Czytaj książkę: «Die Verdorrten», strona 2
III
Lange schon fühlten sie beide, daß sie einander nicht mehr mit Liebe von einst liebten, aber sie wußten zuviel voneinander, sie waren einander gewohnt.
Seine chemische Fabrik, die er in einem Vorort hatte, ging schlecht. Es kam eine gute Gelegenheit, sie teuer zu verkaufen, und in dem in eine Aktiengesellschaft umgewandelten Unternehmen noch eine fast leitende Stellung zu erhalten. Aber war das ein glücklicher Zufall, so bewährte sich das Glück auf der Börse, wo er zu spielen begann, nicht so sehr. Er verlor die Hälfte seines Vermögens an drei aufeinanderfolgenden schrecklichen Tagen, das letzte ließ sich nur abwenden, weil er mit dem seine Geschäfte führenden Bankier seit Kindeszeiten befreundet war und der Bankier keine weitere Deckung verlangte, so daß das Engagement vielleicht bei einer Besserung der Konjunktur doch noch ohne großen Schaden abgewickelt werden konnte. Auf alle Fälle hatte er die fast leitende Stellung in der Fabrik, es war zwar sicheres, aber doch fremdes Brot und manchmal bitter für ihn. Es waren kleine Verhältnisse, in denen er lebte.
Die alte Geliebte war ihm auch jetzt treu. Sie hatte nie an besondere Glücksfälle geglaubt, sie war die Wirklichkeit, die Vernunft. Immer blieb die Sorge bei ihr, die Angst bewachte jede Umarmung. Das Keuscheste wurde schamlos, wenn sie, die Geliebte des Verarmten, daran dachte, daß sie ein Kind bekommen könnte.
Sie suchte und fand einen „Gelderwerb“. Leicht war es ihr nicht, die an fremden Türen zu klopfen nicht gewohnt war, aber es war leichter, als Edgar „zur Last zu fallen“. Das Böse der bösen Tage draußen, trieb ihn und sie zu ihr und ihm.
Verzweiflung kam nach Jahren, kam nach lange geduldig getragenen Enttäuschungen. Er verzweifelte an ihr, sie am Leben.
Aber nach erbitterten Faustkämpfen mit Worten, denn zur Gewalt liebte er sie nicht genug, nach Hieben mit alten Beschuldigungen, längst verjährten Sünden, gab es Umarmungen, es rauschten wortlose unbeschreibliche Nächte. Auch er erwachte aus ihrer Schwäche nicht mehr strahlend wie einst und herrlich verjüngt – beide entstiegen sie der Dunkelheit gealtert, verwüstet, entgöttert. Aus einer dieser Nächte wurde das Kind.
Sie dachten lange nicht daran, daß „es“ möglich sein könne, aber dann kam eine Zeit, da sie einstimmig lachten, wenn sie davon sprachen, aber allein gelassen Gelübde ablegten für den Fall, daß das „Unglück“ nicht einträfe. Es war mehr als Unglück, es erschien ihm als völlige Vernichtung seines Lebens, Erstickung jeder besseren Zukunft. Esther aber hatte sich endlich daran gewöhnt, die Schwefelsäure in ihrem Zusammenleben mit ihm zu ertragen.
Sie war reifer geworden, denn sie fürchtete nichts mehr. Anderen Männern, wie dem Bankier, trat sie mit Sicherheit entgegen, es war ihr trauriger Triumph, daß niemand von ihrer Verbindung mit Edgar wußte. Sie spielte mit den anderen, und so tränenselig sie bei Edgar war, so konnte sie doch in großer Gesellschaft verführerisch lächelnd am Klavier stehen, leicht über die Tafel des Instrumentes gebeugt, sehr schlank in der zarten Linie ihrer an den Flügel geschmiegten Hüften. Oft sprach man von Liebe und Ehe und sie erzählte mit mädchenhafter Schwärmerei von einem edlen Jugendgeliebten, der nun in Afrika oder sonst an einem Ende der Welt als Elefantenjäger lebte.
Edgar konnte nicht jeden Tag mit der ungeliebten Geliebten zusammensein, aber auch Einsamkeit ertrug er nicht, sie machte ihn irr, wahnsinnig, jagte ihn in ewige Flucht durch die ewige Verfolgung des eigenen Ich, in Furcht vor dem Wahnsinn fieberte er, wie in der Zeit vor Esther. Er konnte nicht ohne Bücher, Zeitungen leben. Mußte er einmal eine Stunde allein sein, dann las er, rechnete, schrieb, blieb lange über die Arbeitszeit in dem ganz verlassenen Laboratorium, zündete die Gashähne der Bunsenbrenner an, stellte sie wieder klein, nutzloses Werk, Werk des nutzlosen, endlich warf er sich auf ein Sofa, zog den Rock über das Gesicht, tat sich Gewalt an, langsam zu atmen, irgendwie sich zu schützen vor der großen Angst, dem idiotischen Verhängnis, das an unrechter Stelle „Feuer gefangen hatte“. Gebrochen, zermalmt kam er abends zu Esther, die in seiner Wohnung auf ihn gewartet hatte. Auch da war es unerträglich. Sie hatte, rührend und unerträglich sanft wie immer, mit dem Abendbrot auf ihn gewartet, nun trieb er sie hungrig zu einem Spaziergang, rannte sich müde, schleppte sie durch unbekannte Gassen, durch Fabrikhöfe, über Schutt- und Schlackenhaufen, endlose Straßenbahngeleise entlang. Er sprach nun, redete hemmungslos ins Unmögliche, übertäubte alles, endlich war er müde genug, um sie zu küssen.
Endlich doch, und nachher, in einem befreiten Aufatmen gestanden sie einander ihre Sorgen ein, und als sie lange genug einander eingeredet hatten, daß „es“ unmöglich sei, begannen sie Pläne zu schmieden. Jetzt, da er neben ihr lag, und ihr mattes Haar schimmern sah im Licht der Laterne draußen, da seine Finger sich um ihre nackten, wie Pfirsiche zu tastenden Knie spannten, jetzt lebte sie in ihm, unverlierbar.
Er mußte fort, die Stadt beengte ihn, jetzt hatte er eine brutale Arbeitslust, er mußte eine neue Freiheit haben. Er sprach nicht für sich, sondern doch für beide? Es war das beste, das einzige für sie, es handelte sich nur um Monate, um wenige Jahre, um wenige tragende Ideen, die Ideen waren einfach, das Geld lag auf der Straße, der Bankier glaubte auch daran, aber hier konnte er sie nicht zuende bringen, da er sich zu sehr um seinen Liebling, um Esther sorgen müsse. Vor allem mußte doch für sie gesorgt werden, er wollte viel Geld verdienen, „Brüsseler Spitzen handbreit um das da“ flüsterte er, während er mit falscher Schmeichelei ihr nacktes Knie umfaßte.
Nach einem langen Schweigen sagte er leise, wenn sie beide alt geworden wären und müde, dann könnten sie einander heiraten.
Für alles war ein Ausweg, ein guter Trost, nur diese unheimliche Möglichkeit mußte fort, dieses Gespenst einer Familie, einer Kinderschar bei einem Einkommen von 2 800 für alle. Dieses Gespenst erst mußte fort, alles stand ja gut, morgen konnte man in Sicherheit sein, auch sie, die vielumsorgte Esther, morgen oder spätestens in einer Woche.
Aber es kam nicht zum Aufatmen, von neuem gab es Kämpfe, hartnäckigen Widerstand gegen das ungeborene Kind. Die mathematische Wahrscheinlichkeit, die klare Vernunft, der höhere Sinn des Lebens wurden dagegen zu Hilfe gerufen. Sah die Geliebte gut aus, dann sprach ja ihr rosiger Teint dagegen, hatte sie ein verfallenes Gesicht, dann war sie eben krank, und diese Krankheit täuschte das Kind vor, das nicht da war, weil es nicht da sein durfte.
Aber es war doch da. Er schickte sie zum Arzt, nur zur Beruhigung, um seine Sorgen loszuwerden. Sie kam sehr bald zurück, setzte sich still und ruhig zu ihm, so ruhig, daß er aufatmete. Waren sie befreit? Nein. Es war da. Es gab keinen Zweifel mehr.
Und warum weinte sie nicht?
Sie weinte, er hatte ihre Tränen nicht bemerkt. Seitdem sich ihre Liebe so sonderbar geändert hatte, hatte Edgar verlernt, sie zu trösten. Nur er konnte es, sagte sie. Einmal war sie von einem Wagen beinahe überfahren worden, der Kutscher hatte sie in den Kot gestoßen und nachher noch gemein beschimpft. In zerrissenen, mit Straßenkot getränkten Kleidern war Esther zu ihm gekommen, ihr krampfhaftes Weinen war jammervoll. Er hatte sie wie ein Kind getröstet, in zehn Minuten hatte sie gelacht und in seinen Armen vor Lust sich gekrümmt, während die Kleider am Herd trockneten.
Auch jetzt tröstete er sie. Aber sie wollte nicht Lust. Sie war still, seit langem hatte sie „es“ gefühlt, daß es kommen mußte, gewußt seit der ersten Nacht, vor so langer Zeit. Aber sie hatte sich nie mit Schmerzen an dieses „es“ in Gedanken geklammert, vielleicht es immer gewollt, „es“ allein. Aber sein Unglück war nicht zu ermessen? War es so schwer?
Sie liebte ihn jetzt mit einer so sublimen, außerirdischen Liebe, ganz ohne Grund, denn wenn Gründe gegolten hätten, wie hätten sich die Verstummten jetzt in die Augen sehen können?
Draußen regnete es im Gewitter. Es war ein später Apriltag und ungewöhnlich warm. Als sie auf die Straße kamen, hörte der Regen auf. Sie gingen in den Park. Langsam hoben sich die Blätter in der abendlichen Sonne, befreit von der Feuchtigkeit. Goldfarbene Regenwürmer schlängelten sich über ockerfarbigen Sand, die zart gestrichelten Glieder schienen sich neu aus dem Innern der Würmer zu gebären. Die Vögel sangen, am Abhang sah man einen Knaben einen weißen Reifen vor sich hertreiben, Liebespaare schwankten seitwärts in tiefen Schatten. Von überall kamen die Regenwürmer hervor, schwer war es, sie nicht zu zertreten. Während der Mann sein ganzes Wollen hinzwang, zu schonen die goldenen Windungen der schädellosen Tiere, fühlte er mit Entsetzen, daß etwas ebenso wortloses, ebenso lebendiges im Schoße Esthers lebe und nicht zertreten sein dürfe. Er wollte „es“ also zertreten? Er wollte es, er wußte in seiner Seele, daß er dieses ungeborene Kind haßte. Er konnte nicht ertragen, dieses gegen seinen Willen Lebende lebend zu wissen. Es sprach nichts. Sie sah ihn von der Seite an, nicht anders als sonst, sie lehnte an seinem Arm, mit der gleichen unerträglich sanften Wärme wie sonst.