Seewölfe - Piraten der Weltmeere 423

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 423
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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-831-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Frank Moorfield

Eines Mannes
Ehre

Drei Männer wurden erschossen – aber ihr Richter richtete sich selbst

Capitán de la Cuesta hatte den Fehler begangen, seine beiden Kriegsgaleonen gegen die schiffbrüchigen Engländer auf der Grand-Cay-Insel einzusetzen, nachdem diese abgelehnt hatten, zu kapitulieren. Im Breitseitenfeuer der beiden Galeonen flogen die Hütten der Engländer auseinander, auch ein paar Palmen und Mangroven wurden geknickt. Die Spanier schossen mit Kanonenkugeln nach Spatzen, denn die Engländer hatten sich aus der Schußweite zurückgezogen. Viel zu sehr mit ihrem Inselbeschuß beschäftigt, achteten die Spanier nicht darauf, was sich auf See zusammenbraute. Von dort rauschte nämlich ein düsterer Zweidecker heran – mit ausgerannten Kanonen. Und daß Siri-Tongs Mannen zu schießen verstanden, hatten sie oft genug bewiesen …

Die Hauptpersonen des Romans:

Henry Duke of Battingham, Sir John Killigrew, Charles Stewart – diese drei ehrenwerten Gentlemen stehen vor einem Kriegsgericht.

Sir Edward Tottenham – der Kommandant der „Orion“ zieht die Konsequenzen und handelt wie ein Ehrenmann.

Siri-Tong – verhilft den schiffbrüchigen Engländern zu einem neuen Schiff.

Capitán da la Cuesta – sieht sich bereits an der Rah baumeln, kommt aber mit einem blauen Auge davon.

Philip Hasard Killigrew – erhält von seinem Profos einen Blumenstrauß.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Man schrieb den 24. August im Jahre des Herrn 1594. Die Nachmittagssonne brannte heiß vom tiefblauen Himmel der Karibik. Den Männern, die sich mit ihren Waffen hinter zerklüfteten Felsen und dichtem Gestrüpp verschanzt hatten, rann der Schweiß in Strömen über die Gesichter.

„Verstehen Sie, was da vor sich geht, Sir?“ fragte nun Marc Corbett, der Erste Offizier der ehemaligen „Orion“, nachdem er seine Muskete nachgeladen hatte.

Sir Edward Tottenham, der Kommandant, schüttelte nachdenklich den Kopf, denn auch für ihn waren die Ereignisse vor dem Ufer der Nordbucht noch immer sehr verwirrend.

Fast schien es, als habe die Hölle ihre Pforten geöffnet, seit die beiden spanischen Kriegsgaleonen Kurs auf die einsam gelegene Insel genommen hatten, die zu den Grand Cays gehörte. Wie aufgeplusterte Schwäne, die zischend und fauchend Nesträuber vertreiben wollten, waren die Schiffe vor die Buchteinfahrt gesegelt, wo ihnen die Wracks der „Orion“ und der „Dragon“ den Weg versperrten.

Dann waren sie hintereinander – den Bug jeweils nach Westen gerichtet – vor Anker gegangen und hatten die Schiffbrüchigen zur Kapitulation aufgefordert. Da die Engländer jedoch abgelehnt hatten, sich in spanische Gefangenschaft zu begeben, hatte Capitán Don Gregorio de la Cuesta schließlich den Feuerbefehl gegeben.

In kurzer Zeit hatten die Backbordbreitseiten der beiden Kriegsschiffe die Hütten der Engländer zerschmettert. Die schweren Kanonenkugeln wirbelten riesige Sandfontänen hoch und zerfetzten zahlreiche Stämme von Palmen und Farnbäumen. Selbst das Mangrovendickicht, das stellenweise das Ufer überwucherte, war unter anhaltenden Beschuß genommen worden.

Die Dons hatten sich ziemlich wild gebärdet und fürwahr ein eindrucksvolles Feuerwerk geboten. Aber eben auch nur das, denn die Mannschaften und Offiziere der „Orion“ und der „Dragon“, denen dieser Angriff gegolten hatte, lagen außerhalb des Schußbereiches der spanischen Kanonen in Deckung.

Aber nicht der ungestüme Angriff hatte bei den Engländern Verwunderung ausgelöst, sondern das erneute Auftauchen jenes düsteren Zweideckers, der schon vor dem Angriff der beiden Kriegsgaleonen die „Orion“ und die „Dragon“ versenkt hatte.

Diesmal jedoch war das kampfstarke Schiff, das einer feuerspeienden Festung glich, wie ein düsterer Racheengel auf die spanischen Galeonen losgegangen und hatte den schiffbrüchigen Engländern damit unerwartete Schützenhilfe geleistet.

Was aber hatte das alles zu bedeuten? Was bezweckte man auf dem Zweidecker damit? Auf diese Fragen wußte noch niemand so recht eine Antwort – weder Sir Edward Tottenham und Marc Corbett noch Arthur Gretton, der Erste Offizier der „Dragon“.

Die Engländer hatten sich nach den ergebnislosen Verhandlungen mit den Spaniern an strategisch wichtige Punkte der Insel zurückgezogen, so zum Beispiel an gut getarnte Stellen der West- und Ostseite der Bucht. Dort waren die Scharfschützen in Stellung gegangen, nachdem man sich dazu entschlossen hatte, den Angreifern die Stirn zu bieten. Das war ihrer Meinung nach immer noch besser, als den Rest seines Lebens auf einer spanischen Galeere oder aber in irgendeinem Bergwerk zu verbringen.

Tottenham und Corbett hatten die Führung auf der Westseite übernommen, Gretton auf der Ostseite. Er führte das Kommando über die Mannschaft der „Dragon“, seit man ihren Kapitän, den grobschlächtigen und rücksichtslosen Charles Stewart, wegen seiner üblen Machenschaften gefangengesetzt hatte.

An der Südseite der Bucht hatten sich nur wenige Männer „eingegraben“ und das spanische Kanonenfeuer stoisch über sich ergehen lassen. Es war deshalb nicht verwunderlich, daß die Dons, die sich vorwiegend auf die Hütten und das Stranddickicht konzentriert hatten, in gewissem Sinne mit Kanonen nach Spatzen schossen. Daß die mühsam errichteten Hütten dabei zu Bruch gegangen waren, beeindruckte die beiden Schiffsmannschaften nicht sonderlich, denn die konnte man notfalls wieder aufbauen.

Charles Stewart, den gefangenen Kapitän der „Dragon“, hatte man unter Bewachung ins Inselinnere gebracht. Auch die Jollen, die man nach der Versenkung der beiden Schiffe hatte retten können, befanden sich außerhalb des direkten Gefahrenbereichs. Im Grunde genommen waren die Engländer jetzt froh, daß die „Orion“ und die „Dragon“ als Wracks die Buchteinfahrt versperrten oder doch zumindest stark einengten. Gewissermaßen war das ein Vorteil für sie, denn die gesunkenen Schiffe hatten den Spaniern das Manövrieren erschwert und ein Einlaufen in die Bucht verhindert.

Unter diesen Voraussetzungen hatten die Chancen der Engländer, „ihre“ Insel zu verteidigen, gar nicht so schlecht gestanden, und manch einem von ihnen war ein Grinsen über das Gesicht gehuscht, als das heftige Kanonen- und Drehbassenfeuer der Spanier das Uferdickicht zerrupft hatte. Ja, es war ihnen sogar gelungen, sechs Boote der Dons, die auf der Insel landen wollten, mit gezieltem Musketenfeuer zu durchlöchern. Die Soldaten hatten Mühe gehabt, zu ihren Schiffen zurückzuschwimmen.

Dann aber war plötzlich dieser Zweidecker aufgetaucht und hatte sich auf die beiden Kriegsgaleonen gestürzt – und das mit durchschlagendem Erfolg. Ja, das gut armierte Schiff war wie der Teufel über die Spanier gekommen, deren Aufmerksamkeit sich voll auf das Stranddickicht konzentriert hatte.

Innerhalb kurzer Zeit waren die Decks der östlich ankernden Galeone durch das Drehbassenfeuer des Zweideckers leergefegt worden. Dem davorliegenden Kriegsschiff war es noch schlechter ergangen, denn seine Ankertaue waren zerfetzt worden, so daß es achteraus trieb und sich mit schweren Treffern in der hinter ihm ankernden Galeone verfing.

Obwohl die Engländer für das Geschehen noch keine Erklärung gefunden hatten, waren sie in lautes Beifallsgebrüll ausgebrochen. Am liebsten hätten sie der schwarzhaarigen Frau und ihren Mannen an Bord des Zweideckers vor Begeisterung die Hände geschüttelt. Doch während das düstere Schiff nach seinem Überraschungsangriff nach Westen ablief, hatten sie die aus dem Wasser ragenden Masten der „Orion“ und der „Dragon“ daran erinnert, daß auch sie selber schon auf sehr unliebsame Weise Bekanntschaft mit diesem Schiff geschlossen hatten.

Marc Corbett, der hinter einem Felsbrocken kauerte, wandte sich an seinen Kapitän.

„Sir“, sagte er, „was immer diese bemerkenswerte Frau bewogen haben mag, die Spanier anzugreifen – sie hat uns damit zu einer einmaligen Chance verholfen. Ich finde, daß wir diese Chance schleunigst nutzen sollten.“

„Wie meinen Sie das?“ fragte Sir Edward Tottenham mit einem leichten Stirnrunzeln.

„Wenn wir jetzt schnell und entschlossen handeln, Sir“, erwiderte Corbett, der die Gunst der Stunde blitzartig erkannt hatte, „müßte es möglich sein, eine der beiden angeschlagenen Galeonen zu entern.“

„Zu entern?“ Sir Edward warf seinem ersten Offizier einen verwunderten Blick zu. „Wie kommen Sie auf diese Idee, Mister Corbett? Wir sind zwar eine stattliche Anzahl von Männern, aber wir dürfen dennoch nicht vergessen, daß wir es mit zwei gut ausgerüsteten Kriegsschiffen zu tun haben. Ich möchte auf jeden Fall ein Blutvergießen in unseren Reihen vermeiden.“

 

„Das ehrt Sie, Sir“, sagte Corbett. „Durch das Eingreifen des Zweideckers hat sich unsere Situation jedoch ganz entscheidend verbessert. Auch unser Musketenfeuer hat die Spanier sicherlich davon überzeugt, daß sie die Insel nicht so einfach überrennen können. Zur Zeit aber sind sie stark mit sich selber beschäftigt. Eine bessere Chance, eine der beiden Galeonen zu entern, wird sich uns nie wieder bieten …“

„Hm.“ Sir Edward nickte. „Genaugenommen haben Sie recht, Corbett.“ Die Blicke des Kommandanten der gesunkenen „Orion“ schweiften zu den beiden Kriegsgaleonen hinüber, um die es gegenwärtig schlecht bestellt war. Sie waren völlig ineinander verhakt. Die westliche Galeone hing regelrecht an der anderen. Der Zweidecker hatte die Bug- und Heckankertrosse zerschossen, so daß sie bei dem derzeit herrschenden Südwestwind gegen die hinter ihr ankernde Galeone getrieben war. Ihre Backbordseite hing längsseits der Steuerbordseite der anderen. Die Rahen waren ineinander verfangen.

Außerdem hatte die westliche Galeone bedenkliche Treffer in der Wasserlinie empfangen. Tottenham konnte sich gleich den anderen Männern lebhaft vorstellen, wie dort unter Deck fieberhaft gearbeitet wurde, um die gefährlichen Lecks abzudichten.

Marc Corbett, dem es unter den Nägeln brannte, riß den Kapitän aus seinen Gedanken.

„Was werden Sie unternehmen, Sir?“ fragte er voller Ungeduld. „Meiner Meinung nach sollten wir keine Zeit verlieren.“

Sir Edward Tottenham nickte abermals.

„In Ordnung, Mister Corbett. Unsere Lage sieht nicht gerade rosig aus, deshalb dürfen wir in der Tat nicht wählerisch sein. Ich denke ebenfalls, daß wir die Gunst der Stunde nutzen sollten. Bitte, veranlassen Sie, daß Mister Gretton die nötigen Instruktionen erhält.“

Das ließ sich Marc Corbett nicht zweimal sagen. Er beauftragte sofort einen Meldegänger, sich so rasch wie möglich zur Ostseite der Bucht durchzuschlagen, um Arthur Gretton, der sich dort mit einem Teil der „Dragon“-Mannschaft verschanzt hatte, die Entscheidung Tottenhams mitzuteilen.

Unter der Crew der „Orion“ stieß der Entschluß, eine Galeone zu entern, auf lebhafte Zustimmung. Die Männer wußten zwar, daß dies ein äußerst riskantes Unternehmen war, aber sie waren sich auch darüber im klaren, daß sie eine solche Chance so rasch nicht wieder erhalten würden.

„Die Boote“, sagte Corbett. „Wir müssen schleunigst die Boote holen und in Strandnähe bringen.“

„Veranlassen Sie das, Mister Corbett“, sagte Sir Edward. „Aber die Männer sollen vorsichtig sein und die Deckungen gut ausnutzen, damit die Spanier unsere Absicht nicht zu früh erkennen. Außerdem sind wir ohne die Boote aufgeworfen und sitzen bis zum Jüngsten Tag auf dieser Insel fest.“

Der Erste Offizier brachte die Männer sofort in Bewegung. Jeder hatte inzwischen begriffen, um was es ging, und jeder wußte auch, daß die Jollen das einzige „Kapital“ waren, über das sie verfügten. Sie waren in ihrer derzeitigen Situation mehr wert als zahlreiche Kisten mit Gold und Edelsteinen. Deshalb hatte man die insgesamt acht Boote noch vor dem Beschuß der Dons weiter ins Inselinnere gebracht und dort gut versteckt.

Das wiederum hatte sich in doppelter Hinsicht als klug erwiesen. Zum einen wären nach dem massiven Angriff höchstens noch Trümmerstücke davon übrig, zum anderen wären die Boote – im Falle einer Landung – den Spaniern in die Hände gefallen. So aber hatten sich die Engländer die Möglichkeit offengehalten, in der Nacht mit den Jollen zu einer anderen Insel überzusetzen.

Daß sich ihnen jetzt die Chance bot, zu einem weiteren wirksamen Gegenschlag auszuholen, nachdem sie die Landungsboote der Spanier leckgeschossen hatten, stimmte die Mannen zuversichtlich. Schließlich waren sie kein kleines, hilfloses Häuflein, sondern beide Schiffsmannschaften bildeten zusammen eine Kampftruppe von etwa 160 Mann. Und allesamt waren sie rauhe Kämpfer, die zudem noch von der Aussicht beseelt wurden, sich jetzt ein Schiff erobern zu können. Kein Wunder, daß sie kräftig in die Hände spuckten, als sie aufbrachen, um die Jollen aus ihren Verstecken zu holen. Marc Corbett führte die Männer an, während Sir Edward Tottenham vorerst mit einem Beobachtungstrupp hinter den Felsen der Westseite zurückblieb.

2.

„Klar zur Wende!“ Die Stimme der Roten Korsarin tönte hell wie eine Schiffsglocke über die Decks der „Caribian Queen“. Ihr langes, pechschwarzes Haar wehte im handigen Südwestwind und ergänzte hervorragend ihre übrige Erscheinung.

Die schlanke Eurasierin stand auf dem Achterdeck und stützte die Hände in die Hüften. Ihren Mund umspielte ein Lächeln: Sie war zufrieden mit dem bisherigen Ergebnis ihres Überraschungsangriffes. Und sie lobte im stillen wieder einmal die Schlagkraft und Beweglichkeit ihres Schiffes.

Die Culverinen und Drehbassen, die Tromblons, Musketen und Pistolen waren nachgeladen worden, dafür hatte Henry Scrutton, der Stückmeister, bereits gesorgt. Alle an Bord wußten, was der Befehl zur Wende zu bedeuten hatte.

Barba, der finster dreinblickende Steuermann, warf Siri-Tong einen fragenden Blick zu.

„Du bist heute wieder einmal sehr gründlich, Madam“, sagte er. „Zuerst hast du den Dons unsere Backbordseite präsentiert, und jetzt gedenkst du ihnen wohl auch noch zu zeigen, wie ihnen unsere Steuerbordseite schmeckt, nicht wahr?“

„Du hast es erraten, Barba“, erwiderte die Rote Korsarin. „Ich bin nicht für halbe Sachen, und wenn ich mich für eine bestimmte Strategie entschieden habe, dann werden Nägel mit Köpfen gemacht. Das muß aber nicht unbedingt heißen, daß ich die Galeonen der Spanier um jeden Preis versenken will. Es gibt wahrhaftig auch noch andere Wege, den Señores zu zeigen, wohin der Hase läuft.“

Barba wurde hellhörig.

„Das Versenken wäre wohl nur noch ein Kinderspiel“, sagte er, denn auch er hatte beim Ablaufen gesehen, daß die westliche Galeone stark beschädigt und die andere getrieben war. „Wenn wir denen noch ein paar Löcher durch die Planken pusten, werden sie der ‚Orion‘ und der ‚Dragon‘ rasch Gesellschaft leisten.“

Henry Scrutton, dessen fingerlange Narbe über der rechten Augenbraue weithin sichtbar war, enterte zum Achterdeck auf.

„Die Männer an den Geschützen sind bereit, Madam“, meldete er. „Von uns aus kann das Tänzchen fortgesetzt werden. Ich finde sogar, daß die Gelegenheit sehr günstig ist. Daß die eine Galeone jetzt längsseits der anderen liegt und sie damit zur Seeseite hin abdeckt, dürfte die Dons während unseres Angriffs nicht gerade begeistern.“

Siri-Tong lächelte zufrieden.

„Wenn überhaupt, kann nur die an der Seeseite liegende Galeone feuern. Viel zu befürchten ist jedoch auch von ihr nicht – wie sich die beiden Schiffe ineinander verhakt haben. Sie krängt so stark nach Steuerbord, daß ihre Stücke auf dieser Seite höchstens noch ins Wasser schießen würden.“

Barba winkte ab. „Die können es sich überhaupt nicht leisten, eine Kanone zu zünden, sonst fallen die beiden lecken Särge schon durch die Erschütterung auseinander.“

Barba, der wie ein wüster Schlägertyp aussah, jedoch ein grundanständiger und aufrechter Mann war, rieb sich die riesigen Pranken. Vor dem ersten Angriff hatte er der Sache noch skeptischer gegenübergestanden, weil es ihm etwas schwergefallen war, sein Feindbild einer gewissen Rangordnung zu unterwerfen. Wenn sich schon die Engländer nicht unbedingt als Freunde erwiesen hatten, warum sollte man dann den Spaniern was aufs Haupt geben, nur weil sie sich ebenfalls um diese „Freunde“ kümmerten?

Barba hatte seine Ansichten etwas korrigiert, nachdem man sich an Bord der „Caribian Queen“ darauf geeinigt hatte, daß einem die Engländer wohl doch etwas näherstanden als die Spanier. Eigentlich trug bei den Engländern nur die hochnäsige Adelsclique die Schuld an den Streitereien.

Sonst gab es auch eine Menge prächtiger Kerle unter den Offizieren und Schiffsmannschaften, die es verdienten, gegen die angreifenden Spanier in Schutz genommen zu werden. Wenn man es recht überlegte, waren nur die „Adelsaffen“ sowie Sir John mitsamt seinem Anhang und Charles Stewart, der wüste Kapitän der „Dragon“, so richtige Lumpenkerle.

So hatte sich die „Caribian Queen“ nur um der anständigen Männer willen mit den Spaniern angelegt, deren Landsleute mit der Schlangen-Insel auch nicht gerade menschenfreundliche Ziele verfolgt und ihnen einen gnadenlosen Kampf geliefert hatten.

Von Zeit zu Zeit befand sich Barba jedoch immer noch in einem Zwiespalt der Gefühle, wenn es darum ging, den Engländern Schützenhilfe zu leisten. Nach dem ersten durchschlagenden Erfolg gegen die Dons waren diese Gefühle jedoch etwas in den Hintergrund getreten.

Siri-Tong strich sich eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn.

„Na schön“, sagte sie. „Unser zweiter Angriff wird den Dons wohl zeigen, daß sie sich hier ein wenig zuviel vorgenommen haben. Zwar können wir den Angriff nur auf die seeseits liegende Galeone unternehmen, aber das dürfte die Lage auch schon endgültig entscheiden.“

„Das meine ich auch, Madam“, sagte Henry Scrutton, während die übrige Crew bereits hart zupackte, um die „Caribian Queen“ auf Gegenkurs zu bringen.

Schon wenig später rauschte die „Caribian Queen“, den Südwestwind ausnutzend und über Backbordbug liegend, auf die Kriegsgaleonen zu. Alle Mann waren auf Stationen. Andy Fulham, der kleine, rundliche Koch aus Twickenham an der Themse, hatte abermals kleine, gußeiserne Becken mit glühenden Holzkohlen aus der Kombüse gebracht und an den Geschützen verteilen lassen. Die Mannen an den Steuerbord-Culverinen hielten bereits die Luntenstöcke in der Hand. Es sah nicht gerade gut aus für die Dons, und die Gesichter der rauhen Gesellen an Bord des Zweideckers verhießen alles andere als einen Freudentanz.

Barba hatte sich mit finsterem Gesicht an einer Heckdrehbasse postiert. Ray Chiswell, der Schiffszimmermann aus Brighton an der englischen Südküste, hatte das Ruder übernommen und bewegte kraftvoll den riesigen Kolderstock.

Siri-Tong hatte das Messingspektiv ans Auge gesetzt, um die Vorgänge an Deck der spanischen Kriegsschiffe zu beobachten. Die Wuhling, die sie sah, entlockte ihr ein Kopfschütteln.

Die Dons hatten das erneute Heransegeln des fremden Zweideckers ohne Zweifel bemerkt und wußten sehr wohl, was die Stunde geschlagen hatte.

Don Gregorio de la Cuesta, dem Capitán des Zweierverbandes, glänzte der Sehweiß auf der Stirn. Mit einer fahrigen Bewegung strich er sich über das glatt zurückgekämmte Haar.

„Teufel auch!“ flüsterte er. „Dieses verdammte Schiff kehrt tatsächlich zurück. Mögen alle Heiligen uns beistehen.“

Der Erste Offizier, ein gedrungener Typ, der meist ein überlegenes Grinsen zur Schau trug, schluckte hart.

„Die scheinen in der Tat noch nicht genug zu haben, Señor Capitán!“ stieß er erregt hervor. Das Grinsen war längst aus seinem Gesicht verschwunden. „Wir werden alle Hände voll zu tun haben, um dieses hartnäckige Gesindel abzuwehren. Ich werde mich sofort darum kümmern, daß die Geschütze einsatzbereit sind.“

Don Gregorio schüttelte erbittert den Kopf.

„Tun Sie das vorsichtshalber“, sagte er. „Aber ich schätze, daß es uns nicht viel nutzen wird. Wir wühlen mit unseren Kanonenkugeln höchstens das Wasser auf. Um dem Zweidecker gefährlich werden zu können, fehlt uns der richtige Schußwinkel. Richten Sie Ihr Hauptaugenmerk lieber auf die Drehbassen, Musketen und Tromblons. Wir müssen in der Tat auf alles gefaßt sein.“

„Jawohl, Señor Capitán, ich werde sofort alle Männer zusammentrommeln.“

Der Kommandant nickte zustimmend.

„Nur die Männer an den Pumpen und die Zimmerleute müssen wohl oder übel auf ihren Posten bleiben“, bemerkte er.

Der Erste Offizier gab die Befehle Don Gregorios weiter. Die Wuhling auf den Decks der beiden Kriegsschiffe verstärkte sich noch. Einige Männer bekreuzigten sich, als sie den heransegelnden Zweidecker erblickten. Sie wußten sehr wohl, daß sie in ihrer gegenwärtigen Situation nur eine geringe Chance gegen jenes düstere Schiff hatten. In Windeseile wurde alles herbeigeschleppt, was die Waffenkammer aufzubieten hatte. Viele Männer zeigten unverhohlene Angst.

Auch dem Zweiten Offizier war deutlich anzusehen, daß er schon freudvollere Tage erlebt hatte. Der dickliche Mann mit dem feisten Gesicht war kreidebleich geworden.

„Es wäre sicherlich besser gewesen, wir hätten uns nicht mit dem Lumpenpack da drüben auf der Insel angelegt, Señor Capitán“, sagte er keuchend, nachdem er vom Quarterdeck zum Achterdeck aufgeentert war. „Offensichtlich haben wir damit dieses Teufelsschiff auf den Plan gerufen.“

 

Don Gregorio de la Cuesta legte die Stirn in Falten.

„Was soll das heißen?“ fragte er scharf. Nur mühsam gelang es ihm, die eigene Nervosität zu verbergen. „Wollen Sie etwa die Richtigkeit meiner bisherigen Entscheidungen anzweifeln?“

„Nein, nein, Señor Capitán!“ Der feiste Kerl geriet ins Stottern. „Na-natürlich nicht. Aber – aber unsere Lage ist nicht gerade die beste …“

„Das habe ich inzwischen selber bemerkt“, sagte Don Gregorio frostig. „Kümmern Sie sich lieber um Ihre eigentlichen Aufgaben, statt hier unsinnige Behauptungen aufzustellen, die dazu angetan sind, die Moral unserer Mannschaften zu schwächen. Haben Sie das verstanden?“

„Ver-verstanden, Señor Capitán“, tönte es mit brüchiger Stimme. Dann drehte sich der Zweite um und enterte eilig zum Quarterdeck ab.

Don Gregorio de la Cuesta setzte sich mit dem Kapitän der zweiten Galeone in Verbindung, um wenigstens noch die nötigsten Absprachen zu treffen. Doch es war unmöglich, eine bestimmte Abwehrtechnik zu entwickeln, zumal die beiden Schiffe nicht nur hart angeschlagen, sondern auch manövrierunfähig waren. So wurden die Soldaten und Mannschaftsmitglieder, die nicht unbedingt zum Lenzen gebraucht wurden, mit Tromblons und Musketen bewaffnet und hinter die Schanzkleider gescheucht.

Sobald sich der Zweidecker in der Reichweite der Musketenkugeln befand, gab Don Gregorio den Feuerbefehl. Er, der sonst stolz und aufrecht seinen Platz auf dem Achterdeck einzunehmen pflegte, kauerte sich ebenfalls auf die Planken, um sich vor dem hereinbrechenden Inferno zu schützen.

Weder die Musketenschüsse noch das Krachen der Drehbassen konnten die „Caribian Queen“ zurückhalten. Auch die wilden Flüche und Verwünschungen, die dem Zweidecker entgegengebrüllt wurden, hatten keine Wirkung bei Siri-Tong und ihrer harten Crew. Die Mannen wußten, daß sie den längeren Arm hatten und daß die Dons mit Imponiergehabe von ihrer aussichtslosen Lage ablenken wollten.

Barba, der bereits mit brennendem Luntenstock an einer Heckdrehbasse ausharrte, warf der Roten Korsarin einen ungeduldigen Blick zu.

„Wie steht’s, Madam?“ rief er. „Wenn ich noch ein bißchen warte, versenge ich mir die Fingerspitzen und fliege selber in die Luft.“ Dabei huschte ein breites Grinsen über sein wildes Gesicht.

Siri-Tong schenkte ihm ein kurzes Lächeln, und das war Öl auf sein Haupt. Ein Lächeln von Madam – so ähnlich mußte das Paradies einmal ausgesehen haben, in dem Adam und Eva einst lebten. Zumindest war Barba dieser Meinung. Und beileibe nicht nur er.

Die Rote Korsarin wartete den richtigen Zeitpunkt ab. Erst als die „Caribian Queen“ querab auf etwa fünfzig Yards Distanz an die spanischen Galeonen herangesegelt war, hob sie die rechte Hand.

„Feuer frei!“ tönte es Sekunden später über die Decks, und nahezu gleichzeitig senkten Henry Scrutton und die Männer an den Steuerbordgeschützen und Drehbassen ihre brennenden Luntenstöcke auf die Zündkanäle.

Augenblicke danach wurde das riesige Schiff wie von einer unsichtbaren Faust durchgeschüttelt. Die schweren Eisenkugeln der Steuerbordkanonen stoben mit einem unheimlichen Brüllen und Fauchen aus den gußeisernen Rohren und schlugen mit Urgewalt in die Steuerbordseite der seewärts liegenden Galeone.

Ein infernalisches Krachen und Bersten erfüllte die Luft. Holztrümmer, Segeltuchfetzen und Teile von Masten und Rahen wurden hochgewirbelt und klatschten schließlich ins Wasser, denn die Verhakung der Rahen löste sich plötzlich – teilweise sogar mit Gewalt, infolge der rapiden Krängung. Die Steuerbordseite der Galeone war von den Kugeln des Zweideckers regelrecht aufgebrochen worden.

Über die Decks der spanischen Schiffe dröhnte ein vielstimmiger Aufschrei. Das Wasser schoß durch die Lecks und Löcher in die Unterdecksräume.

Dichter Pulverqualm wölkte auf und brannte den Männern in den Augen. Dann wurden die Schwaden jedoch vom Wind in kleine, grauschwarze Fetzen zerrissen und seewärts getrieben. Die Scharen von Möwen, die die Schiffe umsegelt hatten, stoben kreischend auseinander.

Siri-Tong erblickte deutlich Don Gregorio de la Cuesta, der wild gestikulierend seine Befehle brüllte. Aber die nutzten nicht mehr viel. Bereits jetzt war abzusehen, daß das Schiff nicht mehr zu retten war. Deshalb dachten die Soldaten und Crewmitglieder auch nicht mehr an eine Verteidigung – wozu auch? Rette sich wer kann – so lautete jetzt die Devise, allen Kommandos, die Don Gregorio brüllte, zum Trotz. Die Wuhling war unbeschreiblich.

Etlichen Männern gelang es, auf die andere Galeone hinüberzuhangeln. Einige erreichten das Schiff durch einen gewagten Sprung. Weit mehr stürzten jedoch ins Wasser oder gelangten nicht mehr rechtzeitig genug an Deck, weil sie in den unteren Räumen mit dem Lenzen der eindringenden Wassermassen beschäftigt waren und schon seit einiger Zeit an den Pumpen Knochenarbeit geleistet hatten.

Die „Caribian Queen“ aber halste und drehte den Bug nach Norden hoch.

„Wann folgt der nächste Streich, Madam?“ wollte Barba wissen.

Siri-Tong zuckte mit den Schultern.

„Warten wir’s ab“, sagte sie lakonisch, denn durch den Kieker hatte sie gesehen, was sich drüben an Land abspielte, und womit sie eigentlich nicht gerechnet hatte. Im Gegensatz zu den Spaniern, die weder Zeit noch Gelegenheit hatten, die Strandregion der Insel im Auge zu behalten, hatte sie trotz des kurzen Gefechts nicht versäumt, nach den Engländern Ausschau zu halten. Und das mit Erfolg. Es war ihr nicht entgangen, daß sich dort einiges tat.

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