Seewölfe - Piraten der Weltmeere 495

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 495
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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-903-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Die Burg Zion

Sie setzten sich auf der Insel fest – und dann planten sie einen Kreuzzug

Es waren Mel Ferrow und Roger Lutz aus der Crew Jean Ribaults, die den fanatisierten Anhängern des Jeremiah Josias Webster in die Hände fielen, als sie die abgeschirmte Bucht an der Südküste von New Providence erkundeten. Webster nahm die beiden Männer als Geiseln und drohte, sie zu erschießen oder aufzuhängen. Da mußte Jean Ribault wohl oder übel mit der „Golden Hen“ abziehen, aber er würde seine beiden Männer nicht im Stich lassen. Indessen plante der üble Webster bereits, ein „Gottesurteil“ über die beiden Geiseln zu verhängen, ein schauriges Spektakel zum Ergötzen seiner „Gemeinde“. Die beiden Männer sollten gegen den Riesenhai in der Bucht kämpfen. Nur kannte Webster eben nicht den Haifisch-Töter Mel Ferrow, der selbst zum Angriff überging …

Die Hauptpersonen des Romans:

Jeremiah Josias Webster – der erhabene Großmeister begeht einen kaltblütigen Mord und legt sich dann schlafen.

Harris – der ehemalige Schreiberling ist seinem Herrn hündisch ergeben.

Jessica Baker – hat etwas dagegen, die Stammutter eines neuen Geschlechts zu werden.

Philip Hasard Killigrew – sein Plan, den Großmeister auszuschalten, wird einstimmig angenommen.

Jean Ribault – mit ein paar harten Kämpfern bricht er auf, um Hasards Plan zu verwirklichen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

24. Juni 1595 – Südküste von New-Providence.

Dem religiösen Scharlatan Jeremiah Josias Webster standen immer noch die Haare zu Berge, denn die eben abgelaufene Szene stand allzu deutlich vor seinem geistigen Auge.

Der Großmeister oder Erhabene, wie Webster sich von seinen ebenfalls fanatischen Anhängern anreden ließ, hatte ein Gottesurteil gefällt. Dieses sogenannte Gottesurteil war nichts als eine einzige Farce gewesen. Aber das ahnten die fanatisierten Gläubigen nicht. Sie vertrauten Webster blindlings und völlig ergeben.

Webster war ein stiernackiger und grobschlächtiger Mann mit hellen, fanatisch funkelnden Augen und einer groben Hauklotzvisage.

In England war er als Wanderprediger herumgezogen, als eifernder Anhänger des Puritanismus kalvinistischer Prägung. Er hatte sich in einen religiösen Wahn gesteigert und versinnbildlichte die Figur des eifernden und rachsüchtigen Jehova im Alten Testament.

Rachsüchtig war er – und von barbarischer Gewalttätigkeit, wenn es um seine Vorteile ging. Der Herr hatte ihn „auserwählt“, das „Flammenschwert Gottes“ zu sein, das solche Übel wie Trunksucht, Völlerei und Hurerei an der Wurzel ausrotten sollte.

Jeremiah Webster tat das gründlich, obwohl er persönlich keineswegs abgeneigt war, diesen Gelüsten nach Kräften zu frönen.

Augenblicklich stand er allerdings noch immer unter dem Eindruck der Szene, die sich in der Bucht abgespielt hatte.

Er hatte seine beiden Gefangenen, Mel Ferrow und Roger Lutz, einem riesigen, sich in der Bucht herumtreibenden Hai zum Fraß vorwerfen lassen. Aber das „Gottesurteil“ war in die Hose gegangen. Die beiden Männer von Jean Ribault hatten das riesige Biest in einem Duell unter Wasser mit ihren Messern getötet.

Jetzt trieb der „Wächter von Jerusalem“, wie Webster den Hai genannt hatte, kieloben in der Bucht. Das Wasser hatte sich erst blutrot, dann rosa verfärbt. Der riesige Hai sah wie ein gestrandetes Schiff aus. Sein nach oben gekehrter Unterleib war zerfetzt von den Messern. Die Blutlache breitete sich immer weiter nach allen Richtungen aus.

Ein paar hundert Leute sahen erschauernd zu – fanatische Anhänger von Webster, die genauso entsetzt waren wie der Großmeister selbst.

Der „Wächter von Jerusalem“ war tot! Die beiden Nattern vom Natterngezücht auf Great Abaco hatten den Hai entgegen aller Erwartungen abgestochen und waren einfach getürmt. Die Musketenschüsse, die man ihnen nachgeschickt hatte, waren ebenfalls wirkungslos verpufft.

Nach und nach wurde sich der Großmeister des ganzen Ausmaßes der Pleite bewußt. Es war die dritte Niederlage, die er durch den Bund der Korsaren erfahren mußte.

Ausgerechnet Edwin Carberry war der Großmeister in die Hände gefallen – und der Profos schlug eine gewaltige Kelle. Dementsprechend sah Webster auch immer noch aus. Jetzt fehlte ihm der obere Schneidezahn, seine Nase war etwas verschoben, und die Klüsen brachte er nur sehr mühsam auf. Sie schillerten noch in allen Farben. Kurzum: Die Hauklotzvisage war lädiert und verbeult.

Das war die zweite Dresche gewesen, die sie bezogen hatten. Und die dritte Pleite hatte sie gerade eben erlebt.

Neben Webster stand mit verkniffenem Gesicht ein Mann namens Harris, bigott bis in die Knochen und dem Großmeister in hündischer Ergebenheit zugetan.

Harris war Junggeselle und vor der Ausreise aus England Schreiber in einer winzigen Gemeinde westlich von Plymouth gewesen. Er war ein schulmeisterlicher und pedantischer Mensch, mit dem Dünkel, zu Höherem geboren zu sein. Der Großmeister hatte ihn zu seinem Stellvertreter und Adjutanten ernannt.

Harris hatte zwar nicht die Führungsqualitäten des Großmeisters, aber er fühlte sich ständig zu allem „berufen“.

Jetzt fühlte er sich dazu berufen, einen Kommentar abzugeben.

„Das ist ja furchtbar“, hauchte er entsetzt. „Wie haben diese Nattern es nur geschafft, den Wächter von Jerusalem zu töten, Großmeister?“

Mit dem Messer, du Idiot, wollte der Großmeister erwidern, aber das verkniff er sich gerade noch, denn die Antwort wäre in Anwesenheit der vielen anderen Gläubigen reichlich unpassend gewesen.

„Der Herr hat es so gewollt“, sagte Webster salbungsvoll. „Ihm hat es gefallen, uns erneut einer Prüfung zu unterziehen. Wir, die wir hier die Burg Jerusalem zu errichten gedenken, werden besonders hart geprüft und geläutert, bis das Werk vollendet und Gott wohlgefällig ist.“

„Sehr wohl, Großmeister“, hauchte der schmächtige Harris, wobei er Webster einen ehrfurchtsvollen Blick zuwarf. Natürlich, so war es, eine Prüfung, wie konnte es auch anders sein! Schließlich waren sie in diese Neue Welt gesegelt um einen „Kreuzzug“ gegen Wilde, Heiden, Andersgläubige und das Natterngezücht auf Great Abaco durchzuführen. Da war es nur verständlich, daß der Herr in seiner grenzenlosen Güte sie auch vor harte Proben stellte.

Den Großmeister hatte der Herr ganz besonders hart geprüft, denn der stand ihm sozusagen auch am nächsten. Das Gesicht des Erhabenen drückte diese harte Prüfung noch in schillernden Farben aus. Darüber schien der Großmeister auch recht unglücklich zu sein. Aber er war ein frommer Mann, und als solcher ertrug er die Leiden klaglos, wie sich das für ihn geziemte. Seit der letzten „Prüfung“ die in Gestalt eines narbengesichtigen Kerls mit einem gewaltigen Amboßkinn über ihn hereingefallen war, lispelte der Erhabene auch. Das rührte daher, daß ihm oben ein Schneidezahn fehlte.

„Laßt uns Gott wohlgefällig sein und ihm zu Ehren einen Choral anstimmen!“ rief der Großmeister seinen Schäfchen zu, die immer noch voller Entsetzen auf den treibenden Riesenhai in der Bucht blickten.

So ein Choral, besonders lautstark gesungen, half Webster oft über peinliche und schmachvolle Situationen hinweg. Es lenkte auch vom eigentlichen Geschehen ab.

So ertönte denn aus mehreren hundert Kehlen ein Gesang, der in der ganzen Bucht widerhallte. Die fanatisierten Gläubigen, die Webster um sich geschart hatte, sangen aus vollen Kehlen.

Und daneben stand mit strenger Miene der schulmeisterliche Harris, der strenggesichtig und wichtigtuerisch aufpaßte, daß auch ja alle inbrünstig mitsangen.

Ja, sie sangen alle sehr inbrünstig mit, wie er feststellte. Auf allen vier Schiffen wurde lauthals gesungen. Am lautesten aber auf der „Kyrie eleison“, sozusagen dem Flaggschiff, auf dem sich der Großmeister befand.

Als der Choral beendet war, herrschte lange Augenblicke andächtige Stille. Die Augen der Gläubigen richteten sich wieder auf den „Wächter von Jerusalem“. Sein Maul war weit aufgerissen, und die schrecklichen Zähne waren zu sehen, messerscharfe Zahnreihen in einem blutigen Maul, die allen einen Schauer über den Rücken jagten.

Dieser Riesenhai hatte sich kürzlich schon ein Opfer geholt, einen Mann, der gewagt hatte, ein paar kritische Einwände vorzubringen. Webster hatte ihn über Bord werfen lassen, um dem Herrn ein wohlgefälliges Opfer darzubringen, wie es der Herr von Abraham im ersten Buch Mose, Kapitel zweiundzwanzig, verlangt hatte.

 

Durch dieses Opfer war er einen Quengler los, einen Mann der denken und kritische Fragen stellen konnte. Dadurch, daß der Hai das Opfer angenommen hatte, hatte der Herr auch zugestimmt, daß in dieser herrlichen Bucht die Burg Jerusalem errichtet werden sollte.

Keinem der Fanatiker kam es in den Sinn, daß Webster einen eiskalten Mord begangen hatte. Der Großmeister duldete in seinem „Orden“ keinen, der selbständig denken konnte. Außerdem war das grausige Schauspiel jenen eine Lehre, die Kritik äußern könnten. Daher ging Webster gegen jede Art von Opposition mit barbarischer Härte vor. Das bereitete ihm außerdem noch Lust, denn er war ein pervertierter Sadist, der sich an Quälereien ergötzte.

Der Großmeister mußte jetzt auch noch die vierte Prüfung über sich ergehen lassen, denn die Stille, die nach dem Choral herrschte, wurde durch schnellen Riemenschlag unterbrochen.

Zwei keuchende Männer pullten das Boot auf die „Kyrie eleison“ zu. Zwischen den Duchten hingen drei weitere Männer, leblos, offenbar waren sie tot oder sehr schwer verletzt.

Webster blickte aus funkelnden Augen auf das Boot. Dann faltete er die Hände, blickte auf die Planken und sah wieder hoch.

„Ich ahnte, daß uns noch weitere Prüfungen auferlegt werden“, sagte er entsagungsvoll. „Der Herr läßt nur die Geprüften walten, bis sie in seinen Augen wohlgefällig sind. Es ist ein langer und steiniger Weg, aber wir sind ihn bald gegangen, Brüder und Schwestern, und dann ist das Königreich unser.“

Einer der Ruderer enterte schweigend auf, trat vor Webster hin und senkte den Kopf.

„Wir haben drei Brüder auf der südlichen Landzunge gefunden, Erhabener“, sagte der Mann. „Sie wurden seit der Flucht der beiden Nattern vermißt. Jetzt fanden wir sie. Sie sind tot, erstochen von den erbärmlichen Schurken, die den Wächter von Jerusalem auf dem Gewissen haben. Ein weiterer Mann ist verletzt, wir haben ihn bereits versorgt. Was soll geschehen, Erhabener?“

Webster sah wieder auf die Toten in der Jolle. Zusammengekrümmt lagen sie reglos zwischen den Duchten.

„Diese schmutzigen Teufel!“ schrie der Großmeister in einem plötzlichen und rasenden Wutanfall mit donnernder Stimme. „Sie sind von den Mächten der Hölle besessen! Satansbrut, Schlangen und Natterngezücht, elendes! Sie werden diese Tat büßen, der Zorn Gottes wird sie grausam richten.“

Sein Blick war flammend geworden, er hatte die Hände zu Fäusten geballt und sah sich mit fanatisch funkelnden Augen um.

Er sah Entsetzen in den Gesichtern der Männer und Frauen, er sah Haß aufglimmen, der sich bis zur Raserei steigerte. Er stachelte die Leute noch mehr an, mit wilden Gesten, drohenden Fäusten und wilden Blicken, bis sie sich erneut in einen Taumel steigerten und lautstark nach Rache und Vergeltung riefen.

In der einstmals so stillen und ruhigen Bucht war der Teufel los, als Websters fanatische Anhänger in ein Wutgebrüll ausbrachen.

Diese drei Kerle, dachte er, die jetzt erstochen in der Jolle lagen, waren nicht einmal in der Lage gewesen, die Flucht der beiden Kerle zu verhindern. Schlappschwänze waren das seiner Ansicht nach, Feiglinge, die zu viert waren und sich einfach hatten abstechen lassen. Er hatte nur verächtliche Gedanken für sie übrig, denn durch die Unfähigkeit dieser Leute waren die beiden Kerle entwischt.

Aber er hatte drei Märtyrer, und das war mehr wert, denn jetzt konzentrierte sich der ganze Haß seiner Anhänger auf die wilden Kerle, die hier wie die Teufel erschienen waren und kräftig aufgeräumt hatten.

„Jawohl!“ brüllte er noch lauter mit einer Donnerstimme, die auch den letzten Mann noch erreichte. „Der Allmächtige wird dieser Mörderbande eine Lektion erteilen. Wir werden sie von Gottes Erdboden hinwegfegen. Der Himmel wird nicht eher ruhen, bis das feige Mördergesindel seine gerechte Strafe erleidet. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber gerecht“, wärmte er eine alte Weisheit dann wieder auf.

Webster sprach mal etwas leiser, dann wieder lauter. Er kannte die Augenblicke genau, wann er die Leute hart aufhetzen mußte, um sie anzustacheln. Mitunter klang seine Stimme flehend, befehlend, einschmeichelnd oder wild und herrisch, und sie duldete in keiner Tonlage einen Widerspruch.

Bewundert sahen die Schäfchen zu ihm auf. Er führte sie, er sorgte für sie, sie vertrauten ihm grenzenlos und hießen alles gut, was er anordnete oder tat. Blindlings fielen an die vierhundert Menschen auf den Scharlatan herein, glaubten jedes Wort, nahmen begierig jedes erlogene Beispiel von ihm auf und sangen danach beglückt ein Halleluja für den Erhabenen.

„Lasset uns nun für die tapferen Männer beten, Brüder und Schwestern, die so heldenhaft ihr Leben für die anderen einsetzten und durch feige Mörderhand umkamen. Unser Gewissen wird nicht eher ruhen, bis unsere toten Brüder gerächt sind. Auge um Auge, Zahn um Zahn, so steht es im Alten Testament geschrieben.“

Nach dem Grundsatz hatten Mel Ferrow und Roger Lutz ebenfalls gehandelt, als man sie dem Riesenhai zum Fraß vorwerfen wollte. Wer das tat, der hatte auch keine Schonung zu erwarten. Sie hatten sich ihren Fluchtweg rigoros freigekämpft. Die andere Seite hatte auch kein Erbarmen gezeigt.

Daran dachte der Großmeister natürlich auch, aber er hütete sich, das auszusprechen. Die Schuld lag immer bei den anderen und war niemals in den eigenen Reihen zu suchen.

„Was soll geschehen, Erhabener?“ fragte der Mann demütig.

„Wir werden sie begraben“, sagte Webster düster. „Dort auf jener Landzunge, wo sie im heiligen Kampf gefallen sind. Wir werden ihr Andenken auf ewig in Ehren halten, schwört mir das!“

Die Menge stimmte frenetisch brüllend zu. Aber das Gebrüll ging an den Ohren des Erhabenen vorbei. Er hörte es nur wie ein weit entferntes Tosen, das er kaum wahrnahm.

Augenblicklich beschäftigte ihn ein ganz anderer Gedanke. Er begriff jetzt, daß er einen Fehler begangen hatte. Er hätte die beiden Kerle niemals gegen den Hai kämpfen lassen sollen. Das war unklug von ihm, denn tote Geiseln brachten nichts ein.

Tote Geiseln? Bewahre, die beiden Halunken lebten ja noch und waren entkommen. Entwischt waren sie, abgehauen, verschwunden. Das hatte fraglos zur Folge, daß es eine harte Gegenreaktion des Natterngezüchtes geben würde.

Teufel, Teufel, dachte er beklommen. Verstohlen sah er sich nach links um, wo einer seiner „Oberjünger“ stand.

Der Mann war Tischler und hieß John Moore. Webster hatte ihn bereits seit geraumer Weile im Auge, denn Moore war einer derjenigen, die bei aller Frömmelei und Bigotterie noch einen Funken Verstand hatten. Er kannte noch ganz gut die Realitäten und hatte bereits ein paarmal widersprochen.

Ihre Blicke kreuzten sich. Websters Blick war flammend und leidenschaftlich. Moore hatte die Lider halb geschlossen, den Mund verkniffen und die Hände vor dem Bauch gefaltet. In sein Gesicht hatten sich tiefe Linien eingekerbt, die von Leid und Entbehrung zeugten. Sein schwarzgrauer Backenbart ließ ihn älter erscheinen, als er in Wirklichkeit war.

Es war, als hätte Moore seine Gedanken gelesen, als wüßte er ganz genau, was Webster augenblicklich dachte.

„Drei unserer Leute sind tot, Erhabener“, sagte er mit leiser Stimme. „Es waren gute Männer, aber es ist ihnen nicht gelungen, die Mörder zu fassen. Das Entkommen dieser beiden Gefangenen wird Konsequenzen nach sich ziehen. Verzeihung, ich möchte nur auf unsere augenblickliche Lage hinweisen.“

Webster bedachte ihn mit einem eiskalten Blick. Moore senkte den Kopf noch tiefer. Er ertrug es nicht, in die fanatisch funkelnden Augen zu sehen. Dabei fühlte er sich immer, als würde er bis auf die Seele entblößt.

„Sprich nur weiter“, sagte Webster gefährlich leise. „Als ob ich nicht selbst wüßte, wie unsere augenblickliche Lage aussieht.“

„Die Ketzer werden wiederkommen, Erhabener. Der Oberketzer hat es angedroht. Mir klingen noch die Worte im Ohr. Er sagte, wenn wir die beiden Gefangenen nicht sofort herausgeben, wird hier eine Streitmacht von neun Schiffen aufmarschieren, und das würde das unweigerliche Ende unseres Ordens bedeuten.“

„Sprich dich aus“, höhnte Webster so leise, daß es die meisten anderen nicht verstehen konnten.

John Moore stand verlegen da. Er hob hilflos die Schultern und blickte wieder auf die fast weißgescheuerten Planken der Galeone.

„Sie werden aufkreuzen“, hauchte Moore, „denn die anderen werden sie aufhetzen.“

Webster hörte mit steinernem Gesicht zu. Ganz unterschwellig wollte Moore also damit sagen, daß er einen Fehler begangen hatte, indem er die beiden Kerle gegen den Hai kämpfen ließ. Gar nicht so dumm, der Mann, denn genau das waren seine eigenen Gedanken gewesen.

„Was willst du damit sagen, John Moore?“

„Zweierlei, Erhabener: Wir hätten die ketzerischen Halunken freigeben sollen. Jetzt, durch ihre Flucht, hat sich alles nur noch verschlimmert.“

„Und was noch?“

Websters rechte Hand wanderte langsam zum Gürtel seiner Hose. Darin steckte eine Peitsche mit Lederriemen, ein mörderisches Schlaginstrument, mit dem der Großmeister an Ort und Stelle jene züchtigte, die ihm widersprachen. Dabei war es gleichgültig, ob es sich um Männer, Frauen oder Kinder handelte. Mit dieser Peitsche trieb ihnen Webster auch die „fleischlichen Gelüste“ nachhaltig aus.

Moore sah diese Handbewegung. Er stockte einen Augenblick, dann hob er kurz den Kopf.

„Ich denke an die Frauen und Kinder, Erhabener, und ich möchte damit sagen, daß wir hier nicht mehr sicher sind. Offenbar hat der Herr im Himmel wohl doch kein Wohlgefallen daran, daß wir hier die Burg Jerusalem errichten. Wir sollten uns eine andere Insel suchen.“

Die Umstehenden erstarrten ob solcher Worte. Entsetzt wanderten ihre Blicke zwischen John Moore und dem Großmeister hin und her. Dieser Moore hatte schon oft widersprochen, aber jetzt ging er so weit, die Worte des Erhabenen anzuzweifeln. Fast war das schon Gotteslästerung.

Der Erhabene lief vor Wut rot an. Er glaubte, sich verhört zu haben, als Moore geendet hatte. Dann kriegte er wieder seinen berüchtigten Koller und fuhr explosionsartig aus der Haut.

„Du kleinmütiger und ungläubiger Schwätzer!“ brüllte Webster los. „Du wagst, am Wohlgefallen des Herrn zu zweifeln, du erbärmliche, nichtsnutzige und ungläubige Hundeseele? Spukt der Satan in deinem verquasten Schädel herum? Du wirst dich auf der Stelle für deine gotteslästerlichen Worte entschuldigen, oder der heilige Zorn des Herrn wird dich treffen.“

„Ich habe mich nur an die Tatsachen gehalten, Erhabener.“ Moores Stimme war bei den letzten Worten zu einem kaum hörbaren Flüstern geworden.

„An die Tatsachen!“ brüllte Webster. „Wir haben hier unser heiliges Banner aufgepflanzt, wir haben die Schiffe mühsam genug entladen, und der Herr gab mir die Erleuchtung. Und da kommst du kleinmütiger und unwissender Schwätzer und säst Zwietracht und Zweifel. Aber das sind die Lästerer und Verführer, die es wagen, den Samen der Furcht und der Angst auszusäen und zu verbreiten und die Befehle des Herrn zu mißachten. O du Elender! Der Zorn des Herrn soll dich mit aller Härte treffen.“

Websters Gesicht hatte sich zu einer schrecklichen Fratze verzogen, zu einer Fratze, die seinen ganzen Charakter offenbarte. Wild und unbeherrscht griff er zum Gürtel und riß mit einem wilden Ruck die Peitsche heraus.

Dieses Marterinstrument, das schon viele zu spüren gekriegt hatten, nannte er die „Geißel des Herrn“.

„Nimm die Geißel des Herrn!“ rief er theatralisch aus. „Auf daß sie dir die letzten Zweifel austreibe.“

Die Peitsche zuckte hoch in der Hand des Erhabenen und holte zu einem vernichtenden Schlag aus.

Aber John Moore sah nicht ein, daß er wegen der paar Worte, die der Wahrheit entsprachen, in aller Öffentlichkeit gezüchtigt werden sollte.

Der Erhabene würde ihm das Folterinstrument ins Gesicht schlagen und ihn damit für alle Ewigkeit zeichnen. Da lief dem „Oberjünger“ plötzlich die Galle über.

Noch bevor der Großmeister zuschlagen konnte, unterlief er den Arm mit der erhobenen Peitsche. Ein blitzschneller Satz brachte ihn in die unmittelbare Nähe des Erhabenen.

„Erbarme dich!“ rief Moore heiser.

Dann schlug er zu, und er schlug hart und kräftig und mit aller Kraft, die in seinem Körper steckte.

Nun war es so, daß der Großmeister einen empfindlichen Punkt hatte, den auch schon Carberry und Hasard ausprobiert hatten. Webster hatte das, was man als Glaskinn bezeichnet.

Auf diese Stelle krachte die Faust von John Moore mit aller Härte. Fassungslos und entsetzt sahen die anderen zu, wie der Hammer ausgerechnet auf des Großmeisters empfindlichen Punkt donnerte.

 

Es krachte entsetzlich laut. Der Schlag hob den Erhabenen ein kleines Stückchen in die Höhe. Dann segelte er rückwärts davon und donnerte mit einem platschenden Geräusch rücklings auf die Planken seines Schiffes.

Der Großmeister war bewußtlos, seine Kiefer zusammengepreßt und seine Augen glasig. Er lag da wie ein Toter und rührte sich nicht mehr. Auch die Peitsche war seiner Hand entfallen und lag jetzt neben ihm auf den Planken. Sang- und klanglos war der Erhabene abgenippelt.

Vielleicht hätte er jetzt gern ein „Herr, erbarme dich“ angestimmt, aber er befand sich in einer Welt, wo Lobgesänge keine große Rolle mehr spielten, wo es dunkel und still war.

Insofern hatte der Herr doch noch ein Erbarmen gehabt.

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