Czytaj książkę: «Friedrich Wilhelm Nietzsche – Gesammelte Werke», strona 58

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18

Der mo­der­ne Dio­ge­nes. – Be­vor man den Men­schen sucht, muß man die La­ter­ne ge­fun­den ha­ben. – Wird es die La­ter­ne des Zy­ni­ker­s sein müs­sen?

19

Im­mo­ra­lis­ten. – Die Mora­lis­ten müs­sen es sich jetzt ge­fal­len las­sen, Im­mo­ra­lis­ten ge­schol­ten zu wer­den, weil sie die Moral se­zie­ren. Wer aber se­zie­ren will, muß tö­ten: je­doch nur, da­mit bes­ser ge­wußt, bes­ser ge­ur­teilt, bes­ser ge­lebt wer­de; nicht, da­mit alle Welt se­zie­re. Lei­der aber mei­nen die Men­schen im­mer noch, daß je­der Mora­list auch durch sein ge­sam­tes Han­deln ein Mus­ter­bild sein müs­se, wel­ches die an­de­ren nach­zuah­men hät­ten: sie ver­wech­seln ihn mit dem Pre­di­ger der Moral. Die äl­te­ren Mora­lis­ten se­zier­ten nicht ge­nug und pre­dig­ten all­zu­häu­fig: da­her rührt jene Ver­wechs­lung und jene un­an­ge­neh­me Fol­ge für die jet­zi­gen Mora­lis­ten.

20

Nicht zu ver­wech­seln. – Die Mora­lis­ten, wel­che die groß­ar­ti­ge, mäch­ti­ge, auf­op­fern­de Denk­wei­se, etwa bei den Hel­den Plut­archs, oder den rei­nen, er­leuch­te­ten, wär­me­lei­ten­den See­len­zu­stand der ei­gent­lich gu­ten Män­ner und Frau­en als schwe­re Pro­ble­me der Er­kennt­nis be­han­deln und der Her­kunft der­sel­ben nach­spü­ren, in­dem sie das Kom­pli­zier­te in der an­schei­nen­den Ein­fach­heit auf­zei­gen und das Auge auf die Ver­flech­tung der Mo­ti­ve, auf die ein­ge­wo­be­nen zar­ten Be­griffs-Täu­schun­gen und die von al­ters her ver­erb­ten, lang­sam ge­stei­ger­ten Ein­zel- und Grup­pen-Emp­fin­dun­gen rich­ten, – die­se Mora­lis­ten sind am meis­ten ge­ra­de von de­nen ver­schie­den, mit de­nen sie doch am meis­ten ver­wech­sel­t wer­den: von den klein­li­chen Geis­tern, die an jene Denk­wei­sen und See­len­zu­stän­de über­haupt nicht glau­ben und ihre eig­ne Arm­se­lig­keit hin­ter dem Glan­ze von Grö­ße und Rein­heit ver­steckt wäh­nen. Die Mora­lis­ten sa­gen: "hier sind Pro­ble­me", und die Er­bärm­li­chen sa­gen: "hier sind Be­trü­ger und Be­trü­ge­rei­en"; sie leug­nen also die Exis­tenz ge­ra­de des­sen, was jene zu er­klä­ren be­flis­sen sind.

21

Der Mensch als der Mes­sen­de. – Vi­el­leicht hat­te alle Mora­li­tät der Mensch­heit in der un­ge­heu­ren in­ne­ren Auf­re­gung ih­ren Ur­sprung, wel­che die Ur­men­schen er­griff, als sie das Maß und das Mes­sen, die Waa­ge und das Wä­gen ent­deck­ten (das Wort "Mensch" be­deu­tet ja den Mes­sen­den, er hat sich nach sei­ner größ­ten Ent­de­ckung be­nen­nen wol­len!). Mit die­sen Vor­stel­lun­gen stie­gen sie in Be­rei­che hin­auf, die ganz un­meß­bar und un­wäg­bar sind, aber es ur­sprüng­lich nicht zu sein schie­nen.

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Prin­zip des Gleich­ge­wichts. – Der Räu­ber und der Mäch­ti­ge, wel­cher ei­ner Ge­mein­de ver­spricht, sie ge­gen den Räu­ber zu schüt­zen, sind wahr­schein­lich im Grun­de ganz ähn­li­che We­sen, nur daß der zwei­te sei­nen Vor­teil an­ders als der ers­te er­reicht: näm­lich durch re­gel­mä­ßi­ge Ab­ga­ben, wel­che die Ge­mein­de an ihn ent­rich­tet, und nicht mehr durch Brand­schat­zun­gen. (Es ist das näm­li­che Ver­hält­nis wie zwi­schen Han­dels­mann und See­räu­ber, wel­che lan­ge Zeit ein und die­sel­be Per­son sind: wo ihr die eine Funk­ti­on nicht rät­lich scheint, da übt sie die an­de­re aus. Ei­gent­lich ist ja selbst jetzt noch alle Kauf­manns-Moral nur die Ver­klü­ge­rung der See­räu­ber-Moral: so wohl­feil wie mög­lich kau­fen – wo­mög­lich für Nichts als die Un­ter­neh­mungs­kos­ten –, so teu­er wie mög­lich ver­kau­fen). Das We­sent­li­che ist: je­ner Mäch­ti­ge ver­spricht, ge­gen den Räu­ber Gleich­ge­wicht zu hal­ten; dar­in se­hen die Schwa­chen eine Mög­lich­keit zu le­ben. Denn ent­we­der müs­sen sie sich sel­ber zu ei­ner gleich­wie­gen­den Macht zu­sam­men­tun oder sich ei­nem Gleich­wie­gen­den un­ter­wer­fen (ihm für sei­ne Leis­tun­gen Diens­te leis­ten). Dem letz­te­ren Ver­fah­ren wird gern der Vor­zug ge­ge­ben, weil es im Grun­de zwei ge­fähr­li­che We­sen in Schach hält: das ers­te durch das zwei­te und das zwei­te durch den Ge­sichts­punkt des Vor­teils; letz­te­res hat näm­lich sei­nen Ge­winn da­von, die Un­ter­wor­fe­nen gnä­dig oder leid­lich zu be­han­deln, da­mit sie nicht nur sich, son­dern auch ih­ren Be­herr­scher er­näh­ren kön­nen. Tat­säch­lich kann es da­bei im­mer noch hart und grau­sam ge­nug zu­ge­hen, aber ver­gli­chen mit der frü­her im­mer mög­li­chen völ­li­gen Ver­nich­tung at­men die Men­schen schon in die­sem Zu­stan­de auf. – Die Ge­mein­de ist im An­fang die Or­ga­ni­sa­ti­on der Schwa­chen zum Gleich­ge­wicht mit ge­fahr­dro­hen­den Mäch­ten. Eine Or­ga­ni­sa­ti­on zum Über­ge­wicht wäre rät­li­cher, wenn man da­bei so stark wür­de, um die Ge­gen­macht auf ein­mal zu ver­nich­ten: und han­delt es sich um einen ein­zel­nen mäch­ti­gen Scha­den­tu­er, so wird dies ge­wiß ver­sucht. Ist aber der eine ein Stamm­haupt oder hat er großen An­hang, so ist die schnel­le ent­schei­den­de Ver­nich­tung un­wahr­schein­lich und die dau­ern­de lan­ge Feh­de zu ge­wär­ti­gen: die­se aber bringt der Ge­mein­de den am we­nigs­ten wünsch­ba­ren Zu­stand mit sich, weil sie durch ihn die Zeit ver­liert, für ih­ren Le­bens­un­ter­halt mit der nö­ti­gen Re­gel­mä­ßig­keit zu sor­gen, und den Er­trag al­ler Ar­beit je­den Au­gen­blick be­droht sieht. Des­halb zieht die Ge­mein­de vor, ihre Macht zu Ver­tei­di­gung und An­griff ge­nau auf die Höhe zu brin­gen, auf der die Macht des ge­fähr­li­chen Nach­bars ist, und ihm zu ver­ste­hen zu ge­ben, daß in ih­rer Wag­scha­le jetzt gleich viel Erz lie­ge: warum wol­le man nicht gut Freund mit­ein­an­der sein? – Gleich­ge­wicht ist also ein sehr wich­ti­ger Be­griff für die äl­tes­te Rechts- und Moral­leh­re; Gleich­ge­wicht ist die Ba­sis der Ge­rech­tig­keit. Wenn die­se in ro­he­ren Zei­ten sagt: "Auge um Auge, Zahn um Zahn", so setzt sie das er­reich­te Gleich­ge­wicht vor­aus und will es ver­mö­ge die­ser Ver­gel­tung er­hal­ten: so daß, wenn jetzt der eine sich ge­gen den an­dern ver­geht, der an­de­re kei­ne Ra­che der blin­den Er­bit­te­rung mehr nimmt. Son­dern ver­mö­ge des jus ta­lio­nis wird das Gleich­ge­wicht der ge­stör­ten Macht­ver­hält­nis­se wie­der­her­ge­stellt: denn ein Auge, ein Arm mehr ist in sol­chen Ur­zu­stän­den ein Stück Macht, ein Ge­wicht mehr. – In­ner­halb ei­ner Ge­mein­de, in der alle sich als gleich­ge­wich­tig be­trach­ten, ist ge­gen Ver­ge­hun­gen, das heißt ge­gen Durch­bre­chun­gen des Prin­zips des Gleich­ge­wichts, Schan­de und Stra­fe da: Schan­de, ein Ge­wicht, ein­ge­setzt ge­gen den über­grei­fen­den ein­zel­nen, der durch den Über­griff sich Vor­tei­le ver­schafft hat, durch die Schan­de nun wie­der Nach­tei­le er­fährt, die den frü­he­ren Vor­teil auf­he­ben und über­wie­gen. Eben­so steht es mit der Stra­fe: sie stellt ge­gen das Über­ge­wicht, das sich je­der Ver­bre­cher zu­spricht, ein viel grö­ße­res Ge­gen­ge­wicht auf, ge­gen Ge­walt­tat den Ker­ker­zwang, ge­gen Dieb­stahl den Wie­de­rer­satz und die Straf­sum­me. So wird der Frev­ler erin­nert, daß er mit sei­ner Hand­lung aus der Ge­mein­de und de­ren Moral – Vor­tei­len aus­schied: sie be­han­delt ihn wie einen Un­glei­chen, Schwa­chen, au­ßer ihr Ste­hen­den; des­halb ist Stra­fe nicht nur Wie­der­ver­gel­tung, son­dern hat ein Mehr, ein Et­was von der Här­te des Na­tur­zu­stan­des; an die­sen will sie eben erin­nern.

23

Ob die An­hän­ger der Leh­re vom frei­en Wil­len stra­fen dür­fen? – Die Men­schen, wel­che von Be­rufs­we­gen rich­ten und stra­fen, su­chen in je­dem Fal­le fest­zu­stel­len, ob ein Übel­tä­ter über­haupt für sei­ne Tat ver­ant­wort­lich ist, ob er sei­ne Ver­nunft an­wen­den konn­te, ob er aus Grün­den han­del­te und nicht un­be­wußt oder im Zwan­ge. Straft man ihn, so straft man, daß er die schlech­teren Grün­de den bes­se­ren vor­zog: wel­che er also ge­kannt ha­ben muß. Wo die­se Kennt­nis fehlt, ist der Mensch nach der herr­schen­den An­sicht un­frei und nicht ver­ant­wort­lich: es sei denn, daß sei­ne Un­kennt­nis, zum Bei­spiel sei­ne i­gno­ran­tia le­gis, die Fol­ge ei­ner ab­sicht­li­chen Ver­nach­läs­si­gung des Er­ler­nens ist; dann hat er also schon da­mals, als er nicht ler­nen woll­te was er soll­te, die schlech­teren Grün­de den bes­se­ren vor­ge­zo­gen und muß jetzt die Fol­ge sei­ner schlech­ten Wahl bü­ßen. Wenn er da­ge­gen die bes­se­ren Grün­de nicht ge­se­hen hat, etwa aus Stumpf- und Blöd­sinn, so pflegt man nicht zu stra­fen: es hat ihm, wie man sagt, die Wahl ge­fehlt, er han­del­te als Tier. Die ab­sicht­li­che Ver­leug­nung der bes­se­ren Ver­nunft ist jetzt die Voraus­set­zung, die man beim straf­wür­di­gen Ver­bre­cher macht. Wie kann aber je­mand ab­sicht­lich un­ver­nünf­ti­ger sein, als er sein muß? Wo­her die Ent­schei­dung, wenn die Wag­scha­len mit gu­ten und schlech­ten Mo­ti­ven be­las­tet sind? Also nicht vom Irr­tum, von der Blind­heit her, nicht von ei­nem äu­ße­ren, auch von kei­nem in­ne­ren Zwan­ge her? (Man er­wä­ge üb­ri­gens, daß je­der so­ge­nann­te "äu­ße­re Zwang" nichts wei­ter ist, als der in­ne­re Zwang der Furcht und des Schmer­zes.) Wo­her? fragt man im­mer wie­der. Die Ver­nunft soll also nicht die Ur­sa­che sein, weil sie sich nicht ge­gen die bes­se­ren Grün­de ent­schei­den könn­te? Hier nun ruft man den "frei­en Wil­len" zur Hil­fe: es soll das vollen­de­te Be­lie­ben ent­schei­den, ein Mo­ment ein­tre­ten, wo kein Mo­tiv wirkt, wo die Tat als Wun­der ge­schieht, aus dem Nichts her­aus. Man straft die­se an­geb­li­che Be­lie­big­keit, in ei­nem Fal­le, wo kein Be­lie­ben herr­schen soll­te: die Ver­nunft, wel­che das Ge­setz, das Ver­bot und Ge­bot kennt, hät­te gar kei­ne Wahl las­sen dür­fen, meint man, und als Zwang und hö­he­re Macht wir­ken sol­len. Der Ver­bre­cher wird also be­straft, weil er vom "frei­en Wil­len" Ge­brauch macht: das heißt, weil er ohne Grund ge­han­delt hat, wo er nach Grün­den hät­te han­deln sol­len. Aber warum tat er dies? Dies eben darf nicht ein­mal mehr ge­frag­t wer­den: es war eine Tat ohne "dar­um?" ohne Mo­tiv, ohne Her­kunft, et­was Zweck­lo­ses und Ver­nunft­lo­ses. – Ei­ne sol­che Tat dürf­te man aber, nach der ers­ten oben vor­an­ge­schick­ten Be­din­gung al­ler Straf­bar­keit, auch nicht stra­fen! Auch jene Art der Straf­bar­keit darf nicht gel­tend ge­macht wer­den, als wenn hier et­was nicht ge­tan, et­was un­ter­las­sen, von der Ver­nunft nicht Ge­brauch ge­macht sei: denn un­ter al­len Um­stän­den ge­sch­ah die Un­ter­las­sung oh­ne Ab­sicht! und nur die ab­sicht­li­che Un­ter­las­sung des Ge­bo­te­nen gilt als straf­bar. Der Ver­bre­cher hat zwar die schlech­teren Grün­de den bes­se­ren vor­ge­zo­gen, aber oh­ne Grund und Ab­sicht: er hat zwar sei­ne Ver­nunft nicht an­ge­wen­det, aber nicht, um sie nicht an­zu­wen­den. Jene Voraus­set­zung, die man beim straf­wür­di­gen Ver­bre­chen macht, daß er sei­ne Ver­nunft ab­sicht­lich ver­leug­net habe, – ge­ra­de sie ist bei der An­nah­me des "frei­en Wil­lens" auf­ge­ho­ben. Ihr dürft nicht stra­fen, ihr An­hän­ger der Leh­re vom "frei­en Wil­len", nach eu­ern ei­ge­nen Grund­sät­zen nicht! – Die­se sind aber im Grun­de nichts, als eine sehr wun­der­li­che Be­griffs-My­tho­lo­gie; und das Huhn, wel­ches sie aus­ge­brü­tet hat, hat ab­seits von al­ler Wirk­lich­keit auf sei­nen Ei­ern ge­ses­sen.

24

Zur Be­ur­tei­lung des Ver­bre­chers und sei­nes Rich­ters. – Der Ver­bre­cher, der den gan­zen Fluß der Um­stän­de kennt, fin­det sei­ne Tat nicht so au­ßer der Ord­nung und Be­greif­lich­keit, wie sei­ne Rich­ter und Tad­ler: sei­ne Stra­fe aber wird ihm ge­ra­de nach dem Grad von Er­stau­nen zu­ge­mes­sen, wel­ches jene beim An­blick der Tat als ei­ner Un­be­greif­lich­keit be­fällt. – Wenn die Kennt­nis, wel­che der Ver­tei­di­ger ei­nes Ver­bre­chers von dem Fall und sei­ner Vor­ge­schich­te hat, weit ge­nug reicht, so müs­sen die so­ge­nann­ten Mil­de­rungs­grün­de, wel­che er der Rei­he nach vor­bringt, end­lich die gan­ze Schuld hin­weg­mil­dern. Oder, noch deut­li­cher: der Ver­tei­di­ger wird schritt­wei­se je­nes ver­ur­tei­len­de und straf­zu­mes­sen­de Er­stau­nen mil­dern und zu­letzt ganz auf­he­ben, in­dem er je­den ehr­li­chen Zu­hö­rer zu dem in­ne­ren Ge­ständ­nis nö­tigt: "er muß­te so han­deln, wie er ge­han­delt hat; wir wür­den, wenn wir straf­ten, die ewi­ge Not­wen­dig­keit be­stra­fen." – Den Grad der Stra­fe ab­mes­sen nach dem Gra­d der Kennt­nis, wel­chen man von der His­to­rie ei­nes Ver­bre­chens hat o­der über­haupt ge­win­nen kann, – strei­tet dies nicht wi­der alle Bil­lig­keit?

25

Der Tausch und die Bil­lig­keit. – Bei ei­nem Tau­sche wür­de es nur dann ehr­lich und recht­lich zu­ge­hen, wenn je­der der bei­den so viel ver­lang­te, als ihm sei­ne Sa­che wert scheint, die Mühe des Er­lan­gens, die Sel­ten­heit, die auf­ge­wende­te Zeit usw. in An­schlag ge­bracht, nebst dem Af­fek­ti­ons­wer­te. So­bald er den Preis in Hin­sicht auf das Be­dürf­nis des an­dern macht, ist er ein fei­ne­rer Räu­ber und Er­pres­ser. – Ist Geld das eine Tau­sch­ob­jekt, so ist zu er­wä­gen, daß ein Fran­ken­ta­ler in der Hand ei­nes rei­chen Er­ben, ei­nes Ta­ge­löh­ners, ei­nes Kauf­man­nes, ei­nes Stu­den­ten ganz ver­schie­de­ne Din­ge sind: je­der wird, je nach­dem er fast nichts oder viel tat, ihn zu er­wer­ben, we­nig oder viel da­für emp­fan­gen dür­fen – so wäre es bil­lig: in Wahr­heit steht es be­kannt­lich um­ge­kehrt. In der großen Geld­welt ist der Ta­ler des fauls­ten Rei­chen ge­winn­brin­gen­der als der des Ar­men und Ar­beit­sa­men.

26

Rechts­zu­stän­de als Mit­tel. – Recht, auf Ver­trä­gen zwi­schen Glei­chen be­ru­hend, be­steht, so­lan­ge die Macht de­rer, die sich ver­tra­gen ha­ben, eben gleich oder ähn­lich ist; die Klug­heit hat das Recht ge­schaf­fen, um der Feh­de und der nutz­lo­sen Ver­geu­dung zwi­schen ähn­li­chen Ge­wal­ten ein Ende zu ma­chen. Die­ser aber ist e­ben­so end­gül­tig ein Ende ge­macht, wenn der eine Teil ent­schie­den schwä­cher als der an­de­re ge­wor­den ist: dann tritt Un­ter­wer­fung ein, und das Recht hört auf, aber der Er­folg ist der­sel­be wie der, wel­cher bis­her durch das Recht er­reicht wur­de. Denn jetzt ist es die Klug­heit des Über­wie­gen­den, wel­che die Kraft des Un­ter­wor­fe­nen zu scho­nen und nicht nutz­los zu ver­geu­den an­rät: und oft ist die Lage des Un­ter­wor­fe­nen güns­ti­ger, als die des Gleich­ge­stell­ten war. – Rechts­zu­stän­de sind also zeit­wei­li­ge Mit­tel wel­che die Klug­heit an­rät, kei­ne Zie­le.

27

Er­klä­rung der Scha­den­freu­de. – Die Scha­den­freu­de ent­steht da­her, daß ein je­der in man­cher ihm wohl be­wuß­ten Hin­sicht sich schlecht be­fin­det, Sor­ge oder Neid oder Schmerz hat: der Scha­den, der den an­dern be­trifft, stellt die­sen ihm gleich, er ver­söhnt sei­nen Neid. – Be­fin­det er ge­ra­de sich sel­ber gut, so sam­melt er doch das Un­glück des nächs­ten als ein Ka­pi­tal in sei­nem Be­wußt­sein auf, um es bei ein­bre­chen­dem ei­ge­nen Un­glück ge­gen das­sel­be ein­zu­set­zen: auch so hat er "Scha­den­freu­de". Die auf Gleich­heit ge­rich­te­te Ge­sin­nung wirft also ih­ren Maß­stab aus auf das Ge­biet des Glücks und des Zu­falls: Scha­den­freu­de ist der ge­meins­te Aus­druck über den Sieg und die Wie­der­her­stel­lung der Gleich­heit, auch in­ner­halb der hö­he­ren Wel­t­ord­nung. Erst seit­dem der Mensch ge­lernt hat, in an­de­ren Men­schen sei­nes­glei­chen zu se­hen, also erst seit Be­grün­dung der Ge­sell­schaft gibt es Scha­den­freu­de.

28

Das Will­kür­li­che im Zu­mes­sen der Stra­fen. – Die meis­ten Ver­bre­cher kom­men zu ih­ren Stra­fen wie die Wei­ber zu ih­ren Kin­dern. Sie ha­ben zehn- und hun­dert­mal das­sel­be ge­tan, ohne üble Fol­gen zu spü­ren: plötz­lich kommt eine Ent­de­ckung und hin­ter ihr die Stra­fe. Die Ge­wohn­heit soll­te doch die Schuld der Tat, de­rent­we­gen der Ver­bre­cher ge­straft wird, ent­schuld­ba­rer er­schei­nen las­sen: es ist ja ein Hang ent­stan­den, dem schwe­rer zu wi­der­ste­hen ist. An­statt des­sen wird er, wenn der Ver­dacht des ge­wohn­heits­mä­ßi­gen Ver­bre­chens vor­liegt, här­ter ge­straft, die Ge­wohn­heit wird als Grund ge­gen alle Mil­de­rung gel­tend ge­macht. Um­ge­kehrt: eine mus­ter­haf­te Le­bens­wei­se, ge­gen wel­che das Ver­bre­chen um so für­cher­li­cher ab­sticht, soll­te die Schuld­bar­keit ver­schärft er­schei­nen las­sen! Aber sie pflegt die Stra­fe zu mil­dern. So wird al­les nicht nach dem Ver­bre­cher be­mes­sen, son­dern nach der Ge­sell­schaft und de­ren Scha­den und Ge­fahr: frü­he­re Nütz­lich­keit ei­nes Men­schen wird ge­gen sei­ne ein­ma­li­ge Schäd­lich­keit ein­ge­rech­net, frü­he­re Schäd­lich­keit zur ge­gen­wär­tig ent­deck­ten ad­diert, und dem­nach die Stra­fe am höchs­ten zu­ge­mes­sen. Wenn man aber der­ge­stalt die Ver­gan­gen­heit ei­nes Men­schen mit straft oder mit be­lohnt (dies im ers­ten Fall, wo das We­ni­ger-Stra­fen ein Be­loh­nen ist) so soll­te man noch wei­ter zu­rück­gehn und die Ur­sa­che ei­ner sol­chen oder sol­chen Ver­gan­gen­heit stra­fen und be­loh­nen, ich mei­ne El­tern, Er­zie­her, die Ge­sell­schaft usw.: in vie­len Fäl­len wird man dann die Rich­ter ir­gend­wie bei der Schuld be­tei­ligt fin­den. Es ist will­kür­lich, beim Ver­bre­cher ste­hen zu blei­ben, wenn man die Ver­gan­gen­heit straft: man soll­te, falls man die ab­so­lu­te Ent­schuld­bar­keit je­der Schuld nicht zu­ge­ben will, bei je­dem ein­zel­nen Fall stehn­blei­ben und nicht wei­ter zu­rück­bli­cken: also die Schuld iso­lie­ren und sie gar nicht mit der Ver­gan­gen­heit in Ver­knüp­fung brin­gen, – sonst wird man zum Sün­der ge­gen die Lo­gik. Zieht viel­mehr, ihr Wil­lens-Frei­en, den not­wen­di­gen Schluß aus eu­rer Leh­re von der "Frei­heit des Wil­lens" und de­kre­tiert kühn­lich: "kei­ne Tat hat eine Ver­gan­gen­heit."

29

Der Neid und sein ed­ler­er Bru­der. – Wo die Gleich­heit wirk­lich durch­ge­drun­gen und dau­ernd be­grün­det ist, ent­steht je­ner, im gan­zen als un­mo­ra­lisch gel­ten­de Hang, der im Na­tur­zu­stan­de kaum be­greif­lich wäre: der Neid. Der Nei­di­sche fühlt je­des Her­vor­ra­gen des an­de­ren über das ge­mein­sa­me Maß und will ihn bis da­hin her­ab­drücken – oder sich bis dort­hin er­he­ben: wor­aus sich zwei ver­schie­de­ne Hand­lungs­wei­sen er­ge­ben, wel­che He­siod als die böse und die gute Eris be­zeich­net hat. Eben­so ent­steht im Zu­stan­de der Gleich­heit die In­di­gna­ti­on dar­über, daß es ei­nem an­de­ren un­ter sei­ner Wür­de und Gleich­heit schlecht er­geht, ei­nem zwei­ten über sei­ner Gleich­heit gut: es sind dies Af­fek­te ed­ler­er Na­tu­ren. Sie ver­mis­sen in den Din­gen, wel­che von der Will­kür des Men­schen un­ab­hän­gig sind, Ge­rech­tig­keit und Bil­lig­keit, das heißt: sie ver­lan­gen, daß jene Gleich­heit, die der Mensch an­er­kennt, nun auch von der Na­tur und dem Zu­fall an­er­kannt wer­de; sie zür­nen dar­über, daß es den Glei­chen nicht gleich er­geht.

30

Neid der Göt­ter. – Der "Neid der Göt­ter" ent­steht, wenn der nied­ri­ger Ge­ach­te­te sich ir­gend worin dem Hö­he­ren gleich­setzt (wie Ajax) oder durch Gunst des Schick­sals ihm gleich­ge­setzt wird (wie Nio­be als über­reich ge­seg­ne­te Mut­ter). In­ner­halb der ge­sell­schaft­li­chen Rang­ord­nung stellt die­ser Neid die For­de­rung auf, daß ein je­der kein Ver­dienst über sei­nem Stan­de habe, auch daß sein Glück die­sem ge­mäß sei und na­ment­lich daß sein Selbst­be­wußt­sein je­nen Schran­ken nicht ent­wach­se. Oft er­fährt der sieg­rei­che Ge­ne­ral den "Neid der Göt­ter", eben­so der Schü­ler, der ein meis­ter­li­ches Werk schuf.

31

Ei­tel­keit als Nachtrieb des un­ge­sell­schaft­li­chen Zu­stan­des. – Da die Men­schen ih­rer Si­cher­heit we­gen sich sel­ber als gleich ge­setzt ha­ben, zur Grün­dung der Ge­mein­de, die­se Auf­fas­sung, aber im Grun­de wi­der die Na­tur des ein­zel­nen geht und et­was Erzwun­ge­nes ist, so ma­chen sich, je mehr die all­ge­mei­ne Si­cher­heit ge­währ­leis­tet ist, neue Schöß­lin­ge des al­ten Trie­bes nach Über­ge­wicht gel­tend: in der Ab­gren­zung der Stän­de, in dem An­spruch auf Be­rufs-Wür­den und –Vor­rech­te, über­haupt in der Ei­tel­keit (Ma­nie­ren, Tracht, Spra­che usw.). So­bald ein­mal die Ge­fahr des Ge­mein­we­sens wie­der fühl­bar wird, drücken die Zahl­rei­che­ren, wel­che ihr Über­ge­wicht nicht im Zu­stan­de der all­ge­mei­nen Ruhe durch­set­zen konn­ten, wie­der den Zu­stand der Gleich­heit her­vor: die ab­sur­den Son­der­rech­te und Ei­tel­kei­ten ver­schwin­den auf ei­ni­ge Zeit. Stürzt aber das Ge­mein­we­sen ganz zu­sam­men, ge­rät al­les in An­ar­chie, so bricht so­fort der Na­tur­zu­stand, die un­be­küm­mer­te, rück­sichts­lo­se Un­gleich­heit her­vor, wie dies auf Korky­ra ge­sch­ah, nach dem Be­rich­te des Thu­ky­di­des. Es gibt we­der ein Na­tur­recht, noch ein Na­tu­run­recht.

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5253 str. 6 ilustracje
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9783962815295
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