Czytaj książkę: «Deutschland – deine Politiker»
Friedemann Weckbach-Mara
Deutschland –
deine Politiker
Machtkämpfe, Staatsgeheimnisse, Amtsmissbrauch und Privates von Helmut Schmidt bis Angela Merkel
mitteldeutscher verlag
Friedemann Weckbach-Mara (Kürzel: fwm) wurde 1947 in Uchtelfangen (Saarland) geboren. Nach dem Volontariat in Bonn begann er 1976 seine Arbeit als Mitglied der Bundespressekonferenz, zunächst bei der „Bild“-Zeitung und „Bild am Sonntag”. In der Zeit beriet er mit ausdrücklicher Zustimmung des Chefredakteurs Loki Schmidt mit ihrem Engagement zum Schutz gefährdeter Pflanzen. Ab 1983 war fwm bei „ddp, Deutscher Depeschendienst AG“ in Bonn erst Chef vom Dienst, dann stellvertretender Chefredakteur, zuletzt Chefredakteur der Neugründung ddp-TV. Im April 1985 übernahm fwm als Chefkorrespondent die Leitung der Parlamentsredaktion des Kölner „Express“, in dem er 1986 die SDI-Verträge veröffentlichte. 1989 Buchveröffentlichung: „Unser Bundespräsident – Reisen, Reden, Leben des Richard von Weizsäcker“. Im selben Jahr holte ihn Michael Spreng zu „Bild am Sonntag“, wo er als Chefkorrespondent deren Hauptstadtredaktion leitete. Nach dem Ausscheiden von Spreng wechselte fwm 2001 als Chefkorrespondent zur „Welt am Sonntag“, übernahm dort 2003 die Leitung der Parlamentsredaktion. 2005 wurde er politischer Chefkorrespondent der Berliner Zeitung „B. Z.“ und „B. Z. am Sonntag“. Seit Juli 2011 ist fwm freier Autor.
Für Ute
Inhalt
Cover
Titel
Der Autor
Widmung
Vorwort
I. Politiker entdecken ihre neue Liebe
Nachrichtenfälschung mit Hans-Dietrich Genscher
Genschers PR-Freundschaft
Die Scheidungsbeichten
Bonner Politiker heiratet seine Ostagentin
Der Ewiggestrige verlässt den Bundestag
II. Geheimnisse um kranke Politiker
Ludwig Erhard stirbt
Vertuschungsversuche und Todeskämpfe der Mächtigen
So war das mit Schäuble wirklich
III. Skandale, Amtsmissbrauch und der Griff in die Kasse
Watergate in Deutschland
Der Griff in die Staatskasse
Krause und die Minister-Putzfrau
Möllemann und der Einkaufschip
Amigo-Affäre mit Stoiber
Sozialwohnungen für Abgeordnete
Ex-Juso-Chef verlangt das große Geld
Reisespesen mit Kohl als Kronzeuge
Lustreisen im Verkehrsministerium
Kommt ein Teppich auf Staatskosten geflogen
IV. Von Terroristen und Spionen
Deutscher Terror im Ausland und bei uns
Ein Umschlag mit Geld für Willy Brandt
Der Terror kommt nach Deutschland
Sonderbehandlung für Politikerkinder
Pannen im Kampf gegen den Terror
Terroristen gehen in die Falle
Khomeinis Dichtung und Wahrheit
Verschollen in Libyen
Eine große Frau, ein Verrückter und nackte Gewalt
Bonner Nachtleben und Stimmenkauf im Bundestag
Ostspione in Westministerien
Der letzte große Spionage-Coup der DDR
Ein Bundestagspräsident am Abgrund
So kam das Staatsgeheimnis SDI in die Zeitung
Deshalb starb der Rote Admiral des BND
BND intern
Ein Spion in Ausbildung
V. Im Auslandseinsatz
Richard von Weizsäcker in schwieriger Mission
Mit der Jugendfreundin bei der Queen
Das war Lady Di live
Kohls Gorbi-Fauxpas mit Folgen
Jetlandung auf der grünen Wiese
Die Katastrophentour mit Weizsäcker
Berater von Loki Schmidt
Mit der Kanzlergattin im Dschungel von Borneo
Der Trick zum Vorzimmer der russischen Macht
Mit der Bundeswehr im Kriegsgebiet
Krieg um Afghanistan
VI. So stürzen Kanzler
Im Auf und Ab von Bundeskanzler Helmut Schmidt
Risse in der Koalition
Helmut Schmidt und der NATO-Doppelbeschluss
Helmut Schmidt im Umgang mit dem Osten
Interview im Dauerlauf am Strand
Partnertausch: Lambsdorff lässt die Koalition platzen
Stimmungsmache: Kanzlerkandidat unter Naziverdacht
Blüm muss CDU-Chef werden
SPD-Kanzlerkandidat Johannes Rau verliert
Die Mauer fällt
SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine verliert
Die Wende: So wird Kohl in Moskau zum Kanzler der Einheit
Kinkel und Stoiber als neue Politstars
Stoiber greift nach der Macht
Ein Interview wird zum Gebrüll
Helmut Kohls Funkstille und der Zusammenstoß mit Angela Merkel
Präsidentensuche auf dem Weg zum Wahljahr
Der letzte Sieg des Helmut Kohl
Ringen mit Kinkel
Herzogs Träume von einer Steuerreform
Kohls letzter Kampf
Gerd besiegt Helmut
Das Riesenrad am Personalkarussell
VII. Kohls Kriegserbe und Merkels Weg zur Macht
Neustart bei der Union
Vom Interview-Mut verlassen
Was Fischer unter Gastfreundschaft versteht
Wie Schröder mit Irakkrieg und Hochwasser gegen Stoiber gewinnt
Das erste TV-Duell
Halbwahrheiten im Irakkrieg
Nachwort – Rundgang durch den Reichstag
Anhang
Danksagung
Impressum
Fußnoten
Vorwort
Ein Satz, den Historiker Ludwig XIV. zuschreiben, geht mir nicht aus dem Sinn: „Zwei Dinge darf das Volk niemals erfahren: was wirklich in der Wurst ist und wer wirklich die Macht hat.“
Mit der Wurst bin ich schnell durch. Spät, sehr spät habe ich meine erste Currywurst gegessen, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder uns im Dezember 1999 in der neuen Berliner Kanzlervilla am Ende des Interviews für „Bild am Sonntag“ dazu einlud. Erst schickte er seine Leibwächter mit sonorer Stimme zum Einkaufen, dann ließ er die Berliner Originalkost (Hamburger mögen mir die Bezeichnung verzeihen) auf Porzellan mit Silberbesteck servieren. Dazu gab es Champagner. Beim anschließenden Schreiben des Interviews rebellierte mein Innenleben mächtig, aber inzwischen habe ich mit der Currywurst meinen Frieden gemacht und genieße sie gelegentlich, Champagner eher seltener.
Mit der Macht ist es komplizierter. Das habe ich in gut 30 Jahren als Hauptstadtkorrespondent immer wieder erlebt. Wer wo an den Fäden zieht, ist schon eine spannende Geschichte, besonders wenn man als Journalist an zahlreichen vertraulichen Gesprächen teilnehmen kann. Allerdings durfte ich über die Hintergrundinformationen gerade wegen der Vertraulichkeit bisher nicht berichten. Erst mit dem Ende der 17. Wahlperiode, also für die Zeit nach der Bundestagswahl 2013, bekam ich von den wichtigsten Gesprächspartnern grünes Licht für dieses Buch. Dafür danke ich meinen Freunden in der Politik.
Das Erlebte reicht von der ganz menschlichen Seite wie dem immer wiederkehrenden Austausch der Ehepartner unter Politikern, verschwiegene Krankheiten über Partnertausch zum Regierungswechsel bis zu Terrorgefahren, Krieg und der Arbeit von Geheimdiensten. Natürlich gehören dazu auch Indiskretionen wie die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen oder die Erinnerung daran, wie Helmut Kohl Angela Merkel aufforderte, mit mir nicht mehr zu reden, sie mich später zwar einen „gefürchteten Journalisten“ nannte, mir aber trotzdem regelmäßig Interviews gab. Übrigens auch Kohl wieder, als seine Umfragewerte sanken.
Die Summe der Einzelereignisse mag eine kleine Antwort auf die große Frage geben, wer wirklich die Macht hat, wie das so läuft in unserer Politik und wie aus Stimmungen Stimmen werden. Dabei greife ich auf meine unveröffentlichten Recherchedokumente und einige meiner 6.500 veröffentlichten Artikel zurück.
I.Politiker entdecken ihre neue Liebe
Nachrichtenfälschung mit Hans-Dietrich Genscher
Beginnen wir doch gleich mit dem größtmöglichen Ärgernis, das Reporter zu bieten haben, mit der Falschmeldung. Wie sie entstand und was daraus wurde. Zuletzt habe ich das so richtig erlebt, als der Kurzzeit-Bundespräsident Christian Wulff1 noch CDU-Vize und niedersächsischer Ministerpräsident war. 2008 trennte er sich von seiner Ehefrau Christiane. Eindrucksvoll legte er ein dankbares Bekenntnis zu wunderbaren gemeinsamen Zeiten mit ihr ab – so eindrucksvoll, dass sich jeder fragen konnte, warum die Trennung überhaupt stattfand. Dann wurde sein Scheidungsgrund bekannt: Er tauschte nach 19 Ehejahren seine gleichaltrige Ehefrau gegen die 13 Jahre jüngere Bettina Körner. Nur, wie sieht sie aus? Sofort begann die Suche nach einem Foto der Neuen. Plötzlich kommt sonntags eines auf den Markt, von dem einschlägige Klatschinformanten behaupten: „Das ist sie.“ Prompt prangt das Foto Montag exklusiv auf Seite Eins. Sieht prima aus.
Den Sonntag hatte ich bei meiner Familie in Bonn verbracht, nahm am Montag die Frühmaschine nach Berlin. Im Flugzeug las ich die tolle Exklusiv-Story, ohne zu wissen, wie sie zustande kam. Kaum hatte ich nach der Landung das Handy wieder eingeschaltet, da meldete sich Wulffs Sprecher, der schwergewichtige Olaf Glaeseker (im Amt bis zu seiner Entlassung am 22. Dezember 2011): „Warum haben Sie mich nicht angerufen? Das Foto ist falsch.“ Erschrocken versprach ich Aufklärung und den baldigen Rückruf. Gespannt fuhr ich zu den Kollegen.
In unserem Großraumbüro angekommen, gibt es die nächste Überraschung: Blond, schlank mit Schuhen wie aus dem Bleistiftspitzer, so steht dort die aufstrebende, junge Redakteurin vor mir und verblüfft mich mit dem Satz: „Warum denn recherchieren? Es liest sich doch gut.“ So ein Unsinn. Mit einer Richtigstellung auf Seite Eins umgehen wir nur mühsam eine formale Gegendarstellung. In der Überheblichkeit des Älteren brumme ich: „Das hat es früher nicht gegeben.“ Dabei denke ich an die beschauliche Bonner Republik am schönen Rhein. An der Spree ist alles ein paar Nummern größer. Da eilen allein zu Silvester dreimal mehr begeisterte Menschen zum Brandenburger Tor, als Bonn insgesamt Einwohner hat. Aber von wegen, früher war alles besser. Schon Sekunden nach dem Anflug von Wehmut fällt mir das Wahljahr 1976 ein.
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Damals war ich mit Ausweisnummer 168 gerade neues Mitglied der Bundespressekonferenz. Das ist laut Satzung „ein Zusammenschluss deutscher Parlamentskorrespondenten, die aus Berlin und/oder Bonn ständig und weit überwiegend über die Bundespolitik berichten“. Der eingetragene Verein ist regelmäßig Gastgeber für Pressekonferenzen. Dabei gelten drei Zitierregeln, die auch sonst im Umgang mit Informanten eingehalten werden: A unter Eins = zur beliebigen Verwendung, B unter Zwei = zur Verwendung ohne Quelle und ohne Nennung der Auskunftgebenden, C unter Drei = vertraulich. Also Stillschweigen. Das war in Bonn eine unumstößliche Regel.
Bei meinem ersten großen Auftrag in der Parlamentsredaktion der „Bild“-Zeitung ging es allerdings weniger um Zitierregeln, dafür umso mehr um eine faustdicke Lüge.
Wir schreiben den ersten September 1976. Der neue Außenminister und FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher2 ist auf Wahlkampftour. Ein BMW mit Journalisten fährt im Kreis Uelzen dem Promi-Tross hinterher und stößt mit einem „Triumph“-Sportwagen frontal zusammen. Zwei Personen werden schwer verletzt. Ein Kollege stirbt. Als die Nachricht über den Ticker der Agenturen läuft, rufe ich bei Genschers Büroleiter Klaus Kinkel3 an und erfahre: „Herr Genscher war schon weg, als der Unfall passierte, er hat davon nichts mitbekommen.“ Mein Büroleiter Michael Spreng schickt ein Fernschreiben – damals gab es noch diese ratternden Dinger mit Lochstreifen – an die Zentralredaktion: „Lieber Hans-Erich, das Rührstück mit Genscher geht nicht. Er war schon weg, als der Unfall passierte.“ Für uns war ist Thema durch. Am nächsten Morgen fahre ich hoffnungsfroh zur Heinrich-Brüning-Straße in die Redaktion. Auf meinem Schreibtisch liegt die „Bild“-Zeitung mit der Schlagzeile: „Genscher kniete im Gras – sein Freund starb“.
Ich kann es nicht fassen. Unter der Autorenzeile „Von Friedemann Weckbach-Mara“ steht wörtlich: „Kreidebleich, am ganzen Körper zitternd, kniete Außenminister Genscher im Gras neben der grauenhaften Unfallstelle an der Landstraße. Nacheinander hielt er die Hand der schwer verletzten Journalisten. Fassungslos presste der Minister hervor: ‚Es ist ja furchtbar.‘ Zu seinem Vertrauten Verheugen4 gewandt: ‚Sagen Sie alle Termine ab.‘“
Als vermeintlicher Autor stand ich plötzlich im Zentrum der Kollegenschelte, sie starteten eine Unterschriftensammlung gegen mich und meine Lügenstory, wie sie es nannten. Ich hatte keine Chance zur Richtigstellung. Während ich noch meine Wunden leckte, kam die Stimmungsmache mit der Rühr-Story im Wahlkampf außerhalb Bonns gut an. Genscher fuhr mit 7,9 Prozent seinen ersten Wahlsieg als FDP-Chef ein, und die Zeitung hatte eine wahrlich exklusive Story. Eine für mich neue Variante von Geben und Nehmen zwischen Politikern und Journalisten.
Der Artikel zum Unfall
Genschers PR-Freundschaft
Andererseits besiegelte der Vorgang eine enge, dauerhafte Freundschaft zwischen Genscher und Redakteur Hans-Erich Bilges, dem tatsächlichen Autor des originellen Textes. So eng, dass sie in einer einträglichen PR-Firma dauerhaft zusammenfanden. Mehr über „Genschers PR-Firma“ im Anhang.
Kein Wunder also, dass Genscher zu allen Zeiten eine besondere Vernetzung mit Chefredaktionen genießen konnte. Dieser enge Kontakt ermöglichte es ihm sogar, ein ungeliebtes Interview zurückzuziehen, das er gar nicht gegeben hatte, sondern sein umtriebiger Parteifreund Jürgen Möllemann.5 Mehr noch – selbst eine unerwünschte Schlagzeile konnte Genscher mit diesen Kontakten schon mal verhindern, wie wir später im Kapitel über Regierungswechsel erfahren werden. Besonders wenn es um sein Privatleben ging, zog er alle Register, um Veröffentlichungen zu bremsen. Dabei griff er auch schon mal zur Unwahrheit, etwa um seine Krankheit zu vertuschen.
Die Scheidungsbeichten
Dagegen war bei seiner Scheidung nicht so viel Mühe notwendig, denn zu der Zeit stand das Thema nicht besonders hoch im Kurs der Medien. Entsprechend gab es im Gegensatz zu späteren Scheidungen nur ein paar kleine Meldungen, als Genscher 1969 seine Ehefrau Luise gegen seine jüngere Sekretärin Barbara Schmidt tauschte. Genscher-Mutter, Neu-Ehefrau und Tochter aus erster Ehe bildeten mit ihrem Hans-Dietrich schnell eine harmonische Familie und keiner fragte mehr nach.
Erst Ende der 80er Jahre wurde der Partnertausch unter Politikern offener diskutiert. So kam CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (1925–2012, Bundesminister des Inneren 1982–1989, für Verkehr bis 1991) im Februar 1988 schnell in die Schlagzeilen, als er nach 17 Ehejahren die Scheidung von seiner Frau Christel verkündete. Man habe sich schließlich längst getrennt. Nun wolle der 62-jährige eine 30-jährige Arzthelferin heiraten. Ein neues Haus für beide sei schon im Bau.
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Als sich Willy Brandt6 1980 von seiner zweiten Frau Rut7 scheiden ließ, sorgte das mehr unter den Genossen als in den Medien für Diskussionen. Aufsehen erregten schon eher Fotos, die zeigten, wie er mit seiner neuen Frau Brigitte Seebacher (*1946, 26 Jahre jünger als Rut) in der Bonner Beethovenhalle zum Bundespresseball kam. Üblicherweise tragen Damen bei der Gelegenheit vorzugsweise lange Abendkleider. Dagegen erschien die eingetauschte neue Frau Brandt im kurzen Kleid, das viel Bein zeigte. Er strahlte an ihrer Seite verschmitzt in die Kameras. Noch Jahrzehnte später ging die angesehene Fernsehjournalistin Wibke Bruhns darüber hart mit Brandt ins Gericht. Gefragt, ob dieser tatsächlich ein großer Frauenfreund gewesen sei, sagte sie der „Hör zu“ im Februar 2012:
Willy Brandt in der „Express“-Parlamentsredaktion. Rechts mein damaliger Stellvertreter Georg Streiter, wurde 2011 Vizeregierungssprecher in Berlin
Er hat ein Buch geschrieben, „Über den Tag hinaus“, in dem er nicht ein einziges Mal seine Frau Rut erwähnt. Auch die Art, wie er sich getrennt hat nach über 30 Jahren Ehe für diese Ziege … – wie heißt die noch mal?
„Hör zu“: Brigitte Seebacher.
Ja. Nicht zu glauben. Er hatte ein tief gestörtes Verhältnis zu Frauen. Von ihm selbst hörte sich das ganz anders an. Als er im Dezember 1986 in meine Bonner „Express“-Redaktion kam, erzählte uns Brandt – damals SPD-Bundesvorsitzender – über seine neue Ehefrau Brigitte: „Für mich ist es eine große Hilfe, wenn wir miteinander über Geschichte und langfristige Zusammenhänge reden.“
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Freundinnen neben der Ehefrau blieben im Gegensatz zu Scheidungen in der Bonner Republik über Jahrzehnte schlicht tabu. Davon profitierte CSU-Chef und Bundesfinanzminister Theo Waigel8, Katholik wie Zimmermann. Jahrelang hatte Waigel schon die ehemalige Skiläuferin Irene Epple (Olympiazweite 1980, 18 Jahre jünger als Theo Waigel) zur Freundin, aber das war kein Thema für die Öffentlichkeit. Parteiintern schon eher. Mitten im Wahlkampf plakatierte die örtliche CSU nur einen Steinwurf von Waigels Haus entfernt ein riesiges Plakat mit überlebensgroßer Stoiber-Familie. Glücklich strahlten sie in Richtung Waigel, ganz nach dem Motto: Seht her, unsere Familie ist in Ordnung. In der Zeit versprach Waigel gleich reihenweise den stillhaltenden Journalisten in die Hand, jeder würde exklusiv erfahren, wenn es offiziell zu Trennung und neuer Heirat käme.
Die Vorgeschichte blieb so erst einmal in der Schublade: 1988 verließ er die Diplomvolkswirtin Karin Waigel nach 22 Ehejahren. Der Minister lebte allein in seinem Heimatdorf Oberrohr (660 Einwohner), Karin blieb in der Münchner Stadtwohnung, Tochter Birgit (damals 16 Jahre) kam ins Internat.
Waigel als Gast auf meiner Geburtstagsfeier
Am 23. Oktober 1994 erschien Waigel (damals 54 Jahre) um 19.00 Uhr in der Münchner Innenstadt beim Notar. Nach zwei Stunden war der Scheidungsvertrag unterschrieben. In der Folgewoche besiegelte das zuständige Familiengericht in Günzburg die Scheidung. Ergebnis: Der CSU-Chef zahlte seiner Frau einen monatlichen Unterhalt in Höhe von knapp 6.000 D-Mark, statt Abfindung erhielt Karin Waigel die Eigentumswohnung (Schätzwert damals: 550.000 D-Mark) mit Möbeln. Am 26. November 1994 folgte die Hochzeit um 11.00 Uhr im Standesamt der neuen Heimat Seeg im Allgäu. Mit Kohl und Co. Im nächsten Jahr kam der Sohn zur Welt und die drei wurden eine erkennbar glückliche Familie.
Bonner Politiker heiratet seine Ostagentin
1995 erzählte mir mein langjähriger Bekannter Karsten Voigt9 von einer Ost-West-Heirat der besonderen Art – seiner eigenen: Erst hatte die 36-jährige DDR-Journalistin Brigitta Richter jahrelang für den Ostberliner Geheimdienst MfS den damals 54-jährigen Voigt (zu der Zeit außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des NATO-Parlaments) ausspioniert, dann gaben sich beide am ehemaligen Tag der Deutschen Einheit (17. Juni) in Berlin vor dem Standesbeamten das Jawort. Für seine „ganz große Liebe“ aus der DDR hatte er sich nach 20 Ehejahren von der Architektin Inge Voigt scheiden lassen: „Wir haben uns ohne Streit einvernehmlich getrennt. Durch die Politik lebt man sich halt auseinander.“
Oder anderweitig zueinander. Denn bereits Jahre vor dieser Scheidung hatte Voigt seine Neue in Westberlin auf einer Tagung kennengelernt. Ein „Aha-Erlebnis“ (Voigt) mit Folgen. Die beiden telefonierten regelmäßig und trafen sich immer häufiger. Kurz vor dem Fall der Mauer kam sie über Ungarn in den Westen. Voigt: „Ich habe sie damals auf dem Flughafen abgeholt.“
Danach arbeitete sie in seinem Abgeordnetenbüro, später in einer Berliner Werbeagentur. Dass seine neue Geliebte ein Stasi-Spitzel war, sah Karsten Voigt mit „großer Gelassenheit. Natürlich musste sie nach Gesprächen mit mir berichten, sonst hätte sie ja nie mehr ausreisen dürfen. Doch das gehört alles längst der Vergangenheit an.“
Genauso wie die Erinnerung daran, dass der einstige MfS-Führungsoffizier von Brigitta Richter diese beim Verfassungsschutz angeschwärzt hat, Voigt und seine Geliebte von Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) vernommen wurden und am Ende der zuständige Richter wegen „geringer Schuld“ auf Klageerhebung verzichtete. So gab es keine Hindernisse mehr für ihre deutschdeutsche Liebesgeschichte.
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Ganz anders verlief Mitte der 90er Jahre der Frauenwechsel des Rudolf Scharping.10 Der damalige Bundesverteidigungsminister hatte mir wie so oft eine Exklusivgeschichte zugesagt und übrigens wie immer auch eingehalten. Diesmal ging es um sein neues Familienleben.
Seit Monaten gab es Trennungsgerüchte. Zur Klarstellung lud er mich zum gemeinsamen Gespräch mit seiner Noch-Ehefrau Jutta, die ich zuvor mehrmals bei Urlaubsinterviews getroffen hatte. Sein Plan war einfach: „Wir machen eine große Geschichte mit Ihnen und das war es dann. Wir hoffen, dass danach unser Privatleben respektiert wird, und werden uns künftig zu diesem Thema nicht mehr äußern.“ Ein Verfahren, das sich mehrfach bewährt hat, wenn man es einhält.
Wir treffen uns in der gemeinsamen Wohnung in Lahnstein. Rudolf und Jutta Scharping nach 29 Ehejahren: „Ja, wir werden uns trennen und scheiden lassen. Aber es wird keine Schlammschlacht geben. Im Gegenteil. Wir bleiben auch nach der Trennung Freunde.“ Die drei Töchter sind zu dem Zeitpunkt 18, 24 und 26 Jahre alt. Als Grund für ihren Entschluss nennen Rudolf und Jutta Scharping „die Belastung durch die Politik, den Umgang damit und unterschiedliche Lebensperspektiven“. Aber: „Trotzdem werden wir uns auch in Zukunft gegenseitig unterstützen, uns immer wieder sehen, Feste miteinander feiern, denn auch in Zukunft verbinden uns die Kinder, eine große Familie, viele Freunde und die gute gemeinsame Zeit der Vergangenheit. Jeder von uns beiden hat seinen eigenen beruflichen Weg eingeschlagen.“
Auf die Frage nach einem neuen Partner antworten sie gemeinsam: „Eine neue Beziehung ist kein Grund für die Scheidung.“ Zumindest nicht für sie, denn nach unserem Gespräch fuhr Rudolf Scharping für ein paar Tage in Urlaub nach Südfrankreich – und traf sich schon bald immer häufiger mit seiner Neuen.
Erst ein paar Jahre später sickern Gerüchte darüber durch, aber noch kennt niemand den Namen der Neuen. Über Handy rufe ich Scharping in Irland an. Es ist Freitag, der 25. August 2000. Ich habe Sorge, dass mir die Exklusiv-Story im Laufe der nächsten Woche durch die Lappen geht. Denn als Leiter der „BamS“-Parlamentsredaktion brauchte ich die Story nun mal punktgenau zum Sonntag. Das sieht er ein („Ich halte Wort!“) und verkürzt seine Gesprächsrunde mit dem irischen Amtskollegen und den europäischen Sozialdemokraten, beordert seine Challenger der Luftwaffe und verabredet sich mit mir für den folgenden Samstag um elf Uhr am Bonner Flughafen.
Vor dem Gebäude der Flugbereitschaft will ich auf die Panzerlimousine des Ministers warten, doch nichts davon ist in Sicht. Plötzlich sehe ich in einem einsamen roten VW Touran den Mann am Steuer heftig gestikulieren. Er ist es, ganz allein. Ich steige ein und frage, wohin der Fotograf kommen soll: „Später, wir fahren erst einmal los. Er soll in Richtung Taunus fahren, mehr sagen wir ihm unterwegs.“ Mehr Geheimniskrämerei geht nicht. Unterwegs erinnere ich ihn daran, dass am Samstag um 18.00 Uhr normaler Redaktionsschluss ist. Er drückt auf die Tube. Am Elzer Berg geht es noch einmal gut. Die Blitzlichtkameras reagieren nicht.
Erst nach Stunden erfahre ich, ab welcher Kreuzung Marc Darchinger, der erfahrene Foto-Kollege und Sohn des legendären Jupp Darchinger, hinter uns herfahren darf. Vorbei an kleinen Taunusdörfern, kommen wir zu einer romantisch verborgenen Block-Hütte. Er steigt aus, wir warten noch. Vor der Garage steht ein Jaguar und schon bin ich bis zur Halskrause voller Vorurteile. Das unfeine Wort von der Cartier-Hippe geht mir durch den Kopf: „Was will er nur mit der?“ Doch dann kommt eine völlige unkapriziöse Frau in einfachem T-Shirt auf uns zu: „Schön, dass Sie da sind, kommen Sie doch rein!“ Meine Vorurteile gehen über Bord. Rudolf Scharping kommt um die Ecke wie ein verliebter Pennäler mit einem Silbertablett, auf dem er für seine neue große Liebe Kristina Gräfin Pilati-Borggreve (damals 51) jede Menge Gummibärchen in Herzform angeordnet hat. Beide posieren turtelnd vor der Kamera. Als alles im Kasten ist, suchen wir gemeinsam wie verabredet die Fotos aus. Sie sollten für Marc Darchinger zum Verkaufsschlager werden.
Ich stimme mit Scharping den Text ab. Dann suchen wir im Dorf nach einer geeigneten Telefonverbindung zum Übermitteln der Fotos und werden beim örtlichen Arzt fündig. Die Zeit drängt. Erst die Fotos, dann gebe ich meinen Text durch. Ungläubig unterbricht mich die Redaktionssekretärin: „Das gibt’s doch nicht, hat er das wirklich gesagt, das ist ja wie bei Hedwig Courths-Mahler.“ Ich brumme: „Ruhe, weiterschreiben!“, und gebe durch: Das erste Wochenende ohne Heimlichkeit, dort, wo sie sich bisher nur ganz diskret treffen konnten – in der romantischen Block-Hütte eines verschwiegenen Freundes im Taunus. Beide wirken frisch verliebt wie Schüler: „Kopf und Herz sind sehr jung. So passen wir beide sehr gut zusammen“, strahlt Scharping seine „Tina“ an. Sie, die so erfolgreiche Anwältin und Notarin aus Frankfurt. Er hat seine Ministerakten dabei, sie ihre Prozessakten – aber erst mal fallen sie sich in die Arme: „Jetzt hat die Arbeit eine Pause!“ Rudolf Scharping ist erleichtert, dass er endlich seine neue Liebe auch öffentlich zeigen kann: „Wir wollen zusammenleben, so lange uns der liebe Gott leben lässt. Und vor allem ist jetzt Schluss mit der Heimlichkeit. Jetzt brauchen wir nicht mehr zu Hause kochen, sondern können auch mal essen gehen, tanzen, ins Konzert und ins Theater. Hartmut Engler von der Gruppe ,Pur‘ hat vor ein paar Tagen angerufen und uns ins Konzert eingeladen. Jetzt können wir ja in aller Öffentlichkeit zusammen hingehen.“ Er nennt sie: „eine gut aussehende, kluge, sehr zärtliche und fürsorgliche Frau, dabei selbständig und selbstbewusst.“ Und Tina schwärmt: „Ich bin wunschlos glücklich und hoffe, dass es ganz, ganz lange so bleibt.“
Seine blind anmutende Verliebtheit hält an. Alle sollen seine Tina sehen. So lässt er sich später sogar mit ihr im Pool auf Mallorca ablichten. Der Flug dorthin im Luftwaffenjet und die Plansche-Fotos, während seine Soldaten in gefährlichem Auslandseinsatz sind, werden für ihn zum politischen Sargnagel. Er muss 2002 das Verteidigungsministerium verlassen, aber Tina hält zur Verwunderung skeptischer Beobachter (mich eingeschlossen) zu ihm. Sie lässt sich für ihren Rudolf scheiden und 2003 heiraten beide neu.
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Von einer besonders verblüffenden neuen Heirat mit ungewöhnlichem Hintergrund erfuhr ich Ende 2001. In der zweiten Dezemberwoche rief mich die grüne Außen- und Sicherheitspolitikerin Angelika Beer11 an, um mir diese „Überraschung“ zu versprechen: „Sie waren doch gerade in Skopje. Es hat etwas damit zu tun, aber mehr noch mit der Art, wie Sie über Scheidungen und neue Verbindungen von Politikern geschrieben haben. So wie die anderen will ich auch Ihnen etwas anvertrauen.“ Ich war mächtig gespannt. Wir verabredeten uns zum Mittagessen im „Tucher“ am Brandenburger Tor. Das ist nicht nur ein Treffpunkt-Restaurant, sondern mit seiner großen Galerie zugleich so etwas wie ein Buchladen mit Messer und Gabel. Da kann man Bücher nicht nur lesen, sondern auch kaufen.
Bei Salat und Mineralwasser plauderte Angelika Beer über ihren „Mann fürs Leben“. Selbst langjährige Freunde überraschte die bekannte Antimilitaristin mit der Mitteilung, dass der Neue an ihrer Seite ausgerechnet Oberstleutnant der Bundeswehr ist. Das erklärt sie so: „Ich besuche regelmäßig die Bundeswehr auch im Ausland. Dabei habe ich mehrmals den deutschen Militärattaché in Mazedonien getroffen. Es waren normale Dienstgespräche. Wir haben viel über Bundeswehreinsätze diskutiert. Am 17. September hat beim Abschied nach einer Besprechung der Blitz aus heiterem Himmel eingeschlagen. Der Abschied war nur von kurzer Dauer und seit dem 1. Dezember steht für uns fest, dass wir unser weiteres Leben gemeinsam verbringen werden.“
Oberstleutnant Peter Matthiesen (damals 55) ordnete für sie sein ganzes bisheriges Leben neu, zog in Skopje aus der gemeinsamen Wohnung mit seiner Ehefrau aus: „Nach 27 Ehejahren habe ich ihre Gefühle tief verletzt. Ich hoffe auf eine gütliche Trennung. Wir sind und bleiben darüber im Gespräch.“ Er hat sieben Kinder: „Die drei Kinder in Mazedonien sind sehr enttäuscht. Es ist sicher schwer für sie. Aber ich laufe nicht weg, sondern bin auch in Zukunft für sie da.“ Auch Angelika Beer hatte mit ihrem 27-jährigen Sohn Markus aus einer kurzen frühen Ehe gesprochen, er freute sich auf ein gemeinsames Treffen, zumal es das neue Paar offenbar sehr ernst meinte. Für beide war „das Zusammensein das schönste Weihnachtsgeschenk. Die Heimlichkeit hat ein Ende. Wir lieben uns und stehen dazu.“