Czytaj książkę: «Die Vampirschwestern – Vorsicht, bissiger Bruder!»
Vampir im Bauch
Elvira Tepes lag auf dem Wohnzimmerschrank. Sie sah aus, als hätte sie einen Gymnastikball verschluckt. Ihr Bauch wölbte sich und bis zur Decke war nur noch ein Zentimeter Platz.
„Elvira!“ Tante Karpa schwebte gerade aus der Küche herein und ließ vor Schreck beinahe das Tablett mit den Kaffeetassen fallen. „In deinem Zustand sollte man nun wirklich keine Klettertouren mehr machen.“
„Sie ist nicht geklettert. Sie ist geflogen“, sagte Daka. Sie hing kopfüber an der Gardinenstange und zwinkerte ihrer Mama zu.
„Genau genommen nicht sie, sondern das Baby“, fügte Silvania hinzu. Sie saß mit dem Ratgeber Unser süßes Baby: Nuckeln, sabbern, strampeln auf den Knien im Sessel.
Elvira Tepes holte durch die Nase tief Luft und atmete lautstark durch den Mund wieder aus. Dabei machte sie MUUUHHHOOOOOHAAAA. So, wie sie es im Geburtsvorbereitungskurs gelernt hatte. Zwar hatte sie schon zwei wunderbare Mädchen zur Welt gebracht. Aber das war so lange her, dass sie zur Sicherheit und zum Spaß noch mal einen Geburtsvorbereitungskurs besuchte. Bereits dort war sie durch häufiges Schweben unangenehm aufgefallen. Sie konnte nichts dafür. Sie hatte einen kleinen Vampir im Bauch. Oder zumindest einen Halbvampir. Oder eine Halbvampirin.
„Lange halte ich das nicht mehr aus“, sagte Elvira, die Hände am dicken Bauch. Jetzt kickte und zappelte das Baby, als würde es Polka tanzen. So wild, dass der gesamte Schrank wackelte.
„Bald hast du es geschafft.“ Tante Karpa kippte sich aus einem Kännchen einen Schuss Blut in den Kaffee und trank schlürfend. „Ich habe in meinem 2919-jährigen Leben schon so manche Geburt miterlebt. Ich bin mir sicher: Noch in dieser Nacht flattert euer Baby ein!“
In dem Moment kamen aber erst mal vier Vampire aus dem Keller ins Wohnzimmer geflattert: Mihai Tepes, Vlad Tepes, Oma Zezci und Dr. Liviu Chivu.
Mihai strahlte seine Frau an. „Moi Miloba! Du siehst aus wie eine exotische, köstliche, saftige und zum Platzen reife Frucht.“ Er warf ihr eine Kusshand auf den Schrank.
Frau Tepes lächelte schwach. „Ich fühle mich eher wie eine Mastsau kurz vorm Schlachtfest.“ Sie rutschte vom Schrank, schwebte zu Boden und nahm Onkel Vlad das Kännchen aus der Hand, aus dem er sich gerade einen Schuss Blut in den Kaffee kippen wollte, und trank es in einem Zug aus. „Ah! Das tut gut.“
Onkel Vlad fiel sein Monokel in den Kaffee.
„Lust auf literweise Blut …“ Dr. Chivu kniff die Augen zusammen. „Klarer Fall von Eisenmangel. Typisch für die Schwangerschaft.“
Oma Zezci nickte. „Ich hab damals, als ich mit Vlad schwanger war, eine ganze Kuhherde zum Frühstück ausgesaugt.“
„Na, das erklärt ja einiges.“ Mihai boxte seinem Bruder in die Seite.
„Muh!“, machte Vlad.
Onkel Vlad, Tante Karpa und Dr. Liviu Chivu waren vor ein paar Tagen aus Transsilvanien angereist. Oma Zezci von den Osterinseln, wo sie sich gerade von ihrem anstrengenden, langen Leben erholt hatte. Sie alle wollten die Geburt des neuen Erdenbürgers, oder vielmehr Luftbürgers, nicht verpassen. Außerdem war es gut, einen transsilvanischen Arzt im Haus zu haben. Ein deutsches Krankenhaus kam für die Geburt nicht infrage. Dort hatte man keinerlei Erfahrung mit der Geburt von Vampiren und Halbvampiren. Was, wenn das Baby dringend eine Frischbluttransfusion brauchte? Oder wenn es bereits mit Eckzähnen auf die Welt kam und Hunger auf Hebamme hatte? Oder wenn es die ersten Flugrunden im Kreißsaal drehte?
Familie Tepes hatte beschlossen, eine Hausgeburt, genau genommen eine Kellergeburt, zu wagen. Immerhin hatte Elvira bereits zwei kerngesunde Halbvampire auf die Welt gebracht: die Zwillinge Silvania und Dakaria. Ein weiteres Baby dürfte ein Klacks für sie sein.
Es klingelte. „Das ist Oma Rose!“, rief Silvania, legte den Babyratgeber beiseite und ging zur Haustür. Oma Rose war zum Blutkränzchen am späten Nachmittag eingeladen. Opa Gustav vertrug keinen Kaffee – und das war nicht das Einzige, was er nicht vertrug. Sein Herz wäre auch für die Wahrheit zu schwach gewesen: dass seine Tochter mit einem Vampir verheiratet war und seine Enkelinnen zwei entzückende Halbvampire waren. Um sein Herz und die Nerven aller zu schonen, ließ man ihn in dem Glauben, sein Schwiegersohn sei ein (halbwegs) normaler Mann.
„Boibine! Wir sind vollzählig“, rief Mihai Tepes. „Erheben wir die Gläser … oder die Kaffeetassen.“
Alle hielten ihre Tassen in die Höhe.
„Möge die Geburt so schnell und leicht vonstattengehen wie der Flügelschlag einer Fledermaus und nicht mehr schmerzen als ein klitzekleiner Vampirbiss!“, sagte Onkel Vlad.
„Schnappobyx!“, riefen alle.
Oma Rose und Elvira riefen: „Prost!“
„Auf unsere kleine, bissige Tochter!“ Mihai küsste Elviras Bauch.
„Also ich will lieber einen Bruder“, sagte Daka.
„Mädchen oder Junge, das ist vollkommen egal“, sagte Oma Rose. „Hauptsache –“
„VAMPIR!“, warf Oma Zezci ein und kippte den Kaffee mit Schuss auf ex hinunter.
„… gesund!“, schloss Oma Rose.
„Hauptsache, vier schöne lange Eckzähne.“ Vlad grinste, sodass seine Eckzähne bestens zur Geltung kamen.
Plötzlich krümmte sich Elvira, ließ die Tasse fallen und fasste sich mit beiden Händen an den Bauch. „Es geht los!“
Der Name geht in die Hose
Noch nie zuvor hatte es im Lindenweg eine Kellergeburt gegeben. Und noch nie zuvor war in ganz Bindburg ein Kind in einem Sarg zur Welt gekommen. Doch es war auch noch nie zuvor ein Kind in Bindburg geboren worden, das nur wenige Minuten nach der Geburt von der Babywaage abhob und zu seiner Mutter flog.
Der erste Schrei, den das Baby ausgestoßen hatte, war mit freudigen Willkommensrufen von Mihai Tepes erwidert worden.
Nachdem Mutter und Kind sich ein wenig erholt hatten, versammelten sich die gesamte Familie und Dr. Chivu im Keller.
„Hoi boi!“
„Zensatoi futzi!“
„Hurra!“
„Boi Felishnuk!“
„Oh, wie süüüüß!“, hallte es durch den Keller.
Mihai hatte seiner Frau, die noch im Sarg lag, ein Kissen hinter den Rücken gesteckt. Elviras Wangen schimmerten vor Glück und Zauber. Sie lächelte wie ein beschwipster Engel. Mihai zupfte sich unentwegt am Lakritzschneckenschnauzer. Seine Augen glänzten.
Daka setzte sich links und Silvania rechts von ihrer Mutter auf den Sargrand. Silvania nahm die Hand ihrer Mutter, sah sie versonnen an und seufzte. „Du erlebst gerade das schönste Wunder der Welt.“
„Im Keller im Sarg liegen?“ Daka blähte die Backen auf. „Na, so doll ist das nun auch wieder nicht.“
„Die Geburt!“, zischte Silvania und verdrehte die Augen. Ihre Schwester war zwar nur sieben Minuten jünger als sie, aber manchmal kam es ihr wie sieben Jahre vor.
Daka tat, was sie meistens in solchen Fällen tat: Sie beachtete ihre Schwester nicht weiter. Stattdessen sah sie zur Kellerdecke.
Dort baumelte das Baby. Es war in einen schwarzen Schlafsack gehüllt. Der Schlafsack hatte eine Schlaufe, an der das ganze Paket an einem Haken von der Decke hing. Das Baby schaukelte leicht vor und zurück und schlief.
„Sieht irgendwie verschrumpelt aus. Bleibt das so?“, fragte Daka.
„Oh Mann, Daka“, sagte Silvania. „So sehen alle Babys kurz nach der Geburt aus.“
„Nee, also ICH bestimmt nicht!“
„Was hast du denn? Das Baby ist doch total nieeeedlich!“, sagte Silvania.
Daka reckte sich zur Decke und musterte das Baby. „Pennt das den ganzen Tag oder macht das auch schon was?“
Das Baby schmatzte im Schlaf, machte ein Bäuerchen und ein Speichelfaden rann aus seinem Mund direkt auf Dakas Stirn. Daka wischte mit der Hand darüber und grinste. „He, ich glaub, wir zwei verstehen uns gut.“
„Was ist es denn jetzt überhaupt?“, fragte Tante Karpa, die am Fußende des Sargs stand.
„Ein Vampir, sieht man doch!“, krächzte Oma Zezci, die kopfüber in der Kellerecke hing und sich schon mal einen Karpovka genehmigte.
„Ein normaler Mensch ist es auf jeden Fall nicht“, sagte Oma Rose.
„Nein, aber ein wunderschönes Halbvampirmädchen, genau wie ihr zwei“, sagte Mihai und zwinkerte seinen Töchtern zu.
„Es ist ein Mädchen?“ Onkel Vlad sah das Baby skeptisch an. „Sieht mir eher aus wie ein Junge.“
„Und mir wie ein verschrumpelter Apfel“, sagte Daka.
„Ist es ja auch“, sagte Dr. Chivu. „Ein Junge, meine ich.“
„Nein, mein Lieber. Ist es nicht. Es ist ein Mädchen“, sagte Mihai.
„GUMOX!“ Dr. Chivu streckte die Brust heraus. „Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Ich bin Arzt. Seit 2443 Jahren. Ich kann einen Jungen ohne den geringsten Zweifel von einem Mädchen unterscheiden. Da gibt es nämlich einen gewissen kleinen Unterschied, falls dem stolzen Herrn Papa das noch nicht bekannt sein sollte.“
Das engelhafte Lächeln von Elvira Tepes wirkte etwas eingefroren, als sie jetzt zwischen ihrem Mann und dem transsilvanischen Arzt hin und her sah. „Er hat recht, Mihai. Wir haben einen Sohn.“
„Also doch!“ Vlad rieb sich die Hände. „Ein Junge!“
„Ein Bruder, hoi boi!“ Daka stieß die Faust in die Höhe.
„Es KANN gar kein Junge sein!“ Im Glanz von Mihais Augen schimmerte jetzt nicht nur Freude, sondern auch Angst.
„Beruhig dich, kleiner Bruder.“ Onkel Vlad legte Mihai einen Arm auf die Schulter. „Ich hatte mir damals auch ein Mädchen gewünscht. Erinnerst du dich, Karpa?“
Tante Karpa seufzte und verdrehte die Augen.
„Aber da kann man wünschen, so viel und fest man will. Der Klapperstorch ist schließlich nicht der Weihnachtsmann.“ Onkel Vlad nickte, zufrieden über diese weise Erkenntnis. „Ich wollte eine süße Tochter. Und dann kam Woiwo. Ich gebe zu – ich war durcheinander, ja sogar etwas enttäuscht. Aber höchstens einen Tag lang. Ich liebe Woiwo, genau wie ich eine Tochter geliebt hätte.“
„Bei uns ist das aber etwas anderes. Der Klapperstorch hatte genaue Anweisungen.“ Mihai sah flehend zu Dr. Chivu. „Sind Sie sich sicher? Ich meine, mit dem kleinen Unterschied? War er vielleicht ganz mini winzig klein und Sie haben …?“
„Ich habe nichts verwechselt und nichts übersehen. Es besteht nicht der geringste Zweifel: Dieses Baby ist ein Junge!“ Dr. Chivu zeigte zur Kellerdecke.
„Mihai, was ist denn mit dir los?“ Frau Tepes griff nach der Hand ihres Mannes. „Jetzt haben wir zwei Mädchen und einen Jungen. Das ist doch perfekt!“
„Perfekt? Die perfekte Katastrophe!“ Mihai sank auf den Sarg zu seiner Frau.
„Ein kleiner Bruder!“ Silvania strahlte. „Und wie heißt er?“
„Gute Frage“, sagte Elvira.
„Ich finde Edward todschick!“ Silvania sah sehnsüchtig zum Baby.
„Wie wäre es mit Krajo?“, warf Tante Karpa ein.
„Oder Fango?“, sagte Onkel Vlad.
„Oder Liviu?“ Dr. Chivu räusperte sich.
„Ich bin für Rocco Pogo Draco“, sagte Daka.
„Ich weiß nicht …“ Elvira sah zu ihrem Mann. „Was gefällt dir denn?“
„Mir?“ Mihai blinzelte nervös. „Doris. Hannelore. Oder Olga. Ja, Olga, das passt gut. Olga Tepes, ich denke, wir haben’s.“
„Papa, Olga ist ein MÄDCHENname“, sagte Silvania.
„Na und? Noch nie etwas von Gleichstellung der Geschlechter gehört?“ Mihai rümpfte die Nase.
„Wenn du so sehr auf Gleichstellung pochst, dann zieh deinem Sohn meinetwegen einen rosa Flugstrampler an“, knurrte Oma Zezci aus der Kellerecke. „Aber Doris Hannelore Olga heißt mein Enkel sicher nicht!“
„Na schön, wenn ihr alle so altmodisch seid“, erwiderte Mihai Tepes. „Dann eben Olga Draco Tepes. Da habt ihr euern Jungennamen, damit kann ich auch leben.“
Elvira sah ihren Mann nachdenklich an.
Der kleine Olga pupste im Schlaf.
„Das ist ein Zeichen“, sagte Daka. „Unser Bruder furzt auf einen Mädchennamen. Würde ich an seiner Stelle auch.“
Elvira drückte die Hand ihres Mannes. „Unsere Zwillinge sind in Transsilvanien geboren. Sie haben vampwanische Namen. Sehr schöne vampwanische Namen. Unser Sohn aber kam in Bindburg, in Deutschland, auf die Welt. Ich finde, es ist Zeit für einen sehr schönen deutschen Namen.“
Oma Rose nickte eifrig.
Oma Zezci runzelte besorgt die Stirn.
Elvira richtete sich im Sarg auf und deutete Mihai an, das Baby abzuhängen. Mihai hielt seinen Sohn einen Moment in den Armen. Erst musterte er ihn kritisch. Dann aber lächelte er verträumt. Das kleine Vampirbaby kniff die Augen zusammen und nieste.
„Gesundheit!“ Elvira lächelte, als Mihai ihr das Baby behutsam reichte. „Ganz der Papa, was? Schließlich war dein Papa bei den Vampolympics 1877 Sieger beim Ha-Chi-Wettkampf.“ Der Ha-Chi-Kampf war eine jahrtausendealte Kunst, bei der ein Vampir einen anderen Vampir umnieste.
„Echt?!“ Silvania sah ihren Vater erstaunt an. „Davon hast du uns noch nie erzählt!“
Mihai winkte ab. „Ist doch schon ewig her.“
„Na, aber hallo!“, wandte Daka ein. „Wir haben einen Vampolympics-Sieger als Papa und wissen nichts davon?!“
„Es gibt Wichtigeres, als andere Vampire umzuniesen“, sagte Mihai ernst.
„Genau“, sagte Tante Karpa. „Und im Moment ist das Wichtigste, einen Namen für diesen süßen, blassen Halbvampir zu finden.“
Frau Tepes schmiegte ihre Nase an die Wange des Babys. Es öffnete die Augen. Elvira lächelte es an und betrachtete es genau. Dann sagte sie leise: „Willkommen zu Hause, Franz.“
Franz gluckste.
Babybeobachter
Starr wie ein Kaktus stand er dicht hinter der Gardine und sah aus dem Fenster. Dirk van Kombast folgte den drei Mädchen mit wachsamem Blick. Sie schoben eine Art Kinderwagen, der eher wie ein kleiner Sarg auf Rädern aussah, den Lindenweg entlang.
Mittlerweile kannte Dirk van Kombast diese Mädchen genau. Silvania und Dakaria Tepes, die Nachbarsmädchen, waren nicht nur Zwillinge, sondern auch Halbvampire. Gleich damals, als Familie Tepes aus Transsilvanien direkt neben ihm eingezogen war, hatte er es geahnt: Die Vampire waren, genau wie seine Mutti es gesagt hatte, überall. Und jetzt waren sie im Lindenweg! Zwar war Elvira Tepes ein Mensch, aber normal war sie mit Sicherheit nicht – schließlich war sie mit einem Vampir verheiratet.
Ebenso wenig normal war das dritte Mädchen: Helene Steinbrück. Sie war die beste Freundin der Vampirschwestern. Auch über sie wusste Dirk van Kombast bereits einiges, vor allem, seit er ihr Tagebuch in den Händen gehabt hatte: Unter ihren langen blonden Haaren versteckte sie ein Hörgerät. Ihr Vater war Zahnarzt. Und sie war in irgendeinen muffigen Vampir verliebt. Und somit, fand Dirk van Kombast, nicht mehr zu retten.
Dirk reckte sich und versuchte, einen Blick in den Kinderwagen, oder vielmehr Sargwagen, zu erhaschen. Doch eine Art Sonnensegel versperrte die Sicht. „Och, verträgt der kleine Scheißer keine Sonne, was?“, raunte Dirk van Kombast.
Seit der Geburt nebenan waren nun schon zehn Monate vergangen. Die Wochen zuvor hatte Dirk die Nachbarin immer dicker und immer flugfreudiger erlebt. Er hatte die transsilvanische Verwandtschaft landen und ein paar Tage nach der Geburt wieder abfliegen sehen. Ihm war nicht entgangen, dass dieses Baby anders war als andere Babys. Kein Wunder, bei den Eltern!
Bereits in den ersten Wochen hatte es vom Wickeltisch abgehoben, war in der Abenddämmerung zum Fenster hinausgeflogen und hatte – nur mit einer Windel bekleidet – eine Runde über Herrn van Kombasts Terrasse gedreht. Es war das erste fliegende Baby, das der Vampirjäger jemals zu Gesicht bekommen hatte. Auf gewisse Weise hatte es Ähnlichkeit mit einer dicken Hummel. Nur summte es nicht, es brabbelte.
Leider war Dirk van Kombast in dem Augenblick zu überrascht gewesen, um angemessen handeln zu können. Statt das Vampirbaby einzufangen, war ihm nur die Tasse Ingwertee aus der Hand gerutscht und er hatte sich den linken Oberschenkel verbrüht. Dirk hatte laut geschrien, das Baby hatte vor Schreck laut gepupst und war zurück zum Nachbarhaus auf seinen Wickeltisch geflattert.
Noch einmal würde Dirk van Kombast ein solcher Patzer nicht passieren. Dirk – der hauptberuflich Pharmavertreter und nebenberuflich Vampirjäger war – war vorbereitet.
„Flattere mir nur noch mal vor der Nase rum, du Windelbomber!“, zischte er jetzt, schob die Gardine beiseite, presste die solariumgebräunte Nase an die Fensterscheibe und sah den drei Mädchen mit dem schwarzen Kinderwagen nach. Die transsilvanischen Nachbarn hatten also Nachwuchs. Ein Baby. Wie süß! Wie wehrlos! Wie schutzlos! Dirk van Kombast lächelte. Das Schicksal meinte es dieses Mal gut mit ihm.
Rundflug im Gemüseladen
Wir hätten noch eine Stunde warten sollen, dann knallt die Sonne nicht mehr so heftig.“ Silvania zupfte am Sonnensegel.
„In einer Stunde sind aber alle Geschäfte zu“, wandte Helene ein.
Aus dem Kinderwagen gluckste es.
„Klingt nicht so, als hätte Franz ein Problem damit.“ Daka lugte unters Sonnensegel. Baby Franz streckte die Zunge raus, Daka ihm auch. Sie hatte sich, genau wie ihre Schwester, unsterblich in ihren kleinen Bruder verliebt. Franz war so herrlich weich und knuffig. Am liebsten hätten Silvania und Daka pausenlos seine Speckröllchen geknetet und seine dicken Backen abgeknutscht. Manchmal stritten sie sich sogar darum, Franz zu wickeln. Nur wenn er eine große Stinkbombe in die Windel gedrückt hatte, überließen sie den Job ihren Eltern.
Silvania machte Franz jeden Morgen Blutwurstbrei mit klein gehackten Schweineborsten. Daka flog mit Franz, der dabei noch etwas eierte, durchs ganze Haus und zeigte ihm die besten Plätze zum Abhängen. Sie hatten Franz sogar einen kleinen Helm gekauft, damit er sich nicht so oft den Kopf stieß beim wilden Flug. Selten waren sich die Schwestern so einig: Ihr Bruder war das Größte, was ihnen bisher in ihrem Leben passiert war.
„Hier muss ich rein“, sagte Helene und zeigte auf einen Laden.
„Giselas Gemüse“, las Daka und verzog das Gesicht.
Helene hielt die Tür auf, während Silvania den Kinderwagen in den kleinen Laden schob.
„Riecht schon nach Paprikapipi und Krautkacka“, murrte Daka und sah sich angewidert im Laden um.
Während Helene Tomaten in eine Tüte packte, nahm Silvania ihren Bruder aus dem Kinderwagen. Er strampelte und ruderte so heftig mit den kleinen, dicken Armen, dass sie ihn kaum halten konnte.
„Schon gut, gleich bekommst du dein Fläschchen.“ Silvania fischte eine Nuckelflasche aus ihrer Umhängetasche. Sie war bis an den Rand mit Blut gefüllt. Franz streckte sofort die Händchen danach aus. „Mann, du bist echt so verfressen! Wie viel willst du später von dem Zeug trinken, ein ganzes Fass?“
Franz nuckelte, als wäre er kurz vorm Verhungern, und schmatzte laut.
„Na, da schmeckt’s aber jemandem“, sagte die Verkäuferin. Vermutlich die Gisela von Giselas Gemüse. „Ist die Kleine eure Schwester oder verdient ihr euch als Babysitter was dazu?“
„DIE Kleine ist unser BRUDER“, sagte Daka.
Franz trug einen schwarzen Strampler, der mit silbernen Totenköpfen bedruckt war und zwei Fledermausflügel auf dem Rücken hatte. Seine Mütze war ebenfalls schwarz und hatte als Bommel eine dicke, behaarte Spinne. Weit und breit kein Rosa und keine Herzchen, Blümchen oder kleine, süße Kätzchen. Selbst der sargähnliche Kinderwagen, in dem schon ihr Cousin Woiwo durch die Gegend geschuppelt worden war, war schwarz. Wieso Leute dennoch auf die Idee kamen, Franz könnte ein Mädchen sein, war den Vampirschwestern ein Rätsel.
Oma Rose meinte, die Leute würden eben meistens das sehen, was sie sehen wollten. Allerdings, musste Daka eingestehen, hatte sie damals mit zehn Monaten so ähnlich ausgesehen wie ihr kleiner Bruder. Erst neulich hatten sie alle zusammen in alten Fotoalben geblättert. Silvania war mit ihren rotbraunen Löckchen und in ihrem blutroten Strampler mit Popo-Rüschchen schon immer das perfekte Halbvampirmädchen gewesen.
Daka dagegen, die auf den meisten Fotos in einem dunklen Strampler und mit zerzausten schwarzen Haaren irgendwo von der Decke baumelte, hätte man auch für einen Halbvampirjungen halten können. Oder für einen echten Vampir, wie Daka zufrieden feststellte. Man konnte sich eben wirklich nicht auf den ersten Eindruck verlassen.
Gisela runzelte die Stirn, als ihr Blick auf das Fläschchen fiel. „Was bekommt er denn da Gutes?“
„Das ist … ähm …“, begann Silvania und starrte auf das Blut, von dem mittlerweile nur noch ein fingerbreiter Rest im Fläschchen war. „Rote-Bete-Saft. Ganz toll für die Entwicklung in den ersten zwölf Lebensmonaten. Hab ich im Ratgeber gelesen.“
„Ach. Das ist ja interessant! Das muss ich sofort in mein Angebot aufnehmen. Ich habe sehr viele Kundinnen mit Nachwuchs“, sagte Gisela, griff nach einer Roten Bete und ging damit zu einer kleinen Anrichte hinter der Ladentheke.
Silvania sah, wie Gisela beängstigend schnell ein scharfes Messer schwang und die Rote Bete in kleine Stücke schnitt. Es war faszinierend! Wie konnte die Frau so schnell schneiden? Silvania hatte so etwas bisher nur in Kochsendungen gesehen und für Zauberei gehalten.
Franz interessierte sich nicht die Bohne für Giselas Geschnipple. Aber für alles andere in diesem Laden. Er nutzte sofort aus, dass seine Schwester abgelenkt war. Mit kräftigem Gestrampel und Geruckel befreite er sich aus Silvanias Griff. Dann breitete er die Arme aus, wedelte mit ihnen und schon flog er, noch etwas wackelig, aber doch sehr schnell, durch den Gemüseladen. Ein Spaß! Baby Franz gluckste.
„Franz! Komm zurück!“, schrie Silvania.
„Böses Baby!“ Daka hüpfte wie von einer Wespe gestochen durch den Laden und versuchte Franz zu erwischen. Beinahe hätte sie abgehoben und wäre selbst durch Giselas Gemüsegeschäft geflogen. Zum Glück fiel ihr noch rechtzeitig die erste radikale Regel ein, die ihre Mutter aufgestellt hatte: Kein Fliegen bei Tageslicht.
Wusste Frau Tepes eigentlich, wie unpraktisch ihre radikalen Regeln manchmal waren?
Franz waren Regeln schnuppe. Er brabbelte vor Vergnügen, als er von einem Regal mit Olivenöl zu einer Palette mit Eiern flog. Kurz machte er es sich darauf mit seinem Windelpopo bequem. Die Eier knacksten. Erstaunt sah Franz nach, was da unter ihm los war. Er stippte einen Finger in ein kaputtes Ei, kostete den Eiglibber und verzog das Gesicht. Dann hob er wieder ab. Es gab ja noch so viel zu entdecken!
„Hiergeblieben!“ Daka warf sich mit einem Hechtsprung auf ihren Bruder. Es hätte richtig cool aussehen können, wäre Franz nicht schon weitergeflogen, sodass Daka mitten in den Eiern landete. Die Palette krachte zusammen. „Fumpfs!“, stöhnte Daka und fuhr sich durch die Haare, die voller Eiglibber waren. Gar nicht mal schlecht zum Stylen, stellte Daka fest.
Erst jetzt drehte Gemüse-Gisela sich um. Sie sah Franz (er drehte gerade eine Runde über den Radieschen), ließ das Messer und die Rote Bete fallen und guckte wie ein zermatschter Kürbis. „Es fliegt.“
„Na, jetzt übertreiben Sie aber“, sagte Silvania schnell.
Daka nickte. „Eigentlich krabbelt er … in der Luft.“
„Schon mal von Drei-Monats-Koliken gehört?“, fragte Helene. „Baby Franz hat leider furchtbar viele Blähungen. Die stauen sich dann in seiner Windel – die Windeln heutzutage sind ja so was von dicht! – und dann ist die Windel so prallvoll mit Luft, dass er manchmal einfach abhebt.“
Es knatterte in Franz’ Windel.
Silvania nickte eifrig, während Daka versuchte, ihren kleinen Bruder am Strampler zu packen und wieder nach unten zu ziehen.
„Drei-Monats-Koliken“, wiederholte Gemüse-Gisela und ließ das Baby, das jetzt über ihren Gurken schwebte, nicht aus den Augen. „Der ist aber älter als drei Monate.“
„Eben! Älter bedeutet größere Pupse, also mehr Luft in der Windel“, erwiderte Helene.
Daka hielt es nicht mehr aus. Wozu gab es Regeln, wenn man sie nicht ab und zu mal brach? Nur ganz kurz, höchstens eine Sekunde, hob sie vom Boden ab, streckte die Arme aus und schnappte sich ihren Bruder, der gerade auf den Ventilator an der Decke zusteuerte. „Hab dich!“
Baby Franz machte ein Geräusch, das wie „Fumpfs“ klang, kniff Daka in die Nase und grinste. An vier Stellen kamen bereits die ersten Zähnchen durch. Es waren die Eckzähne.
„Ich hab dich auch furchtbar lieb“, flüsterte Daka und küsste Franz auf die Stirn. „Aber mach nicht immer so einen Scheiß. Dafür bin ich in dieser Familie zuständig.“ Daka klemmte sich ihren kleinen Bruder kurzerhand unter den Arm, drehte sich zu den anderen um und lächelte. „Alles unter Kontrolle. Sind wir hier fertig?“
„Fertig. Fix und fertig“, murmelte Gemüse-Gisela.
Helene reichte ihr die Tüte mit den Tomaten und drei Bananen.
Doch Baby Franz war noch lange nicht fertig. In diesem Laden gab es so viele wundersame Dinge in allen Farben und Formen – alles viel spannender als sein rasselndes Spielzeug zu Hause. Niemand bekam mit, wie Franz seine Händchen nach einer Pflanze ausstreckte, die genau auf seiner Höhe in einer Holzkiste lag. Sie war rund, weiß mit zarten lila Streifen und roch sehr interessant.
Gemüse-Gisela wog die Tomaten und Bananen und reichte Helene ihren Einkauf. „Das macht drei Euro und –“
„NEIN! FRANZ!!!“ Silvania stürzte sich auf ihren Bruder.
„Was ist los?!“ Helene drehte sich verwundert um.
„Er hat etwas in den MUND gesteckt!“ Silvania versuchte Franz’ Kopf zu sich zu drehen, doch er wackelte damit, als wollte er „Nein, nein, nein“ sagen.
„Nichts wie raus hier!“ Daka setzte Franz in den Kinderwagen, schnallte ihn an und kämpfte dabei mit seiner rechten Hand. Er hielt etwas fest umklammert. Für ein zehn Monate altes Baby war er erstaunlich stark. Schließlich gelang es Daka, ihrem Bruder das etwa golfballgroße, weißgraue Stück zu entreißen.
„KNOBLAUCH!!! Igitt! Er hat KNOBLAUCH gegessen!“ Daka warf die Knoblauchknolle schnell über die Schulter. Ihr wurde schlecht. Sowohl vom Knoblauchgestank als auch vor Angst um Franz.