Czytaj książkę: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 550»
Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-957-4
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Fred McMason
In den Klauen des Tigris
Die Katastrophe war da – und das Schiff verloren …
Am späten Nachmittag hatte sich in dem kleinen Wüstental bei Mosul eine schweigende Menge versammelt. Es war der Ort, wo meist die Kamele und Hammel geschlachtet wurden.
In der Mitte des Wüstentales befand sich eine weitere künstliche Senke, deren Ränder mit faustgroßen Steinen aufgehäuft waren. Auch in der Senke lagen noch weitere Steine, die zwei Männer jetzt höher nach oben warfen.
Für einen Uneingeweihten sah es so aus, als sollte die Senke aufgeräumt werden. Aber die Leute von Mosul am Tigris wußten es besser.
Sie warteten immer noch schweigend.
Die Hauptpersonen des Romans:
Old Donegal O’Flynn – Er hört mal wieder die Flöhe husten und hält den Tigris für eine „Pißrinne“, auf der sie keine drei Meilen mehr klüsen werden.
Jack Finnegan – Er antwortet auf die Frage Carberrys, was ein Seemann im Gebirge täte, mit der Bemerkung: „Er braßt die Berge vierkant.“
Aischu – Eine junge Frau, die das Zweite Gesicht hat und von Fanatikern gesteinigt werden soll.
Edwin Carberry – Der Profos läßt wieder einmal die Fäuste fliegen, obwohl er „fromm“ sein wollte.
Philip Hasard Killigrew – Dem Seewolf wird es zunehmend unbehaglicher, weil der Wasserpegel des Tigris immer mehr steigt.
Inhalt
In den Klauen des Tigris
Das riesige Flammenrad der Sonne hatte längst den höchsten Punkt seiner Bahn überschritten und neigte sich jetzt langsam dem Horizont zu.
Dennoch war es immer noch sehr heiß. Die Einwohner von Mosul nannten dieses kleine Wüstental die „Hölle unsichtbarer Flammen.“
Ein paar Minuten später brachten sie Aischu, die Tochter des blinden und gebrechlichen Mohamed. Die Frau war totenbleich, als sie sie an den Haaren packten und zur Grube zerrten. Sie hatte die Augen geschlossen und die Zähne zusammengebissen.
„Steinigt sie!“ brüllten ein paar Männer heiser. „Steinigt das Weib. Sie hat Allah verraten …“
Juni 1597, Mosul, am Oberlauf des Tigris.
Die Große Moschee, Djami el Kebir, mit dem alten Minarett, leuchtete herüber. Eine monoton klingende Stimme war zu hören, als der Muezzin die dritte Gebetszeit verkündete. Sein Singsang war bis weit hin über das Land zu hören.
Hasard Philip Killigrew hatte kein Ohr dafür, auch die Arwenacks nicht. Sie hatten andere Sorgen, und die betrafen den Fluß, auf dem sie segelten und treidelten …
Sie hatten am Ufer festgemacht und die „Santa Barbara“ vertäut. Am Land standen noch ein paar der Kamele herum, mit denen sie die Galeone flußaufwärts getreidelt hatten.
Auch von der Bevölkerung waren die Arwenacks mißtrauisch und argwöhnisch betrachtet worden. Kontakte hatte es bisher noch so gut wie keine gegeben. Die Leute trauten den Seewölfen nicht, und sie trauten auch den Türken nicht, deren Einfluß hier spürbar war.
„Wenn das der vielgerühmte Weg nach Norden sein soll“, sagte der Seewolf, „dann sehe ich für die nächsten Meilen absolut schwarz, obschon ich wahrhaftig kein Pessimist bin. Das sieht hier ganz nach dem berüchtigten Ende der Fahnenstange aus.“
Don Juan de Alcazar und Dan O’Flynn nickten gleichzeitig. Auch in Ben Brightons Gesicht lag Besorgnis.
„Es sieht wahrhaftig nicht mehr gut aus“, stimmte er zu. „Vielleicht wäre es ganz gut, den Flußverlauf vorher zu erkunden.“
Don Juan blickte auf das schimmernde Band des Tigris. War er anfangs noch breit und mächtig gewesen, so hatte sich das grundlegend geändert. Sie hatten zwar viele Sandbänke, Untiefen und fast unsichtbare steinerne Barrieren hinter sich gelassen und waren ihnen meist auch noch rechtzeitig ausgewichen. Jetzt sahen die Zukunftsaussichten wesentlich trüber aus.
Es war Mittag, und die Sonne knallte mit einer Intensität herab, daß ihnen allen der Schweiß in den Gesichtern stand.
„Ich glaube kaum, daß das sinnvoll wäre“, meinte der hochgewachsene Spanier zweifelnd. „Wir befinden uns so ziemlich am Oberlauf, wie es scheint. Hier wird das Wasser immer flacher, denn dem Tigris wird durch andere Flüsse kaum noch Wasser zugeführt. Es hat wirklich den Anschein, als sei hier die Reise beendet.“
Er zeigte mit der Hand voraus, wo die Sonne grell auf das silbrige Band schien und sich überall das Wasser kräuselte.
„Das sind winzige Stromschnellen, tückisch und kaum sichtbar. Ich glaube, wir haben uns übernommen.“
Ein paar Arwenacks kniffen die Augen zusammen und blickten prüfend über das Wasser. Sie alle zeigten sich nicht sehr erbaut von der Tatsache, daß der Weg hier offenbar zu Ende war.
„Zumindest scheint sich hier zu bewahrheiten was ich geträumt habe“, sagte Jung-Hasard in die lastende Stille hinein. „Den weiten Weg zu den goldenen Türmen, der mit vielen Gefahren verbunden ist, haben wir immerhin geschafft. Aber hier werden wir auch erfahren, welchen Weg uns das Schicksal vorgezeichnet hat.“
„Einen ziemlich mistigen“, sagte Carberry. „Don Juan hat ganz recht mit seiner Vermutung. Wir sind am Arsch der Welt, können unser Schiffchen zusammenklappen und über die fernen Berge verschwinden. Oder wir kehren um und segeln zurück. Den Weg kennen wir wenigstens mit absoluter Sicherheit.“
„Hier – und aufgeben?“ sagte Hasard. „Nach den vielen Mühen und Plagen? Der Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht. Immerhin haben die Kaufleute auch den Weg gefunden. Folglich gibt es auch einen, wie das Kartenmaterial beweist.“
Er blickte zur anderen Flußseite hinüber, wo ebenfalls eine Moschee zu erkennen war. Noch weiter hinten befand sich ein gewaltiger Ruinenhügel, den die Sonne grell beschien.
„Ninive“, sagte der Kutscher. „Das ist ebenfalls in den Karten verzeichnet. Lange vor Christus war das wie Assur die Hauptstadt von Assyrien. Ninua wird sie in den Karten genannt. Sie soll einst fast zwei Millionen Einwohner gehabt haben.“
„Unvorstellbar“, murmelte Hasard. „Nur ist uns damit leider auch nicht gedient. Wir befinden uns inmitten prähistorischer Stätten und können kaum noch weiter.“
Old O’Flynn meldete sich auch wieder mal zu Wort.
„Wenn es nach mir ginge, dann würden wir sang- und klanglos umdrehen und zurück in den Indischen Ozean klüsen. Hier ist jedenfalls etwas unterwegs“, murmelte er unsicher.
„Dunkel, Meister, ist wieder mal Eurer Rede Sinn“, sagte Hasard. „Zum Glück geht es nicht allein nach dir, aber vielleicht hättest du die Güte, deine Andeutungen zu übersetzen.“
„Ich habe da so eine dumpfe Ahnung, aber ich kann sie nicht genau definieren. Es ist etwas im Gange, Sir, wenn du verstehst, was ich meine. Mein Beinstumpf zwackt wieder mal ganz entsetzlich, und dann hatte ich auch noch einen üblen Traum.“
Als die anderen ihn gespannt anblickten, da druckste Old Donegal noch ein bißchen herum, denn er wußte, wie kritisch oder ungnädig seine Träume oft aufgenommen wurden. Aber er hatte auch sehr oft recht behalten mit seinen düsteren Ahnungen, wenn er wieder mal „hinter die Kimm“ geblickt hatte.
„Tja, in dem Traum, da ging plötzlich alles koppheister. Ich sah uns in einer riesigen Strömung schwimmen, einem fürchterlichen Sog, aber ich weiß nicht mehr, ob sich alle retten konnten.“
„Sind ja feine Aussichten“, meinte der Profos. „Aber fürchterliche Strömungen gibt es hier zum Glück nicht. Und wenn wir weiter flußaufwärts treideln, dann brummen wir höchstens auf – wie schon des öfteren gehabt. Vergiß deinen Traum“, riet der Profos.
„Na schön, denn reden wir nicht mehr darüber.“ Old O’Flynn wandte sich ab und starrte über das Schanzkleid ins Wasser.
Der Muezzin auf dem Minarett ließ immer noch seinen nervtötenden Singsang hören. Wurde seine Stimme zu hoch, dann fing die Bordhündin Plymmie laut zu jaulen an, und die Zwillinge mußten sie erst wieder beruhigen.
Mosul selbst war um diese Zeit wie ausgestorben. Die Einwohner befanden sich entweder in ihren Hütten und Häusern, oder sie hatten sich zum Gebet in der Moschee versammelt.
Hasard sah wieder über den Fluß, der seine Tücken und Hindernisse nur zeitweilig verriet. Sein Blick war ausdruckslos, als er sich den anderen wieder zuwandte.
„Wir werden es trotzdem mit einer Jolle versuchen. Es besteht trotz allem die Möglichkeit, daß wir eine tiefere Rinne im Fahrwasser finden. Wenn nicht, dann müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen, falls wir uns hier nicht ansiedeln wollen.“
Dazu verspürte niemand die geringste Lust. Wenn sie dieses Kaff schon sahen, verkniffen sich die meisten Gesichter. Zudem waren die Leute auch noch so mufflig. Sonderbare Heilige hatte Ferris Tucker sie schon genannt.
Die Arwenacks standen etwas betreten herum, sahen auf den Fluß, starrten zur höchsten Moschee hinüber, wo der Muezzin seinen Singsang jetzt beendet hatte, und wußten alle nicht so recht, was sie jetzt tun sollten.
Nun – den Fluß erkunden, wie Hasard gesagt hatte. Ob das was einbrachte, würde sich zeigen. Die Jolle lag ohnehin neben der Bordwand und brauchte nicht erst abgefiert zu werden.
Es war erstaunlich, daß sich bisher noch niemand sonderlich um sie gekümmert hatte. Ein paar scheele Blicke hatte es gegeben, aber kein Hafenonkel oder Verwalter ließ sich blicken. Es lagen auch nur ein paar winzige Boote hier, wie sie auf den Fahrten über den Tigris benutzt wurden. Ein paar winzige Dinger dienten dem spärlichen Fischfang, der nur so nebenbei betrieben wurde.
Carberry zuckte mit den breiten Schultern. Es sah so aus, als würde eine Rah gebraßt werden. Dann drückte er das Kreuz durch und deutete auf die Jolle.
„Fangen wir doch gleich an. Ich bin nicht scharf darauf, in diesem Datteldorf lange herumzuhängen. Hier scheint es nicht mal ’ne vernünftige Pinte zu geben. Und wenn es wirklich eine gibt, dann kriegt man hier nur Pfefferminztee oder Olivenöl. Los, jetzt reißt euch mal zusammen, ihr lausigen Schratsegler. Ich brauche drei Mann. Zwei zum Pullen, einen an der Pinne und einen zum Loten.“
„Bei dieser Affenhitze?“ stöhnte Blacky. „Können wir das nicht um zwei Stunden verschieben?“
„Dann kühlt es auch nicht ab.“
Fast die ganze Crew meldete sich dann sogleich. Sie alle hatten keine Lust, hier herumzuhängen, wie Ed das bereits gesagt hatte.
Er wählte Batuti, Dan O’Flynn und Jack Finnegan aus. Vorsichtshalber nahmen sie auch Pistolen und vier Musketen mit, denn die Erfahrung hatte sie gelehrt, daß sie nicht an allen Orten willkommen waren. Es konnte auch Ärger mit Türken geben, obwohl sie denen die restliche Ladung an Gewürzen verkauft hatten.
„Wir brauchen soviel Wasser unter dem Kiel, daß wir nicht über den Schlick rutschen“, sagte Hasard. „Ich befürchte nur, daß Juan mit seiner Prognose recht behalten wird. Immerhin ist es einen Versuch wert.“
„Einen Versuch wäre es auch wert, einfach wieder abzuhauen“, murmelte Old O’Flynn vor sich hin. „Durch die Pißrinne werden wir keine drei Meilen mehr klüsen.“
Hasard warf seinem Schwiegervater einen nachdenklichen Blick zu, er sagte aber nichts. Vielleicht fühlte der alte Bursche tatsächlich wieder einmal Unheil nahen, oder hatte zumindest irgendwelche Ahnungen.
Hasard überlegte, welche Gefahren ihnen auf dem Fluß wohl drohen konnten. Sie konnten überfallen werden, oder sie konnten irgendwo hart aufbrummen und saßen dann für eine Weile fest.
Er spann den Gedanken jedoch nicht weiter, sondern sah zu, wie die Jolle ablegte. Dan O’Flynn hatte seine Position als Lotgast eingenommen. Jack und Batuti pullten, und der Profos hockte an der Pinne und starrte voraus. Bei der grellen Helligkeit mußte er immer wieder die Augen zusammenkneifen. Das Wasser blendete unglaublich stark.
Als sie die Flußkrümmung nach Westen passiert hatten, war die „Santa Barbara“ schlagartig verschwunden.
Kein Mensch war mehr zu sehen. Nur das Minarett der Großen Moschee leuchtete aus der Ferne noch herüber.
Als Lot benutzte Dan eine lange Stange, die farbig unterteilt war. Sie ließ sich schnell und einfach handhaben.
Eine halbe Meile hatten sie jetzt etwa zurückgelegt. Die Felder links und rechts des Ufers waren verschwunden. Dafür breitete sich steppenähnliche Vegetation aus. Niedriges Buschwerk, knorrige Sträucher und kriechende Gräser tauchten auf. Hin und wieder war eine einsame Ölpalme zu sehen.
Einmal sahen sie ein paar Wildesel, die bei ihrem Anblick sofort die Flucht ergriffen.
Kreuz und quer ging es über den Fluß. Es gab keine eigentliche Fahrrinne mehr, aber Dan stellte fest, daß sie auf der bei Mosul gelegenen Seite noch treideln konnten, und zwar dicht am Ufer. Die Flußmitte war teilweise von terrassenförmigen Gesteinsablagerungen bedeckt, die dicht unter Wasser lagen.
„Na, ich weiß nicht“, sagte Carberry, „wenn wir hier treideln, brummen wir früher oder später auf, aber eher früher. Weiter vorn wird der Fluß zur Stromschnelle, und da ist Sense.“
Dan jagte wieder die Stange ins Wasser wie einen Speer.
„Noch geht es, aber ich muß dir recht darin geben, daß die Reise wirklich nicht lange dauern wird. Es wird ständig flacher, dann wieder gibt es tiefe Löcher im Fluß. Nur können wir damit nichts anfangen.“
„Und wie geht es dann mit uns weiter?“ erkundigte sich Jack Finnegan.
Dan O’Flynn jagte wieder die Stange ins Wasser, das erneut flacher und seichter wurde.
„Das wird wohl die Allgemeinheit entscheiden müssen“, meinte er nachdenklich. „Der Kapitän hat ja davon gesprochen, daß er nicht unbedingt dicht vor dem Ziel aufgeben will.“
„Dann müßten wir die Galeone hier liegen lassen, und anschließend irgendwo über die Berge ziehen.“
Carberry fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht. Es gab viele kleine Fliegen hier, die unglaublich lästig waren. Sie ließen sich eher totschlagen, als ihren Platz zu räumen.
„Klar, es gibt ja nur zwei Wege“, brummte er, „den voraus oder den anderen achteraus. Da wir das Schiffchen nun mal nicht zusammenklappen können, muß es hier liegen bleiben oder verkauft werden. Verkaufen wir es, werden wir von den Wüstensöhnen übers Ohr gehauen. Außerdem lachen sie sich über uns krank. Lassen wir es aber liegen und kehren wieder zurück, dann haben diese Kameltreiber es bis aufs letzte Spant abgewrackt und alles geklaut. Um das mal ganz vornehm auszudrücken, Mister Finnegan: Wir sind in einer sehr beschissenen Lage, denn wenn wir weiterziehen wollen, müssen wir über die Berge, so sieht es jedenfalls aus. Und was tut ein Seemann im Gebirge?“
„Er braßt die Berge vierkant“, sagte Jack.
„So ähnlich. Entscheiden müssen wir uns aber bald. Spätestens dann, wenn es auf dem Wasser nicht mehr weitergeht.“
Sie schafften noch etwa eine halbe Flußmeile. Dann sahen sie sich ziemlich ratlos um.
„Finito“, sagte Dan entschieden. „Wir haben nicht mal mehr einen Faden Wasser unterm Kiel, an etlichen Stellen nur einen halben. Es hat auch keinen Zweck mehr, die Loterei weiter fortzusetzen. Ich schlage daher vor, wir pullen noch bis zur nächsten Flußbiegung, sehen uns dort einmal um und kehren anschließend mit dem höchst unbefriedigenden Ergebnis zurück.“
„Schön, dann sitzen wir fest“, sagte Batuti, und aus seiner Stimme klang fast Resignation. „Irgendwie wird es aber schon weitergehen.“
Wenn sie über das Dollbord blickten, dann konnten sie auf den Grund des Flusses blicken. Er war immer noch kristallklar. Auf dem Grund lag allerdings massenhaft Geröll, spitze, scharfe und große Brocken, die der Strom im Laufe der Zeit aus den Bergen geschwemmt hatte. Auch unterlag die Wassertiefe einem ständigen Wechsel. Mitunter schrammte die Jolle über den Grund.
Sie pullten zur nächsten Flußbiegung, die ein kleines Wäldchen vor ihren Blicken verbarg.
Dann hockten sie für ein paar lange Augenblicke still und stumm in der Jolle und sahen auf das Bild, das sich ihnen bot.
Es war recht trostlos und trübe.
Der Tigris verbreiterte sich überraschend, wurde aber gleichzeitig auch noch flacher, sandiger und gerölldurchsetzter. Aber schon hier war deutlich zu erkennen, daß die Reise beendet war.
Fast über den gesamten Fluß zog sich eine Art Katarakt. Es waren unterschiedlich hohe Felsen, an denen höchstens die Lachse ihren Spaß hatten, denn sie schnellten hoch und sprangen über kurze Strecken hinweg durch die Stromschnellen.
Es gab ein paar Durchlässe in diesem Gewirr von Felsen, Geröll und abgelagertem Gestein. Sie waren jedoch so schmal und steinig, daß bestenfalls eine Jolle hindurchgepaßt hätte. Der Tigris floß hier in kleinen Stromschnellen talwärts. Erst hinter dem Katarakt wurde das Flußbett noch etwas breiter. Aber tief konnte das Wasser dort auch nicht mehr sein.
Den Arwenacks war das gleichgültig, als sie das sahen. Mochte das Wasser hinter dem Katarakt auch noch so tief sein, es, nutzte ihnen nichts mehr. Vor der Barriere war Schluß – endgültig.
Carberry schlug wieder ein paar der lästigen Plagegeister tot, die sich auf seiner Wange niedergelassen hatten. Bis auf das entfernte Plätschern des Wassers war alles sehr still, und sehr einsam vor allem.
„Zumindest haben wir jetzt die endgültige Gewißheit“, sagte Dan in die lastende Stille hinein. Dann blickte er zur Sonne, die sich immer tiefer dem Horizont zuneigte. „Kehren wir wieder um, es hat keinen Zweck mehr. Die anderen werden von der Nachricht nicht gerade erbaut sein, obwohl alle damit gerechnet haben.“
Carberry zog ein verdrossenes Gesicht. Nein, auch er war von dieser Aussicht keinesfalls erbaut. Dem Profos stank es, auf dem Fluß herumzugammeln, auf dem es nicht weiterging – es sei denn, sie kehrten wieder um, was ihm aber auch nicht so recht paßte.
„Derselbe Mist wie damals“, knurrte er verärgert, „als wir im Kanal der Pharaonen festsaßen. Ich bin von sämtlichen Flüssen und Kanälen für die nächsten hundert Jahre restlos bedient.“
„Aber die Kaufleute“, wandte Jack Finnegan ein, „die haben doch auch einen Weg gefunden, wie aus ihren Aufzeichnungen hervorgeht.“
„Wer weiß, wie lange das schon her ist“, brummte Ed. „Die Burschen waren alle steinalt. Vielleicht konnte man zu ihrer Zeit den Fluß noch befahren.“
Dan O’Flynn sagte vorerst gar nichts mehr. Er dachte nur nach und überlegte, wie die türkischen Kaufleute die Strecke geschafft haben mochten. Aus ihren Aufzeichnungen ging einwandfrei hervor, daß sie den weiten Weg zurückgelegt hatten. Daran gab es nicht den geringsten Zweifel.
Ziemlich schweigsam und grübelnd pullten sie die Strecke zurück, bis hinter der Flußbiegung wieder die Moschee mit den hohen Minaretten zu erkennen war.
Kurz darauf tauchte auch die „Santa Barbara“ wieder auf.
Hasard hörte mit unbewegtem Gesicht zu, als Dan von dem Katarakt berichtete, der für sie das Ende der Reise bedeutete.
Inzwischen war auch das dritte Gebet beendet, und Mosul, das von den Einheimischen hier El Mawsil genannt wurde, füllte sich wieder langsam mit Leben. In respektabler Entfernung standen ein paar Gaffer herum, die halb furchtsam, halb neugierig auf die Galeone starrten. Sie kamen jedoch nicht näher heran.
„Dann haben wir also die unumstößliche Gewißheit, daß unsere Reise auf dem Tigris beendet ist“, sagte der Seewolf. „Es hat auch keinen Zweck mehr, noch eine halbe Meile weiterzutreideln. Schade, aber es ist nun einmal nicht zu ändern.“
„Womit wir jetzt ein verdammtes Problem am Hals haben“, meinte Ed. „Unsere Ladung ist verkauft, mit den Gewürzen haben wir ein gutes Geschäft getätigt, aber was tun wir jetzt?“
Hasard deutete auf die Karten, die auf der Kuhlgräting ausgebreitet waren, und die sie immer wieder studiert hatten.
„Wenn wir den Tigris jetzt talwärts segeln oder treideln“, erklärte er, „werden wir nie den geheimnisvollen Weg finden, der in das sogenannte Große Meer führt, oder das Binnenmeer, wie es sich nennt. Aber gerade dieser Weg kann von ungeheurer Bedeutung sein. Geht immer nach Norden, so heißt es in den Aufzeichnungen.“
„Im Norden sind wir ja schon“, meinte Carberry etwas hilflos, „aber es geht nicht mehr weiter.“
„In den Aufzeichnungen steht aber, daß wir noch weiter nach Norden gehen sollen, und dann würden wir das Osmanische Reich sehen“, wandte Hasard junior ein. „Wir würden uns dann zu unserer Verwunderung übergangslos im Großen Binnenmeer wiederfinden.“
Don Juan hörte interessiert zu und nickte.
„Wahrscheinlich ist das wortwörtlich aufzufassen. Es bezieht sich auf das Gehen. In den Aufzeichnungen steht nichts davon, daß der Rest der Strecke nach Norden mit einem Schiff zurückgelegt werden soll, was ja auch gar nicht möglich ist.“
„Das ist richtig“, gab Hasard zu. „Wir haben die Karten noch einmal gründlich studiert. Sie sind teilweise aus dem Gedächtnis aufgezeichnet. Wir haben jedoch herausgefunden, daß wir ziemlich hoch in die Berge müssen, was ein langer und beschwerlicher Törn sein dürfte. Wir werden das morgen entscheiden und darüber abstimmen. Zuvor werden wir uns in diesem Ort etwas umhören. Möglicherweise erfahren wir hier mehr über die geheimnisvolle Route.“
„Falls wir überhaupt Kontakt mit der Bevölkerung kriegen“, wandte Ben Brighton ein. „Die Leute sind hier recht eigenartig. Sie starren uns nur neugierig oder auch feindselig an. Hier kümmert sich kein Hafenverwalter um uns, keine Händler lassen sich blicken. Sie scheinen uns zu mißtrauen.“
„Sie werden noch nie ein so großes Schiff hier gesehen haben, deshalb müssen wir uns bemühen, Kontakte zu knüpfen.“
Die paar Gaffer, die immer noch in respektvoller Entfernung herumstanden, waren ausnahmslos Männer. Die meisten hatten finstere Gesichter und trugen Bärte. Einige erinnerten an heißblütige Fanatiker, die alles Fremde haßten und verteufelten. In etlichen Blicken lag einwandfrei offene Feindseligkeit.
Kreuzten sich die Blicke zwischen Arwenacks und Einwohnern, dann wurden die Mienen der Muselmänner noch finsterer. Es würde wahrhaftig schwer werden, hier Kontakte anzuknüpfen.
Die Kerle, die sackartige Überhänge trugen und gewaltige Krummdolche im Gürtel mit sich herumschleppten, tuschelten leise miteinander und musterten immer wieder Schiff und Mannschaft, als hätte der Scheitan persönlich beides ausgespien und an diesen friedlichen und ruhigen Ort versetzt.
Zwischen den Hütten und kleinen Häusern tauchten Kinder und halbverschleierte Frauen auf. Sie hielten sich sehr auf Distanz und beobachteten nur. Lediglich ein paar streunende Köter näherten sich dem Schiff und kläfften die Wolfshündin an, als wollten sie sie provozieren. Aber auch der Schimpanse Arwenack und der buntschillernde Papagei Sir John erregten beträchtliche Aufmerksamkeit, denn immer wieder deuteten Hände auf die Tiere, und die Muselmanen zuckten jedesmal zusammen, wenn der Papagei üble Wörter krächzte.
Zum Glück verstanden sie nicht, daß Sir John sie Affenärsche, Rübenschweine und Kakerlaken schimpfte, sonst wären die Feindseligkeiten sicher längst ausgebrochen.
Die Sonne neigte sich weiter dem Horizont zu. Die Hitze ließ jedoch nicht nach, und auch nachts würde es heiß und drückend sein. Es regte sich auch kein Lüftchen mehr.
Aber der Ort erwachte immer mehr zum Leben, wenn auch zu einem bescheidenen, das sich auf einen Basar beschränkte. In der Mittagsglut war niemand zu sehen gewesen. Jetzt tauchten überall Gestalten auf. Etliche davon näherten sich auch der Galeone und stierten sie an. Aber alle hielten Abstand und wahrten Distanz.
„Wie steht’s mit Landgang, Sir?“ fragte der Profos. „Ein kleiner Erkundungsgang und so. Ich würde mir das Kaff gern mal aus der Nähe ansehen, und die anderen sicher auch. Vermutlich ist da nicht viel los, aber …“
Der Seewolf schüttelte langsam den Kopf.
„Heute nicht mehr. Ihr könnt an Bord eine Kleinigkeit trinken. Die Leute sollen sich erst an unseren Anblick gewöhnen und merken, daß wir nichts im Schilde führen. Morgen ist das Mißtrauen vielleicht etwas mehr abgebaut. Wir werden morgen auch einkaufen, einen Bummel auf dem Basar machen und Erkundigungen einziehen. Belassen wir es heute dabei, daß wir an Bord bleiben, einverstanden?“
Sie waren einverstanden, auch der Profos, der das einsah, obwohl ihn ein kleiner Bummel immer noch mächtig juckte.
„Heißt das, wir können an Bord einen kleinen Umtrunk nehmen?“ erkundigte er sich.
„Wenn es bei einem kleinen Umtrunk bleibt, habe ich nichts dagegen“, sagte Hasard. „Schließlich wollen wir hier ja nicht gleich unangenehm auffallen. Das ist hier ein stiller und friedlicher Ort.“
Also blieb es bei dem kleinen Umtrunk an Bord. Die Gaffer waren wieder abgerückt. Und als die Sonne unterging, fing wieder der Muezzin vom Minarett mit seinem Singsang an und nervte sie eine halbe Stunde lang.
„Bin ich froh, daß ich kein Muselmann bin“, seufzte Ed. „Fünfmal am Tag auf den Teppich steigen, ist nun gar nicht nach meinem Geschmack. Da bleibt ja die ganze Arbeit liegen.“
Sie hockten an Deck, verscheuchten die lästigen Fliegen und tranken Dünnbier, das wegen der Hitze jedoch nicht so recht schmecken wollte.
Eine Laterne wurde entzündet, Wachen aufgestellt.
Und dann hörten sie es etwas später rumpeln. Es war unregelmäßiger Donner, der von weit her kam.
„Wenn wir auf See wären“, sagte Pete Ballie, „dann würde ich jetzt behaupten, da sei eine Schlacht im Gange. Es hört sich wirklich wie ferner Kanonendonner an.“
„Das ist ein Gewitter“, behauptete Ed, „und zwar ein ganz höllisches, das sich irgendwo zwischen weit entfernten Bergen austobt.“
„Aber die Regenzeit in dieser Zone ist vorbei“, meinte Pete. „Möglicherweise findet doch auf dem unteren Flußlauf ein Gefecht statt.“
Carberry verneinte das sehr entschieden. Sie lauschten eine Weile, konnten sich aber nicht einigen, wer nun recht hatte.
„Ich habe recht“, sagte Ed schließlich mit Nachdruck. Das aber wollte Pete Ballie nicht gelten lassen.
„Weshalb hast ausgerechnet du recht?“
„Bordpsalm eins sagt klar und deutlich: Der Profos hat immer recht“, sagte Ed in liebenswerter Bescheidenheit.
„So, so, und was sagt Bordpsalm zwei?“ fragte Pete.
Auch darauf hatte Carberry eine Antwort parat.
„Bordpsalm zwei besagt: Bei bestehenden Zweifeln tritt Bordpsalm eins in Kraft.“
Paddy Rogers starrte in den Sternenhimmel und dachte über die Worte des Profos nach. Ungeheuer kompliziert war das, was er da hörte, und so kratzte er sich erst einmal ausgiebig das Kinn.
„Dann hat der Profos also doch immer recht“, sagte er nach zehn Minuten angestrengten Überlegens. „Und wenn jemand daran zweifelt, dann muß er wieder von vorn anfangen, stimmt’s?“
„Stimmt genau, Paddy“, sagte Ed grinsend. „So einfach ist das.“
Die anderen grinsten, nur der Kutscher nicht. Der hockte auf dem Handlauf der Kuhl und blickte entsagungsvoll in den Mond. Dann drehte er sich um und wollte etwas sagen, doch dabei fiel sein Blick auf Old Donegal, der vor den Stufen des Niederganges hockte. Mit einem Satz war der Kutscher auf den Beinen.
„He, was ist denn mit dir los?“ fragte er und stieß Old O’Flynn sachte an. Donegal hatte sich auffallend still und ruhig verhalten, und so hatte ihm auch niemand Beachtung geschenkt. Jetzt drängten sie sich plötzlich alle um ihn, denn der Alte erweckte einen sehr sonderbaren Eindruck. Er lag halb auf der Seite, hatte die Lippen zusammengepreßt und die Augen weit geöffnet. Aber in diesen Augen war nur das Weiße zu sehen. Sein Körper war seltsam steif und verkrampft, als sei er vor einer Weile gestorben.
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