Czytaj książkę: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 398»

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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-806-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Frank Moorfield

Auf Kriegsmarsch

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Das Glasen von zehn Schiffsglocken tönte fast gleichzeitig über die Decks und zeigte das Ende der sogenannten Geisterstunde an. Demnach war es genau eine Stunde nach Mitternacht, man schrieb bereits den 19. Juli im Jahre des Herrn 1594.

Der Kriegsschiffsverband, den der spanische Gouverneur auf Kuba, Don Antonio de Quintanilla, zusammengestellt hatte, war am Spätnachmittag des Vortages aufgebrochen und stand jetzt auf der Höhe der nordkubanischen Siedlung Matanzas.

Der Wind wehte aus Nordosten und ermöglichte es den sechs Kriegsgaleonen und den vier Kriegskaravellen, knapp, den Kurs Ost anzuliegen. Die Nacht war klar und mondhell, so daß es für die Schiffe des Verbandes nicht schwierig war, dem Flaggschiff „San José“, an dessen Großtopp die prunkvolle Gouverneursflagge wehte, in Kiellinie zu folgen.

Trotz der vorgerückten Stunde schien Don Antonio de Quintanilla keine Ruhe zu finden. Der dicke Mann mit dem feisten Gesicht, den auffallenden Hamsterbacken und der gepflegten Puderperücke saß dem Kapitän des Flaggschiffes, Don Garcia Cubera, in der Kapitänskammer gegenüber.

Auf dem kunstvoll geschnitzten Eichentisch stand eine wertvolle Glaskaraffe, die mit Rioja gefüllt war. Das dunkelrote Getränk funkelte im Licht der zahlreichen Öllampen.

Don Antonio, einer der meistgehaßten Männer in Havanna, war ziemlich aufgekratzt – jetzt, da er es endlich geschafft hatte, einen Verband gegen den Bund der Korsaren und die geheimnisumwitterte Schlangen-Insel in Marsch zu setzen.

Er schob Don Garcia seinen Glaskelch entgegen.

„Sie dürfen gern nachfüllen, mein Lieber“, sagte er jovial. „An, ich liebe diesen Wein, er gehört wirklich zu den edelsten Sorten Spaniens. Am meisten jedoch mundet er mir zu Fleisch, Wildbret und Käse. Mit seinem würzigen Geschmack bildet er genau den richtigen Rahmen für solcherlei Genüsse.“

O ja, ein großer Genießer war er, der Gouverneur, das bewiesen schon seine grandiose Leibesfülle und sein schmales, aufgeworfenes Genußmündchen. Und da er von Fleisch, Wildbret und Käse sprach, zogen vor dem inneren Auge Don Garcias die zwei gebratenen Fasane vorüber, die sich der erlauchte Gouverneur Seiner Allerkatholischsten Majestät zum Nachtmahl hatte zubereiten lassen. Dennoch befürchtete der Kapitän der „San José“, daß Don Antonio recht bald wieder Gelüste auf eine erlesene Mahlzeit verspürte, wenn er sich nicht endlich dazu bewegen ließ, sein gewichtiges Haupt in der Koje zur Ruhe zu betten.

Jetzt, in der Nacht, war es der dunkle und vollmundige Rioja, der aus den Weingärten um den nordspanischen Provinzort Logroño, im Flußgebiet des Ebro, stammte. Tagsüber war es meist schwerer Portwein, mit dem Don Antonio de Quintanilla die Unmengen kandierter Früchte hinunterspülte, denen er wohl in erster Linie seine Körperfülle zu verdanken hatte.

Don Garcia Cubera, ein straffer Mann mit eisgrauen Haaren, war von der plötzlichen Leutseligkeit des Gouverneurs nicht gerade begeistert, aber er kam nicht umhin, das ihm zugeschobene Glas erneut mit Rotwein zu füllen. Im stillen wünschte er Don Antonio zum Teufel, denn die ölige Freundlichkeit des Dicken konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß alles nach seiner Pfeife tanzen mußte, auch wenn er, Cubera, der Verbandsführer war und die Befehlsgewalt über die zehn Kriegsschiffe hatte.

Der Capitán war ein gradliniger Mann. Menschen vom Schlage des Gouverneurs lagen ihm nicht. Er bildete sich auch nicht im geringsten etwas darauf ein, daß er der einzige war, den Don Antonio über die genaue Position der Schlangen-Insel, jenem Schlupfwinkel der berüchtigten Seewölfe, informiert hatte. Die Kommandanten der neun anderen Schiffe hatten hingegen Order, jeweils der Hecklaterne des Vordermannes zu folgen.

Don Garcia Cubera war kein junger, unerfahrener Mann mehr, der sich von einigen überfreundlichen Worten einlullen ließ, o nein, er hatte eine gehörige Portion an Lebens- und Kriegserfahrung als Seeoffizier der spanischen Krone. Deshalb war er sich auch von Anfang an darüber im klaren gewesen, daß Don Antonio durch die Information nicht etwa Vertrauen und Wertschätzung zum Ausdruck brachte, sondern irgendwelche hinterhältigen Ziele damit verfolgte. Nur konnte die zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch niemand durchschauen.

Der Capitán vermutete jedoch, daß es Don Antonio weniger um die Ausschaltung des Seewolfs, Philip Hasard Killigrews, ging, als um die auf der Schlangen-Insel gehorteten Schätze der englischen Freibeuter. Daß er sich darin nicht getäuscht hatte, sollte er zu einem späteren Zeitpunkt erkennen. Der spanischen Krone allerdings war in erster Linie daran gelegen, den gefürchteten Seewolf und seine Mannen zur Strecke zu bringen.

Der von der englischen Königin zum Ritter geschlagene Korsar Philip Hasard Killigrew galt in Spanien als gefährlicher Staatsfeind, weil er sich gegen das rücksichtslose Ausplündern der Neuen Welt und ihrer Bewohner wandte und – versehen mit einem königlichen Kaperbrief – die spanischen Schatzgaleonen, die vollbeladen nach Spanien segelten, gewaltig rupfte. Und das würde nicht aufhören, solange sich dieser Mann in Freiheit befand.

Don Garcia Cubera hatte ein klares Feindbild vom Seewolf, aber er konnte sich auch eine gewisse Bewunderung dieses Mannes nicht versagen, denn der Name Killigrew war eng verknüpft mit jener fürchterlichen Armada-Schlacht, die ihm noch deutlich in Erinnerung war.

Er selber war Ende August 1591 unter Admiral Alonso de Bazán mit dabeigewesen, als die „Revenge“, das frühere Flaggschiff Sir Francis Drakes, gegen eine Übermacht von mehr als fünfzig Schiffen von drei Uhr nachmittags bis drei Uhr morgen kämpfte, ohne daß es seinen Landsleuten gelang, die „Revenge“ zu entern oder gar zu versenken. Die Engländer hatten gekämpft, bis das gesamte Pulver verschossen war. Den wenigen Überlebenden hatte man eine ehrenvolle Übergabe angeboten, und so war es gekommen, daß der englische Kommandant der „Revenge“, Sir Richard Greynville, schwer verletzt an Bord des spanischen Flaggschiffes starb. Die „Revenge“ aber sank erst fünf Tage später in einem Sturm.

Von diesem schweren Gefecht her, bei dem von der „Revenge“ vier spanische Schiffe versenkt worden waren, hatte Cubera einen sehr gesunden Respekt und eine ziemliche Hochachtung vor den englischen Kämpfern zur See. Und dieser Killigrew hatte, so wußte er, bei der Armada-Schlacht ebenfalls kräftig mitgemischt.

Es war deshalb nicht verwunderlich, daß der Capitán im Gegensatz zu dem fetten Gouverneur, für den die „englischen Piraten“ schon so gut wie vernichtet waren, eher von zurückhaltender Skepsis war, die er auch nicht verhehlte. Schließlich war dieser Kriegsmarsch nicht der erste Versuch, El Lobo del Mar das Handwerk zu legen, und gar mancher, der es bisher versucht hatte, war mit blutigem Kopf zurückgekehrt.

Neu beim jetzigen Unternehmen war lediglich die Tatsache, daß der Gouverneur von Havanna auf krummen Wegen einen Hinweis über die genaue Lage der Schlangen-Insel erhalten hatte. Aus diesem Grund war geplant, den legendären Stützpunkt der englischen Korsaren, der sich irgendwo in der Nähe der Turks- oder Caicos-Inseln befinden sollte, direkt anzugreifen.

Das war gewiß kein leichtes Unterfangen, darüber war sich Cubera im klaren, aber gerade deshalb konnte er als erfahrener Seemann nicht verstehen, daß man die ganze Sache so überstürzt in Angriff genommen hatte. Der Verband war nicht aufeinander eingestimmt, es gab keine Konzeption, und man wußte noch nicht einmal genau, wie stark der Gegner war. Lediglich der Gouverneur hatte behauptet, es seien fünf Schiffe.

Don Garcia Cubera ärgerte sich darüber, daß er sich um diese mitternächtliche Zeit den Kopf über diese Dinge zerbrach, während Don Antonio einen Glaskelch Rioja nach dem anderen in sich hineinsoff und dabei tat, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt.

Als sich der Dicke ein weiteres Mal das Glas nachfüllen ließ, platzte dem Capitán beinahe der Kragen. Befand er sich nun auf Kriegsmarsch, oder geruhte der erlauchte Gouverneur eine Lustfahrt zu unternehmen? Er verspürte jedenfalls nicht die geringste Neigung dazu, dem feisten Kapaun rund um die Uhr als Gesellschafter zur Verfügung zu stehen.

Don Antonio störte die schlechte Laune des Verbandsführers nicht im geringsten.

„Ich hoffe, Sie haben Ihre Vorräte dieses edlen Tropfens nicht zu knapp bemessen, mein lieber Cubera“, sagte er mit einem süffisanten Lächeln. „Der menschliche Gaumen gewöhnt sich rasch an einen solchen Schluck.“

„Die Vorräte sind natürlich begrenzt, Don Antonio“, erwiderte Cubera steif. „Anders geht das nun mal nicht auf einem Schiff, wie Sie wissen. Und ob der Vorrat an Rioja ausreicht“, fügte er diplomatisch hinzu, „hängt einerseits von der Dauer unserer Mission ab, andererseits natürlich auch von dem Zuspruch, den der Wein findet.“

Der Gouverneur kicherte amüsiert.

„Das war eine sehr kluge Antwort, Don Garcia, aber ich kann Sie beruhigen. Unsere Mission wird bald beendet sein, und diesmal werden dieser englische Verbrecher und sein übles Piratenpack keine Chance mehr haben, das verspreche ich Ihnen.“

Capitán Cubera konnte sich eine kühle Entgegnung nicht verkneifen.

„Ich bin mir da nicht so sicher“, sagte er. „Wir haben zwar Grund zu der Annahme, daß wir in der Übermacht sind, aber ich muß dennoch daran erinnern, daß wir es mit äußerst schlagkräftigen und intelligenten Gegnern zu tun haben, die den Schiffen der Krone schon so manches Schnippchen geschlagen haben.“

„Papperlapapp!“ Der Dicke winkte ab. „Sie sollten etwas mehr Zuversicht an den Tag legen, Don Garcia. Außerdem scheinen Sie vergessen zu haben, daß es nicht zum offenen Kampf auf See kommen wird. Das Gesindel wird ganz einfach in seinem Schlupfwinkel überrascht. Bis die begreifen, was geschieht, haben wir das Nest schon ausgeräumt.“

„Ich hoffe sehr, daß Ihre Worte in Erfüllung gehen, Don Antonio“, sagte Cubera kühl. „Das Überraschungsmoment dürfte unbestreitbar auf unserer Seite sein.“

Daß er sich mit dieser Annahme genauso irrte wie der Gouverneur, das konnte Capitán Cubera zu diesem Zeitpunkt nicht wissen. Ja, niemand auf Kuba ahnte auch nur im entferntesten, daß die Bewohner der Schlangen-Insel über sämtliche Einzelheiten des Unternehmens unterrichtet worden waren. Der Türke Jussuf, der zu Arne von Manteuffels Faktorei in Havanna gehörte, hatte die Ereignisse durch den zuverlässigen und bewährten Brieftäuberich Achmed zur Schlangen-Insel gemeldet. Insofern konnte auf Seiten des Schiffsverbands von einem Überraschungsangriff keine Rede mehr sein.

Es gab jedoch noch weitere Ereignisse, von denen weder Don Antonio noch Don Garcia etwas ahnten.

Niemand hatte etwas davon bemerkt, daß sich nach dem Auslaufen des Verbands aus Havanna die Schebecke Don Juan de Alcazars „angehängt“ hatte. An Bord befanden sich außer dem Kapitän und der Crew auch Arne von Manteuffel und Jörgen Bruhn.

Außerdem folgte den Kriegsschiffen die gekaperte Zweimast-Schaluppe der berüchtigten Black Queen, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, nach ihrem Verrat der genauen Position der Schlangen-Insel vom Kriegszug der Spanier zu profitieren.

Don Antonio de Quintanilla unternahm noch immer keine Anstalten, sich zurückzuziehen. Statt dessen zerkaute er genüßlich eine weitere kandierte Frucht und trank dann einige Schlucke Wein.

Cubera war daher froh, als das „traute Beisammensein“ eine plötzliche Unterbrechung erfuhr.

Einer der Offiziere klopfte an das Schott der luxuriös ausgestatteten Kapitänskammer und trat ein.

„Was gibt es?“ fragte Don Garcia knapp.

„Die ‚Gaviota‘ segelt zu uns auf, Señor Capitán. Offenbar hat sie eine Meldung zu überbringen.“

Er meinte damit eine Kriegs-Karavelle, die am Ende des Verbandes segelte.

„Ich komme“, sagte Cubera und erhob sich. Zu Don Antonio gewandt sagte er: „Sie müssen mich leider entschuldigen, Don Antonio, aber ich muß mich um diese Sache kümmern. Gewissermaßen ruft die Pflicht, Sie verstehen?“

Der Dicke lächelte verständnisvoll.

„Aber natürlich, mein Lieber. Niemand hält Sie auf. Ich hatte ohnehin vor, mich zurückzuziehen. Wahrscheinlich steht uns auch morgen ein anstrengender Tag bevor.“ Er entließ den Kapitän der „San José“ mit einer gnädigen Geste.

Cubera aber schoß die Zornröte ins Gesicht. Am liebsten hätte er den feisten Kapaun gefragt, wieso der vergangene Tag für ihn anstrengend gewesen wäre und warum es der morgige Tag gleichfalls werden sollte. Außer seiner hemmungslosen Genußsucht hatte der Kerl ohnehin nichts im Sinn. Während für ihn, Cubera, die Meldung des Offiziers Arbeit und Wachsamkeit bedeutete, geruhte der Gouverneur gähnend in die Koje zu steigen.

Der Capitán folgte dem Offizier zum Achterdeck.

In der Tat, die „Gaviota“, was soviel wie Möwe bedeutet, befand sich bereits auf gleicher Höhe mit der „San José“. Der Abstand zwischen den beiden Schiffen betrug weniger als eine halbe Kabellänge.

Don Garcia Cubera befand sich kaum auf dem Achterdeck, da wurde er auch schon von dem Kommandanten der Karavelle angepreit.

„Zweimaster an der achteren Kimm gesichtet“, lautete die kurze Meldung. „Das fremde Schiff folgt dem Verband. Erwarte entsprechende Weisungen.“

Cubera befahl dem Kommandanten, die Identität des Zweimasters zu überprüfen und dann wieder Meldung zu erstatten. Danach ließ er Segel wegnehmen, um die Fahrt der „San José“ zu verlangsamen. Dieses Manöver sollte der „Gaviota“ nach Insichtnahme des fremden Zweimasters beim Wiederaufschließen behilflich sein.

Während der Capitán die Ausführung seiner Befehle überwachte, zerzauste ihm der kühle Nachtwind das eisgraue Haar. Der Mond stand wie eine riesige gelbe Kugel am Himmel und überschüttete die kabbelige Wasserfläche mit fahlem Licht. Irgendwie hatte Cubera das Gefühl, sich an diesem Platz wesentlich wohler zu fühlen, als in der Gesellschaft des Gouverneurs von Havanna.

2.

Die „Gaviota“ wendete über Backbord und ging dann auf Gegenkurs. Der Nordostwind, der jetzt raumschots einfiel, füllte die Segel und schob die Karavelle rasch voran.

Der Capitán, ein ehrgeiziger und energischer Mann, setzte alles daran, dem mysteriösen Zweimaster, den er an der Kimm gesichtet hatte, so schnell wie möglich zu begegnen. Laute Kommandos brüllend, scheuchte er seine Männer an die Brassen und Schoten, damit der Wind bis zum letzten Quentchen ausgenutzt wurde.

Er selbst wich nicht von seinem Platz auf dem Achterdeck und setzte immer wieder das reichverzierte Messing-Spektiv ans Auge. Das war jedoch trotz der mondhellen Nacht vergeblich, so daß er sich voll und ganz auf den Mann im Ausguck verlassen mußte.

Die nächste Meldung ließ nicht lange auf sich warten. Sie erfolgte, nachdem die Kriegskaravelle das Ende des Verbandes hinter sich gelassen hatte.

„Deck!“ brüllte der Ausguck im Großmars. „Der Zweimaster hat ebenfalls gewendet und liegt Kurs West an!“

„Verstanden!“ rief der Capitán zurück. Gleichzeitig wunderte er sich über die plötzliche Veränderung der Situation. Was hatte es mit diesem fremden Schiff auf sich? Warum wendete es und ging auf Gegenkurs? Das alles sah ganz danach aus, als habe der Segler etwas zu verbergen. Aber das war für ihn um so mehr ein Grund, sich dranzuhängen.

Schon bald zeigte sich, daß die Karavelle aufholte. Der Zweimaster konnte jetzt bereits vom Achterdeck aus als Schaluppe identifiziert werden.

Das weitere Verhalten des fremden Seglers sollte dem Capitán der „Gaviota“ und seinen Offizieren jedoch bald noch weitere Rätsel aufgeben.

Der Kommandant erteilte gerade dem Rudergänger, der mittels des Kolderstocks die schwere Ruderpinne bewegte, einige kurze Anweisungen, da meldete sich erneut der Mann im Ausguck.

„Die Schaluppe ändert ihren Kurs und hält auf die Küste zu!“

„Verdammt!“ entfuhr es dem Capitán. „Was hat das schon wieder zu bedeuten? Der Bursche scheint uns um jeden Preis entwischen zu wollen.“

Er war sich darüber im klaren, daß es für die „Gaviota“ nicht ungefährlich war, der kleineren Schaluppe bis in Küstennähe zu folgen, denn die Karavelle hatte einen wesentlich größeren Tiefgang. Aber er gab trotzdem nicht auf, biß die Zähne zusammen und setzte die Verfolgung fort.

Nachdem die „Gaviota“ hart nach Backbord abgefallen war, um ebenfalls die nordkubanische Küste anzuliegen, wurden zwei Lotgasten damit beauftragt, ständig die Wassertiefe auszusingen. Die beiden Männer ließen ohne Unterbrechung die mit Lederstreifen markierten Leinen durch die Hände gleiten. Die schweren Lotbleie zogen die Leinen nach unten.

Die Tiefe, die die Lotgasten aussangen, wurde immer geringer und beängstigender. Schließlich war ein Punkt erreicht, an dem eine weitere Verfolgung nicht mehr zu verantworten war. Die Karavelle konnte jederzeit auflaufen.

Der Kommandant bemerkte sehr wohl die vorwurfsvollen und fragenden Blicke der Offiziere.

„Wir sollten die Jagd unbedingt abbrechen, Señor Capitán“, sagte der Erste Offizier, der neben dem Kommandanten auf dem Achterdeck stand. „Wir müssen sonst damit rechnen, daß ein Unglück geschieht.“

Als die Lotgasten die nächste Wassertiefe aussangen, zuckte der hochaufgeschossene, schlanke Mann zusammen. Außerdem glaubte er herauszuhören, daß die Stimmen der beiden Decksleute bei jeder Meldung ängstlicher klangen.

Der Capitán stieß einen Knurrlaut aus.

„Sie haben natürlich recht“, sagte er knapp. „Wir werden umkehren müssen, so bedauerlich das auch ist.“

Sein Gesicht wirkte eisig, denn er gehörte nicht zu jenen Männern, die rasch aufgaben, und es schmeckte ihm nicht, einfach umkehren und dem Verbandsführer seinen Mißerfolg melden zu müssen. Im stillen jedoch sah er ein, daß es Wahnsinn wäre, die leichte Schaluppe weiterzuverfolgen. Er mußte aufgeben, ob es ihm paßte oder nicht, sonst würden sie irgendwann aufbrummen.

Mit einem deftigen Fluch verschaffte sich der Capitán Luft, dann gab er den Befehl zur Umkehr. Kurz darauf ging die „Gaviota“, wieder hart am Wind auf Ostkurs, und ihr Kommandant überlegte bereits, wie er die Meldung an das Flaggschiff formulieren sollte, ohne daß seine Kapitänsehre angekratzt wurde.

Die Nerven des ehrgeizigen Mannes sollten jedoch noch weiter strapaziert werden. Schon die nächste Meldung des Ausgucks veranlaßte ihn zu einem regelrechten Wutausbruch, denn der verfolgte Zweimaster reagierte auf die Umkehr der „Gaviota“ mit einer Dreistigkeit ohnegleichen: Auch er fuhr eine Wende und ging wieder auf Ostkurs.

Der Capitán japste nach Luft.

„Das ist unglaublich!“ stieß er hervor. „Die Kerle wissen genau, daß wir ihnen in den flachen Küstengewässern nichts anhaben können und spielen ihren Vorteil hemmungslos aus. Was die mit uns treiben, ist eine Art Katz-und-Maus-Spiel. Zum Teufel – ich möchte nur wissen, was das alles zu bedeuten hat!“

Der fremde Segler trieb wahrhaftig ein freches Spielchen mit der stolzen spanischen Kriegskaravelle. Verfolgte zuerst die Karavelle die Schaluppe, so war es jetzt umgekehrt. Der Zweimaster folgte dem Kriegsschiff versetzt nach Land und damit in einem Wassertiefenbereich, den die Spanier unbedingt vermeiden mußten. Das Ganze erinnerte an einen kläffenden kleinen Straßenköter, der einen riesigen Wolfshund, von dem er durch ein unüberwindliches Gitter getrennt ist, frech herausfordert.

Doch was bezweckten die Kerle auf der Schaluppe damit? Wer war das überhaupt, der sich so verbissen bemühte, Fühlung an den Verband zu halten? Diese Fragen des zornigen Capitáns sollten vorerst noch unbeantwortet bleiben.

Gegen vier Uhr in der Frühe hatte die „Gaviota“ wieder aufgeschlossen, und der Kommandant erstattete Don Garcia Cubera Meldung über die merkwürdigen Vorgänge.

Der Kapitän der „San José“ und seine Offiziere waren verblüfft.

Ein Fühlungshalter – was soll das? fragte sich Cubera, denn er hatte zunächst angenommen, es wäre ein reiner Zufall, daß ein anderes Schiff auf dem gleichen Kurs wie der Verband lag. Jetzt aber erwachte auch in ihm das Mißtrauen. Irgend etwas stimmte da nicht. Wenn jemand dem Verband derart hartnäckig folgte und sich nicht abschütteln ließ, dann mußte er einen triftigen Grund dazu haben.

Da auch Cubera keine Erklärung für die seltsamen Vorgänge fand, reagierte er und ließ kurz entschlossen den gesamten Verband stoppen.

„Was haben Sie vor, Don Garcia?“ wollte der Erste Offizier der „San José“ wissen.

Cubera ballte die Hände zu Fäusten.

„Wir werden in Erfahrung bringen, wer uns da folgt, und warum er das tut“, erwiderte er. „Wenn sich die Kerle einbilden, daß kein Schiff unseres Verbandes in der Lage sei, ihnen in flache Küstengewässer zu folgen, dann haben sie sich getäuscht. Wir werden sofort eine Schaluppe aussetzen, die nicht mehr Tiefgang hat als der Zweimaster. Und dann wollen wir mal sehen, wer uns da zum Narren hält.“

Don Garcia zog ein grimmiges Gesicht. Hatte er mal für einige Stunden keinen Ärger mit dem dicken Gouverneur, dann waren es eben andere Dinge, die ihm auf den Geist gingen. Er gab die entsprechenden Befehle. Gleich darauf wurde auf der „San José“ eine Schaluppe mit Pfahlmast ausgesetzt und aufgeriggt. Das leichte Fahrzeug lag nicht nur flach im Wasser, sondern würde unter günstigen Windverhältnissen auch entsprechend schnell segeln.

Dem Mund Don Garcia Cuberas entrang sich ein gequälter Seufzer, als plötzlich ein Achterdecksschott geöffnet wurde und Don Antonio de Quintanilla heraustrat.

Der beleibte Gouverneur steckte in einer farbenprächtigen Uniform. Der wertvolle Degen, der an seiner Hüfte baumelte, nahm sich neben dem mächtigen Bauch recht merkwürdig aus. Der Puderperücke sah man an, daß sie frisch aufgesetzt worden war. Die weißen Strümpfe, die die strammen Gouverneurswaden verhüllten, mündeten in frischgeputzten und mit silbernen Schnallen versehenen Lackschuhen.

Das weibisch wirkende Genußmündchen Don Antonios glich an diesem frühen Morgen jedoch eher einem Schmollmündchen, und Cubera sah sofort, daß die Laune des Erlauchten nicht gerade die beste war.

Gegen Morgen hatte es aufgebrist, und die Dünung ließ die Kriegsschiffe heftiger in den Wellen arbeiten als sonst. Kein Wunder, daß Don Antonio Mühe hatte, sich bei seiner Körperfülle auf den Beinen zu halten.

Er trat grußlos und mit mürrischem Gesicht an den Capitán und die Offiziere heran.

„Was geht hier vor, Don Garcia?“ fragte er übergangslos. „Warum segelt der Verband nicht weiter? Und warum lassen Sie eine Schaluppe aussetzen?“

Der Verbandsführer berichtete dem Gouverneur in kurzen Worten von dem Zweimaster, der sich als hartnäckiger Fühlungshalter erwiesen hatte, und erklärte ihm seine Absicht, das fremde Schiff mit der ausgesetzten Schaluppe zu verfolgen.

Dieser Bericht hob die Laune Don Antonios keineswegs. Es wäre zuviel verlangt gewesen, von einem Mann wie ihm auch noch strahlende Laune zu erwarten. Denn er hatte in der Nacht miserabel geschlafen, weil die Koje in der Kapitänskammer, die Cubera für ihn geräumt hatte, zu eng und zu hart war.

Der Erlauchte reagierte deshalb ziemlich unwirsch.

„Das sind völlig unnötige Mätzchen, Don Garcia“, nörgelte er. „Wenn wir wegen jedem Fischerkahn, dem wir begegnen, den Verband anhalten, erreichen wir diese verfluchte Schlangen-Insel erst am Jüngsten Tag.“

Cubera unterdrückte mühsam seinen Zorn.

„Ich weise Sie darauf hin, Don Antonio, daß hier nicht von einem Fischerkahn die Rede sein kann. Fischer haben keinen Grund und wohl auch nicht die nötige Dreistigkeit, einem Kriegsschiffsverband wie dem unsrigen zu folgen. Da muß schon etwas anderes dahinterstecken, und ich halte es für meine Pflicht, der Sache auf den Grund zu gehen.“

Das wabblige Gesicht Don Antonios lief rot an. Ein Widerspruch war wohl das letzte, was er so früh am Morgen zu ertragen bereit war.

„Ich pfeife auf diese verdammte Schaluppe, Capitán!“ keifte er mit schriller Stimme. „Dieses Schiff interessiert mich nicht. Wir werden ihm bei nächster Gelegenheit eben eine Kugel unter die Wasserlinie jagen. Jetzt aber erwarte ich, daß der Verband sofort weitersegelt.“

Auch Don Garcia Cubera konnte seinen Zorn nicht mehr zurückhalten. Auf seiner Stirn erschien eine steile Falte, seine dunklen Augen verengten sich.

„Ich muß Sie offenbar daran erinnern“, sagte er mit frostiger Stimme, „daß ich der Kommandant der ‚San José‘ und damit auch der Verbandsführer bin. Daher lasse ich mir in meine Entscheidungen nicht hineinreden. Der Zweimaster wurde von einem unserer Schiffe, der ‚Gaviota‘, bereits die halbe Nacht hindurch beobachtet und stückweise sogar verfolgt, doch nicht einmal das hat ihn daran gehindert, weiterhin Fühlung zu halten. Das beweist meiner Meinung nach zur Genüge, daß irgend etwas gegen uns im Gange ist. Zumindest aber ist das fremde Schiff verdächtig, so daß es sträflicher Leichtsinn wäre, die Sache mit einem Schulterzucken abzutun.“

Noch während Cubera sprach, hatte es den Anschein, als zeichne sich auf Don Antonios hochrotem Gesicht ein Wutausbruch ab. Doch seine Gesichtsfarbe wechselte, wie der Capitán feststellte, ziemlich rasch ins Grünliche. Der Gouverneur begann plötzlich zu wanken, als sei er selber ein Schiff in starker Dünung, dann hielt er sich rasch am Handlauf der Querbalustrade fest und begann heftig zu schlucken.

Cubera begriff augenblicklich, was da vor sich ging. Die Anzeichen waren ihm wohlbekannt, am liebsten hätte er trotz seines Zornes in diesem Augenblick laut gelacht.

Er bemühte sich jedoch weiterhin um Korrektheit und fragte höflich: „Fühlen Sie sich nicht wohl, Don Antonio?“

Der Dicke rollte mit den Augen und preßte die rechte Hand auf die Magengegend. Mit der Linken hielt er sich weiterhin an der Querbalustrade fest. Seinem leidenden Gesichtsausdruck nach zu urteilen, mußten quälende Vorgänge in seinem Leib die Ursache der Unpäßlichkeit sein.

Vor lauter Schlucken brachte der Gouverneur kein Wort heraus. Einen Augenblick später blähte er plötzlich die Hängebacken auf, als wolle er die ausgesetzte Schaluppe an die kubanische Küste pusten, und watschelte in höchster Eile zum Schanzkleid.

Dabei kreuzte einer der Köche der „San José“, der auf Wunsch eines Lakaien Wasser in die Kapitänskammer gebracht hatte, seinen Weg. Der Mann sah, welche Nöte den seekranken Gouverneur plagten, und konnte sich ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen. Dann aber beeilte er sich, aus der Nähe Don Antonios zu gelangen, und er wußte auch warum.

Don Garcia Cubera wußte es ebenfalls, denn auch er hatte mit Entzücken festgestellt, daß der erlauchte Gouverneur genau auf die Luvseite zueilte.

Und da passierte es auch schon.

Der Dicke preßte den gewaltigen Bauch gegen den Handlauf des Schanzkleides. Dabei gab er ein Geräusch von sich, das an das Röhren eines brünstigen Hirsches erinnerte. Sekunden danach flog ihm nahezu der gesamte Mageninhalt um die Ohren. Da er sich die Luvseite ausgesucht hatte, zeigte es sich, daß der Wind stärker war als die mehr oder weniger verdauten kandierten Früchte, mit denen der Gouverneur jetzt seine schöne Uniform besudelte.

O ja, Don Antonio kriegte ein richtig klebriges Gesicht. Seine etwas verrutschte Perücke war plötzlich mit Fragmenten des letzten Abendessens geschmückt, und über die wunderschönen weißen Strümpfe zogen sich häßliche braune Spuren.

Darmowy fragment się skończył.

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9783954398065
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Bookwire
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