Czytaj książkę: «Die Pfaffin»
Fanny Wibmer-Pedit
Die Pfaffin
Roman
1. Auflage 2014
ISBN 978-3-7095-0030-9 EPUB
Fanny Wibmer-Pedit · Die Pfaffin
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2013 by Ennsthaler Verlag, Steyr
Ennsthaler Gesellschaft m.b.H. & Co KG, 4400 Steyr, Österreich
Satz & Umschlag: Thomas Traxl, Steyr
Umschlagfoto: Andrey Kiselev – fotolia.de
Erster Teil
Durch den Niesenwald herauf stapft ein buckliges Männlein; verwachsen und knorrig ist seine Gestalt wie verkrüppeltes Niederholz. Wie filziger Baumbart, grau und grün, wuchert auf seinem Gesicht die abgestandene Haarzier, aus der ein fürwitziges Näslein lugt und - ganz wunderlicher Weise - zwei große, blitzblaue, unschuldsvolle Kinderaugen. Über die Baumwipfel streift die hohe Mittagssonne, sie goldet durch das ganze Defreggental hinaus, funkelt auf dem St. Veiter Kirchturmspitz wie ein Festglanz, ist aber nur mehr ein warmer Hauch da im kühlen Tal, dieweilen sie draußen auf den weiten Lüentzerboden niedersengt wie lebendiges Fegefeuer.
Und darum stapft das Davidle den dunklen Niesenwald so zufrieden herauf. Im Winter geht er der Wärme, im Sommer der Kühle nach. Das ist seines Lebens einfältige und vielkluge Weisheit.
Weit draußen unter dem Kiehnburgerschloß ist dem Davidle einer begegnet, an den muß er allweil denken. Eija, das war ein Lotter, der ist schon der Hitzen und dem Regen gleicherweise zugerennt, das hat man ihm von aller Weite angesehn. Groß und stark, helläugig und rotbärtig, ein gar trutziges Gesicht, das einen übermütigen Frohmut trug und dennoch auch ein kleines bedrückt schien. Schwer und fest der breite Fußtritt, der an der Erden haftet nach Bauernart und dennoch wieder mit aller Macht in die Weite strebt wie ein begieriger Vagant. Einen Plenglsack hat der Mensch Gottes über der Schulter getragen, wie ein Riese sein Haus trägt - und dennoch, ist dem Davidle vorgekommen, ist der Wegläufer so voller Eiligkeit und Fahrenheit dahin, als wär’ er ein Räuber und der viele Plunder im Sack bloß Diebsgut. Es möchte niemand dafürhalten, wie das einfältige Davidle über einen nachdenkt, dem er in aller Morgenfrühe begegnet, und was er an ihm noch alles ersieht. Ja, wenn einer so niemanden mehr zu eigen hat, nit Vater und Mutter, nit Bruder und Freund kennt, der hat gelernt, im Antlitz dessen zu schauen, der ihm auch nur als Allerweltsbruder über den Weg läuft. Was für einem Leid ist der Elendsmensch wohl etwan entronnen? Und was für einer Freud’ rennt er wohl zu? Und wie wird sich’s einmal weisen, wieviel er gewonnen und wieviel er verloren und das, worum er auszieht, sinnt das Davidle und freut sich der paradiesischen Kühle an diesem heißlebigen Sommertag.
Wie die ersten Weiler aus dem Wald tauchen, weicht er ab vom Weg. Er kennt dort, wie im Dorf, die Laben und Stuben und wird nit immer um Gottes willen willkommen geheißen. Drum will er lieber einmal außer dem Ort Atzung und Herberg’ suchen, denn im Defreggental sind die Nächte auch im Heuet noch kalt und scharf ihr Tau und geben keinen linden Schlaf in der Weite.
Da schlenkelt er seitab, dem Mullitzgraben zu und will das Dorf einmal von oben her begehn. Kühl wie ein Lüentzer Weinkeller ist der Mullitzgraben, und das Gewässer sprüht ihm nebelfein ins Gesicht, wird ihm zum Labsal im währenden Wandern. Eija, der Lotter, daß er allweil wieder an den denken muß!
So ein Gestäng’ möcht’ er haben wie der, so ein kräftiges, junges da wär’ ihm Stock und Stein am Weg auch nichts, kostet’ ihn keine Müh und kein Geschnauf. So aber keucht und schwitzt er vom letzten Saft, von letzter Kraft, ein ausgehungertes Elendslötterle, wie er schon einmal ist. Um die Starritzenhöfe macht er wieder einen Bogen, denn höher droben dunkelt ein braunes Gehöft mit geringem Wiesland aus dem grünen Wald heraus, dort ist er noch nie gewesen. Dort wird ihm etwa kein überdrüssiger Gruß entgegenmaulen. Man muß sich viel Bänk’ aufsuchen in der Welt, wenn man keine eigene hat, wo man zu liegen und zu ruhen ein Recht ansprechen kann. Unter ihm breitet sich jetzt das Dörflein St. Veit; Häuslein und Turmspitze glosen in der Sonne, schwanken wie trunken hin und her in der zittrigen Luft des heißen Mittags.
Auf einmal hört das Davidle eine grelle Stimm’, horcht und sinnt, ob sich sein Ohr nit bloß täuschen mag. Und wiederum, wie ein gemarterter Schrei. Ist einem was ... geschieht einem was? Ja Narre! Rufet da ein Weib nach den herumstranzenden Kindern, nach dem säumenden Mann? Ja, rufet das Weib in Zornwut so schreckbarlich? Rufet es nit in lauter Jammer und Schmerz?
Das Davidle zappelt in Eile vorwärts, will Hilfe sein in der Not, an Neugier denkt er nicht. Die Schreie kommen vom Holzer her, der ist der höchste Hauser im Tal. Arm und notig sein die Leut’, so hat das D So ein wunderliches Wesen hat die Emerenzia
avidle reden gehört drunten im Dorf. Ein Steinwurf vom Haus steht eine magere Lärche. Und bei der Lärche steht eine Weibin, schreit und ruft in die Weite: »Veit! Veit!«
Bald ist ihr Schreien ein Jammern, das einem ans Herz greift, bald ein Sehnsuchtsruf, lind und lockend, bald ein Zornwüten, das erschreckt. Jetzt sieht das Davidle, wie es die Weibin am Stamm niederreißt, wie sie die Hände krampfig um die rindige Lärche schlingt, den Stamm umfaßt und sich mühsam daran wieder aufrichtet. Was rauft sie denn so mit der leblosen Lärche?
Zag greitelt das Männlein das letzte Wegstücklein herzu. »Veit! Veit!« Zwischen des Weibes Hohlhänden trompetet der Schrei über das Tal hinaus. Heiligste Mutter des Herrn, die Weibin ist hochgesegnet! Was grämt sie sich denn so aus der Weis’? Muß wohl was geschehen sein im Haus. Das Davidle rennt der Lärche zu. Die Rufende schrickt auf - wie in Freuden, scheint es zuerst. Aber wie sie das Männlein erschaut, sinkt die Freude gleich wieder zusammen wie ein Kerzenlicht im Regenschauer. Sie macht etliche Schnaufer, will sich erfangen, das Hoffen steht auf einmal auf ihrem verharbten Gesicht, das sonst noch schön und jung sein muß, und sie fragt voller Begier: »Hast keinen gesehen um die Wege? Mein Veit ist mir durch, in aller Morgenfrühe, hat mir verheißen, die Wehmutter zu bringen, und kommt nit und kommt nimmer.«
»Und kommt nimmer«, sagt das Davidle ganz verdattert vor sich her; »eija, will’s gern glauben, daß der nimmer kommt; hab’ ihn wohl gesehn, und hab’ gesehn, wie er Sturm unter den Füßen gehabt. Glaub’ es wohl, Weibin, o Narre, wenn das dein Veit gewesen ist!« »Wo hast ihn gesehn, sag, wo?«
»Ein Stück unter Kiehnburg, weit ausgriffen hat er mit seinen gewachsigen Füßen, ein schön Mannsbild, ein mentischer Bauer!« »Bluetschwitzender Heiland!« greint die Holzerin auf, und es reißt sie wieder nieder am Stamm, von unsichtbaren Stürmen geschüttelt.
»Bist allein im Haus?« stottert das Davidle klein verzagt.
Da schaut sie auf und besinnt sich, was das Männlein wohl meint; wird ihr doch nichts antun wollen, schaut doch nit her dazu; laßt die Zähren rinnen und meint: »Bin allein im Haus mit Arbeit und Vieh und meiner Not allein. Wenn der Veit nimmer hinterkommt, nimmer heimfind’t.«
»So renn ich in die Starritzen, hol’ dir ein Leut, sei stille, arme Haut, sei stille!« Und das Davidle haspelt mit seinen knorrigen Beinen der Starritzen zu. Die Holzerin müßt’ andremal lachen über das wunderliche Gezapple, wenn ihr Schreck, Schmerz und Gram nit Leib und Seel’ bis zum Sterben versehrt hätt’. Der Veit ist dahin, der Veit kommt nimmer heim. Voll Heimtück’ hat er die Stunde abgewartet, wo sie in Schwächen seiner Gier nimmer wehren kann, seiner Gier nach dem großen Tummelplatz der Welt. Und sollt’ es ein Bueb sein, wie sie sich ersehnt hat, ein Sohn, dem er das arme Erb’ erhalten sollt? Kein Versprechen, keine Sehnsucht und kein Hoffen, kein Flehen hat ihn mehr halten können. Das Kind - das Kind aber hätt’ ihn etwan doch gehalten. Und den Nagel hat er gefürchtet, daß er ihn wohl festhalten möcht’ an der Schwellen, an der Schollen, und darum ist er fort in der letzten Stund’, in der letzten Not. Und ist es ein Bueb, wird er auch einmal ein Mann - so ein treuloser, ehrloser, haltloser, wie sein Vater einer ist? O Stunde der Bitternis, verraten und verlassen ist sie wie kein Weib im Tal. Leben, bitteres, süßes, ersehntes, verfluchtes, verruchtes, was willst denn wieder ans Licht? Warum denn, wozu denn? Im Reich draußen geht die Kriegsfuchtel um, Krieg wider die Lutherischen. Landsknechte werden geworben, Soldknechte sein es. Geld liegt auf allen Straßen, sagen sie. Oh, der verfluchten, lockenden Mär! Und weil der Veit Pichler ein Nöter ist, auf keinen grünen Zweig kommt, weil’s ihm zu langsam geht hinter dem Pflug her, weil er vermeint, alt und grau zu werden, bis das Gerstenkorn herreift da heroben, weil er stark und groß ist und eitel Weltgelust im Herzen trägt, hat er das Soldat- und das Reichwerden nimmer aus dem störrischen Kopf gebracht. Wie viele Male hat ihn die Magdalen schon gebeten, was hat sie geweint und geschmeichelt, geflucht und gewarnt! »Ein Ackersmann erwirbt, ein Kriegsmann verdirbt!« Den Spruch hat er hellauf verlacht oder ist bös worden und wild wie ein reißender Bär. O heiliger St. Wendelin, bist ein Königssproß gewesen und hast deinen Palast mit den Hütten der Hirten und Halter vertauscht. Was läßt es nur zu, daß sich eines eingebornen Bauern Wesen so verkehrt?
Von der Starritzen her kommt ein Leut, die Emerenzia Granteggerin vom Rauter. Die ist ein gar gottesfürchtig’ und kreuzbraves Weib. Die Holzerin richtet sich wieder auf am Lärchenstamm. Die Helferin schweigt, macht begütigende Augen her, schiebt dem mütterlichen Weib die Arme unter, führt und trägt sie halb ins Haus hinein. Die Magdalen hat einmal keinen Widerstand, so sehr zehrt eine jähe Schwächen an ihrem zitternden Leib. Beim Hauseck aber schaut sie noch einmal zurück, schaut den Steig hinab, von woher er heimkommen sollt’, tut den bebenden Mund auf: »Veit!« Wimmernd ist die gebrochene Stimme, nur mehr ein verwehender Klagelaut. Dann sieht die Magdalen noch durch die grauen Schleier der Schwächen das Männlein über die Wiesen herzappeln. Um was ist es denn eigentlich gekommen? Ein Bettlmandl wird es sein, und ist gut gewesen zu ihr, besser als der Veit, hat ihr eine Hilfe geholt; der Veit läßt sie feig im Elend, ein Bettlmandl hat sich ihrer Not erbarmt.
Aber hinter dem Davidle kommt noch eins daher, die Zettlerin ist’s, die Wehmutter. Voll Staub und Geschwitz und Geschnauf kommt sie daher. Draußen in der Hube sei ihr Veit über den Weg gelaufen und hätt’ sie ins Warten zu seinem Weib gebittet, weil es doch wohl an der Zeit wär’.
»Und er, der Veit?« fragt die Holzerin mit neuem Hoffen.
»Er hat was gesagt von einem weiten Weg und er wiss’ nit, bis wannen er wiederkomm’«, sagt die Zettlerin kurz und verhalten und will des armen Weibes Zorn und Gram nicht noch mehr aufstacheln. Der Veit hat Webstuck mitgenommen und wollt’ sie einhandeln, um etliche Silbergulden ins Haus zu bringen und einen weißen Brotweck, ein bißl Kräuterwerk, erzählt die Magdalen zwischen Ängsten und Pein hindurch.
»Da hätt’ es so weiten Weg wohl nicht gebraucht, du aber gram dich nimmer lang und los dem Kindl auf, es rufet bald in die Welt, also grüß es mit der Mutter herzliebem Gruß.«
Und die Zettlerin schüttelt das Bettstroh lind und weich, reißt Leilacher aus der Truhen, daß das schwere Linnen nur so rauscht, grob ist es wohl, aber schneeweiß gebleicht. Tüchlein richtet sie her für das Menschlein, das da kommen sollt’, ein großes für Leiblein und Füß’, eins, das das Köpfl einhüllt und sich übers Brüstlein kreuzt, und den Handwickel, der die Armlein grad an den Leib zwingt. So wird das Kindl aus der linden Freiheit seines kleinen Schöpfungsreiches in die Enge dieser großen Welt gepreßt. Aber die Zettlerin meint es gut, und ist ja nicht anders der Brauch. So tut sie um in der Kammer, als wär’ sie lang schon daheim da heroben beim Holzer.
Die Magdalen macht ein graues Gesicht her und ihre Zähn’ zermahlen viel Schmerzensschreie zu einem leisen Stöhnen. Der Atem vergeht ihr, der Atem kommt wieder und bringt ihr ein klein wenig Farb’ ins graue Gesicht. Das bißlein Rot aber wird mählich eine Flamme des Zornes; harte Anklag’ formt der schmale Mund. Die Emerenzia Granteggerin legt der Schmähenden die Hand auf die fluchenden Lippen: »Nit, nit, erleid es um des Kindleins willen, hab’ Gedulden, tu verzeihen, nicht fluchen, nit, wir sein ja alles arme Sünder!«
Da preßt die Holzerin die Zähn’ übereinander, hart kommt ihr das Schweigen an. Dann löst sich der Krampf wieder auf ihrem Gesicht, an das Männlein muß sie denken und läßt sorgende Worte den Zorn verscheuchen: »Gebt dem Lötterlein drunten ein Labsal, wird wohl was sein im Gaden, ist ewohl nur ein Bettlmandl, ist aber dennoch ein Gast, und bin ja annoch eine Bäurin, wenn auch kein Bauer mehr im Haus ist.«
Ja, das Bäurinsein ist ihr allzeit eine Freud’ und ein Stolz gewesen. So ring alle Habe im Haus ist, so klein alles Ackerland und der magere Wiesenfleck sich auch ums Häusl breitet, so notig die Weise, in der sie beim Holzer heroben auch leben hat müssen.
Und weil ihr armer Leib ein wenig rasten mag vorm großen Sturm, der noch bevorsteht, muß sie denken und wieder denken. Erst hat sie dem Veit ein Dirndlein gebracht, das ist bald wieder ins Engelland. Hat sich ewohl der Veit dran versündigt. Hat in einem fort gefoppt und aufgeschmissen, ein Bueb müss’ es sein, ein Dirndlein sei keinen Huster wert. Und so ist es wahrhaftig keinen Huster wert gewesen. Und diesmalen, weil sie in der Erwartung gewesen und dies erste Leid hat verschmerzen wollen, hat er wieder so abschätzig geredet: »ls eh nur ein Dirndlein, aber ich sag’ ja nit mehr, es erleidet nichts bei den Weiberleiten, darum geh’ ich lieber weltaus, das Weiberregiment derführst du wohl alleine!«
Und wenn es aber nun doch ein Bueb wär’?
Alles verkehrt sich in der Schmerzensmutter verwirrtem Herzen, in ihrer Kränkung Pein, in ihrer ratlosen Verlassenheit, in ihrer verratener Liebe großen Bitternis. Ein Bueb - was kann es dann wohl anders sein wie so ein überzwercher Mensch. »Verflucht sei es mit seinem meineidigen Vater, was lass’ ich mein’ Leib zermartern um die zweie?« Wieder hält die Emerenzia der Leidverwirrten den Mund zu und fleht sie eindringlichst an: »Um Jesu Bluet, Holzerin, was tuest? Einer Mueter Fluch geht dem Kindl nach, gar einem ungebornen, über das finstere Mächte noch vielerlei Gewalt haben! O Herre, horch nit auf der armen Narrin irre Wort’!«
Drunten in der Stube schneidet sich das Davidle vom Brot lange Scheiben herunter und trinkt süße Milch dazu. Wenn er aber auch nur ein Landstürzer ist, eine fromme Seel’ ist er doch und sagt sein Gebitt: »Lieber Herre Gott, leg der armen Weibin droben mein Vergeltsgott allweil in die Waagschal’, wo die armselige Menschheit in Schuld und Sünden niederzieht - und bin ich gering wie nichts auf der Welt, sein awohl meine Vergeltsgott goldschwar.«
In der Kammer droben windet sich in vielstundenlanger Qual ein armes, verratenes Leben ans Licht. Weil die Pein und die Marter, die Verzagtheit immer noch größer worden sind, und weil sich die Kammertür nimmer und nimmer für einen aufgetan hat, dem das Schmerzensweib im Augenblick gern verziehen hätt’, ist es auch bei dem einen Fluchwort nicht geblieben, und die Zettlerin hat nicht einmal die zitternde Hände auf der Holzerin heißen, staubtrocknen Mund legen müssen.
Dieweilen hat sich das Davidle drunten in der Stube auf die lange Bank gestreckt, satt und müd, und hat seine goldschweren Vergeltsgott auf die eine Waagschale gelegt, wo es niederzieht.
Wie der junge Tag im Osten gegraut und allmählich ins röselete Scheinen übergangen ist, hat die Zettlerin die nassen Tücher über das Soldergeländer gehängt, hat die aufsteigende Sonn’ gegrüßt und einen herztiefen Seufzer getan: »Der Fluch hat ja nur dem Büblein gegolten, wenn’s eins gewesen wär’, wie sich der Treulose gewunschen, wie sie’s heimlich für ihn ersehnt hat. Ist aber ein Dirndlein, o Herre, laß handeln mit dir!«
Ein Dirndlein, vorbei sind Weh und Schmerz.
Die Magdalen Pichlerin hat das Kindlein im Arm. »O Armes, Liebes, wie werd es dir ergehn.« Die Magdalen weint und weint. »Eines Weibes Los kann so viel bitter sein.« Ein Dirndlein - und sie haucht über des kleinwinzigen Menschleins goldlichtes Flaumhaar, rührt es an mit zittriger Hand, mit bebendem Mund. Zähren rinnen ihr über die bleichen Wangen, eine nach der andern, immerfort. Ein Dirndlein. »Herzliebes, Süßes, heilig Unschuldvolles du, will dich lieben, will dich hüten und tausendmal gesegnen. Dich soll keiner verraten und verlassen, dir soll keiner das arme Weibesherz versteinern, daß es in der hilflosen Marterstund’ seinem Kindl flucht, voll wirren Unverstands. Lieben will ich dich, ganz blindlings und übermenschlich!«
Aber die Emerenzia Granteggerin, die ins Warten geblieben ist und die das Heidlein heut noch übers Taufwasser heben will, schrickt schon wieder auf.
»Weibin, unsinnige, was redest daher? Blindlings lieben und blindlings fluchen einem armseligen Kindl, das ganz auf dein’ Weisheit gestellt ist, das du mit Gottes Gnad’ und großer Demut auferziehen sollst, so es ja keinen Vater hinter sich stehn hat!«
Die Magdalen will sich wehren so eifrigen Rates.
»O Emerenzia, allweil bist du frommer wie der Jesu Christ selber, deucht es mir oft. Aber ich sag’ dir, ihn ficht es nit an, wenn wir ein zerrissen Gewand anhaben und Kratzer im Gesicht von den vielen Dornstauden, durch die uns der Teufel jagt. Du aber meinst wohl, man soll sich mit dem röseleten Kinderhäutl als alter noch in den Sarg legen können. Ja, wär’ wohl gut, wenn du es vermagst. Emerenzia, deiner Kinder Vater aber ist auch einer wie die Patriarchen gewesen, so rechtlich und fromm, so lauter und voll Güte, ist nit ein Vagant und Staudenschliefer, der den Seinen die Treue vorenthält und den Anblick seines Kindes flieht.«
»Tu dich nit so zürnen, dem Kindl zuliebe; trinkt es deines Blutes gachen Zorn hinein«, bettelt die Granteggerin und streichelt der Kindsbetterin die Arme auf und nieder, lind und leis, und lauter Ruh’ geht aus ihrem Wesen in das der jungen Mutter über. Der Magdalen fallen die Lider mählich über die dunkel starrenden Augen und die wilden Atemstöße ihres rebellierenden Herzens verkehren sich in friedsame Schnaufer, wie sie nur der traumlose Schlaf gibt.
»Liebe, arme Haut«, lispelt die Granteggerin und richtet sich zum Taufgang her. Das Davidle muß Haus und Wöchnerin hüten, denn einem Weib in den Wochen setzen die Unkathlen zu Tode gern zu, dieweilen man das Kindl unters Taufwasser hebt. Sie zürnen wider den neuen Christen und Gottesstreiter und möchten der Kindl-bettmutter gar zu gern den wunden Leib versengen, möchten sie schrecken, daß ihr das Blut in raschen Stößen aus dem erstarrten Herzen flieht, oder die Spinne verwirrend in den Kopf steigt.
Aber das Davidle steht unter der Tür und weicht nicht. Weil eine schwarze Katz’ herschleicht, gibt er ihr in aller Heiligen Namen einen Fußtritt, und weil ein trenzender Hund herschnüffelt, steinigt er ihn wegaus. Das Davidlein hat sich auf solche und andere Weise stillschweigend Hausrecht erworben beim Holzer ober St. Veit. Das ist ihm aber kaum einen Gedanken wert; das kommt so im Leben, man steht, wo einen der Hunger hinstellt, zu der Bettlsupp’ oder zum Ehhaltentisch.
Die Magdalen Pichlerin starrt in der Zeit des Betthütens allweil in ein Astaug’ ober sich im hölzern Gebälk. Es ist ein gutes Aug’, voll Leben und voll Güte. Sie will sich nicht umschaun in der Kammer, wo sie alleine ist. Wenn das Kindl nicht wär’, sterben müßt’ sie, alle Ängsten wären um sie und in ihr. Beten will sie, es verwirrt sich ihr Sinn; sinnen will sie und verwirrt ihr den Verstand. Viel zu ruhig ist’s in der Kammer und laute Dinge stehen auf. Aber wenn das Kindl in der Wiegen aufschneuzelt und schnaufelt, dann ist vieler Spuk wieder verflogen. Wenn die Granteggerin in die Kammer tritt, das Emerenzelein auf die Arm’ nimmt, muß es wieder aus ihr brechen wie ein Wildbach: »Wo geht der Veit um? O du schandbarer Christ und unmenschlicher Vater!«
»Trag es, Holzerin! Meinst, ihm ist wohl dabei? Weiß man’s, was der Herre mit ihm vorhat, mit dir, mit dem Kindl, mit uns allen?«
»Mit mir und dem Kindl?« fragt die Holzerin bang. »Mit mir, soll es Schweres sein, ich beug’ mich seinem Willen allemal, wenn es mich wohl unverstanden hart dünkt. Aber mit dem Kindl, mit dem Kindl soll er was vorhaben? Soll er’s etwan auch harte Straßen treiben wollen? Emerenzia, hast es übers Taufwasser gehebt, hast ihm dein Namen geben, werd nit dein Ernst sein, so ein hartes Denken?«
Die Emerenzia streift mit schrundigen Händen die Windelen glatt, die sie trockneter vom Solder hereingetragen hat. Sonne und Bergluft duften aus ihnen heraus und bringen frischen Odem in die dumpere Kammer. Sie legt das Stößlein auf die Truhe und tut die hölzerne Gespattl zu, in der das Wurmmehl ist für des Kindleins Wundsein. Dann geht sie zum kleinwinzigen Emerenzelein, das an den zwei nußgroßen Fäustlein lullt und die Äuglein wie schlafbefangen nicht aufbringt zum Licht. Lind streichelt sie ihm über das faltige Stirnlein und seufzet: »Holzerin, wirst mich ja recht verstehn, mein’ es zu tausendmalen gut mit euch. Harte oder linde Straßen, wenn’s nur zur guten Endstunde auf der Hallelujaseiten steht. Alles Beste dem Kindl, die lindesten Straßen; wenn’s aber nachhero eitel Trug wär’? O Jammer, mag es ein Irrweger, ein Gottsucher, ein Kreuzträger werden, findet’s nur heim am End’ seiner Tagen und Plagen, dann ist alles ja nur so ein Dornstupferlein gewesen.«
Langhin ist es still in der Kammer.
»Du tust uns noch viel Schweres weissagen«, meint die Kindsmutter bänglich und ruckt das Fatschenkindl eng an ihre Seiten und laßt es nimmer aus den Augen.
Die Holzerin sitzt schon wieder vor der Haustür, unter der warmglutigen Sonne, das festgewickelte Kindl im Arm; das Davidle ist noch allweil im Haus. Sie hat nicht das Herz, das heimatlose Mandl weiterzuschaffen, es hat sich ja in der Notstund’ so hilfsbereit gezeigt. Und er bringt’s auch nicht über sich, die Weibin alleine zu lassen da im Haus, mit aller großen und kleinen Arbeit. So greift er an, wie er’s versteht. Kliebt das Herdholz und tragt ihr’s herein, füttert die zwei Küh’, daß sie zur Not gewartet sein, bringt langsam das wenige Heu unter Dach. Die Wiesen ist schlecht im Einhalt, der Holzer ist kein strebsamer Hauser gewesen, immer nur voll Müssen, nie voll Wollen und ohne Freud’ an der Sach’. Und der Holzerbauer, Veit Pichler, laßt nichts mehr von sich hören, so voll Sehnsucht und Verlangen die Magdalen auch unter der Haustür warten mag. Wie viele Mal im Tag schickt sie ihm einen Gruß, eine heiße Bitte um sein Heimkommen und drückt zur Bekräftigung das Kindlein an ihre Brust, wenn sie den Steig hinunterschaut.
Der Veit kommt nimmer, er ist weit, weit landaus.
Die Nächte der Magdalen sein still und einsam, weit und öd ist’s im Haus. Das Davidle ist einer, den man nit umtun spürt; und ist ein Fremder. Das Kindlein in der Wiegen macht lauterer Unschuld voll zwei Fäustlein her, dieweilen die Holzerin die ihren oft voll Bitternis in die Finster reckt, wenn die schlaflosen Nächt’ sie peinigen. Es nützet aber auch das nit ein bißl, das Herz wird nit leichter, wenn es grollt. Sie muß es tragen, damit es ertragen ist.
Er kommt nimmer heim, schickt keinen Gruß, keine Kunde.
Manchmal greift sie in die Arbeit wie ein Mann, vergißt Essen und Trinken, und erst das hungernde Kindlein gemahnt sie wieder an ihre heiligste Pflicht. Und andremal möcht’ sie oft am liebsten hellauf lachen, wenn sie mit dem knorrigen, buckligen Davidlein die magere Suppe auslöffelt, wenn sie daran denken muß, wie ihr zwischen grauender Morgenstunde und heller Mittagssonne der ungleiche Tausch ins Haus kommen ist. Ein ganzes Narrengespiel ist das Leben.
Das Davidlein sagt nicht so und nicht so, sinnt nur manchmal drüber nach, ob er etwa im kalten Winter auch da im schattigen Defreggen bleiben muß, da in der windscharfen Höh’ heroben; denn der Sommer geht langsam dahin.
* * *
Durch den Niesenwald orgeln die ersten Herbststürme, und kalte Fröste setzen schon ein. Da kriegt das Davidle oft genug den kalten SchüttIer in der klunsigen, zugigen Kammer. Jetzt wär’ ihm in Lüentz drunten irgendwo ein Unterschlupf in einem festen, gemauerten Bürgerhaus weit lieber. Aber die Holzerin will er nicht verlassen, sie hat ihm den Sommer viel Guttat und Nachsicht erwiesen, seine Arbeit ist kein junges Zugreifen mehr.
Aber auch die Magdalena will den armen Lotter über Winter nit heimatlos machen. Über der Brechlstuben raucht kein gerösteter Flachs; der Holzerin Spinnrad wird den halben Winter stille stehn und Staub anlegen müssen. Der Veit hat keinen Flachs mehr angebaut. Im vielen Versinnen, Wörteln und Streiten ums Landsknechtwerden ist ihm die Zeit zu gar vielem zu kurz geworden, und das Restlein Werg vom Vorjahr ist ring, ring, das die Magdalen nicht aufgesponnen hat.
Das Dreschen auf dem Heuboden ist diesmal auch gar nicht lustig. Das Davidle hat’s im Leben nie getan und vermag keinen Takt zu halten; so wird es nur mehr ein ungutes Gepolter. Im Heustock gehn grauschimmelige Wuzl her, wenn die Holzerin füttert. Das Davidle hat das Heuen wohl gut gemeint, ist aber kein kundiger Bauer. Sie muß es erleiden und ist gerne still zu den Schäden, die das Brot für Leut’ und Vieh noch karger machen.
Die Magdalen Pichlerin, zuhöchst beim Holzer, geht aber trotz alledem am dritten Goldenen Sonntag des Weinmonats ins Hopfgarten einwärts und will der Mutter Gottes ihren Erntedank sagen. So ist sie’s aus der Kindheit Tagen noch von ihren Eltern her gewohnt. Zu dem Kirchgang bettet sie ihr Kindlein lind auf den Arm, um es, zum andermal seit dem Taufgang, zum Herrn zu tragen.
Schwer ist ihr Sinnen wegwärts. Was ihr der Winter wohl alles an Not und Einsamkeit bringen wird? Ring ist die Hoffnung, daß es den Veit noch irgendwann einmal heimtreiben wird. Was soll ihn auch heimtreiben? Man redet, daß die Soldknechte gute Zeiten haben, daß der Soldat einmal Herr der Welt ist; Weibsgezücht zur Kurzweil ist allerwege viel genug herum. Und einer, der sein Weib in solcher Stund’ verläßt, wie sie verlassen worden ist, wird’s mit der Treue nicht groß ernst nehmen. Bei dem Gedanken gibt es der Magdalen einen Stoß mitten ins Herz, daß sie stehenbleiben und hart verschnaufen muß. Oh, wär’ nicht das Kindlein an ihrer Brust! Lind und lieb, wie ein heilsam Pflaster liegt es an ihrem Herzen, das so voll Weh ist. Und wär’ es auch kein Dirndlein, nein, nein, fluchen tät’ sie ihm nimmer, hätt’ es wohl auch gleich liebgewonnen, ganz so lieb wie das Emerenzelein. Eine Mutter, oh, eine Mutter kennt in der Liebe keine Grenzen, kennt in der Liebe zu ihrem Kindl nimmermehr ein Genügen; ist es, was es ist, und ist es, wie es ist.
Zu der Himmelmutter Füßen aber kommt ihr das Elend aufs Neue. Sein die Leut’ schon lange alle aus der Kirchen, klagt sie noch einmal ihre große Not her. Daß der Herr Vikar Barthlmä Schaudermann drüben im Gestühl sitzt und auf die weinende Holzerin herschaut, merkt sie gar nicht. Der Schaudermann ist schon ein alter Mann und muß eine Weil’ sinnen, wer denn nur die arme Weibin sein könnt’. Eija, nun hat er’s wohl, des Veiten Pichler Weib, das verlassene, ist die Weinende. Dem Holzer sein Ehweib gewesen, und ist es nun nimmer, weilen er über Berg und Tal dem großen Heerzug nachrennt. Der Narr, der Schelm. Was mag das Leut wohl treiben den langen, strengen Winter droben im armen, einsamen Gehaus. Sie alleine, mit dem Kindl, das ihr noch Händ’ und Füß’ bindet, der Not zu wehren, das Kindl. O liebe Zeit!
Der Barthlmä Schaudermann kriegt tropfnasse Augen. So alt er schon ist, ein kleines Menschlein in den ersten Wickeln drinnen macht sein Herz noch allweil wonnig warm und roglicht wie einen frisch umgebrochenen Langesacker. Seine Hauserin ist noch älter als er und voller Gekrampf und Vergicht; es tät’ ihr eine Hilf’ weit noter, wie ihr die viele Arbeit übel tut. Die Holzerin ist noch jung und stark und brauchet in seinem Gehause etwan weniger um den Kerl zu flennen, der keine Träne wert ist, weil er so ein Kindl verlassen kann. Einem Weib einmal auf und davon laufen ist zuweilen menschlich begreiflich; so viel weiß auch der Schaudermann vom Eheglück und Eheübel; aber ein Kindl im Stich lassen, sein eigen Kindl auch noch - ein Kerl ist der Veit Pichler, ein Kerl, nicht mehr.
Und das verlassene Weib nimmt er sich ins Haus, das steht fest. Er braucht das Leut, und das Leut braucht ihn. Weiß der liebe Himmel, wovor er das Weib wie das Kindl in der Vogelfreiheit da droben behüten kann.
Als die Holzer Magdalen über den Freithof geht, traurig über die Gräber schaut und denken muß, daß ihr der Veit lieber da drunten in Ehren begraben lieget und sie in Liebe seiner gedenken kunnt, so aber Groll und Bitternis wider ihn im Herzen tragen muß, steht der Vikar Schaudermann amFreithoftor ihrer wartend und redet sie kurz mit seinem Meinen an. Zweimal muß er ihr’s hersagen, und dennoch will sie noch kaum begreifen. Schaut über St. Veit hinüber, zum Holzer hinauf, lang, lang. Und hat noch allweil keine Antwort. Der Herr Vikar hat viel Gedulden mit dem Weib.
Die Heimstatt verlassen, die Schollen? - sinnt sie schwer.
«O Herre, wohl bin ich arm und verlassen, aber das muß ich dennoch gut beschlafen und bedenken!«
Und flüchtig, als hätt’ sie eins um was Unrechtes angeredet, eilt sie dorfaus. Eilt den Weg heimzu, grad nur das Kindl drückt sie wieder einmal heiß und jäh ans Herz. Der Weg ist mehr wie stundweit, aber in ihrer Flüchtigkeit holt sie bald schon St. Veit ein, eilt bergaufwärts. Inner der Starritzen kommt ihr die Emerenzia Granteggerin entgegen. Die hat ihr Taufkind schon die Wochen nie mehr gesehn und nimmt es freudig in ihre Arme für ein Stücklein Weg. So kann die Holzerin einmal verschnaufen. Das winzige Dirndlein ist schon ein Vierteljahr alt, aber fein ring noch. Der weite Weg ist es und das Vorsichhertragen, was die Mutter wohl so ermüdet hat, daß sie hochauf veratmen muß und die schweißige Stirn trocknet. Mager ist das Menschlein, aber wohlgebildet; ein Köpfl wie geposselt und Augen großmächtig und klug, grad als wisse es gar viel schon von der argen Welt. Die Granteggerin schaut und schaut und wird um ein gutes ernstlicher. Schaut alleweil wieder die Kinderstirn an, über die sich drei tiefe Falten ziehen. Kommt vom Magersein, denkt sich die Holzerin oft.