Was können wir hoffen?

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Nocke Was können wir hoffen?

Franz-Josef Nocke

Was können wir hoffen?

Zukunftsperspektiven

im Wandel


Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

© 2007 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de Umschlag: wunderlichundweigand.de Umschlagbild: Heribert A. Huneke, Duisburg, mit freundlicher Genehmigung des Künstlers Foto: Winfried Dollhausen, Duisburg Lektorat und Satz: Michael Lauble, Billerbeck Druck und Bindung: Friedrich Pustet KG, Regensburg ISBN 978-3-429-02931-9

Inhalt

Vorwort

1. Wandlungen der Hoffnung Einige Stichworte zur Einführung

Kontraste – In den Himmel kommen – Reich Gottes – Fortschritt – Erschrecken – Traum von einer besseren Welt – Bewahrung – Angst – Konzentration auf die Gegenwart – Sehnsucht – Zu diesem Buch

2. Nicht Fahrpläne, sondern Perspektiven Die Bildersprache der Hoffnung

„Die letzten Dinge“ – Bildersprache – Die neue Stadt – „In deinen Toren werd ich stehen…“

3. „Mit uns zieht die neue Zeit“ Zum Fortschrittsdenken

Eine faszinierende Idee – „Fin de siècle“ – Reformpädagogik und Jugendbewegung – Futurismus – Düstere Perspektiven – Konflikte – Anhaltende Faszination – Teilhard de Chardin – Das Zweite Vati-kanische Konzil – Eine Enzyklika für den Fortschritt – Erschütterungen – Versuche, die Zukunft zu retten – Hoffnung auch ohne Fortschrittsoptimismus – Zwischenbilanz

4. „I have a dream“ Träume, Visionen, Utopien

Keine Visionen mehr? – Schwierige begriffliche Verständigung – Die Insel Utopia – Tagträume, Utopien – „I have a dream“ – „Die Träume werden wahr“ – Utopie und Eschatologie – Hoffnung, die mit den Zielen wächst – Was haben wir gelernt?

5. „Mehr als alles!“ Von der Sehnsucht

Konjunktur eines Motivs – Sehnsucht, was ist das? – Romantik und Jugendbewegung – Hunger, Durst, Heimweh, Liebesschmerz – Sehnsuchtsmotive in der Bibel – Eine Erfahrung Gottes – Eine Spur zu Gott – Sehnsucht und Hoffnung

6. „Und wenn morgen die Welt unterginge“ Zur Apokalyptik

Schlagwort „Apokalypse“ – „Flammend geht die Welt zu Grunde“ – Erinnerung an einen Lernprozess – Biblische Apokalyptik –Hoffnung im Horizont globaler Bedrohung

7. Hoffnung auf den kommenden Messias Zum Gespräch mit jüdischer Theologie

Impulse aus jüdischer Theologie – Christliche Theologie im Angesicht jüdischer Gesprächspartner – Blick in die Theologiegeschichte – Neuansätze in der jüngeren Theologie – Christliche Hoffnung auf den kommenden Messias – Eine Frage zum Schluss

8. Wenn die Sterne verlöschen Zum Gespräch mit der Astrophysik

Naturwissenschaftliche Eschatologie? – Biblische Zukunftsbilder – Zur Aufgabe und Methode von Theologie – Neuere Perspektiven – Was kann „Vollendung der Welt“ bedeuten?

9. Wiederholte Erdenleben? Zum Gespräch über die Reinkarnation

Fragestellung und Interesse – Zur Begrifflichkeit – Worum geht es also? – Positionen in der gegenwärtigen Diskussion – Argumente – Systematische Reflexion – Der Dialog muss erst geführt werden

10. Loslassen Zur Theologie des Sterbens

Dürftige Theologie der Neuscholastik – Akzente der neueren Theologie – Die „Kunst des Sterbens“ – Begleitung von Sterbenden

11. „Vorweggenommen in ein Haus aus Licht“ Auferstehungserfahrungen mitten im Leben

„Mitten am Tage“ – „Aus dem Tod in das Leben hinübergegangen“ – Worauf hoffen wir eigentlich? Aufleuchten künftiger Vollendung

12. Was bringt’s? Wie die Hoffnung das Leben verändern könnte

Was heißt hier „Hoffnung“? – Keine sichere Verlaufsprognose, aber eine Zukunftsperspektive – Keine unfehlbaren Handlungskonzepte, aber Handlungsorientierungen – Entlastung vom Erfolgszwang – Mut zu kleinen Schritten – Lachen können, ohne Angst und Trauer zu verdrängen – Weinen können ohne Angst, in der Trauer zu versinken – Durch den düsteren Horizont hindurchsehen – Die Gegenwart genießen können als Rast auf dem Wege – Woher solche Hoffnung nehmen?

 

Abkürzungen

Vorwort

Was erwarteten meine Eltern von der Zukunft? Was ist aus den Träumen und Plänen meiner Jugendzeit geworden? Wohin gehen die Zukunftserwartungen der heute Jüngeren? Im Laufe der sieben Jahrzehnte, die ich nun, natürlich aus eingeschränktem Blickwinkel, überschaue, haben sich die Perspektiven offensichtlich stark gewandelt. Wandelte sich zu gleicher Zeit auch jene Grundhaltung christlichen Glaubens, die sich auf die Zukunft richtet: wandelte sich die Hoffnung? Sind hier Wechselwirkungen erkennbar, Korrelationen zwischen säkularem Mentalitätswandel und theologischem Verständnis?

Seit Beginn meiner Lehrtätigkeit habe ich Studien zur Theologie der Hoffnung betrieben. Die systematischen Entwürfe, die daraus entstanden, vor allem meine Monographien „Liebe, Tod und Auferstehung“ und „Eschatologie“ sowie mein Beitrag in dem von Theodor Schneider herausgegebenen „Handbuch der Dogmatik“ sind für mich nach wie vor gültig. Mitten in dieser systematischen Arbeit haben mich zunehmend die eben genannten Wechselwirkungen beschäftigt. Auf den folgenden Seiten lege ich einige Zwischenergebnisse vor: zwölf Beiträge, die um das Thema „Zukunftsperspektiven“ kreisen. Epochale Stimmungen und Einsichten sollen mit der zeitgenössischen theologischen Diskussion vermittelt werden. Vielleicht wird darin ein kleines Stück Theologiegeschichte im Kontext profaner Geschichte sichtbar.

Die Beiträge entstanden in unterschiedlichen Gesprächszusammenhängen: von theologischen und interdisziplinären Seminaren und Symposien sowie interreligiösen Dialogen bis zu Gesprächen über das geistliche Leben. Aufmerksame Leserinnen und Leser werden das auch an Unterschieden im Sprachstil bemerken. Weil das Buch einen Einblick in Denkbewegungen der Theologie geben soll, können fachtheologische Reflexionen nicht ganz ausgespart werden. Weil es aber auch gut lesbar sein soll, versuche ich, die Darstellung übersichtlich zu halten. Um sichtbar zu machen, dass es mir nicht nur um subjektive Eindrücke, sondern um die Wahrnehmung epochaler Strömungen und Diskussionen geht, werde ich öfters auch zeitgenössische Dokumente zur Sprache bringen.

Manche werden auch das Konzept erkennen, das hinter dem Aufbau steckt. Dennoch braucht man das Buch nicht als ganzes von vorn nach hinten zu lesen. Jedes Kapitel ist auch in sich verstehbar. Auf inhaltliche Berührungen mache ich hin und wieder durch Querverweise aufmerksam.

Viele haben mit mir Material gesammelt, mir geholfen, Texte zu verstehen, mit mir über die Hoffnung nachgedacht und mich sanft zu Präzisierungen gezwungen. In diesem Sinne danke ich besonders meinen Kolleginnen Clemens Mendonca und Margret Peek-Horn, den Kollegen Claus Bussmann, Francis D’Sa und Adam Weyer, den ehemaligen Studierenden und inzwischen längst selbst Lehrenden Hans-Jörg Leuuw, Michaela Schmitz und Martin Seidensticker und nicht zuletzt den Freundinnen und Freunden Lotte Bock, Johannes und Margret Eulering sowie Hans und Ursel Wagner. Michael Lauble, dem Lektor, sei gedankt für die Motivation zur Veröffentlichung und für seine lange Geduld, bis es so weit war.

Franz-Josef Nocke

1
Wandlungen der Hoffnung

Einige Stichworte zur Einführung

Vieles ist im Wandel. Auch die Hoffnung. In den letzten Generationen haben sich nicht nur die in der Gesellschaft vorherrschenden Zukunftserwartungen mehrfach verschoben; in Theologie und Spiritualität hat auch der Begriff der Hoffnung mehrmals andere Färbungen angenommen. Offensichtlich hat die Kirche im Lauf des 20. Jahrhunderts gelernt, sich auf das Gespräch mit den Zeitgenossen und -genossinnen einzulassen. Mit den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute“ prägten zunehmend auch „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“.1 Davon soll in diesem Buch die Rede sein: vom Wandel der Erwartungen und Hoffnungen und vom Wechselspiel zwischen epochalen Erfahrungen und christlichen Glaubensvorstellungen. Ich versuche zunächst eine kleine stichwortartige Skizze, rekonstruiert aus meinen persönlichen Erinnerungen.

Kontraste

„WIR SCHAFFEN DEN NEUEN MENSCHEN“, stand in metergroßen Buchstaben an einem unserer Hochschulgebäude. Studierende hatten es Anfang der siebziger Jahre auf die Waschbetonwand gesprayt. Kaum noch entfernbar, als sei es ein Motto für die Ewigkeit. Kritische Dauerreflexion sollte zu besseren Strukturen der Gesellschaft und dadurch zu einem neuen, besseren Menschen führen. Viele, die später „Achtundsechziger“ genannt wurden, lebten von dieser Hoffnung.

Der Spruch war schon von einigen vor die Wand gepflanzten Sträuchern halb verdeckt, als ich in der Mensa mit einem Studenten über seine persönliche Zukunft sprach. Er hatte das Erste Staatsexamen hinter sich, trug aber Bedenken, den Vorbereitungsdienst für das Lehramt anzutreten: „Nicht für diese Schule!“ Ich wollte ihn überreden, wenigstens noch das Zweite Staatsexamen zu machen, dann habe er doch bessere Berufschancen. „Wofür?“, fragte er, „ich bringe dreimal in der Woche Waren herum, davon kann ich leben.“ Ich fragte ihn, ob er in dreißig Jahren immer noch als Gelegenheitschauffeur arbeiten wolle. Darauf er: „In dreißig Jahren? Meinen Sie denn im Ernst, dass unsere Erde dann noch existiert?“ Und er sprach von Rüstungswettlauf, Luftverschmutzung und tödlichen Verteilungskämpfen zwischen reichen und armen Ländern.

Welch ein Kontrast binnen weniger Jahre! War es im Raum der Kirche anders?

In den Himmel kommen

„Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm!“ – das war in der Zeit meiner Kindheit das bekannteste Kindergebet. Die Akzentuierung war nicht zufällig. Der Einheitskatechismus von 1925 begann mit der Frage: „Wozu sind wir auf Erden?“ Die Antwort lautete: „Wir sind dazu auf Erden, dass wir den Willen Gottes tun und dadurch in den Himmel kommen.“ In diesem Sinne definierte die zeitgenössische neuscholastische Theologie auch die Hoffnung, nämlich als „Tugend, durch welche wir die übernatürlichen Güter von Gott unter eigener Mitwirkung zu erlangen vertrauen“.2 Mit den „übernatürlichen Gütern“ war vor allem die ewige Seligkeit nach dem Tod gemeint.

Ich sah damals keinen Grund, solche Definitionen zu kritisieren; aber meine persönliche Hoffnung richtete sich eher auf „natürliche Güter“: darauf, dass der Krieg zu Ende ginge, dass unser Vater aus Russland heimkehre, dass wir wieder in unsere Heimat ziehen könnten, später: dass man ohne Bezugscheine einkaufen und wir ohne Reisemarken auf Fahrt gehen könnten, dass eine Freundschaft wachsen würde, und schließlich, als sich mein Blick weitete: dass es gelingen möchte, aus dem zerstörten Deutschland ein demokratisches, friedliebendes, nach christlichen Grundsätzen aufgebautes Land zu machen. Mit anderen Worten: Meine Religionsunterrichts-Hoffnung war zunächst weit entfernt von meiner Lebens-Hoffnung. Die beiden Hoffnungen gerieten nicht unbedingt in Konkurrenz zueinander; aber sie schienen auch wenig miteinander zu tun zu haben.

Ich denke, so wird es vielen Christen und Christinnen meiner Generation gegangen sein: Was man die göttliche Tugend der Hoffnung nannte, hatte weniger mit der Lebensperspektive oder der politischen Zukunft zu tun als mit dem, was nach diesem Leben und nach dem Ende der Welt käme. Auf die Gestaltung des irdischen Lebens hatte die eschatologische Hoffnung nur insofern Einfluss, als dieses Leben als Zeit der moralischen Bewährung galt, welche im Endgericht heilsentscheidend sein würde.

Reich Gottes

Das wurde für mich anders, als ich mit der Spiritualität von Jugendbewegung und Liturgischer Bewegung in Berührung kam. Wir lernten „Natur“ und „Übernatur“ enger zu verbinden, theoretisch und praktisch. Wir verbanden die Erfahrung von Freundschaft in unserer Gruppe mit der Erfahrung, dass Christus in unsere Runde kommt. Wir sprachen vom „Jugendreich der Freude“ (das klingt heute arg romantisch und weltfremd, aber wir meinten damit eine jetzt und hier zu erlebende Wirklichkeit) und vom „Gottesreich“ – und die Grenzen zwischen beidem wurden fließend. Nicht, dass ich „fromm“ würde, stand im Mittelpunkt, sondern dass wir dem Reich Gottes dienten.

Zwischen dem Kindergebet „dass ich in den Himmel komm’ “ und der Vaterunser-Bitte „Dein Reich komme“ entdeckten wir, freilich erst nach und nach, vier gravierende Unterschiede: (1) Dort betet ein Einzelner, hier betet eine Gruppe. (2) Dort betet der Einzelne um sein individuelles Heil, hier betet die Gruppe um das Gelingen der Sache Gottes. (3) Dort geht die Bewegungsrichtung von der Erde weg in einen fernen Himmel, hier verläuft sie umgekehrt: Gottes Reich soll zu uns kommen. (Das wurde noch deutlicher durch die damals gültige Übersetzung „Zu uns komme dein Reich“.) (4) „Himmel“ ließ sich als eine rein zukünftige und jenseitige Wirklichkeit denken, „Reich Gottes“ dagegen meint eine Zukunft, die schon begonnen hat, und zwar auf dieser Erde. Deshalb führte die Entdeckung, dass nicht das genannte Kindergebet, sondern das Vaterunser das grundlegend christliche Gebet war, zu einer Hoffnung, die stärker geerdet und stärker sozial orientiert war.

Das Reich Gottes sollte wachsen. Wir, die wir als Kinder noch Nazi-Herrschaft, Krieg, Verfolgung und Zerstörung erlebt hatten und nun den Aufbau der Städte, wachsenden Wohlstand, ein neues Ansehen der Kirche und neue Wertungen im schulischen Unterricht wahrnahmen, hatten den Eindruck, dass sich in diesem Wandel das Wachstum des Gottesreiches ereignen könne. Und es legte sich die Hoffnung nahe, dass es weiter aufwärts gehen würde.

Fortschritt

Wir sangen in unserer katholischen Jugendgruppe: „Wann wir schreiten Seit an Seit…, fühlen wir, es muss gelingen: Mit uns zieht die neue Zeit.“ Es war uns fast selbstverständlich, dass „die neue Zeit“ eine bessere Zeit sein würde, es schien uns auch nicht zu hoch gegriffen, dass diese bessere Zeit „mit uns“ kommen, uns „gelingen“ werde. Als wir erfuhren, dass dieses aus der Arbeiterbewegung stammende (und ursprünglich nicht ausdrücklich christliche) Lied erst nachträglich, nach seiner Rezeption in der kirchlichen Jugend, mit der Zeile „Christus Herr der neuen Zeit“ „getauft“ worden war, fanden wir das ganz logisch. Natur und Übernatur gehörten ja zusammen. Und so verband sich die Hoffnung auf Gottes Reich gern mit dem Glauben an den sichtbaren und spürbaren Fortschritt.

Das Wort „Fortschritt“ galt zwar im traditionellen Katholizismus als verdächtig. Aber dann kam uns der französische Jesuit Pierre Teilhard de Chardin mit seiner Vision vom universalen Fortschritt zu Hilfe: In der biologischen Evolution, im technischen und politischen Fortschritt sah er den Schöpfer Gott und den Weltvollender Christus am Werk. Teilhards Werke, deren Veröffentlichung zu seinen Lebzeiten kirchenamtlich verboten war, erschienen mit seinem Tod 1955 und gingen sofort wie ein Lauffeuer durch die katholische Welt. Sie wurden von vielen, die nach einer weltbejahenden Gestalt des Glaubens suchten, mit Heißhunger studiert und angeeignet. Einen Widerhall dessen konnte man in der Konzilskonstitution „Die Kirche in der Welt von heute“ (1965) erkennen, wo von der „Gestaltung dieser Erde“ die Rede ist, „auf der uns der wachsende Leib der neuen Menschenfamilie eine umrisshafte Vorstellung von der künftigen Welt geben“ könne.3

Erschrecken

Diese optimistische Sicht wurde in Frage gestellt durch ein Erschrecken, das allerdings erst in einem sehr langsamen Prozess das öffentliche Bewusstsein erreichte: das Erschrecken über die bis dahin unvorstellbaren Ausmaße, in denen die Verfolgung und Vernichtung des jüdischen Volkes in Deutschland zwischen 1933 und 1945 betrieben worden war. Für viele der Opfer war ihr Geschichtsbild zerbrochen, nicht wenige rangen um ihren Glauben an einen mächtigen Gott. „Nie werde ich diese Nacht vergessen“, schrieb Elie Wiesel, der als Jugendlicher nach Auschwitz kam, „die erste Nacht im Lager, die aus meinem Leben eine siebenmal verriegelte lange Nacht gemacht hat… Nie werde ich die Augenblicke vergessen, die meinen Gott und meine Seele mordeten, und meine Träume, die das Antlitz der Wüste annahmen.“4 Hans Jonas, dessen Mutter in Auschwitz umkam, ging die alten Hoffnungsmotive Israels durch, die einmal gegenüber geschichtlichem Elend Lebensperspektiven geboten hatten, das Exodus-Motiv von Gottes starkem Arm, das prophetische Motiv von Schuld und Heimsuchung, das makkabäische Motiv von Zeugenschaft und Martyrium, aber: „Nichts von all dem verfängt mehr bei dem Geschehen, das den Namen ‚Auschwitz‘ trägt.“5

 

Es brauchte aber Jahrzehnte, ja mehrere Generationen, bis dieses Erschrecken in größeren Teilen der deutschen Bevölkerung und auch der christlichen Kirchen6 und ihrer Theologie7 ankam. Wo es aber ankam, wuchsen Fragen, nicht nur nach dem, was im Menschen steckt, sondern auch nach dem Lauf der Geschichte und nach der Möglichkeit einer innergeschichtlichen Hoffnung. Wenn es eine Geschichte eines solchen sich immer mehr steigernden und fast selbstverständlich rezipierten Hasses geben konnte, und wenn die gewachsenen technischen und logistischen Möglichkeiten in den Dienst eines totalen Vernichtungswillens gestellt werden konnten, wie kann man dann von Fortschritt reden?

Traum von einer besseren Welt

In den sechziger Jahren änderte sich der Ton. Die Hoffnung löste sich vom Fortschrittsoptimismus und formulierte sich stärker als Protest und als Motiv zu veränderndem Handeln. Das große Vorbild wurde die nordamerikanische Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King. Sein Traum von einer Gesellschaft, in der alle Menschen gleiche Rechte haben werden, inspirierte nicht nur die nordamerikanische Bürgerrechtsbewegung, sondern auch die Aufbruchsbewegungen der sechziger und siebziger Jahre in Europa. Wir sangen: „We shall overcome… we’ll walk hand in hand“, und: „Andere Lieder wollen wir singen, feiern das Fest der Befreiung. Der Herr führt uns in neues Land, die Träume werden wahr.“ Das Wort „Traum“ sprach vom Blick in eine verheißene Zukunft, dieser Blick mobilisierte die Hoffnung, und die Hoffnung bewegte zu veränderndem Handeln.

Wenige Jahre später entstand in Lateinamerika eine ähnliche Bewegung. Die Option für die Armen führte zu einer befreienden Pastoral, und auch hier wurden die biblischen Verheißungen zu Hoffnungsbildern, die dem politischen Handeln eine Richtung zeigten. In einzelnen Schritten der Solidarisierung, im Einstehen füreinander, in der neuen Praxis einer Basisgemeinde erkannte man den Beginn einer neuen Wirklichkeit. So wurde der Glaube konkret. Das faszinierte auch europäische Christen und Christinnen. Während sie den Glauben in ihrer Heimatkirche oft als weltfern und wirkungslos erfuhren, suchten sie von lateinamerikanischen Gemeinden zu lernen, in welchen der Glaube lebendig ist, die Hoffnung konkrete Gesichter hat und christliches Handeln die Gesellschaft verändert.

Diese Gestalt der Hoffnung hat viele von uns bewegt und bis heute geprägt. Für mehrere Generationen von Studentinnen und Studenten wurde sie zum Zentrum ihres Glaubens und Christseins. Aber nicht nur für sie. „Hoffnung“ schien nun das große, motivierende und inspirierende Grundwort schlechthin geworden zu sein. Das Glaubensbekenntnis der Synode der deutschen Bistümer in Würzburg (1972–1975) trägt nicht zufällig den Titel „Unsere Hoffnung“. Der Freiburger Katholikentag 1978 stand unter dem Leitwort: „Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben“, und der Evangelische Kirchentag in Nürnberg 1979 hatte das Motto „Zur Hoffnung berufen“. Interessant, dass genau mit diesem Katholikentag und mit diesem Evangelischen Kirchentag die Teilnehmerzahlen sprunghaft anstiegen, nicht zuletzt durch die überraschend große Zahl von Jugendlichen (was bekanntlich dem Freiburger Treffen die Bezeichnung „Turnschuh-Katholikentag“ eintrug).