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Frank Pfeifer
Der Junge mit dem Feueramulett: Der heilige Vulkan
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Karte
Titel
Was bisher geschah
Unterwegs
Die Alte Stadt
Der Dunkle Wald
Kustos
Branubrabat
Der Ogul
Impressum neobooks
Karte
Titel
Frank Pfeifer
Was bisher geschah
Der sechzehnjährige Waise Kard ist ein besonderer Junge, denn Feuer kann ihn nicht verletzen. Dies kommt ihm bei seiner Ausbildung in der Schmiede des Toraks Wallas zugute. Dort soll er als Gesellenstück ein Schwert aus dem heiligen Minas-Erz anfertigen. Doch um ein Meister seiner Zunft zu werden, muss er das Schwert zu einem Onchu bringen, einem heiligen Wesen des Gottes Branu. Doch Flanakan, der Tyrann des Reiches Haragor, hat das Anfertigen solch eines Schwertes verboten. Als er von der Existenz der für ihn bedrohlichen Waffe erfährt, wird der Oberste Scherge Laoch beauftragt, dieses Schwert an sich zu bringen. Zusammen mit den blutgierigen Faolskis, wolfsähnlichen Bestien, beginnt Laoch nun die Verfolgung des Jungen.
Gemeinsam mit seinem treuen Freund Madad, einem Cu, also einem sprechenden Hund, gelingt Kard die Flucht aus der Reichshauptstadt Conchar. In einem Dorf treffen sie die Amazone Rosie und ihren Begleiter Odysseus, die ihnen bei einem Streit mit den Dorfbewohnern zur Seite stehen. Auf der nun gemeinsamen Flucht vor Laoch, der ihnen weiterhin dicht auf den Fersen ist, entschließen sie sich, den Weg durch die Stinkende Stadt zu nehmen. So können sie zwar ihre Verfolger abschütteln, sehen sich aber einer neuen Gefahr gegenüber - riesigen, aggressiven Dungratten! Mit Müh und Not schaffen sie es, diese verfluchte Stadt unbeschadet zu durchqueren.
Sie treffen auf den Herren der Kräuter, der glaubt in Kard einen Drachenkrieger oder gar einen Drachenprinzen zu sehen, also einen Nachfahren der Könige, die über Jahrhunderte das Reich Haragor mit ihren Drachen beherrscht haben. Aber Kard glaubt ihm nicht.
Doch dann stiehlt Rosie das Minas-Schwert und entführt dazu auch noch Madad, um damit auf ihrer Heimatinsel Amazonien Ruhm und Ehre zu erlangen. Kard und Odysseus sind entschlossen, Madad zu retten und sich das Schwert zurückzuholen. Nur knapp verfehlen sie in der Hafenstadt Klatschmünde die Amazone, die mit einem Boot der Ichtos, Wesen, die halb Fisch, halb Mensch sind, auf dem Meer verschwindet.
Auch Laoch hätte beinahe das Minas-Schwert in den Händen halten können. Er reist nach Ichtien, dem Inselreich der Halbkiemenatmer, und bekommt dort nach einigen Missverständnissen Unterstützung. Mit einer Flotte zieht er gegen Amazonien.
Kard und Odysseus haben sich inzwischen als Putzsklaven verkleidet, die auf Amazonien den kämpferischen Frauen den Haushalt führen. So können sie Madad retten und auch das Schwert an sich bringen. Rosie aber, die mit Hilfe des mächtigen Minas-Schwertes Königin der Amazonen werden wollte, muss voll Schmach fliehen. Gemeinsam gelingt ihnen in dem Moment die Flucht, als Laoch mit der Flotte der Ichtos die Amazonen angreift.
Zurück auf dem Festland trennen sich die Wege der Freunde. Rosie und Odysseus haben entdeckt, das sie Gefühle füreinander hegen, Kard und Madad begeben sich in den Norden des Reiches, um dort endlich den Heiligen Onchu zu finden.
Unterwegs
Wallas schaute in den Sternen übersäten Nachthimmel. Um ihn herum rauschte der Wind durch das Winxgras, das ihm die Aussicht nach allen Richtungen verstellte. Es blieb ihn nur der Blick in den Himmel. Und in eine ungewisse Zukunft. Er hoffte, dass er sich mit dem Minas-Schwert nicht geirrt hatte. An dieser Waffe hing das Schicksal des gesamten Reiches. Freiheit oder weiterhin Tyrannei lagen auf der Waagschale. Und in den Händen eines unwissenden Jungen. Oder war selbst das nur sein eigener Wunschgedanke?
Er musste auf seiner Flucht vor den Schergen des Herrschers auf einer dieser Lichtungen gelandet sein, die sich wie von Geisterhand über Nacht in den Winxgrasfeldern bildeten. Vielleicht von betrunkenen Riesenkaninchen, die aus unerfindlichen Gründen im Rausch in exakten Kreisen im Gras herumhoppelten? Der alte Torak hatte davon gehört. Früher! Früher, als er selbst noch ein Geächteter war. Ein Abtrünniger. Verfolgt von den Häschern des Drachenkönigs. Der Verräter.
Das war lange her. Jetzt jagten ihn die Schergen Flanakans, dem er einst in die Große Schlacht gefolgt war. In die Schlacht der Ausgestoßenen gegen die Unterdrückung durch den Drachenkönig. Aber auch dem Drachenkönig hatte er einst gedient, Aidan. Allen war er untreu geworden. Wallas, der Untreue. Er musste lachen. Wie paradox. Alles wendet sich ins Gegenteil.
Wieviele Tage hatte er in einem der Verstecke des Widerstands in Conchar, der Hauptstadt des Reiches Haragor, ausgeharrt? Wallas wusste es nicht mehr. Stunden und Tage ohne Licht, ohne Morgen und ohne Abend, irgendwann hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. Niemand war gekommen, um ihm Bescheid zu sagen, dass die Luft wieder rein war. Was war also aus Gsam geworden, seinem Mitstreiter? Hatten ihn die Schergen gefasst? Oder war er gar tot? Was hatte Gsam seinen Söhnen verraten? Oder waren die beiden Hitzköpfe Gsaxt und Gsark derart zerstritten, dass sie das gemeinsame Ziel aus den Augen verloren hatten?
Aber welches gemeinsame Ziel überhaupt? Sollte er das nicht wissen? War er nicht der Kopf der Bewegung in Conchar gewesen, die aus jugendlichem Trotz und Übermut entsprungen war, in einer Zeit, in der man als junger Torak denkt, dass man es mit der ganzen Welt aufnehmen kann? Falls man die wenigen Wesen, die sich hier zusammen getan hatten, überhaupt als Bewegung bezeichnen konnte? Nach Jahren und Jahrzehnten im sogenannten Widerstand war selbst er langsam müde geworden. Irgendwann gewöhnt man sich dann doch an alles. Dann gibt es eben Menschen und Toraks und andere Wesen und nicht alle haben nun mal die gleichen Rechte. Er konnte die Menschen, die voller Arroganz auf die massigen Toraks heruntersahen, sogar ein wenig verstehen. Verstehen ist vielleicht das falsche Wort. Er konnte nachvollziehen, dass sich manche Menschen in der Gegenwart von Wesen, die fast doppelt so groß und viermal so schwer wie sie selbst waren, unwohl fühlten. Und in ihrer Gleichmut hatten es die Toraks hingenommen, dass sich dieses Unwohlsein der Menschen ihnen gegenüber in Überheblichkeit und später in Ungerechtigkeit verwandelt hatte. Man arrangierte sich als geduldiger Nomade mit den scheinbar unabwendbaren Tatsachen. Den Schergen, den Wachen und ihrer Willkür. Dem unausgesprochenen Verbot, dem Schöpfergott Branu zu huldigen. Dann beugt man sein Haupt eben vor Goiba, der Göttin der Nacht. Ist ein braver Bürger. Hauptsache man hat abends einen Krug mit Schoff auf dem Tisch, mit dem man seine Sorgen hinunterspülen kann. Aber Flanakan und seine Oberpriesterin Tsarr hatten die Daumenschrauben immer enger angezogen. Man konnte es sich in seiner Nische einfach nicht bequem machen. Und seit einigen Jahren die Leibeigenschaft! Gerade für die jungen Toraks wie Gsams Söhnen war die Bedrohung unerträglich, für eine geringes Vergehen die Freiheit einbüßen zu müssen. Ein Mensch konnte sich selbst bei Schwerverbrechen freikaufen, einem Torak wurde für Kleinigkeiten das Joch aufgezwungen. Und dann war dieser Junge aufgetaucht, Kard! Ein Kind des Feuers. Solch einen Menschen hatte es zuletzt unter den Drachenkönigen gegeben. Nur dass die Drachenprinzen damals derart arrogant gewesen waren, dass sie auf alle anderen Wesen Conchars, nicht nur auf die Toraks, wie auf dreckige Würmer hinabgesehen hatten. Für ihn, Wallas, war Flanakan damals ein Held gewesen. Ein halber Vampyr, ein Bastard, ein Ausgestoßener, der es wagte, den überheblichen Herrschern die Stirn zu bieten. Aidan, der Gerechte? Das wurde er erst Jahrzehnte später, als die Wesen Haragors sich nicht mehr an ihn erinnern konnten und sie eine Geschichte brauchten, um der zunehmenden Drangsalierung Flanakans etwas entgegensetzen zu können.
Und hätte er jemals einen Gedanken an den Widerstand vergeudet, wenn ihm jemand gesagt hätte, dass er eines Tages aufwachen würde und die Rauchsäulen seiner niedergebrannten Schmiede hinterherschauen würde? Er sah noch genau, wie der Rauch vom Wind erfasst wurde, von ihm in kleine Stücke gerissen und dann einfach zerfasert wurde, sodass nichts mehr übrig blieb?
Eigentlich war er im Grunde seines Herzens doch auch nur ein einfacher Torak. Wesen, die in den Jahrtausenden des Nomadentums gelernt hatten, Sturm, Kälte und Hitze gleichmütig zu ertragen. Und war der Widerstand im Grunde nicht doch nur jugendlicher Trotz, weil er tief im Herzen noch die Hoffnung hegte, dass er einen würdigen Platz in dieser Welt beanspruchen durfte? Jugendlicher Trotz? Wallas schnaubte verächtlich. Über hundert Jahre war er jetzt alt und handelte immer noch aus jugendlichem Trotz? Aber selbst jetzt hatte er, wenn er in seinem Versteck den Wind durch das Winxgras streichen hörte und in die Sterne sah, keine bessere Erklärung.
Und immer mehr hatte sich Flanakan, der Bastard, der Ausgestoßene, der es eigentlich besser wissen sollte, den Menschen zugewandt. Er hatte ihnen mehr Privilegien zugestanden und den Toraks und all den anderen Wesen diese aberkannt. Und so war der alte Wallas immer trotziger geworden. So wie andere Toraks und sogar einige Menschen, die ebenfalls sahen, dass hier ein Gleichgewicht gestört war. Eine Trotzbewegung.
Aber die meisten der geduldigen Toraks ertrugen doch lieber das Joch, als sich der Gefahr auszusetzen, dass man ihnen auch noch die letzten Bequemlichkeiten entriss. Mit der Gewissheit, dass es in jeder Wüste irgendwo ein Wasserloch gab, dass alle Stürme irgendwann verebbten, wenn man nur lange genug wartete. Und wartete und wartete und wartete. Und wartete und wartete und wartete. Und … irgendwann tot umfiel. Hauptsache mal landete nicht in einer von betrunkenen Riesenkaninchen niedergetrampelte Lichtung. Ohne Dach über den Kopf, ohne Schoff und gejagt von allen Schergen und Wachen des Reiches. Wallas stöhnte innerlich auf. War er denn noch zu retten? Was hatte er hier zu suchen?
Und war es richtig gewesen, alle Hoffnungen auf ein halbes Kind zu setzen? Kard war sicherlich kein gewöhnlicher Mensch. Seine magische Verbindung zum Feuer war unübersehbar. Aber würde er die Aufgabe meistern können, die er, Wallas, ihm zugedacht hatte? Würde er es bis zum Onchu schaffen, um das Minas-Schwert weihen zu lassen? Ein geweihtes Schwert, um sich damit gegen Flanakan zu stellen. Jetzt, alleine unter dem Sternenhimmel, kam ihm dieser Plan doch ziemlich einfältig vor.
Ein wirkliches Ziel hatte er selbst in diesem Moment auch nicht. Wohin sollte er gehen? Er wusste von anderen Unzufriedenen in anderen Städten. Aber die Verbindungen waren nur lose. Im ersten Augenblick fiel ihm niemand ein, zu dem er in dieser Situation fliehen konnte. In Conchar selbst gab es natürlich einige Toraks und Menschen, denen er vertraute. Aber nach Conchar zurückzukehren, wäre Selbstmord gewesen. Inwieweit sich der Widerstand außerhalb der Hauptstadt organisiert hatte, wusste er nicht genau. Es gab nur Gerüchte und Erzählungen, aber der Kontakt zwischen ihnen war noch nie besonders ausgeprägt gewesen.
Er würde in die Alte Stadt gehen! Sie war weit weg von Conchar und Flanakan und ihre Bürger standen im Ruf, sich ständig gegen die Repressalien des Herrschers aufzulehnen. Dafür patrouillierten in den Gassen auch dreimal soviel Wachen wie in Conchar und man musste wirklich aufpassen, keinem Spitzel in die Hände zu fallen. Überhaupt drehte sich in der Alten Stadt inzwischen alles nur noch um Argits, um das verführerische Klirren der Münzen. Nachdem Flanakan und Tsarr eingesehen hatten, dass sie aus der ehemaligen Hochstätte des Branu-Kultes keine mustergültige Goiba-Kolonie machen konnten, hatten sie der Stadt Lizenzen für das Glücksspiel gegeben. Ein gewiefter Schachzug. Denn in der ehemaligen und inzwischen verarmten Minenhochburg des Reiches, in dem nach der Großen Schlacht die meisten Zechen zum Stillstand gekommen waren, konnte sich Flanakan auf diese Weise als Heilsbringer feiern lassen. Und die Wesen, wenn er sie schon nicht mit der Ehrfurcht vor Goiba beeindrucken konnte, wenigstens mit ihrer Gier nach Geld und Gold an die Geschicke des Reiches binden.
Außerdem kannte Wallas in der Alten Stadt einige Erzhändler, da er dort schon einige Male selbst Nachschub für seine Schmiede in Conchar besorgt hatte. Und natürlich Tsarkoik, der Kopf des Widerstandes in der Alten Stadt. Wenn er noch lebte? Denn er war genauso alt wie Wallas. Spitzel gab es natürlich auch überall, er würde die Augen offen halten müssen. Aber Tsarkoik galt als ein unbescholtener Erzhändler, einer der wenigen, die auch mit Silber handelten und aus dessen Eisen man aus unerfindlichen Gründen ein gleichzeitig festes wie biegsames Metall herstellen konnte. Dies war zwar bestens geeignet für Küchenmesser aber man konnte auch Schwerter damit herstellen.
Damals, als er mit der alten Gova Kard im Waisenhaus der Goiba-Schwestern gefunden hatte, war Tsarkoik sein Gastgeber gewesen. Und das war ja in den Augen eines Toraks noch nicht so lange her. Vor sieben oder acht Jahren, keine Zeit für einen alten Torak. Also auf in die Alte Stadt, dachte Wallas, in diesen Morast aus Gier, Trunksucht, Spitzeln, Wachen und seltsamerweise einigen Freunden.
*
Kard war sich sicher, dass inzwischen nicht nur der Oberste Scherge des Reiches, Laoch, ihnen auf den Fersen war, sondern dass auch Amazonen und besonders die fischigen Ichtos ihre Spitzel ausgesandt hatten, um des Minas-Schwertes habhaft zu werden. Den Ganzkörperanzug, den er seit seiner Tätigkeit als Putzsklave bei den Amazonen trug, musste er in Klatschmünde irgendwie loswerden. Er könnte ihn aber als Schlafanzug behalten, überlegte Kard. Der Stoff war so kuschelig weich! Wenn er nicht nackt durch die Gegend laufen wollte, musste er sich allerdings noch eine Weile damit begnügen. Die Kapuze hatte er vorsorglich abgetrennt, und wenn er Ärmel und Hosenbeine hochgekrempelte, sah man auf den ersten Blick nicht, dass es die Arbeitskleidung eines Amazonensklaven war. Trotzdem ging ihr erster Gang in Klatschmünde in ein Bekleidungsgeschäft. Als er mit seinem Freund Odysseus zum letzten Mal hier gewesen war, hatte er nicht viel von der Stadt gesehen, da sie sich nur im Hafenviertel aufgehalten hatten. Als sie diesmal durch die Randgebiete die Stadt betraten, fiel ihm erst auf, welches Labyrinth die Gassen und Häuser bildeten. Zum Glück hatte er Madad an seiner Seite, der nicht nur immer gut gelaunt war, sondern dessen Nase ihm immer den rechten Weg wies.
Und Kard hatte von Odysseus gelernt. Madad hatte ihn zu einem Geschäft geführt, indem nicht nur Stoffe, sondern auch Frauenkleider angeboten wurden. Kaum hatten sie den Laden betreten, roch auch Kard den feinen Hauch von Parfum. Es erinnerte ihn entfernt an den Duft des Zinnobermoschus, mit dem Rosie sie vor den Dungratten gerettet hatte. Aber während sich Odysseus bei Kards letztem Besuch in einem ähnlichen Geschäft in eine waschechte Amazone verwandelt hatte, sollte es für Kard diesmal etwas anderes sein. Mit zusammengebundenen Haaren, verstellter Stimme und neuem Kleid konnte aus dem Jungen ein Mädchen werden. Aus dem Amazonensklaven Kard wurde nun die arme Waise Kardania, die mit ihrem Hund durch Haragor vagabundierte. Schön wäre es gewesen, wenn man Madad noch in ein Schaf oder ein Trüffelschwein hätte verwandeln können. Aber Madad wehrte sich heftig gegen die Idee, dafür einen Branu-Priester zu suchen, der einen Verwandlungszauber anwenden könnte. Einerseits wäre das wohl angesichts ihrer zusammengeschrumpften Reisekasse unerschwinglich gewesen, andererseits sah man auch in Conchar manchmal die Ergebnisse eines missglückten Zauberspruchs. Wesen mit zwei Köpfen oder drei Armen oder manche mit scharlachroter Haut, Opfer missglückter Experimente eines Feuer-Magiers. Und ein in ein Schaf verwandelter Madad mit zwei Köpfen, der Kard von morgens bis abends mit fürchterlichen Flüchen belegen würde – was konnte es schlimmeres geben? Schließlich war das Ziel des Unternehmens, unerkannt zu bleiben, um etwaige Verfolger abzuschütteln. Ein fluchendes Trüffelschwein wäre diesem Zweck nicht dienlich gewesen.
Doch um die Weiblichkeit von Kard noch ein wenig zu verstärken, gingen sie dann doch zu einer Credna-Gova, die nicht nur Wangenrot und Belladonna-Augentropfen anbot, sondern auch Haarwaschmittel und Achselodem. Hier fand Kard Pillen, die laut Packungsbeilage versprachen, aus wild gekräuselten Locken schöne lange glatte Haar zu machen. Ideal für ihre Zwecke. Er wäre nicht mehr der Jüngling mit dunklen lockigem Haar, sondern das arme Waisenmädchen mit langer schwarzer Mähne.
Das Minas-Schwert landete wieder versteckt in einem Bündel auf seinem Rücken und nun war Kardania mit ihrem treuen Hund bereit für die Reise. Jetzt mussten sie sich nur noch überlegen, wie sie zur Alten Stadt kamen. Fest stand, dass sie keines der Ichto-Taxis nehmen wollten und Amazonen wollten sie in Zukunft auch aus dem Weg gehen. Inzwischen hatte sich der Tag seinem Ende zugeneigt und das arme kleine Waisenmädchen hatte beschlossen, sich ein geschütztes Plätzchen irgendwo in einer Seitengasse zu suchen, in dem der Wind Laub und Staub in einer Ecke zu einem halbwegs weichen Lager aufgetürmt hatte. Kardania, den Kopf auf ihren treuen Hund gebettet, ließ gerade erste Schnarchlaute erklingen, als eine Stimme zu vernehmen war.
»Schau das arme Ding. Mutterseelenallein. Und so ein süßer Hund.«
»Ja, ja, komm schon, Magdalena. Lass sie schlafen. Der geht es gut.«
Kardania öffnete vorsichtig eines ihrer Augen, aber nur unmerklich, und sah eine freundlich blickende Frau mit roten Bäckchen und daneben einen missmutig blickenden Mann, der ein wenig hin und her schwankte. Wahrscheinlich hatte seine Frau ihn gerade aus einer Wirtschaft abgeholt.
»Aber Schnäuzelchen, hast du die Gebote Crednas vergessen? Willst du das Mädchen hier in der Kälte allein lassen?«
»Ist gar nicht so kalt. Und die hat doch ihren Hund. Schau mal, das ist doch ein Riesenvieh, der wird schon nichts passieren.«
»Schnäuzelchen, das kann ich nicht zulassen. Bei Credna, unserer Schutzpatronin. Diese Nacht, sicherlich hat Goiba unseren Weg gelenkt, werden die beiden ein richtiges Dach über dem Kopf haben.«
»Magdalena, dein großes Herz macht aus unserem Haus noch eine Armenherberge. Letzte Woche der kleine Junge, der Ausreißer, weißt du noch. Davor diese schwangere Frau, die dann gar nicht mehr gehen wollte, bis plötzlich ihr Mann mit seinen drei Brüdern vor der Tür stand. Und jetzt dieser Balg? Vielleicht ist sie eine gesuchte Verbrecherin? Und die Schergen stehen morgen früh in unserem Haus?«
»Bei Goiba, Credna und Luchta – was bist du doch für ein Schwarzseher! Schau dir das Mädchen an. Es ist hungrig und friert. Was sollte die mit den Schergen am Hut haben? Nicht wahr, meine Kleine?«
Kardania, die inzwischen ihre Augen geöffnet hatte und dem Gespräch der beiden interessiert gefolgt war, nickte heftig. Ein warmes Bett heute Nacht? Vielleicht noch eine Suppe? Vielleicht wird doch noch alles gut?
»Ich…«, Kard musste sich räuspern, um seine Stimmlage einige Oktaven heller klingen zu lassen, »ich bin nur ein armes Waisenmädchen. Wir wollen zur Alten Stadt, da habe ich Verwandte.«
»Ach, die Alte Stadt, ja.« Der Blick des Mannes verklärte sich, offensichtlich wallten Erinnerungen an seinen letzten Besuch dort auf. Diese Gedanken ließen ihn verträumt mit dem Kopf wackeln und er handelte sich damit einen Ellbogenstoß seiner Frau in die Rippen ein. »Äh, ja, die Alte Stadt, ein gefährliches Pflaster. Sünde. Überall Sünde. Nichts für kleine Mädchen, sage ich dir. Wirklich nichts für kleine Mädchen.«
»Aber sonst weiß ich nicht wohin, werte Herrschaften.« Kard versuchte sich in einem entschuldigenden Augenaufschlag.
»Thomasius. So kannst du mich nennen. Sag ja nur. Kein gutes Pflaster dort.«
»Auch nicht für ältere Herren, nicht wahr, Schnäuzel-chen.«
»Ach, ich weiß nicht…«
»Wie auch immer. Sicherlich habt ihr nichts gegen ein warmes Bett und etwas zu Essen einzuwenden, bevor es in diesen Sündenpfuhl geht. Und da hat mein Mann wirklich recht. Das ist kein Ort für ein junges Mädchen. Ich hoffe, deine Verwandten gehen dort einer seriösen Beschäftigung nach.«
»Schmied, mein Onkel ist Schmied«, beeilte sich Kardania zu sagen und sie lauschte verwundert dieser piepsigen Stimme, die da aus ihrem Mund kam.
»Nun gut, das hört sich seriös an. Es gibt da soviel Sünde, wisst ihr. Glücksspiel zum Beispiel! Nicht wahr, Schnäuzelchen?«
Magdalena warf ihrem Mann einen bösen Blick zu. Thomasius lächelte gequält. »Ja, aber auch… Schmiede… und Erzhändler… und Holzhändler…«
»Genau, du warst ja beim Holzhändler, das hatte ich vergessen. Und nur böswillige Branu-Govans und das Schicksal ließen dich in diese Spielhölle fallen.«
»Ach, Magdalena, komm, das ist doch jetzt wirklich schon eine Weile her.«
»Sieben Jahre. Sieben Jahre, in denen ich jeden Tag zu Credna gebetet habe, dass meine Liebe zu dir so stark ist, um deine Schwächen mitzutragen. Sieben Jahre!«
»Ist gut, die beiden können mit«, unterbrach Thomasius seine Frau, bevor sie in ein Klagegebet verfiel, mit dem sie ihm dann vielleicht die ganze Nacht in den Ohren lag. Er drehte sich um, Magdalena gab Kardania ein Zeichen und dieses unschuldige Mädchen und ihr Hund folgten den guten Leuten durch die Gassen, bis sie vor einem kleinen Haus standen. Das muss eine Glückssträhne sein!
›Tische, Stühle und Schränke‹ war auf einem Schild neben der Eingangstür zu lesen, die in die Werkstatt des Tischlers Thomasius führte. Die Werkstatt selbst war nicht groß, ein Arbeitstisch, ein seltsames Gerät, das ihnen der Mann stolz als Tischbohrmaschine vorstellte, und einige Stühle, die zum Abholen bereit an der Wand standen, füllten fast den gesamten Raum aus. In einer kleinen Kammer hinter der eigentlichen Werkstatt waren die Späne zusammengefegt worden und ergaben so ein halbwegs weiches Lager. Bevor sich Kard und Madad aber dort zu Ruhe legen konnten, bedeutete ihnen Magdalena ein Stockwerk höher zu kommen und bot ihnen dort noch einen Teller warme Suppe an. Und für Madad gab es sogar einen alten Knochen, auf dem der Cu dann mit verdrehten Augen, ihre Gastgeber aber freundlich anlächelnd, herumkauen durfte. Bevor sie hinunter in die heimelige Kammer gingen, bedankte sich Kardania vielmals. Und Magdalena lächelte und war glücklich, diesem armen Wesen helfen zu können. Und sogar der griesgrämige Thomasius musste die Mundwinkel verziehen, als diese ungezogene Göre herzhaft rülpste.
Unten in der Kammer kuschelte sich Kardania mit ihrem Hund in die Späne. Auch wenn es ein wenig kratzte, war es warm, trocken und windgeschützt.
»Mädchen sein ist gar nicht so schlecht, Madad.«
»Meinst du, die guten Leute hätten uns nicht mitgenommen, wenn du nicht verkleidet gewesen wärst.«
»Glaube nicht. Aber wer weiß. Aber da du von Verkleidung redest. Ich wollte noch die Pillen nehmen. Dauert ja bestimmt eine Weile bis die wirken. Dann bin ich noch mehr Mädchen, ich glaube, das ist nicht schlecht. Lange glatte Haare, ein bisschen unschuldig gucken, und schon haben wir Suppe und Bett. So lässt es sich gut reisen.«
Kard holte die Pillen hervor und betrachtete die kleinen schwarzen Kapseln. »Ich nehme am besten gleich zwei. Dann wirkt es vielleicht schneller.« Er führte die Hand zum Mund und wenige Augenblicke später weiteten sich seine Augen vor Überraschung.
»Du, Madad, die schmecken richtig gut. Ich weiß nicht genau nach was, irgendwie süß. Kleben zwischen den Zähnen. Aber wirklich, wirklich lecker.«
»Echt?«
»Ja, klar, probier mal.«
»Yo, kann ja nicht schaden, mal eine zu probieren, oder? Mama sagt immer: Probieren geht über studieren.«
»Eine weise Frau, deine Mama.«
Madad schlabberte eine Pille vom Boden, die Kard ihm dort hingelegt hatte.
»Hm, du hast recht, wirklich lecker. Nach Anis, würde ich sagen.«
»Anis? Noch nie gehört.«
»Macht Mama immer zu diesem Fest, wo die Menschen Kerzen auf einen Baum stecken.«
»Echt? Kenne ich nicht. Obwohl, damals im Waisenhaus gab es, glaube ich, auch so was. Aber daran kann ich mich kaum noch erinnern. Bei Wallas gab es das auf jeden Fall nicht. Ist ja auch voll gefährlich. Kerzen auf einem Baum. So ein Quatsch. Echt lecker, die Pillen, oder?«
»Ja, lecker, gib mal noch eine her.«
Und ehe sie sich versehen hatten, hatten die beiden die komplette Packung geleert. Bevor Kardania dann die Augen zufielen, streifte ihr Blick noch einmal die Pillenschachtel. 3-Monate-Vorratspackung stand da. Ach egal, wenn die jetzt schon alle sind, ich komme ja auch so als Mädchen durch.
Hatte Kard wunderbar geschlafen! Er wollte gar nicht die Augen aufmachen. Wann hatte er zuletzt so wunderbar weich in einem Bett gelegen? War er überhaupt schon einmal in seinem Leben mit diesem samtweichen Gefühl aufgewacht? Kard rekelte sich wohlig in den Holzspänen, die an diesem Morgen überhaupt nicht mehr kratzten. Er öffnete die Augen. Aber seltsamerweise blieb alles dunkel. Hatten sie die Fensterläden gestern Abend noch geschlossen? Und konnten sie so dicht sein, dass kein Schimmer Tageslicht in die Kammer fiel? Und was kitzelte ihn da an der Wange? Kard hob die Hand, um sich zu kratzen und landete in einer weichen, strähnigen Masse. Und während sich seine Finger automatisch durch diese Masse wühlten, um an die juckende Stelle heranzukommen, zupfte es an seiner Kopfhaut. Aha, das sind also meine Haare, dachte er in seinem halbwachen Kopf. Er strich sich die Strähnen aus dem Gesicht und schon lichtete sich die Dunkelheit.
»Hey, Madad, bist du wach?«
Kard wollte seinem Freund erfreut die langen Haare zeigen, bekam aber vor Schreck einen halben Herzanfall, als sich neben seiner Lagerstätte ein abscheuliches Wesen erhob und dumpfe Laute von sich gab. Wie eine Trauerweide, die von magischer Hand emporgehoben wurde. Nur dass dieses Wesen statt mit Ästen und Blättern über und über mit dunklen Strähnen überzogen war. Das Untier zitterte heftig unter seiner pelzigen Last. Was, bei Branu, ist das für ein Monster? Kard sprang auf, wollte zur Tür hasten, aber unbekannte Kräfte zogen an seinem Körper und brachten ihn zu Fall. Er konnte sich wieder hochrappeln, erreichte die Tür, öffnete sie und konnte einen Schritt in die Werkstatt tun, als ihn die Schreie von Thomasius und Magdalena, die gerade die Treppe herunterkamen, stutzen ließen.
»Was ist das für ein Untier?«, schrie er die beiden an. Doch Thomasius und Magdalena sahen ihn an und statt ihm zu helfen, schrieen sie noch lauter. Dann hasteten sie die Treppe herunter, öffneten mit einem Schwung, der die Grundfesten des Gebäudes erzittern ließ, die Haustür und flohen vor dem Grauen, das sich ihn dargeboten hatte. Zum Glück hörte Kard nun hinter sich die vertraute Stimme von Madad.
»Was…wer… bist du?«
Kard drehte sich um, froh, dass sein Freund von dem Untier nicht gefressen worden war, und wollte Madad eigentlich warnen. Aber mit Entsetzen stellte er fest, dass nicht Madad, sondern das haarige Untier hinter ihm stand und auf seltsame Art mit dem Cu verschmolzen war, denn zwischen den Haaren erblickte er die unverkennbaren Augen seines Freundes. Und auch die Stimme war eindeutig die von Madad. Welcher böser Zauber ist hier am Werk?
»Madad? Was ist mit dir passiert? Du, du… bist du verzaubert? Das bist doch du? Oder bist du ein Dämon, der uns von Branu und seinen Brüdern geschickt worden ist?«
»Also Mama sagt immer, dass Goiba die schlimmste Hexe ist. Warum sollte uns Branu verzaubert haben?«
»Wieso wir? Also bist du es? Du bist Madad? Mein lieber, echter Madad?«
Erleichtert wollte Kard auf seinen Freund zugehen, um ihn zu umarmen, aber er verfing sich in irgendetwas und landete der Länge nach auf dem Bauch.
Madad lachte. Was bitte schön war daran komisch?
»Yo, Kard, wie du aussiehst!« Madad, oder dieses haarige Bündel, das sich als Madad ausgab, verformte sich zu einer Fellkugel und rollte lachend über den Boden. Kard fand das nicht witzig. Zum Glück war er weich gefallen. Aber als er aufstehen wollte, fiel er gleich schon wieder hin. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, als ob ihn jemand an den Haaren gezogen hätte. Wütend wollte er sich umdrehen, um dem hinterlistigen Angreifer Paroli zu bieten, aber da war niemand. Stattdessen fiel er wieder hin. Es war wie verhext. Ein Schreck durchlief ihn. Hat Tsarr uns gefunden und mit einem Fesselzauber belegt?
»Madad, was ist hier los. Sind wir verhext worden.«
Das rollende Fellbündel kam zum Stillstand, dann erscholl aus diesem Haarberg das unverkennbare Lachen des Cus.
»Nein, Kard. Ich befürchte, wir haben uns selbst verhext.«
»Wie, was? Was meinst du?«
»Einmal tief durchatmen und nicht bewegen?«
»Nicht bewegen?«
»Genau! Und jetzt ganz langsam den Kopf drehen?«
Kard schob sich die Haare aus dem Gesicht und folgte Madads Ratschlag. Ganz langsam bewegen. Es ziepte schon wieder auf seiner Kopfhaut. Vielleicht hatten sich winzige Vampyre in seinem Haar ein Nest gebaut und zogen nun daran?
»Und was siehst du?«
Kard sah an sich herunter. Und um sich herum. Überall Haare. Lange, schwarze Haare. Welch schlimmer Zauber hat mich in dieses Gefängnis gesperrt?
»Haare, Madad, überall Haare«, flüsterte Kard sichtlich schockiert.
»Genau, Kard. Haare. Und zwar deine eigenen.«
»Äh, wieso…?«
Langsam dämmerte es Kard. Das Haarwuchsmittel. Das leckere Haarwuchsmittel. Das leckere MAGISCHE Haarwuchsmittel. Als ihm diese Erkenntnis kam, musste er sich erstmal setzen. Natürlich. Das waren seine eigenen Haare. Er war sich dauernd selbst auf die Haare getreten und daher hingefallen. Kein Wunder, dass der Tischler und seine Frau die Flucht vor ihnen ergriffen hatte.