Czytaj książkę: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 474»
Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-882-9
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Fred McMason
Küstenpiraten
Sie gaben kein Pardon – bis sich auch für sie die Hölle auftat
Als die „Goldene Henne“ in den Hafen von Havanna einlaufen wollte, wurde sie von Wach-Schaluppen gestoppt und aufgefordert, auf Reede zu ankern. Ein junger, reichlich aufgeblasener Teniente erklärte, der sehr ehrenwerte Gouverneur behalte sich vor, darüber zu entscheiden, wann „ein fremdes Schiff“ einlaufen dürfe. Diese Regelung war reichlich merkwürdig, zumindest sah sie verdammt nach Schikane aus. Als jedoch in der Nacht ein anderer Ankerlieger – eine portugiesische Handelsgaleone – von Küstenwölfen überfallen, geentert und nach Westen gesegelt wurde, wurde Jean Ribault mißtrauisch und folgte den Schnapphähnen. Er wurde fündig, denn die Kerle setzten die Galeone auf eine Sandbank, plünderten sie aus – und brachten das Beutegut in die Gouverneursresidenz …
Die Hauptpersonen des Romans:
Arne von Manteuffel – der Vetter des Seewolfs hat eine gute Idee, den Schnapphähnen das Handwerk zu legen.
Alonzo de Escobedo – der neue Gouverneur von Havanna hat nichts dagegen, sich schmieren zu lassen.
Jean Ribault – bewahrt einen Landsmann davor, massakriert zu werden.
Fiarro – der Küstenschnapphahn meint, alle Trümpfe in der Hand zu haben.
Costa – ein Rächer, der das Herz auf dem rechten Fleck hat.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
1.
Havanna – 5. Mai 1595.
Im Hafenviertel von Havanna herrschte buntes und reges Treiben. Fischer mit von der Sonne gebräunten und verwitterten Gesichtern hatten ihre Stände aufgebaut. In buntem Durcheinander lagen da sehr malerisch riesige Hummer, Langusten, Krebse, Garnelen und viele Arten von Fisch.
Neben den Fischern boten handfeste Marktweiber ihre Produkte an. Sie verkauften lebende Hühner, Gänse, Eier, Zitrusfrüchte, Bananen, Gemüse aller Art und Mais.
Neben ihnen wiederum befanden sich die Stände der Macheteros, die ihr Zuckerrohr gleich bündelweise anboten.
Knorrige Siedler der Außenbezirke von Havanna hatten sich ebenfalls eingefunden, um ihre landwirtschaftlichen Produkte an den Mann zu bringen.
Die Szene wirkte sehr malerisch, denn das alles wurde von undefinierbaren Gerüchen überlagert. Hinzu kam noch der Duft des Hafens, von Seewasser, Tang, teergetränktem Holz und Lampenöl. Den Hintergrund der malerischen Kulisse bildeten Schaluppen, eine Galeone und viele kleinere Boote. Die Marktweiber schrien sich die Kehlen heiser, die Fischer brüllten lautstark und gestenreich, um ihre Ware loszuwerden, und die Macheteros, die Zuckerrohrschneider, krächzten dazwischen.
Um diese Zeit, es war jetzt zehn Uhr morgens, hatten sich auch bereits zahlreiche Kunden eingefunden, die die angepriesenen Waren beäugten, beschnupperten und begrapschten. Es wurde gefeilscht und gestritten.
Auch die Beutelschneider mit den scharfblickenden Augen und den flinken Fingern hatten an Markttagen immer Hochkonjunktur, und so mancher biedere Bürger von Havanna merkte erst beim Bezahlen, daß ihn jemand um die Geldkatze erleichtert hatte.
Dann ging das Gekeife, Gezeter und Geschrei erst richtig los. Der Heilige Antonius wurde angerufen und angefleht, er möge doch – bitte sehr – die geklauten Sachen wieder herbeischaffen. Aber da der Heilige sehr viel zu tun hatte, konnte er nicht allen helfen, und so wurde er von manch Einfältigen der Faulheit bezichtigt.
Als die Marktszene fast in voller Blüte stand, erstarrte sie auch schon, und die Menschen wandten neugierig die Köpfe.
„Der neue Gouverneur kommt“, raunten sie.
Die Fischer grinsten dünn, und die Macheteros kümmerten sich nicht darum. Denn der neue Gouverneur von Havanna, Alonzo de Escobedo, hatte für sie noch keinen Finger gerührt, und es sah auch nicht so aus, als habe er das vor.
Das Gekeife, Geschrei, Gezeter und Gejammer hörte fast schlagartig auf. An den Marktständen trat Ruhe ein. Die derben Marktweiber aber reckten neugierig die Köpfe, denn Alonzo de Escobedo trat immer auf, als sei er der König von Spanien persönlich.
Anfangs war er ein kleiner Hafenkapitän gewesen, der seine Amtswege zu Fuß unternehmen mußte. Jetzt hatte er das nicht mehr nötig, denn er bewohnte selbstverständlich die Residenz des vorherigen Gouverneurs, des feisten Don Antonio de Quintanilla. Von dem hatte er ebenso selbstverständlich die Prunkkarosse und das Personal übernommen.
Noch selbstverständlicher war für ihn, daß er sich so schnell wie nur möglich an fremdem Eigentum vergriff und bereicherte. Er beherrschte zwar noch nicht alle schäbigen und miesen Tricks des Exgouverneurs, aber Ideen hatte er schon – und sehr prächtige, wie er glaubte.
So stammte die Idee von ihm, auf Reede liegende Schiffe auszuplündern. Das hatte de Escobedo bereits mit Erfolg versucht, und diese Idee hielt er für genial. Sein letztes Opfer war eine portugiesische Handelsgaleone gewesen, deren Mannschaft umgebracht worden war. Anschließend hatte er das Schiff ausplündern lassen.
Die Prunkkarosse rollte jetzt auf die Pier zu und nahm Kurs auf das deutsche Handelshaus und die Faktorei Arne von Manteuffels.
Begleitet wurde die Karosse von einer Eskorte berittener Stadtgardisten.
Auf den Katzenköpfen war das Klappern der Hufe zu hören. Der Erhabene selbst war nicht zu sehen. Dicke Gardinen verbargen ihn vor den neugierigen Blicken des Pöbels.
Hinten auf der Karosse, die von zwei Pferden gezogen wurde, standen zwei in farbenprächtige Gewänder gehüllte Lakaien, steif und unbeweglich wie Ladestöcke. Erhabenen Blickes sahen sie hochmütig über die Menschenmenge hinweg.
Die Kutsche hielt vor der Faktorei. Das Geklapper der Hufe erstarb. Die Pferde der Stadtgardisten tänzelten nervös auf den Katzenköpfen.
Die beiden Lakaien, die hinten auf einem Trittbrett gestanden hatten, stiegen eilfertig ab, um dem hohen Herrn den Schlag zu öffnen und beim Aussteigen behilflich zu sein.
Sie öffneten den Schlag und verbeugten sich. Gleichzeitig stellten sie ein Treppchen vor den Ausstieg der Kutsche. Das Treppchen hatte zierlich gedrechselte Säulchen und einen golden verzierten Handlauf. Es hatte schon dem fetten Don Antonio hilfreich gedient und war sehr solide, denn es war unter dem beachtlichen Gewicht des Dicken noch nicht zusammengebrochen.
Das Treppchen mußte diesmal allerdings nicht soviel Gewicht tragen, denn die fette Wampe des Exgouverneurs hatte de Escobedo noch nicht. Vielleicht würde er sie sich eines Tages aber anfressen.
Als er jetzt ausstieg, blickten sogar die gleichgültigen Macheteros auf, aber nicht, um ihm mit bewundernden Blicken zu huldigen. Sie fanden den Señor Gouverneur eher spaßig, weil er sich wie ein Schmierenkomödiant aufführte.
Die Marktweiber stießen sich mit den Ellenbogen an – sehr unauffällig geschah das – und grinsten verstohlen. Auch die Fischer und Siedler grinsten heimlich oder verbargen ihr Grinsen mühsam hinter betont starren Gesichtern.
Was da über das Treppchen stieg, war ein aufgeblasener, hagerer Mensch. Seit er den Gouverneursposten innehatte, hatten sich auch seine Gesichtszüge verändert. Seine Miene zeigte den Dünkel des erhabenen Potentaten. Sein Ausdruck war blasiert und hochmütig und verkündete aller Welt, daß er der Größte sei.
Geziert bewegte er sich hinunter.
Die Marktweiber grinsten wieder, als der Kerl jetzt in voller Größe auf dem Pflaster stand. Natürlich hatten die diensteifrigen Lakaien vor das Treppchen noch einen kleinen Teppich gelegt, damit der Erhabene nicht unmittelbar den Staub der Straße berührte.
Er trug einen affigen Federhut, ein weißes Rüschenhemd und elegant gestreifte Kürbishosen. Über den Kürbishosen befand sich ein mit Brokat besetztes Wams mit vielerlei Zierrat. Dazu trug er weiße Strümpfe, Schuhe mit Silberschnallen und an einem Wehrgehänge einen kleinen Zierdegen. Wenn die Sonnenstrahlen auf seine Finger fielen, blitzte es grell auf, die Steine der kostbaren Ringe funkelten farbenprächtig in der Sonne.
Von einem dieser Ringe pustete er geziert ein unsichtbares Stäubchen, das vielleicht das Glitzern hätte verhindern können.
Der kernige Landesvater setzte sich in Bewegung, begleitet von den Lakaien und gefolgt von zwei berittenen Stadtgardisten.
Den Pöbel übersah er gelangweilt. Das war Volk, und für einen Erhabenen seines Ranges war Volk nicht existent. Er hielt es für absolut unter seiner Würde, diesen Bauernlümmeln auch nur einen wohlwollenden Blick zu gönnen. Marktschreierisches Gesindel war das, die rochen geradezu nach armen Leuten, und dementsprechend rümpfte er auch die Nase.
Die Lakaien hatten von ihrem Herrn bereits eine ganze Menge gelernt und abgeschaut. Das Volk war für sie ebenfalls nicht existent, und so sahen sie hochmütig darüber hinweg.
Der Gockel stolzierte weiter und benahm sich ganz so, als sei er allein auf der Welt. Lakaien und Berittene folgten ihm mit blasierten Gesichtern, als er auf die Faktorei zuschritt.
Der Türke Jussuf hatte die Prozession bereits herannahen sehen, noch bevor sie die Faktorei erreichten.
Er schüttelte den Kopf und dachte an das gestrige Gespräch. Da hatte Arne noch prophezeit, daß der neue Gouverneur sehr bald auch in der Faktorei aufkreuzen würde, um sich das Einlaufen der deutschen Karavelle „Goldene Henne“ bezahlen zu lassen.
Jetzt war der Fall eingetreten. De Escobedo erschien, um sein Schmiergeld einzuheimsen. Der Erhabene hatte nämlich verfügt, daß nichtspanische Schiffe erst einmal auf der Reede ankern müßten, damit er erkunden konnte, was sie geladen hatten.
Jean Ribault hatte das bereits in allen Einzelheiten ausführlich berichtet. Außer dem Portugiesen waren bereits ein französisches und ein flämisches Schiff spurlos verschwunden.
Darüber waren in Havanna die wildesten Gerüchte umgegangen.
Daß der ehrenwerte Gouverneur dahintersteckte, wußten nur ein paar Leute. Amtlicherseits behauptete man jedoch, man habe Beweise, daß es sich um Küstenschnapphähne handele, denen man aber schon bald das üble Handwerk legen würde. Der ehrenwerte Gouverneur würde mit „eiserner Hand“ durchgreifen.
Jussuf meldete die Ankunft sofort Arne.
„Dann verschwinde ich jetzt besser in die oberen Räume“, sagte Jean Ribault.
Arne nickte und blieb im Büro sitzen. Er lächelte grimmig vor sich hin, denn genau das hatte er erwartet, daß ihn dieser Gauner aufsuchen würde. De Escobedo hatte bereits unter fadenscheinigen Begründungen die Faktorei durchsuchen lassen und tückisch angekündigt, daß er als neuer Gouverneur ein ganz besonders wachsames Auge auf alle Fremden haben würde, die im spanischen Herrschaftsbereich herumschnüffelten. Es sei auch noch eine Frage, ob er ein deutsches Handelshaus in Havanna dulden könne.
Diese unverhüllte Drohung hatte Arne mit dem uralten Mittel der Bestechung allerdings geschickt abgefangen, und de Escobedo hatte gierig und schnell zugegriffen.
Inzwischen war der Franzose Jean Ribault nach oben gegangen und betrachtete, hinter einer Gardine versteckt, die Ankunft dieses geschniegelten Hundesohns.
Er grinste verächtlich, als er den stutzerhaft gekleideten Kerl und seine hochnäsigen Lakaien sah.
Er sah, wie de Escobedo gnädig die Hand hob – für den Lakai die Aufforderung, den Klopfer aus Messing zu betätigen. Der Lakai tat das sehr ergebenst für den Erhabenen, denn ihm als Gouverneur war eine solch mindere Tätigkeit natürlich nicht mehr zuzumuten.
Dann stand der Kerl gelangweilt vor der Tür und wartete. Ribault trat grinsend vom Fenster zurück.
Als es unten klopfte, öffnete Isabella Fuentes. Die schwarzhaarige Schönheit mit den dunklen Augen, die sich seit einiger Zeit unter Arnes Obhut befand, begrüßte den Gast mit einem höflichen Knicks.
Sie sah sich einem Kerl mit Federhut, Kürbishosen, Rüschenhemd und affigem Degen gegenüber, der sie mit hochgezogenen Augenbrauen ungeniert musterte.
De Escobedo starrte sie an und hüstelte affektiert, weil er das für besonders charmant hielt.
Teufel, Teufel, dachte er, was für ein herrliches Weib! Prachtvoll, jung und hübsch gewachsen, mit langen schwarzen Haaren, ausdrucksvollen Lippen und einer kleinen geraden Nase. Na, und dann die Äpfelchen, die sich unter der Bluse abzeichneten! Paradiesäpfel sind das, dachte der Erhabene lüstern. Und diese schlanken Beinchen!
Er hüstelte wiederum affektiert.
Und da er ein schneller „Beschließer“ war, beschloß er auch sogleich, daß dieses hübsche Weib zu ihm als Zofe und Betthäschen viel besser paßte als in diese deutsche Faktorei. Mit der konnte man sich sehen lassen. Er würde sie also zu sich nehmen, denn was hatte der deutsche Kaufherr ihr schon zu bieten?
Er grinste wie ein Faun, krümmte den rechten Zeigefinger und wollte sie gerade gönnerhaft unter dem Kinn kitzeln, wie er das dem dicken Exgouverneur abgesehen hatte.
Da räusperte sich jemand im Hintergrund. Jörgen Bruhn hatte den geschniegelten Affen beobachtet und sich eins gegrinst. Jetzt räusperte er sich und öffnete einladend die Tür von Arnes Büro.
De Escobedo hüstelte erneut, diesmal jedoch aus Verlegenheit. Er ärgerte sich ein bißchen, daß der Kerl das gesehen hatte, aber er überspielte es.
Die Gouverneursrolle paßte ihm noch nicht so richtig, er mußte da erst einmal hineinwachsen. Zur Zeit äffte er nur den dicken Don Antonio nach und tat alles das, was der ihm vorgemacht hatte. Nur die Idee mit dem Schiffe ausplündern, die war auf seinem eigenen Mist gewachsen.
Er warf sich in die Brust und dem „schönen Kind“ noch einen schnellen Blick zu. Linke Hand stolz und blasiert auf dem Zierdegen, trat er in das Büro der Faktorei.
Das erste, was Arne wahrnahm, nachdem er den miesen Emporkömmling erblickt hatte, war ein etwas aufdringlicher Duft, der den Erhabenen umgab.
Einen feinen Geschmack hat der Kerl, dachte Arne angewidert. Der riecht nach Zimt und Nelken, die in faulen Äpfeln gesteckt haben müssen. Die Aura des Hochmögenden breitete sich pestilenzartig gleich im ganzen Büro aus.
Arne ließ sich nichts anmerken. Er empfing den Kerl mit höflichfreundlicher Zurückhaltung und ließ ihn nicht spüren, wie sehr er ihn verachtete – und daß er längst wußte, wer auf der Reede die Schiffe ausplündern ließ, um sich die eigenen Taschen zu füllen. Aber dieser Miesling stieß ihm doch auf wie ranziges Öl.
Er kannte auch bereits die Gewohnheiten des neuen Gouverneurs.
Im Gegensatz zu Don Antonio, der immer gern schweren Portwein gesüffelt hatte, bevorzugte de Escobedo scharfe Schnäpse, obwohl er dabei regelmäßig Hustenanfälle kriegte.
Arne gab sich freundlich bei der Begrüßung, aber doch auf eine Art, die eine gewisse Distanz ausdrückte. Diese Distanz spürte der Gouverneur allerdings nicht. Sein Wahrnehmungsgefühl war etwa so stark ausgeprägt wie das eines Ochsen, was solche Dinge betraf.
Auch konnte sich der Laffe noch nicht richtig benehmen. Takt und Anstand ließen bei ihm stark zu wünschen übrig.
Arne lud ihn mit einer Handbewegung zum Platznehmen ein.
„Setzen wir uns doch an den Kamin“, schlug er vor, „da plaudert es sich bei einem Gläschen viel besser.“
„Sehr gern, Señor Manteuffel.“
De Escobedo nahm Platz. Den Federhut behielt er auf, weil er das für schick hielt.
Daß Arne den Gouverneur an den Kamin lotste, hatte einen besonderen Grund und war eine Taktik von ihm. In dem Raum, der sich über dem Kamin befand, konnte man alle Gespräche, die weiter unten geführt wurden, mithören. Jetzt stand als unsichtbarer Lauscher dort oben Jean Ribault, der klar und deutlich jedes Wort verstand, was gesprochen wurde.
Arne ging inzwischen zum Schrank und holte eine Flasche Wodka heraus. Sie stammte noch aus alten Beständen von der „Wappen von Kolberg“. Ein paar weitere Flaschen befanden sich als Reserve ebenfalls im Keller.
Der Kerl war scharf auf das Zeug, das wußte Arne. Trotzdem fragte er lächelnd: „Darf’s ein kleiner Wodka sein? Vielleicht ein doppelter?“
„Äh, ja. Sehr gut das Zeug. Woher stammt es? Ich glaube, Sie hatten es mir schon einmal gesagt, aber ich habe es wieder vergessen.“
„Der Wodka stammt aus Rußland, Señor Gouverneur.“
„Rußland, sehr richtig“, sagte der Erhabene. Er hatte zwar nicht die geringste Ahnung, wo dieses Rußland lag, denn das war für ihn ein unbekannter Begriff. Aber er nickte, als sei das ganz selbstverständlich, und tat so, als hätte er es nur vergessen.
Arne goß sich auch einen ein, dann stellte er die Gläser auf den Tisch und prostete dem Gouverneur zu.
Der leckte sich genießerisch die Lippen, roch an dem Zeug, verdrehte die Augen und kippte den Doppelstöckigen mit einem kurzen schnellen Ruck herunter.
Das alte Spiel wiederholt sich, dachte Arne amüsiert. Dem Kerl bleibt jedesmal die Luft weg, wenn er das scharfe Zeug kippt.
De Escobedo hielt den Atem an und riß das Maul auf, als der Wodka in seinem Magen lautlos krepierte. Die Augen quollen ihm fast aus dem Schädel, und er wurde stocksteif.
„Sehr scharf, aber sehr gut, das Zeug“, lobte er mit Tränen in den Augen.
Arne hatte seinen gekippt, ohne das Gesicht zu verziehen.
Er war jetzt gespannt, wie sich de Escobedo an sein Ziel herantasten würde, denn daß er sich das Einlaufen der deutschen Karavelle bezahlen lassen wollte, sah Arne schon an seinem gierigen Blick.
Aber er hatte wirklich nicht das gewiefte Format seines Vorgängers, denn alles, was er sagte oder tat, geschah auf plump-vertrauliche Art und Weise.
Er räusperte sich, griff dann nach Arnes Arme und lächelte.
„Sie wissen noch gar nicht den Grund meines Besuches“, sagte er.
O doch, dachte Arne, den kenne ich längst, und dich Halunken habe ich schon lange durchschaut.
Er hob fragend die Augenbrauen hoch und sah den Kerl an, der immer noch plump-vertraulich seinen Arm festhielt.
„Ich habe die Ehre und die Freude, Señor Manteuffel, Ihnen mitzuteilen, daß ein Schiff aus Kolberg auf der Reede ankert. Es ist die ‚Goldene Henne‘. Da staunen Sie, was?“
Und wie Arne staunte! Er spielte den Überraschten.
„Ah“, rief er erfreut und staunend aus. „Ein Schiff meines Handelshauses mit Kapitän Eggens an Bord. Das ist aber wirklich eine gelungene Überraschung, Señor Gouverneur.“
Der Señor Gouverneur freute sich, daß ihm die Überraschung so gut gelungen war. Daher galt sein nächster Blick begehrlich der Wodkaflasche.
Arne verstand. Natürlich mußten sie auf diese „Neuigkeit“ unbedingt noch einen trinken, einen Doppelten natürlich.
Wieder lief die gleiche Prozedur ab. De Escobedo verschluckte sich fast, hielt die Luft an, ließ sich auf den Rücken klopfen und grinste, als er wieder bei Atem war.
„Ja, so ist es. Es ist Ihr Schiff.“
De Escobedo überlegte krampfhaft, wie er jetzt am besten den Hebel ansetzen konnte, um zu kassieren. Er konnte nicht einfach Geld fordern, das sah nicht gut aus. Während er noch krampfhaft überlegte, kam ihm der deutsche Handelsherr jedoch ganz überraschend zu Hilfe.
„Dann ist mein Schiff ja endlich da“, sagte er. „Aber, ich verstehe nicht ganz, warum es auf Reede liegt. Meine Schiffe konnten doch sonst immer ohne viele Formalitäten einlaufen.“
„Stimmt, stimmt“, sagte der Gouverneur erleichtert. Er hüstelte ein wenig und lächelte entschuldigend. „Die Formalitäten, das ist es eben, Señor Manteuffel, die Formalitäten. Der ehrenwerte Don Antonio hat diese Formalitäten immer sehr großzügig ausgelegt, er ist ja auch ein sehr großzügiger Mann.“
„So wahr mir Gott helfe“, sagte Arne ernst und feierlich. „Ein sehr großzügiger Mann.“
„Ich bin auch großzügig“, behauptete de Escobedo kühn. „Aber es gibt da eine königliche Order, und die hat der sehr ehrenwerte Don Antonio in seiner grenzenlosen Güte entweder übersehen oder ganz einfach vergessen. Nun, er hatte diesen hohen Posten ja sehr lange inne, und so sah man ihm das sicher auch nach. Aber ich bin an diese Order gebunden, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Ich verstehe nicht ganz“, sagte Arne, „mir ist diese höchstkönigliche Order nicht bekannt, aber ich sehe natürlich ein, daß Sie sich daran gebunden fühlen. Darf ich fragen, was diese königliche Order besagt?“
„Es ist mir ja sehr peinlich, und ich habe diese Order ja auch nicht erlassen. Aber sie besagt, daß alle nichtspanischen Schiffe einen Zoll entrichten müssen, bevor sie die Genehmigung erhalten, in den Hafen einlaufen zu dürfen.“
„Ich verstehe, Señor Gouverneur“, sagte Arne, „deshalb also müssen die Schiffe vorerst auf Reede liegen bleiben.“
„So ist es“, sagte de Escobedo. Das hatte ja bestens geklappt, dann biß dieser Deutsche auch sicherlich gleich an.
Arne wußte genau, daß diese Order nur im Kopf des raffgierigen Gouverneurs existierte und der Halunke sich auf diese Weise zusätzlich bereichern wollte.
Er zuckte allerdings mit keiner Wimper und nickte.
„Das ist doch die selbstverständlichste Sache der Welt, Zoll zu entrichten, bevor man in einen spanischen Hafen einläuft. Schließlich muß alles seine Ordnung haben.“
Er nickte de Escobedo freundlich zu und bemerkte, daß auf dessen Stirn feine Schweißperlen standen. Dann stand er auf, ging wieder zu dem Schrank hinüber und entnahm ihm ein Ledersäckchen in dem es angenehm klimperte. Das Säckchen enthielt hübsche Goldtalerchen, und die stellte Arne mit freundlichem Lächeln auf den Tisch, direkt neben das leere Wodkaglas.
„Danke, Señor Manteuffel“, sagte der Gouverneur eifrig. „Natürlich werde ich die Summe nachher gleich in das amtliche Register eintragen lassen.“
Ganz sicher, dachte Arne. Davon war er restlos überzeugt. Wie konnte er nur an der hehren Lauterkeit eines solchen Mannes zweifeln? Alle blanken Goldtalerchen würde de Escobedo fein säuberlich auflisten und dann an den König von Spanien senden. Jeder Zweifel war da absolut ausgeräumt.
Aus den Augenwinkeln sah er, wie de Escobedo das Säckchen auffallend eilig in seinem Wams verschwinden ließ.
Arne lachte lautlos in sich hinein und griff wieder zur Wodkaflasche.
Noch einmal schenkte er dem ehrenhaften Mann einen Doppelten ein. Das war jetzt bereits der dritte.
Diesmal vertrug der ehrenwerte Gouverneur den Wodka besser. Die Reaktion darauf beschränkte sich in einem dezenten Hüsteln. Arne merkte an seinen Blicken, daß der Kerl leicht angetrunken war. Jetzt wurde er noch plump-vertraulicher und grinste Arne an. Erneut griff er nach seinem Arm, denn ihm war gerade das hübsche Täubchen eingefallen, das hier nach seiner Ansicht im deutschen Handelshaus langsam, aber sicher verkümmerte. Dabei konnte sich die Hübsche im Palast doch so prächtig entfalten.
Er näselte beim Sprechen und lächelte etwas schmierig und lüstern.
„Äh, da ist noch etwas, Señor Manteuffel. Wir sind doch Caballeros, Sie verstehen?“
Ein Augenzwinkern und ein lüsterner Blick folgten, aber diesmal verstand Arne wirklich nicht, auf was der Bastard hinauswollte.
„Natürlich sind wir Caballeros“, sagte er. „Ich verstehe allerdings nicht ganz, was Sie meinen.“
„Äh, ich meine diese hübsche Señorita in Ihrem Hause. Unter Caballeros könnte man doch sicher ein Geschäftchen miteinander abschließen, nicht wahr?“
„Sie meinen Señorita Fuentes.“
„Sehr richtig.“ De Escobedo lehnte sich etwas zurück und grinste jetzt ausgesprochen schmierig. „Diese Perle würde sich in meiner Residenz sicher sehr wohl fühlen, glaube ich. In Ihrem Handelshaus kommt ihre Schönheit nicht richtig zur Geltung. Sie verstehen? Ich meine, wenn Sie sie mir überlassen würden, hätte sie mehr Möglichkeiten, sich weiterzubilden und zu entwickeln.“
Du verdammter Scheißkerl, dachte Arne. Das könnte dir so passen.
Er zeigte aber nicht, daß er überrascht und angewidert war, sondern blieb ausnehmend höflich und lächelte gewinnend.
„Ich weiß, daß die Señorita bei Ihnen in allerbesten Händen wäre, wie könnte es auch anders sein! Aber ich würde von diesem Wechsel doch sehr eindringlich abraten.“
„Warum?“ fragte de Escobedo grob. „Haben Sie was mit ihr?“
„Bewahre, nein. Señorita Fuentes ist zwar ausnehmend hübsch, aber sie hatte einen Unfall gehabt, einen schrecklichen Unfall.“
Arne beugte sich ebenfalls etwas vertraulich vor und flüsterte: „Sie ist nicht ganz richtig im Kopf und leidet zeitweise unter unglaublichen Wahnvorstellungen. Man sieht ihr das kaum noch an, aber sie ist sehr gefährlich, weil sie sich ständig verfolgt fühlt.“
„Wahnvorstellungen?“ ächzte der Gouverneur.
„Ja. Vor ein paar Tagen begann sie plötzlich zu schreien. Dann nahm sie ein Messer, rannte kreischend in den Hof und schnitt allen Hühnern die Hälse durch.“
De Escobedo wechselte die Farbe.
„Sie – mit einem Messer?“ fragte er entsetzt.
„Mit einem Küchenmesser, einfach so. Wir müssen alle Messer vor ihr verschließen, denn sie schnippelt immer gern herum. Meist kriegt sie dann einen starren Blick, bevor es losgeht.“
Arne amüsierte sich insgeheim köstlich über den entsetzten Blick des Gouverneurs, der erneut die Farbe wechselte. Er schien nicht sehr scharf darauf zu sein, mit einem Küchenmesser beschnippelt zu werden, denn sein Gesicht war jetzt grau und welk geworden.
Natürlich stimmte nichts davon. Isabella Fuentes hatte zwar einen Schock erlitten, aber der war längst überwunden und vergessen. Arne hatte jedoch nicht die Absicht, Isabella den schmierigen Pfoten des Gouverneurs zu überlassen, und so vermieste er ihm sein Vorhaben gründlich.
Weil fast alle Spanier abergläubisch waren, trug er noch dicker auf.
„Vielleicht ist sie sogar vom Teufel besessen – oder von einem Dämon, der sich hinter dem hübschen Gesicht versteckt“, raunte er geheimnisvoll. „Wir müssen sie nachts immer in ihre Kammer einsperren, besonders wenn der Mond scheint. Dann wird es ganz schlimm mit ihr. Das ist leider die Wahrheit.“
„Schrecklich“, stöhnte der Gouverneur. „Ich glaube, auf diesen Schreck hin brauche ich noch einen Rußland aus Wodka!“
Das hat offenbar gesessen, dachte Arne. Jetzt verwechselt der Kerl schon die Begriffe. Rasch goß er ihm noch einen ein, den de Escobedo blitzschnell wegkippte.
Danach stand er ächzend auf und schwankte ein bißchen.
„Das ist dann wohl doch nichts für mich“, sagte er. „Äh, ja, Señor Manteuffel, ich glaube, ich muß jetzt gehen. Amtsgeschäfte, Sie verstehen? Ich werde dann auch sofort veranlassen, daß die ‚Grollende Ente‘ in den Hafen – äh – einlaufen kann.“
„Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet“, sagte Arne freundlich und brachte den schwitzenden Kerl, der jetzt offenbar stark angeheitert war, zur Tür.
Sehr höflich verabschiedeten sie sich. Als jedoch noch einmal Isabella Fuentes auftauchte, nahm der Gouverneur die Beine in die Hand und hatte es furchtbar eilig, zu verschwinden.
Unten stieg er mit wackelnden Knien auf das Podest, blieb mit seinem Zierdegen an der Kutschentür hängen und fiel fast hinein.
Die Kutsche zog ab, als würden ihr Geister folgen. Offenbar trieb die Angst den hohen Herrn zur Eile an.
Als die Prozession vorbei war, kam Jean Ribault hinunter. Er mußte laut lachen.
„Das ist vielleicht ein Idiot“, sagte er aus ehrlicher Überzeugung. „Und besoffen war der Kerl auch noch. Tauft unsere schöne Karavelle in ‚Grollende Ente‘ um.“
„Und Rußland aus Wodka wollte er haben“, setzte Arne lachend hinzu. „Aber das Ding mit Isabella hat er anstandslos geschluckt. Jetzt ist dieser Fall wenigstens ausgestanden.“
Die Männer amüsierten sich köstlich über den Erhabenen.
„Jetzt wird er erst in der Residenz seine Talerchen zählen“, meinte Jean. „Der Kerl ist genauso raffgierig wie sein fetter unsympathischer Vorgänger.“
Darmowy fragment się skończył.