Czytaj książkę: «Seemannsgarn im Seemannsheim: Vol. I»

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Franco Parpaiola

SEEMANNSGARN
IM SEEMANNSHEIM

Vol. I

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Navigare necesse est.

Der Sturm

Majestic

Tania

Karla

Der Zurechtsuff

Dear Genny

Ein Seemann namens Fridolin

Toni

Kurt, der Schiffskoch

Die drei Fremden

Carpe diem

NAVIGARE NECESSE EST.

Was ich während meiner Seefahrtzeit immer so faszinierend fand und heute, nach fast vierzig Jahren auf See, immer noch finde, sind die Folgen, die die Entstehung und die Fortentwicklung der Seefahrt auf die Menschheit hatte und heute noch hat.

Die sogenannten Heldentaten der verschiedenen Kriegs- und Handelsflotten der Welt, die interessieren mich herzlich wenig, denn ein Schiff ist genauso gut wie seine Besatzung, denn, gute Seeleute, die gibt es überall.

So betrachtet: Die Geschichte und Entwicklung der Menschheit ist nichts anderes als die der Seefahrt und die der Menschen die, die Evolution und Entwicklung der Seefahrt im Laufe vieler Jahrtausende geprägt haben.

Die Geschichte der Seefahrt also ist nichts anderes als die Chronik der Schicksale und Tragödien und das Leben der Menschen, die diese Evolution geprägt und bestimmt haben.

Man sagt: Seefahrt tut not, das stimmt, denn Seefahrt ist Handel und Handel ist eine primäre Notwendigkeit für die Entwicklung der Nationen und Kontinente, denn Handel schafft Arbeit und Wohlstand für alle.

Wirklich für alle?

In seiner Predigt zum 150. Jahrestag der Seemannsmission zu Bremen erinnerte der Seemannspastor Peter Bick uns unter anderem daran, dass die Seefahrt nicht nur Wohlstand und Segen mit sich bringt, sondern auch den Tod.

Der Tod, als Ausrotter von vielen Volksstämmen, kam nicht durch die heimatlichen Kriege zwischen den verschiedenen Stämmen dieser Welt, denn solche Kriege haben noch nie die totale Vernichtung menschlicher Rassen und Zivilisationen herbeigeführt.

Damals brachten Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Stämmen höchstens die Versklavung und später die Verschmelzung der Besiegten mit dem Sieger mit sich; niemals die totale Vernichtung eines Volkes.

Das Degenerieren und das Aussterben von anderen Kulturen und Kontinenten begann im Mittelalter durch aufgezwungene Bräuche, während der Tod und die Vernichtung der Bevölkerung beschleunigt wurden durch eingeschleppte Krankheiten.

Dies wurde nur durch die Seefahrt ermöglicht.

Es war ein auf leisen Sohlen dahin schleichender Tod, der da über Urvölker, die im Laufe vieler Jahrtausende Naturgewalten aller Art überlebt hatten, hereinbrach.

Es war wie eine tödliche Plage; eine Pandemie ohnegleichen, so schnell und so zielgenau, dass sie im Laufe einiger Jahrhunderte manche Volksstämme von der Bildoberfläche der Geschichte für immer verschwinden ließ.

Manche von uns nennen so was die unverfälschte Selektivität von Mutter Natura.

Anderen nennen es: Evolution oder Fortentwicklung; viele sagen sogar Entfaltung, dazu.

Das war nicht menschliche Evolution, das war weder Fortentwicklung noch Fortschritt, vielmehr war das der Anfang unseres eigenen Untergangs.

Das war eher die Stagnation der moralischen und christlichen Werte, die Rückentwicklung des Menschen zu seinen barbarischen Instinkten, die nicht als Entwicklung der Menschheit zu betrachten wären.

Das ist keine Evolution, das ist, im Namen Gottes, angewandter Rückgang zur Gottlosigkeit, der nur durch die unersättliche Geld- und Machtgier einiger weniger über all die vielen anderen hervorgerufen wurde.

Es ist töricht und selbsttäuschend, die eigene Bereicherung durch die Versklavung anderer Völker und die Zerstörung deren Kultur als menschliche Bereicherung oder Evolution zu betrachten.

An jenem Tag sprach der Seemannspastor in seiner Predigt von jenem Timucuan-Indianervolk, das von spanischen Seeleuten in den heutigen USA zuerst entdeckt und später „zivilisiert“ wurde.

Zu jener Zeit schrieb man das Jahr 1565, kaum 200 Jahre später, nämlich im Jahr des Herrn 1729, starb der letzte der Timucuan-Indianer.

Wie seine Mitmenschen vor ihm starb auch er an eingeschleppten Krankheiten und fremden Bräuchen, an Willkürherrschaft und Ausbeutung durch die zur See fahrenden christlichen Eroberer.

Das alles geschah natürlich im Namen Gottes und dem des Königs.

Allein auf dem amerikanischen Kontinent, so der Seemannspastor, fanden damals um die vierzig Millionen Menschen kraft der damaligen zur See fahrenden Zivilisationen aus Europa und deren Folgen auf brutalste und übelste Weise den Tod durch eingeschleppte Krankheiten..

Es sieht wirklich so aus, dass damals die Überlebenden die Toten beneideten.

Denn die Krieger auf den Schlachtfeldern starben schnell, manche von denen merkten noch nicht mal, wenn sie starben.

Die Überlebenden aber, ihre Frauen und Kinder, die Greise, die Schwachen, durften durch Hunger und Entbehrungen, eingeschleppte Krankheiten und Misshandlungen aller Art, auf elende Weise einfach krepieren.

Mit dem damaligen geklauten Gold und anderen eroberten Schätzen legten die sogenannten christlichen „Konquistadoren“ das Fundament für unsere heutige Industriegesellschaft und Infrastrukturen nieder.

Denn sie bauten noch größere Schiffe, um noch mehr ferne Länder auszuplündern und noch mehr Menschen versklaven zu können.

So war die Seefahrt, damals vor kaum siebenhundert Jahren; heute ist es anders; aber ist es wirklich anders?

Denn während die Seefahrt heute als Bindeglied zwischen Menschen und Kontinenten und als Brücke zwischen Kulturen, als nicht wegzudenkende Infrastruktur der modernen Marktwirtschaft betrachtet und mit Recht verstanden wird, betrachten sie viele Völker der Dritten Welt im Gegenzug als ihren einzigen Weg, sich aus der kollektiven Armut und dem Elend der Mittellosigkeit loszureißen.

Gerade dadurch und wahrscheinlich deswegen werden viele von denen zugrunde gehen und letztendlich aussterben.

Diese Völker werden aussterben, nicht, weil die Seefahrt als solches tödlich ist, nein, die Seefahrt ist nicht tödlich, die Seefahrt ist vielmehr unser aller Lebensader.

Sie werden aussterben, weil sie ihre uralten Lebensformen mit unseren vergleichen und uns, die Vergifteten, nachzuahmen versuchen.

Sie werden unweigerlich und unwiderruflich wie jene Timucuan-Indianer einfach zugrunde gehen.

Wir, wir werden aussterben, weil wir unsere Lebensgrundlage zerstört haben, indem wir andere Zivilisationen und deren Habitat aus blinder Besitzgier, ohne es wirklich zu wollen oder richtig zu überlegen, einfach vernichtet haben.

Wir werden aussterben, weil wir zuließen, dass die Seefahrt zusammen mit unseren Industrien unsere Meere und unsere Luft verdorben und unsere Erde langsam, aber sicher für uns alle unbewohnbar gemacht hat.

Am Anfang unwissend, willig und wissensdurstig, später dann gierig und unersättlich.

Danach, nach Herrschaft und Stärke, nach Macht und Reichtum lungernd, unbarmherzig mit den anderen und mit uns selbst und zum guten letzten Schluss als Tüftler, als immer kreativ werdende machiavellistische selbsttäuschende Heuchler und Narren, bis zum bitteren Ende, nur noch vervollständige und hemmungslose Beschleuniger von unserer eigenen Selbstzerstörung; werden wir uns selbst vernichten.

Die Seefahrt wird ja als eine unserer Lebensadern betrachtet, es ist aber eine illusorische Lebensader, die wichtigste von allen unseren illusorischen Lebensadern sogar.

Ohne die Seefahrt würden bei uns die Lichter ausgehen, danach würden wir aber ebenfalls aussterben, in diesem letzten Fall aber nur, weil wir das Maß aller Dinge, nämlich die Genügsamkeit, einfach vergessen haben.

Wir kennen keine Genügsamkeit mehr, keine Bescheidenheit.

Wörter wie Nächstenliebe und Gegenseitigkeit sind uns fast zu Fremdwörtern geworden.

Nur die Gier nach mehr und noch mehr Besitz und Macht über die anderen treibt uns voran.

Die Macht, über andere zu bestimmen, befehligt unser Leben und danach handeln wir.

Wir bemessen unsere Stärke nach unseren Bankkonten, niemals nach unseren inneren Werten.

Die Lust nach Reichtum und Macht, der Trieb nach dem Berauschen an der Kraft des Geldes und an Selbsttäuschung ist mächtiger als unser Wille zur Selbsterhaltung.

Es ist nicht die Angst um die ungewisse Zukunft, die uns diktiert, keine Kinder zu haben.

Wenn auch unsere vergifteten Organismen zum großen Teil zeugungsunfähig geworden sind, zeugen die, die es könnten, keine Kinder, weil sie das Leben, so absurd es klingen mag, nicht zu leben wissen.

Unsere Blindheit ist unser Wegweiser, nicht unser Verstand.

Wir haben Angst.

Wir haben Angst zu leben; das wahre christliche Leben zu leben versetzt uns insgeheim in Panik, denn in Christus zu leben, das heißt auch, mit den anderen teilen − und das wollen wir nicht.

Darum berauschen wir uns, wir berauschen uns aber nicht, weil wir es schön finden, wir tun das, weil wir Angst haben.

Wir haben Angst zu lieben, die wahre Liebe zu lieben, denn das Leben zu leben, heißt ja zu lieben und mit anderen zu teilen, die meisten von uns wollen das aber nicht.

Darum berauschen wir uns mit Geld, mit Autorität über andere, wie besessen jagen wir nach der Wollust der Macht und halten das Maß aller Dinge, die Liebe als solche, weit von uns entfernt.

Manche betrachten die Seefahrt nicht nur als Zubringer von Wohlstand und Behaglichkeit, denn die sehen ja, was die Seefahrt aus uns und aus unserer Mutter Erde gemacht hat.

Viele von uns betrachten die Seefahrt eher als Herold der Zerstörung des eigenen Lebensraums und als Vermittler von Wohlstand.

Sie sehen die Seefahrt quasi als Zusteller von Tod und Verderben und Zerstörer der eigenen Lebensart und Traditionen.

„Uns hat eure Seefahrt den falschen Wohlstand gebracht, Chief. Uns hat eure Seefahrt einen unrealistischen Reichtum gebracht; eure Seefahrt wird uns auch den Tod und die Verwüstung unserer Inselwelt bringen!“, sagte mir eines Tages einer unserer Kiribati-Matrosen an Bord der MS NEMUNA, nachdem er mir einige Videokassetten über seine Inselwelt mitten im Pazifischen Ozean gezeigt hatte.

Ja, er hatte mir Videos über seine Inselwelt vorgeführt, von der Hütte aus Palmenzweigen, Marke Eigenbau, wo seine Frau und seine Kinder wohnten.

Er hatte mir Videos von kleinen Dörfern gezeigt, die elektrischen Strom noch nicht mal kannten.

Von Menschen, die sich noch nach uraltem Brauch vor ihren Hütten die Fische zubereiteten, die sie – und nur so viele, wie sie für den täglichen Bedarf brauchten – aus dem Meer holten, wie sie ihre Mahlzeiten, in einer Mulde im Sand, eingewickelt in Palmblätter, über Heißsteine zubereiten.

Er hatte mir Videos von den weißen Stränden gezeigt, von seinem Ozean und seinen Freunden, die dort auf Fischfang gingen.

Er erzählte mir von ihren uralten Weisheiten und der Verehrung des Lebens; von Taifunen, von den Tsunamis, die sein Volk im Lauf der Jahrtausende zwangsläufig erleben und überlebt haben musste.

Dies alles erzählte er mir an dem Abend nach dem Abendbrot in der Messe der MS Nemuna, als wir bei ruhiger See die Biskaya Richtung Mittelmeer durchfuhren.

Ich war beeindruckt von seiner einfachen Denkweise, ja, ein bisschen neidisch sogar.

Danach erzählte er mir, wie Bekannte von ihm, von Wind und Strömungen getrieben, sechs Monate lang auf einem kleinen Fischerboot im Pazifischen Ozean trieben. Wie sie doch dank der Fische, die sie fingen, überleben konnten, und wie deswegen ihre Odyssee im Guinnessbuch der Rekorde verewigt wurde.

„Dies alles haben wir überlebt, die Tsunamis, die Taifune und sonstige Naturkatastrophen haben wir durch unsere Art und Weise zu leben überlebt.“

Danach zeigte mir der nachdenkliche junge Mann Videos vom ansteigenden Meeresspiegel und von abgespülten Stränden. Von Meereserosionen und absterbenden Palmen und von Salzwasser verseuchtem Trinkwasser. Von Plastikmüll und Plastiksäcken voll leerer Strombatterien, von Billigradios und verrosteten und ausgeschlachteten tragbaren Stromgeneratoren, von leeren Schnapsflaschen und von Alkohol gekennzeichnete Männer.

„Siehst du, Chief, im Lauf der Jahrtausende hat mein Volk vieles überlebt. Wir haben sogar die Engländer überlebt. Die kamen, die tauften unsere Welt kurzerhand in Gilbert-Inseln um und weil bei uns eben außer uralten Lebensweisheiten und Bräuchen nicht anderes zu holen war, ließen sie uns in Frieden. Euch und eure Seefahrt, eure Zivilisation, eure Denkweise, ihr alle, alle, wie ihr da seid, euch überleben wir nicht. Eure Art von Leben hat viele junge Männer meines Volkes verwirrt und angesteckt. Eure Seefahrt, eure Industrie- und Umweltverschmutzung hat die Erde ruiniert. Dadurch steigt der Meeresspiegel und meine Heimat wird in absehbarer Zeit als Erste für immer in den Fluten des Ozeans verschwinden. Das haben wir zum großen Teil nur euch zu verdanken: Mein Heimatland, meine Inselwelt, wird in absehbarer Zeit und zu meinen Lebzeiten noch für immer von den Strömen und Fluten des Pazifiks verschluckt werden. Manche Teile von euren Heimatländern aber auch. Diesmal aber werden viele von euch, ihr, die vielen, werdet mit uns, den wenigen, auch zugrunde gehen.“

DER STURM

Der längst angekündigte Sturm erreichte uns mit voller Wucht, kurz vor Mittag.

Das Barometer fing an zu sinken, das Ding ging in kaum einer halben Stunde von 1040 auf 1000 Millibar und fiel, während der Himmel in der kürzesten Zeit rabenschwarz wurde unaufhaltsam weiter ab.

Das Meer fing an zu brodeln und fast schlagartig befanden wir uns in der Scheiße.

Die Biskaya hatte sich fast blitzartig von einem freundlichen blauen, der Südsee ähnlichen friedlichen Gewässer zu einer tobenden Bestie entwickelt.

Es ging alles so schnell vor sich und der alte Arsch wurde so dermaßen überrascht, dass er sogar vergaß, die Fahrt des Schiffs zu reduzieren.

Die Kondor, immer noch von meinen Deutz-Bullen nach vorne getrieben, tanzte wild hin und her, sie bohrte sich ein paar Mal in gewaltige Wellen hinein, kam aber immer brav wieder raus.

„Wollen Sie den Motor zu Schrott fahren oder wollen Sie das Schiff versenken und uns alle umbringen, Kapitän?“, fragte ich scheinheilig, als ich sah, dass der Mann immer noch nicht mit der Fahrt runterging und wie hypnotisiert am Fenster auf das tobende Meer schaute.

Vorsorglich, in Erwartung des Sturms, hatte ich an dem Sonntagmorgen die Jungs und Peter, unseren Bootsmann-Koch, angewiesen, sämtliche Außenschotten und Türen abzuschließen und dafür zu sorgen; dass in der Messe und im Kabelgatt alles gut weggestaut und abgesichert wurde.

Luwala, jene Mischung aus Rottweiler und Mastino Napoletano, der unser Bordmaskottchen war, hatte ich in meiner Kabine eingeschlossen.

Vorsorglich hatte ich auch eine Runde im Maschinenraum gedreht, dort aber war für mich die Welt in Ordnung, denn ich hatte die Gewohnheit, niemals lose Gegenstände herumliegen zu lassen, von dort also erwartete ich keine Probleme.

Mein Problem – oder besser gesagt unser Problem – kam in Person des Steuermannes, der kurz vor dem Rest der Bande auf der Brücke erschienen war.

Er musste mit seinem Kopf gegen irgendwas gestoßen sein, denn auf seiner linken Stirnseite war eine große Beule zu sehen.

„Das ist die Strafe“, murmelte er vor sich hin.

„Die Strafe für was denn, Steuermann?“, fragte ich alarmiert.

„Die Pontons im Zwischendeck, Chief, ich habe sie aufgrund des schönen Wetters gestapelt gelassen und nicht in Position gebracht, die sind aber sehr gut gelascht worden“, antwortete er mir kleinlaut.

„Du Vollidiot, was hast du dir denn da dabei gedacht?“, zischte ich ihm ins Gesicht.

„Jetzt aber haben wir eine schöne Scheiße am Hals“, schimpfte Peter gleich los und schaute mich dabei kreidebleich an.

„Aber, meine Herren, ich bitte euch. Es gibt doch keinen Grund zur Panik. Der Sturm ist doch gleich wieder vorbei, und die Pontons im Laderaum sind gut gelascht worden“, dekretierte der Kapitän.

Mir reichte es, denn meine innere Warnanlage war wie von Sinnen am Bimmeln.

Jener sechste Sinn, der tief in mir, der meine eigene Alarmglocke war, war mir bestens bekannt. Das letzte Mal, wo er mich gewarnt hatte, war damals im Barbizon-Hotel gewesen, bevor ich auf das Motorschiff El Castillo stieg, damals war es nur ein Warnsignal, diesmal aber bedeutete der Klang meiner inneren Alarmglocke nur ein Ding, nämlich: den Tod!

„Nix da, mein lieber Kapitän, Sie gehen jetzt sofort auf ganz langsame Fahrt runter und Kopf auf See und ich geh in den Laderaum, ich will mich dort selbst vergewissern, was Sache ist, denn ich hab keine Lust, in der Biskaya abzusaufen.“

Ohne lange herumzumäkeln, setzte der Alte den Bug des Schiffes noch mehr gegen den Wind und reduzierte die Fahrt um noch einige Umdrehungen.

„Weniger geht nicht, Chief, ich brauch Ruderwasser. Passen Sie bitte auf!“, mehr sagte der alte Mann nicht und ich ging, gefolgt von Peter, nach unten.

Von der Tür auf der Steuerbordseite zum Arbeitsdeck und von dort bis zur Einstiegstür zum Laderaum waren es ein paar Meter. Unter diesen Umständen aber waren es ein paar sehr gefährliche und lebensbedrohliche Meter. Der Kapitän hatte das Schiff aber so manövriert, dass die Kondor mit ein paar für mich lebenswichtigen Graden rechts der Wellenrichtung lag.

„Pass bloß auf dich auf, Meister!“, bat mich Peter, der genauso wie ich durch das Bullauge an der Tür die Sequenz der Wellen beobachtete.

Wir ließen uns Zeit und erst, als ein paar größere Wellen an uns vorbeizogen und das Arbeitsdeck wieder frei von Wasser wurde, öffneten wir das wasserdichte Schott zum Deck und ich war, während Peter hinter mir die Tür wieder schloss, draußen am Deck.

Wie ich es schaffte, in den Laderaum zu gelangen, ohne über Bord gespült zu werden, weiß ich bis heute nicht, ich weiß nur, dass ich es schaffte und dass ich heute, fast fünf Jahre später, darüber berichten kann.

Mehr weiß ich nicht.

„Verdammt kurz und schnell, diese Wellen!“, dachte ich, als ich die Sprossenleiter zum Laderaum runterging.

Unten im Zwischendeck war das ganze Getöse des Sturms und des gestressten Schiffes fast unerträglich.

Die Gefährlichkeit und Mystik der Geräusche, die sich da abspielten, war mit nichts, was ich vorher auf See gehört hatte, zu vergleichen.

Es klang fast wie Musik; nein, es war Musik: Eine tödliche Symphonie, die mir fast das Blut in den Adern gefrieren ließ, spielte sich da in meinen Ohren ab und für einen kürzesten Augenblick hörte ich wie hypnotisiert gebannt zu.

Erst danach schaute ich mich um.

Die Pontons achtern waren im Laderaum zwar gestapelt, die lagen aber auch fest gegen die Aufbauten, die waren so gut einzeln am Schott gelascht worden, dass die nirgendwohin gehen konnten, so, als ob die ein fester Teil des Schiffes gewesen wären.

Diese Pontons waren immer dort, so wie die waren, und wurden in ihren jeweiligen Positionen in dem Zwischendeck eingesetzt, nur wenn es im Raum Teilladung zu stauen gab, sonst nicht.

Was ich aber sah, als ich nach vorne schaute, raubte mir für einen kurzen ewigen Moment fast den Verstand: Die vordersten zwölf Pontons, die man nur frei im Raum stapeln und laschen konnte, hatten ihre Ketten gesprengt. Sie lagen nun, vom schaukelnden Schiff herumgewirbelt, über- und untereinander. Sie waren durcheinander eingekeilt und gestapelt, Vorkante Laderaum Backbord und bewegten sich mit ihren scharfen Kanten knirschend gegen den Schiffsrumpf.

Fast wie in Trance schnappte ich mir von irgendwoher so viel Holzbretter, wie ich nur finden konnte und setzte sie, wohl achtend, wohin ich mit meinen Füßen ging, zwischen die scharfen Kanten der Pontons und die Schiffsaußenhaut.

Mit Gottes Hilfe fand ich auch auf Anhieb einige größere Holzkeile und einen Vorschlaghammer, wie besessen hämmerte ich so viele Holzklötze zwischen die eisernen Pontons und das Deck, wie ich nur konnte.

Mir ging es primär darum, eine weitere Verschiebung der Teile zu vermeiden und erst als es mir schien, dass das Ganze doch etwas ruhiger da lag, ging ich wieder nach oben, um Verstärkung zu holen.

„Ich machte mir langsam Sorgen um dich, Meister!“, sagte Peter, als ich wieder bei ihm war.

Unterwegs nach oben informierte ich ihn, was im Laderaum los war und was ich getan hatte. Ich sagte ihm auch, dass wir gleich wieder da runter mussten, um die losen Pontons mit Ketten und Spant-schrauben an den Spanten des Schiffes so zu verankern, dass die sich nicht mehr bewegen konnten.

Auf der Brücke war der alte Arsch gerade dabei, freudig und munter seinem Steuermann und die Jungs eine Lehrstunde in Ozeankunde zu geben.

Er erklärt denen gerade, wie sich die Wellen auf hoher See verhalten und wo der Unterschied zwischen einem Längs- und einem Querläufer zusehen und interpretieren war.

„Vorne, die Pontons, die ihr so gut gelascht und gesichert habt, meine Herren, die haben die Laschketten gesprengt. Wir müssen in den Laderaum gehen und sie allen, einzeln irgendwie sichern, sonst gehen die uns noch durch die Wand und dann ist wohl Feierabend mit lustig und wir gehen alle baden!“, erklärte ich denen.

Der Kapitän schien nicht begriffen zu haben, was ich da gesagt hatte, denn als ob ich nicht da gewesen wäre, laberte er und dozierte weiter mit den Jungs über Wasser und Wellen.

„Sagen Sie mal, Kapitän, haben Sie mir überhaupt zugehört?“, fragte ich wütend den alten Sack, der immer noch am Schnacken war.

„Wie bitte?“, fragte der alte Mann fast erschrocken.

In aller Ruhe erklärte ich noch einmal, in welcher prekären Lage wir uns befanden und was ich dagegen tun wollte.

„Ja, Chief, wenn das so ist, dann haben Sie natürlich recht. Ich will mir aber zuerst selber die Lage im Laderaum anschauen!“

„Den Teufel werden Sie tun, mein Lieber. Sie bleiben hier brav auf der Brücke und fahren das Schiff und gehen nirgendswo hin!“, antwortet ich bissig, ohne ihn weiterreden zu lassen.

„Ich bin der Kapitän und ich muss mir selber ein Bild über den Zustand meines Schiffes machen!“, antwortete mir der alte Sack trotzig.

„Falls Sie jetzt die Brücke verlassen, um in den Laderaum zu gehen, so breche ich Ihnen ein Bein. Auf den Steuermann ist kein Verlass, Sie sind hier jetzt der Einzige, der das Schiff in so einer Situation fahren kann und ich brauche die Jungen und den Koch mit mir im Raum. Wir sind tief in der Scheiße und alles, was ich zur Verfügung habe, sind zwei achtzehnjährige Jungs, die zum ersten Mal auf See sind, und Peter. Hinzu kommt ein Steuermann, der von nichts eine Ahnung hat und ein 68 Jahre alter Kapitän, der, obwohl er kaum auf den Beinen stehen kann, in den Laderaum gehen will, nur weil er den Kapitän spielen will und ich soll dem Mann kein Bein brechen?“, fragte ich zum Schluss, verbittert und angeekelt über seinen Hochmut und seine überhebliche Einstellung.

Ohne mich weiter um den alten Mann zu kümmern, ging ich aus der Brücke, Peter und die Jungs folgten mir ohne Widerrede.

Ein paar Minuten später waren wir alle vier zwar etwas nass und außer Atem, aber mit heilen Knochen bei dem losen Pontons im Laderaum.

Wir brauchten gut und gerne zwei Stunden, um all die Pontons so zu sichern, dass die einigermaßen gut und fest an der Backbordseite des Schiffes sicher befestigt worden waren.

So was hört sich einfach an, es war aber nicht so und ungefährlich war’s erst recht nicht.

Wir befanden uns im vordersten Teil des Laderaums, und das Schiff sprang wie ein wilder Mustang mit bis zu sechs Metern in die tiefen Wellentäler.

Am Ende aber, ohne uns dabei die Knochen zu brechen, hatten wir es fertig gebracht, nicht nur jeden der losen Pontons an die Spannten des Schiffes festzumachen, wir hatten auch noch eine gehörige Portion Holzpolster zwischen diese und die Schiffswand gesetzt.

Ganz felsenfest gelascht waren die nicht, wir hatten es nur geschafft, die alle gut zu befestigen, dort, wo die waren und so, wie die dort auch lagen.

Mehr war in so einer Lage einfach nicht drin gewesen.

Um zu vermeiden, dass die sich durch Eisen-auf-Eisen-Reibung noch weniger bewegen konnten, waren wir in der Lage gewesen, eine gute Verkeilung, nicht nur zwischen jedem Einzelnen von denen, sondern auch zwischen denen, die direkt an Deck lagen, und das Deck selbst hinzukeilen.

Damit hatten wir zur Rettung unserer Leben all das getan, was uns unter den gegebenen Umständen möglich gewesen war, der Rest lag nur noch in Gottes Hand.

Mir ist es heute noch ein Rätsel, wie wir es immer schafften, von unserem Wohnbereich in den Laderaum zu gelangen und zurückzukommen, ohne dabei von den anrollenden Brechern über Bord befördert zu werden.

Tatsache ist, dass wir es alle schafften und das alles auch ohne Verletzungen.

Auf der Brücke dann berichtete ich dem Kapitän, wie die Lage nun war, ich erklärte ihm, was wir getan hatten und was ich davon hielt.

Dabei machte ich ihm klar, dass die Pontons keineswegs sicher waren, sondern dass die eben nur so sicher waren, wie das Schaukeln des Schiffes es eben zuließ, mehr nicht und nicht weniger.

Mittlerweile hatte der Sturm an Stärke zugenommen.

Er schien sich bei einer steifen neun mit bis zu guten zehn Windstärken eingependelt zu haben.

Das Schiff schaukelte im Sekundentakt bis auf Dreißig-Grad-Neigung wild hin und her und man konnte nicht auf den Füßen stehen, ohne sich nicht irgendwo festzuhalten. Solange wir aber Kopf auf See blieben, war das im Grunde genommen zwar verflixt unangenehm und gefährlich, wir hätten es aber überleben können.

Hinzu kam, dass das Gewicht der Pontons, die an Backbord gestapelt waren, uns zwangsläufig ein paar Grade willkommener Schlagseite gab und das half noch mehr, die Scheißdeckel dort zu halten.

Jeder Kapitän, den ich kenne, aber auch die blödesten unter denen – und davon gibt es viele – wäre nun weiter, bis sich der Sturm beruhigt hatte, Kopf auf See geblieben.

Nur dieses Arschloch von Kapitän nicht, nein, der Trottel, als er hörte, dass die Pontons im Laderaum befestigt worden waren, schien nur den Teil meines Berichtes in sich aufzunehmen, der ihm passte zu begreifen.

„Mensch, Chief, danke, das war gute Arbeit, jetzt kann ich wieder auf Kurs gehen und mich bei Ouessant Radio abmelden!“, das war es, was der Herr Kapitän mir sagte.

Meine Antwort kam postwendend.

„Wenn Sie es wagen, dieses Schiff auch nur einen einzigen Grad aus dem gegenwärtigen Kurs zu bringen, so schließe ich Sie in Ihre Kammer und übernehme das Schiff!“, mehr sagte ich nicht.

„Das ist ja Meuterei. Ich werde Sie ins Tagebuch eintragen und bei der nächstbesten Gemeinheit den Hafenbehörden anzeigen!“, weiter kam er nicht.

„Machen Sie es ruhig, Kapitän, und da Sie schon dabei sind, setzen Sie meinen Namen gleich dazu!“, schrie ihn Peter auf Holländisch sofort an. „Falls Sie lebensmüde sind, so springen Sie meinetwegen gleich außenbords. Dieses Schiff drehen Sie aber nicht, nicht jetzt, denn ich habe Frau und Kinder daheim und die wollen mich wiedersehen, haben Sie mich verstanden, Herr Kapitän!“

Peter, als erfahrener Bootsmann, hatte die Gefährlichkeit unserer Lage sofort erfasst und war mir zu Hilfe gekommen.

„Da draußen gibt es manche Sturmböen, die fast Orkanstärke haben!“, sagte ich zu dem alten Mann und dabei deutete ich mit meiner Hand auf die rollenden Wellen, die an uns vorbeizogen. „Wo zum Teufel wollen Sie eigentlich hin, Kapitän?“, fragte ich den alten Mann, der, erschrocken über Peters Einmischung, sprachlos geworden war.

„Ihre Pflicht ist es, am Ouessant Radio unsere Situation zu melden, wir sind faktisch in Seenot. Jede Minute kann sich ein Ponton lösen, jede Minute kann einer davon durch die Schiffswand gehen und wir saufen, ohne dass es jemand merkt, einfach ab; Kapitän, melden Sie uns unverzüglich der französischen Küstenwache als Schiff in Seenot, bitte!“

Der Mann, der nur an sich selbst und sein eigenes Ansehen dachte, griff wortlos nach dem UKW-Mikrofon und rief Ouessant Radio an.

Ruhig, mit fast monotoner Stimme, meldete er unsere Position und Schiffslage und bat sie, wenn wir auch quer zum Fahrweg standen, dort bleiben zu können, wo wir waren, so wie wir waren.

Er beantwortete all die Fragen, die Ouessant Radio ihm über Schiffsgröße, Tiefgang, Art der Ladung, Ausgang und Ankunftshafen sowie Reederei und Agentennamen stellte. Er gab alles durch, und am Ende verlangte die Küstenradiostation, nachdem sie uns auf ihrem Radar festgenagelt hatte, von ihm bis auf weiteres im Fünfzehn-Minuten-Takt Position und Schiffszustandsmeldung.

Danach wünschte sie uns Hals- und Beinbruch und beendete somit das Gespräch.

Gerade als ich dachte, nach unten zu gehen, um meinen nassen Kombianzug zu wechseln, begann am Peildeck über uns etwas gegen etwas anderes zu knallen.

Die Schläge kamen im Rhythmus des rollenden Schiffes und wurden immer lauter.

„Was zum Teufel soll denn das jetzt schon wieder sein?“, fragte mich Peter, der genau so wie ich und die Jungs bis auf die Knochen nass und am Frieren war.

„Es gibt nur einen Weg, um es herauszufinden, Junge, lass uns nach oben gehen, und wir werden es wissen!“, antworte ich.

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