an Rache denken, denn das Gefühl der "Ehre" ist dann bei ihm nicht vorhanden, also auch nicht zu verletzen. Ebenso wird er nicht an Rache denken, wenn er den Täter und die Zuschauer der Tat verachtet: weil sie ihm keine Ehre geben können, als Verachtete, und demnach auch keine Ehre nehmen können. Endlich wird er auf Rache in dem nicht ungewöhnlichen Falle verzichten, daß er den Täter liebt: freilich büßt er so in dessen Augen an Ehre ein und wird vielleicht der Gegenliebe dadurch weniger würdig. Aber auch auf alle Gegenliebe Verzicht leisten ist ein Opfer, welches die Liebe zu bringen bereit ist, wenn sie dem geliebten Wesen nur nicht wehetun muß: dies hieße sich selber mehr wehetun, als jenes Opfer wehetut. – Also: jedermann wird sich rächen, er sei denn ehrlos oder voll Verachtung oder voll Liebe gegen den Schädiger und Beleidiger. Auch wenn er sich an die Gerichte wendet, so will er die Rache als private Person: nebenbei aber noch, als weiterdenkender, vorsorglicher Mensch der Gesellschaft, die Rache der Gesellschaft an einem, der sie nicht ehrt. So wird durch die gerichtliche Strafe sowohl die Privatehre als auch die Gesellschaftsehre wiederhergestellt: das heißt – Strafe ist Rache. – Es gibt in ihr unzweifelhaft auch noch jenes andere zuerst beschriebene Element der Rache, insofern durch sie die Gesellschaft ihrer Selbst-Erhaltung dient und der Notwehr halber einen Gegenschlag führt. Die Strafe will das weitere Schädigen verhüten, sie will abschrecken. Auf diese Weise sind wirklich in der Strafe beide so verschiedene Elemente der Rache verknüpft, und dies mag vielleicht am meisten dahin wirken, jene erwähnte Begriffsverwirrung zu unterhalten, vermöge deren der einzelne, der sich rächt, gewöhnlich nicht weiß, was er eigentlich will.
Die Tugenden der Einbuße. – Als Mitglieder von Gesellschaften glauben wir gewisse Tugenden nicht ausüben zu dürfen, die uns als Privaten die größte Ehre und einiges Vergnügen machen, zum Beispiel Gnade und Nachsicht gegen Verfehlende aller Art – überhaupt jede Handlungsweise, bei welcher der Vorteil der Gesellschaft durch unsere Tugend leiden würde. Kein Richter-Kollegium darf sich vor seinem Gewissen erlauben, gnädig zu sein dem König als einem einzelnen hat man dies Vorrecht aufbehalten; man freut sich, wenn er Gebrauch davon macht, zum Beweise, daß man gern gnädig sein möchte, aber durchaus nicht als Gesellschaft. Diese erkennt somit nur die ihr vorteilhaften oder mindestens unschädlichen Tugenden an (die ohne Einbuße oder gar mit Zinsen geübt werden, zum Beispiel Gerechtigkeit). Jene Tugenden der Einbuße können demnach in der Gesellschaft nicht entstanden sein, da noch jetzt, innerhalb jeder kleinsten sich bildenden Gesellschaft der Widerspruch gegen sie sich erhebt. Es sind also Tugenden unter Nicht-Gleichgestellten, erfunden von dem Überlegenen, einzelnen, es sind Herrscher-Tugenden, mit dem Hintergedanken: "ich bin mächtig genug, um mir eine ersichtliche Einbuße gefallen zu lassen, dies ist ein Beweis meiner Macht" – also mit Stolz verwandte Tugenden.
Kasuistik des Vorteils. – Es gäbe keine Kasuistik der Moral, wenn es keine Kasuistik des Vorteils gäbe. Der freieste und feinste Verstand reicht oft nicht aus, zwischen zwei Dingen so zu wählen, daß der größere Vorteil notwendig bei seiner Wahl ist. In solchen Fällen wählt man, weil man wählen muß, und hat hinterdrein eine Art Seekrankheit der Empfindung.
Zum Heuchler werden. – Jeder Bettler wird zum Heuchler; wie jeder, der aus einem Mangel, aus einem Notstand (sei dies ein persönlicher oder ein öffentlicher) seinen Beruf macht. – Der Bettler empfindet den Mangel lange nicht so, als er ihn empfinden machen muß, wenn er vom Betteln leben will.
Eine Art Kultus der Leidenschaften. – Ihr Düsterlinge und philosophischen Blindschleichen redet, um den Charakter des ganzen Weltwesens anzuklagen, von dem furchtbaren Charakter der menschlichen Leidenschaften. Als ob überall, wo es Leidenschaft gegeben hat, es auch Furchtbarkeit gegeben hätte! Als ob es immerfort in der Welt diese Art von Furchtbarkeit geben müßte! – Durch eine Vernachlässigung im kleinen, durch Mangel an Selbst-Beobachtung und Beobachtung derer, welche erzogen werden sollen, habt ihr selber erst die Leidenschaften zu solchen Untieren anwachsen lassen, daß euch jetzt schon beim Worte "Leidenschaft" Furcht befällt! Es stand bei euch und steht bei uns, den Leidenschaften ihren furchtbaren Charakter zu nehmen und dermaßen vorzubeugen, daß sie nicht zu verheerenden Wildwassern werden. – Man soll seine Versehen nicht zu ewigen Fatalitäten aufblasen; vielmehr wollen wir redlich mit an der Aufgabe arbeiten, die Leidenschaften der Menschheit allesamt in Freudenschaften umzuwandeln.
Gewissensbiß. – Der Gewissensbiß ist, wie der Biß des Hundes gegen einen Stein, eine Dummheit.
Ursprung der Rechte. – Die Rechte gehen zunächst auf Herkommen zurück, das Herkommen auf ein einmaliges Abkommen. Man war irgendwann einmal beiderseitig mit den Folgen des getroffenen Abkommens zufrieden und wiederum zu träge, um es förmlich zu erneuern; so lebte man fort, wie wenn es immer erneuert worden wäre, und allmählich, als die Vergessenheit ihre Nebel über den Ursprung breitete, glaubte man einen heiligen, unverrückbaren Zustand zu haben, auf dem jedes Geschlecht weiterbauen müsse. Das Herkommen war jetzt Zwang, auch wenn es den Nutzen nicht mehr brachte, dessentwegen man ursprünglich das Abkommen gemacht hatte. – Die Schwachen haben hier ihre feste Burg zu allen Zeiten gefunden: sie neigen dahin, das einmalige Abkommen, die Gnadenerweisung zu verewigen.
Die Bedeutung des Vergessens in der moralischen Empfindung. – Dieselben Handlungen, welche innerhalb der ursprünglichen Gesellschaft zuerst die Absicht auf gemeinsamen Nutzen eingab, sind später von anderen Generationen auf andere Motive hin getan worden: aus Furcht oder Ehrfurcht vor denen, die sie forderten und anempfahlen, oder aus Gewohnheit, weil man sie von Kindheit an um sich hatte tun sehen, oder aus Wohlwollen, weil ihre Ausübung überall Freude und zustimmende Gesichter schuf, oder aus Eitelkeit, weil sie gelobt wurden. Solche Handlungen, an denen das Grundmotiv, das der Nützlichkeit, vergessen worden ist, heißen dann moralische: nicht etwa weil sie aus jenen anderen Motiven, sondern weil sie nicht aus bewußter Nützlichkeit getan werden. – Woher dieser Haß gegen den Nutzen, der hier sichtbar wird, wo sich alles lobenswerte Handeln gegen das Handeln um des Nutzens willen förmlich abschließt? – Offenbar hat die Gesellschaft, der Herd aller Moral und aller Lobsprüche des moralischen Handelns, allzu lange und allzu hart mit dem Eigen-Nutzen und Eigen-Sinne des einzelnen zu kämpfen gehabt, um nicht zuletzt jedes andere Motiv sittlich höher zu taxieren als den Nutzen. So entsteht der Anschein, als ob die Moral nicht aus dem Nutzen herausgewachsen sei; während sie ursprünglich der Gesellschafts-Nutzen ist, der große Mühe hatte, sich gegen alle die Privat-Nützlichkeiten durchzusetzen und in höheres Ansehen zu bringen.
Die Erbreichen der Moralität. – Es gibt auch im Moralischen einen Erb-Reichtum: ihn besitzen die Sanften, Gutmütigen, Mitleidigen, Mildtätigen, welche alle die gute Handlungsweise, aber nicht die Vernunft (die Quelle derselben) von ihren Vorfahren her mitbekommen haben. Das Angenehme an diesem Reichtum ist, daß man von ihm fortwährend darreichen und mitteilen muß, wenn er überhaupt empfunden werden soll, und daß er so unwillkürlich daran arbeitet, die Abstände zwischen moralisch-reich und -arm geringer zu machen: und zwar, was das merkwürdigste und beste ist, nicht zugunsten eines dereinstigen Mittelmaßes zwischen arm und reich, sondern zugunsten eines allgemeinen Reich- und Überreich-werdens. – So wie hier geschehen ist, läßt sich etwa die herrschende Ansicht über den moralischen Erbreichtum zusammenfassen: aber es scheint mir, daß dieselbe mehr in majorem gloriam der Moralität, als zu Ehren der Wahrheit aufrechterhalten wird. Die Erfahrung mindestens stellt einen Satz auf, welcher, wenn nicht als Widerlegung, jedenfalls als bedeutende Einschränkung jener Allgemeinheit zu gelten hat. Ohne den erlesensten Verstand, so sagt die Erfahrung, ohne die Fähigkeit der feinsten Wahl und einen starken Hang zum Maßhalten werden die Moralisch-Erbreichen zu Verschwendern der Moralität: indem sie haltlos sich ihren mitleidigen, mildtätigen, versöhnenden, beschwichtigenden Trieben überlassen, machen sie alle Welt um sich nachlässiger, begehrlicher und sentimentaler. Die Kinder solcher höchst moralischen Verschwender sind daher leicht und, wie leider zu sagen ist, bestenfalls – angenehme schwächliche Taugenichtse.
Der Richter und die Milderungsgründe. – "Man soll auch gegen den Teufel honett sein und seine Schulden bezahlen", sagte ein alter Soldat, als man ihm die Geschichte Faustens etwas genauer erzählt hatte, "Faust gehört in die Hölle!" – "O ihr schrecklichen Männer!" rief seine Gattin aus, "wie ist das nur möglich! Er hat ja nichts getan, als keine Tinte im Tintenfaß gehabt! Mit Blut schreiben ist freilich eine Sünde, aber deshalb soll ein so schöner Mann doch nicht brennen?"
Problem der Pflicht zur Wahrheit. – Pflicht ist ein zwingendes, zur Tat drängendes Gefühl, das wir gut nennen und für undiskutierbar halten (- über Ursprung, Grenze und Berechtigung desselben wollen wir nicht reden und nicht geredet haben). Der Denker hält aber alles für geworden und alles Gewordene für diskutierbar, ist also der Mann ohne Pflicht, – solange er eben nur Denker ist. Als solcher würde er also auch die Pflicht, die Wahrheit zu sehen und zu sagen, nicht anerkennen und dies Gefühl nicht fühlen, er fragt: woher kommt sie? wohin will sie? aber dies Fragen selber wird von ihm als fragwürdig angesehen. Hätte dies aber nicht zur Folge, daß die Maschine des Denkers nicht mehr recht arbeitet, wenn er sich beim Akte des Erkennens wirklich unverpflichtet fühlen könnte? Insofern scheint hier zur Heizung dasselbe Element nötig zu sein, das vermittelst der Maschine untersucht werden soll. – Die Formel würde vielleicht sein: angenommen es gäbe eine Pflicht, die Wahrheit zu erkennen, wie lautet die Wahrheit dann in bezug auf jede andere Art von Pflicht? – Aber ist ein hypothetisches Pflichtgefühl nicht ein Widersinn?
Stufen der Moral. – Moral ist zunächst ein Mittel, die Gemeinde überhaupt zu erhalten und den Untergang von ihr abzuwehren; sodann ist sie ein Mittel, die Gemeinde auf einer gewissen Höhe und in einer gewissen Güte zu erhalten. Ihre Motive sind Furcht und Hoffnung: und zwar um so derbere, mächtigere, gröbere, als der Hang zum Verkehrten, Einseitigen, Persönlichen noch sehr stark ist. Die entsetzlichsten Angstmittel müssen hier Dienste tun, solange noch keine milderen wirken wollen und jene doppelte Art der Erhaltung sich nicht anders erreichen läßt (zu ihren allerstärksten gehört die Erfindung eines Jenseits mit einer ewigen Hölle). Weitere Stufen der Moral und also Mittel zum bezeichneten Zwecke sind die Befehle eines Gottes (wie das mosaische Gesetz); noch weitere und höhere die Befehle eines absoluten Pflichtbegriffs mit dem "du sollst", – alles noch ziemlich grob zugehauene, aber breite Stufen, weil die Menschen auf die feineren, schmäleren ihren Fuß noch nicht zu setzen wissen. Dann kommt eine Moral der Neigung, des Geschmacks, endlich die der Einsicht – welche über alle illusionären Motive der Moral hinaus ist, aber sich klar gemacht hat, wie die Menschheit lange Zeiten hindurch keine anderen haben durfte.
Moral des Mitleidens im Munde der Unmäßigen. – Alle die, welche sich selber nicht genug in der Gewalt haben und die Moralität nicht als fortwährende im großen und kleinsten geübte Selbstbeherrschung und Selbstüberwindung kennen, werden unwillkürlich zu Verherrlichern der guten, mitleidigen, wohlwollenden Regungen, jener instinktiven Moralität, welche keinen Kopf hat, sondern nur aus Herz und hilfreichen Händen zu bestehen scheint. Ja es ist in ihrem Interesse, eine Moralität der Vernunft zu verdächtigen und jene andere zur alleinigen zu machen.