Heraklit war stolz: und wenn es bei einem Philosophen zum Stolz kommt, dann giebt es einen großen Stolz. Sein Wirken weist ihn nie auf ein »Publikum«, auf den Beifall der Massen und den zujauchzenden Chorus der Zeitgenossen hin. Einsam die Straße zu ziehn gehört zum Wesen des Philosophen. Seine Begabung ist die seltenste, in einem gewissen Sinne unnatürlichste, dabei selbst gegen die gleichartigen Begabungen ausschließend und feindselig. Die Mauer seiner Selbstgenügsamkeit muß von Diamant sein, wenn sie nicht zerstört und zerbrochen werden soll, denn Alles ist gegen ihn in Bewegung. Seine Reise zur Unsterblichkeit ist beschwerlicher und behinderter als jede andre; und doch kann Niemand sicherer glauben als gerade der Philosoph, auf ihr zum Ziele zu kommen – weil er gar nicht weiß, wo er stehen soll, wenn nicht auf den weit ausgebreiteten Fittichen aller Zeiten; denn die Nichtachtung des Gegenwärtigen und Augenblicklichen liegt im Wesen der großen philosophischen Natur. Er hat die Wahrheit: mag das Rad der Zeit rollen, wohin es will, nie wird es der Wahrheit entfliehen können. Es ist wichtig, von solchen Menschen zu erfahren, daß sie einmal gelebt haben. Nie würde man sich zum Beispiel den Stolz des Heraklit, als eine müßige Möglichkeit, imaginiren können. An sich scheint jedes Streben nach Erkenntniß, seinem Wesen nach, ewig unbefriedigt und unbefriedigend. Deshalb wird Niemand, wenn er nicht durch die Historie belehrt ist, an eine so königliche Selbstachtung und Überzeugtheit, der einzige beglückte Freier der Wahrheit zu sein, glauben mögen. Solche Menschen leben in ihrem eignen Sonnensystem; darin muß man sie aufsuchen. Auch ein Pythagoras, ein Empedokles behandelten sich selbst mit einer übermenschlichen Schätzung, ja mit fast religiöser Scheu; aber das Band des Mitleidens, an die große Überzeugung von der Seelenwanderung und der Einheit alles Lebendigen geknüpft, führte sie wieder zu den anderen Menschen, zu deren Heil und Errettung, hin. Von dem Gefühl der Einsamkeit aber, das den ephesischen Einsiedler des Artemis-Tempels durchdrang, kann man nur in der wildesten Gebirgsöde erstarrend Etwas ahnen. Kein übermächtiges Gefühl mitleidiger Erregungen, kein Begehren, helfen, heilen und retten zu wollen, strömt von ihm aus. Er ist ein Gestirn ohne Atmosphäre. Sein Auge, lodernd nach innen gerichtet, blickt erstorben und eisig, wie zum Scheine nur, nach außen. Rings um ihn, unmittelbar an die Feste seines Stolzes, schlagen die Wellen des Wahns und der Verkehrtheit: mit Ekel wendet er sich davon ab. Aber auch die Menschen mit fühlender Brust weichen einer solchen wie aus Erz gegossnen Larve aus; in einem abgelegnen Heiligthum, unter Götterbildern, neben kalter, ruhig-erhabener Architektur mag so ein Wesen begreiflicher erscheinen. Unter Menschen war Heraklit, als Mensch, unglaublich; und wenn er wohl gesehen wurde, wie er auf das Spiel lärmender Kinder Acht gab, so hat er jedenfalls dabei bedacht, was nie ein Mensch bei solcher Gelegenheit bedacht hat: das Spiel des großen Weltenkindes Zeus. Er brauchte die Menschen nicht, auch nicht für seine Erkenntnisse; an Allem, was man etwa von ihnen erfragen konnte und was die anderen Weisen vor ihm zu erfragen bemüht gewesen waren, lag ihm nicht. Er sprach mit Geringschätzung von solchen fragenden, sammelnden, kurz »historischen« Menschen, »Mich selbst suchte und erforschte ich«, sagte er von sich, mit einem Worte, durch das man das Erforschen eines Orakels bezeichnet: als ob er der wahre Erfüller und Vollender der delphischen Satzung »Erkenne dich selbst« sei, und Niemand sonst.
Was er aber aus diesem Orakel heraushörte, das hielt er für unsterbliche und ewig deutenswerthe Weisheit, von unbegrenzter Wirkung in die Ferne, nach dem Vorbild der prophetischen Reden der Sibylle. Es ist genug für die späteste Menschheit: mag sie es nur wie Orakelsprüche sich deuten lassen, was er wie der delphische Gott »weder aussagt, noch verbirgt«. Ob es gleich von ihm »ohne Lächeln, Putz und Salbenduft«, vielmehr wie mit »schäumendem Munde« verkündet wird, es muß zu den tausenden Jahren der Zukunft dringen. Denn die Welt braucht ewig die Wahrheit, also braucht sie ewig Heraklit: obschon er ihrer nicht bedarf. Was geht ihn sein Ruhm an? Der Ruhm bei »immer fort fließenden Sterblichen«! wie er höhnisch ausruft. Sein Ruhm geht die Menschen Etwas an, nicht ihn, die Unsterblichkeit der Menschheit braucht ihn, nicht er die Unsterblichkeit des Menschen Heraklit. Das, was er schaute, die Lehre vom Gesetz im Werden und vom Spiel in der Nothwendigkeit, muß von jetzt ab ewig geschaut werden: er hat von diesem größten Schauspiel den Vorhang aufgezogen.
Während in jedem Worte Heraklit’s der Stolz und die Majestät der Wahrheit, aber der in Intuitionen erfaßten, nicht der an der Strickleiter der Logik erkletterten Wahrheit, sich ausspricht, während er in sibyllenhafter Verzückung schaut, aber nicht späht, erkennt, aber nicht rechnet: ist ihm in seinem Zeitgenossen Parmenides ein Gegenbild an die Seite gestellt, ebenfalls mit dem Typus eines Propheten der Wahrheit, aber gleichsam aus Eis und nicht aus Feuer geformt und kaltes stechendes Licht um sich ausgießend,
Parmenides hat, wahrscheinlich erst in seinem höheren Alter, einmal einen Moment der allerreinsten, durch jede Wirklichkeit ungetrübten und völlig blutlosen Abstraktion gehabt; dieser Moment – ungriechisch wie kein andrer in den zwei Jahrhunderten des tragischen Zeitalters –, dessen Erzeugnis die Lehre vom Sein ist, wurde für sein eigenes Leben zum Grenzstein, der es in zwei Perioden trennte: zugleich aber zertheilt derselbe Moment das vorsokratische Denken in zwei Hälften, deren erste die anaximandrische, deren zweite geradezu die parmenideische genannt werden mag. Die erste ältere Periode im eignen Philosophiren des Parmenides trägt, ebenfalls noch die Signatur Anaximander’s; sie brachte ein durchgeführtes philosophisch-physikalisches System, als Antwort auf die Fragen Anaximander’s, hervor. Als ihn später jener eisige Abstraktions-Schauder erfaßte und der einfachste vom Sein und Nichtsein redende Satz von ihm hingestellt wurde, da war unter den vielen, durch ihn der Vernichtung zugeworfnen älteren Lehren auch sein eignes System. Doch scheint er nicht alle väterliche Pietät gegen das kräftige und wohlgestaltete Kind seiner Jugend verloren zu haben und er half sich deshalb zu sagen: »Zwar giebt es nur einen richtigen Weg; wenn man aber einmal auf einen andern sich begeben will, so ist meine ältere Ansicht, ihrer Güte und Consequenz nach, allein im Recht.« Mit dieser Wendung sich schützend hat er seinem früheren physikalischen Systeme einen würdigen und ausgedehnten Raum selbst in jenem großen Gedicht über die Natur gegönnt, das eigentlich die neue Einsicht, als den einzigen Wegweiser zur Wahrheit, proklamiren sollte. Es ist diese väterliche Rücksicht, selbst wenn durch sie ein Irrthum eingeschlichen sein sollte, ein Rest von menschlicher Empfindung, bei einer durch logische Starrheit ganz petrificirten und fast in eine Denkmaschine verwandelten Natur.
Parmenides, dessen persönlicher Umgang mit Anaximander mir nicht unglaublich scheint, dessen Ausgehen von Anaximander’s Lehre nicht nur glaublich, sondern evident ist, hatte dasselbe Mißtrauen gegen die vollkommene Trennung einer Welt, die nur ist, und einer Welt, die nur wird, welches auch Heraklit erfaßt und zur Leugnung des Seins überhaupt geführt hatte. Beide suchten einen Ausweg aus jenem Gegenüber und Auseinander einer doppelten Weltordnung. Jener Sprung in’s Unbestimmte, Unbestimmbare, durch den Anaximander ein- für allemal dem Reiche des Werdens und seinen empirisch gegebenen Qualitäten entflohen war, wurde so selbständig gearteten Köpfen, wie denen Heraklit’s und Parmenides’, nicht leicht; sie suchten erst zu gehen, soweit sie konnten, und behielten sich den Sprung für jene Stelle vor, wo der Fuß nicht mehr Halt findet und man springen muß, um nicht zu fallen. Beide schauten wiederholt eben jene Welt an, die Anaximander so melancholisch verurtheilt und als Ort des Frevels und zugleich als Bußstätte für die Ungerechtigkeit des Werdens erklärt hatte. In ihrem Anschauen entdeckte Heraklit, wie wir bereits wissen, welche wunderbare Ordnung, Regelmäßigkeit und Sicherheit in jedem Werden sich offenbart: daraus schloß er, daß das Werden selbst nichts Frevelhaftes und Ungerechtes sein könne. Einen ganz verschiednen Blick that Parmenides; er verglich die Qualitäten mit einander und glaubte zu finden, daß sie nicht alle gleichartig seien, sondern in zwei Rubriken eingeordnet werden müßten. Verglich er zum Beispiel Licht und Dunkel, so war die zweite Qualität ersichtlich nur die Negation der ersten; und so unterschied er positive und negative Qualitäten, ernsthaft bemüht, jenen Grundgegensatz im ganzen Reiche der Natur wiederzufinden und zu verzeichnen. Seine Methode hierbei war folgende: er nahm ein paar Gegensätze, zum Beispiel leicht und schwer, dünn und dicht, thätig und leidend, und hielt sie an jenen vorbildlichen Gegensatz von Licht und Dunkel: was dem Lichten entsprach, war die positive, was dem Dunklen, die negative Eigenschaft. Nahm er etwa das Schwere und das Leichte, so fiel das Leichte auf die Seite des Lichten, das Schwere auf die Seite des Dunklen: und so galt ihm das Schwere nur als die Negation des Leichten, das Leichte aber als eine positive Eigenschaft. Schon aus dieser Methode ergiebt sich eine trotzende, gegen die Einflüsterungen der Sinne verschlossene Befähigung zur abstrakt-logischen Procedur. Das Schwere scheint sich ja recht eindringlich den Sinnen als positive Qualität darzubieten; das hielt Parmenides nicht ab, es zu einer Negation zu stempeln. Ebenso bezeichnete er die Erde im Gegensatz zum Feuer, das Kalte im Gegensatz zum Warmen, das Dichte im Gegensatz zum Dünnen, das Weibliche im Gegensatz zum Männlichen, das Leidende im Gegensatz zum Thätigen, nur als Negationen: so daß vor seinem Blicke sich unsre empirische Welt in zwei getrennte Sphären schied, in die der positiven Eigenschaften – mit einem lichten feurigen warmen leichten dünnen thätig-männlichen Charakter – und in die der negativen Eigenschaften. Letztere drücken eigentlich nur den Mangel, die Abwesenheit der anderen, positiven aus; er beschrieb also die Sphäre, in der die positiven Eigenschaften fehlen, als dunkel, erdig, kalt, schwer, dicht, und überhaupt als weiblich-passiven Charakters. Statt der Ausdrücke »positiv« und »negativ« gebrauchte er den festen Terminus »seiend« und »nicht-seiend« und war damit zu dem Lehrsatz gekommen, daß, im Widerspruch mit Anaximander, diese unsre Welt selbst etwas Seiendes enthalte: freilich auch etwas Nichtseiendes. Das Seiende soll man nicht außerhalb der Welt und gleichsam über unserem Horizonte suchen; sondern vor uns, und überall, in jedem Werden, ist etwas Seiendes enthalten und in Thätigkeit.
Dabei blieb für ihn aber die Aufgabe übrig, die genauere Antwort auf die Frage zu geben: »was ist das Werden?« – und hier war der Moment, wo er springen mußte, um nicht zu fallen, obwohl vielleicht für solche Naturen, wie die des Parmenides, selbst jedes Springen als Fallen gilt. Genug, wir gerathen in den Nebel, in die Mystik von qualitates occultae, und sogar etwas in die Mythologie. Parmenides schaut, wie Heraklit, das allgemeine Werden und Nichtverharren an und kann sich ein Vergehen nur so deuten, daß das Nichtseiende an ihm schuld sein muß. Denn wie sollte das Seiende die Schuld des Vergehens tragen! Ebenso aber muß das Entstehen durch Mithülfe des Nichtseienden zu Stande kommen: denn das Seiende ist immer da und könnte, von sich aus, nicht erst entstehen und kein Entstehen erklären. Also ist sowohl das Entstehen als das Vergehen durch die negativen Eigenschaften herbeigeführt. Daß aber das Entstehende einen Inhalt hat, und daß das Vergehende einen Inhalt verliert, setzt voraus, daß die positiven Eigenschaften – das heißt doch eben jener Inhalt – ebenfalls bei beiden Processen betheiligt sind. Kurz, es ergiebt sich der Lehrsatz: »zum Werden ist sowohl das Seiende als das Nichtseiende nöthig; wenn sie zusammenwirken, so ergiebt sich ein Werden.« Aber wie kommt das Positive und das Negative an einander? Sollten sie sich nicht, im Gegentheil, ewig fliehen, als Gegensätze, und dadurch jedes Werden unmöglich machen? Hier appellirt Parmenides an eine qualitas occulta, an einen mystischen Hang des Entgegengesetzten, sich zu nähern und sich anzuziehen, und er versinnlicht jenen Gegensatz durch den Namen der Aphrodite und durch das empirisch bekannte Verhältniß des Männlichen und des Weiblichen zu einander. Die Macht der Aphrodite ist es, die das Entgegengesetzte, das Seiende mit dem Nichtseienden, zusammenkuppelt. Eine Begierde führt die sich widerstreitenden und sich hassenden Elemente zusammen: das Resultat ist ein Werden. Wenn die Begierde gesättigt ist, treibt der Haß und der innere Widerstreit das Seiende und das Nichtseiende wieder auseinander – und dann sagt der Mensch: »das Ding vergeht«. –
Aber Niemand vergreift sich ungestraft an so furchtbaren Abstraktionen, wie das »Seiende« und das »Nichtseiende« sind; das Blut erstarrt allmählich, wenn man sie berührt. Es gab einen Tag, an dem Parmenides einen seltsamen Einfall hatte, der allen seinen früheren Combinationen den Werth zu nehmen schien, so daß er Lust hatte, sie wie einen Beutel mit alten abgenutzten Münzen bei Seite zu werfen. Gewöhnlich nimmt man an, daß auch ein äußerer Eindruck und nicht nur die von innen her treibende Consequenz solcher Begriffe wie »seiend« und »nichtseiend«, bei der Erfindung jenes Tages mit thätig gewesen sei, die Bekanntschaft mit der Theologie des alten, viel umher getriebenen Rhapsoden, des Sängers einer mystischen Naturvergötterung, des Kolophoniers Xenophanes. Ein außerordentliches Leben hindurch lebte Xenophanes als wandernder Dichter und wurde durch seine Reisen ein viel belehrter und viel belehrender Mann, der zu fragen und zu erzählen wußte; weshalb Heraklit ihn unter die Polyhistoren und überhaupt unter die »historischen« Naturen, in dem erwähnten Sinne rechnete. Woher und wann ihm der mystische Zug in’s Eine und ewig Ruhende gekommen ist, wird Niemand nachrechnen können; vielleicht ist es erst die Conception des endlich seßhaft gewordnen greisen Mannes, dem, nach der Bewegtheit seiner Irrfahrten und nach dem rastlosen Lernen und Erforschen, das Höchste und Größte in der Vision einer göttlichen Ruhe, in dem Beharren aller Dinge innerhalb eines pantheistischen Urfriedens, vor die Seele tritt. Im Übrigen scheint es mir rein zufällig, daß gerade am gleichen Orte, in Elea, zwei Männer eine Zeit lang zusammen lebten, von denen Jeder eine Einheitsconception im Kopfe trug: sie bilden keine Schule und haben Nichts gemeinsam, was etwa der Eine von dem Andern hätte lernen und dann weiter lehren können. Denn der Ursprung jener Einheitsconception ist bei dem Einen ein ganz andrer, ja entgegengesetzter als bei dem Andern; und wenn Einer die Lehre des Andern überhaupt kennen gelernt hat, so mußte er sie sich, um sie nur zu verstehen, erst in seine eigne Sprache übertragen. Bei dieser Übertragung gieng aber jedenfalls gerade das Specifische der andern Lehre verloren. Wenn Parmenides zur Einheit des Seienden rein durch eine vermeintliche logische Consequenz kam und sie aus dem Begriff Sein und Nichtsein herausspann, ist Xenophanes ein religiöser Mystiker und gehört mit jener mystischen Einheit recht eigentlich in das sechste Jahrhundert. War er auch keine so umwälzende Persönlichkeit wie Pythagoras, so hat er doch, auf seinen Wanderungen, den gleichen Zug und Trieb, die Menschen zu bessern, zu reinigen, zu heilen. Er ist der ethische Lehrer, aber noch auf der Stufe des Rhapsoden; in späterer Zeit wäre er ein Sophist gewesen. In der kühnen Mißbilligung der bestehenden Sitten und Schätzungen hat er in Griechenland nicht Seinesgleichen; dazu zog er sich keineswegs, wie Heraklit und Plato, in die Einsamkeit zurück, sondern stellte sich eben vor jenes Publikum hin, dessen jauchzende Bewunderung für Homer, dessen leidenschaftlichen Hang nach den Ehren der gymnastischen Festspiele, dessen Anbetung menschlich geformter Steine er mit Zorn und Hohn, und doch nicht als zankender Thersites, geißelte. Die Freiheit des Individuums ist mit ihm auf der Höhe; und in diesem fast grenzenlosen Heraustreten aus allen Konventionen ist er näher mit Parmenides verwandt, als durch jene letzte göttliche Einheit, die er einmal, in einem jenes Jahrhunderts würdigen Zustande der Vision, geschaut hat, und die mit dem einen Sein des Parmenides kaum den Ausdruck und das Wort, aber gewiß nicht den Ursprung gemein hat.
Ein entgegengesetzter Zustand war es vielmehr, in dem Parmenides die Lehre vom Sein fand. An jenem Tage und in diesem Zustande prüfte er seine beiden zusammenwirkenden Gegensätze, deren Begierde und Haß die Welt und das Werden constituirt, das Seiende und das Nichtseiende, die positiven und die negativen Eigenschaften – und er blieb plötzlich bei dem Begriffe der negativen Eigenschaft, des Nichtseienden, mißtrauisch hängen. Kann denn Etwas, was nicht ist, eine Eigenschaft sein? Oder principieller gefragt: kann denn Etwas, was nicht ist, sein? Die einzige Form der Erkenntniß aber, der wir sofort ein unbedingtes Vertrauen schenken und deren Leugnung dem Wahnsinne gleichkommt, ist die Tautologie A = A. Aber eben diese tautologische Erkenntnis; rief unerbittlich ihm zu: was nicht ist, ist nicht! Was ist, ist! Plötzlich fühlte er eine ungeheure logische Sünde auf seinem Leben lasten; hatte er doch ohne Bedenken immer angenommen, daß es negative Eigenschaften, überhaupt Nichtseiendes gäbe, daß also, formelhaft ausgedrückt A = nicht A sei: was doch nur die volle Perversität des Denkens aufstellen könne. Zwar urtheilt, wie er sich besann, die ganze große Menge der Menschen mit der gleichen Perversität: er selbst hat nur am allgemeinen Verbrechen gegen die Logik theilgenommen. Aber derselbe Augenblick, der ihn dieses Verbrechens zeiht, umleuchtet ihn mit der Glorie einer Entdeckung, er hat ein Princip, den Schlüssel zum Weltgeheimniß, abseits von allem Menschenwahne, gefunden, er steigt jetzt, an der festen und furchtbaren Hand der tautologischen Wahrheit über das Sein, hinab in den Abgrund der Dinge.
Auf dem Wege dahin begegnet er Heraklit – ein unglückliches Zusammentreffen! Ihm, dem an der strengsten Scheidung von Sein und Nichtsein Alles gelegen war, mußte gerade jetzt das Antinomien-Spiel Heraklit’s tief verhaßt sein: ein Satz wie der: »wir sind und sind zugleich nicht«, »Sein und Nichtsein ist zugleich dasselbe und wieder nicht dasselbe«, ein Satz, durch den alles Das wieder trübe und unentwirrbar wurde, was er eben aufgehellt und entwirrt hatte, reizte ihn zur Wuth: »Weg mit den Menschen, schrie er, die zwei Köpfe zu haben scheinen und doch Nichts wissen! Ist doch bei ihnen Alles im Fluß, auch ihr Denken! Sie staunen dumpf die Dinge an, müssen aber sowohl taub als blind sein, um so die Gegensätze durcheinander zu mischen!« Der Unverstand der Masse, durch spielerische Antinomien glorificirt und als Spitze aller Erkenntniß gepriesen, war ihm ein schmerzliches und unbegreifliches Erlebniß.
Nun tauchte er in das kalte Bad seiner furchtbaren Abstraktionen. Das, was wahrhaft ist, muß in ewiger Gegenwart sein, von ihm kann nicht gesagt werden »es war«, »es wird sein«. Das Seiende kann nicht geworden sein: denn woraus hätte es werden können? Aus dem Nichtseienden? Aber das ist nicht und kann Nichts hervorbringen. Aus dem Seienden? Dies würde nichts Anderes als sich selbst erzeugen. Ebenso steht es mit dem Vergehn; es ist ebenso unmöglich wie das Werden, wie jede Veränderung, wie jeder Zuwachs, jede Abnahme. Überhaupt gilt der Satz: Alles, von Dem gesagt werden kann »es ist gewesen« oder »es wird sein«, ist nicht, vom Seienden aber kann nie gesagt werden »es ist nicht«. Das Seiende ist untheilbar, denn wo ist die zweite Macht, die es Heilen sollte? Es ist unbeweglich, denn wohin sollte es sich bewegen? Es kann weder unendlich groß, noch unendlich klein sein, denn es ist vollendet und eine vollendet gegebene Unendlichkeit ist ein Widerspruch. So schwebt es, begrenzt, vollendet, unbeweglich, überall im Gleichgewicht in jedem Punkte gleich vollkommen, wie eine Kugel, aber nicht in einem Raume: denn sonst wäre dieser Raum ein zweites Seiendes. Es kann aber nicht mehrere Seiende geben, denn um sie zu trennen müßte Etwas da sein, das nicht seiend wäre: eine Annahme. die sich selbst aufhebt. So giebt es nur die ewige Einheit.
Wenn jetzt aber Parmenides seinen Blick zurückwandte zur Welt des Werdens, deren Existenz er früher durch so sinnreiche Combinationen zu begreifen gesucht hatte, so zürnte er seinem Auge, daß es das Werden überhaupt sehe, seinem Ohre, daß es dasselbe höre. »Folgt nur nicht dem blöden Auge«, so lautet jetzt sein Imperativ, »nicht dem schallenden Gehöre oder der Zunge, sondern prüft allein mit des Gedankens Kraft!« Damit vollzog er die überaus wichtige, wenn auch noch so unzulängliche und in ihren Folgen verhängnisvolle erste Kritik des Erkenntnißapparats: dadurch, daß er die Sinne und die Befähigung, Abstraktionen zu denken, also die Vernunft jäh auseinanderriß, als ob es zwei durchaus getrennte Vermögen seien, hat er den Intellekt selbst zertrümmert und zu jener gänzlich irrthümlichen Scheidung von »Geist« und »Körper« aufgemuntert, die, besonders seit Plato, wie ein Fluch auf der Philosophie liegt. Alle Sinneswahrnehmungen, urtheilt Parmenides, geben nur Täuschungen; und ihre Haupttäuschung ist eben, daß sie Vorspiegeln, auch das Nichtseiende sei, auch das Werden habe ein Sein. Alle jene Vielheit und Buntheit der erfahrungsmäßig bekannten Welt, der Wechsel ihrer Qualitäten, die Ordnung in ihrem Auf und Nieder, wird erbarmungslos als ein bloßer Schein und Wahn bei Seite geworfen; von dorther ist Nichts zu lernen, also ist jede Mühe verschwendet, die man sich mit dieser erlogenen, durch und durch nichtigen und durch die Sinne gleichsam erschwindelten Welt giebt. Wer so im Ganzen urtheilt, wie dies Parmenides that, hört damit auf, ein Naturforscher im Einzelnen zu sein; seine Theilnahme für die Phänomene dorrt ab, es bildet sich selbst ein Haß, diesen ewigen Trug der Sinne nicht loswerden zu können. Nur in den verblaßtesten, abgezogensten Allgemeinheiten, in den leeren Hülsen der unbestimmtesten Worte soll jetzt die Wahrheit, wie in einem Gehäuse aus Spinnefäden, wohnen: und neben einer solchen »Wahrheit« sitzt nun der Philosoph, ebenfalls blutlos wie eine Abstraktion und rings in Formeln eingesponnen. Die Spinne will doch das Blut ihrer Opfer; aber der parmenideische Philosoph haßt gerade das Blut seiner Opfer, das Blut der von ihm geopferten Empirie.